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Full text of "Philologus: Zeitschrift für das classische Alterthum"

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’HILOLOGUS 
ZEITSCHRIFT FÜR DAS 
KLASSISCHE ALTERTUM 
UND SEIN NACHLEBEN 


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HERAUSGEGEBEN 


VON 


ALBERT REHM 


IN MÜNCHEN 


Band LXXVIN. 
(N. F. Bd. XXXII). 


DIETERICH’SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG 
RABENSTEINPLATZ a. 


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LEIPZIG MCMXXII 
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Alle Rechte vorbehalten. 


Druck von H. Laupp jr in Tübingen. 


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Inhalt des achtundsiebzigsten (zweiunddreissig- 


| sten) Bandes *), 


‘Der geometrische Stil in der Ilias. Von Friedrich Stählin 
‚sophocles N? fr. 787. Von K. Rupprecht 

Die Samia des Menandros. Von Ernst Wüst 

| Apfsmae Bepevina. Von W. Schmid 


'Hippocratis qui fertur de medico libellus ad codieum 
fidem recensitus. Von J. F. Bensel 
Textkritisches zu der aristotelischen Topik und den 
ı sophistischen Widerlegungen. Von Max Wallies 
re Charitonis codice Thebano. Von Fr. Zimmermann 
| Aus der Werkstatt des Athenaios. Von Karl Dengis 
| Bösoos. Von Friedrich Bilabel . 


/ur Geschichte der römischen Satire. Von F. Muller Jzn. 
'atull und Lesbia. ‘Von M. Rothstein 
‚(Zur Aetna V. 63. Von Fritz Walter . 
| 
‚Zu Valerius Maximus. Von Joseph Schnetz . 
‚Zu Senecas Dialogen. Von K. Busche 

m den Dialogen Senecas. Von Fritz Waulter 

‚Zu Seneca ad Polybium de consolatione 11, 1. Von 

Fritz Walter i ge TER 

‚u Lactanz. Von S. Brandt ; 

„actantius und Plato.. Von A. Kurfeß . 


| u 


Seite 


393 


176 


413 


421 
414 
180 


414 
131 
381 


*) Die Titel der Mircellen sind durch eine eckige Klammer kennt- 


ch gemacht. 
| 


IV Inhalt des achtundsiebzigsten (zweiunddreißigsten) Bandes. 


Zur Physik des Empedokles. Von Gustav Kafka . 
Die philosophischen Probleme in den platonischen Briefen. 
Von Wilhelm Andreae . a he er 
[Polemarchen in Pharsalos.. Von Heinrich Swoboda 
[Noch einmal die Duenos-Inschrift. Von August Zimmer- 


mann . en 
[G. Gracchus an die Farieii. Von $. Eitrem 


[’Antepeug. Von K. Rupprecht Bo 

[Zu öpyn rpoorinter cum inf. bei Thuc. Il 11, 7. Von 
E. Kieckers un 

[Nochmals zur Seansaeikibn: Von R. Kelas 


Ueber antike Geheimschreibemethoden und ihr Nachıleben. 
Von W. Süß 


Bei der Redaktion eingegangene Druckschriften . 


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IMLOLOGUS 


ZEITSCHRIFT FÜR DAS 
KLASSISCHE ALTERTUM 
UND SEIN NACHLEBEN 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


ALBERT REHM 


IN MÜNCHEN. 


Band LXXVIII, Heft ı/z2. 
(N. F. Bd. XXXII, Heft ı/2). 


LEIPZIG MCMXXII 
DIETERICH’SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG 


RABENSTEINPLATZ a. 


1./2. Heft. 


! Seite 
I. Catull und Lesbia. Von M. Rofisten -» . . .. 2... 1 
II. Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 
Von Wühelm Andreae . . . 34 
Il. Hippocratis qui fertur De Medico libellus ai ER Sdem 
recensitus. Von J.F.Bensel . 2: 2 2 2 2 88 
IV, Zu Lactanz. Von S. Brandt . . .. . ; . 131 
V. Ueber antike Geheimschreibemethoden aid ihr Nachleben. 
Von WS... > 2 222er. 142 
Miscellen. 
1. "AplinAog Bepavixe. Von W.Schmd > > 2 22222221960 
2. Zu den Dialogen Senecas. Von Fritz Walter -. . . . . ...18 
3. G. Gracchus und die Furien. Von S. Brem . . . . ... 18 


Ein Band umfasst 4 Hefte. 


Ausgegeben Ende Juni 1922. 


Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die Manuskripte an Prof. 
Rehm, Montsalvatstr. 12, München 23, die Korrekturen direkt an die, 
Laupp’sche Buchdruckerei (H. Laupp jr), Tübingen, Herrenbergerstraße, 
zu schicken und aın Schlusse der Manuskripte ihre Adresse stets genau 
anzugeben, | 


Die stäudig veränderlichen Herstellungskosten gestatten bis auf 
weiteres die Berechnung der Zeitschrift Philologus nur noch für die 
einzelnen Hefte. 


I. 
Catull und Lesbia. 


Durch Catulls Gedichte ist Lesbias Name unsterblich 
geworden; gilt von ihr Martials Wort accepit famam nec 
minus ipsa dedit? Gern denken wir uns, daß es die große 
Liebe gewesen ist, die Catull zum großen Dichter gemacht 
hat, daß er jung und unerfahren war, als ihn die Leiden- 
schaft packte, und da der poetische Scheidebrief an die Ge- 
liebte aus der letzten Zeit des Dichters stammt, so schließt 
sich daran die weitere Vorstellung, daß die Liebe zu Lesbia 
einen langen Zeitraum im Leben des Dichters ausgefüllt hat, 
daß die Bitternisse und Enttäuschungen, von denen uns seine 
Lieder Kunde geben, sein ganzes Leben von früher Jugend an 
vergiftet und zu seinem frühzeitigen Tode geführt haben, daß 
der gute, weltfremde, heißblütige Junge der kühl berechnenden 
Koketterie einerihm an Jahren, Erfahrung, gesellschaftlicher 
Stellung weit überlegenen Weltdame zum Opfer gefallen ist. 
So oder ähnlich, mit einigen Schwankungen und Abweichungen 
im einzelnen, pflegt man sich Catulls Schicksal vorzustellen ; 
wenn Catulls Lesbialieder, heute wie im Altertum, als die 
Krone seiner Dichtung gelten, so soll auch die Liebe zu Les- 
bia den Mittelpunkt und den Hauptinhalt seines Lebens bilden, 
und da unter den wenigen Frauen, deren Name neben Lesbia 
genannt wird, offenbar keine ist, die den Dichter dauernd und 
ernsthaft gefesselt hat, so scheint sich das einheitliche und 
rührende Bild auch nach dieser Seite aufs beste abzurunden; 
ob es mit der Wirklichkeit fibereinstimmt, das muß sich nicht 
nur an den Lesbialiedern, deren tatsächliche Grundlage es 
zusammenfassen will, sondern ebenso auch an den anderen 
«rhaltenen poetischen Lebensäußerungen des Dichters ausweisen. 

Philologus LXXVIL (N. F. XXXI), 1/2. 1 


2 M. Rothstein, 


Im Frühling des Jahres 56 hat Catull die Provinz Bithyniere 
verlassen, auf der Rückreise in die Heimat und bald nach der 
Heimkehr sind vier Gedichte entstanden, die sich erhalten haben, 
das jugendfrische Wanderlied tam ver egelidos refert tepores (46), 
das tiefinnige Erinnerungsgedicht auf den Bruder (101), das 
Phaselusgedicht (4), das die Freude an dem eigenen Besitz und 
dem eigenen Erlebnis aus jeder Zeile so hell hervorleuchten läßt, 
daß aller Scharfsinn, der auf die Begründung einer anderen Auf- 
fassung verwandt worden ist, von vornherein zuschanden wer- 
den muß, endlich, das bekannteste von allen, das Begrüßungs- 
‚gedicht an die Heimat (31), dessen sonnige Heiterkeit sich 
jedesmal, so oft man zu ihm zurückkehrt, mit immer frischer 
Kraft den Leser aufdrängt. Das sind aus einem Zeitraum 
von wenigen Wochen oder Monaten vier Stimmungsbilder, 
die uns wohl die Möglichkeit geben, uns von dem Gefühls- 
leben des Dichters ein Bild zu machen. Damals lag die Liebe 
zu Lesbia nach der herrschenden Auffassung schon hinter ibm; 
nicht lange, man glaubt sogar zu wissen, daß es gerade der 
Kummer um die verlorene Liebe gewesen ist, der den Dichter 
in die Fremde getrieben bat, und man scheut selbst nicht 
davor zurück, über die ganz andere Begründung seines Ent- 
schlusses, die sich aus den eigenen Zeugnissen des Dichters 
mit Sicherheit ergibt, einfach hinwegzugehen. Wer sich die 
Frage vorlegt, wird über die Antwort nicht im Zweifel sein; 
nichts in diesen Gedichten deutet darauf hin, daß ihr Ver- 
fasser, als er sie schrieb, ein vom Schicksal gezeichneter, 
vom Liebeskummer gebrochener, körperlich und seelisch ver- 
nichteter Mann war; ganz in Gegenteil, eine jugendliche 
Heiterkeit, eine frische Lebenswärme ist die durchgehende 
Eigenschaft wenigstens dreier unter diesen Gedichten, in das 
herkömmliche Bild von Catulls Leben fiigen sie sich nicht. 

Die vier Reisegedichte sind nicht die einzigen, die auf 
diesen Ton gestimmt sind. Man kann ihnen die hübsche Er- 
zählung von der mißlungenen Aufschneiderei (10) anreihen, 
weil dieses Gedicht nur wenig später entstanden ist. Gewiß 
ist der Eindruck hier nicht ganz so rein und kräftig, aber 
auch hier herrscht ein behaglicher Plauderton, eine prächtige 
Selbstverspottung ohne jede Spur von Bitterkeit, der Erzähler- 


Catull und Lesbia. 5 


kann kein Mensch gewesen sein, der unter der Last einer 
schweren Enttäuschung dauernd gelitten hätte. Andere Bei- 
spiele ähnlicher Art lassen sich nicht datieren, und in der 
Mehrzahl der meist sehr kurzen Gedichte kommt es zu einer 


"so ausgeprägten, den Dichter deutlich charakterisierenden 
‘ Stimmungszeichnung überhaupt nicht. Nur ein Gedicht ver- 


dient noch besondere Beachtung, schon deshalb, weil es eines 
der letzten, vielleicht das letzte ist, das wir von ihm haben, 
also dem Zustand der körperlichen Zerstörung durch den 
Liebeskummer ziemlich nabestehen müßte. 

Das Cameriusgedicht oramus si forte non molestum est 


. :55) kann erst nach der Einweihung des Theaters des Pom- 


peius im Sommer des Jahres 55 verfaßt sein, und wir 
werden es wohl einige Monate später ansetzen müssen, weil 
es einige Zeit gedauert haben wird, bis die Magni ambu- 
/atıo, der Säulengang hinter dem Theater, zu dem beliebten 


‘ Treffpunkt der Lebewelt geworden ist, der er zur Zeit der 


Abfassung des Gedichtes offenbar schon war und auch später 
geblieben ist. Das Gedicht macht im einzelnen manche Schwie- 
rıgkeit, es ist in seiner metrischen Form ganz vereinzelt, 
und über die Absicht, die der Dichter bei der Umformung 
des ilım sonst so geläufigen Elfsilblers gehabt hat, wird man 
im Zweifel sein können; kein Zweifel aber kann darüber herr- 
schen, daß in diesem sicher aus der letzten Zeit Catulls stanı- 
menden Gedicht ein frischer Ton derber Lustigkeit herrscht, 
der in seiner Weise ebenso clıarakteristisch ist wie die reine 
Heiterkeit der Reisegedichte. Catull ist auf der Suche nach 
einem Freund, der sich durchaus nicht finden lassen will, er 


‚ läuft ihm (das wird mit drolliger Uebertreibung dargestellt) 


durch ganz Rom nach, zuletzt fragt er bei den Straßen- 
mädchen an, ohne einen anderen Erfolg als den einer lustig 


' frechen Antwort, die ihm offenbar den größten Spaß macht ?). 


Ti 


Aber seine Geduld ist nun zu Ende, er zweifelt nicht mehr 


4 Quaedam inquit nudum reduc..... en hic in roseis latet papil- 
k# Die Ergänzung des ersten Verses ist in überzeugender Weise 
wenigstens bisher noch nicht gelungen, aber sicher scheint mir, daß 
de Worte des Mädchens mit en hic beginnen und eine Aufforderung 
athalten, gerade an dieser Stelle recht ordentlich nacbzusehen, daß 
ch alao Wort und Gebärde zu einem derben Scherz vereinigen, über 
aeseen Bedeutung kein Zweifel sein kann. 


1* 


4 M. Rothstein, 


daran, daß der Freund sich in den Armen eines Mädchens 
versteckt hält, und er will wissen, wer die Schöne ist, denn 
Venus duldet bei ihren Verehrern keine Geheimtuerei. Nur 
unter einer Bedingung will er seinem Freund trotzdem gestatten 
sein Geheimnis vor der Welt zu wahren, wenn nämlich die 
beiden Liebenden den Dichter selbst als Dritten in ihren Bund 
aufnehmen; das ist offenbar der Sinn der bisher noch nirgends 
richtig erklärten, zum Teil selbst ganz ins Sentimentale umge- 
bogenen Schlußworte dum vestri sim (überliefert ist sis) parti- 
ceps amoris, Catull denkt an eine invitatio ad communionem 
puellae, wie sie unserem Geschmack nicht zusagt und auch 
Virgils überzarten Sinn verletzt haben soll, als ihm sein Freund 
Varius ein solches Angebot machte, wie sie aber nach dem, was 
Asconius in Suetons Virgilbiographie darüber mitteilt, im allge- 
meinen nicht als anstößig gegolten haben kann. So schließt 
das Gedicht mit einer derben Ueberraschung, lustig und leicht- 
fertig, wie es angefangen hat; charakteristisch ist der drollig 
polternde Ton des über die Erfolglosigkeit des langen Suchens 
verdrießlichen, von der Mühsal des Hin- und Herlaufens er- 
schöpften Dichters, das scheinbar gereizte si forte non mo- 
lestum est, das energisch drohende Camerium mihi, pessi- 
mae puellaee Auch hier keine Spur eines zum Tode ver- 
wundeten, an seinem Liebeskummer dahinsiechenden Mannes, 
vielmehr ein frisches, fröhliches Genießen, für einen nicht 
mehr ganz jungen Mann eine erstaunliche Fähigkeit, auch der 
Erotik der Gasse, die wir freilich nicht mit unsern Augen 
ansehen dürfen, die heiterste und anmutigste Seite abzugewinnen. 

Niemandem kann es entgehen, daß sich in Catulls Gedichten 
_ auch ganz andere Stimmungen äußern. Catull muß auch in 
Kleinigkeiten leicht reizbar gewesen sein, seine maßlose Hef- 
tigkeit scheint sich vor allem gegen Feinde- und ehemalige 
Freunde zu richten, die ihm in Liebesangelegenheiten ins 
Gehege gekommen waren, die unritterliche Schonungslosigkeit 
des antiken Spottgedichtes und die unserem Gefühl ganz fremde 
Haßdichtung hat er bis zur äußersten Widerwärtigkeit mit- 
gemacht, und seine Lesbialieder zeugen von den seelischen 
Qualen, in die ihn die unglückselige Leidenschaft verstrickte; 
auch den körperlichen Begleiterscheinungen solcher Zustände 


Catull und Lesbia. ’ 5 


ist er, von dem Sprachgebrauch geleitet, der sich längst ge- 
wöhnt hatte Liebe und körperliche Krankheit gleichzusetzen, 
mit der Aufmerksamkeit nachgegangen, mit der er gewohnt war, 
sich selbst zu beobachten (76). Niemand wird an der Ehr- 
lichkeit seiner Schilderungen zweifeln, aber daß diese Zustände 
einen dauernden Einfluß auf seine Stellung zur Welt und zum 
Leben gewonnen haben, das ist nicht bezeugt; wir wissen von 
keiner Vergiftung seines Lebens, keiner körperlichen und see- 
lischen Vernichtung, keinem Liebestod, wir haben im Gegen- 
teil allen Grund Catull für eine gesunde, lebenskräftige Natur 
zu halten, die sich auch aus schwerer Herzensnot wieder auf- 
raffen konnte. 

Wie aber steht es mit der Entstehung des Verhältnisses ? 
War Catull damals wirklich der naive Jüngling aus der Pro- 
vinz, der in dem Salon einer vornehmen Dame sein unschul- 
diges Herz an die Herrin des Hauses verlor, die doch nur ihr 
grausames Spiel mit ihm treiben wollte? Wir wissen, daß 
Lesbja ihren Geliebten durch ihre Treulosigkeit schwere Ent- 
täuschungen bereitet hat; ob sie erst im Laufe der Zeit so 
tief gesunken ist, wie es der Dichter, vielleicht nicht ganz 
ohne UÜebertreibung, darstellt, oder nur die leidenschaftliche 
Liebe der ersten Zeit seinen Blick für ihren wahren Charakter 
getrübt hat (nunc te cognovi sagt er 72,5), können wir nicht 
mehr mit Sicherheit erkennen. Daß er seinerseits ihr die 
Treue bewahrt hat, möchten wir ihm gern glauben, weil er 
selbst es sagt, aber wir können es ihm nicht glauben, weil 
er selbst das Gegenteil verraten hat; wenn er mit dem Blick 
des Kenners eine Veroneser Schönheit mit seiner Lesbia ver- 
wleicht (86) oder einer anderen, die seinen Liebesantrag ab- 
vewiesen hat, höhnisch sagt (43), er verstehe es nicht, wie 
nıan sie mit seiner Lesbia vergleichen könne, so kann auch 
die gewaltsamste Interpretation nicht über die Tatsache hin- 
wegtäuschen, daß auch Catull es wenigstens während der 
Trennung von seiner Geliebten mit seiner Treuverpflichtung 
nicht gar zu ernst genommen hat. So deutlich und ehrlich 
auch die einzelnen Gedichte die Gefühlserlebnisse schildern, 
aus denen sie hervorgegangen sind, das volle Liebesglück, 
den beginnenden Zweifel, das schmerzvolle Grübeln über die 


6 M. Rothstein, 


eigenen Empfindungen, die Unfähigkeit sich loszureißen und: 
die endliche Befreiung; wie sich alle diese Erlebnisse in den 
Gesamtverlauf des Lebens einfügen, wie alt oder wie jung der 
Dichter war, wie viel er vom Leben und von der Liebe schon - 
kennen gelernt hatte, als das Verhältnis begann, wie lange 
es gedauert hat, über alles das erfahren wir unmittelbar gar 
nichts, und unsere Auffassung dieser Dinge ist ohne Zweifel 
mindestens zu einem Teil durch eine gefühlsmäßige Partei- 
nahme für den Dichter und gegen die Frau bestimmt, die ihn 
zugrunde gerichtet hat. Die lebendige Teilnahme an dem 
Schicksal des Dichters hat der Catullforschung ohne Zweifel 
einen kräftigen Anstoß gegeben, man hat sich für Catulls 
Lesbia ebenso lebhaft interessiert wie man Goethes Spuren in 
Sesenheim nachging, aber die Gefahr lag nahe, und sie ist 
auch heute nicht ganz überwunden, daß man die bürgerlich 
sentimentale Auffassung der Liebe, wie sie damals herrschte, 
in eine Welt hineintrug, die von einer üppigen, von tieferen 
Gewissensskrupeln freien Sinnlichkeit erfüllt war. Die trockene 
philologische Frage nach der Entstehungszeit der Lesbialieder, 
von deren Entscheidung auch die psychologische Auffassung 
der Dinge wesentlich abhängt, ist dem gegenüber etwas zu 
kurz gekommen. Wenn hier der Versuch gemacht werden 
soll, die chronologische Frage zur Entscheidung zu bringen, 
so wird dabei, wie ich hoffe, auch einiges Licht auf die all- 
gemeinen Lebensverhältnisse der Zeit fallen, in denen auch 
des Dichters persönliches Schicksal wurzelt. 


Es wäre vergebliches Bemtihen, wollte man den Versuch 
machen, die Abfassungszeit der Lesbialieder durch stilistische 
Beobachtungen zu ermitteln. Selbst wein es richtig wäre, 
was wiederholt ausgesprochen, aber niemals bewiesen und 
gewiß nicht richtig ist, daß Catulls Kunstgedichte, die stili- | 
stisch ohne Zweifel einen reiferen Eindruck machen als wenig- 
stens ein Teil der Gelegenheitsgedichte, einer späteren Zeit 
im Leben des Dichters angehören, so würde das nichts beweisen, 
denn daß Catull die Produktion solcher kleinen Gedichte bis 
in seine letzten Lebensjahre fortgesetzt hat, wird niemand 
bezweifeln. Unleugbar zeigen einige der Lesbialieder eine 


Catull und Lesbia. 7 


gewisse stilistische Härte, aber diese Schwäche findet sich auch 
in Gedichten, deren späte Entstehungszeit feststeht. Wie un- 
gleich sich Catull in dieser Hinsicht gewesen ist, zeigen die 
vier Reisegedichte deutlich. Das Phaselusgedicht ist auch sti- 
listisch ein Meisterwerk von höchster Genialität, schnell und 
leicht, wie das Schiff selbst, immer nach vorwärts drängend; 
man beachte etwa, mit welcher Selbstverständlichkeit hier 
Catull für die Form der indirekten Aussage die griechische 
Nominativkonstruktion an die Stelle des schwerfälligen latei- 
nischen Akkusativs treten läßt, und vergleiche damit die Be- 
mühungen anderer Dichter und Prosaiker, ihrem Stil durch 
willkürlich eingestreute, möglichst fremdartig klingende Grä- 
zismen eine besondere Färbung zu geben. Dagegen fehlt 
dem kleinen Wanderliede bei allem seinem feinen Reiz 
diese stilistische Leichtigkeit ganz; die passive Aufforderung 
linquantur Phrugii canıpi klingt steif und geschraubt, in 
den Worten mens praetrepidans avet vagarı wirkt die sprach- 
liche Fülle unruhig, weil die einzelnen Vorstellungen sich 
nicht zu einem festen Gesamtbild zusammenschließen, als hätte 
der Dichter den rechten Ausdruck nicht finden können, und 
co deutlich die Gedanken die Stimmung des Dichters malen, 
ın der stilistischen Form spiegelt sie sich nicht. Auch das 
Sirmiogedicht ist in der Form keineswegs vollendet; wenn die 
Seele mit einem Gepäckträger verglichen wird, der seine Last 
in die Ecke stellt, oder die Wellen des Sees lachen sollen, 
soviel sie Gelächter zu Hause haben, so fühlt man hier, und 
hier vielleicht ganz besonders lebhaft, den Reiz des Ursprüng- 
lichen, der uns Catulls Gedichte so lieb macht, aber eckig und 
ungelenk ist beides?). Mit den Lesbinliedern verhält es sich 


?) Solche Mängel sind nur die Kehrseite hoher und eigenartiger 
Vorzüge, aber schlimmer wäre es, wenn Catull hier wirklich Lydiae 
oder gar Lybuae geschrieben hütte. Der Vers ist in einer metrisch 
unnmöglichen Form überliefert, gaudete vos quoque, lidie lacus undae, 
nnd gegen die Aenderung von vos quoque in vosque ist an sich nichts 
einzuwenden, aber nichts zwingt zu der Annahme, daß der Fehler ge- 
rade ın diesem Wort und nicht in dem nüchstfolgenden steckt. Man 
hat längst gefühlt, daß hier nur ein Wort am Platze ist, das einer 
lebendigen Anschauung unmittelbaren Ausdruck gibt, aber Heyses 
ınciae befriedigt nicht; das Wort ist gut, und man würde es dem 
Catull gern zutrauen, aber es würde eine Stimmung in das Gedicht 
tragen, die zu dem Charakter des Gedichtes nicht paßt; man vergleiche 


8 M. Rothstein, 


nicht anders; neben einem stilistischen Meisterwerk wie dem 
ersten Kußgedicht ®) stehen andere (besonders 72, 75, 107, 109), 
in denen es dem Dichter offenbar schwer geworden ist für 
seine ihm selbst nicht recht verständlichen Empfindungen den 
treffenden und deutlichen Ausdruck zu finden. 

Ein sicheres Urteil über den Beginn der Liebe zu Lesbia 
würde uns möglich sein, wenn man mit Sicherheit sagen 


Lucr. I 272 venti vis verberat incita pontum ingentesque ruit naves, wo 
auch die Alliteration mitspricht. Ich vermute, daß Catull albidae ge- 
schrieben hat; das Wort scheint zwar außerhalb der medizinischen 
und sonstigen Fachsprache selten gewesen zu sein, aber wir können es 
zweimalin der kunstmäßigen Literatur und zwar gerade in der hier ge- 
forderten Bedeutung nachweisen, bei Ovid met. 3,74 spumaque pes- 
" tiferos circumfluit albida rictus und bei Plin. ep. 8, 20, & (in der Be- 
schreibung eines Binnensees) color caerulo albidior. 

s) Man wird das Gedicht am besten würdigen, wenn man es sich 
gesprochen, aus der Situation heraus, etwa von der Bühne gesprochen 
denkt und es mit deranderen Bearbeitung desselben Motivs vergleicht ; 
wie nüchtern wirkt dann gleich der Anfang des zweiten Gedichts mit 
dem prosaischen, längst zur Formel gewordenen quaeris. Ohne Zweifel 
ist das erste Gedicht die zweite, künstlerisch weit höher stehende Be- 
arbeitung eines schon früher behandelten 'Ibemas (ganz anders Birt, 
Phil. 63, 438); das andere steht vielleicht dem Leben näher, es kann 
wohl aus einer wirklichen, halb scherzhaften halb ernsthaft verwun- 
derten Aeußerung der kühleren Frau über die ungestüme Leidenschuft 
des Mannes entstanden sein. Zweimalige Behandlung desselben Motive 
ist bei Catull nicht selten, und alle Fälle dieser Art verdienen ermste 
Beachtung und Untersuchung. Wenn Wilamowitz (Reden und Vor- 
träge 241), dessen knappe, aber inhaltreiche biographische Skizze ich 
oben besonders berücksichtigt babe, Catulls kleine Gedichte Improvi- 
sationen nennt, bei denen der Dichter des Callimachus und Theokıit 
entraten konnte, so trifft das auf solche Fälle gewiß nicht zu, und 
auch sonst scheint es mir bedenklich. Viel weiter ist Friedrich ge- 
gangen, der behauptet, Catull habe die Alexandriner erst kennen gelernt, 
als seine Liebe zu Lesbia zu Ende war. Das ist ein ganz unmöglicher 
Gedanke, bei Catull noch unmöglicher als bei manchem andern. Catull 
hat das Dichten in der Schule gelernt, und er muß recht viel von 
griechischer und besonders auch von hellenistischer Dichtung in sich 
aufgenommen haben, als er seine Lesbialieder dichtete, Er ist durch- 
aus ein Zögling der Schule, an der er mit der ganzen Leidenschaft- 
licbkeit und Einseitigkeit der Jugend gebangen hat; erhaltene Verse 
seiner Zeitgenossen, gerade auch aus rein persönlichen Gelegenheitsge- 
dichten, sehen den seinen Ähnlich wie ein Ei dem anderen. Wir können 
es für sicher halten, daß er Schüler des Valerius Cato gewesen ist 
(Suet. de gramm. 11), des gefeierten Lebrers, der seine Schüler nicht 
nur durch seine Kenntnisse und Fähigkeiten an sich gefesselt zu haben 
scheint, sondern auch durch eine seltene persönliche Liebenswürdig- 
keit, die viele Jahre später noch Horaz erfreute und trübe Erinnerungen 
an seine eigene Jugendbildung unter der strengen Zucht des so ganz 
anders gearteten Orbilius in ihm erweckte; in den schlecht über- 
lieferten Anfangsversen der Schlußsatire des ersten Buches steckt so 
viel Persönliches, daß sie von niemandem anders als Horaz geschrieben 
sein können. 


Catull und Lesbia. g 


könnte, daß die Geliebte, die in der großen Laodamiaelegie 
68 gefeiert wird, mit Lesbia identisch ist, denn dieses Gedicht 
läßt sich datieren ; genauer, wie ich glaube, als man anzunehmen 
pflegt. Catull muß sehr jung gewesen sein, als er sie schrieb, 
gewiß nicht älter als etwa zwanzig Jahre; das zeigt deutlich 
der Rückblick des Dichters auf seine erste Jugendzeit, V. 15, 


tempore quo primum vestis mihr tradita pura est, 
aucundum cum aetas florida ver ageret, 

nulta salis lusi. non est dea nescia nostri, 
gquae dulcem curis miscet amaritiem. 

sed totum hoc studium luctu fraterna mihi mors 
abstulit. 


Man muß die Zeitbestimmung, die in den ersten Worten liegt, 
ganz genau nehmen, denn offenbar war es wirklich allgemeine 
Sitte, dem jungen Römer unmittelbar nach der Anlegung der 
Männertoga volle Freiheit zu geben ; Properz hat diesen scharfen 
Einschnitt noch deutlicher bezeichnet, IIl 15, 3 ui nuihi praetexti 
pudor est ablatus amictus ei data libertas noscere amoris iter,_ 
und dasselbe hat später in seiner Weise Persius gesagt, 5,32 
cum primum pavido custos mihi purpura cessit ... cum blandı 
oomites lolaque impune Subura permisit sparsisse oculos am 
candıdus uno. Auf diese Frühzeit seines Lebens blickt Catull 
jetzt schon zurück, aber in einer Weise, die deutlich erkennen 
läßt, daß sie erst eben jetzt, durch die Trauer um den Tod des 
Bruders, zum Abschluß gekommen ist; in Zofum hoc studium, 
dem Objekt zu fraterna mors mihi abstulit, ist nichts anderes 
gemeint, als das erotische und poetische Spiel des Lebensfrül- 
lings, das durch den Tod des Bruders jäh abgebrochen worden 
ist. In diesen jungen Jahren hat Catull ein Liebesverhältnis 
gelıabt, über das wir aus dem Gedicht einiges erfahren. Er 
spricht von der strahlenden Schönheit seiner Geliebten, von ihrer 
und von seiner Liebesglut, von dem Mann, den sie betrogen hat, 
und von den zalılreichen Liebhabern, die er neben sich dulden 
mußte. Das alles paßt auf Lesbia, oder es kann wenigstens 
auf sie passen, aber es ist leider so allgemeiner Natur, daß es 
zur Identifikation nicht ausreicht. Quot caclum stellas tot habet 
iua Roma puellas sagt Ovid, und so eifrig er betont, daß er bei 


10 M. Rothstein, 


seiner Darstellung nur an die Frauen gedacht hat, denen ein freier 
Lebenswandel gestattet war, so zeigen doch seine Worte und 
sein Schicksal, daß man seine Lehren auch anders verstehen 
konnte. Mag auch in den Schilderungen der Moralisten manches 
übertrieben sein, und mag man die Zuverlässigkeit gelegentlich 
erhaltener Nachrichten im einzelnen noch so gering einschätzen, 
dem Eindruck wird man sich nicht entziehen können, daß wir 
so ziemlich überall, wo wir Veranlassung haben, uns mit dem 
Privatleben oder den Familienverhältnissen historisch bekannter 
Persönlichkeiten dieser Zeit zu beschäftigen, auf die eine oder 
andere Skandalsache stoßen; über jeden Zweifel erhaben ist 
das Zeugnis, das Augustus seiner Tochter in einem amtlichen 
Schriftstück ausgestellt hat (Seneca de benef. 6, 32, 1), admissos 
gregatim adulteros, pererratam nocturnis commissationibus civi- 
tatem, forum ipsum ac rostra, e quibus pater legem de adul- 
terüs tulerat, filiae in stupra placuisse, cotidianum ad Mar- 
syam concursum, cum ex aduliera in quaestuariam versa Tus 
onnis licentiae sub ignoto adultero peteret; im Kern gewiß 
authentisch, trotz der unverkennbaren stilistischen Aufmachung 
durch den Philosophen. Was Catull von seiner Geliebten 
erzählt, ist nichts anderes als das typische Bild der Lebens- 
führung zahlreicher römischer Frauen, das auf Lesbia nur 
deshalb gut paßt, weil es auf alle paßt. Auf der anderen 
Seite hat Catull, mindestens zeitweise, Jas Leben eines groß- 
städtischen Lebemannes und Pflastertreters geführt; das zeigen 
die beiden Gedichte 10 und 55 noch deutlicher als die direkten 
erotischen Bekenntnisse. In diesen Kreisen wurde gewiß keine 
Frage so oft besprochen und so eifrig überdacht, wie die von 
Horaz in der zweiten Satire des ersten Buches im Anschluß 
an zahlreiche griechische Vorgänger erörterte, ob es ratsamer 
sei, sich eine Geliebte unter den Damen der guten Gesellschaft 
oder auf der Straße zu suchen, und mancher wird sie in der 
Weise beantwortet haben, daß er weder das eine noch das 
andere verschmähte. Wir wissen es nicht, werden es aber 
für wahrscheinlich halten können, daß in Catulls Leben auch 
die Frauen der guten Gesellschaft eine nicht ganz geringe 
Rolle gespielt haben, und wundern dürfen wir uns nicht, wenn 
er zweimal der Schilderung einer solchen Leidenschaft die 


Catull und Lesbia, 11 


ns 


ganze verklärende Kraft seiner reichen Phantasie und seines 
tiefen Empfindens geliehen hat. 

Die Geliebte, die in diesem Gedicht gefeiert wird, kann 
nach der Schilderung in dem Gedicht selbst Lesbia gewesen 
sein, aber aus dieser Annahme ergibt sich eine chrono- 
logische Schwierigkeit, die man wohl bemerkt, aber nicht 
überwunden hat®). Wir können Catulls Geburt mit ziem- 
licher Sicherheit in das Jahr 84 setzen; die Datierung bei 
Hieronymus kann bei der Flüchtigkeit seiner Arbeit nichts _ 
beweisen, ein vollwertiges, durch den Zusatz Romae gesichertes 
Zeugnis aber ist seine gewiß aus Sueton entnommene Notiz 
Catullus trigesimo aeatıs anno RBRomae moritur, und die 
Zeit seines Todes ergibt sich daraus, daß die Anspielungen 
auf gleichzeitige Ereignisse, die bis in die zweite Hälfte des 
Jahres 55 sehr zahlreich sind, von da an plötzlich aufhören. 
So ergibt sich für die Abfassung der Laodamiaelegie ungefähr 
das Jahr 64, und da die Lesbialieder unzweifelhaft bis in die 
zweite Hälfte des Jahres 55 reichen, so müßten wir für das 
Verhältnis mindestens die ganze Zeit vom zwanzigsten bis zum 
dreißigsten Lebensjahr in Anspruch nehmen, eine Zeit, die 
durch die mindestens anderthalbjährige Reise nach Bithynien, 
wiederholte Ferienaufenthalte in Verona und gewiß auch durch 
manche Liebesabenteuer der verschiedensten Art in Rom und 
in der Heimat unterbrochen wäre. Das ist nicht unmöglich, 
aber es ist bei Catulls leidenschaftlicher Natur und seiner 
Neigung zu raschem Stimmungswechsel nicht gerade wahr- 
scheinlich. So war man denn zu der Annahne genötigt, das 
Verhältnis zu Lesbia sei zwar schon vor der Abreise nach 
Bitbynien zu Ende gewesen, später aber habe Lesbian die 
Beziehungen zu dem inzwischen berühmt gewordenen Dichter 
ihrerseits noch einmal aufgenommen, und es sei die Antwort 
auf diesen Antrag, die in dem Gedicht 11 gegeben wird. Dieses 
Gedicht gibt sich schon durch seine Forfn unzweifelhaft als 
ein Gegenstück zu dem das Verhältnis eröffnenden Gedicht 51, 
also als endgültige Absage des Dichters an die ehemalige 
Geliebte zu erkennen. Gewiß hat Lesbia im letzten Augenblick 
noch einmal den Wunsch gehabt und geäußert, den Bruch 

*) Aehnlich schon Riese S. VIII. 


12 M. Rothstein, 


zu verhüten, und Catull hat auf diesen Wunsch eine grobe - 
und schneidend bittere Antwort gegeben °), aber daß es sich . 


bei diesem Wunsch um die Wiederaufnahme eines seit Jahren 
abgebrochenen Verhältnisses handelte, das würde aus dem 
‚Gedicht selbst, etwa aus dem uf ante V,. 21, gewiß niemand 
entnehmen können. Es wäre vielleicht nicht unmöglich, daß 
Catull diese für die lüngst vergessene Geliebte besonders demü- 
tigende Tatsache schonend verschwieg, aber zu dem Charakter 
des Gedichtes würde das nicht stimmen, es wäre eine neue 
Unwahrscheinlichkeit, die wir nur dann hinnehmen müßten, 
wenn sich eine so frühe Ansetzung des Verhältnisses zu Les- 
bia aus zwingenden Gründen als notwendig erweisen ließe. 

In unserer Catullbiographie spielt die Laodamiaelegie eine 
große Rolle, es wird mieist angenonmen, daß sie während 
eines längeren Aufenthalts in Verona entstanden ist, und daß 
dieser Aufenthalt in der kleinen Provinzstadt, fern von Rom, 
für den Dichter eine Zeit der Selbstbesinnung und des Auf- 
raffens zu ernster literarisch poetischer Tätigkeit gewesen ist. 
Was wir sonst von dem Leben in Verona wissen, scheint mir 
zu dieser Vorstellung nicht recht zu stimmen; es ging in 
Verona recht lustig zu, auch dort verstand man zu leben und 
zu lieben, und die Aufillenagedichte zeigen deutlich, daß Ca- 
tull sich auch in der Provinz seinen Anteil an diesem Treiben 
ohne jeden moralischen Skrupel zu wahren wußte. Wenn 
Catull seiner Trauer um den Bruder ohne Störung und Ab- 
lenkung nachhängen wollte, so mußte er nicht nach Rom oder 
Verona, sondern aufs Land gehen, und das hat er offenbar 
getan. Die entscheidenden Worte, aus denen man seinen Auf- 
enthalt in Verona erschlossen hat, quare quod sceribis Veronae 
turpe Catullo esse, quodhic..... (V. 27), diese vielbesproche- 
nen Worte können nie und nimmer etwas anderes bedeuten 
als „wenn du schreibst, daß man in Verona die Nase über 
Catull rümpft, weil’... . .*, sie zeigen also deutlich, daß 


®) Man darf die Schlußworte des Gedichtes ja nicht sentimental 
auffassen, etwa an Goethes Veilchen denken. Vernichtet wird nicht 
Catull selbst, sondern seine Liebe, und daß von dieser Liebe jetzt auch 
nicht mehr der geringste Rest geblieben ist, an den sich eine Hofi- 
nung auf Wiederherstellung des Verhältnisses knüpfen ließe, nur das 
will die Schlußstrophe sagen. 


BB, 


Catull und Lesbia. 13 


sich der Empfänger des Briefgedichtes in Verona, Catull 
also nicht dort aufhielt. Gegen diese sprachlich allein zu- 
lässige Erklärung beweist es nichts, daß Auc an einer ande- 
ren Stelle (V. 36) anders gemeint ist, nämlich von Catulls 
jetzigem Landaufenthalt im Gegensatz zur Hauptstadt, viel- 
leicht auf der Villa, die in einem anderen Gedicht (44) er- 
wähnt wird, in Tivoli, in einiger Entfernung von der vor- 
nehmen Villenkolonie. Die verschiedene Bedeutung von hic 
und hkuc ist ebensowenig bedenklich, wie es Anstoß erregen 
kann, daß hinc V. 10 noch eine dritte Bedeutung hat, näm- 
lich „von mir“. Unbefangene Leser werden sich an dieser 
selbstverständlichen Freiheit nicht stoßen, wenn nur die be- 
sondere Bedeutung des Ortsadverbiums, das nur allgemein den 
unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit dem Sprechen- 
den bezeichnet, in jedem einzelnen Fall durch den Gegensatz 
mit genügender Deutlichkeit bezeichnet ist, und dafür hat 
Catall in allen drei Fällen gesorgt; so kann der Bewohner 
eines Berliner Vororts an einen Freund in München von poli- 
. tischen Anschauungen schreiben, die „hier“, im Gegensatz zu 
Süddeutschland, herrschen, und einige Zeilen weiter berichten, 
wie viel wohler er sich jetzt „hier“ fühlt als in seiner frühe- 
ren Wohnung in der Stadt. Nur von dem Standpunkt des 
Dichters, nicht von dem des Allius, kann das Aic hier ver- 
standen werden, und so hat es seinen guten Sinn. Allius war 
ein wahrer Freund Catulls, der auch ein kräftiges Anpacken 
und ein derbes Wort nicht scheute, um den Dichter aus dem 
dumpfen Trübsinn jener Zeit herauszureißen, dessen äußere 
Ursache ihm nicht unbekannt gewesen sein kann, und es 
scheint, daß es ihm gelungen ist; er hat den Dichter zur 
Abfassung dieser Elegie veranlaßt, und er hat ihn seine alte 
Liebe wieder mit neuer Kraft empfinden lassen. Catull hat 
diesen Freundschaftsdienst dankbar anerkannt, aber doch nicht 
ganz ohne Empfindlichkeit, die, wenn mich mein Gefühl nicht 
läuscht, ebenso in dem kühl formellen Anfang wie hier in dem 
hic zutage tritt; es ärgert den Dichter, daß die Freunde in 
Verona, die sich auch sonst für seine hauptstädtischen Lie- 
besabenteuer interessierten (43. 86), sich ein tadelndes Urteil 
aus der Entfernung erlaubten, ohne also seinen Seelenzustand 


14 M. Rothstein, 


aus eigener Beobachtung zu kennen und ohne für die Ver- 
fehlungen der Geliebten den rechten Maßstab zu haben. Denn 
ein Tadel, und zwar ein ziemlich kräftiger Tadel liegt in dem 
tibi turpe est, das öfter gerade so wie hier dazu dient, einen 
Menschen durch einen Appell an sein Ehrgefühl aus einer für 
ihn beschämenden Passivität aufzurütteln; so schreibt Caelius 
Rufus an Cicero (fam. 8,6 und ähnlich 9,3) Zurpe tibi erit 
pantheras Graecas me non habere, und so sagt, in der Rolle 
eines empörten Beobachters, Properz III 15,19 Juppiter, An- 
tiopae nusquam succurris? ..... si deus es, tibi turpe tuam 
servire puellam, und mit einer kleinen Abweichung, die für die 
Ursprünglichkeit und lebendige Beweglichkeit dieser Wendung 
charakteristisch ist, IV 6, 45 turpe Latinos principe te fluclus re- 
yia vela pati. So führt die Verteidigung des Dichters gegen 
den Vorwurf, den Allius gegen seine Mannesehre, wie man 
sie in jenen Kreisen verstand, erhoben hatte, zu derselben 
Eintschuldigung zurück, mit der er vorher die Ablehnung der 
literarischen Bitte des Allius zu rechtfertigen versucht hatte, 
und aus der Entschuldigung entwickelt sich die dankbare Er- 
innerung, die an dem guten Willen des Dichters keinen 
Zweifel lassen soll, aber sich in den Vordergrund drängt und 
das Bild der genossenen Liebesfreuden vor dem Dichter und 
seinen Lesern in voller Kraft erstehen läßt. Wie sich dann 
in der Darstellung ursprüngliches Erleben und höchste Kunst- 
leistung vereinigen, wie das, was für andere Dichter ein äußer- 
licher, in der Schule angelernter Schniuck war, Catulls ganze 
Darstellung und Auffassung von innen heraus durchdringt und 
bestimmt, die Dinge hebt und verklärt, die Treulosigkeit der 
(Geliebten, über die der Freund sich so schonungslos ausge- 
gesprochen hat, in ganz anderem Licht sehen läßt, das, sollte 
man meinen, müßte jeder aufmerksame Leser empfinden; es 
ist gewiß das schönste Gedicht, das je in lateinischer Sprache 
geschrieben worden ist, aber für die Chronologie des Catull 
bedeutet es nicht das, was man in ihm finden wollte ®). 


) Ich maße mir nicht an, alle Schwierigkeiten des Gedichtes ohne 
Rest lösen zu können, aber an reiner Einheit sollte, namentlich naclı 
Vahlens bekannten Ausführungen (Berl. Sitzungsber. 1902, 1031), kein 
Zweifel sein, und auch die Namensfrage macht, wie ich glaube, keine 


Catull und Lesbia. 15 


Als die wesentliche Grundlage der Catullchronologie gilt 
das Gedicht 83, 
Lesbia mi pracsente viro mala plurima dicit: 
haec :lli fatuo maxima laetıtia est. 
mule, nihil sentis. sı nostra oblita taceret, 


unüberwindliche Schwierigkeit. Der Name Allius, der auch inschrift- 
lich bezeugt ist, ist für dieses Gedicht sicher, und es ist der einzige, 
den Catull gebraucht hat. Von der offenbaren Interpolation Manlius 
in V. 66 abgesehen ist der Name dreimal (V. 41. 50. 150) mit leichter 
Verderbnis, aber sicher überliefert, V. 30 ist mi Alli (so schon Schöll, 
aber mit unrichtiger Interpunktion und Erklärung) die natürliche Her- 
steilung des überlieferten mals (mi Aeschine hat Ter. Ad. 268); so 
wird man auch V. 11 mi Alli herstellen und die ungewöhnliche Ver- 
schleifang im letzten Fuß des Hexameters hinnehmen müssen, die in 
ihrer Art nicht schlimmer ist als ne amplius V. 14 am Anfang des 
Verses und auch sonst nicht unerhört, und die in der engen Verbin- 
dung der beiden Silben in der nllgemein üblichen Anredeform eine 
besondere Entschuldigung findet. 

Unter den großen Kunstgedichten steht diese Elegie den unmit- 
teibar aus den eigenen Erlebnissen hervorgesangenen kleinen Gedichten 
besonders nahe, aber auch die anderen scheinen mit den persönlichen 
Lebensverhältnissen des Dichters näher als durch eine rein formelle 
Dedikation verbunden gewesen zu sein. Von dem Türgedicht un! 
den großen Hoclizeitslied ist das selbstverständlich, und daß Catull 
zewohnt war Freunde mit eigenen Kunstschöpfungen zu beschenken, 
um ihre Stimmung zu beeinflussen, ergibt sich aus 116 und wird durch 
65 und 68 bestätigt. Aber auch für das epische Gedicht wird man 
eine persönlich freundschaftlicbe Anregung für wahrscheinlich halten 
Jürfen. Die schöne Schilderung der neugierigen Nereustöchter, die aus 
der Flut emportauchen, hat mir immer den Eindruck gemacht, daß 
Catull hier ein Gemälde vor Augen hatte, und ich glaube, daß auch 
andere Leser so empfunden haben werden. Da ist es vielleicht mehr 
als ein Zufall, daß wir durch eine Notiz des Plinius (h. nat. 35, 130) 
son einem berühmten alten Argonautenbilde wissen, dessen Besitzer 
derselbe Hortensius gewesen ist, dem die Gedichte 65 und 60 gewidmet, 
sind. In welcher Situation die Argonauten auf jenem Bild dargestellt 
waren, erfahren wir nicht, aber nach der Analogie des Argonnuten- 
yıldes der Porticus Argonautarum, von dem Juvenal einmal (6, 153) 
spricht, ist es nicht unwahrscheinlich, daß sie als armatı nautae, als 
bewaffnete Helden auf der Seefahrt, dargestellt waren. Zur würdigen 
Aufstellung des Bildes hatte Hortensius auf seinem Gut bei Tusculum 
einen eisrenen Pavillon (aedes) errichten lassen, und da wird er seinen 
kostbaren Schatz den Freunden gezeigt haben, die zum Besuch aus 
der Stadt kamen. Die Vermutung liegt nahe, daß sich in demselben 
sebäude auch eine kleine Bibliothek befand, in der die historiae et 
poemata (Cic. Att. I 16, 18) zusammengestellt waren, die zur Er- 
iäuterung des Kunstwerks dienen konnten. Es ist nur eine Vermutung, 
daß Catull hier die Anregung zu seiner Dichtung empfangen, vielleicht 
auch das griechische Originalwerk kennen gelernt hat, aber ich glaube, 
sie liegt nahe genug. So bleiben nur das kleine Hochzeitslied und das 
Attiagedicht übrig, für die sich wohl etwas ähnliches vermuten läßt; 
&ie Deutung der in dem Gedicht 35 erwähnten cogitationes auf Catulls 
SE Attisdichtung würde durch diese Beobachtung unterstützt 
werden. 


16 M. Rothstein, 


sana esset: nunc quod gannit et obloquitur, 
non solum meminit, sed, quae multo acrior est res, 
irata est: hoc est, uritur et... . ”). 


Niemand zweifelt heute daran, daß sich unter dem Na- 
men Lesbia die Schwester des bekannten Demagogen P. Clo- 
dius verbirgt, die wir aus Ciceros Verteidigungsrede für seinen 
jungen Freund M. Caelius Rufus. als dessen frühere Geliebte 
kennen. Man versteht demnach unter dem hier genannten 
vir ıhren Mann, den Consul des Jahres 60 Q. Metellus Celer, 
und hält es für sicher, daß das Gedicht vor dessen Tode, also 
vor dem -Frühjahr 59, verfaßt ist. Da ferner in Catulls Ge- 
dichten zweimal ein Caelius und zweimal ein Rufus vorkommt, 
so liegt es nahe, diese beiden Namen zu einem einheitlichen 
zusammenzuschweißen und dessen Träger mit M. Caelius Ru- 
fus zu identifizieren, der dann ebenso Catulls Freund wie sein 
Nachfolger in Lesbias Liebe gewesen sein muß. So rundet 
sich das Ganze zu einem Roman, dem es an pikanten Reiz 
sicht fehlt, um so mehr an einer überzeugenden Beglaubigung. 

Es trifft noch nicht den Kern der Sache, daß die Deutung 
der an Rufus und Caelius gerichteten oder von ihnen handeln- 
den Gedichte auf M. Caelius Rufus nicht nur zweifelhaft, 
sondern sicher falsch ist. Das zeigen schon die Gedichte selbst. 
Zwar die beiden Rufusgedichte, das eine (69) ein Schmähge- 
dicht ohne sonstige persönliche Bedeutung, das andere (77) 
ein Eifersuchtsgedicht gegen einen nahen Freund, machen 
keine Schwierigkeit, das zweite scheint die Vermutung sogar 
zu bestätigen. In den beiden Caeliusgedichten aber (58. 100) 
erscheint Caelius als ein uneigennütziger Freund, dessen Treue 
sich in der Zeit der wahnsinnigen Leidenschaft, also in der 
Zeit der Liebe zu Lesbia, bewährt hat, und daß der Dichter 
damit nicht zu viel gesagt hat, das zeigen auch uns noch die 
von unvergleichlicher Gefühlskraft erfüllten Verse, in denen 
er gerade diesem Freunde von der letzten und bittersten Ent- 
täuschung Kunde gibt. Man kann sich schwer vorstellen, 
daß es eben dieser Helfer und vertraute Freund gewesen sein 

?) Loquitur am Ende des Verses ist wohl aus dem Schluß des 


vorhergehenden Distichons hier eingedrungen, eine sichere Herstellung 
noch nicht gefunden. 


Catull und Lesbia, 17 


soll, der vorlier oder nachher Catulls Stelle bei Lesbia ein- 
genommen hat, und so mußte man zu dem Auskunftsmittel 
greifen, den angeblichen Caelius Rufus wieder zu halbieren 
und nur den Rufus für identisch mit Ciceros Freund zu halten: 
ein Verfahren, das sich selbst richtet und hier um so weniger 
zulässig ist, als das Cognomen Rufus zu den häufigsten ge- 
hört und für sich allein gewiß nicht als Beweis der Identität 
gelten kann. — 

Es wäre vielleicht trotzdem möglich, über diese Schwie- 
rigkeit hinwegzukommen, denn in der Erotik dieser Zeit er- 
scheint uns so vieles fremd und peinlich, daß wir auch das 
Unwahrscheinliche und für unser Gefühl Verletzende hinnehmen 
müßten, wenn es nur sicher überliefert oder nachweisbar wäre. 
Aber die Unmöglichkeit der Vermutung läßt sich beweisen, 
wenn wir nur zu Rate ziehen, was wir sonst über M. Caelius 
Rufus wissen. Catulls Freund Caelius wird von dem Dichter 
zur Blüte der Jugend von Verona gerechnet (100), M. Caelius 
Rufus war ein Mitglied der römischen Nobilität, in die er 
schon in früher Jugend, ganz wie zwanzig Jahre vorher Cicero 
selbst, durch die guten persönlichen Verbindungen seines Vaters 
eingeführt worden war, und in der er die übliche Carriere, allem 
Anschein nach in dem gesetzlichen Mindestalter, gemacht hat. 
Daß ein Sohn der Transpadana, die damals noch um das 
römische Bürgerrecht kämpfte, diese Carriere mit Erfolg 
beschritten haben sollte, ist nicht geradezu unmöglich (der 
Vater konnte als Magistrat des latinisch konstituierten Gemein- 
wesens oder sonst wie für sich das römische Bürgerrecht er- 
langt haben), aber wenig wahrscheinlich; ganz unmöglich aber 
ist ea, daß unter den municipium tam illustre ac tam grarve, 
das Cicero in seiner Rede für Caelius (5) als die Heimat 
seines Klienten erwähnt, eine in ihrer Gesamtheit noch nicht 
zum römischen Bürgerrecht gelangte Stadt gemeint sein sollte®). 
Aber Cicero gibt uns auch eine ausdrückliche, freilich in der 
Veberlieferung verdunkelte und infolgedessen noch nicht zu 
ihreın Recht gekommene Nachricht über die Heimat des Caelius. 


°) Ich kann mich hier auf Dessaus Urteil berufen, der mir in der 
Behandlung dieser ganzen Frage seinen sachkundigen Rat geliehen hat. 
Die beiden nächsten Anmerkungen stammen ganz von ihm. 


Puilologus LXXVIII (N. F. XXXITD, 112. 2. 


18 M. Rothstein, r 


+ 


Dem Vorwurf, Caelius sei bei seinen Landsleuten nicht be- :- 
liebt, tritt er mit der Behauptung des geraden Gegenteils .. 
entgegen (5) nemini umquam praesenti praelorianı maiores.: 
honores habuerunt quam absenti M. Caelio. Daß praetorians .; 
verderbt ist, ist klar, aber eine sichere Grundlage für die Her- .: 
stellung des Wortes steht uns erst jetzt zu Gebote, seitdem -: 
Clark aus dem Cluniacensis die offenbar echte Ueberlieferung ..: 
praestutiani bekanntgemacht hat; wenn der Herausgeber selbst ... 
sich darauf beschränkt hat, die echte Ueberlieferung in den Text ee 
zu setzen, so kann man doch nicht daran zweifeln, daß hier der 
Name Praetuttiani hergestellt werden muß (so, wie ich aus 
Clarks Apparat selie, schon Gruter), daß M. Caelius Rufus ., 
also weder aus Verona noch aus einer der beiden Städte _ 
stammte, auf die man geraten hat, sondern aus Interamnia 
Praetuttiorum, dem heutigen Teramo, und daß er mit Catulls 
Landsmann nicht identisch sein kann’). Diese Stadt, die 
mindestens seit dem Jahre 89 v. Chr., vielleicht schon früher, 
im Besitz des römischen Vollbürgerrechts war, konnte sehr 
wohl einen oder den anderen ihrer um jene Zeit geborenen 
wohlhabenden Bürgersöhne (Caelius scheint im Jahre 89 ge- 
boren zu sein) in den römischen Senat entsenden !P). 


°) Daß Praetutliani echt und nicht etwa von einem Schreiber ein- 
gesetzt ist, bedarf wohl keiner Ausführung. Der Name der Völker- 
schaft tritt hier für den Namen ihrer einzigen anerkannten Stadt ein, 
wie bei Cicero Cluent. 197, Phil. VII 23 Marrucini für Teate Marru- 
cinorum, Cluent. 197 wahrscheinlich Frentan? tür Auxanum Fren- 
tanorum, und später noch Marsi für Marruvium Marsorum (CIL 1X 
p. 349; Dessau ınscr. sel. 6533). Es hängt das wohl damit zuammen, 
daß in jenen abgelegenen Gebieten noch später als anderswo das 
sich in den Städten konzentrierte (Nissen, Ital. Landesk. 11 444, 
455. 779). 

10) Es gibt freilich zu denken, daß nach der Inschrift CIL IX 3309 
(Dessau, inscr. sel. 932) der erate Paeligner unter Augustus in den 
Senat gekommen ist. Aber die Verhältnisse können in den verschiede- 
nen Gegenden sehr verschieden gewesen sein. Albius Oppianicus aus 
dem ebenfalls abgelegenen und wohl kaum vor 89 v. Chr. zurrömischen 
Bürgerstadt erhobenen Larinum, eques Romanus in municpio suo 
nobilis (Cicero Cluent. 109), hätte seinen Sohn gewiß in den Senat 
bringen können, wenn er nicht das Unglück mit den Prozeß gehabt 
hätte. Für lebhafte Verbindung der Hauptstadt mit Interamnia spricht 
der Umstand, daß man in sullanischer Zeit eine besondere Seitenstraße 
dorthin führte (CIL Ie, 808 = Dessau, inscr. sel. 5799). Daß Caelins 
aus jener Gegend Italiens stammte oder doch Beziehungen zu ihr hatte 
‚dafür ließe sich anführen, daß auf seine Bitte Cicero seinen späteren 


Mörder ©. Popilium Laenatem Picenae regionis verteidigt haben soll 
(Val. Max. V 3, 4). 


- 


Ed Ze u "4 nd ui u ae 


= Catull und Lesbia. 19 


Ganz anders steht es mit Lesbia-Clodia. Daß Lesbia eine 
Schwester des P. Clodius war, ergibt sich, da der Name ohne- 
hin feststeht, aus dem bekannten Epigramm Lesbius est 
pulcher: quidni? quem Lesbia malit quam te cum tota gente, 
Catulle, tua (79) mit Sicherheit '!); nicht nur, daß das Spiel 
zwischen Lesbius und Lesbia witzlos wäre, wenn es sich 
nicht um Bruder und Schwester handelte und eine Anspielung 
auf das bekannte Gerede von dem Liebesverhältnis zwischen 
den Geschwistern beabsichtigt wäre, deutlich ist auch die An- 
lehnung an die volksttimlichen versus obscenissimi in Clodium 
et Clodiam (Cic. Quint. II 3, 2), mit denen nur P. Clodius 
und seine Schwester gemeint sein können ; Catull ist mit diesem 
Witz ebensowenig selbständig wie mit dem Spiel ‘zwischen 
Pulcher als Cognomen und als Eigenschaftswort, das ja auch - 
schon Cicero offenbar kennt (Att. I 16, 10). Catulls Lesbia 
rar gewiß eine Schwester des P. Clodius, aber Clodius hatte 
drei Schwestern, und mit allen dreien soll er ein Liebesver- 
hältnis gehabt haben. Für uns kommt die älteste schon des- 
halo nicht in Betracht, weil wir nichts von ihr wissen, von 
der dritten aber, der geschiedenen Frau des Lucullus, wissen 
wir genug um sagen zu können, daß sie mit demselben und 
vielleicht noch größerem Recht für Catulls Lesbis gehalten 
werden kann wie die bisher allein in Betracht gezogene zweite 
Schwester. Von Lesbias Persönlichkeit wissen wir ja im 
Grunde nichts weiter, als daß sie, wie viele Damen der römi- 
schen Aristokratie, sich in ihrer Lebensführung keinen Zwang 
auferlegte, und daß sie nach dem Urteil ihres Liebhabers, dem 
wir gerade wegen des kühlen Kennertones, in dem es abgege- 
hen wird, ein gewisses Vertrauen schenken werden, eine-große 


") Das Gedicht ist durchaus klar, man muß natorum, in der Be- 
utung von ingenuorum, lesen und braucht wenigstens bei den Küssen, 
dem üblichen Zeichen eines freundschaftlichen Verkehrs, an nichts 
Schlimmeres zu denken. Was den modernen Leser befremdet, ist nur 
® Gelassenheit, mit der Catull eine auch nach antiker Auffassung 
Wıerwärtige Vorstellung zu einem Scherz benutzt, der gewiß verletzen, 
aber doch offenbar nicht zum Bruch führen sollte. In dieser Hinsicht 
empfanden die Alten anders als wir. Man lese einınal die kräftige Zote, 
ie Cicero seinem Gegner auf offener Straße in großer Gesellschaft ins 
Gesicht geschleudert hat, so derb und zugleich so witzlos, daß er sich 
ofenbar schämte sie dem Atticus mitzuteilen (II 1,5); den Bericht 
darüber leitet er mit den harmlosen Worten ein: staque iam familiariter 
cum illo cavillor atque iocor. 


PA 


90 M. Rothstein, 


Schönheit gewesen sein soll !?2). Es ist nicht leicht in diesen 
beiden Richtungen die Ansprüche der beiden Schwestern gegen 
einander abzuwägen, und ein überzeugendes Ergebnis läßt sich, 
‘wie ich glaube, nicht gewinnen. Wir können nicht darauf 
rechnen, von jeder römischen Dame ein so eingehendes Sitten- 
zeugnis zu besitzen, wie es Cicero seiner Gegnerin ausgestellt 
hat, aber ein Zeugnis hat doch auch die jüngere Schwester 
bekommen, und wenn Plutarch (Lucullus 38) sie doeAyns x« 
rovnpa, Böeiup& xal dxöiactos nennt, so kann man sich das 
ohne Mühe in den Farben ausmalen, die Cicero bei seiner 
Schilderung der älteren Schwester so kräftig aufgetragen hat. 
Ganz aussichtslos mag der Versuch eines Parisurteils über die 
beiden Frauen erscheinen, aber wenigstens vor falschen Auf- 
fassungen kann man sich schützen. Daß Cicero die ältere 
Schwester Boörts nennt, beweist in dieser Hinsicht nichts. Das 
war ein Deckname, den er brauchte, um seine brieflichen Mit- 
teilungen über die sehr bedenklichen Unterhandlungen, die er 
im Jahre 59 durch ihre und des Atticus Vermittlung mit 
ihrem Bruder führte, vor dem Spürsinn unberufener Leser, 
mit dem er immer rechnen mußte, zu schützen, und er wählte 
dazu einen Spitznamen, den er selbst oder ein ihm befreun- 
deter Spötter ihr im Jahre vorher beigelegt hatte. Damals 
war sie die Gemahlin des Zeus, nämlich des Consuls, der bei 
der Passivität seines Kollegen allein die höchste Macht im 
Staate vertrat, und wie Hera sich dem Willen des Zeus ent- 
gegenstelltee so hatte auch sie im Kampf der Griechen 
und Trojaner gegen die von ihrem Manne begünstigten Ari- 
stokraten und für deren Feinde Partei genommen !%). Der 

7) Daß sich aus dem Gedicht %6 für ihre literarische Bildung wenig 
oder nichts ergibt, hat Friedrich bemerkt. 

12) Cicero berichtet darüber Att. II 1,5 ego illam odi male [consu- 
larem], ea est enim seditiosa, ea cum viro bellum gerit. Die Stelle ist 
richtig überliefert, nur muß das unsinnige consularem als irrtümliche 
Wiederholung des eine Zeile vorher vorkommenden consulare gestrichen 
werden. Man merkt den Worten an, wie aufgebracht Cicero war, so 
sehr, daß er darüber sogar seine Herrschaft über den Stil verlor und 
in eine Ausdrucksweise verfiel, wie er sie in seiner Jugend von den 
Marktfrauen in Arpinum gehört haben mag (Cato bei Gellius III 7, 19 
eumque inter mortuos ... cognovere, eum suslulere, isqwe convaluit, 
und ähnlich in der Schrift vom Landbau, 41, 4 eos surculos facito sint 


longi pedes binos, eos in terram demittito 143,1 si eam tihi dederit do- 
minus urcorem, ea esto contentus. ea te metuat facito). Bücheler (Kleine 


Catull und Lesbia. + 


Vergleich mit der Boünts nörvix "Henn drängte sich von selbst 
auf, und wenn er vielleicht durch die Form ihrer Augen be- 
günstigt war, so braucht diese Augenform keineswegs Ciceros 
Gefallen erweckt zu haben '); die flagrantia oculorum (Cael. 
49 und ähnlich de har. resp. 38) steht auf einem ganz an- 
deren Blatt. Wenn Cicero wirklich einmal daran gedacht hat 
sie zu heiraten, so ist es wenig wahrscheinlich, daß ihre kör- 
perlichen Vorzüge bei diesem Gedanken irgend mitgespielt 
baben!?). Auffallen muß es, daß Cicero von Clodias Schön- 
heit da nicht spricht, wo er dieses Moment zugunsten seines 
Klienten hätte geltend machen können (Homers Helena und 
gewiß auch das eine oder andere römische Dichterzitat lag 
nahe genug), sondern im Gegenteil ihre Erfolge bei jungen 
Männern ausdrücklich auf ihren Reichtum zurückführt (Cael. 
38); aber dabei können Gründe mitgespielt haben, die wir 
Bicht kennen, vielleicht etwas Bosheit, vielleicht Rücksicht 


Schriften I 645) war gewiß im Irrtum, als er die Worte in einen Vers 
brachte, aber sein Stilgefübl, das ihn hier den fremden Ton erkennen 
ließ, hat ihn nicht getäuscht. 

+) Charakteristisch für die Wahl solcher Decknamen ist der Witz 
At.1 18,3. Lucullus war, wenigstens nach seiner eigenen Meinung, 
ein großer Feldherr, sein Bruder neben ihm gewiß nur ein pnaiYtaxdg 
z'yurzie. Wenn dieser Menelaos eine Helena zur Frau hatte, deren 
Verführer, der bekannte C. Memmius, der Gönner des Catull und Lucrez, 
durch seinen Lebenswandel und durch seine frivolen erotischen Gedichte 
(Bor. od. I 15, 14) für die Rolle des Paris wie geschaffen war, so hatte 
das Leben selbst die schönste Homerparodie geliefert, und die geist- 
reichen Leute in Rom brauchten nur zuzugreifen; . daß er selbst 
Lucullas für einen großen Heerführer hielt, will Cicero gewiß nicht 
ären, wenn er ihn Agamenınon nennt. 

12) Was Plutarch in Ciceros Leben 29 darüber berichtet, ist wert- 
voll, wie das ganze unschätzbare Kapitel, aber wir erfahren doch nur, 
was man in Rom munkelte ; ob an dem Gerede etwas Wahres gewesen 
kt (30 Ed. Meyer, Caesars Monarchie 47), das ist eine ganz andere 
Frage, und darüber können wir heute besser urteilen uls damals das 
fönische Publikum und vielleicht selbst die eigene Frau. Wir haben 
4 Ciceros Briefe und wissen aus ibnen (fam. V 2,6), daß er damals 
mit Clodia oder Claudia, wie er sie damals nannte (die andere Form 
st vielleicht erst durch die versus obscenissimi in Clodium et Clodiam 
üblich geworden) sehr ernsthafte politische Verhandlungen führte, die 
gewiß mit dem Geheimnis umgeben waren, ohne das es in dem da- 
maligen politischen Intriguenspiel nicht ging. Und wenn sich die Leute 
ın Rom über die Unvorsichtigkeit den Kopf zerbrachen, mit der sich 
Cicero in die Führerrolle in dem gefährlichen Konflikt mit Clodius 
treiben ließ, und nach der Frau suchten, deren Einfluß das Rätsel lösen 
sollte, so war die Verwunderung gewiß berechtigt, denn niemand konnte 

an Fe wie oft sich dieselbe Unklugheit in Ciceros Leben wieder- 
en würde, 


2 5 M. Rothstein, 


auf Terentias Eifersucht, und vielleicht sprach es in den 
Augen römischer Geschworener mehr zugunsten eines jungen 
Mannes, wenn er als Liebhaber einer reichen Frau seinen Vor- 
teil zu wahren wußte, als wenn er sich durch den Reiz ihrer 
Schönheit zu übermäßigem Geldaufwand verleiten ließ. Für 
die Gegenrechnung steht uns nur eine einzige Tatsache zur 
Verfügung, aber sie muß bei dem Mangel an anderen Zeug- 
nissen schwer ins Gewicht fallen. Als Lucullus, damals noch 
nicht der reichste, aber vielleicht der erste oder wenigstens 
aussichtsreichste Mann in Rom, sich in reiferen Jahren, wahr- 
scheinlich erst im Jahre seines Consulats, entschloß, eine Frau 
aus einer verarmten altadeligen Familie ohne Mitgift zu hei- 
raten, da fiel seine Wahl auf die jüngere Schwester, nicht 
auf die ältere, die damals noch nicht verheiratet war, und 
man kann sich schwer vorstellen, daß die Wahl des eitlen 
Mannes durch irgend etwas anderes als die ungewöhnliche 
Schönheit des jungen Mädchens bestimmt war; daß sie ihm 
damals als ein Muster weiblicher Tugend erschienen sein soll, 
ist wenig wahrscheinlich. 

Wir verdanken unsere Kenntnis dieser Dinge einem jener 
eigenartig naiven Scherze, mit denen Varro den trockenen Ton 
seines Buches von der Landwirtschaft belebt hat (III 16, 2). 
Auch diese Geschichte ist seltsam und nicht in allen Einzel- 
heiten ganz klar, in der Hauptsache aber doch deutlich. Ap- 
pius Claudius,, der ältere Bruder des P. Clodius, war nach dem 
Tode seines Vaters mit der Sorge für zwei jüngere Brüder 
und zwei Schwestern zurückgeblieben, in so schwierigen Ver- 
mögensverhältnissen, daß er selbst auf den Genuß von Honig- 
wasser (mulsum) verzichten mußte, um zu sparen. Erst als 
sich Lucullus entschloß eine seiner Schwestern (aus Plutarch 
wissen wir, daß es die jüngste war) ohne Mitgift zu heiraten, 
haben sich seine Verhältnisse verbessert, und wir können hin- 
zufügen, daß Lucullus die Verpflichtung, die ihm aus der 
engen Verbindung mit einer verarmten Familie entstand, in 
reichem Maße erfüllt hat. Wenn auch die ältere Schwester 
(nach aller Wahrscheinlichkeit die Clodia der Caeliana), die 
damals mindestens beinalıe 20 Jahre alt, also nach römi- 
scher Anschauung schon eine alte Jungfer war, noch einen 


Eatull und Lesbia. 93 


Mann fand, gewiß nicht ohne die übliche Mitgift, so wird sie 
das direkt oder indirekt wohl dem neuen Schwager verdankt 
haben. Seinen Schwägern half er gründlich, indem er sie 
mit sich in die Provinz nahm !*) und ihnen so die beste Ge- 
legenheit gab, in dem beutereichen Krieg den alten Glanz der 
Familie aufzufrischen. Man weiß, wie schmählich ihm der 
eine Schwager seine Hilfe gelohnt hat. Es mag dahingestellt 
bleiben, ob es die Agitation unter den Truppen und in der 
Heimat war, die zum Zusammenbruch geführt hat, oder die 
Leichtfertigkeit der scheinbar so glänzenden Kriegführung ; 
Lucullus selbst konnte nicht anders urteilen, als daß es der 
eigene Schwager war, der ihn um die Früchte seiner glor- 
reichen Kriegstaten gebracht hatte. Und als er nun, gekränkt 
und verbittert, nach achtjähriger Abwesenheit nach Hause zu- 
rückkehrte, da fand er nicht nur, was auch anderen römischen 
Heerführern, auch seinem Nachfolger Pompeius, nicht erspart 
geblieben ist; daß es eben wieder derselbe Schwager war, den 
er als Liebhaber seiner eigenen Schwester traf, daß ilım die 
Familie, die er aus dem Elend gerettet hatte, in dieser Weise 
lohnte, das hätte auch eine liebenswürdigere Natur, als Lu- 
cullus es gewesen zu sein scheint, in Erregung bringen kön- 
nen. Wir wissen und verstehen es, daß Caesar und Pompe- 
ius ähnliche peinliche Vorgänge mit vornehmem Stillschweigen 
erledigt haben!”). Lucullus handelte ganz anders. Er ließ 
den Tatbestand durch Folterung der Haussklavinnen feststellen, 
und wir dürfen danach vermuten, daß er auch sonst die 
äußeren Formen eines Gerichtsverfahrens peinlich wabrte, ein 
besonderes consilium einberief, auf dessen Beschluß er seine 
Entscheidung gründete, die rechtlich ganz in seiner Hand lag. 
Und als Clodius einige Jahre später von neuem in eine nicht 
minder skandalöse Gerichtssache verwickelt war, da trat er 
gegen ıhn als Leumundszeuge auf und erbot sich, denselben 
Beweis noch einmal auf demselben Wege zu führen, und es 


16) In Plutarchs Lucullus wird einmal Appius Claudius nnd einmal 
P. Clodius erwähnt; von dem dritten Bruder, der auch sonst in der 
Ceberlieferung zurücktritt, ist nicht dic Rede. 

2 Caesars vornehme Geste ist allgemein bekannt, von Pompejus 
sagt Plutarch (42) änsphev adı) nv Aysaıv odrs TörTs Ypahag 0U4” Üotspov 
i; ol; Aypixnev dEsıcov. 


94 M. Rothstein, 


scheint, daß erst der Beschluß des Gerichts seinen Eifer etwas 
mäßigte'?). So war es die jüngste der drei Schwestern, deren 
Liebesverhältnis mit dem eigenen Bruder vor Gericht fest- 
gestellt war. Plutarch betont diese aktenmüßige Feststellung 
und unterscheidet davon scharf das Gerücht, das auch die 
beiden anderen Schwestern erfaßte; später scheint es die glän- 
zende äußere Lebensstellung, vielleicht auch Ciceros tüber- 
ragende politische und literarische Bedeutung gewesen zu sein, 
die die Clodia der Caeliana in den Vordergrund treten ließen !?). 

Es steht wohl auch heute so, daß man an Ciceros Clodia® 
nur deshalb allein denkt, weil uns gerade. ihr Bild einiger- 
maßen bekannt ist. Das ist psychologisch verständlich, aber 
es beweist nichts, und wenn man sich nur der afderen Mög- 
lichkeit erinnert, so see ich wenigstens keinen ernsthaften 
Grund sie auszuschließen ?). Aber auch wenn wir bei der 
herrschenden Ansicht bleiben, so würde der Versuch, auf die- 
ser Grundlage etwas für die Chronologie der Lesbiagedichte 
zu gewinnen, trotzdem keinen Erfolg bringen. Es ist längst 
bemerkt worden ?!), daß die Deutung des vir auf Lesbias legi- 
timen Mann, auf der die herrschende Chronologie beruht, 
keineswegs die einzig mögliche ist, daß ebensogut auch nach 
dem bekannten Sprachgebrauch der Erotiker der anerkannte 
Liebhaber gemeint sein kann; wir können noch weiter gehen 
und zeigen, daß nur diese zweite Auffassung dem Gedicht seine 
volle Bedeutung gibt. 

Die Erklärung des Gedichtes 83 läßt sich nicht von der 
des inhaltlich nahe verwandten Epigramms 92 trennen, 


Lesbia mi dicit semper male nec tacet unguam 
de me: Lesbia me dispercam nist amat, 


18) TIxpetysv sagt Plutarch (Cicero 29); das Imperfectum zeigt, dıß 
das Anerbieten abgelehnt wurde. Man begnügte sıch mit der eidlichen 
Versicherung, daß eine solche Untersuchung mit dem bekannten Er- 
gebnis stattgefunden hatte (Cicero Milon. 75). | 

9) Plutarch non dB’ nv Een nal als Ariuıg Buciv Adsiralg nINIK- 
Terv töv Kiw&cov, aber nachher von der älteren Schwester &ri tauıy 
nALOTE Twv Adeirmv arme Yrouasv 6 Kiwdtog. 

20) Es beweist natürlich gar nichts, wenn Schmidt sich gegen diese 
Möglichkeit auf Lesbias angeblichen Ehemann beruft; wir können 
ja nicht einmal wissen, ob die geschiedene Frau des Lucullus nicht 
später noch einmal geheiratet hat. 

21) Von Riese in Fleckeisens Jahrbüchern 105 (1872), 753. 


Catull und Lesbia. 25 


quo signo? quia sunt totidem mea: deprecor illam 
assidue: verum dispeream nisı amo. 


Wer die beiden Gedichte vergleicht, wird nicht im Zweifel 
darüber sein können, daß Catull auch hier, wie öfter, den- 
selben Gegenstand zweimal behandelt hat, und daß das erste 
eine Erweiterung des zweiten ist; das zeigt die doppelte Pointe, 
bei der die ursprünglich einzige zu kurz gekommen, nach 
meinem Gefühl etwas verflacht ist. Das Gedicht 92 gehört 
ganz in den Gedankenkreis und den Stimmungszustand, den 
wir in einer verhältnismäßig großen Zahl der Lesbialieder 
finden (72. 75. 76. 85), aber er fügt etwas Neues hinzu, das 
uns einen etwas tieferen Einblick in den Verlauf des Verhält- 
nisses möglich macht. Wenn er in diesen Gedichten den Zu- 
stand des Zweifelns und Schwankens, offenbar aus ursprüng- 
lchem Erleben und ernstem Nachdenken heraus, sich selbst 
immer wieder vor Augen führt, so ist auch das Gedicht 92 
aus dieser Neigung zur Grübelei und Selbstbeobachtung her- 
vorgegangen; die letzten Worte deprecor illam assidue, verum 
dispeream nisi amo klingen geradezu, wenn auch in etwas 
anderer Tonart, wie ein Motto zu dem großen Gedicht 76, 
der feierlich ernsten deprecatio, dem Gebet an die Götter um 
Abwendunss des Unheils, das dem Dichter diese Liebe gebracht 
hat. Aber hier erfahren wir, daß Catull denselben Zustand 
auch an seiner Lesbia beobachtet hat, auch schon zu einer 
Zeit, als er selbst noch froh war in ihrer Unruhe einen Be- 
weis ihrer Liebe zu finden. Zwei Liebende, die nicht vonein- 
ander lassen und doch nicht miteinander leben können, diese 
Vorstellung ist weniger einfach als die des von einem arg- 
istigen Weibe verführten unschuldigen Jünglings, aber unserer 
tertieften Psychologie ist sie nicht fremd; aus dem bekann- 
testen Beispiel, Alfred de Musset und George Sand, kann man 
auch lernen, daß man das auch erleben kann, wenn man schon 
manches andere vorher erlebt hat. Wer die wenigen Verse 
mit Aufmerksamkeit liest, wird die Geschichte dieser Liebe 
ticht melır 80 einseitig vom Standpunkt des Mannes aus be- 
trachten, und er wird sich gewiß nicht der Meinung anschlie- 
Ben, daß die beiden Gedichte aus der Zeit der keimenden Liebe 
stammen, der Zeit, als der harmlose Ehemann eben anfing 


% M, Rothstein, 


den ersten schwachen Verdacht zu schöpfen. Damals soll, 
das ist die herrschende Auffassung, die gewandte Weltdame 
im Salongespräch ihrem Manne die Meinung beigebracht haben, 
daß sie den jungen Mann, der öfter ins Haus kam, nicht lei- 
den könne. Glaubt man wirklich, daß die vornehme Welt- 
dame, die Frau des höchsten römischen Beamten, dabei in 
ihrem Salon einen Ton angeschlagen haben würde, den Ca- 
tull mit den Worten gannit et obloquitur charakterisieren 
konnte; gannire vom Kläffen des Hundes, obloqui hier nicht 
„widersprechen“, da Catull offenbar nicht als anwesend ge- 
dacht ist, sondern eher „gegenanreden“, es liegt gewiß die 
Vorstellung einer keifenden Frau zugrunde, die es nicht ver- 
tragen kann, daß in ihrer Gegenwart etwas Gutes über einen 
Abwesenden gesagt wird. Es war nach meinem Gefühl kein 
glücklicher Gedanke, den grübelnden Ernst des ursprünglichen 
Gedichtes mit dem banalen Spott über den dummen Mann 
einer leichtfertigen Frau zu verkoppeln, aber wir verdanken 
diesem Einfall einen Einblick ın den Gesellschaftskreis, in 
dem sich diese Dinge abspielen; der ganze Vorgang wird 
begreiflich und lebendig, wenn wir ihn uns bei einem convi- 
vium miztas inter puellas (Prop. Il 34, 57) denken, dem ge- 
sellschaftlichen Rahmen, in den wir das Liebesleben der vor- 
nehmen Jugend eingefügt sehen. 

Wie es in diesen Kreisen zuging, das hat für eine etwas 
spätere Zeit Ovid eingehend geschildert, und seine Darstellung 
läßt sich aus anderen Dichtern ergänzen. Liebe und Gesellig- 
keit gehören eng zusammen, lebenslustige junge Leute ver- 
sammelten sich beim Wein, jeder brachte sein Mädchen mit, 
und für die Frauen, die sich in der Begleitung ilıres vir hier 
einfanden, war das Verhältnis mit dem einen Mann zwar nach 
außen einigermaßen anerkannt, in Wirklichkeit aber wurde es 
keineswegs als unantastbar betrachtet. Beziehungen zu den 
anderen Mitgliedern der Tafelrunde bildeten sich leicht, und 
manchmal war der vir nicht mehr als ein Aushängeschild, 
dessen sich die Frau zur bequemen Anknüpfung neuer Liebes- 
verhältnisse bediente; Ovid empfiehlt dem vir in dieser Be- 
deutung, in ausdrücklichem Gegensatz zum legitimen Ehemann 
(ars Il 597), solchen Seitensprüngen seiner Geliebten nicht 


Catull und Lesbia. 97 


nachzuspüren, und dem jungen Lebemann gibt er den Rat, 
sich einem Mädchen unter dem Schein der Freundschaft mit 
ihrem rir zu nähern (ars II 571). Was für die augusteische 
Zeit mehrfach geschildert wird, das können wir unbedenklich 
auf Catulls Zeit übertragen, denn gerade das Wesentliche, der 
Gegensatz zwischen dem einen anerkannten Liebhaber und dem 
Schwarm der anderen Verehrer, ist als typische Form der 
rita meretricia auch für diese Zeit und gerade für die eine 
der beiden hier in Frage kommenden Frauen bezeugt; in 
_ Ciceros Schilderung des Lebens, das Clodia geführt hat, las- 
sen die Worte quae se omnibus pervulgaret, quae haberet pa- 
lam decretum semper aliquem (38) trotz der offenbaren 
Verderbnis, die in decretum steckt (Cicero schrieb wohl decla- 
ralum), denselben Gegensatz deutlich und sicher erkennen. ° 
In diesen Kreisen der eleganten Halbwelt tat man sich keinen 
Zwang an, hier herrschte eine Naturwüchsigkeit und Unge- 
bundenheit, die dem Verkehr der vornehmen Gesellschaft, so- 
weit überhanpt Frauen an ihm teilnahmen, ebenso fremd ge- 
wesen sein muß, wie sie sich in das Gesamtbild des immer 
zu Gewalttätigkeiten neigenden Bummellebens der griechischen 
und römischen Jugend einfügt. Für Horaz gehören convivia 
und proelia virginum strictis in iuvenes unguibus acrıum zu- 
sammen, die Geliebte des Properz wirft ihrem Freund in ihrer 
eifersüchtigen Wut nicht nur Schimpfworte, sondern auch 
Trinkbecher an den Kopf und stürzt den Tisch um (III 8), 
und was er von der saevitia und den minae seiner Cynthia 
berichtet, das geht auf kräftige Betätigungen südländischer 
Heftigkeit, wie sie der Dichter am Schluß der derb realisti- 
schen Elegie IV 8 drastisch genug geschildert hat. Die grim- 
migen Eifersuchtsgedichte, wie sie Catull gerade gegen seine 
besten Freunde zu schleudern Anlaß fand, gegen Gellius, Ru- 
fus, Gallus, Quintius, einen ungenannten Freund (73), alle 
diese leidenschaftlichen Angriffe, bei denen es sich nicht immer 
um Lesbia zu handeln braucht (Quintius weist nach Verona), 
erklären sich aus dieser Art des Verkehrs, wie auch Properz 
zweimal, I 5 und II 34, denselben Konflikt zum Ausgangspunkt 
einer Elegie genommen hat. Auch Catull selbst finden wir 
einmal in derselben Rolle, die er sonst, mit Recht oder Un- 


98 M. Rothstein, 


recht, seinen treulosen Freunden zuweist. Das Gedicht 103, 
das bisher noch keine Erklärung gefunden hat, gibt nur dann 
einen Sinn, wenn der leno, von dem dort die Rede ist, ın 
Wirklichkeit gar kein leno, sondern ein seinem eigenen Ge- 
sellschaftskreis angehörender Freund des Dichters ist. Catull 
hat seinem Freund Silo Geld geliehen, der hat sich mit der 
Rückzahlung nicht beeilt, und inzwischen hat Catull Gelegen- 
heit gefunden, sich seiner Geliebten zu nähern. Silo gerät in 
Wut, er ist saevus et indomitus, wie ein Tyrann in der Tra- 
gödie, und nun verhöhnt ihn Catull mit den Versen: 


Aut sodes mihi redde decem sestertia, Silo, 
deinde esto quamvis saevus et indomitus, 

aut, si te nummi delectant, desine, quaeso, 
leno esse atque idem saevus et indomitus. 


„Nur eins von den beiden*, sagt der Dichter, „ist möglich, ent- 
weder du bist stolz wie ein Paschah, der jeden umbringt, der 
es wagt seiner Geliebten den Hof zu machen, dann sei gefäl- 
ligst auch so stolz deine Schulden zu bezahlen; oder du nimmst 
es nicht so genau, drückst ein Auge zu, wenn man sich da- 
für in klingender Münze erkenntlich zeigt, dann bist du nichts 
Besseres als ein leno und hast alle Veranlassung, dich höflich 
und bescheiden zu benehmen, wie es sich für einen Geschäfts- 
mann dieser Art gehört“ ?®). Auch das läßt sich nachweisen, 
wie sehr in der Unterhaltung dieser Kreise gerade die Per- 
sönlichkeiten und besonders die Liebesangelegenheiten der ab- 
wesenden Mitglieder der Gesellschaft hervortreten. Catulls 
drohende Frage cuius esse diceris? (8, 17) gewinnt ihre le- 
bendige Bedeutung erst, wenn man an die zum Teil durch eine 

21) Den leno kennt die römische Erotik nicht, nicht weil es ihn 
in der Wirklichkeit nicht gegeben hat, sondern weil die Stilgesetze, 
die zwar nicht für Catull, aber für die Klegiker gelten, die Schilderunsr 
niedriger und kleinlicher Verhältnisse im allgemeinen ausschließen. Die 
einzige Ausnahme, Ov. am. 110,21, bestätigt die Regel, denn da steht 
die merelrix, die devovet imperium lenonis avari, gerade im Gegensatz 
zu der Halbweltdanıe in gehobener Stellung. Für die sachliche Selb- 
ständirkeit der erotischen Elegie der Römer gegenüber der griechischen 
Komödie ist das bezeichnend. Properz gebt in der Idealisierung der Ver- 
hültnisse sogar so weit, daß er seine Geliebte zu den castae puellae 
(I 1,5) zählt und ihr die riles, leves, vagae gegenüberstellt, und wo er 
die Frage der Wahl zwischen der Hetüäre und der ehrbaren Frau erörtert 


(II 23), da zählt er seine Cynthia zu der Klasse, zu der sie gewiß nicht 
gehört hat. 


Catull und Lesbia. 9 


ähnliche Absicht bestimmten Aeußerungen des Properz denkt, 
die das Interesse an dem dici, dem nomen erkennen lassen, 
dem Renommee, das sich eine Frau dieser Kreise durch ihre 
Erfolge erwirbt (I 4, 8. 8b, 32. 20, 5. IL 8,6. 14, 12. 17,11. 
20,19. 24 b, 20. 26 b, 22), und dasselbe Interesse zeigt sich 
auch in dem Stolz, mit dem derselbe Dichter sich seiner Kunst 
rühmt, Liebesverhältnisse auszuspüren, die von den Beteilig- 
ten selbst absichtlich geheim gehalten werden (I 9, 5), und 
noch deutlicher vielleicht in dem Gesellschaftsspiel, mit dem 
die Liebenden sich die Zeit vertreiben (III 10, 27), einem Wür- 
felspiel über die Frage, quem gravibus pennis verberet ille puer, 
wo doch offenbar nur an die Personen eines bestinnmten Kreises 
und an diejenigen Liebesverhältnisse gedacht ist, die sich neben 
den öffentlich anerkannten und gewohnheitsmäßig oder aus 
äußeren Gründen festgehaltenen im geheimen bildeten. In 
diesen Kreisen konnte es leicht vorkommen, daß Catulls Name 
genannt wurde und der verärgerten Geliebten Gelegenheit zum 
gannire und oblogui gab, und daß gute Freunde, die zugegen 
waren, dem abwesenden Dichter davon erzählten. In dieser 
Gesellschaft, die der geborenen Aristokratin von Hause aus 
verschlossen war, in die sich aber damals gewiß nicht wenige 
aus der Welt, in der man sich langweilte, flüchteten, haben 
sich Ciceros Clodia ebenso wie Catulls Lesbia bewegt, und 
wenn sie wirklich identisch sein sollten, so würde es trotzdem 
sicher sein, daß bei dem anwesenden Mann nicht an den le- 
gitimen Ehemann gedacht werden kann. Aber auch das er- 
fahren wir aus dem Gedicht, daß Catull es allem Anschein 
nach bei Lesbia niemals zur Stellung eines vir gebracht hat: 
trotzdem hat er mit Verachtung auf die zahlreichen moechi 
herabgesehen, die sie neben ihn noch hatte (11, 17), ohne 
daran zu denken, daß er selbst für den vir auch nichts an- 
deres war, und er hat sein Verhältnis zu .ihr zeitweise als 
einen ewigen Bund heiliger Liebe (109, 6; nur das bedeutet 
amicitia hier, wie vorher amor) auffassen können; das war 
gewiß ehrlich gemeint und wirklich empfunden, aber wir 
sehen doch, wie verwickelt die Beziehungen waren und wie 
vorsichtig wir mit unserem moralischen Urteil sein müssen. 


30 M. Rothstein, 


Es hat sich gezeigt, daß die bisher übliche Datierung °. 
des Lesbiaromans und der Lesbialieder vor einer eingehenden .... 
Prüfung nicht bestehen kann. Damit ist die Bahn freige- 
worden für eine Datierung, die sich auf eine, wie ich glaube, . 
sichere und beweiskräftige Beobachtung stützt. Alle Lesbia- - 
lieder sind, ebenso wie alle anderen Gelegenheitsgedichte Ca- 
tulls, die wir kennen, in dem knappen Zeitraum von andert- 
halb bis zwei Jahren entstanden, der zwischen der Rückkehr 
aus Bithynien und dem Tode des Dichters liegt. Der Beweis 
ist leicht zu führen, wenn man nur den Blick nicht absicht- 
lich vor Tatsachen verschließt, die klar zutage liegen. 

Catulls kleine Gedichte sind unter seinen Freunden und 
in den literarisch interessierten Kreisen Roms ohne Zweifel 
bekannt gewesen, aber um ihre dauernde Erhaltung hat er 
sich offenbar wenig gekümmert. Das gilt selbst von seinen 
Kunstdichtungen ; das multa satis lusi 68, 17 muß nach denı 
Zusammenhang der Stelle auch solche Arbeiten umfassen, und 
das Gedicht 116 zeigt deutlich, daß die Abfassung von Kunst- 
dichtungen nach einem griechischen: Original für ihn etwas 
Alltägliches war. Immerhin hatte er eine Zahl solcher Dich- 
tungen zusammengestellt, denen das erhaltene Gedicht an Cor- 
nelius Nepos (1) als Einleitung dienen sollte, wahrscheinlich 
dieselben, die wir noch haben??). Diese Sammlung bildet 
den Kern und Mittelpunkt des erhaltenen Gedichtbuches, das 
Hauptstück, das den doctus pocla für die Nachwelt festhalten 
sollte, und das von dem Schwarm der leichten Gelegenheits- 
gedichte rechts und links eingefaßt wird. Mit seinen kleinen 
Gedichten muß Catull sehr wenig haushälterisch umgegangen 
sein, kaum hundert haben sich erhalten aus der großen Zahl, 
die er im freundschaftlichen Verkehr mit Calvus (50) und ge- 
wiß auch, namentlich in der Provinz,: mit Cinna, und mit noch 
manchem anderen Dichter, im Aerger über jede kleine Unbıll 
und in der Freude über jeden guten Spaß hingeworfen hat, 
oft vielleicht selbst für den einzelnen Fall in Masse, wie die 
Gedichte an Furius und Aurelius und die an Gellius noch 


23) Daß der Ausdruck nugae nichts gegen diese Auffassung beweist, 
hat Vahlen überzeugend nachgewiesen ; wer seine Auffassung der Schluß- 
worte des Gedichtes nicht teilt, wird in ihnen einen Beweis dafür finden, 
daß Catull über seine Kunstgedichte durchaus nicht bescheiden dachte. 


Catull und Lesbia. . 31 


deutlich zeigen*!),. Dreihundert Elfsilber hat ein Freund 
zu erwarten, der sich einen schlechten Scherz mit dem Dich- 
ter erlaubt hat (12), und gegen die Frau, die ihm seine 
Schreibtafel nicht herausgeben will (42), werden sie sogar in 
unbestimmt großer Zahl aufgeboten. Von alledem ist nur ein 
kleiner Teil erhalten ; verloren ist alles, was Catull bei dem 
Aufbruch zur Reise nach Bitbynien zurückließ, alles, was ihn 
ın der Provinz eingefallen war; seine Papiere aus dieser älte- 
ren Zeit lagen irgendwo aufbewahrt, und was sich an kleinen 
Gelegenheitsgedichten darunter befand, ist ohne Rest zugrunde 
gegangen. Erst mit dem Tage des Aufbruches aus Bithy- 
nien, aber auch genau mit denı Tage (46), als er sein Gepäck 
offenbar schon vorausgeschickt hatte, beginnt für uns die 
Reihe der kleinen Gedichte, und sie setzt sich, wie wir we- 
nigstens annehmen müssen, bis nahe an seinen Tod fort. 
Unter den etwa hundert Gedichten, die wir von ihm haben, 
läßt sich beinahe ein Drittel datieren, und alle datierbaren 
Gedichte gehören dieser Zeit an, kein einziges läßt sich mit 
halbwegs überzeugenden oder auch nur annehmbaren Gründen 
in eine frühere Zeit setzen. 

Aus der Zeit der Rückreise aus Bithynien und bald nach 
der Heimkehr stammen die Gedichte 46. 101. 4. 31. 10. Nicht 
lange nachher müssen die Freunde Veranius und Fabullus zu- 
rückgekehrt sein, die sich in Spanien in derselben Stellung 
befunden batten wie Catull; dadurch bestimmt sich die Zeit 
der Gedichte 9. 28. 12, in denen von ihrer Rückkehr und 
noch vor ihrer Rückkehr von einem Geschenk die Rede ist, 
das sie Catull aus der Provinz geschickt hatten. 

55 und 113 sind im Consulatsjahr des Pompeius (55) 
entstanden. Das ist die Zeit der großen Expansionspolitik, 
der Expeditionen nach Britannien, Syrien, Aegypten, die da- 
mals das Tagesgespräch gebildet haben werden. Es ist na- 
türlıch, daß sich dieses allgemeine Interesse in Catulls flüch- 
tigen Gelegenheitsgedichten widerspiegelt und uns für manche 
von ihnen wenigstens einen sicheren terminus post quem bietet. 


. ?*) Das Gedicht 116 zeigt. daß es in solchen Füllen zu förmlichen 
literarischen Duellen kommen konnte. Danach müssen die magna bella 
37,13 verstanden werden. 


39 - M. Rothstein, 


Die Gedichte, die wir so unmittelbar datieren können, sind 
11. 29. 45. 54 (durch die zweifellose Anspielung auf 29). 84 
(der hier genannte Arrius, der nach Syrien geschickt wird, ist 
offenbar identisch mit dem in Ciceros Brutus 242 als Redner 
aufgeführten Gehilfen des Crassus). 

52 setzt die Praetur des Vatinius im Jalre 55 oder we- 
nigstens seine Wahl vorans, danach wird man auch die Zeit 
von 53 bestimmen dürfen, das von einem der drei Vatinius- 
prozesse erzählt. ö 

An 29 wird man das andere Mamurragedicht 57 anreihen 
können,‘ ebenso auch 43 wegen der Erwähnung des decoctor 
Formianus, mit dem inhaltlich zu ihm gehörigen Gedicht 41. 
Die Gedichte an Mentula (94. 105. 114. 115) habe ich aus 
dem Spiel gelassen; wer von der Identität des Mentula mit 
Mamurra überzeugt ist, wird sie mitzählen müssen. 

In dem Gedicht 11 erscheinen Furius und Aurelius als 
zwei nahe Freunde Catulls, die untereinander in enger Ver- 
bindung stehen. Eine ganze Reihe anderer Gedichte zeigt sie 
ebenso eng untereinander verbunden, das Verhältnis zu Catull 
freilich durch Eifersucht auf die Liebe des schönen, durchweg 
ganz jugendlich geschilderten Juventius getrübt. Es ist zum 
mindesten in hohem Grade walırscheinlich, daß alle diese Ge- 
dichte ungefähr derselben Zeit angehören, 15. 16. 21. 23. 24. 
26. 48. 81. 99, und ihnen wird man wegen des Zitats in 16 
auch die beiden Kußgedichte 5 und 7 anreihen dürfen ?). 

Das ist eine stattliche Anzahl von Gedichten, annähernd 
ein Drittel der ganzen Masse. Machen wir die Gegenprobe; 


25) Die beiden Freunde haben Catull für einen gemeinen Kerl (nur 
das bedeutet male marem) erklärt, weil sie in einem seiner Gedichte 
die Worte milia multa basiorum gelesen hatten. Nur in dem Gedicht 5 
kommt milia multa vor, bastorum mußte hinzugefügt werden, weil der 
Leser sonst nicht gewußt hütte, um was es sich handelt; das Juventius- 
gedicht 48 kann schon deshalb nicht gemeint sein, weil milia multa 
offenbar wörtliches Zitat sein muß. Das Urteil der beiden Freunde ist 
recht seltsam, denn so viel Widerwärtiges und Schmutziges sich in 
Catulls Gedichten findet, gerade dieses Lied wird heute niemand dazu 
rechren, und noch seltsamer ist Catulls Verteidigung. Man pflest nur 
die ersten Worte zu zitieren, nam castum esse decet pium poetam, ipsum, 
versiculos nihil necesse est, aber viel interessanter und in ihrer Art 
volikommen deutlich sind die folgenden Verse. Es scheint, daß die 
leidenschaftliche Glut, die aus dem Gedicht spricht, auf die Zeitgenossen 
einen Eindruck machte, den Catull in seiner Verteidigung nicht leugnen 
konnte oder wollte. 


Catull und Lesbia. 33 


der rir in 83 ist nicht Metellus, der Gegner des Gedichtes 98 
ist ein harmloser Schwätzer und nit’ dem politischen Intri- 
ganten Vettius, der im Jahre 59 ums Leben kam, gewiß nicht 
identisch, der Cominius des Gedichtes 108 ist wohl aller Wahr- 
scheinlichkeit nach einer der beiden Brüder, gegen die Cicero 
den C. Cornelius verteidigt hat, aber da sie kurz vor der Ab- 
fassung von Ciceros Brutus (271) gestorben sind, so paßt die 
cana senectus, von der Catull spricht, nicht in die Zeit der 
beiden Prozesse, sondern weit besser in Catulls letzte Jahre; 
“die Erwähnung von Novum Comum endlich in dem Gedicht 
35 beweist nur, daß es nach der Gründung der Kolonie ver- 
faßt ist, Das ist alles, und es ist schlechthin nichts; 31 ge- 
gen 0, da kann über die Entstehungszeit der etwa 70 Ge- 
dichte, die sich aus sich heraus nicht datieren lassen, kein 
Zweifel sein. 

Man könnte daran denken, von dem Schluß, der sich hier 
mit zwingender Notwendigkeit aufdrängt, gerade die Lesbia- 
lieder auszunehmen; es wäre ja denkbar, daß der Dichter, 
der mit seinen sonstigen Dichtungen so wenig vorsichtig um- 
ging, gerade diese Erinnerungen aus der Zeit der großen Liebe 
sorgfältig gehütet hätte, und das wäre ein persönlicher Zug, 
der zwar nicht recht der Art des Dichters und der Art seines 
Braches mit der Geliebten, wohl aber dem Gefühlsbedürfnis 
moderner Leser entsprechen würde. Aber auch diese Aus- 
fucht müßte als durchaus unwahrscheinlich abgelehnt werden; 
von den 23 Lesbialiedern lassen sich vier datieren, auch das 
eine verhältnismäßig nicht geringe Zahl, da die Anspielungen 
auf allgemein bekannte Zeitereignisse in diesen Liedern natür- 
lich selten sind, und alle vier stammen aus derselben Zeit 
wie die übrigen erhaltenen Gelegenheitsgedichte. 

Catull war nicht mehr ganz jung, als er Lesbia kennen 
lernte und die große Leidenschaft mit einer Kraft und Ur- 
sprünglichkeit des Gefühls erlebte, wie wir sie sonst nur der 
frühen Jugend zutrauen. Den jugendlichen und jugendfrischen 
Charakter der Dichtung Catulls fühlt jeder Leser, nicht nur 
aus den Liebesliedern, aber es sind nicht immer die Jahre, 
die darüber entscheiden; auch Goethe _war weder jung noch 
unerfahren, als er mit der ganzen Leidenschaftlichkeit und 

PLilologus LXXVIII (N. F. XXXII), 1/2. 3 


34 W.Andreae, 


Blindheit der Jugend für Frau von Stein schwärmte, und für 
Catull können wir aus sicher und unmittelbar datierbaren 
Stücken der Sammlung beweisen, daß er sich in dem wüsten 
Treiben der Großstadt die jugendliche Genußfähigkeit und 
Empfänglichkeit für die verschiedensten Eindrücke bis in die 
letzten Zeiten seines kurzen Lebens erhalten hat. 


Berlin. M. Rothstein. 


II. 


Die philosophischen Probleme in den PlatonischenBriefen. - 
(Ein Beitrag zur Echtheitsfrage.) 


Um das abschließende Wort über die Echtheit der Pla- 
tonischen Briefe zu sprechen, würde es einer historischen, 
philologischen und philosophischen Untersuchung bedürfen. 
Dieses umfangreiche Unternehmen auszuführen, halten wir bei 
dem Stande der Vorarbeiten noch nicht für möglich, sowohl 
wegen mangelhafter historischer Kenntnis der in Betracht kom- 
menden Ereignisse und Männer zur Zeit der beiden Dionyse 
von Syrakus als insbesondere wegen des Dunkels, das über 
Platons Leben ausgebreitet ist. Auf literarhistorischem Ge- 
biete fehlt eine Geschichte des griechischen Briefes, und inner- 
halb der engeren Grenzen der Philologie sind wir weit entfernt 
in der Ueberlieferungsgeschichte des Platonischen Textes bis 
auf seinen Urheber selbst zurückgehen zu können. 

Wir haben unsere Aufgabe daher wesentlich auf eine 
Untersuchung der wichtigsten philosophischen Probleme be- 
schränkt, die nicht nur für die Briefe sondern für das Ver- 
ständnis Platons überhaupt zentral sind. 

Gleichwohl scheint es uns bei der allmählich deutlich 
werdenden Wichtigkeit der Frage geraten, einige Betrach- 
tungen metliodologischer Art voranzuschicken. Daraus wird 
sich zugleich die Notwendigkeit einer philosophischen Erörte- 
rung ergeben und zugleich erhellen, wie weit die Forschung 
zu gesicherten Resultaten gelangt ist, und welche Wege zu 
weiterem Vorschreiten offen oder noch zu eröffnen sind. 


Di |— U ——n “our 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 35 


ı 

Bis auf Richard Bentley, der mit seiner Abhandlung über 
die Phalarisbriefe in der modernen Philologie zum ersten Male 
die Frage nach gefälschten Briefen aufgeworfen hat, galten 
die Platonischen Briefe mit Ausnahme etwa des ersten!) und 
zwölften?) im Altertum wie in der Neuzeit für echt. Wäh- 
rend nun aber Bentley selbst die Platonischen Briefe mit dem 
ihm eigenen leidenschaftlichen Eifer in Schutz nahm, hat sich 
seit seiner Entdeckung ein weit über das Ziel hinausgehender 
Skeptizismus breitgemacht, der dann neuerdings einer etwas 
besonneren Kritik, die im allgemeinen positive Tendenz zeigt, 
Platz machen mußte. 

Darauf gehen wir hier nicht ein und verweisen deswegen 
auf die Literatur), in der sich subjektive Gründe und Gegen- 
gründe maßlos angehäuft haben. Daraus die Summe zu ziehen, 
wäre ebenso mühsam wie unfruchtbar. 

Im Altertum herrschte wie gesagt Einstimmigheit*). Noch 


!) Der erste Brief darf als unecht gelten. Jedenfalls ist er, wie sich 
aus der Ueberschrift ergibt, nicht von Platon. Wegen der Ueberschrift 
und anderer Ep. 1 betreffenden Fragen s. Immisch, Philologus 1913 
S.1#.: Der erste Platonische Brief. 

’) Immisch ebd. p. 18—19: „Der 12. Brief ist auch bei Diogenes 
Laertius 8.4, 81 überliefert und gibt sich dort als die Antwort auf einen 
ncher gefälschten Archytasbrief. Beide werden mit Recht, was aber 
den andern Brief Platons an Archytas 19) gar nicht berührt, dem Ver- 
fertiger der Okkelosschriften zugeschriebeu (Diels, Doxogr. 187; Vor- 
wkratiker I? 250, 30). Das Stück wird nicht lange vor Thrasyll, der 
ein begreifliches Interesse für Neupythagoreisches haben mußte, ent- 
standen und von diesem eingereiht sein, weshalb der auf Thrasyli 
füßende Diogenes ausdrücklich von 13 Briefen spricht. Für die ur- 
sprüngliche Sammlung, wohl auch noch für Aristophanes von Byzanz, 
ommen demnach nur 12 Briefe in Betracht“. Es war notwendig, 
hier Immisch noch einmal anzuführen, denn Wilamowitz ignoriert ın 
seinem Platonbuch (Berlin 1919 II. S. 278) diese klare Tatsache, durch 
die zugleich der 13. Brief geschützt wird. Denn wir werden nicht länger 
ım Zweifel sein, das &vrıAsystar zwischen den beiden Briefen auf den 
l2, zu beziehn. 

”, Der vollständigste Literaturnachweis findet sich bei Apelt; 
Üebersetzung der Platonbriefe. Phil. Bibl. Leipzig 1918. Die ange- 
strebte Vollständigkeit ist nicht ganz erreicht, dafür aber das Wert- 
Ioseste berücksichtigt. Bei Juroszek: Commentat. crit. de Plat. ep. 
Disert, Vindob. (1913) XI, 3 findet sich p. 105—p. 108 ein guter Ueber- 
dlick über den Stand der Echtheitsfrage. Schwächer ist R. Hacforth: 
The autorship of the Platonic epistles (Manchester 1913 p. 4 ff.). 
Zeugnisse aus dem Altertum und der Patristik zusammengestellt 
m Anhang zur Dissert. von M. Odau: Quaest. de VIIa et VIlla Plat. 
ep. Regim. 1906. Er fußt auf Westermann: De ep. script. Graec. 

Progr. Lpzg. 185155 Nr. 123 (Platon) und bedarf daher der Ergänzung. 


5* 


36 W.Andreae, 


die Kirchenväter, die es, um Boeckhs Worte zu gebrauchen, 
„sehr ergetzte Gottvater und Sohn bei Platon zu finden* 5), 
haben die Briefe gelesen. Marsilius Ficinus®) endlich fand in 
ihnen „Worte von fast göttlicher Weisheit, aus denen man 
für Familien- und Staatsleben, für die Kenntnis göttlicher und 
menschlicher Dinge heilsamsten Nutzen ziehen kann“. 

Aber diese Zeugnisse beweisen, wie sehr wir auch viele 
der Männer, die sie abgelegt haben, verehren und unter ihnen 
nicht zum wenigsten den Marsilius, zum größten Teile wenig; 
hervorragenden Wert hat das Zitat aus dem Buche des Peripa- 
tetikers Aristokles, das Eusebius in der Präparatio Evangelica 
(XV, 2, 3) gibt. Adam’) hat erkannt, daß diese Aeußerung 
eines Zeitgenossen von Dionys II. auf Kenntnis des siebenten 
Briefes (St. p. 345E) zurückgeht. 


2 


Wichtig ist ferner das Zeugnis Plutarchs und das durch 
ihn vermittelte des Timonides von Leukas. 

In seiner Lebensbeschreibung Dions bezieht sich Plutarch 
auf die Historiker Timäus (capp. 14, 31,36) Theopomp (cap. 24) 
Ephoros (capp. 35, 36) Philistos (cap. 36), aber daneben oder 
vielmehr hauptsächlich auf die Briefe Platons und die des 
'Akademikers Timonides. 

Die Frage nach den Quellen Plutarchs ist für die Platon- 
briefe vorzüglich deshalb von Bedeutung, weil der Bericht des 
Moralphilosophen über den Tod des Hipparinos Dions Sohn, 
dem ein Consensus®) der Historiker Gewicht gibt, einer Stelle 


®) Boeckh: De trag. Graec. princ. Heidelbg. 1818 p. 162—4. 

*) Ueber Marsilius Ficinus und Aretinus vgl. die im übrigen un- 
bedeutende Einleitung zur Uebersetzung der Platonbriefe von Wiegand 
in Griech. Prosaiker. Osiander u. Schwab Bd. 301 p. 28 ff. 

”) R. Adam: Archiv f. Gesch. d. Phil. XXIII p. 37. Seine begrün- 
dete Annahme läßt sich noch stützen aus einem Vergleich von F. H. 
G. II. p. 276 (Aristoxenos fr. 14) mit Ep. VII 357 E. ff. und fr. 15 
(Athen. XII p. 545 A) mit Ep. VII p. 350 A und Ep. IV p.321D. Aus 
fr.9 geht hervor, daß Aristokles mit Dionys II. in persönlichem Ver- 
kehr stand. . 

8°) Cornelius Nepos, Dio 4,4 und 6, 2, Plutarch Dio c. 55 (cf. Con- 
sol. ad Apoll. Bi B), Aelian V.H.-Ill, 4 berichten nämlich, daß 
Hipparinos vor Dion stirbt, während Ep. VIII p. 355 E ihn noch nach 
dessen Tode zum König machen will, (Diodor hat darüber nichts, da 
seine Darstellung mit Dions Sieg über Nypsios XVI, 20 abbricht). 
Das Wesentlichste hierüber bei Odau : Quaest. de Villa et Vllla Plat. 


I 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 37 


des achten Briefes (p. 355E) widerspricht. Ließe sich hier eine 
falsche Ueberlieferung nachweisen, so fiele der letzte historische 
Grund, den man gegen die Briefe hat aufrechterhalten können. 

Ohne nun hier in der Ueberlieferung bis auf Athanis und 
Philistos, die übrigens als Partei verdächtig sind’), zurück- 
zugehen, läßt sich aus Plutarch selbst feststellen, daß er 

1. die Platonischen Briefe und nicht nur diese, sondern 
eine umfangreichere Briefsamnmlung benützt hat, 

2. daß es tatsächlich Briefe oder Berichte des Timonides 
an Speusippos gegeben hat. 

Die erste Behauptung werden wir anderen Orts beweisen, 
zur zweiten sei hier soviel gesagt: 

Wegen des bekannten Mangels an Kritik, den wir für 
Plutarch zugeben, darf die Möglichkeit, daß ein Akademiker 
und Mitgenosse der Dionischen Expedition an die Akademie nach 
Athen berichtet hat, nicht in Zweifel gezogen werden. Diese 
Tatsache müssen wir — wenn überhaupt noch eine — dem 
Historiker glauben!%). Ja sie ist in der historisch gerich- 
teten Zeit nach Thukydides in einem an dem Ausgang des 


ep. Regim. 1906 p. 59 ff. p. 86 und Juroszek Dissert. Vind. XI, 3 (1913) 
p. 17%. Was Wılamowitz: Platon (Berlin 1919) II p. 299—300 hinzu- 
bringt, ist unbeträchtlich. Vor allem ist die dort angeführte Analogie 
5 'Arstatcc mit 5 KAsıvisıoc nicht treffend, da es sich im ersten Falle 
um eine Ableitung vom Mutternamen handeln würde. Dagegen unter- 
liegt es keinem Zweifel, daß sowohl die Nepos- wie Plutarcherzählung 
wegen ihrer Tendenr die unpädagogische Schroffheit Dions zu beleuch- 
ten, letztere auch wegen des tragischen Omen unglaubwürdig klingt. 
Wichtig scheint mir, daß Piutarch die Nachricht offenbar nicht aus 
den Timonides-Briefen entnimmt, was aus der Composition der Vita 
ohne weiteres hervorgeht. Nämlich zwischen cap. 31, wo er den Timo- 
tides als Gewährsmann für den Namen Hipparinos angibt, und cap. 52 
(Hipparinos’ Tod) besteht kein Zusammenhang. 

. *) Der erste als Biograph und Freund Dionys’ I, der zweite, der 
ein Geschichtswerk fortsetzt, (nach Theopomp) als Genosse des Gegners 
Dions Herakleides s. Stephan. s, v. Dyme. Philistos kann übrigens den 
Tod des Hipparinos nicht erzählt haben, da seine Geschichte nach 
Diodor (XI, 89) nur bis Olymp. 104, 2 (363/2) reicht. 

.. '%) Nach capp. 22, 31, 35. Müller F.H.G. p. 83 verkennt die Frage. 
Nämlich daß Plutarch nicht erst aus etwa gefälschten Briefen des 
Imonides seine Mitwirkung erschlossen hat. zeigt cap. 50. Uebrigens 
wird heute Plutarch in diesem Punkte geglaubt (s. E. Schwartz, RE. Vl. 
1,6: „Seine a) Erzählung der Dionischen Expedition ist vor- 
trefflich; denn sie folgt, wie der Vergleich mit Plutarchs Dion lehrt, 
getreulich dem aktuellen Bericht eines Augenzeugen, des Timonides 
von Leukas (vgl. besonders Diod. XVI 12,4 mit Plut. Dio 30 Diod. XVI 
®,2 mit Plut. 47).* 


38 W. Andreae, 


sizilischen Unternehmens so interessierten Kreise so wahr- 
scheinlich, daß wir sie ohne ausdrückliche Ueberlieferung vor- 
aussetzen dürften. 

Wenn aber solche Berichte eines Augenzeugen in der Aka- 
demie vorgelegen haben, so müssen wir annehmen, daß der 
Schreiber auch aus ihnen geschöpft hat, sei es nun Platon, 
sofern er die Ereignisse nicht miterlebte, oder ein Fälscher, 
der sich offensichtlich — nach den Briefen selbst zu urteilen 
— bis in alle Einzelheiten unterrichtet hat. Demnach schöpfen 
die Briefe, was Sizilien angeht, aus der reinsten Quelle, und 
jede historische Kritik an den Daten, die sie uns über die 
sizilischen Verhältnisse geben, muß bei dem mangelhaften 
Stande unserer Ueberlieferung unfruchtbar sein. 


3. 


Aber dadurch sind nur Teile der Briefsammlung, nicht 
diese an sich vor grundlosem Verdachte geschützt. Mit der 
Frage nach ihrer Entstehung kehren wir zur Philologie und 
den Zeugnissen zurück. 

Das älteste für die Sammlung bietet die fünfte Trilogie 
des Aristophanes von Byzanz, die nach Diogenes Laertius 
(III, 61): Kriton, Phaidon, Briefe umfaßte. 

Die Aufnahme in das Corpus Platonicum gegen das Ende 
des dritten Jahrhunderts beweist aber noch nicht die Echtheit 
einer Schrift, sonst müßten wir etwa den Minos oder die Epi- 
nomis auch als Platonisch gelten lassen. Ferner wissen wir 
nicht, ob die Trilogie grade die dreizehn Briefe, die wir heute 
lesen, enthielt. Nur soviel ist festzuhalten: daß damals schon 
eine Sammlung, ob eclıt oder unecht, bestand, und daß wir 
sie wie auch die übrigen Werke Platons unvermindert besitzen. 
Dagegen können sehr wohl noch später Briefe hinzugekommen 
sein. Denn unsere dreizehn bezeugt erst 'Thrasyllos, den wir 
(vielleicht zu Unrecht) mit dem Hofastrologen des Tiberius 
identifizieren. Daß diese Ordnung, die uns ebenfalls Diogenes 
überliefert (III, 60/61), erst von Thrasyll geschaffen sei, läßt 
sich trotz der von Nietzsche !!) aufgedeckten Pythagoreischen 


11) Nietzsche, Philologica II (Leipzig 1913) p. 330 ff. vgl. meine 
Anmerkung 2, 


| | 


-...- Pr 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 39: 


Zahlensymbolik nicht beweisen, vielmehr darf man annehmen, 
daß sie schon auf Derkyllides zurückgeht. Damit kämen wir 
in die Zeit vor Varro!?). Aber auch von Derkyllides, der uns 
eigentlich nur dem Namen nach bekannt ist, kommen wir 
nicht weiter. | 

Die Reihenfolge der Briefe, in der sie Diogenes auf- 
gezählt hat, läßt nur erkennen, daß die ersten neun nach 
dem Alphabet (der Empfängernamen) geordnet, die letzten vier 
esnicht sind. Es scheinen also schon hier zwei Sammlungen 
vereint zu sein, oder eine ältere wurde um neue Stücke ver- 
mehtt. Doch genügt das Material!®) nicht, um der einen 
oder andern Gruppe den Vorzug zu geben. 

So ist uns auch hier wieder der Weg versperrt; als Aus- 
weg bietet sich eine Untersuchung über die Tendenz des 
Sammlers an. 

Diese glaubte Immisch:*) erkannt zu haben: Der Sammler 
ist ihm ein Dogmatiker, der das Schlußglied in der Systematik 
der Platonischen Altersschriften mit den Briefen ersatzweise 
darbot. Dem widerspricht aber die neunte Thrasyllos-Tetra- 
logie'5), auf die man sich dafür allein berufen kann. Näm- 
lih wenn sie als letztes Stück die tpim noArteix!®) enthalten 
soll, so müßten doch in ihr die Briefe als politische, nicht 
sber als ethische Schrift, wie es tatsächlich der Fall ist, ver- 
zeichnet stehen. An dieser Ueberlieferung können die geist- 
reichsten Konstruktionen nichts ändern. Aber von der Ueber- 


’) Wenigstens hat Christ mit dieser Annahme ein bis dahin un- 

verständliches Zitat Varro’s de lingua latina VII, 37 erklären können: 
‚Plato in quarto de fluminibus apud inferos, quae sint, in his unum 
Tartarım appellat“ (Phaedon p. 112 ff.). Das bezieht Christ auf den 
ersten Dialog der vierten Thrasyllos-Tetralogie.e Damit bringt er den 
on Albinus isag. c.4 bezeugten Ordner Derkyllides in Zusammenhang. 
Christ: Platon. Studien, Abh. der Bayr. Akad. XVIII, 2 Münch. 1885 
p. 495—6. 
‘3 Von den Briefen selbst ausgehend kommt man zu keinem 
ıcheren Ergebnis. Beispielsweise hält Wilamowitz „Platon“ II p. 279 ff. 
Epp. VI, VII ,VIL für echt, I—IV, V, IX, XII für sicher unecht (übrigens 
ohne sein Urteil über die Unechtheit wissenschaftlich zu begründen). 
Von diesen gehört aber VI der ersten, IV der zweiten Gruppe an. 

#, Philologus 1913 p- 1ff. 

's) Das drückt Immisch so aus: „Zwar die tetralogische Anord- 
tung allein, in der diese Stellung auch äußerlich zutage tritt, würde 

ützutage schwerlich jemand davon überzeugen, daß die damit ge- 
gebene Auffassung irgendwie maßgeblich sei.* 

*) ebd. p. 13, 


40 W.Andreae, 


lieferung abzusehen handelt es sich wirklich um ethische 
Schriften. Positive politische Vorschriften enthält eigentlich 
nur der achte Brief. Die Frage ist freilich insofern nicht ganz 
einfach, als ja Ethik, Politik und Philosophie bei Platon lebendig 
eins sind. Aber wie man gleichwohl die Gesetze eine politische 
Schrift nennen wird, sind es die Briefe als ganzes keinesfalls. 

Also auch hier sind wir wieder einstweilen am Ende. 
Auch aus der Kritik am zwölften Briefe, von der wir oben 
sprachen, läßt sich nichts folgern. Denn die Fälschung der 
Okellosschriften (vgl. Anm. 2) ist sicher später als Aristophanes, 
so daß dies umsichtige Urteil nicht für den ersten Sammler 
in Anspruch genommen werden darf. 


5. 


“ Aber die Ueberlieferungsgeschichte gibt uns zwei bisher 
zu wenig beachtete Tatsachen an die Hand. Der „Verleger. 
Platons“ ist der Syrakusaner Hermodor!?”), von dem wir ein 
besonderes Interesse an den Briefen, sofern sie die Geschicke 
seiner Heimat angehn, voraussetzen dürfen. Auch ist wenig- 
stens bezeugt, daß er Platonische Schriften nach Sizilien ver- 
kauft hat!®). Darauf einen historischen Roman aufzubauen und 
etwa behaupten zu wollen, er habe sie aus den Syrakusanischen 
Staatsarchiven hervorgeholt, liegt uns fern, aber möglich wäre 
es immerhin. Eine andere Annahme, daß Platon selbst von so 
wichtigen Briefen, wie dem siebenten und achten, die von 
vorneherein zur Veröffentlichung bestimmt scheinen, Konzepte !°) 
oder Abschriften aufbewahrte, hat große Wahrscheinlichkeit. 
Nämlich die in ihnen deutliche apologetische Tendenz verlangt 
nach einem größeren Wirkungskreis ?°), als in die Dionische 
Partei in Syrakus bilden konnte. 

ı7) Ed. Zeller: Diatribe de Herinodoro Ephesio et Hermodoro Pla- 
tonico Progr. Marburg 1859 p. 17—18. 

18) Suidas ad verba: Acyoıowv “Eppödwpog Enropehberar: 6 "Eppödwrpog 
dupoatiig Yevinevog IlMatwvog Tolg dr’ abrod auvrsdein&voug Adyoug RopikwmYv 
sic Zıxeilav Enwist, 

ı) Ohne mich Seeck’s Ansicht durchweg anzuschließen, teile ich 
aus seinem populären Aufsatz: „Der antike Brief* Deutsche Rundschau 
1907 p. 65 folgendes mit: „Vorwürfe ........ voraussehend scheint er 
von allen Briefen, die er an den Tyrannen und die späteren Macht- 
haber von Syrakus gerichtet hatte, gegen die Sitte der Zeit Konzepte 


zurückbehalten zu huben.“ 
22) Wendland, Berl. Philolog. Wochenschr. 1917 Sp. 1018 „Warum 


Die philosophischen Probleme in den Pintonischen Briefen. 41 


Als zweites scheint mir zu beachten, daß einer der Emp- 
fänger des sechsten Briefes Koriskos aus Skepsis der Vater 
des Neleus ist, von dem Strabo die bekannte Geschichte über 
die Aristotelischen Bücher erzählte Es mag hier auf sich 
beruhen, wieweit diese Ueberlieferung anekdotenhaft ausge- 
schmückt ist. Soviel bleibt sicher, daß Neleus für literarische 
Dokumente in hohem Grade interessiert war, wenn er auch 
nicht gerade der erste gewesen zu sein braucht, der „Bücher 
sammelte und die Könige von Aegypten Bibliotheken gründen 
lehrte“ (Strabo XIII p. 608). 

Also sowohl Neleus wie Hermodor hatten die Möglichkeit 
und ein Interesse, Platonische Briefe zu sammeln. Aber über- 
haupt könnte die Stellung der Empfänger, das Ansehen des 
Verfassers und der Inhalt der Briefe selbst die Aufbewahrung 
der meisten ?!) in Staatsarchiven begünstigt haben. 

Endlich dürfen wir noch aus der Tatsache, daß uns das 
gesamte corpus Platonicum erhalten ist, im allgemeinen auf 
eine sehr sorgfältige Aufbewahrung der Schriften in der Aka- 
demie schließen. Nur wissen wir darüber nichts ??). Und hier 
steht auch für die Zukunft nicht viel zu erwarten. 


6. 


Sehr zukunftsreich scheint uns dagegen ein Vergleich der 
Platonischen mit den griechischen Briefen überhaupt. Jeden- 
falls sind wir hier mit den Vorarbeiten noch soweit im Rück- 


sollte sich Platon vor Dions Freunden verteidigen?“ Dagegen Wilamo- 
witz „Platon“ II p. 290: „Es dürfte wirklich nicht verkannt werden, 
..0... daß Platon in eigener Sache zur ganzen Welt redet.* 

21), Nämlich mit Ausnahme etwa des zehnten Briefes, der an einen 
uns unbekannten Aristodoros gerichtet ist und vielleicht des elften an 
Laodamas. Aber selbst dieser könnte als Gründer einer Kolonie das 
Schreiben dem Staatsarchiv übergeben haben. 

22) Vgl. aber Wilamowitz, Philolog. Untersuch. IV.: Antigonos von 
Karystos, Berlin 1881 p. 285—6 „Timon erzählt von dem Kaufe des 
Philolaischen Werkes; Dan von der Einführung des Sophron ..... ; 
bezeichnender als alle Herakleides davon, daß Platon ihm bei seiner 
Keise nach Asien den Auftrag gegeben hätte, die Gedichte des Anti- 
machos ...... aufzutreiben.“ „Platons Schriften ...... sind im Ver- 
lage der Akademie erschienen ...... Die oben ($. 122) verzeichnete 
Notiz des Antigonos (Diog. L. 111, 66), daß die Platonischen Werke zuerst 
nach ihrem Erscheinen gegen Geldentschädigung verliehen wurden, 
er:cheint nun ganz verständlich; ebenso, wenn wir nach Platons Tode 

die unvollendeten Werke teils als torsi, wie den Kritias, teils zu einer 


49 W.Andreae, 


stande, daß hier ein weiteres Vordringen versucht werden 
muß. Nach unseren eigenen Versuchen zu urteilen verspricht 
es guten Erfolg. 

Zunächst bieten sich die Sokratikerbriefe zum Vergleich 
an. Doch ist bei ihnen das Problem mit dem unseren un- 
lösbar verknüpft *®). Die Briefe der Redner dagegen sowie 
die Aristotelischen und Epikureischen lassen eine abgesonderte 
Betrachtung zu. Ein endgiltiges Resultat?) steht noch nicht 
fest. Ueberhaupt fehlt es wie gesagt, an einer Geschichte des 
Griechischen Briefes, die freilich ihrerseits die Entscheidung 
über die Echtheit der wichtigeren Sammlungen oder doch die 
zeitliche Fixierung einer größeren Anzahl von Briefen (auch 
die Datierung offensichtlicher Fälschungen ist wichtig) zur 
Voraussetzung hätte. Der von Gerhard?) gemachte Anfang 
ist außer den bekannten Untersuchungen Bentley’s die einzige 
Arbeit, die das Problem im ganzen angepackt hat. So sind 
wir für weitere Forschung im wesentlichen immer noch auf 
Hercher-Westermann angewiesen, deren ungeheures Material 
zunächst einer durchgreifenden Textkritik bedarf. 

Wenn durch solchen Mangel an Vorarbeiten nun auch 
ein Vergleich mit anderen Briefen des vierten Jahrhunderts 
erschwert wird, so läßt sich doch schon zeigen, daß die 
typischen Kennzeichen der Fälschung (vor allem der hohle 
rhetorische oft auch epigrammatische Stil) in den Platonischen 
Briefen — mit Ausnahme des ersten — nicht vorkommen. 

Was Bentley in diesem Sinne festgestellt hat, bedürfte 


Art ganzem redigiert, wie die Gesetze, erscheinen sehen. — Schließlich 
danken wir dieser Institution wohl auch die überaus glückliche Er- 
haltung einen vollständigen Sammlung. ...* 


33, Ritter: Neue Platon. Untersuch. VII. München p. 327 ff. Dümm- 
ler: Kl. Schr. I, 121. Adam, Arch. f. Gesch. d. Phil. (XXIII) 8. 34 weist 
nach, daß von den Sokratikerbriefen abgeschrieben sind Nr. 1 aus 
Ep. Il, Nr. 15 und Nr. 22 aus Ep. II, Nr. 34 und Nr. 35 aus Ep. IV, 
Nr. 32 aus Ep. X. 

#) Die Literatur ist zu umfangreich, um anmerkungsweise behan- 
delt zu werden. Wichtig ist, daß Pomtow auf Grund der von Homolle 
ergänzten Delphischen Inschrift über die Ehrung und Bekränzung 
des Aristoteles die lichtheit seines Briefes an Antipatros aus d. J. 323 
wel, Aelian V. H. XIV, 1) bewiesen hat. Philolog. Wochenschr. 1899 
3. 254. 


25) Philologus 1905, 27; unterrichtet leider nur über die Anfangs- 
und Schlußformeln. Eine wertvolle Ergünzung bietet F. Ziemann: De 
ep. Graec. formulis sollemnibus quaest. sel. Dissert. Hal. 1910. 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 43 


einer weiteren systematischen Ausführung. Auf Grund der 
tonor ErtotoA:xo? wären objektive Kennzeichen der Fälschung 
aufzusuchen und zu ordnen. Die einzige Schwierigkeit dieser 
Untersuchung liegt darin, daß auch gerade ursprünglich echte 
Motive in Fälschungen phrasenhaft wiederholt werden. Doch 
ist für einen, der ein Ohr für das Echte hat, die Entschei- 
dung meist leicht und sicher zu treffen. 


7. 


Wegen des Platonischen Stils der Briefe besteht heute 
übrigens kaum noch ein Zweifel, obwohl die Methode der 
Stilometrie und Wortstatistik versagt hat?®) und versagen 
mußte, weil Briefe eben keine Kunstdialoge sind. Ueberhaupt 
ist der Vergleich von bloßen Worten und Sätzen zwischen 
Brief und Werk Platons mißlich?’). Denn allzuoft bleibt es 
der Willkür vorbehalten, aus Aehnlichkeiten der verglichenen 
Stellen auf einen geschickten Entlehner oder die Identität 
der Verfasser zu schließen, wofür die Literatur fast lächer- 
liche Beispiele bietet. 

Man wird weniger. von Einzelheiten als dem Gesamtbilde 
Platons ausgehen müssen, zunächst aber fragen : Ist es über- 
haupt wahrscheinlich, daß Platon Briefe geschrieben hat? 

Was die technische Seite der Frage angeht ?®), so ergeben 
sich keine Schwierigkeiten. Es steht fest, daß tiber kurze 
Anfragen und Antworten hinausgebende Briefwechsel zu An- 
fang des vierten Jahrhunderts bestanden haben *?). Aber daß 
Platon Briefe geschrieben, philosophische Fragen in Briefen 
behandelt bat, könnte „literarisch“®°), unplatonisch scheinen. 


:*) Das zeigt am besten die Controverse Ritter-Raeder. Ritter, 
Neue Plat. Unters. S. 346 ff. 

»!) Als grundlegende Arbeit auf diesem Gebiete verdient hervor- 
gehoben zu werden: J. Bertheau, Diss. Hal. vol. XVII, p. 2 ff. 

») Man darf nur nicht an Wachstafeln denken. Für umfangreichere 
Briefe war Papyros das Schreibmaterial, vgl. Gardthausen: Griech. 
Palaeographie?. Leipzig 1911 p. 162 ff.: „Der Brief der eigentlich klas- 
sischen Zeit war natürlich auf Papyros geschrieben.“ 

. ”) Das zeigt sich am deutlichsten in der Rückwirkung auf die 
Literatur; sowohl die Werke der Historiker (Thukydides, Herodot) als 
der Dichter (Euripides) sprechen dafür. 

”) Man denke an den Jüngling, der unter dem Eindruck Sokrati- 
schen Lebens seine Tragdödien verbrennt: 


44 W. Andreae, 


„Immer aber ist festzuhalten, daß der Schriftsteller Platon 
nur ein Eidolon von dem eigentlichen Lehrer Platon ist, eine 
Anamnesis an die Reden im Akademosgarten. .... Er hat 
geschrieben, um seine akademischen Gefährten zu bestärken 
im Kampfe*“ ®). 

Diese Worte Friedrich Nietzsches gelten für alle seine 
Schriften, ihre Wahrheit zeigt sich aber in den Briefen anı 
deutlichsten. Ä 

Diese Form der Darstellung ist von Platons Leben aus 
ebensowenig zufällig wie der Dialog. Um es formelhaft zu 
sagen: Dieser ist im Erlebnis Sokrates, jene in seiner Liebe 
zu Dion begründet. 

Es läßt sich erweisen, daß die Platonischen nicht die 
Aristotelischen Briefe das für die griechische Briefliteratu, 
„epochemachende Ereignis“ gewesen sind °?), wie der Plato 
nische Dialog diese Forn wenn nicht geschaffen so doch zı 
wirklichem Leben erweckt hat. 

Die Verwandtschaft der beiden Formen hat schon de 
Sammler der Aristotelesbriefe Artemon bemerkt, wenn er de 
„Brief gleichsam die eine Hälfte des Dialogs“ nennt 3°). 

Ohne hier den Stil der Platonischen Dialoge und Brie! 
im einzelnen vergleichen zu wollen, weisen wir kurz daraı 
hin, daß sich auch in diesen und vorzüglich in ihren philos: 
phischen Partien dramatisch-dialoghafte Unterbrechung: 
finden °%). 


s1) Nietzsche: Philologica III, p. 238—39. 

22) Wilamowitz: Antigonos von Karystos (Anm. 15 z. S.151) „Son 
scheint mir die Aristotelische (Briefgammlung) das epochemachen 
Ereignis. Danach ist dann der Platonische Briefwechsel und die übrig 
Sokratischen gefälscht ...... “ Die Unrichtigkeit dieser Behauptu 
wird völlig evident, sofern man zugibt, daß sich im 4. Aristotelesbr 
ein Citat aus dem siebenten Platonbrief findet. Die Stelle lautet: 
av xark Iiatwva xperttövov und bezieht sich auf Ep. VII, p. 326 
Die Wahrscheinlichkeit, daß die Aristotelesbriefe von den Platonisct 
abhängen, vermehrt sich, weil wir im 1. Aristotelesbrief ein „sY ncä&: 
und den an den siebenten Platonbrief anklingenden Ausdruck: „tz 
yodv Eyovras ı@v duvaoreuövtwov® finden. Letzteres ist besonders wich 
weil man für Platon an dem Worte Anstoß genommen hat. Ich t: 
dies mit, obwohl ich persönlich den ersten Aristotelesbrief für une 
halte. 

>) Demetrius rn. &rp. 223. 

=) So wird (Ep. Il, p. 313 A) die Seele redend eingeführt, hä 
werden briefliche Mitteilungen in direkter Rede eingeschoben, Gespri 
in dialogischer Form wiedergegeben (so Ep. VlI, p. 3480 —349 E) 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 45 


Trotzdem ist soviel festzuhalten, daß die Briefe sich hin- 
sichtlich dramatischer Kraft mit den Dialogen der Jugend 
und des Mannesalters nicht vergleichen lassen. Aber ein Sinken 
dieser Kraft mit zunehmendem Alter ist an sich natürlich und 
auch im Platonischen Werke zu verfolgen. So wird es durchaus 
wahrscheinlich, daß sich der greise Philosoph zu einer Zeit, 
da er seine Gedanken nicht mehr im lebendigen Spiel von 
Rede und Gegenrede erwachsen ließ, lehrhaft aussprechen 
mochte in Briefen an seine in der Ferne weilenden Genossen 
oder seines Rates bedürftige einflußreiche Männer. 

Wir haben die Betrachtung soweit durchgeführt, daß die 
Echtheit der Platonischen Briefe im großen ganzen als wahr- 
scheinlich, ja sicher gelten darf. Die historische Kritik ist 
prinzipiell — wenn auch der Zweifel wegen der Nachrichten 
über Hipparinos’ Tod nicht entkräftet werden konnte — ab- 
gewiesen. Nach dem Stande der Philologie, insbesondere der 
literar-historischen Wissenschaft, sind wir einstweilen gebunden, 
Platon für den Verfasser zu halten. So weist alles auf eine 
Betrachtung °°) des philosophischen Inbalts hin. 

Unser Standpunkt sei noch einmal festgelegt: Als Ziel 
steht uns vor Augen die Lebenshaltung des Philosophen Platon, 
wie sie aus seinen Werken und den Briefen erhellt, einheitlich 
zu fassen und darzustellen. Vor dieser gewaltigen Aufgabe 
bescheiden wir uns zunächst mit dem Versuche, die philo- 
sophischen Probleme, die die Exkurse des siebenten und zweiten 
Briefes bieten, in den Zusammenhang der Platonischen Ge- 
dankengänge einzureihen. Dabei wird sich ergeben, daß hier 
und dort die gleiche Schau und Haltung herrschen, daß eine 
so geführte Betrachtung das Verständnis für Werk und Brief 
wechselseitig fördert. 


legentlich auch Platons eigene Worte zitiert (Ep. VII, 347 B/C. 350 C). 
Darüber geht der Briefschreiber noch hinaus, wenn er Anklagen, die 
Dion hätte erheben können, diesen aussprechen läßt (Ep. VII, 328 D—329) 
oder den Rat, den Platon erteilt, als eine Rede des gestorbenen Dion 
an seine Freunde gibt (vgl. Ep. V, 322 A—B). 

»5) Doch soll damit nicht die historisch-philologische Interpretation 
für überflüssig erklärt werden. Diese auf alle Briefe ausgedehnt könnte 
sehr wohl zur Zusammenfassung einzelner Briefe zu Gruppen führen 
und uns so über die Tendenz des Samnilers aufklären. Nur ist bisher 
noch nichts Endgültiges [estgestellt — und es ist auch sehr schwer! 


46 W. Andreae, 


Der philosophische Exkurs des siebenten Briefes. 
1. 


Wir behandeln zunächst den Exkurs des siebenten Briefes 
(St. p. 340 B bis 345C) und gehen auf die außer-philosopbischen 
Fragen nur so weit ein, als es der Zusammenhang mit dem 
ganzen fordert. 

Doch betrachten wir die Stelle vorzüglich losgelöst als 
eine Abschweifung (rA&vos) ?®), wie sie der Briefschreiber selbst 
genommen wissen wollte. 

Die Hauptfrage, die bier an einem Einzelfalle entwickelt 
wird, ist die nach der philosophischen Haltung, welche, wie 
überall bei Platon, auf einem Doppelteinen beruht: auf der 
sittlichen und intellektuellen Veranlagung. 

(Ep. VII. p. 344A). „Wer nicht zum Werke geboren ist, 
den kann weder Gelehrigkeit noch Gedächtnis zum Philosophen 
machen, denn in Menschen von fremder Haltung komnıt es über- 
haupt nicht zustande, so daß alle, die nicht für das Gerechte und 
was schön ist, geschaffen und geboren sondern anders sind, in 
anderem gelehrig und zugleich von gutem Gedächtnis, und ebenso 
alle, die dazu geboren aber ungelehrig und olıne Gedächtnis 
sind, nie und nimmer das wahre Wesen der Tugend und Schlech- 
tigkeit bis zur Möglichkeit verstehen lernen.“ Es ist wahr, 
daß sich sonst in Platons Werken eine so eindeutig begriff- 
liche Feststellung über den Beruf zur Philosophie selten findet °”), 
aber gerade darum können diese Worte nicht — wie man von 
anderen Sätzen dieser Darlegung behauptet hat — aus den’ 
Dialogen entnommen sein. Aber ebenso wahr ist, was wir in 
folgendem zu beweisen unternehmen, daß diese Sätze nichts 
anderes als eine gedrängte Zusammenfassung echt Platonischer 
Gedanken sind. 

Wenn alle Philosophie auf Anamnesis beruht — und diesen 
im Menon bewiesenen Satz hat Platon niemals aufgegeben — 
so müssen in der Psyche jedes Menschen, der zum np&ypa be- 


6) Allgemeiner behandle ich die gesamten Briefe in der Einleitung 
und den Erläuterungen zu: Platons Staatschriften griechisch und deutsch 
Bd.1. Briefe in der „Herdflamme“ Wien 1922 

37) Vgl. aber Staat p. 473 A. 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 47 


rufen ist, schon die Keime liegen, die durch wissenschaftliche 
Schulung zwar zu entwickeln sind, nicht aber in die Seele 
hineingelegt werden können®®). Daß tatsächlich eine Ver- 
schiedenheit von Anlagen in diesem Sinne besteht, hat Platon 
zu wiederholten Malen ausgesprochen, am allgemeinsten in dem 
Mythos von der Mischnng der Seelen mit Gold, Silber oder 
Eisen und Erz im Staat (p. 415), im besonderen aber und 
ganz im Sinne der Briefstelle im Phaidros ausgeführt. Dort 
ın der Palinodie des Sokrates werden anläßlich der Seelen- 
wanderung neun menschliche Stufen unterschieden (p. 248 D/E) 
und als erste, wie immer, die philosophische gesetzt. Dann 
aber heißt es: „Denn der Mensch muß begrifflich Geformtes 
verstehen, wie es aus vielen Sinneseindrücken hervorgeht und 
durch Denken in eins zusammengefaßt wird. Das ist das 
Wiedererinnern an jene Form, die unsere Seele einst sah auf 
ihrem Zuge mit dem Gotte und bei der Ueberschau dessen, 
was wir jetzt Sein nennen und bei der Erhebung ins wirk- 
liche Sein“ (p. 249B). Zwar ist die Schau der Wirklichkeit 
überhaupt Vorbedingung für die Menschwerdung („eine Seele, 
die nie die Wahrheit schaute, wird nicht in diese Form kom- 
men“ ebd.), aber die philosophische Anlage setzt einen an- ' 
deren Grad und eine größere Klarheit der Schau voraus, oder, 
um es mit Sokrates Worten zu sagen, nur „die Seele, die das 
meiste sah“, kann zur Pilosophie gelangen. Im Phaidon 
(p. 79D) endlich steht wörtlich der Ausdruck des Briefes °°); 
die ganze Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend findet bier 
nebenbei ihre Beantwortung. Da Lehren nur Entfaltung, nur 
Wiedererweckung des in der Seele Liegenden ist, kann nur der 
Tugendhafte Tugend lernen, oder mit den Worten der Brief- 
stelle: nur „wer für das Gerechte und was sonst schön ist, 
geschaffen und geboren“ wurde. Eine andere Lehre von außen 
gibt es nicht. Mit dem gleichen Bilde wie im siebenten Brief 
wird im „Staat“ auf die Unmöglichkeit der Belehrung un- 
philosophischer Naturen hingewiesen, indem hier (p.518B) die 
Lehrer verspottet werden, die „behaupten, Wissen in die Seele 


) vel: die wegen des Kairos für Lehren und Lernen wichtige Stelle 
Ges. p. 968 E. 


”) Vgl. Phaidros p. 276 E „eine gemäße Seele‘. 


48 W. Andrese, 


legen zu können, olıne daß es darin ist, als ob man in blinde 
Augen Sehkraft legen kann* und dort (p. 343E) gesagt wird: 
„wenn das Wesen schlecht ist, wie es die seelische Haltung 
der Vielen zum Lernen und dem was Ethos genannt wird von 
Natur, dies aber aus Verdorbenheit ist, so könnte solche auch 
Lynkeus nicht sehend machen.* Was unter gutem Wesen - 
(Ep. VII. p. 343 E) und Verdorbenheit zu verstehen sei, hat 
Platon mit aller Deutlichkeit gesagt: „So wäre denn Tugend 
offenbar Gesundheit und Schönheit und ein Wohlverhalten der 
Seele, Schlechtigkeit aber Krankheit und Häßlichkeit und 
Schwachheit* (Staat p. 444 D—E). Wohlverhalten ededi« um- 
faßt aber ein Doppeltes: sowohl ein physisches Moment im 
Sinne von Kraft und Wohlbefinden als auch ein ethisches im 
Sinne der guten Haltung. Diese Verschwisterung des Leib- 
lichen und Geistigen ist für den Griechen viel natürlicher als 
für uns, indem @perh sowohl die sittliche wie auch die leib- 
liche und geistige Tüchtigkeit umfaßt, welches alles denn 
unter dem Begriffe der Tugend als Gesundheit gegeben wird. 
Und so heißt es auch im zehnten Brief (p. 358 C) „das Feste 
und Treue und Gesunde, dies sage ich, sei die wahre Philo- 
sophie* (vgl. u. a. Phaidon p. 69 A). 

Aber viel bestimmter noch wird die philosophische An- 
lage im „Staate“ mit den Prädikaten pvnkwv, eüpnxßns, HEYX- 
Annpentg, eDxapıs, PlAog TE Xal auyyevns KAndelas ömarosbvns 
avöpelag owppoabvng 4%) (p. 487 A) gekennzeichnet. Dabei 
ist die Uebereinstimmung der beiden Stellen in den auch in 
den „Gesetzen“ (p. 709 E) wiederkehrenden Ausdrücken weniger 
wichtig als die enge Verknüpfung der Gedanken. Nämlich 
durch die Frage des Sokrates : „Oder meinst du, daß man je 
etwas lieben kann, was man (eben mangels Gedächtnis und 
Begabung) nur kümmerlich verrichtet?“ (Staat p. 486 0) er- 
fährt die Briefstelle eine begründende Ergänzung. Im „Staat“ 
wird aber auch die Gegenseite beleuchtet, an einem Beispiele 
gezeigt, daß die Intelligenz allein zum Philosophen nicht ge- 
nügt: „Oder hast du noch nicht bemerkt, wie das Seelchen 


*) Vgl. die mit Recht auf Dionys gedeutete Stelle: „Laßt mir den 
Staat vom Tyrannen beherrscht sein und der 'Tyrann soll jung sein 
and von gutem Gedächtnis und begabt und tapfer und eine großzügige 
Natur“ (Ges. p. T0IE). 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 49 


derer, die man zwar klug aber nichtswürdig nennt, einen 
schlauen Blick hat und die Dinge denen es sich zuwendet 
scharf durchschaut mit gar nicht schwachem Gesicht, aber 
doch gezwungen ist, der Schlechtigkeit zu frohnden, und je 
schärfer es blickt desto mehr Uebel anrichtet?* (p. 519 A, vgl. 
.p.p. 486—7, 503 C, 535 B—C und Menexenos p. 246 E). 
Auch die Vergleichung des Erkenntnisvermögens mit dem 
Gesichtssinne wird im „Staate“ weiter ausgeführt: das Auge 
könne sich nur mit dem ganzen Leibe aus dem Dunkeln 
sum Licht wenden (p. 518 B—C), womit dann ganz im Sinne 
des Briefes gesagt wird, daß die Philosophie nicht allein den 
Verstand des Menschen, sondern sein ganzes Wesen, ein be- 
stimmtes menschliches Sein und Sichverhalten fordert. 

„Die Geburt der Sittlichkeit aus der Weltschau und 
Gottesschau wird uns am deutlichsten bei Platon: „Tugend 
ist Wissen“ heißt nicht, daß man sich erst vergewissern solle, 
was das Rechte sei und dann es tun, sondern daß das rechte 
Sein und Tun unmittelbar mit der wahren Schau der Welt- 
ordnung, des Kosmos gegeben sei. Das rechte Sein und die 
wahre Schau sind miteinander nicht kausal verknüpft — wie 
Intellektualisten oder Voluntaristen meinen in ihrem Streit, 
ob Einsicht oder Trieb zuerst sei — sondern sie sind eins: 
man schaut nur was und soweit man ist. Die Trennung der 
Ethik vom Gesamt-Weltbild, das Sollen an sich, das abge- 
sonderte und abgezogene Sittengesetz, das quer durch die wie 
immer beschaffene Welt schneidet, kennt Platon. noch so 
wenig, wie er eine gesonderte Wissenschaft vom Weahren, 
Guten und Schönen kennt, nach der man dann hinterher den 
Willen reguliert. Er kennt eine wahre Ordnung der Welt 
kraft erleuchteter Schau, die mit einen Wesen gegeben ist, 
und er sieht deren Mißwendung in seiner Zeit, denn das je- 
weils Vorhandene ist nicht immer das Ewig-Wirkliche. Sein 
sogenannter „ethischer Wille“ ıst die Leidenschaft die wahre 
Ordnung an seinen Mitbürgern zu verwirklichen, seine so- 
genannte „wissenschaftliche Methode“ ist sein Mittel sie ihnen 
zu zeigen, damit sie das Wahre schauend unmittelbar richtig 
sein. Man hat ihn dann durch die Jahrhunderte hin mißdeutet 
als einen Mann der nebeneinander bestimmte durch begriff- 

Philologus LXXVILI (N. F. XXXIIJ), 1]2. 4 


50 W. Andresae, 


liches Nachdenken erworbene Wesenslehren auf verschiedenen 
Gebieten durch mehr oder minder wissenschaftliches Verfahren 
und in möglichst gefälliger, daher oft poetischer Form ver- 
mitteln wollte, * " 

Wir haben uns nicht enthalten, diese Worte Friedrich 
Gundolfs *) hier nachträglich einzufügen, denn sie rücken 
diese Frage ganz in den Mittelpunkt des Platonischen Werkes. 
So erhält die Uebereinstimmung zwischen Brief und Werk in 
diesem Punkte ausschlaggebende Bedeutung. 


2. 


Nach Herausstellung der Grundauffassung treten wir in 
die Behandlung des einzelnen ein: 

Der Aufbau des Exkurses ist, wie bei den Platonischen 
Dialogen, ziemlich verwickelt mit Hin- und Rückwendungen, 
aber ermangelt durchaus nicht der Folgerichtigkeit und man 
sollte sich doch vor Ausdrücken wie „halucinari“ 2) hüten. 
Freilich pflegen ja moderne Ausleger‘°), auch wo sie den 
echten Platon vor sich zu haben glauben, mit ähnlicher 
Dreistigkeit vorzugehen, wobei es dann erfreulich ist, zu denken, 
wie lange das Getadelte die Tadler überleben wird. 

Wir hatten schon oben erwähnt, daß die philosophische 
Abrechnung mit Dionys sich selbst als eine Abschweifung 
vom Thema gibt. Daß dies so sehr betont wird, scheint mir 
doch nicht gerade für eine Einschiebung der Sätze durch 
einen Fälscher zu sprechen. Ein solcher wäre wohl eher be- 
müht gewesen, die Nähte zu verstecken und dazu hätte die 
Verwandtschaft des Einleitungsgedankens mit der Einführung 
des philosophischen Exkurses eine bequeme Möglichkeit ge- 
boten. Nämlich was Platon die attische Urbanität deutlich 
auszusprechen nicht verstattete, ist dem Sinn nach gegeben: 
Wie ich jetzt eure Gesinnung zu erforschen suche, so stellte 
ich einst bei meiner Ankunft in Syrakus auch Dionys auf 
die Probe. Daß davon so ausführlich berichtet wird, ge- 
schieht inı letzten Grunde, um auf zartere Weise — man 
4) Friedrich Gundolf : „George* Berlin 1920. p. 243. 

1) H. T. Karsten: Commentatio critica de Platonis quae vulgo 


feruntur epistolis. Utrecht 1814 p. 201. 
#5) Apelt: Uebers. der Platonischen Briefe, Leipzig 1918 p. 140. 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Beirfen. 51 


könnte sagen indirekt — die Freunde Dions zu prüfen, was 
ja der zum mindesten vorgebliche Zweck des siebenten Briefes 
zum größten Teil ist. (Vgl. Ep. VII. p. 324). Der Exkurs 
hängt also innerlich mit dem Briefthema aufs engste zusammen 
und stellt sich nur äußerlich als Abschweifung dar. Es hat 
also gerade das Umgekehrte statt wie bei Einschiebungen 
die einem fremden Zwecke dienend sich zum Thema gehörig 
geben. 

(Ep. VII. p. 340 B.). „Als ich nun ankam, meinte ich 
zuerst ein Urteil darüber fassen zu müssen, ob Dionys 
wirklich von der Philosophie wie von Feuer ergriffen sei oder 
ob dies viele Gerede *) eitel nach Athen käme*°). Es gibt 
nun eine Weise, auf so etwas die Probe zu machen, die nicht un- 
edel und Tyrannen gegenüber wirklich angebracht ist, be- 
sonders wenn sie von Hörensagen voll sind, welches, wie ich 
gleich beim Kommen bemerkte, auch Dionys in hohem Grade 
widerfahren war. Man muß dann solchen Leuten zeigen, was 
und welcher Art die ganze Sache ist, durch wieviel Arbeiten 
sie führt und wieviel Mühe sie kostet. (C.) Denn wer das hört, 
glaubt, wenn er wirklich ein geborener und der Sache ge- 
wachsener Philosoph ist, — ein göttlicher Mann — von einem 
wunderbaren Wege gehört zu haben und daß er jetzt seine 
Kraft anspannen müsse und nicht anders leben könne. Da- 
nach tut er sich dann mit dem Führer zusammen und läßt 
nicht ab, bis er alles zu Ende gebracht oder die Kraft er- 
langt hat ohne den, der ihn wies, sich selber leiten zu können. 
(D.) Aufdiese Weise und in dieser Gesinnung lebt solch ein Mann, 
indem er zwar die Geschäfte, in denen er gerade steht, fort- 
führt, sich aber vor allem immer an die Philosophie und 
solch tägliches Leben hält, das ihm am förderlichsten ist zum 
Lernen und Behalten und ihn befähigt, nüchtern in sich zu 
denken, aber was dem widerstrebt bleibt ihm allezeit verhaßt. 
Wenn dagegen die, welche keinen echten Philosophen sondern 
mit Lehrsätzen angestrichen sind, wie Leute deren Leib von 
der Sonne verbrannt ist, nun sehen, wieviel es zu lernen gibt und 
wie lang die Mübe ist (E.) und daß nur eine mäßige Lebens- 
weise zum Werke paßt, halten sie es für schwer und ihnen unmög- 

“) Vgl. Plutarch Dio c.18.  *:) Vgl. Ep. Il p. 324. 

4° 


52 W.Andreae, 


lich und haben auch gar nicht die Möglichkeit, sich damit 
zu befassen ; (p. 341) ihrer einige aber reden sich ein, schon 
das Ganze genugsam gehört zu haben und der Arbeiten nicht 
mehr zu bedürfen. Dieser Versuch läßt sich am untrüglichsten 
und am sichersten bei Zärtlingen und solchen machen, die 
nicht imstande sind sich durchzuringen, weil so niemand je 
den Unterweisenden der Schuld zeihen kann sondern nur sich 
selbst, wenn er für die Sache nicht alles Zuträgliche zu tun 
vermag.“ Diese anscheinend allgemeinen Sätze könnte Platon 
sehr wohl in Erinnerung an Dion geschrieben haben, wenig- 
stens hatte dieser den ganzen philosophischen Eifer (vgl. Ep. 
VII p. 8327 A—C), der hier gefordert wird, bewiesen und sich 
neben den Geschäften, in denen er gerade stand, vorzüglich 
dem akademischen Leben gewidmet, so daß auch hier wieder 
der innere Zusammenhang deutlich wird. Zwischen den Zeilen 
steht diese Frage: Werdet auch ihr, die ihr euch seine Freunde 
nennt, handeln wie er, oder gehört ihr wie Dionys nur zu den 
Scheinphilosophen? Im übrigen scheint auch hier wie im 
ganzen Brief etwas wie eine apologetische Tendenz durch, be- 
sonders im Schlußsatz (p. 341 a). Wenn man aber daraus 
auf eine Fälschung hat schließen wollen, so ist zu erwidern, 
daß nur ein unwürdiger Ton in der Verteidigung diese selbst 
unplatonisch machen würde. Denn apologetische Tendenz 
haben neben der Verteidigungsrede des Sokrates viele Stellen 
in den platonischen Dialogen vorzüglich im „Staat“, und zwar 
ganz wie hier ist die Haltung immer die des Angriffs auf die 
unphilosophische Menge und dort wie hier oft mit bitteren 
Anklagen wegen Verweichlichung und Genußsucht, wofür es 
besonderer Beispiele nicht bedarf. Daß es aber nach einem 
solchen Fehlschlage wie der sizilischen Reise für den Gründer 
und das Schulhaupt der Akademie einer Verteidigung bedurfte, 
ist nicht zu leugnen. Daß nun diese ohne jede persönliche 
Erregtheit‘®) in den Bahnen objektiver Feststellungen und 
philosophischer Betrachtungsweise gehalten ist, spricht gewiß 
eher für die Echtheit der Briefe als gegen sie (vgl. Plutarch 
Dio 20). 


*) Vgl. u.a. Ep. VII p. 340 A „und dafür muß man nach Gott dem 
Dionys Dank wissen.“ 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 53 


An Einzelheiten wäre nur hervorzuheben, daß Platon 
rrZyp& im Sinn der Sache auf die es ihm ankommt, d. i. 
Philosophie, häufig gebraucht *”). (So steht oder sollte doch 
auch uns wieder die „Sache* tiber privaten Interessen stehen). 
Es folgt nun zunächst ganz natürlich die Anwendung und das 
Ergebnis der Probe im Falle des jüngeren Dionys. „So wurde 
denn auch damals Dionys das Gesagte gesagt, zwar ging ich 
nun weder alles durch, noch hatte Dionys es nötig, (p. 341 B) 
denn vieles und das Größte maßte er sich schon zu wissen an 
und hinlänglich innezuhaben durch Hörensagen von Anderen.* 
Wenn der Briefschreiber hier keine Namen nennt, so kann 
er die in Frage kommenden Personen darum doch gekannt 
haben. Die Namen von Dions Mördern wußte er gewiß und 
verschweigt sie dennoch (Ep. II. p. 333 E), offenbar weil er zu 
stolz ist solches Gesindel mit Namen zu nennen. 


4. 


Mit dem folgenden Satze: „Ich höre auch, er habe später 
über die Dinge geschrieben, die er damals hörte, aber als ob 
er seine eigene Lehre aufzeichnete und nicht eben das was 
er hörte, doch kenne ich nichts davon“ komnit eine ganz neue 
Frage in die Untersuchung hinein, die sogleich weiter ent- 
wickelt und auf die gegen Ende des Exkurses noch zweimal 
zurückgegriffen wird, die Frage nach der schriftlichen Auf- 
zeichnung philosophischer Erkenntnisse. 

Von Schriften Dionys’ II. wissen wir nichts. „Eine aus- 
geprägte Neigung für literarische Beschäftigung jeder Art ins- 
besondere Poesie und Philosophie“ 4°) wird man zwar annehmen 
dürfen, aber die philosophischen Versuche, die Ep. II. p. 312—13 
vorauszusetzen scheint, können schon deshalb nicht die hier 
erwähnten sein, weil der Schreiber des siebenten Briefes sie 
nicht zu kennen versichert. 

Der nächste Satz: „&Aoug p£v tıvas olda yerpaybtas repl 
tüv abrav Tourtwv, citıves && c0ö aütcl autos (p. 341 B)*°) 

") So z. B. Phaidros 232 E, Phaidon p. 61 C. Theaetet p. 168b. 
“#) (Niese) R.E.5 S. 904. 

‘*) Vielleicht ist Aristoteles gemeint, der in seinen Büchern über 


das Gute Platonische &ypaga &öypara aufgezeichnet hatte. Dies könnte 


auch eine Ausgangsstelle für dıe Deutung des Aristoxenos-Zitates auf 
Aristoteles sein. 


54 W. Andreae, 


gibt, wenn man aus dem olö« des Hauptsatzes die ent- 
sprechende Verbalform als Prädikat zu «rot ergänzt und 
übersetzt: „doch einige andere kenne ich, die über dasselbe 
geschrieben haben, doch wer immer (es tat) kannte nicht ein- 
mal sich selbst“ einen guten Sinn. Ich berufe mich hier auf 
Natorps 5°) Erklärung der Platonischen &väpvnaıg: Entoriun sei 
nur aus dem Selbstbewußtsein zu gewinnen. Wer also in 
diesem weiteren Sinne keine Selbsterkenntnis hat, kann, da 
er zur Anschauung der Idee allein aus seiner Psyche kommen 
muß, überhaupt keine Erkenntnis haben. Nur solche, will 
also dieser Satz besagen, schreiben aber tiber diese unmitteil- 
baren letzten Dinge, nur solche die anstatt aus ihrem Innern 
zu schöpfen „mit Lehrsätzen angestrichen sind“ d. h. äußere 
Belehrungen empfangen haben ohne ein philosophisches Leben 
zu führen, ohne das Erlebnis der Idee gehabt, sie im Innern 
geschaut zu haben. — Von diesem Gesichtspunkte aus, den ich 
nicht ad hoc schaffe, sondern bei Natorp schon vorfinde, läßt 
sich auch das folgende leicht überblicken: 

„Doch soviel kann ich von allen sagen die geschrieben 
(p. 341 C) haben oder schreiben werden sofern sie behaupten 
zu wissen um was ich eifre, mögen sie es von mir oder 
anderen gehört oder selbst gefunden haben wollen, daß sie 
in meinem Sinne von der Sache unmöglich etwas wissen 
können. Es gibt nämlich darüber nichts Schriftlicbes von mir 
und wird es niemals geben, denn es läßt sich gar nicht wie 
andere Lehrgegenstände aussprechen, sondern durch häufiges 
Zusammensein °!) um der Sache willen und durch Zusammen- 
leben wird im Nu?) (p.341 D) wie von springendem Feuer °3) 
ein Licht entzündet und nährt sich, in der Seele erzeugt, dann 
auch selbst. Doch soviel weiß ich, daß es geschrieben oder 
gesagt von mir wobl am schönsten gesagt würde, schlecht 
geschrieben aber gerade mich nicht wenig schmerzen muß. 
Wenn ich nun glaubte, daß es sich zur Genüge schreiben 
oder sagen ließe vor den Vielen, was hätte dann Schöneres 
von uns im Leben getan werden können, als daß wir den 


50) Platons Ideenlehre 8. 23. 
51) Vgl. Gorg. p. 461 A. Staat p.493b. Ges. p. 963 C. 
62) Vgl. Gastmahl 210 EE. 5) Vgl. Tim. p. 68 A. 


= 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 55 


Menschen zu großem Nutzen geschrieben und für alle das Wesen 
{p. 341 E) der Dinge ans Licht gebracht hätten? Aber ich 
glaube ja nicht, daß für Menschen der Versuch darüber zu 
reden gut wäre, außer für einige wenige, die es auf einen 
kleinen Fingerzeig selbst herauszufinden fähig sind, die anderen 
aber würde es teils mit verkehrter Verachtung ungebührlich 
erfüllen, teils mit hoher und hohler Hoffnung, als ob sie etwas 
Heiliges gelernt hätten.“ Diese Sätze beweisen schon deswegen 
nichts gegen das Schrifttum Platons, weil sie sich ja nur auf 
gewisse Dinge beziehen, die freilich noch der näheren Bestim- 
mung bedürfen, deren Notwendigkeit der Briefschreiber auch 
selber fühlt, wenn er fortfährt (p. 342): „Es fällt mir bei noch 
weiteres hierüber zu sagen, denn wenn das gesagt ist, dürfte 
leicht deutlicher werden, wovon ich spreche. * 


5. ? 

Worum es sich letzten Endes bei diesen dröppnt« °) 
handelt, wird im Laufe der Untersuchung deutlicher werden, 
aber soviel ist schon jetzt klar, daß die Verneinung der Lelıre 
das sokratische °°) Prinzip gegenüber dem sophistischen ist, 
und daß Platon dieses Grundprinzip des Meisters durch die 
Form seiner Werke, den Dialog, das dialektische Verfahren, 
dessen Entwicklung alsbald gegeben wird, treu bewahrt hat. 
So scheint mir auch ein Satz aus dem zweiten Briefe, der bei 
vielen Erklärern Anstoß erregt hat, seine natürliche Auslegung 
za finden: „Deswegen habe ich auch nie darüber geschrieben 
noch gibt es eine Schrift Platons oder wird es eine geben, 
sondern was man jetzt so nennt ist von dem schön und jung 
gewordenen Sokrates“ (p. 314 C). 

Platon einen verjüngten Sokrates zu nennen entbehrt, wenn 
man etwa an den „Parmenides“ denkt, gewiß nicht der Be- 
gründung. Denn hier erfährt der verstorbene Meister durch die 
Unterweisung der ehrwürdigen Eleaten in der Tat eine Ver- 
jüngung; ich meine nicht, daß er uns als wissensdurstiger, der 
Belehrung bedürftiger Jüngling vor Augen gestellt wird, sondern 
denke an die geistige Verjüngung, die ihm zuteil wird, wenn 

*) Vgl. Ges. p. 968 E. 


55) Statt vieler Verweise genügt wohl der auf die Hebammenkunst 
des Sokrates, Theaet. p. 157 G. 


56 4V. Andreae, 


sich ihm der Sokratische Begriff zur Platonischen Idee er- 
füllt und erhebt. Denn Befreiung aus der Starrheit der 
Logik zum lebendigen Schaun ist wirkliche Verjüngung. Und 
wem dies vielleicht im „Parmenides“, wo es sich mehr unı 
eine Erklärung und polemische Verteidigung der Lehre gegen- 
über Mißverstehenden °") handelt, weniger deutlich sein sollte, 
der möge sich an den Sokrates des „Phaidros“ und „Gastmahl* 
erinnern, der selbst berauscht von der seligen Schau der gött- 
lichen Mania verfällt und den Preis des Eros singt. Und 
daß der Dichter solcher Hymnen schön genannt wird, xaAd; 
an Leib und Seele gegenüber dem silenischen Sokrates, hat 
gewiß nichts befremdliches. Im letzten Grunde bleibt das 
aber eine Frage des Geschmacks. Hier muß es genügen, den 
Sinn des Bildes 5°) aufgedeckt zu haben. 

Nun ist allerdings der Jünger über den Meister sowohıl 
durch die Aufzeichnung seiner Dialoge als durch die Gründung 
der Akademie in belehrender Absicht weit hinausgegangen, 
aber Lehrsätze, ein philosophisches System hat er nicht ge- 
schaffen, auch war die Akademie mit ihren Altären des Eros 
und der Musen keine wissenschaftliche Anstalt wie etwa bald 
danach der Peripatos °®) oder gar später die Universitäten. 
Vielmehr paßt gerade auf das Leben in der Akademie das an 
dieser Stelle Gesagte: daß das Licht der Erkenntnis durch 
Zusammenleben und Sich-Unterreden entztindet wird. Ist das 
Bild des springenden Feuers für den Eros der Erkenntnis be- 
fremdlich? Wir brauchen nur an Alkibiades zu denken oder 
an Phaidros, wenn er auf Sokrates Frage nach dem Knaben, 
zu dem er sprach, antwortet: „der ist immer ganz in deiner 
Nähe so oft du willst“ (p. 243 E) oder an Apollodor im Gast- 
mahl:„daß ich mit Sokrates lebe und jeden Tag beflissen bin 
zu wissen was er sagt und tut“, um von diesem Zusammen- 
sein um der Sache willen die rechte Anschauung zu haben. 
Und geben denn nicht überhaupt die platonischen Dialoge 
das deutlichste Bild dieses ovupgp:icaogeiv? Hat im vierten 
Jahrhundert ein anderer den althellenischen und vorzüglich 

5‘) Natorp a.a.0. S, 218 ff. 

67) Das auch namhafte Gelehrte merkwürdigerweise verkannt haben. 


#°) Daß ein Unterschied in diesem Sinne vorhanden war, zeigt am 
deutlichsten die Richtung der beiden L’hilosophien. 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 57 


spartanischen Brauch der Syssitien so streng festhalten wollen 
als Platon, ist dies Zusammenleben nicht die Grundforderung 
ebenso des „Staat“ wie der „Gesetze“? Ich meine, gerade 
die Geschichte der Platonforschung gibt den besten Beweis, 
daß sich Platon immer nur mit Fingerzeigen begnügt hat 
und die letzten Weisheiten seine Schüler und Leser lieber 
selbst hat finden lassen als sie aussprechen wollen, sonst könn- 
ten nach einer Arbeit von über zweitausend Jahren seine Aus- 
leger sogar über die Fundamentalsätze seiner Philosophie nicht 
so uneins sein, wie sie es ın der Tat sind. „Parmenides* ist 
so ein Werk für einige Wenige, „die es auf einen kleinen 
Fingerzeig selbst herauszufinden fähig sind“. Es hat einen 
‚änigmatischen Charakter“. „Wer ihn verstanden hatte, mußte 
das Rätsel auflösen können“ °®). Wenn ein moderner Philo- 
soph auf Grund des Studiums zweifellos echter Schriften Pla- 
tons zu solchen Urteilen kommt, darf es uns da befremden, 
wenn Platon selbst von seinem Werke Aelhınliches sagt? 


6. 


Ich glaube, daß nur Voreingenommenheit Anstößiges in 
den Sätzen, die wir bis jetzt behandelt haben, finden kann, 
dagegen ergeben sich für das Folgende wirklich einige Schwierig- 
keiten: 

„Es gibt nämlich eine wahre gegen den gerichtete Lehre 
der sich erkühnt von diesen Dingen, was es auch sei, zu 
schreiben, die schon früher oft von mir gegeben auch jetzt 
zu sagen angemessen scheint. 

„Es gibt für jedes Seiende dreierlei wodurch die Erkennt- 
nis °°) zustande kommen muß, das vierte aber ist sie selbst. Als 
fünftes setze man es selbst (p. 342 B), weswegen es erst er- 
kennbar und auch wirklich ist. Von diesen ist das erste der 
Name, das zweite die Erklärung, das dritte die Erscheinung, 
das vierte die Erkenntnis.“ Ich habe hier gegen die Ausgaben 
die ursprüngliche Lesart der ältesten Codices A und O wieder- 
hergestellt. Sie lautet: «aurd T.hevar, Ed En Yvworöv TE val 


s#) Natorp a.a.0. S. 219, 218. 

%) Ich verweise hier auf Taylor „Analysis of Episteme in Plato’s 
serenth epistle* Mind. XXt. 1912 p. 355— 370, ohne daß ich ihm folgen 
könnte, s. a, Stenzel i. Jahresb. d. Philol. Vereins Berlin H.1, 1921. 


58 W. Andresae, 


aAndes &otıv’ @V ..., während der glattere Text der Dior- 
thoseis A? O?: aurd tıhevar del 8 ö Yvworöv Te xal KIndag 
&otıv dv weniger tief ist und, scheinbar leichter verständlich, 
im Zusammenhang des Ganzen zu Widerspruch und Schwierig- 
keit führt. 

Die Uebersetzung nach A®O? würde lauten: ‘muß man 
es selbst setzen, was erst erkennbar und wabrhaft seiend ist.’ 
In ihr kommt das Dynamische der Idee — denn diese ist in 
beiden Fällen gemeint — zu keinem Ausdruck. Sie erscheint 
nur als statischer Erkenntnisgegenstand.. Während in A O 
die Idee als Seins- und Erkenntnisgrund bingestellt wird zu- 
gleich als öövanıs und &vreAtyeız, oder, um uns vor einem 
Mißverständnis Aristotelischer Termini zu schützen, geben wir 
den Stil der Klarheit preis und drängen die Bedeutung der 
Stelle in folgenden Satz zusammen: Die Idee ist zugleich die 
Möglichkeit, daß *es selbst’ (das reine Ding) erkannt wird 
und existiert, und ist zugleich das selbst, dessen Möglichkeit 
sie ist, als vollendete: objektive, metaphysische Wirklichkeit 
Nicht ohne Grund steht «brd abgesondert von Yvwotöv re xx 
airdEs. 

Die zweite Verschiedenheit der Lesarten ist ziemlich be- 
langlos: &And&s &otıv sagt dem Platoniker an dieser Stelle 
unzweideutig, was dAnd@s &otıv 89 ausdrückt. Doch empfiehl 
sich auch hier den unverbesserten Codices zu folgen, weil 
wie oben Ööel © aus ÖLd, so hier dv aus wv vielleicht nur er 
schlossen ist und durch diese Konjektur die Verbindung zun 
nächsten Satz abgebrochen wird. Solche Verbindungslosigkei 
ist aber dem Platonischen Altersstil fremd. 

Wir kehren zum Text zurück: „Fange bei einem Stück 
an, wenn du das jetzt Gesagte verstehen lernen willst, un 
denke es dir bei allen ebenso. Kreis wird ein Ding ge 
nannt, das eben den Namen hat den wir jetzt aussprecher 
Seine Erklärung ist das zweite und besteht aus Nenn- un 
Zeitwörtern. Nämlich: das vom Rand bis zur Mitte übera 
gleichweit Entfernte, wäre die Erklärung für das, dessen Nanı 
Rund und Zirkel und Kreis ist (p. 342 C). Das dritte aber ist wa 
gezeichnet und wieder ausgelöscht, gedrechselt und vernicht: 
wird, wovon dem Kreise an sich, auf den sich dies alles b« 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 59 


zieht, nichts geschieht, da er etwas anderes ist als diese Dinge. 
Das vierte aber ist Erkenntnis und Geist und wahre Vorstel- 
lung von diesen Dingen, all dieses wieder als Eines zu setzen, 
als nicht in Sprache und Körpergestalt, sondern in der Seele 
liegend, womit es offenbar etwas anderes ist als das Wesen 
des Kreises an sich und die vorgenannten drei (p. 342 D). 
Von diesen steht durch Verwandtschaft und Gleichartigkeit 
dem fünften der Geist am nächsten und die anderen sind 
weiter entfernt.“ 

Die Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend und, was 
eng damit zusammenhängt, der schriftlichen Aufzeichnung 
philosophischer Lehre ist oben schon berührt und soll am 
Schluß ihre endgültige Beantwortung finden. Wir treten 
daher gleich in die Erörterung über die Erkenntnistheorie ein 
und fragen: Ergeben sich aus dieser Stelle Widersprüche zu dem 
was wir sonst von der Platonischen Erkenntnistheorie wissen ? 

Auf den ersten Blick könnte es scheinen, daß der im 
Briefe eingeschlagene Weg, der von den Sinnendingen aus 
zur Erkenntnis führen soll, durchaus unplatonisch sei. Der 
Schüler Heraklits konnte aus dem Flusse der Dinge nicht 
zum Bilde des Ewigseienden kommen. Auch könnte und hat 
man sich auf manches Wort ım „Phaidon“ berufen. Der 
Philosoph, heißt es dort des öfteren, müsse seine Seele ganz 
aus der Gemeinschaft mit dem Leibe lösen. Z.B. (p. 65 A) 
wird ganz deutlich gesagt: „wenn man etwas mit dem Leibe 
zu schauen sucht, wird man sicherlich von ihm betrogen“ und 
weiter unten (p. 69 D/E) stellt Sokrates die vorausgegangenen 
Untersuchungen abschließend fest: „Wenn wir je etwas klar 
wissen wollen, müssen wir uns von ihm abwenden und mit 
der Seele selbst die Dinge selber schauen.“ Aber die Folge- 
rung: Es gäbe nur zwei Möglichkeiten, entweder niemals oder 
erst nach dem Tode in den Besitz der Erkenntriis zu kommen, 
belehrt uns, daß auch die Philosophie auf ihrem Wege der 
Hilfe der Sinne nicht entbehren kann. „Wir geben jedoch 
auch zu, daß wir zu diesen Begriffen auf keinem anderen 
Weg gekommen sind noch dazu kommen können als vom 
Sehen, Fühlen oder einer anderen Wahrnehmung ausgehend ‘* ®1). 


*) p.75A, vgl. p. 76 D—E. 


60 j W. Andresae, 


Nachdem wir uns so eine Grundlage geschaffen haben, 
treten wir in die Erörterung des einzelnen ein. 


T. 


Die drei Mittel der Erkenntnis övon« Aödycs und elöwAcv 
haben nichts Befremdliches. Denn wodurch sollte die dvanvy- 
ots geweckt werden wenn nicht durch die Erscheinungen der 
Sinnenwelt und ihre dialektische Bestimmung vermittels der 
auf den Namen beruhenden Erklärung? Für Aöyog und 
övcna bietet sich nun auch in der dem siebenten Brief zeit- 
lich vielleicht zunächst liegenden Schrift Platons, den Ge- 
setzen, eine Parallelstelle: . „ Willst du nicht lieber bei jedem 
Dinge an dreierlei denken? — Wie meinst du das? — Eins 
ist sein Wesen, ein anderes des Wesens Erklärung und wieder 
ein anderes sein Name“ ®). 

Daß bier das elöwXov nicht erscheint, darf nicht befremden, 
denn es soll die Natur der Seele, für die es kein Abbild der 
Erkenntnis gibt, untersucht werden. Außerdem aber stelıt 
hier die Richtigkeit des Namens garnicht in Frage, d. Iı 
seine Beziehung zum Abbild ist ganz ausgeschaltet, um nur 
die Wechselbeziehung zwischen Namen und Erklärung zu ent- 
wickeln. Das Verhältnis zwischen Name und Ding (Abbild) 
worauf wir noch zurückkommen müssen, war schon im „Ära: 
tylos* genugsam festgestellt. Wichtig aber ist, daß elöwic 
bei Platon in der Tat (was Karsten °°) bestreitet) z& «iodrt: 
bezeichnet. Es bedarf nur eines Hinweises auf die Theori 
von der Mimesis im Staat *). Vom Standpunkt der Ideen 
lehre aus kann es für die Dinge der Erscheinung gar kein 
anderen Namen als eixöves und elöwAx geben, von ihm au 
sind auch die mathematischen Figuren, um die es sich hie 
zunächst handelt, insofern sie Nachahmungen der Idee sind 
nichts anderes als irgend ein Concretum. Es bedarf dafi 
keines besonderen Beleges, man möge aber immerhin Staa 
p. 510 D/E mit Soph. 239 D vergleichen um zu sehen, wi 
unhaltbar Karstens Behauptung ist. 


*“?) Ges. p. 895 D, Parallelstellen in Stallbaums Commentar. 
#5) Comment, crit. de Plat. ep. p. 190 ff. 
“) S. u.a. Staat pp. 599 D, 601 B. 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 61} 


Aber es soll an dieser Stelle nicht nur der Terminus 
falsch gebraucht sein, sondern auch insofern ein logischer 
Fehler vorliegen, als zwar dövon& und Aöyos Mittel zur Er- 
kenntnis sind, das elöwAov aber ein Teil des zu erkennenden 
Gegenstandes. Nun steht aber deutlich da, daß die Erkennt- 
nismöglichkeit und die Wahrheit des Seins erst auf dem fünften 
beruhen (p. 342 A/B); und wie könnte auch der vergängliche 
Kreis ein Teil des Kreises an sich sein „da er überall ans 
Grade rührt“? Es ist nach Platons Lehre ebensowenig, nein 
weniger wirklich als der Logos *); die Erscheinung ist ein 
unzulänglicheres Mittel zur Erkenntnis zu gelangen, aber nie 
ein Teil der Idee. Karstens Irrtum ist zu offenbar um dabei 
länger verweilen zu dürfen. Es beruht auf ähnlicher Flüchtig- 
keit, wenn Karsten behauptet, der Briefschreiber sage, &rtorin 
und vcös und AAndins 865% seien identisch. Nachdem nämlich 
diese drei als das vierte gesetzt sind, wird hinzugefügt: „Um 
all dieses wieder als eins zu setzen, als nicht in der Sprache 
(wie Name und Erklärung) oder Körpergestalt (wie die Er- 
scheinung) sondern in der Seele liegend usw.“ Es ist also ganz 
deutlich, daß er die drei Begriffe — von denen zum mindesten 
die zwa letzten bei Platon an allzu vielen Stellen gar zu 
deutlich unterschieden werden, als daß ein nur einigermaßen 
Kundiger darüber im Unklaren sein könnte — nur im Gegen- 
satz zu den anderen Drei als Eines setzt, was mit ws E&v 
Ber&ov vollkommen einwandafrei ausgedrückt wird. Als Ein- 
heit aber stehen sie hier, wie sie ım Staat, als zur Tugend 
gehörig, zusammengefaßt werden: „als ein elöos von d6&« Er:- 
orhjan und voSg und aller Tugend überhaupt* (p. 585B). Sie 
sind gegenüber den drei Erkenntnismitteln die drei Grade des 
Erkennens. Darauf wird hier als allgemein bekannt gar nicht 
eingegangen, sondern nur der Unterschied zwischen den Mit- 
teln und dem Erkennen selbst festgestellt. Daß aber der von 
Karsten zu Unrecht geschmähte Philosoph in der Platonischen 
Terminologie gut Bescheid weiß, erhellt daraus, daß er nun- 
mehr aus den drei Begriffen den mittleren wählt, um die Ver- 
wandtschaft mit dem fünften darzutun. Hier würden nämlich 
weder £rtornun noch 865& so gut passen wie voös. Denn vo; 


*) Phaidon p. 100 A. 


62 W. Andrese, 


bezeichnet Geist im erforderten doppelten Sinne, nämlich abso- 
lut und relativ, d.h. in Bezug auf die Dinge. Vor allem aber 
ist der Geist ‘der Steurer der Seele’, der als schöpferisches 
Vermögen über Vorstellung und Erkenntnis hinaus der Idee 
am nächsten verwandt ist, nicht der Idee als bloßem Erkennt- 
nisgegenstand sondern ihr als einer schaffenden, aufbauenden 
Kraft. Platons Hinweis auf diese Verwandtschaft zwischen 
dem Geist und ‘dem fünften’ beweist, daß unter diesem fünften 
all das gefaßt werden muß, was wir oben (S. 58) mit AO 
darin gefunden haben. 


8. 


Wir fahren im Texte fort: 

„Ebenso ist es nun mit der grad- und krumnmlinigen Figur, 
mit der Farbe, mit dem Guten, Schönen und Gerechten, mit 
jedem künstlichen und durch Natur geschaffenen Körper, mit 
Feuer, Wasser und allen solchen Stoffen, mit dem gesamten 
Tierleben und Seelenwesen und mit Tun und Leiden insge- 
samt“ (p. 342 D). 

Die Disposition ist klar, wenn auch kompliziert: Von den 
mathematischen Figuren, deren propädeutischen Wert Platon 
so oft betont hat, wendet er sich den physischen, dann den 
ethischen Qualitäten zu, um darauf zu den Körpern und Stoffen 
und endlich zum organischen Leben zu gelangen. Hier wird 
das Tierische vom Seelenleben gesondert, dann aber noch vor 
roripaTa Kal nahnpara sburavra gesprochen. Der „Sophistes‘ 
(p- 248 C) belehrt uns, was wir unter diesem letzten zu ver. 
stehen haben. Es ist dies nämlich das allgemeinste Prädika 
des Werdens gegenüber dem Sein (dt yevEoer n&v pEteot. ci 
TROXELV Kal ToLEiv Suvapewc, Tipos CE odalay TOÜTWV OoWöLTERG 
iv Sbvapıy appörterv Ypaaclv). Es steht dieser Satz als di 
ganze Natur umfassend am Schluß an der rechten Stelle. 

Insoweit wäre nichts auszusetzen, aber wie steht es nu 
hier mit dem elöwXov? Karsten bestreitet, daß es von ab 
stractis überhaupt ein etöwAov geben kann. Das ist aber ebens 
einfach wie falsch. Denn wenn die abstracta nicht irgendwi 
in die Erscheinung träten, könnten wir als sinnliche Mensche 
auch gar keine Wahrnehmung von ihnen haben. Das Gut: 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 63 


Schöne und Gerechte tritt erst dadurch in den Bereich unserer 
Erkenntnis, daß es in Menschen und Handlungen zum Aus- 
druck kommt. Schon das Wort abstractum besagt, daß der 
Begriff von etwas Concretem abgenommen ist. Wir können 
uns aber hier auch auf Platon selbst berufen. Die geschrie- 
bene Rede ist ihm ein elöwAov des Unterredens (Phaidr. 
p.276 A) und wenn man das als eine Metapher nicht gelten 
lassen will, so muß ich demgegenüber zunächst sagen, daß es 
überhaupt metaphorisch ist, die Dinge der Erscheinungswelt 
eöw)x zu nennen, kann aber auch noch andere Beispiele 
anführen, aus denen unzweifelhaft hervorgeht, daß mein obiger 
Gedankengang Platonisch ist: Ein eiöwAov der Gerechtigkeit 
wird im Staat (p. 443 B) ein Schuster genannt, der nichts als das 
ihm zukommende Handwerk treibt, im „Gastmahl“ (p. 212 A) 
wird von Abbildern der Tugend gesprochen und ich würde 
noch manches andere Platonwort anführen, wenn es nicht 
allzu deutlich im Wesen der Ideenlehre läge, daß es eiöwi« 
vom Schönen, Guten und Gerechten geben muß. Wir kehren 
also zum Texte zurück: 

„Denn wer bei diesen nicht die vier irgendwie faßt, kann 
auch nie vollkonımen einer Erkenntnis des fünften teilhaftig 
sein* (p. 342E). Hat man oben (S. 58) unter dem fünften 
nur den reinen Erkenntnisgegenstand verstanden, so kommt 
man hier zu einer Tautologie: teilhaftig einer Erkenntnis des 
Erkenntnisgegenstandes, während nach dem ursprünglichen 
Texte alles klar ıst: Das vierte: Erkenntnis, Geist und Vor- 
stellung bedeuten als ‘in der Seele liegend’ (p. 342 C) zunächst 
nur eine psychologische Erkenntnis. Erst die Erkenntnis der 
Idee gewährt die objektive, metaphysische Wirklichkeit. Diese 
kommt aber keineswegs in allen, die sich der drei Erkenntnis- 
mittel bedienen, ‘vollkommen’ zustande. Sonst hätte die Forde- 
rung einer angeborenen Verwandtschaft mit der ‘Sache’ keinen 
Sinn, da doch offenbar jeder, auch der in Platons Sinne nicht 
zur Philosophie berufene Mensch über den Logos hinaus zu 
einer Erkenntnis, sei sie logisch oder psychologisch, gelangt. 
Auch sagt Platon im „ Theaetet“ (p. 208 B) ausdrücklich, daß es 
eine ner& Aöyou örhin Sö&x gibt, die noch keine reine &rtormun 
ist. Positiv: Ueber logische und psychologische Erkenntnis 


64 W. Andreae, 


hinaus gibt es noch eine reine Erkenntnis, das Wissen um die 
Idee, dessen nur die zur Philosophie berufenen und ein philo- 
sopbisches Leben führenden Männer teilhaftig sind. Daß wir 
uns aber auf dem rechten Wege befinden, wenn wir mit dem 
vierten noch nicht die Schau der Idee erreicht glauben, wird 
das folgende zeigen: 


9. 


„Noch dazu sucht man hierbei nicht weniger an jedem 
Dinge die Erscheinungsform zu zeigen (p. 343 A) als sein 
Wesen wegen der Unzulänglichkeit der Erklärungen. Darum 
wird keiner der Geist hat wagen das von ihm Gedachte darin 
niederzulegen und gar so unabänderlich wie es in der Buch- 
stabenschrift geschieht. 

„Hier muß man nun wiederum das folgende verstehen 
lernen °): Jeder Kreis der tatsächlich gezeichnet oder ge- 
drechselt wird, steht im vollsten Gegensatz zum fünften — 
denn er rührt überall aus Grade — aber der Kreis an sich, so 
sagen wir, hat weder im kleinen noch großen vom gegensätz- 
lichen Wesen an sich. Auch keiner der Namen, sagen wir, steht 
bei keinem Dinge fest und nichts hindert (p. 343 B) das jetzt 
krumm genannte grade und das Grade dann krumm zu nennen 
und es wird nicht weniger feststehen, wenn man es umstellt 
und umgekehrt nennt. Und von der Erklärung gilt doch, 
sofern sie aus Nenn- und Zeitwörtern besteht °7), dasselbe, 
daß sie mit keiner genügenden Sicherheit feststeht.“ Hier hat 
man daran Anstoß genommen, daß die Erkenntnis mit den 
drei Mitteln des Erkennens zusammengenannt wird, aber Name, 
Erklärung und Ding sind ja nicht nur Mittel, sondern auch 
Grade der Erkenntnis und mit Recht wird ihnen weiter unten 
(p. 343 D) das Prädikat der Unvollkommenheit beigelegt, ilınen 
und dem vierten, der Erkenntnis selbst sofern sie nicht rein ist. 

Daß nun das vierte noch nicht die höchste Erkenntnis, 
die Schau der Idee ist, haben wir schon gesehen (S. 63), daß 
aber Platon zwei Arten der Erkenntnis unterscheidet und die- 
_*s) Solche Sätze zeigen, daß der Schreiber fast wider Willen ge- 
nötigt wird, mehr ins einzelne zu geben und widersprechen der Tendenz 


des Fälschers. 
e') cf. Kratylos p.431 B. 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 65 


jenige nicht gelten läßt, die abgelöst vom Ethos erwächst, 
wollen wir jetzt zeigen: 

Im „Menon‘“ heißt es: „. ..... Schönheit und Kraft des 
Leibes, wenn sie in einem feigen und schlechten Menschen 
zusammenhausen, erscheinen nicht gemäß sondern ungemäß, und 
alle Erkenntnis gesondert von Gerechtigkeit und der anderen 
Tugend erscheint als Schlechtigkeit und nicht als Weisheit“ 
(p. 246 E/247 A). Im „Phaidros“ wird von einer unvermischten 
Erkenntnis gesprochen, „für die es kein Werden gibt und die 
wohl keine andere ist in einem andern von den Dingen wesend, 
die wir jetzt wirklich nennen, sondern die im wirklich Seienden 
wesende Erkenntnis“ (p. 247 D/E). Ganz deutlich steht es 
auch im „Philebos“ (p. 61 D/E), was für uns wegen der zeit- 
lichen Nähe zum siebenten Brief wichtig ist. „Erkenntnis ist 
von Erkenntnis verschieden, die eine blickend auf das, was ent- 
steht und vergeht, die andere auf das, was weder vergeht noch 
entsteht, vielmehr immer auf dieselbe Art und gleichermaßen ist. 
Diese aber halten wir auf das Walıre hinschauend für die wahrere.“ 

Um hier den Ring noch einmal zu schließen, so wissen 
wir aus dem „Menon*® (p. 85 D), daß wir die Erkenntnis aus uns 
selbst herausholen. Solchermaßen kann also nur der zum Werk 
geborene und erzugene Philosoph zur wahrhaften Erkenntnis 
kommen, während die anderen anı fünften niemals teilhaben 
und über logische und psychologische Erkenntnis nicht hinaus- 
kommen können. 

Wer hier einwirft, das sei eine bloße Konstruktion, dem 
erwidern wir, daß wir oft zur Konstruktion unsere Zuflucht 
nehmen müssen, um schwierige Stellen der platonischen Philo- 
sophie zu erklären und daß es letzten Endes mehr darauf an- 
kommt, das Verständnis eines Textes zu erschließen, als ihn 
durch Unterstreichung der vorhandenen Schwierigkeiten als 
baren Unsinn zu erweisen, mit welcher Methode man leicht 
für viele platonische Philosopheme den Beweis der Unechtheit 
liefern könnte. 

10. 

Wir kommen nun zu einem Punkte, dessen Wichtigkeit 
der Briefschreiber selbst hervorhebt: nämlich zur Unterschei- 
dung von xclöv te und rd dv. Es scheint fraglich und wird. 

Pbilologus LXXVIII (N. F. XXXIN, 12. ° 


66 W. Andrese, 


vielfach bestritten, daß schon Platon zwischen Essenz und 
Qualität unterschieden habe. Auch würde vom Standpunkt 
der Ideenlehre aus auch die Essenz nur eine Qualität des (un- 
realen) Dinges sein. Die fraglichen Sätze lauten (p. 342 E): 
„Außerdem suchen sie (d.h. die vier) nicht weniger von jedem 
Dinge das Wie zu offenbaren, als das Sein eines jeden zufolge 
des Unvermögens der Erklärungen.“ p. 343 B: „Tausendfach 
ist aber wieder der Grund für die Unbestimmtheit eines jeden 
der vier, doch das Wichtigste ist, was wir ein wenig früher 
sagten, daß, während das Sein und das Wie zweierlei sind, 
die Seele aber nicht das Wie, sondern das Was zu schauen 
sucht, daß jedes der vier das Nichtgesuchte der Seele vorhält 
in Wort und Wirklichkeit und für die Sinne als bequeme 
Widerlegung des jeweils Gesagten und Bewiesenen ein jedes 
immer sich darbietet.“ 

Zunächst ist der Sinn der Stelle ganz deutlich: Die sinn- 
liche Wahrnehmung führt nur zur Erkenntnis der Erscheinungs- 
form und nicht zur Einsicht in das Wesen der Dinge. Der 
Ausdruck: td ti wird durch das zweimal vorangestellte wohl- 
bekannte 6 öv unzweideutig erklärt; also wenn sich td t{ in 
der Platonischen Terminologie auch wirklich niclıt finden sollte, 
würde dieser Einwand nicht viel bedeuten. Nun kann ich 
aber wenigstens eine Stelle anführen, in der der Ausdruck bei 
Platon vorkommt, nämlich im „Parmenides“ (p. 164 A) wird 
unter anderen unmöglichen Prädikaten des Nichtseienden auch 
ein td tl angeführt. Viel wichtiger aber als die formale ist die 
inhaltliche Frage, denn, wenn Karstens Behauptung, Platon 
unterscheide nur genus und species, nicht aber Essenz und 
Qualität, richtig wäre, würde damit allerdings die Echtheit. 
des Briefes in Frage gestellt. Nun handelt es sich aber bei 
der von Karsten °®) angezogenen Stelle °®) nicht oder doch nur- 
nebenbei um genus und species, sondern hauptsächlich um die: 
Feststellung der Korrelat-Begriffe ‘°) und auf die ganze Frage- 
wird hier nur zu einem Nebenzweck der Begründung der Lehre: 
von den Seelenteilen zurückgegriffen, die schon im Theaetet 
behandelt war. Dort war festgestellt, daß vor der Relativität. 


°®) Karsten a.a.O. p. 190 ff. 
e®) Staat p. 347D. 0) Vgl. Natorp: „Ideenlehre* p. 178. 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 67 


des Wahrnehmungsurteils nichts Bestand hat und zwar mit 
folgenden uns wichtigen Worten: „Da es keine Einheit gibt, 
noch kein Was oder Wie“ und „denn es ist niemals etwas 
sondern wird immer“ (p. 152 D) ’!). Hierauf gestützt, glauben 
wir nun, das rolöv tı als die ewig wechselnde Erscheinungs- 
form, als das yıyvönevov erklären zu dürfen, als den einzigen 
Gegenstand, der sich in „Wirklichkeit“ unserer Wahrnehmung 
darbietet. Es handelt sich somit um nichts anderes als den 
allbekannten Gegensatz von Sein und Werden, der hier unter 
der Form von Essenz und Qualität auftritt und im „Timaios* 
(27 D/28 A) ganz im Sinne unserer Stelle für die Erkenntnis- 
theorie knapp zusammengefaßt wird: 

„Es istalso nach meiner Meinung dies auseinanderzuhalten: 
Was immer ist, aber kein Werden hat und was immer wird 
aber niemals ist: das eine demnach durch Denken mit Hilfe 
des Logos zu erfassen, immer auf dieselbe Art seiend, das 
andere hinwieder durch Mutmassung (&6&«) mit Hilfe der Wahr- 
nehmung ohne Logos zu vermuten, entstehend und vergehend, 
aber niemals wirklich seiend.“ Damit wird allerdings die 
Behauptung der Gegner, daß die Aufstellung der Begriffe 
Qualität und Essenz, wie wir sie heute verstehen, erst nach- 
platonisch sei, nicht entkräftet, vielmehr ergibt sich, daß 
Qualität und Essenz bei Platon einen ganz anderen Sinn haben 
als in der Aristotelischen Philosophie. Daß es sich aber in 
unserem Falle nicht um eine willkürliche Auslegung handelt, 
sondern die gegebene Auffassung aus der Platonischen Lehre 
selbst hervorgeht, läßt sich aus dem „Timaios“ zwingend 
erweisen. 

Nachdem dort die Materie (p. 49 A) als alles Werden 
aufnehmende Amme bestimmt ist und damit die Empedo- 
kleischen Elemente, die ja selbst dem Wechsel und Werden unter- 
liegen, als Urstoffe verworfen sind, heißt es: „worin aber (d. i. in 
der ‚Flatonischen Materie‘) jegliches entsteht und erscheint 


”) Die ae e nach der Qualität wird Theaetet p. 153—4, p. 1567, 
p. 181—2 eingehend in unserem Sinne beantwortet. Auf das hier von 
Platon gebrauchte Wort ak; bezieht sich der Anonymus in seiner 


vita Platonis (Didot I „Vieles hat er in seinem Leben erfunden 
ana so die „Bezeic nung "Qualität. Denn vor ihm war das Wort 
nicht bekannt.® 


5* 


68 W. Andreae, 


und von wannen es wieder vergeht, nur jenes darf man be: 
nennen mit den Prädikaten: Dies und Das, aber ein Wie. 
Weißes oder Warmes oder irgend einen der Gegensätze dar 
man nicht so nennen“ (p. 49 D/50 A). 

Hier hat Platon selbst ganz deutlich ausgesprochen, daft 
den Phänomenen überhaupt nur eine Qualität (ein örotovoo 
zı) zukommt, aber kein Sein (kein todro xal öde). Damit 
ist dann ganz dasselbe gesagt wie im siebeuten Brief. 


11. 


Nach glücklicher Ueberwindung der Hauptschwierigkeit 
können wir uns im übrigen kürzer fassen. Das Problem der 
Namengebung ist im „Kratylos* ausführlich behandelt. Daß 
die Namen nicht von Natur sondern nach Konvention seien, 
hatte Sokrates zunächst scherzhaft widerlegt und damit auch 
den an unsere Stelle anklingenden Satz: „Ich glaube, daß 
jeder beliebige Name, den man einem Dinge gibt, richtig ist, 
und wenn man damit wechselt und es nicht mehr so nennt, 
daß der spätere nicht weniger richtig ist als der erste“ (p. 
384 D). Wenn nun der Briefschreiber diesen Satz aus dem 
„Kratylos“ abgeschrieben hätte, so dürfte man ihm wenigstens 
zutrauen, daß er die Ironie des Sokrates im Anfang zu durch- 
schauen vermochte. Gegen das Ende des Dialoges nimmt nun 
aber Sokrates diese Behauptung wieder auf und fragt den 
Kratylos, ob er Hermogens beipflichten könne, wenn er sagt, 
die Namen beruhten nur auf Uebereinkommen und es mache 
keinen Unterschied ob man sie nach diesem Uebereinkommen 
oder auch anders gebrauche und das jetzt als klein Geltende 
groß und das Große klein nennt (p. 433 E). Das ist mutatis 
mutandis der im Brief wiederkehrende Satz, man könnte auch 
sagen, er sei eine Vereinigung der beiden Stellen. Hat sich 
da der Briefschreiber nun nicht doch täuschen lassen? Denn 
Kratylos entscheidet sich gegen die Annahme (p. 434) und 
Sokrates pflichtet ihm bei. Wir können hier nicht dem ganzen 
sehr verwickelten Spiel des Dialoges nachgehen, es muß uns 
genügen auf p. 435 und 439 A/B hinzuweisen, in denen Kraty- 
los’ These ad absurdum geführt wird. Aber wenn wir diese 
angeführten Stellen näher in Augenschein nehmen, ergibt 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 69 


sich nicht schließlich doch ein Widerspruch gegen die im 
Brief entwickelte Erkenntnistheorie ? Wenn die Namen nicht 
richtig sind, so können sie auch nicht zur Erkenntnis führen, 
oder wie es Sokrates (p. 439 B) ausdrückt: man solle nicht 
aus den Namen sondern lieber aus den Dingen selbst Er- 
kenntnis schöpfen. Dagegen können wir uns nun einmal auf 
die oben angeführte Stelle aus den Gesetzen (p. 895 D) be- 
rufen, zum andern ist aber zu sagen, daß die Namen, ob 
richtig oder falsch in der Logik, die nun einmal auf Worten 
beruht, als Verständigungsmittel ebensowenig zu entbehren 
sind als die Sinneseindrücke auf dem Weg zur Erkenntnis. 
So führt auch das Onoma als dialektisch unentbehrliches Mittel 
schließlich zur Idee. 
12. 

Es bleibt uns nun nur noch die eine schon aufgeworfene 
Frage endgültig zu beantworten, die nach der schriftlichen 
Aufzeichnung philosophischer Erkenntnisse. Inwiefern das 
Sokratische gegenüber dem Sophistischen und auch die auf 
die Art des Meisters, fragend zu belehren, zurückgehende 
Form des Dialoges eine schriftliche Belehrung ausschließt, 
hatten wir schon oben gesehen. Neue Gründe haben unsere 
Erklärung der Qualität und Essenz als „Sein* und „Werden“ 
und die These des Kratylos von der Willkürlichkeit der Namen 
hinzugebracht. Doch lesen wir zunächst den Text: 

„Hierbei mangels rechter Bildung nicht einmal gewöhnt 
das Wahre zu suchen — genügt doch die Vorstellung der 
Abbilder — werden wir von einander nicht lächerlich gemacht, 
wenn wir von solchen gefragt werden (p. 343 D), die nur 
die vier verwerfen und widerlegen können. Wenn wir sie 
aber hierbei das fünfte zu offenbaren zwingen, so siegt von 
denen, die sich aufs Umdrehen verstehen wer will und läßt 
den der sich in Rede, Schrift oder Antwort erklärt vor den 
meisten Zuhörern als unwissend in dem erscheinen worüber 
er zu sprechen und zu schreiben versucht, bisweilen ohne daß 
jene wissen, daß nicht die Seele des Schreibenden oder Spre- 
chenden bloßgestellt wird, sondern die Art eines jeden der vier 
die ein schwaches Wesen haben.“ Das zurückweisende „ge- 
nügt doch die Vorstellung der Abbilder“ versichert uns zu- 


70 W.Andresne, 


nächst noch einmal, daß wir unter dem rxoldv tı die Qualität 
im Sinne des Werdenden, Wechselnden richtig verstanden haben. 
Mit einer gewissen Bitterkeit aber auch mit Erhabenheit weist 
Platon alle Angriffe gegen seine Philosophie zurück, als von 
solchen unternommen, die nur im Gebiete der vier philoso- 
phieren d. h. nur in Gebiete der Logik streiten, den dvt:- 
Aoyıxol die nur bis zur Erkenntnis der Qualitäten (im oben 
entwickelten Sinne) vorzurücken vermögen. Das fünfte da- 
gegen entzieht sich überhaupt dem Worte, und überall, wo 
Platon davon spricht, tut er es in Bildern und Gleichnissen, 
da nur dem Dichter und in dichterischer Sprache verstattet 
ist, diesen Aporreta zu nahen. Vor diesem entscheidenden 
Faktum muß die bekannte Phaidrostelle zunächst zurücktreten. 
Wir fahren also im Texte fort: 

(p. 343 E.) „Die Führung über alle diese-Stufen zu einer 
jeden wechselweise auf- und absteigend gebiert mühsam die 
Erkenntnis des guten Wesens im guten Wesen.“ Es folgen 
nun die schon eingangs behandelten Sätze über die philoso- 
phische Natur. Sodann fährt der Briefschreiber fort (p. 344 B): 
„Denn man muß beides zugleich — das Falsche und Wahre”) 
des ganzen Seins verstehen lernen, mit aller Uebung und in 
vieler Zeit, wie ich anfangs sagte. Wenn nun mühsam jedes 
einzelne am andern abgeschliffen wird, Name, Erklärung, An- 
schauung und Wahrnehmung in wohlmeinenden Prüfungen 
durch unverdrossenes Fragen und Antworten ??) geprüft werden, 
leuchtet das Bewußtsein von jedem einzelnen und der Geist 
hervor, wenn man sich aufs höchste anspannt nach mensch- 
licher Kraft.“ Unter dem wechselweisen Auf- und Absteigen 
ist nun nichts anderes zu verstehen als. das Setzen der Idee 
als Hypothesis und das Rechenschaftgeben, wie es uns im 
„Phaidon* beschrieben wird: „Indem ich jedesmal den nach 
meinem Urteil stärksten Logos zu Grunde lege, setze ich als 
wahr was mir damit übereinzustimmen scheint“ (p. 100 A), 
und: „Wenn sich aber einer an die Hypothese an und für 
sich halten wollte, würdest du wohl... nicht antworten, ehe 
du untersucht hast, ob die aus ihr hervorgegangenen Ergeb- 


”) Vgl. Ges. p. 816 D—E. 
') Vgl. Gastmabl p, 210 D „in unverdrossener Philosophie‘. 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 71 


nisse zu einander stimmen oder nicht. So oft du aber von 
ihr Rechenschaft geben mußt, würdest du es auf dieselbe 
Weise tun, indem du immer wieder eine andere Hypothese zu 
Grunde legst, welche unter den höheren jeweils amı schönsten 
scheint, bis du zu etwas Zureichendem gelangst (nämlich dem 
Guten) ”%). Dabei würdest du dich nicht verwirren wie die 
Widerspruchskünstler, über den Ausgangspunkt und seine Er- 
gebnisse disputierend® (p. 101 D/E). 

Hier wird die im Briefe eingeschlagene Methode, das Auf- 
und Absteigen, gegenüber dem eristischen oder antilogischen 
Verfahren, das am Anfang festhält und sich über die von ihm 
ans gewonnenen Resultate in Widersprüchen verwirrt, als die 
wahrhaft philosophische erklärt. Denn „das eine am andern 
abschleifen“ ?°) ist eben nichts anderes als die Untersuchung 
der auf Grund der jeweiligen Hypothesis gewonnenen Resul- 
tate, der neue Aufstieg aber die jeweils neue Setzung eines 
stärkeren Logos. So kommt man dann zum Zureichenden, der 
Erkenntnis des guten Wesens. 

Was wir oben über die Episteme gesagt haben, findet 
hier eine neue Stütze Diese ist nämlich das Resultat der 
Hypothesis, das noch der Prüfung bedarf, kann also je nach- 
dem auch falsch sein und einen neuen Aufstieg nötig machen. 
So werden denn die vier: Onoma, Logos, Eidolon, Episteme 
als relativ dem absoluten fünften mit Recht gegenübergestellt. 
Wo wir, wie an dieser Stelle eine an und für sich unklare 
oder nichtssagende Ausführung der Briefe durch grundlegende 
Sätze der Platonischen Philosophie erklären und ihr eine tiefe 
Bedeutung geben können, glauben wir mit unumstößlicher 
Sicherheit ihre Echtheit bewiesen zu haben. Wenigstens 
können wir uns keinen Fälscher denken, der imstande gewesen 
wäre das Platonische Gut mit soleber Sicherheit in so knappe 
Sätze zu drängen, umsoweniger, als wir wissen, zu welchen 
Mißverständnissen in der Lehre des Meisters selbst ein Ari- 
stoteles verführt worden ist. 


a Vgl. Heinr. Friedemann: Platon: Seine Gestalt, Berlin 1914, 


2) Vgl. Staat p. 435 A. Vgl. Stenzel i. Jahresb, d. Philol. Vereins 
Berlin H. 1, 1921 S. 67. 


723 W. Andreae, 


13. 


Scheinbar unvermittelt schließt sich nun folgendes an 
(p. 8344C): „Deshalb ist jeder ernste Mann weit entfernt über 
das Ernste zu schreiben und es je unter die Menschen zu 
bringen zu Mißgunst und Verlegenheit. Mit einem Wort man 
muß daraus erkennen, wenn einem schriftliche Aufzeichnungen 
vor Augen konmen, etwa eines Gesetzgebers über Gesetze oder 
über andres was es sei, daß diesem das nicht das Ernsteste 
war, so er selber ernst ist, sondern jenes liegt wohl am 
schönsten Platz seiner Gedanken. Doch wenn er dies wirklich 
mit Ernst in Schriften niedergelegt hat, so (p. 344 D) 'haben 
alsdann ihm die Götter’ — gewiß nicht wohl aber die Men- 
schen — 'das Herz zugrundegerichtet’“. 

Aber wenn man sich klar macht, daß die Entwicklung 
der dialektischen Methode voraufgegangen ist, hat das „deshalb * 
seinen guten Sinn, denn die Dialektik im strengsten Sinne 
duldet keine Aufzeichnung philosophischer Lehren. Eine solche 
Kleinigkeit ist für die Echtheitsfrage nicht unwichtig. Denn 
solchen Gedankensprung würde ein Fälscher kaum gewagt 
haben, ja er wäre nicht darauf verfallen so zu argumentieren. 

Im übrigen hat die Stelle viele unberufene Verteidiger 
und Angreifer gefunden, was um so befremdlicher erscheinen 
muß, als Platon im „Phaidros* seine Stellung zum Schrifttum 
unzweideutig festgelegt hatte. Wir können hier nicht die 
ganze Anklage, die Sokrates dagegen erhebt, und die den 
Schluß des Dialoges (von p. 275 ab) füllt, ihrer Länge nach 
ausschreiben. Aber wer die Seiten im Text nachliest und mit 
den uns vorliegenden Sätzen vergleicht, wird sie dem Sinne 
nach so ähnlich, in der Form ’®) aber so verschieden finden, 
daß ihm der Gedanke, der Fülscher habe aus dem „Phaidros“ 
entlehnt, gar nicht kommen kann. Der hauptsächlichste 
Gegengrund (p. 275 D/E), daß die geschriebene Rede sich 
nicht verteidigen könne und nicht wisse, vor wem sie zu ver- 

76) Hier sind die in den Briefen von vielen fleißigen Sprachforschern 
nachgewiesenen Kennzeichen des Platonischen Altersstiles von beson- 
derer Bedeutung. Denn man kann sich schwer vorstellen, daß eın 


Fülscher, der Platonisches Gut aus früheren Dialogen benützt, 
dieses dem Piatönischen Altersstil angepaßt hätte. 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 73 


stummen, an wen sie sich zu wenden habe, findet sich im 
Briefe nur angedeutet. Auch für das so oft mißverstandene 7’) 
xeitaı SE noV Ev Xupa TA Raldiory TWVv Tobrou eröffnet uns 
„Phaidros* (p. 276B) („säend in verwandten Boden“ nämlich 
in die Seelen seiner Schüler) das Verständnis. Wenn einer, 
so war gewiß Platon im Besitz vieles Wissens, das er sich 
an die Menge wahllos zu verstreuen hüten mußte, das er nur 
seinen Vertrautesten mitteilen mochte oder gar ganz in seiner 
Seele zu verschließen genötigt war. Zumal zu einer Zeit da 
er, wie es im fünften Briefe (p. 322 B) heißt, — „sein Vater- 
land schon zu alt fand und das Volk von Vorgängern an 
vieles und solches gewöhnt, was seinem Rate widersprach*. 
Wenn wir an die Gründung der Akademie und ihre ewig- 
dauernden Früchte denken, können wir wohl verstehen, daß 
es ihm mit dem Schreiben nicht letzter Ernst war, sondern 
daß ihm lebendiges Lehren, in die Seelen zu säen das Wich- 
tigste sein mußte. Freilich hat gerade Platon in den Dialogen 
einen Weg gefunden, uns seine Art zu philosophieren trotz 
der Starrheit der Buchstabenschrift aufs lebendigste zu über- 
mitteln. Und dennoch hat er selbst seine Werke des öfteren 
ein Spiel genannt, im besonderen aber die „Gesetze“ 7°), auf 
die unsere Stelle offenbar zielt. 


14. 


Der Schluß des Exkurses macht ein ‚näheres Eingehen 
unnötig. Wenn man nicht auch gegen ihn Einwände er- 
hoben hätte, wäre es fast überflüssig in hierherzusetzen. 

(p. 344 D) „Wer diesem Vortrag und Abweg gefolgt 
ist wird wohl einsehen, daß, mag nun Dionysios oder ein Ge- 
ringerer oder Größerer etwas von den hohen und ersten Dingen 
der Natur geschrieben haben, daß er nichts Gesundes gehört 
und gelernt hatte, sofern er darüber schrieb nach meiner Lehre. 
Denn sonst hätte er es gleich mir verehrt und nicht gewagt 
es zu Unfug und Unschicklichkeit auszustreuen. Denn zur 
Erinnerung schrieb er es nicht auf — denn es ist gar nicht (E) 


’T) Auch von Apelt; Platonbriefe p. 77 und p. 139. | 

’) Vgl. u.a. Ges. 769 A „So wäre denn das verständige Spiel der 
Alten bis bieher schön durchgespielt.“ 

", Vgl. Phaidros p. 275 C—D. 


74 W.Andresae, 


zu befürchten, daß es einer vergäße, wenn er es einmal mit 
der Seele erfaßte; denn von allen Dingen beruht es auf 
kürzesten Worten — sondern wenn überhaupt, so aus schmäh- 
lichem Ehrgeiz, mochte er es nun als eigenes aufsetzen oder 
schon als Jünger einer Lehre, deren er nicht würdig war da 
er den Ruhm (p. 345) der Jüngerschaft begehrte. Wenn dies 
nun dem Dionys aus dem einen Zusammensein zufiel, muß es 
wohl so sein, wie es aber geschah wysse Zeus, sagt der The- 
baner°). Denn ich ging es, wie ich sagte, nur einmal durch, 
später aber niemals wieder. Nun muß man das folgende be- 
urteilen, wenn man herausfinden will, wie es dabei zuging und 
dahin kommen konnte, daß wir es nicht zum zweiten und 
dritten und mehrmals durchgingen ; nämlich ob Dionysios, der 
es nur einmal gehört hatte, zu wissen glaubt und auch hin- 
länglich weiß (p. 345 B), mochte er es nun selbst gefunden 
oder schon vorher von andern gelernt haben, oder glaubt das 
Gesagte sei wertlos, oder drittens ihm nicht gemäß oder zu 
groß, und er sei wirklich nicht fähig im Verfolg von Tüchtig- 
keit und Wissen zu leben. Doch wenn es wertlos sein soll, 
so wird er gegen viele Zeugen kämpfen müssen, die das Ge- 
genteil sagen und darüber viel berufenere Richter sein dürften 
als Dionys. Wenn er es aber gefunden und erforscht haben 
will, und es für die Bildung einer freien Seele wertvoll sein soll, 
wie hätte er dann ohne wunderlich zu sein den Führer und 
Meister in diesen Dingen je so leichtfertig beleidigen können ?“ 

Man hat in diesem Schlußsatz eine Platons ganz unwür- 
dige Selbstüberhebung finden wollen. Dem gegenüber ist zu 
sagen, daß die von heutigen Schriftstellern geübte sogenannte 
Bescheidenheit der Antike überhaupt fremd war. Platon aber 
hat insbesondere aus seiner Verachtung der ungebildeten 
Menge und seinem philosophischen Stolze kein Hehl gemachıt, 
sodaß diese Worte in seinem Munde am wenigsten befremden 
sollten. Auch enthalten sie nichts als eine objektive Fest- 
stellung der Tatsache: denn der Gründer der Akademie galt 
nicht nur seinen Jüngern als Führer und Meister in der Philo- 
sophie, sondern war auch als solcher nach Syrakus geladen 
worden. Ja es scheint nach der Form des Satzes sogar mög- 


80) Vgl. Phaidon p. 62 A. 


} 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 75 


lich, daß Platon hier einen ihm von Dionys selbst gegebenen 
Ehrennamen gebraucht, wodurch der Umschwung im Ver- 
hältnis zwischen dem Philosophen und Tyrannen besonders 
bitter ünd auf eine uns aus den Dialogen wohlvertraute Weise 
gekennzeichnet wäre ®), 

Im übrigen kommt hier die Grundvorstellung von der 
philosophischen Haltung, die sich zu allererst im menschlichen 
Verhalten zu erweisen hat, noch einmal zum klarsten Ausdruck. 
Der Satz schließt so den Exkurs ebenso sinngemäß ab als 
er ungezwungen auf die historischen Tatsachen überleitet, so- 
daß der u. a. von Ritter °?) gemachte Versuch, die ganze Stelle 
für einen Einschub zu erklären, jeder Berechtigung entbehrt. 


Der philosophische Exkurs des zweiten Briefes. 


1. 


Nachdem wir oben Platons Stellung zum Schrifttum grund- 
sätzlich entwickelt haben, wird uns die Scheu vor schriftlicher 
Aufzeichnung, wie sie sich im zweiten Brief ausspricht, weniger 
befremden. Gleichwohl muß zugegeben werden, daß sie hier 
wenigstens in zwei Sätzen Formen anninmt, die dem Plato- 
nischen Ethos so sehr zu widersprechen scheinen, daß man 
folgende Stellen gern aus dem Text ausgeschieden sähe: 

„Ich muß aber in Rätseln zu Dir sprechen, damit der 
Leser, wenn dem Briefe in des Meeres oder Landes Schluchten 
etwas widerfährt, es nicht verstehe* (Ep. II p. 312 D).. 

Das hier an Stelle des gewöhnlichen ErxtotoAn für Brief 
gebrauchte Wort d&)tos und das pathetische „in des Meeres 
oder Landes Schluchten® könnten nun auch für einen Ein- 
schub sprechen. Der Satz ist aber offenbar in Erinnerung an 
Euripides aulische Iphigenie ?°) geschrieben und eine solche 
literarische Reminiscenz dürfte bei Platon am wenigsten be- 

°ı) Daß aber, wie man gemeint hat, hier an Dion zu denken sei, 
scheint mir keiner Widerlegung zu bedürfen. Denn wie küme ein 
Jünger zu dem Namen, der nur dem Haupte der Akademie gebührt ? 

#”) Neue Unters. über Platon. München 1910 p. 405. 

8) Auch dort (v.93 ff., v.112, v. 117 ff.) kommt wiederholt der 
Ausdruck des Briefes &v ntuyatg vor, allerdings nicht in der Bedeutung 
Schlucht, vielmehr wird hier bildlich von den rtuxat des Briefes ge- 


eprochen. Das konnte sich aber in der Erinnerung sehr wohl ver- 
schieben. 


h 


76 W. Andreae, 


fremden. Dann läge auch ein Scherz, eine leise Ironie in den 
Worten, und damit fiele das Anstößige fort. Andererseits 
könnte man denken, ein Späterer habe zur Motivierung der 
schwer verständlichen folgenden Stelle auf ilıre Rätselhaftigkeit 
hingewiesen. Aber auch dieser Anhaltspunkt ist zu schwach, 
um ohne weitere objektive Gründe eine Elimination zu recht- 
fertigen. 

Gegen den zweiten, im gleichen Sinne anstößigen Satz 
spricht wenigstens ein objektives Moment. Nach der oben 
(S. 55) behandelten Stelle vom „schön und jung gewordenen 
Sokrates* heißt es: „Lebe wohl und folge und diesen Brief 
lies zunächst viele Male und dann verbrenne ihn* (p. 314 C). 
Diese Worte aber gehören offenbar an den Schluß des Briefes: 
Es ist daher sehr auffällig, wenn der Briefschreiber fortfährt: 
„Soviel über dies“, was sich nicht sowohl auf den zitierten 
Satz als auf die Frage nach der schriftlichen Aufzeichnung 
überhaupt bezieht und sich somit unmittelbar an das dem 
verdächtigen Satz Voraufgehende natürlich anschließen würde. 
Wenn wir aber daraufhin auch eine Streichung der Worte 
nicht verantworten möchten, so scheinen sie uns doch wegen 
ihrer Stellung allzu verdächtig, als daß man auf sie einen 
Beweis gegen die Echtheit des ganzen Briefes gründen dürfte. 

An anderen Sätzen: „nimm dich jedoch in Acht, daß es 
nicht an ungebildete Menschen kommt“ (p. 314 A), oder „die 
größte Vorsicht ist nicht zu schreiben, sondern es sich ein- 
zuprägen, denn Geschriebenes kommt auf jeden Fall heraus“ 
(p. 314B) wird man nach den oben angeführten Parallelen 
(vor allen nach Ges. p. 968 D/E) keinen Anstoß nehmen 
dürfen. 

Ueberhaupt ist es mißlich, auf einzelne Aussprüche hin, 
die dem Bild oder der Vorstellung, die wir uns von Platons 
Charakter machen, widersprechen, ein Werk zu verdächtigen. 
Bei einer so reichen Persönlichkeit, deren Aeußerungen je 
nach Menschen und Umständen zu bzw. in denen er sprach, 
notwendig modifiziert waren, wird es an \Vidersprüchen nie- 
mals fehlen, was uns ja auch die Dialoge zur Genüge be- 
weisen. Konnte selbst ein Zeller soweit irren, daß er die 
Unechtheit der „Gesetze“ beweisen wollte, so sollte man mit 


[4 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 77 


Verwerfungsurteilen allmählich vorsichtiger werden, zumal 
wenn sie briefliche Aeußerungen betreffen, die doch nicht 
dasselbe Gewicht haben als für die Ewigkeit in Buchform 
niedergelegte Sätze. Es sei verstattet, auf die Goethischen 
Briefe aus Italien hinzuweisen, an denen sogar die Weimarer 
Freunde Widersprüche fanden und in diesem Sinne Anstoß 
nahmen ®*). 

Dies diene uns zur Warnung, zu großes Gewicht auf 
Einzelheiten zu legen, vielmehr wird es darauf ankommen, die 
Anschauungen, die unserer rätselhaften Stelle zu Grunde liegen, 
zur Darstellung und mit den Platonischen Lebren in den rechten 
Zusammenhang zu bringen. 

Der Mittelpunkt des zweiten wie des siebenten Briefes 
ist die Philosophie und die Frage nach der philosophischen 
Haltung. Auch die Komposition der beiden Briefe hat eine 
gewisse Aehnlichkeit, insofern von historischen Tatsachen zu 
rein philosophischen Fragen übergegangen, und von diesen 
wieder ein Schluß auf das praktische Sichverhalten gemacht 
wird. Nur bleibt es diesmal weniger im allgemeinen, da 
Platon an seinem eigenen Verhältnis zu Dionys die Stellung 
des Philosophen zum Herrscher entwickelt. 

Nur Mißverstand oder Voreingenommenheit hat an diesen 
Ausführungen, die die Wichtigkeit des Verhältnisses zwischen 
Platon und Dionys in das rechte Licht rücken, etwas auszu- 
setzen gefunden ®°). Der Grundsatz, der über dem Ganzen 
steht: „Jetzt bin ich groß ®°), wenn ich mich meiner Lehre 
folgsam bewähre* (p. 310C) entbehrt nicht der eines Platon 
würdigen Größe und Schlichtheit, und das Leitmotiv: „Von 
Natur sollen Vernunft und große Macht mitsammen auf das- 
selbe Ziel ausgehen * 8°), wird ganz nach Platon’s Art mythisch- 
historisch variiert. Auf alles dieses nach so vielen vorauf- 
gegangenen Untersuchungen noch einmal einzugehen, scheint 
mir nicht nötig. 

Nach dieser Einleitung geht der Schreiber auf das kon- 
krete Verhältnis der beiden in Sicilien ein. Den Grund der 


*) Rom 21. Febr. 1787. ss) Vgl. Raeder Rh. Mus. 1906 S. 516. 
**) Richards „Platonica“ London 1911 will pn&yac in növog ändern, 


® 


wozu wie für manche seiner un kein Grund vorliegt. 
#) Frei citiert pei Plutarch Dio c.l. 


78 W. Andresae, 


Entfremdung findet er im Mißtrauen des Tyrannen (gewiß ein 
Platonischer Gedanke) und drängt darum auf Entscheidung : 
Dionys soll der Philosophie entweder ganz entsagen oder sich 
anderen Philosophen zuwenden, oder aber, wenn er Platon 
noch folgen will, ihn auch ehren, wie es sein Amt erheischt, 
was sehr knapp, aber nach den voraufgehenden Worten über 
den Reichtum verständlich, so zusammengefaßt wird: „Wenn 
Du mich ehrst, ist es uns beiden Zierde, wenn ich es aber tue, 
Schmach für beide.“ 

Daran schließt sich ein philosophischer Exkurs als Ant- 
wort und Zurechtweisung auf Fragen des Dionys, ganz wie 
im siebenten Briefe innerlich mit dem ersten Briefteil zu- 
sammenhängend. Er dient nämlich dazu, die Anmaßung des 
Tyrannen, der leichter Hand die schwierigsten Fragen gelöst 
zu haben meint, zurück- und ihn darauf hinzuweisen, wie sehr 
er noch der philosophischen Schulung bedarf. 


2. 


Gleich im Anfang steht für uns, allerdings kaum für 
Dionys — was man doch beachten möge — ein Rätsel: „mit 
dem Sphairion ist es nichts“. Man hat viel Scharfsinn auf 
die Erklärung dieses Wortes als Himmelsglobus #®) verwendet. 
Man könnte auf diesen Wege weitergehend in dem Diminu- 
tivunı eine Ironie finden und interpretieren: Mit dem Himmels- 
maschinchen, das sich Dionys zurechtgemacht hat, stimmt es 
nicht. Ich glaube aber, daß sich aus dem Zusammenhang eine 
viel wahrscheinlichere Lösung ergibt °°). Dem opaıplov wird 
mit xal &n xal ein Berötepov, nämlich 7) cd rpWwron wüotg 
"gegenübergestellt. Darunter ist aber nichts anderes als die 
Seele zu. verstehen, wie sich aus den „Gesetzen“ einwandsfrei 
nachweisen läßt. 

Dort (p. 892 C) soll nämlich die Seele yevearg repl T& 
rpoTz und &:apepövrwg pLcer (also Natur im prägnanten Sinn) 
heißen, wenn der Beweis zu erbringen ist, daß sie vor den 
Elementen erschaffen wurde. Dieser wird durch die Selbst- 
bewegung der Seele geliefert und danach noch einmal aus- 

se, So noch jüngst Apelt a.a.O. v 114 Anm. 14. 


8°) Auf diese Lösung hat mich Wilamowitz gesprächsweise hin- 
gewiesen. 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 79 


drücklich festgestellt, daß sie np@rn y£veoıs sei, und so nennt 
sie auch der Athener y£veaıv dravtwv npwrnv (p.899C). Da- 
gegen wird der anderen Ansicht, die die Elemente als Yüotg 
anspricht, widersprochen (p. 891 C), was wir auch schon oben 
(5.67) aus dem „Timaios* als Platons Meinung entwickelt hat- 
ten. Nur wird an dieser Stelle nicht die Seele, sondern die 
Urmaterie als das Ursprüngliche gesetzt. Diese ist ja aber nichts 
anderes als Raum oder Möglichkeit des Werdens, selbst aber 
nichts Geschaffenes, nicht gewachsen oder geworden, sondern 
die aufnehmende Amme des Werdens. Ein Widerspruch liegt 
also nicht vor °°). 

Die falsche Ansicht, nach der Feuer, Wasser, Luft und 


: Erde die Urnatur darstellen, scheint nun auch Dionys zu teilen, 


wenn er tiber die Natur des ersten im Unklaren ist. Das 
beweist seine Annahme von opaıplov, indem er — so glaube 
ich interpretieren zu müssen — für die Uratome die Kügelchen- 
form ?!) voraussetzt, während Platon im „Timaios“ (p. 53 C ff.) 
der demokritischen Hypothese (nach der die Seelenatome 
sphärisch sind), seine eigene entgegenstellend die Atome °?) 


' aus Dreiecken entstehen läßt. Aber nicht nur in dieser An- 


nahme irrt Dionys, sondern er muß überhaupt wegen des 
Erbabeneren und Göttlicheren aufgeklärt werden, nämlich über 
die Natur des ersten, also über die Seele. Von diesem ge- 
sicherten Grund aus muß nun der Versuch gemacht werden, 
auch zum Verständnis der folgenden wegen ihrer Knappheit. 
und Allgemeinheit zunächst unklaren Sätze einen Weg zu 


bshnen. 


3. 


(p. 312 E) „Auf den König aller Dinge bezieht sich alles. 
und dessentwegen besteht alles und das ist der Urgrund alles 
Schönen. Ein zweites aber bezieht sich auf die zweiten, ein 
drittes trittes auf die dritten Dinge. Doch die menschliche Seele 


my Vgl. Tim. p. 33 B—C. 

") Stephanus übersetzt globula, pillula und citiert: Aristot. de 
anima 409 a 12 cf. 4038 b 31 (Demokrit läßt die Seele aus kugelförmigen 
Atomen bestehen). 

’”) Der Ausdruck selbst kommt übrigens bei Platon nicht vor und 
re noch der Untersuchung, ob der „Timaios“ die Atomtheorie 

en ; 


30 W.Andresae, 


trachtet danach zu erforschen, welcherlei es ist, indem sie auf 
das ihr Verwandte blickt, doch davon (p. 313 A) reicht nichts zu. 
Beim König also und dem, wovon ich sprach, ist nichts der 
Art, „aber das nach ilım“ (dem Göttlichen) sagt die Seele, 
„welcher Art ist es doch“? Dies ist, o Sohn des Dionys und 
der Doris, die Frage, welche die Ursache aller Leiden ist; 
oder vielmehr sind es die deswegen in der Seele entstehenden 
Wehen und ohne von ihnen befreit zu werden wird man nie- 
mals wirklich die Wahrheit finden.“ 

Von den fraglichen drei ist nur das erste näher bestimmt 
und schon Karsten °°) war die auch formal in die Augen fal- 
lende Aehnlichkeit dieses ersten mit dem Weltbildner des 
„Timaios* nicht entgangen. Von diesem Demiurgen wird 
nämlich gesagt: „Den Bildner und Vater dieses Alls zu finden 
ist schwer; und hat man ihn gefunden, allen zu erklären un- 
möglich“ (p. 28 C) °*). 

Dieser selbe schaffende Vater (Tim. p. 37 C), der das All 
geschaffen hat (p. 41 A), der sich auch selbst Meister und 
Vater der Dinge nennt, heißt nun z. B. in den „Gesetzen * 
(p. 904 A) auch unser König. Auch fehlt es nicht an Stellen, 
die eine Begründung für den „Urgrund alles Schönen“ des 
Briefes beibringen, so z. B.: „denn nach dem Gesetz konnte 
der Beste nichts tun als das Schönste* (Tim. p. 30 A). Es 
bedarf daher gar keiner eingehenden Untersuchung. Die Selbig- 
keit des ersten und des \WVeltbildners steht außer Frage. 


9) Karsten a.n.O. p.210 ff. Was er hier gegen eine esoterische 
Lehre Platons vorbringt, könnte doch nur Gewicht haben, wenn davon 
in den Briefen irgendwie deutlich die Rede wäre. Auf Grund falscher 
Interpretationen Verduchtsgründe zu häufen hat keinen Sinn. In dem- 
selben „Timaios“, der die Weltschöpfung und den Weltbildner mythisch 
darstellt, ist von der Unmöglichkeit. ihn der Menge mitzuteilen, die 
Rede. Danach glaubt Platon offenbar mehr zu wissen, als er aus- 
sprechen darf und kann, was sich durchaus nicht auf eine „Geheim- 
lehre* bezieht. Damit fallen Karstens Argumentatiouen (p. 214) in sich 
zusammen. 

%) Die erklürende Einfügung Natorps a. a.0. p. 339 „nllen (ver- 
ständlich genug) mitzuteilen“ scheint mır überflüssig. Vielmehr kann 
man mit Berufung auf Tim. p. 53C interpretieren: Nur gottgeliebten, 
d.h. zur Philosophie berufenen Menschen enthüllt sich das Wesen des 
Demiurgen. So hatte schon die Akademie die Stelle gedeutet. Vgl. 
aber Gercke R.E. I, 2 Sp. 2166. 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 81 


4. 

Dagegen fehlt für das zweite und dritte zunächst jeder 
Anhaltspunkt. Das einzige, was von ihnen ausgesagt wird, ist, 
daß zwischen dem dsütepov und den Öedrepx und dem tpirov 
und den tpit= eine Beziehung besteht °°). 

Den ersten Fingerzeig für das Verständnis scheint mir 
die von uns oben erwiesene Tatsache zu geben, daß vor dieser 
Stelle von der Seele die Rede ist. Wichtiger aber ist viel- 
leicht noch, daß unmittelbar nach dem rätselhaften Satze steht: 
A o0v dvbpwrivn buxn. Das stark betonte Attributiv kann hier 
nur dazu dienen, die menschliche von einer anderen Seele zu 
unterscheiden. Wir haben also als erstes den König und als 
zweites oder drittes eine, und zwar für eines der beiden eine 
nicht menschliche Seele anzunehmen. 

So sind wir einen wesentlichen Schritt vorwärtsgekommen. 
Denn von den vielen im „Timaios* vorkommenden Dreiheiten, 
auf den wir durch den Demiurgen hingewiesen sind, scheiden 
für unsere Stelle die meisten nunmehr aus. 

Zunächst läßt sich die von Karsten ?°) angenommene Trias, 
Ideenwelt, sinnliche Welt und Platonische Materie ausschalten, 
und selbst dann, wenn man mit der Sinnenwelt zugleich die 
Weltseele mitdenkt. Diese drei stehen nämlich unter sich im 
engsten Zusammenhang wie Vater, Mutter und Kind. Es 
würde also eine viel engere Beziehung zwischen den dreien, 
als zwischen einem zweiten Prinzip und zweiten Dingen oder 
einem dritten und dritten statthaben. Freilich könnte man 
ja die Urmaterie mit den Elementen in eine besondere Be- 
ziehung gesetzt denken. Man müßte dann aber doch die 
Urmaterie an die zweite Stelle versetzen, da die beiden un- 
gewordenen Prinzipien notwendig zusammengehören. Dann 
ergäbe sich aber zugleich auch eine engere Verbindung des 
ersten mit dem zweiten, von dem das dritte getrennt wäre. 


* Wobei man noch zweifelhaft sein kann, ob man rip: als Post- 
Por on hinter dem durch ein 8% getrennten Akkusativ ansetzen darf. 
aeder’s Parallele (Bh. Mus. 1906 p. 465 Anm. 1) dv rip: ist nicht be- 
weisend. Es scheint mir nun aber auch durch die Annahme der Ano- 
malie für das Verständnis des Textes wenig gewonnen. Denn in rept 
braucht ja nicht gerade die Bedeutung „wegen“ zu liegen. 
”) A.a.0. S. 209. . 


Philologus LXXVIII (N. F. XXXID, 12. 6 


82 W. Andreae, 


Ueberhaupt, wenn man die drei, was sie im „Timaios“ (p. 48 E 
bis 52 C) nicht sind, trennen will, wie es unsere Stelle 
fordert, so gehören stets zwei von ihnen zusammen: Entweder 
Schöpfer und Möglichkeit der Schöpfung oder die Schöpfung 
und ihre Möglichkeit. Während die einzige Aussage unserer 
Stelle sich gerade darauf bezieht, daß eine Verbindung nicht 
zwischen den drei Stufen, sondern auf der zweiten und dritten 
besteht. — Ebensowenig befriedigend ist Raeder’s ?”) Vor- 
"schlag: „An der Spitze der beiden ersten Welten stelıt der 
Weltschöpfer und die Weltseele; was ist aber das dritte, das 
sich auf das dritte bezieht? Es gibt nur eine Antwort: das 
ist eben die Ursache des Bösen, die so schwer zu finden ist.“ 
Daß die Weltseele als zweites mit denn Kosmos zu verbinden 
sei, glauben auch wir, obwohl es so einfach nicht ist, wie 
Raeder glauben machen möchte. Sein Apodikt über das 
dritte ließe sich vielleicht aus den „Gesetzen“ (p. 896 ff.) 
stützen, aber eine solche Interpretation würde dem Text die 
roheste Gewalt antun. Die Frage der Seele bezieht sich näm-. 
lich auf „das nach ihm® d.h. was dem Göttlichen zunächst 
ist, auf die Natur des Ersten ®). 

Was kann aber das dritte sein ? Ich glaube nichts anderes 
als die menschliche Seele als Führerin des sterblichen Leibes, 
sofern man als zweites die Weltseele annimmt. Doch stellen 
wir uns die Dreiheit noch einmal vor Augen, wie sie im 
„Timaios“* erscheint. 


5. 


Ueber den Demiurgen bedarf es kaum noch eines Wortes. 
Der Gedanke, daß der Sinn der ganzen Welt nur die Sicht- 
barwerdung der Ideen ist, durchzieht den ganzen „Timaios“. 
Sowohl die Schöpfung der Götter (p. 39 E) als die der Men- 
schen, Tiere und Pflanzen (p. 41 A—C) erfolgt nur, damit. 
ein in allen Teilen vollkommenes Abbild des Ideenreiches zu- 
stande kommt. Also „dessentwegen ist alles“ wie es mit den 
gleichen Worten für den Menschen auch ın den Gesetzen 


v”) A.a.0. S. 537. 

#8, J. Burnet: Rhein. Mus. 1907 p. 321—3, interpretiert, wie ich 
nachträglich bemerke, in demselben Sinne: „die Frage, die uns quält, 
ist eben die der Seele nach der Natur des Ersten.“ 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 83 


(p. 903 C) ausgedrückt wird, und andererseits muß jenes Un- 
bestimmte als einzig Ungewordenes auch die Ursache von 
allem sein ®°). 

Dieser Demiurgos schafft nun zuerst die Weltseele und 
den xöopuos, sodann die Götter und schließlich die Menschen- 
seele. Demnach scheint es also drei Schöpfungen zu geben, 
wir kämen also die Ideenwelt mitgerechnet auf vier Stufen: 
Doch diesen entsprechen nur drei Prinzipien: der Demiurg, 
die Weltseele und die Menschenseele. Von einer besonderen 
Götterseele neben der Weltseele ist nämlich im ganzen „Ti- 
maios“ nicht die Rede. = 

Vielmehr, nachdem (p. 34 C ff.) die Schöpfung der Welt- 
seele besprochen ist, die (nach p. 36 E) durch das ganze 
Weltall von der Mitte bis zum Rande ausgedehnt ist und den 
Kosmos auch noch umhüllt, wird von der Seele der Sternen- 
götter nichts gesagt als: daß die Bänder beseelt sind, die die 
Leiber dieser geschaffenen Lebewesen zusammenhalten (p. 38 C), 
Daß aber Platon hierüber auch nichts genaueres hat sagen 
wollen oder können, läßt sich aus den „Gesetzen“ (p. 899 B) 
entnehmen: 

„Können wir über die Sterne alle, den Mond, die Jahre 
und Monate und alle Jahreszeiten etwas anderes lehren als 
wieder dasselbe: daß wir, da ja eine Seele oder Seelen als 
Ursache von all diesem erschienen und sie vollkommen in 
aller Vollkommenheit sind, behaupten, daß es Götter sind, ob 
sie nun in Körpern wohnend als Lebewesen, oder von wannen 
und wie sie den ganzen Himmel ordnen ? Kann, wer dies zu- 
gibt, noch leugnen, daß alles von Göttern erfüllt ist ?“ 

Hier scheint mir wenigstens deutlich ausgesprochen, daß 
es ihm auf eine genaue Vorstellung und Unterscheidung von 
Welt- und Sternenseele gar nicht ankommt, sondern einzig 
auf die Beseelung des Kosmos. 


6. 
Für uns ist an dieser Stella aber auch etwas Positives 
wichtig, nämlich daß der Kosmos hier in seiner Funktion 
als Zeit erscheint. Auch dieses Verhältnis wird im „Timajos“ 


®, Vgl. Tim. p. 27 Af. 
6 s 


84 W.Andreae, 


nicht ganz deutlich. Denn während man nach p. 37 C/38 A 
annehmen müßte, daß die Zeit erst nach dem Kosmos ent- 
standen sei, wird p. 38 B festgestellt: „die Zeit ist zugleich 
mit dem Himmel entstanden, damit sie zugleich entstanden 
auch zugleich gelöst werden können“, und während es nach 
p. 38 C so scheint, als ob nur ein Teil der Sterne die Zeit 
darstellten, scheinen nach p. 39 C/D die Sterne in ihrer Gesamt- 
heit d. h. also der Gesamtkosmos mit der Zeit identisch zu sein. 

Solche Widersprüche im Schöpfungsmythos des „Timaios “ 
sind längst nachgewiesen, und wir haben diese Frage hier nur 
leicht berührt um zu zeigen, daß Platon in diesem einen ein- 
geborenen Himmel doch eine göttliche Vielheit unterscheidet, 
eben die Gestirne, insofern sie die Zeit bedeuten. Auf diese 
Vielheit weist uns nun auch der Plural öeörep@ hin, und ich 
glaube, daß unter dem deürepov d& repl T& Öebrepx zu ver- 
stehen sei: Iu. den Himmelserscheinungen offenbart sich die 
Weltseele als Zahl und Zeit, oder aber vom Standpunkt des 
Menschen aus: Damit wir Zahl und Zeit erkennen, ist der 
Kosmos beseelt, also wegen der Gestirne ist die Weltseele. 

Diese bestimmte, und wie gleich noch deutlicher werden 
wird, durchaus nicht willkürliche Interpretation scheint mir 
viel befriedigender als eine allgemeine Beziehung zwischen 
Kosmos und Weltseele, da ja der Kosmos als solcher alles 
und somit auch die dritten Dinge umfassen würde. 

Dagegen wird den Sternen als zweites auch im „Timaios* 
die Menschenseele (so sagen wir der Einfachheit wegen yx 
begreifen darunter auch die Tier- und Pflanzenseele us 
gegenüber gestellt, indem ihr Schöpfer folg en _ 
schrieben wird: "2 

„So sprach er und goß wiederum in densaiäg 
in dem er zuvor die Seele des Alls gemepg 
das früher übriggebliebene und 1% 
Weise, nur nicht mehr ganz so 
und drittes. Aber die ganze 
Sternen an Zahl gleich, un 
Und wie er sie so gleich 
zeigte er ihnen die N: 
über sie verhängter 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 85 


pflanzung auf die ihnen gemäßen Organe der Zeit die 
gottesfürchtigsten Lebewesen werden sollten“ (p. 41 E). 

Für uns ist aber nicht nur wichtig, daß die Gestirne ge- 
rade in diesem Zusammenhang als Organe der Zeit erscheinen, 
sondern daß die Gottesfurcht der Menschen neben anderem 
auch von der richtigen Verteilung der einzelnen Seelen auf 
die ihnen gemäßen Organe der Zeit abhängt. Unter diesen 
hat die Erde, „unsere Ernährerin“, eine vorzügliche Stellung 
als „Wächterin über Tag und Nacht“ (p. 40 B/C). Auch 
daraus, daß die Achse des Himmelssystems durch die ihre 
wehen soll, könnte man schließen, daß wir Menschen zur 
reinen Erkenntnis der Zahl und Zeit besonders prädestiniert 

' sind. Doch darüber findet sich nichts näheres bei Platon. 
Dagegen sagt er mit aller Deutlichkeit, daß die durch den 
Gesichtssinn vermittelte Wahrnehmung der Gestirne den Zu- 
gang zur Philosophie eröffnet habe: „Nun aber hat der An- 
blick von Tag und Nacht, der Monate und Jahresumläufe die 
"Zahl zustande gebracht und uns den Begriff der Zeit und 
diese Untersuchung über das All gegeben, woraus wir die 
philosophische Betrachtungsweise gewonnen haben ... Gott 
hat uns das Gesicht gegeben, damit wir die Umläufe der Ver- 
nunft am Himmel erschauen und davon für die Umschwünge 
' unseres eigenen Denkens Nutzen ziehen sollten, da sie mit 
jenen verwandt sind wie Erschüttertes mit Unerschütterlichem, 
aber forschend ... des Gottes allerwege unbeirrte Bahnen 
nachahmen und unsere verirrten danach ordnen sollen“ (Tim. 
p. 47 ff. passim). 

Vergegenwärtigt man sich nun noch, wie nebensächlich 
die übrigen Götter gegenüber diesen, die die Zeit bedeuten, 
abgetan werden (Tim. p. 40 D—41 A), und wie im ganzen 
Kosmos nur von den Gestirnen etwas unmittelbar auf den 
Menschen Bezügliches gesagt wird, so glaube ich, daß uns 
niemand mehr der Willkür zeihen kann. 


} 


. 


Die ausgeschriebenen Sätze führen uns aber noch weiter: 
Die Frage, welcher Art es mit dem König ist, sucht die 
Seele zu lösen, indem sie auf das ihr Verwandte blickt, „doch 


86 W. Andreae, 


davon reicht nichts zu“. Ich glaube bei der Eindeutigkeit, 
mit der Platon auf allen Stufen seiner Entwicklung die Ver- 
wandtschaft der unsterblichen Seele mit dem Unsterblichen be- 
tont hat, kommt für dies «ötjs ouyysvfj nichts anderes als ein 
Göttliches in Betracht und man darf sich durch die Etymologie 
nicht verführen lassen, an den der Seele angeborenen Leib 
zu denken, wodurch freilich das Unzureichende am einfachsten 
erklärt wäre. Wie es z. B. im „Timaios“ heißt: „Das Uebrige, 
was zur menschlichen Seele noch hinzukommen mußte“ {p. 
42 E) und von den gewordenen Göttern geschaffen wird, ruft 
in ihr sogleich die größte Verwirrung hervor, die sich erst 
im zunehmenden Alter, wenn die Seele die Herrschaft über den 
Leib gewinnt, löst. 

Wenn wir aber ein Göttliches als das der Seele Verwandte 
annehmen, warum sollte dies nicht zureichen? Doch ist, wie 
wir eben sahen, die Verwandtschaft der Seele mit Gott nur 
eine bedingte: hier Erschüttertes, dort Unerschütterliches, 
dort unbeirrte, hier verirrte Bahnen. Auch ist ja die Seele 
aus nicht mehr „ganz so reinem Stoffe“. Darum glaube ich, 
wir dürfen den Satz: „doch davon reicht nichts zu“ nicht 
streng logisch dahin verstehen, daß das Göttliche nicht zu- 
reicht, sondern daß wir infolge der Trübung unserer Sinne 
nicht fähig sind, die Wirkungen der uns verwandten Sternen- 
seele rein anzuschauen, daß also unsere Verwandtschaft mit 
den Sternen nicht zureichend ist. | 

Wenn man mir aber auf diesem Wege nicht folgen will, 
so halte ich auch noch eine andere Deutung für möglich. 
Selbst das Göttliche, insofern es sich als Sichtbares in den 
Gestirnen darstellt, reicht zur reinen Anschauung der Ideen 
nicht aus, „denn beim König ist nichts der Art“. Der lebt 
nämlich im unsichtbaren Reiche der Ideen. 

Wie man aber überhaupt zu ihrer Anschauung gelangen 
kann, das ist wie im siebenten Briefe die letzte große, im 
Grunde nie und nirgends von Platon beantwortete Frage. 
Nur den Weg, die dialektische Methode, hat er uns gewiesen, 
aber darüber hinaus gibt es ein unmitteilbares Geheimnis, das 
der wahren Gottesverwandtschaft, welche nicht jedem Menschen 
zuteil wird. 


Die philosophischen Probleme in den Platonischen Briefen. 87 


Dionys allerdings vermeint die Lösung der letzten Frage 
schon gefunden zu haben. Um ihm nun zu zeigen, wie weit er 
noch davon entfernt ist, weist ihn Platon auf die drei Stufen 
der Erkenntnis hin, ihn der immer noch an der Erscheinung 
hängt (Ep. II p. 313 B), der die Bahn der dialektischen Me- 
thode, da er die Beweise nicht gefesselt, nicht durchlaufen hat. 

Zusammenfassend geben wir dies als einfachen Sinn der 
rätselhaften Worte: Es gibt drei Stufen des Wissens. Die 
unterste ist die leiblich-sinnliche, in der die menschliche Seele 
mit Leib und Sinnen in engster Verknüpfung bleibt. Die 
dritte Seele (tpitov) hat mit den dritten Dingen (tplt«), den 
Abbildern, zu schaffen. Es ist die Stufe der Doxa. 

Die zweite Stufe ist die mathematisch-philosophische (vgl. 
Staat p. 533). Auf ihr herrscht die zweite, die Weltseele, 
sie sich in den zweiten Dingen, den Gestirnen, als Zahl und 
Zeit der menschlichen Dianoia offenbart. 

Nur wer diese zwei Stufen überstiegen hat, kann sich 
zu der höchsten Stufe der Noesis oder reinen Episteme er- 
heben, wenn er „dem Gott lieb ist“ (Tim. 53 C) oder wie 
wir im siebenten Briefe lasen „dem Werke verwandt ist“. 
Auf ihr gewinnt der königliche Philosoph die reine Schau der 
Ideen. Auf ihr „ist nichts der Art“: sind keine Abbilder 
mehr für die Doxa, aber auch keine diskursiven Urteile der 
Dianoia, sondern die Urbilder selbst: 


Ein wissen gleich für alle heißt betrug. 

Drei sind des wissens grade. Eines steigt 

Aus dumpfer menge alındung: keim und brut 

In alle wache rege eures stamıns. 

Das zweite bringt der zeiten buch und schule. 
Das dritte führt nur durch der weihe tor. 

Drei sind der wisser stufen. Nur der wahn 
Meint daß er die durchspringt: geburt und leib. 
Die andre gleichen zwangs ist schaun und fassen. 
Die letzte kennt nur wen der gott beschlief. 


Berlin-Tegel. Wilh. Andreae. 


88 J. F. Bensel, 


III. 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus ad codicum 
fidem recensitus. 


Si quibus temporibus liber pseudhippocrateus, qui est De 
medico (Jlepl intpoö), conscriptus sit, quaerere studemus, 
libri, qui inscribuntur De decenti habitu (llepl edoxn- 
koodyrg) et Praecepta (lIapayyekiaı), non neglegendi sunt. 
Quos, quamquam hominibus iam artis medicinae expertis ac- 
commodati sunt, cum liber De medico usui adulescentium in 
arte medendi rudium destinatus esse videatur (cfr. De med. 
cap. 13: nepl 5 xapüv... napadelenta: dE 7% toraüre, Enel 
TIEIw TEoNxtar Tg Xar’ intpianv Entpeleing xal T00 röppw Tg 
texyns Nön npoeAnAudötog &ativ et De dec. hab. cap. 9: Eotw 
EE 0oL EÜRVNROVEUTE Yappaxd TE anal Öuvaptes Arial... .), tamen 
iisdem fere temporibus ortos esse atque libellum De medico 
atque inter hos tres libros et in verbis et in sententiis simi- 
litudines quasdam exstare demonstrari posse puto. 

Atque primum quidem si quae inveniantur elocutio- 
nis similitudines investigamus, plerumque hi libelli 
coordinata dictione utuntur, quae in eo est, ut enuntiata adiun- 
gantur, ut De med. c. 1: intpod ev [elvar] npootacin Späv 
(Wr) EÜXpWS TE xal elaxpxog Eataı np&s TNv OnKpXovoav auTi 
ybarv. dktoüvrar yap Ond TWv ToAAMV ol pi) Ed Eraxelpevor TO 
oöna obrwg [w5] c0E Av Erepwv Emmpeindivar aaa; Emeit® 
nepl adrdv xahapelw; ExXeiv EodAt Xprotlj al xpiopaaıv EDO- 
Enors ööunv Exovarv avunöntwg. De dec. hab. c. 1: o0x @Aöyws 
ol npoßaddöpevor mv aopinv rpds ToAA& elvar ypralkınv, TRDTNV 
Een mv Ev ro Bin. al yap noAdal Tpög Tep:epyinv Ypalvovrat 
yeyevnpkvar. Acyw 6E, adrar al pmöcv Es Xpecs TWv rplg A ÖLd- 
Atyovrar. Praecepta c. 1: xpövog &otiv Ev & xaıpds xal narpds Ev 
Xpövos ob ToAüg. Äxeaıg Xp6vw, Eotı ÖE Yviaa al aaıpi. Gel yE 
hiv Talız elöotz N Acyıou@ TEGTepev TdaRVD TIPOGEXOVTK 
intpederv, AA“ tpıB7) per& %6ycu. Quaım rationem dicendi pe- 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 89 


riodis!) plane carere non posse in propatulo est neque raro 
plura membra in periodos coniunctse invenimus, sed non sub- 
iuncta; De med. 2: toig && anopaypacı xadapols xal nalta- 
ng yplodar, Tpös EV TOuS GpYaAnchs Gbroviors, Tipbs ÖL T& 
wayparz aröyyors. 10: repl E& pundtwv xal Eixkwv, öxdan 
peilövwv Eotl voonkdtwv, T& Ev Ylnata TEXVERWTaTOV ÖMELN- 
geuaı del Ebvaodaı Etadbery Aal TAG TUOTÄGELE AUTWY XAWAUELV. 
De dec. hab. 2: vecı te yap adroicıv &unintousev, dxpalovtes 
% Evrponinv löpwras tidevrar BAenovres, npeoßürat ÖL d& n- 
xriny voncdesinv Tiyevrar Avalpeoıv Ex ı@v nölewv. Praecepta 7: 
2ps Y2p Vepanıninv ob Ylvovrat, OXOTEOVTES ÖLAFEOLV PÜLVWöEX, 
TuAxgaspevo: ETEpwv INTeWv Eneraxywyrv, Evövtes Ev kLOonovnplY 
Son$rosce. Periodorum usus frequentior est in libro De de- 
centi habitu et in Praeceptis quam in libro De medico. Ad 
enuntiata inter se coniungenda non semper iisdem utuntur 
particulis. Quamquam enim omnes maxime yap et ö& adhibent 
et praeteren p&v cüv, xal yap, odv, dtö, Tolvuv, xl, tamen apud 
unam scriptorem libelli De medico invenimus Ererta et &yxöpe- 
vv ZE Toutwy atque in libris De dec. hab. et Praec. particulae 
exstant, quas in hoc libello frustra quaerimus, ut xaltoı ye, 
%örnep, Ye pfiv. Deinde trium librorum propria esse videtur 
breviloquentia quaedanı atque species, ut scriptores id agere 
putes, ut difficulter ea, quae dicunt, intellegantur. Atque 
saepe detractionibus vel omissionibus (&AXel:bearv) utuntur, quae, 
si verbum copulativum omittitur, facile a legentibus suppleri 
possunt, sed plerumque etiam graviora verba subaudienda 
sunt; De med. 5: Ent ö& T@v yeıpoupyıav, dan dt Toufis elorv 
axbgtog, TO TaXEws T) Bpaöcwg (scilicet tEpverv 7) xaleıv) öpolwgs 
Erzıveitat. 7: Öte nEv Yap peüpe Euveornxdg nöppw TÄg Ent- 
yarvspevng aapxös, (scil. &sti) et sub finem capitis: naxatplors 
ce tois napmolaıs EE Axpov pin Alnv aotevols (sc. Aatanpoderv 
Ymi). 1: axonbv d& Ent Tic EEcvalns (sc. elvar yprn). De dec. 
hab, 1: o0x dAoyws ol npodaddönevor MY oopinv Trpds TO“ 
eva Ypnolpknv (sc. npoß&Adoveaı). 3: nv 8’ &vavılnv Ypi @ee 
surgery. 0!s 00 OdRRTN KatTaaxeun) obde repiepyin (sc. TobTorg 
noozin eativ).... Ex te yap nepißoifg xai tg Ev ralıy eboxN- 


. 4) periodun intellegimus cum Cicerone (Brut. 44,162) comprehen- 
siondem et ambitum verborunı. 


HN) J. F. Bensel, 


gocbvng xal Apeleins (sc. Xp) anonelv). 5: aum YapN Yvo@aıs 
zav rpoardvrwv xal Xpliars av rrpds pıAlnv al w5 xal Oxolws 
Ta npog Texva, rpds Xphpara (sc. Eye, Y% yvwals dotıv). 15: 0! 
qev yap abıWwv Es OlhnAoüg, ol 68 &; gun ÖrhnAoüs, ol 8 &c xara- 
yeloug xal oxotervodg Tönsus (scil. Xataxilvovre:). Praec. 1: 
dxeors Xpövw (sc. yiveraı). 6: tig ö änınapring (scil. nos &yer) 
„quant au salaire“ Littr. Deinde scriptoribus circuitus plurium 
verborum, quam replippasty Graeci nuncupant, adamatur. De 
med. 5: &v olg pev yap dotı dd uns topic N) Xerpoupyin, Xpi 
ncreeoda Tayelav mv Stalpeoıv . . . Örrou Ö& noli&; dvayxalov 
yev&chzt Tag Tonde, . ».. 6: Eupgpäper SE note And T@v Tolob- 
zwv ainatos Ayalpeoıv noresdar. 10: MV aboraaıv önaris 6% 
navrds norelodhar Tod Yünatos. De dec. hab. 2: dxualovres 68 
Sr Eyrponinv löparas tidevrar Biknovres. npeoßüta 68 &a nt- 
xpinv vonodeainv tidevrar Kvalpeoıv Ex Twv nölewv. 4: neirödou 
Arexvov Ödeintindv Eyeviidın. 6: ebploxstar T& noAA& obs HEewv 
Evripwg xerpevn Yintpınn. 17: normoer ö& Oncupyinv rd npootaxdEv. 
Praec. 6: petalAdogovrar eis üytelnv. 7: Evövres dv nioonovnpiy 
Bondnaros. 9: dv ph re Ex yeveris N An’ dpxis Eidernua 7. 
Commemoro hic notabilem nonnullarum praepositionum usum 
horum librorum proprium: De med. 1’: ärd n&v nposwrou. De 
dec. hab. 2: pi) npös avantıinv. 5: Stayopn en! ta Erepa. Praec.9: 
neya Av Texumpov paveln Guy Tl; odaly Ts Texvns. Extremum 
ex eis, quae ad dictionem spectant, illud est, ut quemadmodunı 
figuris rhetoricis et metaphoris usi sint scriptores quaeramus. 
Atque in libello De medico saepe antitheta, parisa, isocola 
(contraposita, prope aequata, comparia) inveniuntur. 2: Tolz 
ö: Anropdypacı xadhapois nal naidanois Xpfiohar, rpds ev Tod; 
opYyarpoüg Olkoviors, Tpdg ÖE T& Tpxünatz anöyyors. 5: 6 Ev 
yap raxbs EuvexTi marker Toby növov xx! mouAuv, Tb 8 Öralelinov 
Avdnava:v Exer Tiv& Toü növou Tols Yeparevonevor. 7: T& EV 
Aa napaninainv, Tov 82 xuxdov HEYaV 2.200. ı& qiv öv- 
oxXAeüvra üroleineshar, T& Ok obölv Auntovra dopaupeladar, ubi 
etiam figura, quae dieitur similiter desinens (6poror&Xeutov) 
adhibetur. 8: z@ p&v tundEve növov, To 52 tänvovr ToAANV 
adokinv. 10: punte Öraıpeiv pötepov pite aurönatov Liv hayTivar. 
12: E&ööxer yap ro pev Eixeı Bondeiv Y T@v repıriden£vwv öbvapıs, 
ıd Ö8 ölhöveov pulzocerv. Abunde his ornamentis utitur scriptor 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 91 


libri De dec. hab. Qui iam in primo capite figuranı adhibet, 
quae in eo est, ut notio quaedam in fine enuntiati allata paulo 
post in recenti enuntiato repetita accuratius definiatur. cöx 
alöyws ol npoßaldönevo: Tv aopinv npds noAi& elvar Xpnot- 
prv, Tadınvön iv evco Bin’ al yaprnoAA x! pdg neprepyinv 
galvovraı yeyevnpkvar * AEYw dt, aürar al gunötv &; Xpkos 
tov np; & Ötadeyovrar... Xaprestepn Yap ri nnpds Erepov ev rı &s 
TEXYVNY nenompevn, TEX vnv öL Thv npds eboxnkoobvnv xal 
cöav. (De hac figura cfr. Gomperz, Apologie der Heilkunst ? 
p. 9.) Illae quoque tam usitatae figurae paromoeorum et anti- 
tbetorum inveniuntur. Quas cum in libro De medico semper 
consulto adhibitas esse non ita constanter afirmem, scriptorem 
libiı De dec. hab. his ornamentis delectari nemo non videt. 
Afferam haec: 2: Axpalovres 58 58. Evrponinv löphrag tidevrar 
Blerovres . npeoßüra: SE dk nuixpinv vonotreoinv Tiyevrar dvalipearv 
ex av nölewv. 3: olor Exaator oyxhpatt, TorodtoL 
AöLayurot 
Greplepyor 
TıXpol Tpbs TAG GUvavınalaz, 
euyETOL TTpdg TAG ATToXpiara;, 
Xarerol Tpbs Tas Avuntwargg, 
Tpdg Tag önorötmtas ebsToyor xal Öp.Äntixol, 
eÜuxpNToL TTp&g Anavras, 
Tpds Tis dvastdaız aryntıxol, 
rpdg Tas Ansaryhoras Evhupnpatıxo) al Ruptepıixat, 
rpös TOov  Xarpev EÜWETO: rad Anppartıro!, 
TpoS Tas 2 Tpopds EÜXPNOTOL Kal MÜTApXEES 
ÜTSHOVNTEROL Tpds Xatpoü TNV ÖronovNv, 
rpds Aöyous Avuarobg näv Tb bnodsıydev Expepovres 
everiyg pw nevot 
xapır KaTdEnEevoL 
SE Td &x Tobrwv Eoxupilöpevot 
&s AAndeinv npd; Tb brodexdev Aroteppnatlöpevot. 


Perite hoc in loco ad varietatem orationis augendam cola modo 
longiora modo breviora adhibuit atque duobus extremis membris 
similiter desinentibus quasi tinnitu periodum conclusit. Similiter 
res se habet in cap. 4: 


9 J. F.Bensel, 


ray ap Tb nomdev Texvir@g Er Adycu Avnvexdm. 
Tb GE PNYEV TEXVIRÖG 
kn romdev Ö& 
nEy6SoU ATexvou deixtındv Eyevidn. 
Td Yap oleostyar puEv, 
un rpNocerv Ö£, 
anadins nal Krexving anpelöv Eottv. 
omas Yap paädtota Ev inTpixf) 
aitinv pe&v Tolar XexprkE&vorory, 
OAe}pov dE Toloı Xpeopevorarv 
ETLPEPEL. 
et in cap. 5: peräyeıv THV aopinv Es NV Intpianv xal tiv intp:- 
«nv &s nv ooplnv (chiasmus). Nonnumquanı etian metaphoris 
utitur scriptor, quibus tumor orationis augetur. 1: Ew d& toü- 
twv Tag undev Es Xp£os nıntoboag Öadkkiag. 4: Tyspovinwratov 
hEV TODTWV ATdVTWV TWY TTPOELPNHEYWY N YLatS . . . Es Td ApXTV 
Anßeiv 7 pbarg xatebdln .. . ÖLÖNER Anoyupvoopevor TIV TTäaaY 
Auptevvuvrar xariıv al Arıpinv. Scriptor Praeceptorum in 
ipso exordio chiasmum adhibet. 1: xpövos Estlv Ev & xaupts 
Kal xa:pos Ev ( Xpövog ob roAUc. Saepius nobis occurrunt anti- 
theta et parisa. 1: e! ö& in E& Evapykos Ep6bou, Ex de nıdavfj; dvz- 
rAaXorog Aöyou. 2: xal ner Woeilns xal Mpenaröıntos nAAAOV Y) 
enayyeiins xal Anoloyins. 6: ED 6 Exer voaeövrwv HEY ETLLITL- 
TEELV EvExXEv Oyteins, Dyıarvöoyrwv de ppovriLeıv Evexev Kvoalız, 
gpovtikev anal byıaıvövrwv Evexev edoynpocbvng, ubi etiam chias- 
mum adhibet. Paronomasiam habemus 5: TiöeApropEvog Intpös 
Intpedery neiohein.. .. bnodeodar Tıv& Euppepovtx Es Yeparnıılnv, 
anodepxreügat te töv vooacovtz. Ne hic quidem auctor meta- 
phoras contemnit. 7: ol pn&v o0v Eövres Ev Budo Krexving, quo 
cum figurato vocis Budög usu illud Democriteum conferri potest: 
ev BU$o N Arryeia (frg. 117 Diels). Ex his, quae attulimus, 
exemplis sequi videtur hos scriptores simili dicendi genere uti, 
quod e parvis concisisque membris, pompa et tumore cogno- 
scitur. Attamen eos in his deliciis adhibendis inter se differre 
neminem fugiet; quare fieri non posse videtur, ut hos tres 
libros ab uno eodenıque scriptore profectos esse putemus. 
Quoniam igitur communionem quandam verborum inter 
hos esse ostendinus, iam eos etiam sententiis inter Se 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 93 


coniunctos esse nobis demonstrandum est. Quam in rem inqui- 
situris non eadem copia sententiarum, quae inter se comparari 
possint, praesto est atque verborum, cum in libro De medico 
nihil fere nisi praecepta de arte medicina exercenda dentur, 
de iis autem, quae ad mores medicorum spectant, solo prinıo 
cspite agatur, qua de re in libro De decenti habitu et in 
Praeceptis fusius disputaturr. Quamquam autem res ita se 
habent, tamen nonnullae sententiae triunm librorum communes 
inveniri possunt. Atque scriptor libri De medico suadet medico, 
ut corpus probe coloratum et bene carnosum praebeat ad auc- 
toritatem medici augendam 1: Iintpoö yiv [elvar] npootaatn 
rär (wg) ebxpws Te nal ebsapxus Eatar npbs TIV ÜTAPXoUCKV 
abto) yücıv. Qna cum sententia conferri potest id, quod scriptor 
Praeceptorum medico praecipit. 10: eüxaptotinv 5& od Tepar-. 
gi - dEin yap Intpenfjs npootacirc. Nam hoc in loco substan- 
tivum eüxapıotin non vi „gratae beneficiorum recordationis* 
(Thes. s. v.) usurpatum esse puto, sed, cum adiectivo edxX&p:otog 
etianı notio „iucundi, lepidi“ subiciatur (cfr. Sturz, Lex. Xeno- 
phont. s. h. v.), substantivum quoque hac vi „iucunditatis 
speciei® usurpari posse verisimile est, praesertim cum vis re- 
cordationis minime ad ea, quae ibi paulo ante dicta sunt, quadret. 
Quibus medicum hortatur, ut luxuriosa capitis ornamenta et 
odorem supervacaneum vitet; nam, si longe a consuetudine 
abhorreat, in calumniam eum incursurum esse dieit: Yeuxten 
ee xal Hpühıs änıxpartiiwv . . . ööun SE meplepyos' && Yap 
avv dEumteinv StaßoAnv xexrınoat, di SE öAlyıv EDoXNLOGUVNV. 
Etiam in libello De medico monetur medicus, ne nimis uta- 
tar odoribus 1: xplopaoıv ebööpo:s Ödniv Exovarv Zvunörtw;. 
Denique haud alienum esse videtur monere auctoritatem medici 
(npoctacin inzpoö vel Intpıxt)) duobus illis locis (De med. 1 et 
Praec. 10) praedicari, quam in praeceptis medico de moribus 
instituendis dandis multum valuisse apparet. Porro cum prae- 
ceptis libri De medico de munditie et decora veste .datis verba 
libriı De dec. hab. comparare possumus, quibus eos, qui veram 
possideant sapientianı, etiam simplicitate vestimentorum nosci- 
tarı posse demonstratur, quae, cum longe absit a luxuria, 
apta sit ad bonam opinionem comparandam. 3:8x%... dpeleins 
od npbs Teprepyinv Tepuruing, AK Häddov repdg eD&okinv. In 


94 J. F. Bensel, 


cap. 5 etiam munditiei mentio fit. Non spernendam esse 
bonam opinionem docet scriptor libri De medico, ad quam 
parandam medicum ordinatam vitam agere oporteat. 1: p£yıora 
ap Exeı npös Ööknv Ayadd. Quae gloria etiam in libro De 
dec. hab. et in Praeceptis laudatur. De dec. hab. 3:. @II& 
nAMMov rpds eböoEinv.... . Eocy TI Ex Tobrwv Ötoxup:löpevor. 
In cap. 5 dö&& commemoratur in numero earum virtutum, 
quae in medicina insunt. Praec. 4: Exesyar 5 öökns näAXov. 
Porro humanitatem et aequitatem a medico non neglegendam 
esse libro De medico et Praeceptis pronuntiatur. De med. 1: 
toroürov 5 övra ndcı xal genvbv xal yılavdpwrov xal erieixka. 
Praec. 6: Nv yap napf; plavdpwrnin, rapeotı Kal pilotexvin... 
7; 700 Intpod Emrerxeig edöoxkovres. Et scriptor libelli De 
medico et scriptor libri De dec. hab. speciem meditationis magis 
medicum decere putant quam severitatis. De med. 1: oxripao: 
SE And piv rposwnou cbvvouv ui) rıxpüs. De dec. hab. 3 16 
te o0vvovv affertur ut insigne viri veram scientiam profitentis. 
7: db yap abarnpbv Övonpöcttov xal Tolgıv Dyıalvouct xal Tolat 
vog&ougtyv. Praeterea inter libros De dec. hab. et Praec. simi- 
litudines exstant, quas brevi afferre liceat. Uterque enim 
scriptor rationem, quae caret usu, respuit et summam vim usui 
tribuendam esse censet. De dec. hab. 4: xad&v yap &x Toü 
ErdaydEvrog Epyou Adyos. TV Yap Tb TomdEv TEeXvirbg Ex Aöyou 
Aynvexdn. TO E8 Öndev TEeXviXn@g, ai) omndEv ÖE, ned6öou ATexvou 
Serntıxdv Eyevidn. TO Yap oleosdar ev, pin nprhogeıv dE, Auadins 
xl drexving onnelöv Eotıv. Praec. 2: twv 8’ wc Aöyou pövou 
Eunrreparvonkvwv pi ein Enabpacdat, Tav 8’ (ng Epyou „Evöciktog. 
oradepi) yap xal ebntastog N per’ Aöoleoxing loxbprars. Std 
rat xadoAou del Exesdar TÜV Yıvopfvwv xal repl TaüTa pin) EAQ- 
xlorws ylyveodar, Tv nEidy Ekeiv Prlöinv xal dvapapıntov Ekıv, 
nv N Impinnv npocayopsbonev. 

- Tres igitur libros et dicendi genere etsen- 
tentiis inter se coniunctos esse videmus atque eos iis- 
dem fere temporibus ascribendos esse non negabimus. 

Itaque, si quid in uno vel altero eorum quod ad tempus, 
quo conscriptus sit, certe definiendum pertineat invenerimus, 
hoc fundamento nisi etiam ceteri quando orti sint definire 
poterimus,. 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 95 


Atque iam Littraeus cognovit scriptorem libri Praeceptorum 
' vestigiis Epicureorum institisse. Qua re Gossen (in ency- 
clop. real. vol. VIII 2 p. 1813) nisus hos libros fortasse a 
Nausiphane Deiocriteo eodemque Epicuri magistro conscriptos 
esse suspicatus est. Sed priusquam ad hanc quaestionem 
accedamus, omnes illos locos, qui ad Epicureorum doctrinam 
referri possunt, excutiamus. Atque in primo capite Praecep- 
torum scriptor medici esse dicit in aegrotis sanandis adhibita 
ratione animum ad res ipsas intendere. Nam per sensus res 
in cogitationem deduci, quae ex apparentibus rebus colligat. 
Itaque naturam multis rebus moveri et doceri vi quadam cogente, 
mentem autem res a natura acceptas in veritatem deducere. Quam 
rationem cognoscendi cum doctrina Epicureorum consentire iam 


Littraeus (in edit. vol. IX p. 252 ann. 2 et 5) cognovit: 


Praecepta 1: Euyxatarvew ev 
du aal Toby Aoytopöv, Tvrep Ex 
TEPLTTWOLOS Toter TIV 
KEATV RALTNVRATAPOopNv 
EL TÜV PAaLVoHEYWYV peE- 
#o de 0'y. &x yüp tüv Evapykwg 
ertte)eon£vwv TV TMV Apxnv 
ratartar: 6 Aoyıopös, Ev öcavoing 
EyvApEt ÜNAPXWV EÜPLOXETAL TIX- 
LrbeXcHevNg arts Exraoıa rap 
Mwv. ÖTOÄANTTEOV oDv 
nv yboıvdond Tovroi- 
„avxalnmavtrclwv npnyY- 
RATWVv xımdivai Te nal Öt- 


Ezydüvar Bing dDreoi- 


an. HL öLavoroenap auri; 
.a3000%, wg rpvelnov, DGTe- 
pcoy eis AAnYyeinv Aya- 
rev. ° 


Epicurea 36 p. 105, 23 Use- 
ner: xal yap xal Enivorar rTäsan 
and TÜV alsynoEewv Yeyövaaı. 
xark Te nepintworv xal 
avaroylav xal bpausınra nal 
abvdeav sup BxAAonEvou 
te xalrod Aoyıcapod (cfr. 
etiam Philod. rhet. II p. 16; 
4, 12 Sudh.) 

Epic. ep. I. 75 (p. 26, 7 
Us.): @&a9& piv ünoAnnTE- 
ovxal nv yborvroAAK 
al navrola ürb aurTÜv 
Tov npaypatwv ÖdLön- 
xsnivalrexal dvayrxo- 
ayTNvaı rovötioytandv 
TR ONd TRAUN: TAPEYYUNYEV- 
ta Doarspov Enaxpıßoöv- 
xal pooebeupioxeiv &v p&v Tıal 
Yärtov, Ev ÖL Tal Bpaöutepov.. 


Quae cum ita ad mentem Epicuri dicta sint, ut Littraeus . 
(p. 252 ann. 5) hunc scriptorem et Epicurum unum ab altero 
sumpsisse putaverit, tum etiam vocabula retinentur, quibus- 


Epicurum usam esse constat (&vapy&wc, Tepintwarg). 


Neque : 


96 J. F. Bensel, 


hic locus solus ad Epicuri doctrinam spectare videtur; annec- 
tam nonnulla ex Epicuri fragmentis deprompta, e quibus prae- 
terea rationes quasdam inter Epicuri doctrinam et huius scrip- 
toris sententias intercedere apparet. Epic. 255 p. 188, 4 Us.: 
nv 58 npöAndıv Akyovary olovel xaraiıdıy 7) Sbkav Öpdnv 7) 
Evvorav 7) AaHoAıKiv Vvönoıv Evanoxeinevmv, tobt’ Eott HVNNV 
tod nodaxıs EEwdev pavevrcs. Quo cum loco conferas verba 
Praeceptorum 1: 6 y&p Aoy:onds nvnpn Tis Eatı Euvderxh TOV 
per’ alsdmarog Angdevrwv. Ibi Xatzindbıs, quam vocem verbis 
pvipn TOD moAdaxıs Ekwdev Yavevros interpretatur Epicurus, 
idem sibi valere videtur atque huius scriptoris xatapopn (1: xx! 
TIV Xatapopijv Ex TOv Yarvonevwv netrodeug). Qui cap. 7 in phar- 
macopolas invehitur, quos homines ignominiosos, qui e fortuna 
pendent, appellat: xal yäap odtor dvintpor Eövres, EAtyyn, Er 
Troödg brboupevor, TÜXNG Ye panv Seöpevor. Epicurum quoque parvi 
aestimavisse fortunam e sententiis selectis (xUprar Sökar KVI 
Us.) videmus: fpaxsa oop& Tuxn Tapenninter, T& d& pneyıota 
xx xupwrara 5 Joyıopds öwanoe ... . Jam conferamus hunc 
locum Praeceptorum 1: % alodnas Zvarounds d&oloa.... 
Tov Ünoxernevwv cum iis, quae Cicero nobis de doctrina Epi- 
cureorum tradit (de nat. deor. I 25, 70; = Epic. p. 185, 9 
Us.): ommis Bensus veri nuntios dixit esse. Digna prae- 
terea est, quae afferatur, vox notabilis ab Epicuro adhibita 
(196 p. 160, 1 Us): &yopalag yantväpyacolag as pi 
npds eböxlnova Blov auvrervouoas löcxs toü Biov " quam vocem 
in hoc libello invenimus, cum pharmacopolae carpantur 8: ol 
ayxıozebovie; Ayopalns Epyaaing Tprjocougr txürTa edira- 
ptwe. Quibus ex medici verbis recte illa Epicuri mutilata verba 
a Philodemo (VH? I 129) tradita Gomperzium supplevisse 
(Herm. V 395) apparet. Ne scriptor quflem libri De dec. 
hab. a doctrina Epicureorum alienus esse videtur. Nam in 
exordio libri eas tantum artes comprobat, quae ad vitam cum 
decore et gloria agendam pertinent; reliquas autem, quae curio- 
sitati inserviunt, ex ea fortasse causa probari posse ait, quod, 
si iuvenes his detineantur artibus, malas res agere prohibean- 
tur 1: Anpdein 6’ Av tobtwv n£pea &; Exelvo, dt önn 00x dpyin, 
ode nv xaxin. Quaecumgque enim artes turpi quaestu vacant, 
pulchrae sunt, dummodo in iis insit ratio quaedam artificiosa : 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 97 


zäsa yip ai ih er’ aloyponepdeins xal doynnaabyns xada, 
Ts pehoöcs Ts Eodox Texvirn Epyxlerar. Quibuscum si com- 
parabimus verba, quae adhibuerunt Epicurei in cireumscribenda 
arte, a scholiasta Dionysii Thracis tradita (Ep. 227 b p. 171, 
28 Us.): ol ptv "Enixoöperor obrws Öpilovrar tiv TexXvnv * texvn 
Est! nedsöss Evepyoüca Ta Bin Ta ouppepov. “Evepysüca' SE 
csv &syazopevn, similitudines inter has definitiones intercedere 
apparebit. Deinde hic hortatur, ne in arte neglegatur usus; 
nan, quamquam ratio magni aestiıatur, caveat medicus ne- 
cesse est, ne se contineat in rebus artificiose explicandis, sed 
etiam provideat ut res verba sequantur. Nam mera opinatio, 
cui opposita est actio, senıper insipientis est et perniciem affert 
3: 76 Y&9 olsodar ev, pi) Tpiioserv ÖE, Auadins xal Kreyvins 
ruziöv Eatıv. olnoıs Yap para Ev intpiat; altinv ev Tolar 
xeypnpe£voro.v, Öledpov Ö& Tolat Ypsopevorarv Enıpepei. Dane qui- 
dem concedendum est notionen: opinationis verae cognitioni 
oppositae etiam apud alios usitatam esse, tamen non forte 
accidere putem, ut hic scriptor opinationem impugnet, nam e 
florilegio Monacensi 195 (Epic. 224 p. 170, 8 Us.) videmus 
Epicarum opinationem morbunm sacrum nominavisse: 6 autd; 
("Erixcupn;) Tijv olnaıv lep&v vöasv Eleyev. Porro scriptor me- 
dicum philosophum dis aequiperandum nominat 5: 6 yd&p intpbg 
gAösorss toödeos, quam virtutem Epicureos sibi vindicavisse 
constat (cfr. 419 p. 282, 17 Us.: &pYaproug xal lsodrkou; Anc- 
aarlcüvres aurobs, 601 p. 339, 19: ’Entxoupog d& Ev ou re:- 
vrv gurök Echiv pndt gryodv tiv ebörtnoviav tıhenevos MV lo6- 
»eov Erepwvnse Ywviv). Deinde in numero bonorunı, quae 
in philosophia et medicina inesse docet scriptur, etiam emi- 
nentiam divinam (Örepoxh Yelx) commemorat, quam etiau Epi- 
eurus sapienti tribuit Epist. III 134 p. 66, 7 Us.: Inoeıs 58 
5 Heds &v dvdpwrors. Denique vestigis Epicuri quaerentes 
advertimus fragmentum quoddam Damoxeni comici saec. IV. 
exeuntis, quod superest e comoedia, quae Zövtpogot inscribebatur, 
servatum. Ubi coquus quidam se in Epicuri scholam isse 
narrat atque nonnulla de Epicuri doctrina pronuntiat, quae horum 
librorum sententiis propinqua esse videntur. Nam in libro De 
dec. hab. maximum valere naturam exponit scriptor, quam qui 
sequatur ducem, eum etiam omnes artes optime exercere posse. 
Fhilologus LXXVLII (N. F. XXXIN, 1]2. 


98 J. F.Bensel, 


4: Tyeovıxaratov pEv 00V TOUTWV ÄTAVTWV TÜV TIPOELPTLEVWY 7) 
pbars. al yüp cl &v TExvararv, Mv npoofj auTolcı ToDTo, öL& Tr&v- 
TWy TOUTWV TTETÖPEUVTaL TÜV Trpoeipnyk£vwv. Bandem fere sen- 
sentiam profert coquus ille versu 7 (IV 530 Mein. = III 349 
Kock): 7) ybarg naans TEXvng Apxeyovov Eat’, Kpx&yovov wArTÄpLe, 
atque paulo infra (in versu 33), cum ab alio interrogetur, sitne 
etiam bene versatus in medicina (xa! Tg larpıxjc Ti RETEXELV 
por Soxeis) respondit: xal näs 6 ploewg Evröc. 

Attamen, quamquam horam librorum scriptores ab Epi- 
curi doctrina haud alienos esse perspicuum est, quominus hos 
Epicureos esse arbitremur, obstat gravissimum impedimentum. 
Nam supra vidimus in libro De decenti habitu non prorsus 
omnes artes respui, sed, dummodo absit turpis quaestus stu- 
diun, eas probari, qua de re non idem sentit scriptor quod 
Epicurus, qui artes ad beate vivendum pertinentes compro- 
bavit, ceteras contempsit. 

Quae cum ita se habeant, quaerendum est possitne in- 
veniri philosophus, cuius doctrina quamvis Epicuro propinqua 
non plane cum hoc philosopho congruat. Atque mihi recte iu- 
dicasse videtur Gossen, qui hunc philosophum Nausipha- 
nem esse suspicatus est. Atque per se ipsum non sine veri- 
tatis specie quispiam dixerit Nausiphanem hos, de quibus agi- 
mus, libros conscripsisse, Qui, cum physiologia omnes artes 
contineri putaret, et medicinae architecturaeque et rerum publi- 
carum scientiae artisque orandi rationem habuit (cfr. Philod. 
rhet. II p. 48 Col. XLVI. 34. 4). Nausiphanis doctrinam cogni- 
tanı habemus e Philodemi libris rhetoricis ed. Sudhaus vol. II; 
eleganter et accurate de Nausiphanis doctrina egit Ioannes 
de Arnim in libro, qui inscribitur „Leben und Werke des Dion 
von Prusa“ p. 43—62. A quo philosopho Epicurum adules- 
centulum (cfr. de Arnim in encyclop. real. vol. VI p. 133) 
eruditum esse e Sexto Empirico comperimus (adv. math. I 3 
—= Ep. 114 p. 136, 24 Us.); sed postea cum magistro distrac- 
tus Epicurus gravissimas in eum iecit contumelias (Ep. 114 
l.1. et 235 p. 175, 16). Nausiphanes igitur putavit physio- 
logos optime artem orandi exercere posse propter accuratam 
naturae humanae notitiam (Phil. II p. 7. col. XV. 9); atque 
hominis naturam partem magnae naturae esse docuit, quam 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 99 


si physicus sequeretur ducem, eum tot scientias sibi compare- 
turum esse, ut optime idoneus esset qui ad rem publicam acce- 
deret, cum vita humana iisdem niteretur legibus quibus uni- 
versa rerum natura (cfr. de Arnim, Dion von Prusa p. 50 et 
Sudhaus, Mus. Rhen. n. s. vol. XLVIII [1893] p. 339). Ita- 
que argumentationes physicorum ab oratorum rationibus haud 
diversas esse contendit, cum et oratores et physici ex eis, 
quae fierent, profecti ad ea, in quae inquirerent et quae futura 
essent, pergere studerent. Phil. II. p. 36. col. XXXVII. 
24, 9: xal növov ÖSeiv olönevos TO oxnpatloaı Örampkperv aXeddv 
Toy TE TOD aopcd Adyov aal Töv ToU nodıtıXod Prtopog TWS 00% 
Eleıbe Tals ÖLavaohoecı Ev ob Öap£povras Toug TNV AATdELaV KaT& 
FugLy EYrvwxdtas TÜV nodıtxöv ntöpwv; p. 37 col. XXXIX. 
25. 5: AAN, wg Eorxev, mpötepov bnoxelstha: del NV Toy Tpay- 
pnätwv elönaotv, el nEider tig Evdunnoechel tı Tov rolttırWv öpdüg 
7, Eıdakeıv rd aunp£pov‘ p. 38 col. XL. 26. 1; del xphorov ötako- 
yıopbv Övra Ex TWV Yavepwv Av xal ÜTapXövrwv TEpl TÜV pei- 
Yövrov. (cfr. etiam p. 19. col. XXV. 1. et p. 38 col. XL. 13, 
ubi Prilodemus hanc Nausiphanis sententiam redarguit). Quod 
hie rationem universae rerum naturae in humanam naturam 
transferri oportere et semper iis, quae fiant, standum esse de- 
elarat Nausiphanes, eandem fere sententiam scriptam videmus 
in libro De decenti habitu et in Praeceptis. Nam bonam hu- 
mani corporis habitudinem cum natura confert scriptor Prae- 
ceptorum, cuius corporis concinnitas et opificium e spiritu, ca- 
lore, humorum decoctione, victu omnibusque rebus appareant 
19: N yYap Tod dAvdpwrou ebekin Ylaıs Tig Eorı PÜcer TEPLTE- 
ranpevn alvnarv o0x dAAotpinv, dAAZ Alnvy Ye ebapLostoloay, TTVeb- 
pati te xal Yeppacig xal Xup@v xatepyaaly, navın al ndon 
&Kaiy xal rolar Gönmaar Seönpioupynpevn, Tv ph Te &% yeverlic N) 
ar Apyxts Eideippax 7. Atque in libro De dec. hab. natura 
ut optima dux praedicatur 4: Tyepovinwtatov tv 00V TobTwy 
ATAYTWv T@V TPOEPNREVWV Y) Ylcts. Itaque in iis, quae fiant, 
medico insistendum esse, si expeditam facultatem in arte me- 
dendi adipisci velit docet scriptor Praeceptorum 2: öd xal 
azdölou del Exeodar Tv Yıyonkvwv xal rrepl Tadıa pen EAaxlatwg 


"riyvesdar, Tv pErdy Ekerv dniöinv xal dvapapıntov Eiıv, Tv 8% 


Irtg:x7jv Tpocayopebonev. Denique haec digna mihi videntur, _ 
1° er 


100  J. F.Bensel, 


quae afferantur. Nausiphanes (p. 44 col. XLIV. 18) non ec 
spectare studium physiologiae docet, ut qui eam profiteantuı 
quam maximam colligant mercedem, sed ut vanis opinionibus 
liberentur?). Atque ut eos, qui veram sapientianı possideant. 
superstitionis expertes esse etiam in libro De dec. hab, 
(5: Aderoröxtovin) scriptum videmus, ita scriptor Praeceptorum 
medicos monet, ne nimis quaestum quaerant 4: Entnelelsyhat U“ 
Öel nepl aräatog mtadod* 6: TNs S'enıxaprins pi) &veu Tg Entoxeux- 
Lobons rpds padnaev Enmedvnins: Tapaxsdedonar ÖE pn Alnv 
aravdpwrinv eioayeıv, AAN amoßAeneıv Es Ye Teptovoinv a} 
obalnv. 6TE && rpoixa, Avapepwv hvilmv EdyapLating TTPOTEPNY V, 
rapeoüsav eböcxinv. Haec igitur satis apertam cum Nausi- 
phanea doctrina praese ferunt affinitatem. Priusquam autem hanc 
disputatiunculae partem absolvam, genus dicendi trium Jibrorum 
ecquid ad fationem eloquentiae a Nausiphane positam quadret, 
brevi perscrutabor. Atque iam supra quidem vidimus eos, qui hos 
libros conscripserunt, a rhetorum doctrina haud alienos esse, 
eos delicias rhetoricas, hunc magis, hunc minus adhibere, 
imprimis autem scriptorem libri De decenti habitu non tantunı 
leviter rhetorum praecepta attigisse. Nausiphanem autem 
etiam in excolenda dicendi et scribendi arte multum operae 
posuisse ex eis, quae servavit Philodemus, colligi potest (Sud- 
haus, Mus. Rhen. n. s. vol. XLVIII p. 337 et Usener in praef. 
Epic. p. XLI). Idem Philodemus, de ratione dicendi quid 
docuerit Nausiphanes, haec tradit p. 27 col. XXXIL. 18. 5 sqq.: 
Fauuacoteov Ev cUv YuctoAlöyou xal TIVv Aalıkv „Ws GUVESTWORY 
Äxpwg xaT’ eVodlay TÜV WpLÄTNKEvWV xal perapopais En TA 
AyYvoounevov TPAYRa Äptora ETEVNVErHEVWV xl 08 TÄLOHAT: 
KEvD xal vöpw yeyovulav dAAL T] TÜV Tpaypatwv Yücer a} 
xat& MV ouviderav®. Haec igitur dietio, quam etiam AEdıv 
&töxxtıxiv nuncupat Nausiphanes (p. 22 col. XXVII. 10) ser- 
mone communi (W:.AnKEVT) continetur atque e rebus ipsis 
et e consuetudine (17) TWv rpaykadtwv Yboeı xal xatk tiv auvY- 
YFerav) oritur; neque caret metaphoris ad rem difficilem illu- 
strandam non ornandi causa adhibitis. Cum hac, quam sentit 
Nausiphanes, ratione eloquentiae genus dicendi horum librorum 
non congruere in propatulo est, qui magis obscuritatem qua 
FR Z 2) xal xapııdv od yıaddv AII& zevmv dobuv draddayıv. 


u. 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 101 


perspicuitatem petere videantur. Immo vero in his libris iam 
vestigia generis dicendi, quod Asianum vocatur, exstare puto, 
cuius dictionis quae propria sunt, brevitas membrorum et 
tumor dietionis, etiam hic inveniuntur. 

Atque quamquam hi scriptores a dicendi ratione a Nausi- 
phane posita ablıorrent, tamen dubium non esse videtur, quin 
eius doctrinam non ignoraverint, quem, cum ad a. 325 Epicuri 
magister fuisse videatur (de Arnim, encycl. real. 1. 1.), quarti 
saeculi altera parte floruisse verisimile est. Num vero cum 
Gossenio accipiendum sit, Nausiphanem hos tres libros con- 
scripsisse, dubium mihi videtur. Nam, etiamsi damus scrip- 
torem libri De decenti habitu, cuius doctrina Nausiphanis 
doctrinae consimillima est, Nausiphanem esse, Iıbrum De mıedico, 
quem non ab eodem scriptore profectum esse atque librum 
De decenti habitu supra demonstravimus, huic philosopho 
vindicare non licet. Sed tamen libros iisdem fere temporibus 
et viris, qui idem de medicorum officiis senserunt, ascribendos 
esse putem, ut eos altera saeculi quarti parte (350 
—300) ortos esse crediderim. 

Cui sententiae adminiculo afferri posse puten locum quen- 
dam libri De decenti habitu, ubi de iis loquitur, qui iuvenes 
sapientiae studiosi in hominum vaniloquorum manus incidunt, 
senes autem leges ferunt ad hoc genus omne in exilium ei- 
eiendum 2: v&sı TE yap adrolo:v Eunintougv. Arpabovres Ö& 
6.’ Evrporinv leöpwrag tiyevraı Blenovre; npeoßütar && 6% nıxpinv 
voncheainy tiyevrar Avalpeo:v Er Twv nölewv. Quae verba ad 
legem a Sophocle Suniensi a. 306 a. Chr. n. (cfr. Wilämowitz, 
Antigonos von Kurystos p. 194 sqq.) de coercendis philoso- 
phorum scholis latam spectare videntur°®). Atque nobis tradi- 
tum est Alexidis comici fragmentum (n. 94 Kock), quo ii 
laudantur, qui philosophos iuvenunı perditores expulerunt: 

toürT’ Eotıy "Axxörmea, TODTOo BEvcxpatng; 
TEN’ Ayadı Eclev ol Yeol Anuntolo 

?) Diog. Laert. V 38: torodrog 8 @v &uwg Ansdiunos zeig ölyov xal 
ehrog al näavres 0% Aoınol yıldooyoı Zoronikoug Toü "Anyırdleidsu vöpov 
elseveracvrog. pridEva Ttov Fricadszwv oXoATG Aynyelcsdan, Avyım 79 BovAn xal 
5 im fy. Athen. XIII. 610 f. xal Zoroxirg 88 tig dnglonun EEiiiaos 


zävzag gilosizoug Tre Attızzc, cfr. etiam Oratores att. ed. Sauppe II 
p. 341 sq. 


109% J. F. Bensel, 


aa Tols venodtrarg, Erste Tolg Tas TOv Aöywv, 
Ös Yaoı, Suvdners napaördbvrag Tolg vEots 
&c xöpanag Epperv paalv &x is "Artıxfc. 
"„Sunt senis verba philosophis irsti, quod filium corruperint.“ 
(Meineke.) Quo testimonio si fidenter uti possumus, librum 
De decenti habitu aut a. 306 aut paulo post editum esse su- 
spicandum erit; nam hanc legem non diu valuisse constat (cfr. 
Niese, Geschichte der griech. u. maked. Staaten I p. 315) °). 
Altera igitur saeculi quarti parte hunc, de quo imprimis 
agimus, libellum De medico conscriptum esse alio quoque 
probari mihi videtur momento. Nam dubium esse non potest, 
quin liber paraenesis quae vocatur vel adhortatio 
sit, qua iuvenes artis medicinae studiosi paucis erudiantur. 
Atque ese, quae nobis e quarto a. Chr. n. saeculo traditae 
sunt, adhortationes partim ad vitam cum decore et gloria 
agendam spectant et omnes, quibuscumque funguntur muneri- 
bus, adeunt ([Isocrat.] I [ad Demonicum], Plat. Hipp. maior 
286 a), partim iis, qui certis officiis funguntur, de his officiis 
recte praestandis praecepta dant (Isocr. II [ad Nicoclem], 
Xenoph. Hipparchicus et De re equestri et Cynegeticus, hic 
libellus De medico). Ex his, quas altero loco commemoravi, 
introductiones quae vocantur (eloaywyal) ortae sunt (cfr. Nor- 
den, Herm. XL (1905) p. 522). In initio librorum hujius 
generis quid sibi proposuerint scriptores pronuntiare solent. 
[Isoer.] ad Demonic. 12: dtönep &yw oo: rerpdoonar ouvrönws 
onod£ohat, & GV Av por Boxelg Enirndeundtwv rlelotov npd; 
aperijv Emidoßvar xal nap& Tolg dAdors Änaaıv dvdpwrors eböo- 
xıaloaı. Isoer. ad Nicocl. 6: xa$ EAwv 58 Thv Enındeundtwv, 
av xph oroxalsotar xal nepl & del Starplßerv, Ey Terpdaonar 
öteldelv. Pro vitae institutione, de qua hi disputant, apud 
ceteros, qui in adulescentes artis cuiusdam studiosos respici- 
unt, hanc artem invenimus, ut aput Xenophontem in libro qui 
est De re equestri 1: Boulöpned® xal Tolg vewrepors mv Hllwv 
EnAwoaı, I Av vonllonev abtob; öpdörata Imrorg rpooptpeod“, 
et in Cynegetico 2, 2: doa dt xal cola dei Tapsoxeuxapevov 


*) Etiam Pohlenz, qui de rationibus inter Praecepta et Epicuri 
doctrinam intercedentibus in libro, qui inscribitur Aus Platons Werde- 
seit p. 137 ann. | egit, illum librum non ante annum 3)0 scriptum 
esse putat. 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 103 


EIYely in’ adrd ppdaw xal adrk xal iv Ertotiunv Exdotou, 
tive npoedos &yxerpfi rw Epyp, et in Hipparchico 1, 9: taüra 
ntv oDv Öropnvipata mv Öel oe Entneleiohar Mc 5’ Av Exaoız 
tootwv BeAtıota nepalvorto, Toüto 6n nerpacona Akyeıv. De med. 
2: Ta 58 eis iv Intpinnv TEXvnv napayylipnare, 8 @v Eotıv 
elvar rexvınöv, dr’ dpyfis ouvontlov, dp’ MV xal pavdavev Av 
dvdpwros Apfarıo. Sane scriptor libelli De medico ea, quae 
tractaturus est, non tam munde et eleganter digerit et distri- 
buit atque Isocrates, qua in re propius eum ad Xenophontis 
morem accedere puto, cuius libri artificiosa distributione carent. 
Substantivum autem rapdyyelpo, quo utitur hic scriptor, 
quasi artis vocabulum esse apparet (cfr. Xenoph. Cynegetic. 
13, 9 et [Isocr.] ad Demon. 44)5). Atque ex his quas modo 
enumeravi, adlhıortationibus premam libellum ad Demonicum 
scriptum, qui Isocratis nomine circumfertur. Qua in oratione 
sententiae exstant iis, quas hic scriptor pronuntiat, sententiis 


consimillimae. 

De med. 1: dErodvrx: Yap brd 
Toy roAdav ol pn ed Staxel- 
pevor Td oöpa odrws [ws] c0ö 
av Eripwv Errrneindiivar Kadls. 

1: Esdät yenoti. 


1: ononterv ade ep! TijV 
yuxy <Eiv) aWwppova. 

1: Töy&p nporerts xal Torpd- 
XEIDOV RATappoveltzt. 

1: drd niv nposwnou GÜ v- 


vouv un nupas" adyaKöng 


ip Soxker elvar. 


1: Xph Yap noAI& Errıxoupe:v 
ÖxaLocsüvg. 


ad Demonicum 35: 6 yäp 
wars Savondels nepl TWV oi- 
xelwv oVötnore Xallc Pou- 
Aeboetaı repl Tov AANorplwv. 

27: elvar BobAcu T& ep! TIv 
Echte Pilöradcos, AA 
KAAWTITTIG- 

46: swyppövwg tov aürtol Biov 
olxovoLeiv. 

15: pite Yalwız Tponerl 
gtepye. 

15: EdıLe osaurdv elvar 
arudpwrdv AI GUVYYCULv° 
&' Exelvo piv Yüp aüFKXöng 
2... elvaı Ödceıs. 

15: Nyod paltorta oeauri 
TPETELV . . » . ÖLXXLOGUVNV. 


Liceatne autem ex his quaeiintercedunt inter hos libros simili- 
tudinibus colligere alterum scriptorem ex altero pendere, du- 


s, Verbum rapayysildsıy habes in libello De medico tribus in locis 


(e.2. 6. 8) 


4 


104 J. E. Bensel, 


bium mihi esse videtur; immo libros iisdem fere temporibus, 

cum hae sententiae latissime paterent, conscriptos esse puto®). 

Quando autem oratio ad Demonicum scripta orta est? Wend- 

land in libro qui inscribitur „Anarimenes von Lampsakos“ 

p. 92 sqq. demonstravit scriptorem huius orationis dialogo 

Aristotelis, qui Dperpentixög inscribebatur, usum esse. Quem 

librun Aristotelem, cum docere coepisset, edidisse ex eo appa- 

ret, quod hunc librum Platonis morem imitatus in dialogı 

formam redegerat (cfr. Christ.-Schmid, Griech. Literaturgesch. 1 

p. 722 $ 349 et Gercke in encyclop. real. vol. II p. 1035). 

Etiamsi quis cum Hirzelio (Herm. X (1875) p. 61 sqq. et 

96 sqq.) et Heitzio („Die verlorenen Schriften des Aristoteles“ 

p. 196 sqgq.) contra Dielesium (Archiv f. Gesch. d. Philosophie 1 

p. 477 sqq.) putet hunc Aristotelis librum orationem fuisse, 

tamen hoc nihil ad tempus referat (Hirzel p. 96 sqg.). Porro 

si verborum copiam libri De medico perscrutabimur’), scrip- 
torem persaepe vocabulis uti inveniemus, quae illis tenıporibus 
usitata fuisse videntur. 

aödadng 1. [Isocr.] ad Demon., Plat., Xenoph. [Cyneg. 6, 25 
oppos. Yıldvdpwros cfr. De medico 1: audzörg xal noXv- 
Yrwrog |. 

Ererxng 1. lam apud Democritum (Natorp, index s. v.), Xenoph., 
Aristot. (cfr. Mor. Nicom. IV 12: 6 &nterxg @v& pEsov TO 
apsorcu Aal TcO Cvoxdicu, Tod AAalövos xal Tod EipPWvoz). 

edonpxcs 1: Eeuxpwg TE Aal edonzxas, cfr. Xenopli. respubl. 
Lac. 5, 8: eüypoo: te xal eüsxgxor et Hipparch. 1, 17: 
EUTZERCU XXL EUCYTLLOVOS. 

°) Quo etiam pertinent praecepta de vita snpienter ngenda et de 
moribus recte instituendis a Stoicis data, quae nobis a scriptoribus 
nonnullia posterioribus tradita sunt. Stob. ecl. II 108,5 W = Stoic. 
fragm. 111160. 40 Arnim: zöv 23 orovdalov, 6urLANTıRndvV Ovıa Raul 

Emıdekeov xal nporpentinbv Kal Inpevutxov da ic ÖfııAlag sig EUVOLav 

yal zırlav ... Eri db ainhdilov Kal EDTETOXOYHXa eürRıpovxal dyyi- 

vovs val AyeıT va äneplepy,ov xal dnloöv xal änkactov; hic simili- 

tudinem quandam animadvertimus cum verbis libri De dec. hab. 3: 

nv d Evavıinv Xpn Mds aronelv. oic 0b ELdaATN xatacyeun obdE TEpt- 

epyin. Ex Te Yao nepio)tg Anl Tig &v TADTN EDIZILOTING Kal AP E- 

Asing co npig nepispyinv negpaulns AI“ pöärioy Lbg BdECHiyv, TO 

TB 00vvovv ... 0loı Exaotor oyYnatı, Torwötst. ddiayurcı, Anspispyot 

.. 8dOTOoyXoL Kal SprAnTıXol ... dropnovitxol npog Rarpoö 
nv drONOVYV. 
?), Quanmıquam hac rations sola niti periculosum est. Cfr. Poehl- 
mann, Vorträge und Alhandlungen. Neue Folge. p. 194 sq. 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 105 


EITXATOS, eürzxtelv 1. 

Aristotelem. 

x Iwr:suös 2 et 4. apud Platonem, [Isocr.] ad Demon. 27: 
x2)Awnıstis et apud Aristot. 

rgoretig 1. apud Platonem, Demosthenen, Isaeum, [Isocr. } 
ad Demon., Aristotelem. 

xgöyerpos 1. apud Platonem, Demosthenem, Hyperidem. 

cenvös 1. quod hic eadem vi usurpatum esse videtur atque 
apud Aristotelenı, Mor. Eud. III 7, 5: oepv6örng 8 neoötng 
auyadelas nal Apeoxeias; notabilem locum habes in Xeno- 
phontis Oecon. 6, 14: Td gepvdv övonaz Td xaAdg Te 

“äyadög cfr. De med. 1: 16 6& 7yos elva xaAdv 

al ayradbv‘ Torolrov 8’ Övıa näoc: xal genvdv xal 

TU.AvdpWroV xal EmieiX&a; invenitur etiam apud Platonen:. 
sövucug 1. [Isocr.] ad Demon. 15; apud Aristotelem. 
erzvdpwrc; 1. apud Isocr., Xenoph., Plat., Demosthenem, 

Aeschinem, Arıstotelem. 
gootıx6s 1. 2.4. snepe apud Platonem, Isocratem, Aristotelem ; 

Birade esse videtur qui afferatur locus Mor. Nicom. IV 8 

(14). 3: ol ev cv To Yexolw bnepßardovres BwpoAöxcı 

Saxcha:v elvar al PopTıx“ol, quem conferamus cum 

illo loco huius libri 1: & & eis YEAwra Avıenevos zul 

Alnv lapis poprıxRdg Unolaudzverat. 

Quonianı igitur de scriptore et aetate huius libelli satis 
exposuimus, restat ut exquiramus quae intercedant rationes 
inter hunc libellun et ceteros corporis hippocratei libros praeter 
libram De decenti habıtu et Pıaecepta. 

Atque Petrequinius, vir doctissimus Francogallus (Itevue 
nu ccale N. $. 1 (1850) p. 513 sqq.), seriptorem huius libri 
eundem esse putavit atque eum, qui librum qui est De prisca 
medicina conscripsisset, putavit, quod in descriptione cucur- 
bitarum similitudines inter hos libros intercederent. 


apud Xenoph., Demosth., Aeschinem, 


De prisca medicina22 (127.2 
Kuehlew.): zcöro nv 00V, EI- 
xusa:, Ep’ Ewurd xal ENLOTEOR- 
Yaı dygörmta Ex Toü AA)ou ow- 
Karos, TröTegov Ta nolda Te ul 
EXTENTAHEVE N) T& GTELEX TE 


De medico 7: te peiv Yap 
beöna Euveoınrös TÖöppw Täg 
Erıparvonkvng oapr6s, TOY [EV 
xuxAcv adtiıs elvar Gel Brayxdv, 
abrıv E& Yaotpwen, pin Tpo- 
kYan Td npos iv yelpn p£pos, 


106 


xal otpoyyila 7 Ta xolid Te 
Kal Es atevöv EE eüp£og auvny- 
eva öbvarto Av nalıcıa; olpar 
piv T& TormürTa, T& &c aTevdv 
ouvnyp£va &x xollou Te xal 
ebpkog. . .. ToDto ÖL, al arxlar 
rpooßarrdnevar EE eüpkog Es ate- 
VOTEPOV GUYNYREvaL TTpöG TOOTO 
TETEXYNVTaL, ripds Tb Eixerv Ex 
nis oapxds Hal Entondohe:, 


‚x0uxdov eyav. 


J. F. Bensel, 


ui) Bapelav- Torauınv Yüp oo: 
Eixerv &5 dd Eupßalver Ka To 
Ayestütag IXWpxrs RaAmS Av 
oräcda: rpds TIV oXpxa. T: 
&: rövou (d:&) TAelovog RaT 
aredaonkvou Ts vapr&g T& pi 
Ma rapaninainv, ToOVv 
oütw Yüap 8 
rlelotwv nep@v eüplsers dyo: 
av &; dv del td Aunodv Toro 


Aa TE TOAA& TOtouTötpong. 

Utrumque scriptorem cucurbitam talem esse oportere ı 
humores e carne undique contrahat dicere apparet; at quo 
modo aliter quid sit proprium cucurbitae definiri potest? Deind 
cucurbitas omnibus fere medicis haud ignotas fuisse nem 
negabit, quare Petrequinio non assentiemur. Qua de sententi 
am Daremberg (Oeuvres choisies d’Hippocrate?, Paris, 1855 
p. 50) haesitanit. 

Idem Petrequinius e verbis huius libelli 14: nepl 8& cü 
Twv Anzvrwv Ev Erkporg yerpappevov Eotiv, quae ad praecept: 
de chirurgisa militari data spectant, scriptorem ad librum nun« 
deperditum relegare, quo de hac re ageretur, conclusit. Atque 
Galenus commemorst librum repl tpauudıwv Ölchplwv (cfr. 
Littr. I p. 422 sqgq.), Erotianus novit librum repl Tpaupdtw: 
xal Berwv (9, 13. 20, 19. 113, 19. Nachmanson); in indice 
vitae Hippocratis Bruxellensis (cfr. Schöne, Mus. Rhen. LVII. 
59) „de ulceris et telorum detractionibus 
unum* commemoratur. Cum autem in indice librorum codici 
Vaticano 276 praemisso (cfr. Ilberg, Abhandl. d. kgl. sächs. 
Gesellsch. d. Wiss. phil.-hist. Kl. XIV [1894] p. 136) serip- 
tum inveniatur: rrep! Tpaunatwv ÖAedpiwv, llep: Berov EEarphonps 
(sic!), Petrequinius putavit altero titulo (rep! BeA@v EExıphon%s) 
unum tantum caput libri rep! tpaupdtwv xal BeA@v significari; 
atque e sckolio a Foesio allato apparet hunc librum ref! 
Tpaundtwv xal Beiöv eundum esse atque librum repl tpaupd- 
zwv öishplwy (Littr. 1. 1.). Sed licet recta sit Petrequinü 
argumentatio, tamen, cum ille liber deperditus sit, ex hac re® 
fructum percipere non possumus. 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 107 


Diutius autem immorandum est in ea quaestione, quae 
est de rationibus inter hunc libellum et librum qui est De 
ulceribus (Ilepl &Ix£wv) intercedentibus. Nam et Darem- 
berg et Petrequinius hos libros ab uno eodemque scriptore 
profectos esse putabant. Qua in re perpendenda omnes locos, 
qui ad hanc sententiam fulciendam afferri possunt, diligenter 
perscrutabimur. Atque illud summum esse videtur hunc scrip- 
torem pluribus in locis ad alios libros, qui sunt de vulneribus, 
relegare. Nam in cap. 10, postquam de tuberculis et ulceri- 
bus graviorum morborum propriis (repi ö& yupatwv xal EIxEwv, 
inöca perLövwv Eotl voonp&twv) disputavit, ea, quae ad vulnera 
aequabiliter concoquenda pertineant, in aliis se exposuisse dicit. 
Sed huius generis ulcerum in libro qui est De ulceribus nulla 
mentio fit. Deinde in cap. 11. quattuor progrediendi modi ul- 
cerum enumerantur: aut enim in profundum aut in altum aut 
in latum ea serpere dicit; qui sit quartus modus, propter 
textus lacunam certo dici non potest. T& Ö& Eixex Öoxel nopelas 
Exeıv teogapas, lav piv Es B2%os° Talra 8’ Earl Ta aupıyywön 
xal &oa Unourd otı xal Evroche xexctlaoneve, 7 8° Erepn eig Dibog- 
ı& brrepaapxedvra. tplın 5E &orıv els nidros‘ Tabız dE Earı t& 
walebneva Eprüorıxd, teripen 6566 &otıv lacuna, «ben d& növn 
xark yborv elvar Öoxker xlvnoıs. De signis autem horum ul- 
cerum et decura adhibenda in aliis fusius se disputasse dicit. 
Atque re vera ex his ulceribus nonnulla in libro, qui est De 
ulceribus, commemorantur. 3: broxddapa:s Ts xatw xording, 
Euppkper ..... xal tolarv Eotrronevorar xal Eprruotixolar (sc. EAxeot). 
6: T& Einen, öxdon eh Xalüs xadaphevra Es Tb BEov del p6Tepov 
üpberar Biuotaverv, taürz brepoapxker nälara. 7: Tv Önohevoüv 
‚sareov Ayıorfitar 7) xaudev 7) npeodev N AI TW TpönY, TÜV 
Üxtwy robtwy al obAal xordrepar ylvovran. 8: TWv EINEWY 
T% xuxdotepex Tv onöroıla 1, Ev RÖRW TAVN EruTanverv XpN 
1a dpeotara. 14: (postquam nonnulla remedia enumeravit) 
tooro T& brepoapxeovra xadelper xal xorlaiver xal 00 Öaxvet. 
15: nAnpot 68 nadıorz T& xolla T& xadapz (enumerantur re- 
media). Ex his videmus vulnera, quae in latus serpunt (£p- 
rostıxd) et quae in altum et quae in profundum (c. 8) cre- 
scunt, in libro, qui est De ulceribus, commenorari eiusque 
scriplorem, quomodo serpentia vulnera (c. 3) et cava (c. 8) 


108 J. F. Bensel, 


et quae carnis excrescentias lıabent (c. 14) sanari possint, 
pronuntiare. Sed haec non verbis huius libri De medico satis- 
faciunt. Nam frustra requirimus signa ulcerum (onpeix) neque 
certiores fimus, quomodo ea, quae coaluerunt, dissolvi possint (d:’ @v 
&& Td Euppuönevov Ötadudnoera:). Praeterea ulcera in libro 
qui est De ulceribus nominantur, quae hic scriptor non novit: 
7% xuniotepka (c. 8) et al vonal (c. 18). Deinde Petrequinius 
putavit scriptores in praeceptis de usu medicamentarum illito- 
rum (x@tandoop&twv) datis consentire. Nam in libro qui est 
"De medico sic de his medicamentis disputatur. 12: wept d& 
xatanidoparwv wie‘ Toy Enttideevwv ödovimv öxcu Av) Xpfjars 
KATa TO vocebnatog Arpıäng elvar Öcxty, Aal To EAxeı ZppnöLcu 
Tb Emitihepevev CHöviov, TO ÖL xXatanidopatı Tpos TEV ROXY 
Tonsv Toü EAxeos Xp@ . . . Eööxer vap To ev Eixeı BPonteiv Y) 
Toy nepitihenevwv Öbvanıc, Tb E& Ohtviov Yuldageiv. 72 ©’ EEw 
hEY TO EiXeog TO xataniacona wyperte. Quo cum loco confe- 
ramus hos e libro qui est De ulceribus depromptos. 1: T@v 
rachrwv Eixkwv, brav Soxen Ösiodaı xatanddorog, ou Xp aurd 
Tb EANcS RXaTanidoceıv, AIR TE TeoLEXovia, Exwg TO TÜOV ATo- 
Xwpey xal Ta oxinpuveneva nalaydT. 10: T@v Torourwv Btt 
av Soxen Eeichar xataridoros, 00 Xp) auTd Td EAxos AXTX- 
TARIGEıV, AAA& TE nepräyovra, öxwg 16 TÜOV Anoywpen xal T& 
orAnpuvöneva Aaraxd7 (cfr. c. 1). 11: Erav 68 Tb Eixcg nata- 
gdv Ev En, YAeyualvn E& Tb EAxog xal T& TIEGLIEXOVTA TOD E)XEOg, 
pardv Ev civw Ebrioag xal zptıbag Aclov, Eiaip öAlyw Yuprioas, 
natanıdors, Ertöclv. 15: ÖTav TOUTWY TIvE XpEN TWV PapLa&XWV, 
onANvag Euwdev ÖEnpcb; Eniheis, OTOYYov AVWÜEV TÜV ITINYWV 
enides xal Eniöeı Kal rpooniecar Sllyw Häddov, Ta && TEp:- 
EYCYTa Tv YAeypalvn, Er av Öoxen Euppepeiv, nepınadoceiv. 
Utrumgque igitur. scriptorem medico suadere apparet, ut re- 
media ipsi vulneri imponat, cataplasma autem superimponat 
ad ea, quae circum ulcus sunt, iuvanda. Quod consilium taın 
diserte et distincte datum in nullo alio libro Hippocrateo in- 
venire potui; quamgquam non obliviscendum est usum et cnta- 
plasmatum et vineturarum etiam aliis medicis notum fuisse 
(cfr. edit. Littr. vol. III 230, 5. 240, 1. IV 160, 14. 374, 20. 
V 428, 21. VI 136, 3. fortasse IV 174, 18). Atque scrip- 
tori libri qui inscribitur eg! t@v Ev xepaAd) Tpwndtwv haud 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 109 


ignotus fuisse videtur usus cataplasmatum ad ea, quae circum 
valnus sunt, juvanda. Il. 17, 5 Kw. c. 13: repieyer yip 
I xeradn N MIN TO perwrov näv° Ex CE TÜV TepLeXivtwv T& 
Eixea, xal Ev Erw Av 7, TE E)Nex preyhalver xal Eraverölonerar 
&’ aluaros Enıkboiv. YpT 6 oücE T& Ev TO petwnw &:& ravrds 
73 yYzıvou RaTanıdacey al Eriöelv, AAN’ Ererötv TabsmTeL 
cAeypalvovra xar Td olörpa Natacıl, Tabsacda Natanldc- 
sovra xal Erröeovre. Quare ne ob hanc quidem communionem 
concludi posse puto libellum De medico ab eodem scriptore 
conscriptum esse atque librum De ulceribus. Iamianı ad aliam 
transeamus similitudinen , quam investigavit Petrequinius. 
Quam in eo esse putavit, ut uterque idenı de varicibus scari- 
ficandis sentiret. 


De ımedico 6: p£pn yap rıva 
Est TO oWpAaTos, & Ev Tayer 
ey Eye: Tiv boprv ToO aluaros 
Kal ARTRIYEIV Egtev 00 prilö:ov. 
zaürz &E Eotıv cl Te xipoar 
xal tıves Alla YAEßeSs T&c 
nv (cöv) Tonäg xpt elvar r@v 
TO.OUTWY OTevds. 0b Yüp clöv Te 
Try Pügıv yevEsdar XaTaxopf. 


De ulceribus 25: dx.v & 
xıpads Eveotıv En’ Avtınvrilou 7) 
TIEPLPRVNS 7) KRTa TTs aapxds 
xal Eatı näilav Tb ÄVTiXVYpLov 
anal Soxker delta ala Ar’ aü- 
rod Anopdufivar, 00 Xpl) T& ToL- 
AUT ARTAXPODELV OLOXLÜG" Ws 
vap EnmttonoAd E)xex peyarı 
yiveraı Ex TWV oXaapdktwv © 
Tod xıpood rnv Enibörtv. AA 
Ypi) abrdv TOV Xıpadv ATOXTE- 
vesıv KAdote xal ANore, Emm 
av Eoxey narpbs elvar. 


Quos locos ab uno eodemque scriptore scriptos esse ne- 


cesse non videtur; nam e varicibus scarificatis multum sangui- - 
nis profundi medici ex usu cognitum habere potuerunt. Sed 
similitudines inter hos libros exstare nemo negabit atque forsi- 
tan hic scriptor libri De medico et in hoc libello et in aliis 
ab ipso laudatis illum secutus sit; verisimilius autem mihi 
esse videtur utrumque ex eadem schola profectun, quae ibi 
didicerat et usu probaverat, litteris mandavisse. 

Iam reliquum est, ut perpendamus possitne referri liber, 
qui inseribitur De officina (Kar intpelov), ad hunc libel- 
lum. Nam Daremberg (1. ]. p. 54) hos libros unum ab altero 
compleri putavit. Atque revera nonnulla, quae in libro De 


110 J. F. Bensel, 


medico desunt, in: illo tractantur, ut ea, quae de medico, qui 
scalpellum admovet, de ministris, de hominibus aegrotis expo- 
“nit scriptor, cum in libro De medico fusius de instrumentis 
de temporibus, de tuberculis et ulceribus, de cataplasmatibus 
disputetur; porro in praeceptis ab utroque de luce et vinculis 
datis inter se non consentiunt. Quam rationem ita inter- 
pretatus est Daremberg, ut illum librum medicis non minus 
quam adulescentibus artis medicinae studiosis destinatum esse, 
sed libro De medico solum adulescentes eruditos esse putaret, 
quem ad librum, haec illius verba fortasse referri possent 
7 (34, 2 Kw.): öpyava pev, xal öre, xal olwg, eipfioetaı. Quae 
hic pollicetur scriptor se explicaturum esse, non explicavit 
atque in hoc libello nonnulla de his rebus praecepta dantur. 
At intellegi non potest, cur nonnulla, quae uterque scriptor 
affert, in hoc libro aliter tractentur atque in illo, si tam arte 
inter se coniunctos esse scriptores putamus, ut alter alterum 
laudet. Immo vero in libro De medico scriptorem a sententia 
ab illo scriptore prolata ablıorrere putem. Nam c. 4. vincturas 
concinnas et ad speciem comparatas repudiandas esse dicit, 
quas adhibere arrogantiae et ostentationis sit: eüpb%pous d& 
Emiötstag xal Yentpıxäg nötv Gpelouoag ÄTTOYLVWOXELV. Popti- 
xdv yap Tb Toroürov xal navreliig KAakovıxdv, noAddxıs te BId- 
Bnv oloov z@ Hepanevonkvw. Intel ö& 6 vootwv od x@lAwrtonöv, 
AA Tb ounp£pov. In libro autem qui est De officina postu- 
latur, ut vinctura concinne aptetur atque ut visu delectet. c. 7 
(II 34, 2 Kw.): Epyalönevov n&v taxkws, drmövws, edröpwg, 
ebpbduwg ... ebpuhnin 58 öpächar Höfws. Quae verba Galenus 
sic interpretatur XVIIIb 720, 6 Kühn: Td 88 dnövws xal 
ebpudpwg Aupw Eotl xorvd ... Ent ev yap Tg Ere Yıyvonkvuns 
Ertötgewg 7) eüpudpla Kata TNv TÜV Xeıplmv ylveraı xlvnaorv, Ent 
Ö& Tg yeyovulag Non xaT& Tiiv oboav nepiBornv T@v ötovlwv. 
Eyxwpel d& NV Yıyvopevnv Erı repßoltv T@v Emöconwv Eüpud- 
pov ylyveodar pavar xara Tb Epyalöpnevov eldog Tg Emiötgewg 
atque infra 722, 12: Td 58 tig ebpudplag Nöovijv Tolg öplarv 
Epyaköpevov, Ws Eyekiig aurbg elnev, wg Ex mepiouglag elta 
to xerplCovu, Enaükov aörh mv apa Tols löwrarg Öbkav. Tg 
6 pev wilööckos Avnp Firtwv Eotiv Ws Epactiig rardınav, 6 68 
uiavdpwrog dx Trrwv Ev, Avrnoreitar 8& Enarvelodat, Ypovti- 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 111 


Toy TOD pällov miotelecdhear nap& Tuls xdpvouc. E quibus 
Galeni verbis apparere videtur hanc rem haud parvi momenti 
fuisse; atque si statuimus hunc scriptorem, cum illa verba 
(c. 4) scriberet, de certa medici cuiusdam vel sectae medi- 
coruın opinione cogitavisse, intellegemus, qui fiat, ut tot verba 
de hac re fecerit. Quae cum ita se habeant, hos libros inter 
se cohaerere negabimus. 

Extremum illud est, ut afferamus huius libelli loci cuius- 
dam (1: öixarov npds näcav &pıdinv elvaı) ab Erotiano (p. 65 
Nachmanson) rationem habitam esse concludi non posse (cfr. 
Littr. in ed. I. 412 sqq. et Nachmanson Erotianstudien p. 
296 sq.). Cuius libelli apud Erotianum nusquam mentio fit. 


De codicibus. 


Libellus De medico sex nobis traditus est codicibus, qui 
in duas classes dividuntur. Atque prioris classis sunt hi 
V codex Vaticanus 276 s. XI. vetustissimus omnium 
qui hunc librum continent codicum, quem accurate descripsit 
übberg in edit. Hippocrat. operum a Kuehleweinio curatae vol. I. 
p- XV sqq. et in Mus. Rhen. n. s. vol. XLII p. 444 sqg. 
Atque hic codex continet hunc libellum inde a folio 188" usque 
ad fol. 189” post librum lep! Eyxatarouns rardiou et ante 
librum Hepl xpioewv. Ad hunc textus apparatum constituen- 
dum collatione Ilbergii usus sum, cui hoc quoque loco gratias 
ago maximas. 
C Quo ex codice fideliter descriptos esse Parisinum C 
2146 s. XVI et Palatinum?°) 192 s. XV., qui libros eodem 
ordine dispositos praebent, Ilberg (Mus. Rhen. 1. 1. p. 446 sqq.) 
demonstravit, qua de causa horum codicum plerumque lectio- 
nes non attuli. 
U Tertius eiusdem prosapiae stirps est codex Mona- 
censis 71 (anno 1531 conscriptus) a Litteraeo siglo U indi- 
catus, qui cum Vaticano plerumque consentit; tribus autem 
in locis a Vaticano et Parisino C abhorret, ubi suas coniecturas 
protulisse videtur scriba (12120, 12238, 1251s). 
E Alteri autem classi ascribendus est Parisinus E 
2255 s. XV. Quem codicem ex eodem fonte haustum esse at- 


°) Palatini etiam Littr. (vol. X p. LXII sq.) mentionem facit. 


112 J. F. Bensel, 


que Vaticanum Ilberg demonstravit (prol. in edit. pr XXI 
et XXVIM). 

De codice Holkhamico 282. s. XVL, qui post h« 
nominandus est, nil amplius constat, quem non minus qua; 
Palatinum auctore Ilbergio, qui mecum de hac re per litter: 
collocutus est, neglexi. 

Codicibus breviter pertractatis pauca addere mihi lice: 
devariarum lectionum collectionibus digni 
quae hic comınemorentur, quia ei, qui has collectiones fecerun 
codicibus, qui ad nos non pervenerunt, usi esse dieuntur. 

Jam Anutius Foesius, medicus ille doctissimus NMedio 
matricensis, in editione, quae a. 1657 Genevae prelun reliquit 
p. 1304 lectiones annotavit, quas e scholiis graecis et codicı 
bus olim Fonteblandensibus, nunc Parisinis depromptas Albertu 
Fevreus in editionem Aldinam (a. 1526) et Ludovicu 
Servinus in editionem Frobenianam ascripserant. Atqu 
duae Fevrei lectiones afferuntur 12lı: rioı xal osuv&v %% 
yıAdvdpwrnov x Errteixix, quo in loco cum Paris. E et cuu 
lectione Sambucci consentit et 121ıs: Enty:vöjLevov pro TXp2- 
ıvönevov, quod etiam apud Sambuccum scriptum videmus (v 
infra). Maior autem est numerus variarum lectionum, qua: 
Servinus collegit, e quibus tres elegantes et acutas recipere 
non dubitavi. 1208: @;. 12319: dvasnächa: pro Avesnäche: et 
ibidem 12319 8:2, quod inseruit. Sed has sicut alias coniecturas 
csse non minus verisimile est quam codicum lectiones. 

Ilud wg (1203) etiam Theodorus Zwinger in editione 
(a. 1579) praebet, qui se a nonnullis viris doctis lectiones e 
codicibus Romanis depromptas accepisse dicit. Ex aliis autem 
lectionibus Zwingeri fructum percipere vix possumus; prae- 
terea nonnullis in locis lectiones, quae etiam in Vaticano 
traduntur, servavit, ut Gomperzio (v. in[ra) assentiamur, qui 
hic memoriam codicum deperditorun servatam non esse putat. 

Deinde Hieronymus Mercurialis hic nominandus est, 
qui editionem a se ipso curatanı, quae typis prodiit Tuntinis 
({Venetiis a. 1588), variis lectionibus e „vetere codice* queu 
dieit assumptis locupletavit. Fortasse miraberis quod ter Mer- 
curialis Iow; et in textu et in margine adicit 1205: 6p&V 
eöypw; te xx! in marg. &5 laws 1206: Enerra nepl abrüv axdal- 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 113 


gesv ws; Eyeıv in marg. Xadapüg low; 1231: 5 EE dadırav Avd- 
RLUTLY TIwg TALEYEL TIV& TObTOU TOIS VER@TELONEVOLS in marg. 
75929, quo In loco towg e margine in textum irrepsisse vide- 
tur. Itaque has lectiones nmihil aliud nisi coniecturas esse 
verisimile est, quae in excmplar quoddam nescio quis ascripsit 
aldıta voce !sws, ut se haec de suo dare ostenderet, neque 
est, cur hic veterum codicum memoriam servatam esse putemus. 

Pergamus ad loannem Sambucum, quem varias lec- 
tiones in margine editionis Aldinae (nunc deperditae) inscrip- 
sisse, quas e codice vetustissimo Tarentino, e codice Fonte- 
Dlandensi, 'e libro typis descripto et multis coniecturis praedito 
deprompsisset, P. Lambaccius tradit. Quod si verum est, unum 
ve] plura exemplaria in codice Parisino E posita erant; naın 
1219 lectionem aßbwsteous:ev, quam E solus praebet, etiam 
Sambucus expiscatus est. 

ltiam 123 14 addıt gap&v, quod in Paris. E traditum est, sed 
aliım vocum ordinem hic servat atque E. 12316 cum BE ante rpo- 
#777) inseruit N), quod in nullo alio Iibro scriptum videmus. 
Porro si videmus 121 19 Erz: yıvönsvov etiam Fevreum servavisse, qui 
etiam codicibus Fonteblandensibus, nunc Parisinis usus esse dicitur, 
non esse videtur, curdubitemus, quin hie codicibus re vera usus sit. 

Denique interpretationis latinae a Jano Cornario com- 
positae, quae typis Frobenianis a. 1538 Basileae prodiit, mentio 
fiat, qui duobus in locis aliam textus fornıam atque libri nobis 
traditi secutus esse videtur. Nam 1247 legisse videtur dtovw- 
2277 et 124 15 Engusäcdear pro &xpucäotar. Atque in praefatione 
tres codices Graecos laudat, e quibus notas se congessisse dicit; 
gi fuerint nescio. Quare illae lectiones coniecturae esse videntur 
atque de lıoc idem dici potest atque de Zwingero et Mercuriali. 

Indicem huius libelli codicum invenies apud Dielesium, 
Abhandlungen der preuss. Akad. d. Wissenschaften. phil.-hist. 
Abh. 1905 III p. 34. 

De variarum lectionum collectionibus fusius egit Th. Gom- 
perz, Die Apologie der Heilkunst? p. 66 sqq. 

Sambuci lectiones collegit Stephanus Mack i in edit. Hippocr. 
vol. I p. 56 sgq. 

De Jano Cornario conferas quae exposuit Clemen, N. Arch. 
[. sächs. Gesch. u. Altertumskunde. XXXIII 36 sgg. 


Thilvologus LXXVIII (N. F. XXXIJ), 122. 8 


114 J. F. Bensel, 


De dialeoto libelli De medico. 


In dialecto huius libelli tractanda id studui, ut quam 
maxime ea, quae tradita sunt, servarem exceptis formis hyper- 
jionicis; ea, quae ad res dialecticas vel orthographicas perti- 
nent, in hac praefatione annotavi. 

1. v&EweAxvortıxdöv. 

In codice Vaticano v paragogicum ante vocales ponitur, 
ante consonantes etiam interpunctione interposita omittitur. 
E. g. haec afferam: 12110 &ott- xal V. dotıv cet. 12lıs &orl 
Set V Eotiv‘ cet. 12197 &oti‘ tous V Eotiv‘ cet. 12152 do 
haypacı xabapois V drronaypaaıv cet. Eandem fere ratio- 
nem etiam in aliis corporis Hippocratei libris, qui in codice 
Vaticano traduntur, adhibitam esse videmus (cfr. Kuehlewein 
in proleg. edit. p. LXVII sqq. et Villaret, Hippocratis de natura 
hominis liber ad cod. fidem recensitus. Diss. Berol. 1911 
p. 9sq.). Sed alii codices, ut A et M, v promiscue ante vocales 
et consonantes adiungunt vel omittunt neque ante interpunc- 
tionen: certam legem observant; posteriores autem manusnonnum- 
quam in his codicibus y paragogicum hiatus exstinguendi causa 
inseruerunt vel superscripserunt. Itaque dubium esse potest, 
num codice Vaticano semper genuina forma nobis tradatur; 
atque, si codices A et M testes afferre possemus, haud paucis 
in locis aliam formam eos praebituros esse verisimile est. Sed 
optimum erit Vaticani auctoritatem sequi, modo ne obliviscamur 
nonnumquam autographi lectionem hac in re hoc codice for- 
tasse non praeberi. 


2. Dexetnintersecommutatis. 

Littera 7, quam in dialecto ionica pro Atticorum & ad- 
hiberi pernotum est, non semper in huius libri codicibus ser- 
vatur. 12011 öökav 1221. 12528 xpeiav 12293 Xeıpoupyia 
122 38 xeıpoupyla 12326 naxpzv 1255 Enıueleia 1256 nopeiav 
12519 Enıpeleiag 12551 tpwuarlag. Sed cum maxima ex parte 
littera n servata sit, eam ubique restituere non dubitavi. In- 
tactas nimirum reliqui formas taxeiav 12224, Bapelav 12317, 
Bapela 12335, Bpaxeix 12533, de quibus cfr. Kuehlew. p. LXXXVI 
et nlav 12423; nam pinv forma et est (cfr. Smyth, 
Jonic. 8 419 ann. 1). 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc, 115 


3. De flexionenominum. 


Genetivi pluralis stirpium in -@ exeuntium duo exstant 
exempla xerpoupyı@v 12251 et nachv 12419. Forma Xerpoupyınv 
recta est, nam in corporis hippocratei libris etiam post ı solum 
ev adiungitur (Smyth $ 447, 1), cum ceteri scriptores disa- 
lecti ionicae post consonantes et t terminationem ewv adhibeant; 
formam rashv ab omnibus codicibus servatam intactam reliqui. 

Dativi plur. forma dialecti ionicae propria (Not) hoc in 

libro semper servata est. In dat. plur. stirpium mascul. generis 
<odices modo ot, modo oo: praebent, certa igitur lex obser- 
vata esse non videtur. Atque Kuehlewein putavit in codice 
A ante vocales formam ot; scriptam esse, sed hoc in libro 
omnes codices illam formam et ante vocales et ante consonantes 
praebent, ut ex hac tabula perspicitur: 
121» tolot voocouc: (vel Addworkcvoe:) 12180 Torobrorct xpfiode 
12311 paxarplorcı Tb 12326 toice nev 12417 oAdoloı de 
1207 ebööpors öönnv 1214 Tolg adroig anavlog 12110 Tels Intpolg® 
xai 121321 toig Yepaneboucı 12121 Toig Yeparevonkvors ÖTTZpXEL 
12128 rtoig bbeaev 12181 Tolg Yeparevonevors xal 12132 Tolg 
BE... xahapois xal naldanxoi; Xpfiotar 12158 ödoviors, rrpdg 
12154 oneyyars‘ adrönata 12218 olg &otı 12233 cl; nv 1231 Tolg 
deparevonkvais‘ (fin. capitis) 1233 Tolg ÖL paxarploıs bear 
123 11 TIaTUTepors Xpfiataı Toig paxaplorar. 1244 ol; Av 
1248 payaıpiors 58 Tolg xaumüloıs EE 1249 ortevols " Evlote 
124 ı3 noAdolg od 12482 Eräporg eipntaı 1254 Er£porg anpelc 
1257 Adarg elontar 12516 Tobrorg Exdotorg Xprottov 12537 Ge- 
viroic. obrw 12588 Erkpurg Yerpappevov. 

Stirpium in-o excidentium contracta forma exstat 1215 obv- 
sus, quam servavi; quae formae contractae etiam in aliis libris 
optimis codicibus traditis leguntur (Kuehlewein p. LXXXVI 
et Smyth $ 467). 

Stirpium in -e£; exeuntium vulgares formae permultae ex- 
stant: Ä 
1221 eürpn 12216 dodevnj 12228 Euvexrji 1235 nepn 1239 xara- 
xoot; 12316 Yaoıpwön ... nponnen 12331 nepwv 12337 nAatelg 
1244 nepn 12410 naxeis 12497 Enıyavfi 12434 aupLyywön. 
Formae non contractae raro inveniuntur. 121 2 &rıerxex 

| g* 


116 J. F.Bensel, 


12424 Eixtwov 12433 Eixer 12511. 14 Eixeog 12521 Bert 
Nihil hic immutavi. 

Stirpium in -t exeuntium accusativus pluralis tribus in loci 
invenitur. 12217 &nıötoıns 12426 austdsets 12517 Cuvauız. 
Formam in -ei4 excuntem (ovotzzers) servavi, cum etiam i 
titulis inveniatur (Teos 15824. Samos 22027). ctr. etiam Hippocı 
VIII 226, 228 L: p%ösıc. 


4. De flexione pronominum. 


Persaepe ante terminationem pronominum deionstrati 
vorum et personalium & insertum est, quas formas hyperioni- 
cas (Smyth $ 503 et $ 104) correxi; solus genet. plur. prono 
minis fem. generis apud scriptores dialecti ionicae terminatione 
ewv formari solet; sed 12423 omnes codices praebent adr@v. 
quod mutavi. 

Pronominis reflexivi atticae formae ubique inveniunftur 
1206 adtdv 12110 aürcus 12123 xar’ aürods 12414 7% Exurtz:. 
. Difficile autem diiudicatu est, quamı rationem in elirendo 
ör- vel öx- sequaris. Atque primum quidem quid praebeant 
codices perspiciamus. 

12124.28 1223 önwg 12226 önov 12214. 1259 dxou 12216 öxw; 
: 12434 Öxöox 12516 Gxöte 1225 öxsu VU: önov E. 

E quibus formis unam vel alteram eligere non ausus sum; 
nanı si formas ab ör- incipientes ubique restituimus, formas 
ab öx- incipientes tollere, quae in Hippocratis et Herodoti alio- 
rumque scriptis usitatissimae sunt, periculosum mihi videtur. 
Illas autem formas ab ör- incipientes tituli quoque praebent 
(Smyth $ 342 et Fuochi, De titulorum ionicorum dialecto in 
Studi di filologia classica vol. II (1894) p. 247 8 26, 4), 
quare ne eas quidem mutavi. Quas fortasse e sermone com- 
muni (xorv7) ÖdAextcg) originem ducere Thumb suspicatus est 
(efr. Handbuch d. griech. Dialekte S 311. 11 et Wilamowitz, 
Textgesch. d. griech. Bukoliker p. 19 ann. 1.). 


5. Deverborum flexione. 


a. de verbis contractis. 
Verbain -aw. E verbis in- aw excidentibus tria digna 
sunt quae commemorentur: 6&päv, &iv, xpfjioda:. Nam 1203, 
1223.15, 12481 codices formas non usitatas öpfv, auvopfiv, EV 


ur 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 117 


praebent, quas formas hyperionicas (Smyth $ 108 et p. 527 
ann.) correxi. Formam autem atticam 12511 Xp& ab omnibus 
codicibus traditam, quae etianı apud Herondam 56 exstat, 
servavi. Ä 

Verba in -ew. Formas contractas non semper inveni- 
mus; multae enim formae non contractae vel distractae exstant. 
Atque ita res se habent: 
formae contractae: 1213 xxtappoveitat 12125 rpowevoydei 
121so, 12417. 28.33, 12528 Soxet 12184 Bondeiv öcxet 1224 önı- 
reiv 12212 WpeleW 12213 wpelei 12219 Intet 12222 Enarveitar 
1241 Enırpcodeiv 1248 apaspeichar 12428 norsisyer 12431 Ötat- 
seiy 12512.18 wredeiv, Bonheiv 12512 Eööxe: 12525 Xeipoupyelv 
tormae non contractae: 12224, 12310 noeeodat 
tormae distractae: 1209 oxon£eıv 1215 Soxeeı 1218 Entxoupkerv 
12123 voosev 12225 neveev 12228 mocer 1253 Öoxker 
125 15 wgeleet, 

Semper formamı dei contractam invenimus, 

Qua ex tabula intelligitur formarum contractarum multum 
frequentiorem usum esse quam distractarum vel non contrac- 
tarum (22:2:8); attamen nil immutarvi. 

Coniunctivi formae et contractae et non contractae totidenı 
eıstant. 

1213 7, 121ıs EvoyAf 12139 wor 12581 Xeıpoupyritar 12120 Aunky 
(rar. lect.) 1245 &&9 1241 tendewor 1250 doxey. 

Formae non contractae etianı apud Herodotum et Demo- 
critum scriptae inveniuntur (Smyth $ 646). 

Similiter res se habet in litterarum & et o vel e et ou 
contractione, ut ex his apperet: 
formae contractae: 1219 voscöa:v 1224 voooöve 12217 Wye- 
1.0325 12322 Aunsöv 1243 Evoxdeivra J246 Xerpoupyoupevwv 
12435 Urepsapreüvre 1256 Toroöevov, 
tormae non contractae: 1209, 1227 vcasoyrag 1219 affw- 
orezusev (E) 12110 noteousıe 12126 Asteveovrag 12219 vooewy 
12235 Auneoy 1248 Aunsoyvre 12438 xadecpeva 

Verba in -ow. E verbis in -ow exeuntibus 1255 rAnpeV- 
kEvsY dienum est quod commemoretur; quam formam byper- 
ionicam, quae etiam in libro De prisca medicina 2515 Kw. 
invenitur, mntavi (cfr. Smyth $ 6906). 


118 J. F. Bens el, 


b. de verbisin -gı. 

Duobus in locis atticae exstant formae 12313 dyest@ras 
et 12326 &peotßo:, quae etiam in Democriti fragmentis in- 
genuntst (Smyth 8 701); nihil igitur immutavi. 

c. de verbo copulativoelvaı. 

Formas atticas participii praesentis codices his in locis 
tradunt: 121ı dvra 12318 odcav 12324 o0o« 12414 odan; 
12529 &vövrwv. Quae formae etiam aliis in libris nobis occurrunt, 
interdum etiam in titulis hae formae exstant (Smyth 8 710 
1 ann.); sed haud raro optimi codices rectas servaverunt for- 
mas (exempla collegit Kuehlewein p. CV). 


6. Varia quaedam. 

&s, eis. Forma dialecti ionicae propria tribus in locis con- 
sensu omnium codicum traditur (12318. 23. 34); tribus in locis 
solus Parisinus C eam servavit (121ıs. ı9 12488); sexies eis 
ubique scriptum videmus (121e, 124a7. (bis) ss. ss 1256). Ego 
semper codicem Vaticanum secutus sum. 

voloog-vöcog-vöceupna. 12325 formam ionicam V praebet. 
De forma vöoeupne, quam. 1259 scriptam videmus, egit Kuehle- 
wein in edit. p. XCIX. 

obv-Euv. Formam Eüv, quae ne in titulis quidem inveni- 
tur (Smyth 8 715), Kuehlewein reicit, nam oüv ionicanı for- 
mam esse constat (Smyth $ 715); sed &uv, quod tam saepe 
etiam in optimis codicibus traditur, plane eruere audacius esse 
puto (cfr. Diels, Herm. XLVI p. 277). Atque haec collegi 
exempla: 
120s 121335 123ıs 124ı1.14.16 1254 EupBatver 12228 Euvexäi 
1239 Eupgpeper 12313 Euußaiverv 12315 Euveotnxög 12337 Zuv- 
entonwvrar 1243 Euvayopnevp 12417 Euviotachar 1252 Suppopa! 
1258 Euppepovros 1254 Eupgruönevov 12524 Euvex&otara 
1215 suvvouv 1219 auvaldlaypara 12lıs suvorteov 1228.15 oUVvo- 
päv 1223 ouvoiser 12220 suppepov 12224 aunßativer 12335 ovva- 
yonevns 12413 ouvippootaı 12426 auastaceıs 12498 alotaarv. 

‚ roAdg, rovAdg, oAAög. Plerumgque stirpe roAX0- utitur hic 
scriptor: 1205 noAAüv 1218 12327 no 12297 noldds 
12413 noMdois 124ı7 noAdolae 12410 noAAYv. Semel 12228 habe- 
mus rovAbdv. Quam formam servavi, nam has duas formas iis- 


x 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 119 


dem temporibus apud scriptores eiusdem dialecti usitatas fuisse 
non sine veritatis specie est (Smyth $ 254. 1). 

pop, tpaxüpıax. 12153 tpaupara 12521 Tpwnarwv 12581 Tpw- 
watirg. Dlam formam tpabnar& non correxi, nam in titulis 
forma tp@yx non legitur, sed solae formae, quae «u habent 
(Hoffmann, Griech. Dialekte III 367; Thumb $ 311, 5 ann.). 

rrörg, nöd. 12593 nröltg exstat, quae forma aeolis- 
mus e sermone poetarum epicorum depromptus esse videtur 
(Thumb 8 326). 

renvo, tauvo. Atticae exstant formae 12225 tenvon£- 
vaug et 12418 TEnvovt:. 

sc, tt. Semel 12210 codex Parisinus E rrov praebet, quod 
e vulgari sermone irrepsit; ceteri (VU) recte ?os0V habent. 

Annectam hic nonnulla Orthographica, quae in 
apparatu critico non leguntur. 
psilosis: 1206 repl aötdv 12110 aüroug 121258 xx’ abroug 
itacismus: 1223 oöyorat (codd. VU pro auvoioy) 1227 el (codd. 
VU pro ) 12436 E&pr:otıx& (codd. praeter VÜ pro &prinstixe) 
125 18 &r! (VU pro &xei) 
haplographia: 1245 npooßadeıv E 12450 nesövra (VU pro ris- 
osyta) ı mutum: 1238 fhörov VU 
lapsus calami: 12337 Eeriorwvra: (E pro Euvenionwvrar) 12432 &x- 
zenbar (V pro exreecer) 12485 nwpeias (V pro nopelas) 12484 ov- 
geyawön (V pro oupyywön) 12435 Evroosde V: Evroodev U: 
evcodev E. 12435 brepanoxveüvra (V pro Drepsapxeüvta). 


Conspectus siglorum. 


Codices: 
V= Vaticanus 276 s. XII. U = Monacensis 71 a. 1531. 
C = Parisinus 2146 s. XVI. E = Parisinus 22553. XV. 
Editiones: 


Aldl-e — Editio princeps in aedibus Aldi et Asulani Venetiis 1526. 
Merc. — Hippocratis opera quae exstant veterum codicum collatione 
restituta ab Hieronymo Mercuriali. Venetiis 1588. 


Zw. = Hippocratis Coi viginti duo commentarii Theod. Zwingeri 
studio et conatu Basileae 1579. 
Foes. — Magni Hippocratis opera omnia quae exstant ... illustrata 


Anutio Foesio authore. Genevae 1657. 
Lind. — Magni Hippocratis opera omnia edita industria et diligentia 
J. Ant. van der Linden. Lugd. Bat. 1665. 


10 


120 J. F. Bensel, 


Mack. = Hippocratis opera -omnia cum variis lectionibus studio-Opera 
Steph. Mackii J. Viennae 1743. 

Kühn = Opera medicorum Graecorum quae exstant. Vol. NXI-XXIII 
(Hippocratis opera) Lipsiae 1821 sqgq. 


Littr. = Oeuvres complötes d'Hippocrate; traduction nouvelle avec Je 
texte grec par E. Littre Tom. IX, Paris 1561. 
Erm. = Hippocratis et aliorum medicorum veterum reliquiae edidit 


F. Z. Ermerins. Traiecti ad Rhenum. I]. 1859. 


Tria capita libri De medico apparatu critico et notis instructa& in- 
venimus in libello, qui inscribitur „BHippokrates über Aufgaben wnd 
Pflichten des Arztes“ hsg. v. Meyer-Steineg und Schonack = Kleine Texte 
für Vorlesungen 120) 1913. 


Interpretationes et commentarii: 


Corn. == Interpretatio latina Jani Cornarii Basileae 1558. 

Petr. = Petrequin in Devue medicale 1850 p. 641 sqa. 

Daremb. = Daremberg, Oeuvres choisies d’Hiypocrate ? Par. 1855. 

Fuchs == Hippokrates’ sämtl. Werke übersetst und kommentiert v. R. 


Fuchs. ]. Monachil 1895. 


1. [td pEv ypappa Eotiv intpoü npootacin xal napayyedııa 
TS XpN Rataareuaterv Intpeicv.] 

Intped pev [elvar] mpsotacin Epav (Br) Eüxpwg TE xal 
eloapxog Eotaı mpös TIV Indpycvaav RUTiD platv. abLoÜvTat Y22 
und TWy noAAOv ol un ed Ö.areinevor TO oWL% cörwg [oc] ce 
av Erepwy EntneindTvr RaAlg. ETEITE TEpl aOTOVv xatapelws 
ExXeiv EOIMT XpNoTd; Xal Xplopazsıy eVöönoıs Öcuiv EXouotv Avu- 
TONTTWS ' rpts ÄTAYTX TRÜTR ap NöEwg Eyeıv Eupßaiver Trug 
vooeoytas* bel E& [Tsüto] oXonesıv Tade nepl Tv buxv ev) 
aWerpova Ki] hOVvoY TO aryav, RAR al est Tov Biov vu eÜ- 
TARTElv. peytsta yap Exeı ngds EoEnv ayadı. TO CE Idog elvar 


1 verba uncis inclusa delevit Erm. 3 inrpoS pnäv elvar rpooraoinv 
EETV eHALWG te xal eycarro Eoror npig codd: Intgo) nEv &otı npoostacin 
Epiv EDXFWE TE rat EBORASE Tees Erm: codievn lectionem servarerunt 
inserta ante eöygwg vocula eg Zw. Mere, Lindn.: deleta vocula elvar et 
substantivo rzfootaciyy in npcozasin mutato ‚eodicum auctoritatem secu- 
tus sum; @g cum Zw. adldıdi. 4 ah ou0av pro Ir :dpyovcav adıı) E- 
5 76 cöna vuTwe wg Cd’ Av cold: Td oma chtws dd’ av Littr: 1ö Söna 
adrol, 008’ Ay Erm: forsitan seribi possit Eavıwv vor Erepwv opposi- 
tum, "quod ne:cio an latent ın Gürug. 6 Eneria nert adrv nayaifeıv 
wg Exeıv Ecditı ypnorn zal cedd. Zw. Mere. Lindn: Ersrta Ta nept adıcv 
ratariag Eysıy Eodntı yersty nal Litir: Enerta npener aörev Xadazeiog 
Eyeıv Eoditı TE Ypyory za Erm. 7 E217v Exovcıv dvunintog del. Frm. 
Avunentwg neig Anavıa" Tedro YA> codd: corr. Erm. toötov E: to3To 
cet: scel. Littr. I yuyıy adzpova' codd: Yuyıv Töv cürpova" Littr: 
puynv' onF£s,X. .. Interp. Bas ı7y ante cmgeova inserui 10 Biov navd 
eötaxtov codd: Etov a ran ehraztoy Littr: Biov navu süraxıov slvar 
Erm: piov navu eürazzeiv scripsi. | 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 121 


xarty anal Ayadlv® TOLoüTovV 6’ Ovra Täcı xal aeuvbv xal pLLdv- 
Irwrov xal Ereinea Tb Yap TpCTeres Kal Td TPIYXELBOV KATR- 
gesseitat, Ay navu Xplorov I. oxondby CE Ent ig E&oualng. 
Tx vap aUTz nap& Tolz RbTolg OTTRVIWg EXOVTa Ayandtat. oXTjLact 
EE and EV TTECOWTOU GOYYcDY in TuxXpüg" audaens yüp Eoxker 
Eiyxı Xal prozvipwrog, 6 GE Ei; YEIWT@ Avienevog Kal Alıv lAaptg 
goptındg bnolapßaverat. PUAaXTecv CE TO TOLÜTSY COX TNLote. 
Eixarov CE npog rAcay Ööpiinv elvarı KEN Yap roAl& Erixaugeerv 
E:xarosbvg. TpLs 6E intpLv cd piXp& auvalddypatax Tolat vo- 
acdsiy kat.’ al yap abıudbs Unoysıploug notEcuot Toig Intpeig‘ 
azi näoav Dprv Evruyxavoucı yuyaldl napdevors al Teig acicıs 
TAELSTOU XTINLROLV. 

Eyrpatkwg cOV Gel rrpog Änayrx Eyeıy TAXÜTE. TIV EV UV 
Yuyiv Rat Td aha cdrw Oraxelotat. 

2. Ta £&2 eis mv Inte TEXVNV nopayyeinate, & WY 
Esziy elvar TEXVIXÖV, AT Apyig OVVonTeov, Ay’ Wv xal navdaveiv 
(Av) dvdpwnos äpkaro. Ta Tolvuv Ev Intpeim thepareuöjevx 
GYECLY navdavovrwv Eott, Gel dE TPWTEY EV TETOV EXEiV oixelov‘ 
Estzı 6E ToOTo, ERV LITE TVEÜRa Eis RUTOY TTAPAYLVÖHEVOV Evo- 
yrL pe Frog N adyh npiypata Tapexy" YPüs ÖE TnAauyks 
array Ev Tois Yepamebcvat, (Aunnpov) GE Tolg epxneuonevorg 
Umipyet. TAYTWE HEY COY TotadımYy TNVv RYTV HAALOTE PEUXTECY, 
ec. nv Euußalver Tobg Sphaduobg voaceıv. Tb EV 00V PÜg TOL- 
chrov elvzı napi;yyeitaı. tobrto CE, Enws hröalög Evavriws Eei 
TO TPIOUNY TAgS abyas. nposevoydei Yap iv O)ıv Aotrevewg 
Eycusav' n&oa 6’ Ixavii npipaoıg Aoteveovrag ÖgdaAncdg Ent- 


10 


15 


20 


25 


Tarazaı. TO HEY CV EWTl TCÜTLV TOY TPONOV XPYOTEOY Eotl. . 


tod; EE Elpocus Eparodbs elvar tois Ubeorv Er pad:ora, Erw; Kar 
abrrdg wor" yarlzwaarı E& nINY TOv Cpyavwv yircevi Ypriodw. 
KR). )WTLOHÖS YAp Tıg elval or Coxel Foprinds OXEVedt TOLOUTOLGL 
Yehsbar. 75 8 Übwp mapexerv Gel nötiuov Tols VEeparevopevots 
xal xahapiv. Tois SE Aancnaypacı xadagcls xal pnardancis 
Yri,sdar, net; ev Tobg Öpdarucbs Odovicıg, TIP&s GE TA Tpaü- 
pata onöyyors. aütöpara yap tadıa Borteiv Öcxel nalüc. 7% 


2 xal &rısındx E Fevr. Samb: omittunt ceteri. 3 oxonelv Foes: 
casrnv Petrequin. 4 Eyovary cold: Eycvıa Littr. oyipatı Ern. 
> anyadeg ... pisdvicewnov Erni. I Eiyarschyn VU: diamoobvyv cet. 
aa dbiwsteovgıv E Samb, 10 «at secl. KEirm. 17 avdgwrog codd: 
8vdzwrcg Littr: &v avdpwnog Erm: &v äudewrog dedi auctore libergio. 
rer} intreiou EB mg. 18 tig olxing codd: oixetsy Littr: 19 &rıyıvd- 
pesov Flor. Samb. 20 zpiypara napsyer E: Auntsı VÜ. gag di m- 
Jayrag ev zeig Yezaneboucıy Alurncv &E Teig deganevnonsvorg Drapxer VU: 
güs LE ınaauyeg Tolg ev Yepanebovorv KAunov, cby 6polwg BE Tolg YEpX- 
Reycuevorg Dragysı E: güg 88 TnAauyYls Arunov ev Toig Yeparteboug:, 
Anzypau && Telg Hezarsunnevorg Ondpysı scripsi. 22 Yeunteov om. VUÜ, 
23 25 VU. 29 4pi,o$ar Krm. öl nepl oxevüv Kal dronayparwv Kal 
dus Zeyavwv intgeico E mg. 


30 


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122 J.F. Bensel, 


8’ öpyava ravıa ebnpn pbs mv Xpelnv bnapxerv öl th peYEd- 
xal Bapeı nal Aentörmt. 

8. T& 88 npoopspöneva dnavız ev xpi, auvopäv, önwg u“ 
oloeı. puädtora SE melorov, ei Öndelv melde Ti voaodvrı gr£ps 
zaüra SE kotıy Emötonata xal pipparz xal ra repl Tb EAxc 
6H+bvin al Ta ataniaopara. TAelotov Yüap Xpövov TRÜTE Te, 
tobs vootovrds &otı Tönoug, N ÖL nerk Talta dpalpeas Tora 
Avdukis Te xal nepıxnadapoıs xal rwv bdarwv Katdävranaıg ÖALYc 
zıvög Eotı xpovov. al rı nomoa Exou xp, (Td) HAANV TE %- 
Nocov koxtphar del‘ Tobtwy Yap Apyortpwv T xXpfiars eüxaupög 1 
xal ni) yevopkvwv neyalnv Exer d:.apopNv. 

4. "Eot 88 olxeln Enlöesrg Nic inpiafic, dp’ Ic Wopedei 
Eupßalver dv Yepanedovra. gueyıora SE Wpelel Öbo Talra, co) 


: &otı XPyoriov, rıeoaı Öxou dsl al dvemmevog Emiöfon. Trp&g € 


tous Xpovoug TAG Gpns, Tote del axenactndg al N, guvopä 
Exws + nö dodevfj AeAndds + ToTepp Taltwv EveaXoD Xprnateon 
ebpudoug SL Emrötotag xal Yertpıxas pmdtv Wyeloloag dio 
YIVWORELIV. YOoprıxdv Yüp Td Toroütov xal navrelüg Aalovexöv 
moAaxız te BAdßrv oloov TO Yepareuonevp. Intel öE 6 vooew 
od XaAdwrıonöv, AAA& Tb GufLpEpov. 


5. "En! d& Tov xerpoupyımv, don 5:4 Tonfis elarv T) Xabsıos 
Td Taxews 7 Ppadtws öpolw; Enarveltar. xpijors Yap &otıv Zupo- 
tepwv aurWv. Ev olg ev Yap Eat dt penis Tonfis N Xerpoupyin 
xpt) norlesdar TaxXelav mv dtalpeoıv Erel Yap oupBalver Toü; 
temvon£voug rovkerv &v (tobtorg), Td Auntov Ws EAdXLotov Xpövor 
ei napelvar. Tobro Ö& Eotaı Taxelns Tis Tonfis Yevopevng. drou 
6E TOAlAS Avaynalov Yevadar tag Topas, Bpxösiy Ypnmsteov Ti 
Xerpoupyiy. 6 p&v Yüp Taxüs Euvex) TotEeL TOV TTOvVov xl TrOL- 


1 pneyädeı V ras. 4 nädıoıa 85, nielotov sl interp. Erm. Boöls: 
supra lineam nYAsı U: „In 276 psiieı so, daß es wohl in BovAsı ver- 
lesen werden konnte.“ Ilberg. 6 vv. a nislotov usque ad töroug eiecit 
Erm. 7 zadınv VU. xal post tobrwv ins. lürm. 9 ze norozı secl. 
Littr. 18 ins. Erm. 10 süxatpwg Erm. 12 xepl änıdeoıog änındsiaz 
zolg Ispanevonsvo:g E mg. Ay’ NG Wpeistoten: Töv Yapansbovia codd: Ar’ 
Ts Wypeietodyar Tdv Yapansuöusvov Foes : dp’ ng wyeietsdha: dv Yaparevö- 
nevov dst Littr: Ay? Te wgreilslta 6 Yepanenönevog Erm: dp Ag Wpeielv 
Eunßalver tdv Yeparnslovrx scripsi. 16 döxwg pnd3 (pn 85 V) Aodevii 
Aeındiwg (AsAndöc VU) norepw todrwv &veoxos (dvuayod VU)ypnotsov codd: 
pro pund& dodevi, Daremberg pn dı dodsverav: öxwg nnd& zöv Kodevn) As- 
Andy bg nordpp tTobtwv ävuaxyod ypnotdov Littr: &g 0083 öv dadevfj Ak- 
Anye Önorepp Tohrwv dvuaxod xpriorsov Erm: Exwg und dadevia AsAyFw2: 
(scil. «tl &nıdäosıg) rotspw tobrwv Avuaxyod Xpnstsov Dietz (edit. libri Her! 
long voooou p. 126). 19 Lmrettar codd. 22 Anporspwv adıav VU: 
dnmporipwv cet. 25 noväsıy p&v Td Aunkov Ds codd: rovelv rd Aurndov 
niv &g Zw.: tovstv, TO päv Aunkov 5 Lindn: rovssıv dv Naar Kr 
Aunsov wg supplevi. 28 6 päv Yüp Taxüc EuvaxTji ToLEsı TOV TÖVOV aa) 
ToVADV, TO Ts Bıadınövra Avdarauaıv Exysı Tıva Toßtov od (ToßT6öv ou BIC v) 
wolg Yepansvonsvarg VU: 6 pev Yap taxbg Euvayti modsı Toy mövov AR 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 123 
Abv, Td 52 Eralelnov dvdnavary Exeı Tıvk ToD mövou Tolc vepa- 


vors. 

6. Td 8’ abrd Ent TWv öpydvwv Akyorr’ Av° Tolg ÖL paxaı- 
pioıs Öfen Te Xpliada xal miateoıv obx En navrwv Öpolws 
zagayyiiiopev. pepn yap tıva E&otı Tod awpatog, & Ev Täyeı 
näv Zxer: IV fünnv Tod alparos xal natacxelv datıv ob HrlöLov. 
taüra SE Eotıv ol te xipaoı Kal tıves Alla pAießes. Täg Ev (o0v) 
tonä&s xph elva &v Torobtwy atevds. od Yap olöv Te nv Püctv 
revichar xaraxopfj. Euppäpeı dE note And Tüv Toroutwv alpatos 
Gpalpeoıv rordeodar. Tip; Ö& Tols dxıvöbvoug Tönoug Raul repl 
cs pn) Aentöv Eorı Tb ala, rAaruttpors Xplioder Tolg paxat- 
pizza. Tb yap ala ropedort' dv, Aldwg dE obdanis. redvu &E 
eostıv aloxpüg pin Eupßalverv And Tüg Xerpoupyins 5 tı Yeler, 

7. Zuxu@v 88 Öbo Tpörous (Eupßalver> xXpnallous elvar. 
öre dv Yap help Euveoınxds Töppw TÄis EIIPALVOREVNg Gapxös, 
dv pıtv aunlov alrüg elvaı del Bpaxlbv, auımv dE Yaatpwön, fi) 
rpounen Tb npdg Tiv Xeilpa pE£pos, gen Bapeiav. Toralınv yüp 
cyazv EAxeıv &; iu Eupßalver “al Tobg dpestütag IXGpas xaÄlis 
dvzonäcdhıa. nos nv apa. To de növon (d:&) mielovos 


KITEGXEeÖZOHEVOU TTS aapxöc, T& iv KIIa napaninainv, Tov 58. 


xmloy peyav. obtw vap Ex rielatwv pEpWv ebpngeig Kyouaav 
&s 6v Bei Td Aunoüv Tönov. ob Yap olöv Te neyav elvar av 
wIRAov pi) ouvayonkuns Ts oapxds Ex nielovog Törnou. PBapeie 
&' oda Bere: nal Es Tob; dvw Töroug. Radtwiev dE HAAdov MV 
Apalgesty „2.00... Ra Modding drrolelnsohar TAE vobgou;. 
zog iv Eyestas: felnas: al paxpiiv Arexousıv And TÜV dvw 
tirwv ol natels Röxdo: old EuvenionWvrar nap& Ts KAIns 


zanrıv. 6 5 Dadınav Avdravarv Exsı Tıv& Tobrwv tolg Yaparsuonsvog E: 
25 päv yüp tax Euvsy7ji mode Töv növov xal nouAdv, d 83 dıadındv Avd- 
zaysıy Eye TIva Tod növou Tolg Yepansvonsvorg Littr: mutatis vocibus ts 
&.Aırövra in di &uadsıiznov et todtov od in Tod növou codicis Vaticani lectio- 
nem servavi. 

4 öEiar db yplota V: öbsor del ypliodar cet. (Zw. in marg. dstv): 
eig te yployar Littr. 5 vv. ab score usque ad xataoystv om Ald. 
7 zadyım VU gisder V: supra lineam ds U oSv ins. Erm. 13 aloxpöv 
Lindn. 14 rep! Tpönwv omudv xal neystoug adııhv E mg. oıxuWv 
(anbeov V) 8 (83 V) 800 tpönoug slvar xpnainoug codd. praeter E: düo 
& Tp&roug Yapıv ypnolpnoug slvar oıru@v E; omumv da dbo Tpöroug (Evp- 
Baive:) Xpnoipoug elvar scripsi. 15 daöpa V in ras. Evvsoryxs Erm. 
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& pi) yaorpwdn nponYian (post yYaotpwdn interp. V) codd. praeter E: 
abınv de pn Yaorpwdn, pn rponian E Samb: adımv d& Yaotpwdy päv, 
rropien cod. Regim. ap. Mack: adınv 83 Yaoıpudn pev, pn 8 nponien. 
Daremb: adrnv 88 yaoıpwdn, un nponyan Littr: 17 piits Bapstav Erm. 
19 &vsorächer codd: avsorastaı Littr: avasndcdaı Serv: d.% post Serv. 
ins, Littr.._ 22 oloven: codd. 24 xätw codd: corr. Erm. 25 intra 
ww. dyalpsarv et xal nolidxıg lJacunam exstare in propatulo est, de qua 
replenda vide quae exposuimus in annotationibus. vv. a xat usque ad 
wöcoug del. Erm. 26 y&p post p&vins. Erm, &ysorös: Serv. paxpdv Erm. 


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Hippocratis qui fertur De Medico libe!lus ete. 135 


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u. Kashgera.: vv. xal d xpnsttov doriv Enıueieiy, quae codd. post 
“es. habent, transposui mutata vocula xal, quam codd. ante 15 

=p7msvov praebent, in xaza cfr. annot. 5 vordv Ü. 7 oro=iz sechu- 
“Cm: Zw. 8 xapi Xatan)arıkzwv E mg. 9 zur“ -NNATOS 
“—.Erm. xat wmcis iocl. Littr.._ 10 &pnötov VU: & erv 
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124 J. F. Bensel, 


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Een npooßaiderıv. Erav SE xatanpoby, RATwdev GExestac. 
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10. Iept 8: gunatwv xal Eixkwv, Exrdca peilövwv Eat! 
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erneihar Övvaneva Opaios Ev Et£poig elpmtat. 

11. Ta &2 Eine Coxel mopeiag Eyeıv TEogapxs, pulav pEv Eis 
hadog. taüra 8’ Eat! Ta oupıyyYwen Hal ösa Unouid Eotı xai 
EYTOIVE NErstAngpeva. N 5 Eripn eig Ubss" Ta Ünepsapxeüvta. 
pin SE Eatıv eis Autos" Taüra GE kotı T& nudeijleva Epnnotind, 


1 eiixopeunv cold. 5 xaronsohn VU: xataxpoderv cet: xatarponrts 
Serv: xataxgcher Lindn: xarazsohrg Irm. Beysodar codd: diyrrar Corn: 
Eixestar Littr. 7 “debilior’ interpretatur Gornarius, ut &tovwrzgn le- 
gisse videatur. 10 Exı Aivduvog Dristarar taig Topaig, Örav gtevöv TIN“ 
yYaoy Emg. 13 cöom. Ald. 15 Zuzusäches lesisse videtur Cornarius. 
17 nücg VE: röog cet: nöov Erm: & &iret ho brafrg codd: dd doxel 
Co 3idag Serv: doxet 5 &bo Praßac Zw: xal &n doxel ho Brajag Kühn: 
ya Eorel En Ebo Brabac Erm: E50 Ei) Eoxet Biazag scripsi. 21 Cöovia 
ypyua E, 22 Eczıv codd: 25 Let VU: al cet. 


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Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. ‘7125 


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CoXEEL KIVTSTE. ara EV oDv Euppopaxt Tormütaı sapxas eigt. 
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EU Ereparz onneia ÖzönAwrar. ÖL wmv GE TO Euppuönevov Ö: ee 
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yeröpevoy 7, TIV EIS TÄRTOG TOpEinVv TOLOÜHEVCY, TEPGONAOVTWS a 
Tsurtwv Ev Eidos eipyTat [npeiz]. 

12. legt 82 Karanı \xopatwv WöE ' av Enrerihenevwv öhovimv 
Cru N YES ART TO voozinatos AxpıBjs elvar Coxey, xx} 
Ti) Eier Appölov Tb Enitrdenevov Ödövıov, To Ö& xatankdonar: 
mebz Tev nunip Tönov Tod Eixeog Xpi. Xpfio:s Tap AUTN XATa- 

mäsnarös Eatıy EvTeXVös TE Xalnielotra WpEleiv Cuvanevn. Edöne: 
22 To EV EAxet Bondetv N TWV MeprtideLevwv Sovalıız, TO © 
aövıov yuAdsserv, Ta 6’ E&w ‚EV Tod EAneog To RatinAaona 
WrErEEt, TIY Ev odv Xpfiarv abrwv elvar Öl Torauınv. 

13. Dez: ö: RALPEV ERGTE Tobtoig ExRZoTolg KENsTEov Eesti 
ya! 125 Euväntag WS YpN T@v Yerpanpevav xatapavd: AVEV, T2p&- 
HELELTTRL ÖE TA toradra, Enei nIEW TEONKTar Tg Rat. Itpiahv 
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14. 'Exöpevov 5& Todtwv Earl nal CH) Nata otpateinv 

YIICHEYWY TWn&twv Xerpoupyim rept TV eEnipeotv av Berewv. 
ev rim: YyaTa TTöiLv S.arpı 37jor Ppaxelz tig Eotı Tobtwv N) PAS. 
ENTER yap Ev TavTi Ti Kpovw yivovraı ToAttınal orpxrreiat Kai 
Roreunal, Eundafver CE T& ToLaÜTe TÄELOTÄNIG xal EDVEXETTATA 
mes! Ti Gevixäs otpatıkz ylveodar. ToVv pEV 00V HEAROVTa YEL- 
Paupysis GToxTzbectar bel Kal TAPNKOLLUINKEVE OTpaTelnagL 
Cevxzis. cötw Yüp Av ein Yeyupvaopivos rpos Tabımy TIV 
Yeeirv. 6 EE elvar Öoxel TEpl TaÜTE TEYVIXWTEPSV, EIPTITETAL. 
tüv 729 ön)wv Evövrwy Aal onneia nenopiodar TEXvng Eoti rlei- 
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eavtos COX Av ‚mapah! roLTo TpwWpating Ayvondels Otav Xetpoupyfi- ; 


"2: un) rboorRövrws. pLövos GE Av 6 Twv onnelwv Eureipos Einötws 
emyecoin. TEPL 6E TOUTWV ATAVTWYv Ev Er£poıg YEeypapıEvov Eotiv, 


1 33 ante ödög Zw: de lacuna, quae patet post &stıy cfr. quae ex- 
Poauimus in annotationibus,. 3 näsar 85 oval tod Eunzäpovrog codd: 
"äguıg 22 u0ıvöv Tb Eupgpepov Samb: näcaı 8 nova to Euppepovt: Daremb: 
rägz, 85 xorval ro Enuchovrog L.ittr. 4 82 om. U pro &adludioere: 
Littr. islebsstar: vv. xal D Xpnsteov doriv Erineisin, quae codd. post 
Gdiiwraı habent, transposui mutata vocula «xt, quam codd. ante 
"irzchevov praebent, in aard cfr. annot. 5 xoAdv U. 7 onpeia sechu- 
&it Corn: Zw. 8 nspl xatankaoıazwv E mg. 9 vark Toü vosshpnatog 
sec]. Erm. xat uncis incl. Littr. 10 &onskov VU: &pıötou cet: Apnaberv 
Serv: &ppökerv Erm. 12 2otv V: om. cet. 14 vAdoozıv legisse videtur 
Comarius. d d’Etw Erm. 18 8 ı& zoradıa secl. Erm. zisio VU: 
Rlatoy cet. yar’ intzelov Zw. mg. 19 röppw tod codd: transposuit Erin. 
&) 4 ins. Erm. sgatınv codd. otpatsinv Lindn. 23 orparıat codd: 
styarela: Lindn. 25 orpatas codd. 28 elpfotaı codd: elpyostz: Littr: 
era Erm. 3 naga)sirorro Eirm: 33 ärıysıpsin E. 


10 


15 


20 


8) 


126 | J. F. Bensel, 


Annotationes. 


120s elvaı, quod ante npootxainv praebent codices, e fal 
interpretatione compendii ortum esse videtur; nam pro ı« 
scribitur saepe —, quod cum siglo — = elva: confudit scriba 

1206 Praeter voces «ur@v et xadelpev ws nihil muta 
necesse mihi videtur. Nam xatapeiwg, quae forma etiam 
Xenophontis Instit. Cyri I 3.8 codice Bodleiano traditur, h 
latiore vi usurpatum est, quam vim in. hac voce inesse etia 
e duobus locis ex Herodoti historiis depromptis apparet: I 21 
“adapds arparös et IV 135 Td xXadapdv TOD orpatoß, cui exe 
citus parti opponitur I 211 1d dAxpriov et td yaulöratov atqı 
IV 135 ol dodevels. Itaque vocibus xadapös et nadapeiwg no 
solum munditiei notionem, sed bonum et probum habitu: 
significari puto. 

1207 ööpnv ExXovarv Avunörtwg. Quae verba quamvis diff 
cilia intellectu non eadem ratione tractabimus atque Ermerin. 
qui ea ut scholion ineptum seclusit. Neque enim idem valen 
ebcönorg et Ööunv Exovary Avunöntwg; nam verbis 6öfnv Exouct 
AvunöntwWg notio Eböönorz quasi artioribus finibus circumcluditur 
unguenta bene olentia, sed quorum odor suspicione careal 
Ad intellegendun: quid sibi velit illud dvunortwg comparemu 
locum quendam libri qui est De diaeta in acutis (Ilep! &atrn 
öGewv), de quo Ilberg me monuit. Nam ibi (c. 23; IL 276. 3 1L 
scriptor exponit purgativa medicamenta, quae insint in sorbı- 
tionibus, usui esse, nisi forte nimis ingrata sint aut propte 
amaritudinem vel aliam quandam insuavitatem aut propte 
copiam aut propter colorem aut propter aliamquamcumgque 
suspicionem: &rnel xal T& Ev toloı Bopnuacı drööneva brmAata 
aprıyer, 6xdca un dyav Eoriv dnöca 7) da nıxporntae N 5 KANTV 
tıva dnöinv N 5a nANFog NXpomv 7) drnodbinv va. Hic igitur voce 
dreorbin scriptor complectitur ea quae ante enumeravit incom- 
moda (nıxpörne, nANdos, Xpoın). Atque eadem vi eo de quo 
agimus loco &vunöntwg usurpatum esse videtur: odorem un- 
guentorum suspicione carere necesse est, i. e. necesse est ab- 
sint amarus vel nimius odor. 

1200 töv ante awppov« addidit Littr., qui hunc locum Sic 
interpretatus est: „L’homme sage non seulement sera disere.“ 
Quae interpretatio ut recta sit vereor, nam non esse videtur, 


9), npootacinv esse ornatum corporis Laqueur ostendit in Hermae vol. 
LIV (1919) p. 296 sq. quae vis huius verbi quomodo orta sit fortass® 
perspici potest ex loco quodam Herodoti histor. (Il 173), de quo Kalb- 
fleisch me monuit: & ßaarAsd, odx Sphüg vewuro) nposoınxag äg Td Ara 
YAabpov npoaywv aewWurTöy. c&E Yap Xp7v Ev Ypövo cenvä cepvdv Yuxsovi® 
8 Apepng npYoosıy TE npYypare, xal outw Alybrtıot 7’ &v ImLoTeato ws; 
6m’ Avdpog peyalov Apyovrar. Aal Äpsıyov ou Av Ynoveg. VOv db rose 
obdan&g BaaıAııd. 


ÖL nr, ge. di, = ge „en 


o- -  T—, nn 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 127 


eur duxhv et ouppov@ seiungamus, nam Yuxi) ouyrpwWv etiam 
apud Platonem scriptum videmus, ut Gorg. 506E Respubl. III 
410E. Atque praestabit My ante owppova inserere. 

12010 eützxtelv, quod conieci, cum praepositione repl con- 
iunctum invenitur. Deprompsi exemplum e Thes |]. gr.: 
Phalar. Epist. 113 p. 326 oBöE nepl TaüTa eüTaxtioate. 

1213 oxonöv, quod praebent codices, mutare non necesse 
est; nam facile hic eva: suppleri potest, quod ad huius scrip- 
toris usum quadrat. 

1229 d ante käAXov, quod inseruit Erm., necesse videtur 
cfr. 12222 Td Tax£wc. 

12212 &p' ic wyelelv xT\. Jam Foesius in hoc loco offendit 
et pro Heparevovta scribi voluit Yepaneuöpevov. Atque revera 
non medicus i. e. 6 Yepareüwv fructum percipit, sed aegroti i. s. 
ci Yepaxrreucpevor. Littr. igitur Foesii coniecturam probavit 
et insuper addidit dei. Sedsi ea, quae sequuntur, perlegemus, 
in verbis geytorz && wyerel usque ad Ertönjcat subiecti loco 
rationem a medico adhibitam vel medicum ponendum esse 
intellegemus; quare tdy Yepxrevovrz non tetigi, sed Wyelei- 
s>x: in Wpelelv Eunßaiver mutavi (cfr. ad 12314). 

12216 Verba nottpw Tobtwv ad oxenaotxüg xal iM et 
evaysd ad rpös dE Tobs Xpövous Ts Gprns spectare videntur. 
At difficultatem in eo positam esse putem, quod qua vi dotevfj 
hoc loco usurpatum sit cognosci non potest. Quo verbo uti- 
tar scriptor hisce locis 12135: ödıv datevewg Exovoav et ibiden: 
doteveovrag öpdhaAnous, quod interpretamur oculos hebetes; 
sed dubium esse videtur, num hoc verbo ad honiinem aegrotum 
significandum utatur; nam adhibet haec verba vooeiv vel 
dlworeiv 1219 1224.7.19 et Yepanedecdar 121la1.sı. Quod 
etam Cornarius et Heurnius intellexerunt, e quibus ille locum 
sic interpretatus est: „ut neque debili neque fortiore alterutro 
horum utaris“ ; Heurnii autem interpretatio haec est: „videndunı 
praeterea, ut neque leviore quam par sit utare“; qui dodevfj 
ad vincula (Ertöcoteg) spectare putant. Daremberg pro yınde 
@s$evfji scribere voluit pn dt’ &odeverav, sed quid insuper facias 
verbo Aeindwg vel AeAndös? Itaque cruce apposita totum locum 
intactum reliqui. Fortasse similem sententiam hic habes at- 
que in libro qui est De fracturis (Ilep! aypnüv) c. 26 II 841 
Kw.: tobg ©& xXpövous toüg abrobg nev Xen elvar Eni rd näddov 
Suelv Yendohar, Tobg abruüg SE Ent TO Häldov Öoxeiv Xadäv. 

12225 Si codicum lectionem secuti Td Aurttov subiecti loco 
ponimus, zovetv hoc sibi vult: dolore afficere, qua vi raro 
usorpatur; atque, etiamsi hoc accipimus, totum enuntiatum: 
‚cum autem accidat, ut id, quod dolore afficit, homines, qui 
sectantur, dolore afficiat“, sensu caret. Quare Zw. coniecit: 


126 


m ze DB uEv Auräov Gü 


1205 
interpreta nn un ER transposibis et locı 
scribitur s u me De matt, quod in 
120 ee - suppleatur (cfr. 12% 
necesse | 
Xenopl ug ah TRETS ad huius scriptoris us” 
latiore ee en ah (| uod E praebet. Nam: 
e duoh ee arts transit, huius rei ve} -® 
Kara ee 5 jet ut 1214 oyipaaı 62 IE: 
eitus ı n nr zagayyEhnatz: sinillimum lc“ 
IV ı: Sen ärzei mopelag Eyeiv Tioaapaee - EN 
solun — tusinus 5 habet, accipere dAubitarviy. 
signi m ehe atur SC riptor; quare Euußaiver, quo‘: 
ee AEe 121:3 12318 1241.12.16 125 2 Br 
eilie “u Sa 
qui Sötrmen ganrectura aörhv && yasızwön, un ng 3 
el ge ui > Di, erul p0sse videtur. Ad totum «-, 
av Man FF 11 Be multum prodest locus quidam it 2. 
u © sena e. 22 (2628 Kw.), de quo : aceurate egit U!» 
A ET ra er m edit. Oribasii vol. II p. 789, * bi = a 
I: - li ER Si nilur. en * ü 
‚ ae Pist ine 'aazıy nonnulla verba exeidisse In PM. Dr n 
; n s- a seriptor exposuerit, ex 115, qUa@ m. , 
aan ri) ren yaiy usque ad agapeisdet scripts - “ar 
Po ze videur. Hie enim eueurbitam g oravem te 
2 sa er .rrrere, sel necesse esse ea humo! BF 
| egtzahere od ni fieret, ea, quAe nocerent, in. "= 
u zn Hatte kat verba Ayxpenv et na! noAAM, 6 un 
er dis videntur quam Littraeus putarif, qm tn, 
ur st uelanyz inseruit ‚Eunpaive. Itaque, bu. 
nn sopplendum erit: uw 6 nahnev Tv Aypalpk, "" zn. 
zu ZI nr rn Eu gave EyoV, ope)elv) ya TOAAD Sen, 
> Codicam lectionem ® abe, servarı PO8SS_ üiy.,, 
BEN Lonefil „Wenn man $C@ 2 
Oi. Pocket interpretan 0 unten aufnehia@h, om 
2 der Sc ‚hröpfk op Blut von 7 eng, 
” af ee, quod est „tumens et tensa* hi u Ss, 
ir N Taremberg, P- 10 M- 24, qui _ az, ,. 
im 8 jiemonsirä La peau "tant tendue et gonfee, " \<; eur 
zum eu 1 lie ?) il faut, si on veu a, 
u (oa par 40 en afın de traverser INES 
ey meiser > Petreguin, qui, du reste, 8° 
m pi " zunte dans m premiöre dito» " k 
a que 7 ET — mais avec mE nouvelle inte =, "Mari 
zameägn 207 I} us admissibl- Lorsquil = "= 
radeon En le faire profondement, EN 
auge Re scart us } 


Digitized by Google 


Hippoeratis qui fertur De Medico libellus ete. 129 


= “ng sorlir des parties sur lesquelles on opere (autre- 
| on i BR a ne . pos a. de sang — 
| rond que la ventouse a eleve); en effei, 
dar du malade est assez fortement tendue.“ 5 

„u Inter ixguodw et &ıpuodw non multum interesse 

"peu. cfr. Thes. s. h. v. 
Ä IA Simplicius mihi esse videtur 60 ante öN restituere 
et et Gonel transponere, nam ab huius scriptoris con- 
re 000 alienum esse videtur ad notionem magis premen- 
Tg se cohaerent, separare (cfr. 12313 r&vv 

0 - . 
‚Ms Codicam VU lectionem det servare possunus; nam 
r= abi vult: persussum habere, qua vi hoc verbum 
„ serpsium videmus, ut Isocr. 336: odtw rap! adrüv 
Mo. Littr. interpretatur: „II faut, pour les absces, 
Manch que les dissoudre et en reprimer les engorge- 
& k plus kabile.“ 

E: Post isuv verba excidisse patet, quibus demonstra- 
Ye guarta via esset. Atque cum ea, quae inde a 
tur, ad totum hunc locum referri ap- 
lei. ex illo =: Ssmzuönevov (1254) supplevit 7) Eüupuazs. 
*rvea ssbonerm coalescendi (Euppbecdat) hoc loco ad- 
= wrmwile est; sed illa verba, e quibus Littraeus 
nen deprompsit (70 Euppuönevov, xollov YEvölLevov, 
ur, 2er, zuchmevsv) cum ad substantiva (ut vv. 
u gern zucamevov ad ıplen 56 korıv eis nAdTog) 
R ee met acc substantiva exponuntur (ut Td 
ad Di Suzpzepazuvz, xcllov yevönevov ad TaüTz 


m... EZ.. Evoode xexoudlacnäve) spectant. 
Fe = Zum seripserit an verbo ZunFleote: in iis, 


meyaesantor, usus sit scriptor, certo dici non 


TEEE> ss ousgregare, comportare, cogere in unum 
PX Ber: mares esse supra (1247) dictum est. Sed 
EL rue verbum 2417€7€:7 hic alio sensu usur- 
er maRencrese 2927-022, quod paululum antecedit; 
== vun !suere videtur, quod vix recte resti- 
WE Kr wer sum: DMIIVOS 
' 2 m =mmsio plarıbus in locis offen:: 
=wenz ılmerem geners curanda sin’ 


128 | J. F. Bensel, ; 


- 


T.avelv, T6 Auntov iv ws et Lindn. roveiv, Td 12V Auricy Ws. 
Fortasse autem verbis non opus est transpositis et locum 
sanare possimus, si pro HEV scribatur &v et ToDTo:g, quod inse- 
quenti vocula td excidisse verisimile est, suppleatur (cfr. 12223 
ev ols). 

12314 Vulgatam lectionem magis ad huius scriptoris usum 
dicendi quadrare putem quamı id, quod E praebet. Nam, si 
ad allam rem vel instrumentum artis transit, huius rei vel in- 
strumenti notionem praeponere solet, ut 1214 oyinao: 8: 12115 
Ta 6& Eis TV ÜNTERZIV TEXVTY TapxyyE)uata; simillimum locum 
habes 12433 7x 6& EIxex Ecxel nopelag Eyeıv tiooapas. Illud 
pxptv, quod unus Parisinus E habet, accipere dubitavi, cum 
nusquam hoc verbo utatur scriptor; quare Eupßatvs:, quod huic 
valde adamatur (1208 12123 12318 124ı1.14.18 12522), hie 
excidisse puto. 

12316 Littraei coniectura aUTyv dE Yaoıgwön, pn rponmen 
ex is, quae tradita sunt, erut posse videtur. Ad totum hunc 
locum intellegendum multum prodest locus quidam libri De 
prisca medicina c. 22 (2622 Kw.), de quo accurate egit Darem- 
berg p. 68 sq. et in edit. Oribasii vol. II p. 789, ubi etiam 
cucurbita depicta invenitur. 

12325 Post @pxipesev nonnulla verba excidisse in propatulo 
est. Hoc loco quid scriptor exposuerit, ex iis, quae paulo 
post inde ab Erinposdelv usque ad aparpeisd.x: scripta sunt, 
concludi posse videtur. Hic enim cucurbitam graveni dieit in 
locos superiores vergere, sed necesse esse eam lhumores alte 
resides extrahere; quod ni fieret, ea, quae nocerent, in corpore 
relictum iri. Itaque inter verba ayxipesıv et xal noA)axız plura 
excidisse nobis videntur quam Littraeus putavit, qui noteiv de 
supplevit et post voboou; inseruit Eupßaive. Itaque hunc fere 
in modum supplendum erit: x2Tw &8 n&))cv nv Ayaipearv (öel 
narslode:, WITe Eunßaiver CAlyov Wpedelv) Xu Tolddxıs ATA. 

1245 Codieun lectionem Öö£xesda: servari posse putem. 
Cfr. Fuchsii interpretationem (144): „Wenn man scarifizieren 
will, muß der Schröpfkopf Dlut von unten aufnehmen.“ 

1247 edtovwtipy, quod est „tumens et tensa* hic servan- 
dum esse demonstrat Daremberg p. 70 n. 24, qui hunc in 
modun interpretatur: „La peau clant tendue et gonflee par les 
rentouses (ou par la maladie?) il faut, si on veut obtenir 
du sang, inciser profondement afin de traverser la pcau de 
part en part. — M. Vetreguin, qui, du reste, s’est conforme 
an sens que jurars adople dans ma premiere edition tradnit 
EUTOYWTEEN Par cngorgee: mals avec ma nourelle interpretalion 
cette traduetion ne parait plus admissible. Lorsqwil est ndces- 
saire de scarifier, on doit le fuire profondement, car il faut 


p 


Hippocratis qui fertur De Medico libellus etc. 129 


toir le sang sortir des parties sur lesquelles on opere (autre- 
ment — c’est a dire si on ne veut pas extraire de sang — 
on ne scarıfiera pas le rond que la ventouse a Eleve); en effet, 
ia chair dw malade est assez fortement tendue.“ 

12415 Inter &xpuodw et !upucduw non multum interesse 
nidetur. cfr. Tbes. s. h. v. 

12417 Simplicius mihi esse videtur öbo ante ö7, restituere 
quem 57) et ö:xel transponere, nam ab huius scriptoris con- 
suetudine non alienum esse videtur ad notionem magis premen- 
dam verba, quae inter se cohaerent, separare (cfr. 12312 zd&vv 
© Eotıv @loxXpüsg). 

124 25 Codicum VÜU lectionem del servare possumus; nam 
vreiirgpevar sibi vult: persuasum habere, qua vi hoc verbum 
ssepius usurpatum videmus, ut Isocr. 326: obtTw repl aur@v 
vreANgpapev. Littr. interpretatur: „Il faut, pour les absces, 
äre convammcu que les dissoudre et en reprimer les engorge- 
ments est le plus habile.“ 

1251 Post £otıv verba excidisse patet, quibus demonstra- 
batur, quae quarta via esset. Atque cum ea, quae inde a öt 
&4 && Td Euppuölevov sequuntur, ad totum hunc locum referri ap- 
pareat, Littr. ex illo Tö Zu puöpevov (1254) supplevit 9) £üppuarz. 
Atque re vera notionem coalescendi (Eur pVechat) hoc loco ad- 
hibitam esse verisimile est; sed illa verba, e quibus Littraeus 
hane notionem deprompsit (Td Euppuöpevov, xolAov YEvölEvov, 
ev eis nAXTog ropelnv oroünevov) cum ad substantiva (ut vv. 
my eig nAdTos Topelnv rroroünevov ad pin SE Eotıy eis nAatog) 
tom ad ea, quae post haec substantiva exponuntur (ut Td 
rirpcbuevov ad T& Ürepoapxeüvex, xollov Yevöpevov ad TaüT« 
dor... ou... Earl. . Evroode xexorlageva) spectant. 
Quare utrum 2; Güpyucıv scripserit an verbo EupyVeotar in iis, 
quae substantivum sequebantur, usus sit scriptor, certo dici non 
otest. ; 

1253 Eupp£pery est congregare, comportare, cogere in unum 
locum, quod medici munus esse supra (12437) dietum est. Sed 
dubium est, num scriptor verbum Eupp£petv hic alio sensu usur- 
paverit atque substantivum &uppopal, quod paululum antecedit; 
itaque hic aliud verbum latere videtur, quod vix recte resti- 
tuitur, si cum Littraeo scribimus EuppVovrog. 

1253-7 In hoc enuntiato pluribus in locis offendimus. 
Nam quomodo singula ulcerum genera curanda sint, se aliis 
libris explicasse dicit scriptor; atque ante ipsa haec verba 
scriptum videmus illud: xal & petv Tobrtwy Ev Etepors onpeia 
nwrar xal D Xpnotkov Eoriv Ertpeleiy, quibus verbis (T Xpn- 
ottov xTA.) idem dicitur in universum quod specialiter verbis 
© av 62 Tb Euppuöpevov xTA. exprimitur. Deinde ea, quae 


PLilologus LXXVIII (N. F. XXXIT), 1]2. 9 


130 J. F. Bensel, Hippocratis qui fertur De Medico etc. 


coalescunt (Eur Ybecte:), dissolvi (ötaAudNoera:) posse apte dich 
potest; quo verbo, si de iis, quae impleta aut cava reddita et 
ın latitudinem progressa sunt, loquitur, uti non potest scriptor. 
Quare Littraeus öa@dudncerz: mutavit in &televoerar. Quam 
coniecturam, quae verbo Euppbovrog e Eupp£povros mutato con- 
tinetur, probare non possumus, praesertim cum ea, quae (si 
Littraei coniecturam probaremus) paulo ante dicta sunt (n&oaı 
&& xorval tod Eupplovro;), hic repetantur. Quae cum ita sint, 
Eadvgncera: intactum relingquemus; sed quomodo hanc diffi- 
cultatem tollamus? Fuchs (p. 45 ann. 14) post rpoonxövtws 
verbum excidisse putavit, quod ad ea, quae inde a xal td nın- 
poönevov usque ad capitis finenı scripta sunt, referretur. Atque . 
ego ea, quae supplenda sunt, iam adesse, sed falsum in locum 
irrepsisse puto; nam videmus verba xai 7) Xpnoteov &otiv Ent- 
heieig in eo loco, quo codices ea praebent, supervacanea esse; 
quae post &taAudrjoerat inserui et xl ante Tö TANPobnevov in 
xat& mutavi; de qua structura (Entnel, zarte) cfr. 12518 TAG Kar’ 
inzpınnv Erripekeins. Denique onpeiz, quam vocem codices post 
eipritat exhibent, cum ex iis, quae paulo ante scripta sunt (1% 
nev Tourwv Ev Erepors onpela deön)wrar), hunc in locum irrep- 
sisse verisimile sit, iam Cornarius et Zwinger eiecerunt. 

125» x«l, quod eicere voluit Littr., hic pro p£v scriptum 
est, ad quod ö2 refertur (Kühner-Gerth II 2 $ 530, 3 ann.). 

125 18 &&, in quo offenderunt Littraeus, qui pro ö dietum 
esse putabat, et Ermerins, persaepe in sententia primaria in- 
venitur, si sententia hypothetica antecedit (Kuehner-Gerth II 2 
& 532): nam verba repi Ö& xapü@v TA. sensum condicionalen 
habent, ut hunc in modum intellegas: si quis quaesiverit, quo- 
modo se habeat cum .. . | 

12519 Verba röppw to Tiig Texvns Ton rrpoeAnAudöros, sicut 
tradita sunt, non intacta relinqui possunt; nam r£ppw non ad 
cd, sed ad Ts TEXvns spectant; quae locutio haud raro apud 
sciptores invenitur, ut Plat. Legg. II 660 c: röppw rpoßeßr- 
xorTa Tg Apapriag et Gorg 486 A: Tobs reppw del coplaz 
EARDVOvTaG. 


Darmstadt. J. F. Bensel. 


S. Brandt, Zu Lactanz. 131 


IV. 
Zu Lactanz. 


Die Arbeit an einer für die Bibliotheca Teubneriana be- 
stimmten, durch den Krieg aber zurückgeschobenen Ausgabe 
der Divinae Institutiones von Lactanz, der anerkanntermaßen 
dem Philologen ebensoviel, wenn nicht mehr bietet als dem 
Theologen, — sie sollte zugleich gegenüber meiner im Wiener 
patristischen Corpus erschienenen Ausgabe eine verbesserte 
sin — hat auch zu kleinen Parerga geführt, aus: denen 
folgendes hier eine Stelle finden möge. 

I. Am Anfang soll der Nachweis stehen, daß Lactanz 
zum Ausgangspunkt seiner Institutionen eine Stelle aus Quin- 
tilians Institutionen gemacht hat. Daß ihm als langjährigem 
Lehrer der Rhetorik das Werk Quintilians bekannt war, würde 
auch dann glaublich sein, wenn bei ihm nicht deutliche An- 
klänuge an dieses vernehmbar wären, wie er auch dreimal 
Stellen aus (jetzt verlorenen) Deklamationen Quintilians mit 
Nennung seines Namens anführt. Die Verfolgung nun einer 
Frage der Rhetorik von Lactanz ergab auch folgende Beobach- 
tung nach Quintilian. Er geht VII 1,64 zur Besprechung ge- 
wisser Gesichtspunkte, die bei den einzelnen status causae am 
häufigsten vorkommen, und zwar zunächst zu den Abschnitt 
de coniectura (2, 1 ss.) mit den Worten über: Li quia natura 
prima quaestio est, factumne sit, ab hoc ordiar. Dann 
bringt er zum Beweis dafür, wie sich eine allgemeine Frage 
unter dem Gesichtspunkt der Zeit behandeln lasse, folgendes 
Beispiel (2, 2): an alomorum concursu mundus sit effectus? 
an providentia regatur? an sit aliquando casurus? Man 
vergleiche nun den auf das Prooemium (Inst. 11) folgenden 
Satz von Lactanz 2, 1: Suscepto igitur inlustrandae veritatis 
fficio non pulavı adeo necessarium ab ılla quaestione 
principium sumere, quae videur prima esse natura, sine 
providentia, quae rebus ommibus consulat an fortuito 
rel facta sint omnia vel gerantur. Die enge Verwandtschaft 
beider Stücke ist unverkennbar. Beim Suchen nach dem besten 

g* 


132 S. Brandt, 


Anlauf für sein Werk ergriff Lactanz diese Stelle Quintilians. 
Unter Verwertung der beiden ersten in disjunktivem Verhält- 
nis stehenden Fragen Quintilians an alomorum concursu mun- 
dus sit effectus und an providentia regalur, stellt er ent- 
sprechend dem factumne sit der obigen Stelle ebenfalls einen 
status coniecturalis und ebenfalls eine Doppelfrage auf, die 
sich dem Sinne nach mit der Quintilians deckt, nur mit Um- 
kehrung der Glieder, sitne providentia und an fortuito — omnia 
gerantur. Wenn sodann bei Quintilian dem Walten der pro- 
videntia gegenübergestellt wird an atomorum concursu mundus 
sit effectus !), so folgt ihm Lactanz in der Weise, daß er 
an die Frage gleicher Tendenz an fortuito eqgs. -unmittel- 
bar den Hinweis auf die Atomistiker anknüpft: cuwius sen- 
tentiae auctor est Democritus, confirmator Epicurus. Auch 
von den drei Zeitstufen bei Quintilian kommen bei Lactanz 
noch die zwei ersten an fortuito vel facta sint omnia vel 
gerantur zum Ausdruck. Uebereinstimmung nicht nur, wir 
dürfen eher auch hier wohl sagen Abhängigkeit bei Lac- 
tanz von Quintilian zeigt sich aber noch weiter. Lac- 
tanz konnte nach Ziel und Plan seines Werkes die Grund- 
. frage nach der Vorsehung, die prima quaestio, unmöglich beiseite 
liegen lassen, er wollte aber aus Gründen, die er sogleich selbst 
angibt, auf deren ausführliche Besprechung nicht eingehen. 
Wie er geschickt die beiden sachlich nicht zusammenhängen- 
den Stücke Quintilians, den Satz guia natura prima quaestio 
est und die auf die providentia bezüglichen Fragen kombiniert, 
so erspart er sich ebenso geschickt durch eine große praeter- 
itio, auf die schon $ 1 die Anfangsworte non pulavi adeo 
necessarium eqs. vorbereiten, die Behandlung des Gegenstandes. 
Um diese praeteritio als berechtigt und die Existenz der Vor- 
sehung als unzweifelhaft zu erweisen, bringt er $ 3 ss. ver- 
schiedene Gründe vor und kann dann sogleich an das eigent- 
liche erste Thema herantreten c. 3, 1: Sit ergo nostri operis 
exordium quaestio illa consequens ac secunda, utrum potestale 
unius dei mundus regatur anne multorum. Darin aber, daß 


ı) Darauf, daß Lactanz de ira d. 10,39 si concursus atomorum » -- 
ea quae videmus effecit, sich im Ausdruck mit der Quintilianstelle be- 
rührt, ist kein Gewicht zu legen. Vielleicht schwebt beiden die Stelle 
Ciceros De nat. deor. I 24,66 vor. 


2. 


Zu Lactanz. 133 


zuerst die Frage der Vorsehung als unbedingt entschieden 
und gesichert hingestellt wird, so daß jede weitere Erörterung 
darüber wegfällt und zu einer anderen Frage übergegangen 
werden kann, befolgt Lactanz eine von Quintilian angegebene 
rednerische Praxis, der VII 1, 5s., in dem gleichen Kapitel, 
folgendermaßen exemplifiziert, wie im Prozeß der richtige 
Klagepunkt zu gewinnen ist. Der Kläger erklärt dem Anderen 
oecidisti hominem. Dieser gesteht occidi. Also conuent, sagt 
der Kläger, daher transeo, nämlich zu der neuen Frage: 
(rationem reddere debet reus) quare occidertt. 

II. Auf diesen Beitrag zur Frage der Auctores von Lac- 
tanz lasse ich einiges über seine Benutzung und seine Nach- 
wirkungen folgen. 

Zu den „Vetera de Lactantio testimonia* (II 1 p. 161 ss. 
m. Ausg.) füge ich nur der Vollständigkeit halber eine Stelle 
des Rufinus von Aquileia, die ich fand, hinzu, eine Bemerkung 
über Hieronymus als Tadler, wie bekannt ist, des Lactanz, 
Apolog. II 35 (Migne 21, 613 B): quid ergo mirum est, sı 
me minimum et nullius momenti hominem laceret, st Ambro- 
sum secet, si Hilarium, si Lactantium, si Didymum repre- 
hendat? Doclı bezieht sich diese Aeußerung nicht auf die 
Stelle des Hieronymus c. Rufin. II 8, die zu Lact. de opif. d. 
19, 1 (im Register II 2 p. 275 falsch 18, 1) m. Ausg. (p. 59 
: 10 ss.) im Wortlaut angegeben ist, sondern auf solche, wie 
sie II 1 p. 156 s. (frgm. III. IV), 163 (testim. IV. IX) an- 
geführt sind. 

Am wichtigsten sind hier die Untersuchungen von H. 
Brewer, hauptsächlich in seinem Buche Kommodian von Gaza ° 
(1906) S. 257 f. 269— 272. 305—313, nach denen Commodian 
seine Dichtungen um die Mitte des 5., nicht im 3. Jahrhun- 
dert schrieb, und in Verbindung damit der Nachweis viel- 
facher Anlehnung Commodians an Lactanz. Den chronolo- 
gischen Ansatz Brewers stützt Holl, Berl. SB. 1918, XXVII 
9. 553f., er wird auch durch Martin, Commodianea, Wiener 
SB. 181, 6. Abh., 1917, der weniger zuzustimmen scheint, 
nicht erschüttert. Es tritt dann das früher meist verworfene 
Zeugnis von Gennadius?), bei dem ein so starker Irrtum in 

?) Die richtige Interpunktion bei Gennadius De vir. inl. 15 in den 


un EEE „eBEiTTER TE  — — nur SAGE, „Zee STrememeen vum (be A iiin,  Auite teten EEE SSR nn gr nnn HB 


a 


gg ie nn 


F | [or ul, EEE GERT 1 


134 5. Brandt, 


der chronologischen Einreihung Commodians tiberhaupt schon 
schwer zu begreifen wäre, wieder in sein Recht: Commodian habe 
sich in seiner Eschatologie auch an Lactanz angeschlossen. 
Von den Stellen, die Stangl, Lactantiana, Rhein. Mus. 
LXX, 1915, 8. 230 f., für eine neue Ausgabe zur Rubrik 
„Testes“ empfiehlt, kann einzig die Etymologie von palpebrae 
in dem Psalmenkommentar von Hieronymus, den Morin in einem 
Florentiner Codex entdeckt hat (Anecd. Maredsol. Ser. II1 
p. 264), als Entlehnung aus De opif.d. 10,2 in Betracht kom- 
men. Wenn dann aber Stangl schreibt: „Auszüge aus dem 
Abschnitt über die Sibyllinischen Bücher, im 11. Jh. von 
Walther de Honnecourt gefertigt, entdeckte Morin, zufolge S. 
71. 466f., in der Metzer Hs. Nr. 65 saec. XI“, so sagt Morin 
„Fol. 391 sqq. Divers extraits de Lactance in libro de vera 
religione, in quo sibillinis ulitur dictis“. Mit dieser allzu 
kurzen Notiz ist nichts anzufangen, vollends nicht für die 
Rubrik „Testes“. Nach der Angabe in libro de vera religione 
stammen diese Exzerpte (nicht „von Walther de H.°, so Stangl, 
sondern nur in dem Miszellancodex mit Briefen von ihm und 
anderen Stücken vereinigt) aus Buch IV der Institutionen mit 
dem Sondertitel „De vera sapientia et religione“. Sie bestehen 
ohne Frage in lateinischen Uebersetzungen der 17 auf Christus 
bezüglichen Sibyllinenzitate dieses Buches (c. 6. 13. 15—20), 
vielleicht derselben, die in den Pariser Hss. P und S dem 
griechischen Text beigefügt sind, fast immer gleich oder ähn- 
lich den Uebersetzungen von Sedulius Scottus. Auch Augustin 
hat De civ. d. XVIII 23 Lactanz benutzend c. 18. 19 sechs 
‘dieser Sibylienzitate über Leiden, Tod und Auferstehung Christi 
in zusanmmenfassender Uebersetzung wiedergegeben, und öfter 
wurde diese Stelle im Mittelalter wiederholt °), jedoch kann es 
auch Lactanz betreffenden Worten (secutus. moralem), anders noch Ber- 
nouilli und Richardson, ist von Brewer, Kommodian S. 73. 75, hergestellt. 
2) Da Augustin in diesem Zusammenhang Lactanz als seine Quelle 
nennt, begegnet sein Name bei mittelalterlichen Schriftstellern, die 
Augustins Sibyllenstelle aufgenommen haben, bei anderen fehlt er, 
vgl. Hrabanus Maur., Otto Frising., die Sibyllen bei Sackur, Sibyll. 
Texte u. Forsch. S. 175f. 180; es lassen sich hinzufügen Paulus Diac., 
Migne 95, 1474, Abaelard I 142. Il 57. 397 Cous., Vincentius Bellov., 
Spec. hist. III 101. Ohue Frage stehen die Lactanzstellen auch in näher 


nıcht bekannten anonymen Hss., Sackur S. 176 Anm. In dem Codex 
von Valenciennes 335 Mang., 9. Jh., aus dem ich einst das Stück ab- 


Zu Lactanz. 135 


sich nicht um sie allein in der Metzer Hs. handeln, da sie 
nicht mehrere Blätter füllen würde. Doch Exzerpte wie die 
Metzer des 12. Jahrhunderts (so Morin, bei Stangl „saec. XI“) 
scheiden umso mehr für mich aus, da ich nach der ausdrück- 
lichen Bemerkung I Proleg. p. IX n. 3 mir bekannte mittel- 
alterliche Zitate sogar schon vom 9. Jahrhundert an, da hier 
die Mehrzahl unserer guten Handschriften einsetzt, als wertlos 
für den Wortlaut — denn nur darauf, nicht auf das Fortleben 
des Schriftstellers im Mittelalter kam es mir an — von der 
Rubrik „Testes* ausgeschlossen habe, zumal bei ihrer oft un- 
genauen Wiedergabe des Textes‘). 


geschrieben habe, finden sie sich f. 61”. 62" (INCIPIVNT DICTA SY- 
BILLAE) teils in der Uebersetzung Augustins, teils in der gewisser 
Lactanzbass. (S und auch P), außerdem die Stellen Inst. I 6,15 und II 
12,19; es folgen dann noch andere Sibyllina. Das Phantasiebild der 
Sibyllen, wie es das Mittelalter in allerlei Glauben und Aberglauben 
ausgestaltet hat, ist im letzten Grunde kaum aus unmittelbarer Kennt- 
nis der griechischen Sibylienorakel erwachsen, sondern knüpft an die 
Uebermittler Augustin-Lactanz, der auch in der Eschatologie von Buch 
VIl Stellen aus diesen bringt, mit Vergils vierter Ecloge an, und selbst 
toch die Sibyllen Michelangelos und Raffaels tragen Namen des var- 
ronischen Verzeichnisses bei Lactanz Inst. 16. Einen anderen die 
Kunstgeschichte berührenden Ausläufer der Sibyllina von Lactanz-Varro 
trıfft man im Dom von Siena, auf dessen Fußboden im rechten und 
linken Seitenschiff (aus 1432/83) mächtige Graffiti je fünf der in der 
späteren mittelalterlichen Kunst auftretenden zehn Sibylien (Menzel, 
Christl. Symbolik II 373 ff.) zeigen. Je auf der linken Seite eines Bildes 
steht die entsprechende Stelle aus Varros Sibyllenverzeichnis (verkürzt), 
wobei sich die gelehrten Anführungen (Nicanor, Euripides, Surya Dpue 
usw.) sehr merkwürdig ausnehmen. Auf der rechten Seite von sieben 
Gestalten befinden sich abgesehen von anderen Stellen (so bei Sib. 
Gumana cuius meminit Virgilius und die Verse Ecl. IV 4-7 anstatt 
Lact. 1 6, 10. 11) einige der auch von Augustin angeführten Sibyllen- 
verse, doch in einer besonderen Uebersetzung, dagegen bei Sib. Persica 
(1) die Sibyllienstelle Lact. IV 15,18, bei Sib. Delphica (III) IV 6,5 der 
letzte Vers, bei Sib. Phrygia (IX)VI116, 11. Die Angabe bei Piper, Mythol. 
u, Symbol. d.chr. Kunst I 1 S. 493, es befänden sich im Dom zu Siena 
„die Statuen“ der zehn Sibyllen in weißem Marmor und seine Berufung 
dafür auf della Valle, Lettere Sanesi III (1786) p. 150 ss., der eine Be- 
schreibung und den Wortlaut der Stellen, jedoch ohne den soeben bei- 
gebrachten Nachweis ihrer Herkunft gibt, ist irrig, wie ich nach eigener 
Anschauung sagen kann und jedes Reisebuch zeigt. Die ursprünglich 
in weißem Marmor auf schwarzen Grund eingesetzten Darstellungen 
sind, weil beschädigt (jetzt in der Opera del Duomo), durch Graffiti 
ersetzt worden, 

*%) Auch die in meinen Prolegomenen übersehenen Auszüge aus 
Lactanz, die Sedulius Scottus in dem cod. Cusanus C 14, jetzt 37, 12. Jh., 
zusammengestellt hat, sind infolge von Achtlosigkeit und absichtlicher 
Aenderung nicht wortgetreu; Klein, Ueber eine Hs. des Nicolaus von 
Cues S. 91 ff.; Hellmann, Sedulius Scottus S. 105, die Lactanzstellen im 
Register S. 200. 


136 S. Brandt, 


Auch eine andere Behauptung Stangls a. a. O0. „einir 
Stellen“ seiner Ausgabe der Ciceroscholiasten Bd. Il bewiese ı 
„sei es unmittelbare sei es mittelbare Kenntnis der Lactarz- 
zischen Institutionen seitens der alten Verrinenerklärer* is 
zum mindesten sehr unsicher, auch an sich wenig glaublicka 
Daß eine Verwandtschaft des Gedankens zwischen Pseudoasco - 
nius p. 187, 238. der Ausg. v. Stangl und Lactanz Il 4, 31 
(p. 113,6—8) besteht, ist nicht zu bestreiten: an die Stelle 
Ciceros Divin. in Caecil. 1, 3, die Sizilier glaubten keine Götter 
mehr zu haben, nachdenı Verres die Götterbilder aus dem 
Tempeln geraubt, schließt Lactanz die ironische Bemerkung 
an: quasi vero si Verres ex urbibus delubrisque sustulera&, 
de caelo quoque sustulisset, und Pseudoasconius: mire imttatus 
est verba Siculorum dolore oaymora et inania, quasi deos no32 
habeant qui simulacra perdiderunt. Der Wortlaut beider 
Stellen geht weit auseinander, der bei Pseudoasconius mach t 
außerdem viel stärker den Eindruck der Ursprünglichkeit als 
umgekehrt. Die einfachste Erklärung wird die sein, daß bei 
beiden der Nachklang irgendeiner gemeinsamen Quelle sicla 
erhalten hat. An der einzigen sonst von Stangl in seinem 
Apparat angeführten Stelle, wo der Scholiast und Lactanz 
zusammengehen sollen, p. 202,15 und I 11, 32 (p. 41, 225s.), 
liegt noch weniger etwas Beweisendes vor, die Uebereinstim- 

mung beschränkt sich auf die gemeinsame, aber in ganz ver- 
schiedenen Zusammenhang stehende Benutzung der Worte, 
M. Antoni infinitum illud imperium aus Cic. Verr. 12,8. Auch 
andere Aufstellungen von Stangl sind unsicher oder unrichtig. 

Eine Umschau bei verschiedenen mittelalterlichen Schrift- 
stellern in der allerdings vergeblichen Hoffnung, vielleicht Spuren 
der Briefe von Lactanz, von denen naclı einer bestinımten Angabe 
ein Teil noch im 16. Jahrhundert in den Niederlanden vor- 
handen gewesen sein soll (II 1 p. 161s. m. Ausg.), oder seines 
nur in einer Handschrift erhaltenen Buches De mortibus per- 
secutorum zu finden, ist: wenigstens für die Kenntnis des Hand- 
schriftenbestandes der Institutionen und der Arbeitsweise eines 
dieser Schriftsteller nicht ganz fruchtlos geblieben. Wie ich 
I Proleg. p. IX adn. 3 kurz bemerkt habe, hat Vincentius von 
Beauvais für das Riesenwerk seiner Enzyklopädie auch Stellen 


| 


# 


v 


) 


Zu Lactanz, 137 


der Institutionen als Bausteine benutzt. Die meisten finden 
sich im Speculum doctrinale Buch V „De practicis sive morali- 
bus scientis“ und dessen „supplementum“, Buch VI „De 
monastica scientia“°), aus dem Spec. naturale gibt Fabrieius, 
Biblioth. Graeca XIV (1728) p. 118, zwei Stellen, 115 = Inst. 
16,14, und XXIV (so in der Straßburger Ed. princ. 1473, 
Fabricius XXIII nach der Ausg. Douai 1624, mir nicht zu- 
gänglich) c. 69 = III 18,5 und einzelnes aus $ 8.9; in dem 
Spec. historiale habe ich IV 32 = III 23,4 und c. 66 = III 
28,17 gefunden. Im ganzen sind es über 40 Stellen, aus 
sämtlichen sieben Büchern der Institutionen und nur aus 
diesem Werke genommen, die meisten (je rund 15) aus Buch 
VI (De vero cultu) und III (De falsa sapientia), wenige aus V 
(De iustitia), nur vereinzelte aus den übrigen Büchern. Es 
bildet nun eine bei Vincentius, so viel ich sehe, einzig da- 
stehende Ausnahme, daß er für Lactanz eine Bemerkung über 
sein handschriftliches Material macht. Er hat Spec. hist. 
XIV 89 mit der Ueberschrift De Lactantio et scriptis eius. 
Ex libro Hieronymi de illustribus viris das Kapitel 80 des 
Hieronymus aufgenommen und setzt im Anschluß an das Ver- 
zeichnis der Schriften von Lactanz von sich aus unter dem 
Kennwort Actor (so führt er nach c. 3 der Prologe seiner 
drei Specula seine eigenen Zutaten ein) hinzu: Omnium opu- 
scnlorum nichil scnlorum nichil apud nos repperi praeter VII libros adversus 


.) _ 3) Ich gebe hie Bere hier das Verzeichnis der im Spec. doctr. gefundenen 
lietansstelle en, da ich sie identifiziert habe und ihre Kenntnis vielleicht 
irgendeinmal nützlich sein kann. Vinc, führt sie unter dem Sonder- 
ütel der betr. Bücher der Instit. an, Stellen desselben Buches fügt er 
obne weitere Bemerkung zu einem Ganzen zusanımen. Ich konnte 
bur die schon erwähnte Straßburger Ed. princ. 1473 benutzen, die noclı 
ınmer ala der beste Druck gilt, die öfter angeführte Ausgabe Douai 
1524 ist nach Daunou, Hist. litier. de la Fr. XVII 470 s,, ganz un- 
zuverlässig, die Herausgeber haben sogar die Autorenstellen bei Vinc. 
cach den Drucken ihrer Zeit geändert. Es fällt auf, daß Daunou in 
cer Liste der von Vinc. exzerpierten alten Schriftsteller (p. 4838.) Lac- 
tanz nicht nennt. — Folgendes sind die Stellen: Spec. doctr. Buch V 6: 
Inst. II 8,31; 30: V 14,9. 11. 15. 16. 17. 15,4. VI 10,2. 24; 66: Re- 
gure infra capitulo de divitiis contemnendis (= v1 77); 67: vI 10, 24. 
11,19; 71: VI 17,5; 74: 11 8,5; 79: V 22,3; 89: VI 19,4—7; 106: VI 
3, 13; 108: Require supra capitulo de temperantia (= 80); 121: III 4,7; 
136: VI 20, 10: 151: III 11,6. VI 22,3;- 165: VI 186; 171: VII, 3: 
176: VI 20,10. — Buch VI 22: VI 13,2; 25: V1 3,13; 31: 11,9; 53: 

12.14; 56: III 15,8. 16,3; 58: III 8,31. 11,2. 25,6. 26, 12. VI5, 7.19: 
60: 1 1,20. 25; 61: 11,7. IV 26, 20; 61: 11 1,17; (5: Ill 18,5; 16: 111 
22,4; 77: IIL 28, 47. 


138 S. Brandt, 


gentes. Er hat sich also nach Handschriften der Werke von 
Lactanz umgesehen, konnte aber nur die Institutionen finden, 
apud nos, d. h. in Royaumont oder in dem nahen Beauvais 
oder sonst in der Umgebung. Nun scheint es aber mit seiner An- 
gabe in Widerspruch zu stehen, wenn er Spec. hist. V 41 schreibt: 
Erravit (Epicurus) autem in multis plus quam omnes philo- 
sophi. nam pulavii deum res humanas non curare, sed otio- 
sum esse et nichil agere dixitque voluptatem summum bonum 
esse et animas cum corporibus interire. primo errori respon- 
det Seneca in libro IV de beneficiis et Lactantius in libro 
de opificio corporis humanı, secundo responde Tullius 
in libro de officiis egqs. Für die Entscheidung in dieser quae- 
stiuncula hat man feste Anhaltspunkte. Beide Stellen, im 
Speculum historiale stehend, sind gleichzeitig, nach der ersten 
hatte Vincentius nur eine Handschrift der Institutionen aus- 
findig gemacht, das Buch De opificio dei kannte er nicht. Der 
Titel aber an der zweiten Stelle in libro de opificio corporis 
humani kann nur aus einer Handschrift entnommen sein, da 
der Titel bei Hieronymus De vir. inl. 80 de opificio dei vel 
formatione hominis lautet und weder Inst. II 10, 15, wo Lac- 
tanz diese seine Schrift nennt, noch sonst nachweisbar jene 
Form steht, sondern nur in der Ueberschrift des Codex von 
Valenciennes 141 (aus St. Amand, 8.—9. Jh.) sich findet: In- 
cipit liber de opificio corporis humant. Während nun aber 
die Angabe von Vincentius, Seneca erwidere in Buch IV von 
De beneficiis der Irrlehre Epikurs (deum res humanas non 
curare egs.), richtig ist (c. 3. 4—6), ist die Angabe für die 
Schrift De opif. dei falsch, ein Beweis zugleich für die Rich- 
tigkeit seines Zusatzes, er habe nur die Institutionen von Lac- 
tanz gefunden. Lactanz berührt jene Lehre in der Schrift De 
opif. dei mit keinem Worte, nur das Werk der Vorsehung 
Gottes in der Erschaffung und im Bau der lebenden Wesen, 
vor allem des Menschen will er nachweisen: 1, 11; 2, 1. 10; 
4, 13. 24; 6,1 ss. 12.15; daher in einer der ältesten Hand- 
schriften der Titel De dirina providentia; nach Inst. II 10, 15 
hatte er diese Schrift eigens der Frage „de providentia* ge- 
widmet. Dagegen liegt die Bekämpfung jener Lehre ganz 
wesentlich der Schrift De ira dei zugrunde, in deren erstem 


Zu Lactanz. 139 


Satze schon es heißt: quod nonnulli philosophorum »puta- 
rerunt non irascı deum, quoniam vel benefica sit tantummodo 
natura dirina nec cuiquam nocere praestantissimae altque op- 
timae congruat potestati velcertenihil curet omnino; ebenso 
2,7; 4,1 (de schola Epicur:), 5s. si (deus) semper quietus 
ct mmobilis torpet... st nihil curat. 13; 8; 13, 22, 17,1 
„Deus“ inquit Epicurus „nihil curat“, 2.. semper quietus. 
Es liegt irgendwie ein starkes Versehen des Urhebers jener 
Stelle vor. Nicht unmöglich ist es ja, daß er rein nach irr- 
tümlicber Erinnerung und unwissend als den Inhalt der einen 
Schrift den scharf unterschiedenen der anderen bezeichnet hat, 
aber vielleicht war eher auch ein äußerer Umstand die Ver- 
anlassung des Fehlers, indem er die beiden ihm vorliegenden 
Schriften, die öfter in Handschriften verbunden sind, aus 
Flüchtigkeit für seine Notiz hinsichtlich ihres Inhaltes ver- 
wechselt hat. Woher aber und wie Vincentius die falsche 
Angabe über den Inhalt der Schrift erhalten hat, ob er sie 
aus einer uns unbekannten Quelle oder nach persönlicher Mit- 
teilung eines Helfers aufnahm, ob sie erst von ihm mit dem 
Stück über Seneca und Cicero verbunden worden ist, muß im 
dunkeln bleiben. Unsicher ist auch die Vermutung, die Form 
des Titels bei Vincentius könne auf den einstigen Codex von 
St. Amand — das von Beauvais und Umgegend nicht allzu- 
weitentfernt ist —, den jetzigen Valentianensis, direkt zurück- 
gehen und nichtauf eine andere Handschrift gleichen Titels. Die 
Bibliothek von St. Amand besaß nach dem Katalog des 12. 
Jahrhunderts (Delisle, Cabinet des manuscr. II 450, 42) zwar 
bereits den jetzigen Valentianensis, aber keinen Codex von De 
ira dei — auch in Valenciennes fehlt jetzt ein solcher —, so 
daß in St. Amand jene von uns angenommene Verwechslung 
nicht vorkommen konnte. 

Was den von Vincentius benutzten Codex der Institutionen 
und seine Stellung in der Ueberlieferung des Autors betrifft, 
so war er älter als die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts. 
In keinem mir bekannten Bibliothekskatalog (vgl. Ip. LIIL s. 
m. Ausg.) findet sich eine Spur, die auf ihn hinwiese, doch 
falls er untergegangen ist, läßt sich der Verlust leicht ver- 
schmerzen, wenn auch der Text im ganzen genommen gut ge- 


140 S. Brandt, 


wesen ist. Einige geringe Lesarten hat er mit H (Palatino- 
Vaticanus 161) und S (Parisinus 1664) gemeinsam, einmal 
aber geht er, abgesehen von Kleinigkeiten, unbedingt mit 
P(arisinus 1662, 9. Jh.), jedoch einen unrichtigen Weg, Spec. 
doctr. VI 56 = Inst. III 15, 3: domi faciunt ea quae in scolis 
(scholis P) arguunt gegen die sonstige Lesart domt facientes 
ea quae in scolis arguissent. Der Codex enthielt im Verhält- 
nis zu den Hauptquellen einen gemischten Text mit Hinnei- 
gung zu P, wie es scheint. 

Fragt man nun, in welcher Weise Vincentius seinen Autor 
wiedergegeben hat, so bestätigt sich auch hier sein bekanntes 
Verfahren, daß er die Exzerpte, um sie nach Form und Inhalt 
selbständig zu machen und auf das ihm Zusagende zu be- 
schränken, frei behandelt und mancherlei an ihnen ändert, 
selbst an Versen, so in dem Tibullflorilegium, bei Ovid und 
Vergil (0. Richter, De Vincentii Bellov. excerptis Tibull., 
1865). Auch bei Lactanz nimmt er sich sehr weitgehende 
Freiheiten, besonders im Auslassen, wenn ihm Stücke über- 
flüssig erscheinen, und im Zusammenziehen längerer Stellen, 
selbst Dichterzitate verarbeitet er mit den Worten des Autors 
zu einem Ganzen; daß er sich um den Wortlaut in kleinen 
Dingen wenig kümmert, nimmt nicht wunder. Da, soviel ich 
sehe, sein Verfahren für einen Prosaiker noch nicht durch- 
gehend an Beispielen nachgewiesen ist, gebe ich in der Fuß- 
note eine Anzahl solcher Fälle). Es bedarf nach einem Blick 


°) Oft fehlen namentlich Formwörter (Konjunktionen besonders anı 
Anfang der Stellen und Prononıina) oder sie werden vertauscht. Starke 
Auslassungen: V 71: Inst. VI 17,5 fehlt aut exilium aut carcerem ; 
V 151: 1II 11,6 Ahaec — beluis und nam qui — necesse est; ebenda VI 22,3 
tustitiamque — animas. Für unitersa VI 17,5 steht V 71 omnia; Tür 
specie decepti 1 1,7: sp. falsi V1 61. Das Verbum wird an das Ende 
gestellt VI 53: VI 2, 14 (erudire); 56: III 16,3 (detrahune); 58: II 
26, 12 (excidit, so!). Verkürzungen: V 71 timidi ... est für VI 17,5 
nemo dubitat quin timidi ... sit; VI 56 quidam für Ill 15,8 si quis — 
protervos et. Die stärkste Kontraktion V 89, für VI 19,5 quos (sc. Ti- 
nites) st transcenderint — ostendere: quos transcendere non licet, für 86 
peccala eorum qui sunt in nostra potestale: peccata subditorum, ebenda 
tür 1d est — audaciam: ne licentia audaciam pariat. Aus Inst. I 1, 20 
nullus enim suavior animo cibus est quam cognitio veritalis und S 25 
haec enim pravilatis est causa, ignoralio sui wird die eine Stelle VI 60 
nullus suavior — veritatis. ignoralio autem sui causa est pravilatis. 
Zitate mit dem Lactanztext verschmolzen: aus Inst. VI 18,6 itaque 
tiator ılle verus ac iustus non dicet illud Lucilianum: homini amico et 
familiarı non est mentiri meum, sed etiam inimico atque ignoto existi- 


Zu Lactanz. 141 


auf die Textgestalt auch der Lactanzstellen bei Vincentius in 
ihrem Verhältnis zum Wortlaut beim Autor selbst keines 
Wortes mehr, daß für die Textkritik nur unter ganz beson- 
deren Umständen, wie bei Tibull und auch Ovid (Ibis), etwas 
aus ihn gewonnen werden kann’). Um ganz sicher zu gehen, 
wäre allerdings hierfür wie für weitere überlieferungsgeschicht- 
liche Fragen eine kritische Ausgabe der ungeheuren Kompi- 
lation erforderlich, die auch P. Lehmann als eine Zukunfts- 
aufgabe der lateinischen Philologie des Mittelalters bezeichnet 
(Münchener SB. 1918, 8. Abh. S. 55). 


Heidelberg. S. Brandt. 


mabit non esse mentiri suum macht Vinc. V 165 vir iustus non solum 
homins amico et familiari, sed etiam inimico et sgnoto existimabit mentirs 
non esse suum. Ebenso kontaminiert er V 121 die Worte von Lactanz 
und die Terenzstelle Inst. III 4, 7 zu diesem Satze: nemo potest de se 
recte iudicare, sed aliena sudicat melius quam sua. — Folgendes Beispiel 
zeigt, wie sorglos oder selbständig Vinc. mit kleinen Dingen umgeht. 
V 106 und wiederum V125 führt er Inst. VI 3,13 an: porro (fehlt bei 
Lact. u, V1 25) sive (Lact. sirve enim) virtutes inseras, vitia sponte (Lact. 
sua sp.) decedent, sive vitia erimas, virtutes ultro subibunt. sic enim 
(enim fehlt bei Lact.) bonorum et (Lact. ac) malorum constituta est natura 
(Lact. natura est). ut se (Lact. se invicem) semper oppugnent et (dafür 
Laet. semper) Uant. — Einer ihm unverständlichen Stelle, jedenfalls 
infolge eines auch in unseren Hss. vorliegenden orthographischeu Fehlers 
seiner Hs., sucht Vinc. (oder schon seine Handschrift?) durch kühne 
Korrektur aufzuhelfen. Er gibt die Stelle Inst. III 18,5 mulii ergo ex 
iis qui aeternas esse anımas suspicubantur .... sibi Ips3 manus intulerunt, 
ut... Empedocles, qui se in ardentis Aetnae (aeth*nae, eras. i?, 
aethnae, ethnae codd.) gen intempesta nocte deiecit, referierend, für 
Lact. das einzige Mal, folgendermaßen wieder VI 65: Empedocles ... 
hie totum sese Athenıs incendiis dedit et, ut refert Lactantius, - 
mortem sibi intulit eo, quod eternas esse anımas suspicabatur. Eine nahe- 
liegende, von manchen Herausgebern ohne Not als Konjektur in den 
Text gesetzte Aenderung steht VI 58 ia scientia veri = Inst. VI 5,7, 
für dta vero scientia. 

?) Bei der großen Freiheit, mit der Vinc. über die Jactanzstellen 
verfügt, wird man die Aenderungen in den über 300 Zitaten aus Vale- 
rius Maximus, die er bringt, mit Kempf, der nur in der Ausgabe von 
1854 das Verhältnis zwischen beiden berührt, am einfachsten auf selb- 
ständiges Verfahren von Vinc. zurückführen, so daß es der Vermutung 
von Manitius, Philologus Suppl. VII (1890) S. 766 f., daneben habe sich 
auch seine Vorlage stark von dem echten Texte entfernt, nicht bedarf. 
Nach Traube (Münchener SB, 1891 S. 389. 403, vgl. Rbein. Mus. XLVII, 
1892, S. 559 £.= Vorles. u. Abhandl. III 4. 15. 120 f,) hat Vinc. neben 
einer vollständigen Hs. des Valerius auch die Exzerpte benutzt, die im 
9.Jb. Heiric von Auxerre nach dem Diktat seines Lehrers Lupus von 
Ferrieres aufgezeichnet hat (vgl. auch Manitius, Gesch. d. lat. Liter. d. 
MA. 1500 f.), es stimmen nach Traube diese (noch nicht veröffent- 
lichten) Exzerpte mit den handschriftlichen Quellen überein. 


142 W. Suaß, 


Y. 


Ueber antike Geheimschreibemethoden und ihr Nach- 
leben, 


Wenn ein paar Leute ohne Vertrautheit mit den Be- 
dingungen der schwarzen Kunst des Chiffrierens und Dechiff- 
rierens daran gehen, sich eine Geheimschrift für ibre intime 
Korrespondenz auszusinnen, so verfallen sie wohl regelmäßig 
auf ein Verfahren, das man nach C. Julius Caesar schlechthin 
den Caesar nennt, auf den Buchstabentausch. Sie ersetzen 
die Buchstaben des Originaltextes, des sogenannten Klartextes, 
durch andere Buchstaben, setzen, wie das Volk sagt, ein X 
für ein T, oder tauschen sie gegen Geheimzeichen oder 
schließlich gegen Ziffern aus, die oft dem Laien schon als 
solche einen höheren Grad von Sicherheit als Buchstaben zu 
verbürgen scheinen. Vielleicht meinen es unsere Erfinder be- 
sonders gut zu machen, wenn sie raffinierte Beziehungen, etwa 
“ arithmetischer Art, zwischen den ersetzten und den ersetzenden 
“ Buchstaben walten lassen, oder aber sie suchen gerade ihr 
Heil in dem Verzicht auf jedes, wie immer auch geartete 
System, hinter das doch vielleicht jemand kommt, und schüt- 
teln die beiden Alphabete nach blindem Ungefähr durchein- 
ander, schreiben etwa ein wild durcheinandergewürfeltes Al- 
phabet auf die Tasten ihrer Schreibmaschinen und schreiben 
dann damit. In Wirklichkeit erschweren sie damit nur sich 
selbst die Arbeit, machen aber dem unberufenen Entzifferer 
die Lösung des Rätsels um nichts schwieriger. Wo ist das 
konstant bleibende, berechenbare Element, das hier allem Raf- 
finement und allem Zufall trotzt und das aus diesem unge- 
heueren, unvorstellbar großen Meer von Vestauschungsmöglich- 
keiten herausgefischt werden kann ? 

Edgar Allan Poe hat in einer seiner Gruseln und Span- 
nung weckenden Novellen, die den Titel „Der Goldküfer“ führt, 
eine bis ins einzelne durchgeführte Interpretation und Auf- 
lösung des Caesar gegeben, das ABC der Chiffrierkunst. 
Wir hören da, wie ein Mann, durch Vermögensverlust zum 


Tr Vin 


Ueber antike Geheimschreibemethoden und ihr Nachleben. 143 


menschenscheuen Sonderling geworden, durch abenteuerliche 
Zufälle in den Besitz eines Pargaments gelangt, das, durch 
Zufall am Feuer erwärmt, eine Geheimschrift sehen läßt. Die 
Entzifferung dieser im Caesar geschlüsselten Schrift setzt jenen 
wahren Timon — nicht ohne neue spannende Abenteuer — in 
den Stand, einen ungeheueren Schatz zu heben. Das Geheimnis 
des Caesar aber war schon lange vor E. A. Poe kein Geheim- 
nis mehr: Observata enim, wie ein Chiffrierbuch aus der Mitte 
des 16. Jahrhunderts sagt!), characterum potestate, qui saepius 
repetuntur, nemo est, quin videat parum conferre ad scripti 
obscuritatem characterum potestatem immutari neque solum 
potestatem, sed etiam figuram, d. h. einerlei, ob ich. Buchstaben, 
Gebeimzeichen oder Ziffern für die Buchstaben des Klartextes 
setze, die proportional heraustretenden Häufigkeitsverhältnisse 
der einzelnen Buchstaben, aber auch der Buchstabenvereini- 
gungen (Bigramme und Trigramme) ermöglichen unter Zu- 
hilfenahme einigen Kombinationsgeschickes, wie man es beim 
Rätselraten nötig hat, die Lösung des Caesar. Im Deutschen 
belegt e fast ein Fünftel aller Buchstaben, tiber ein Zehntel 
ist n, en steht unter den Verbindungen zu zweien wieder 
deutlich an erster Stelle. Es folgen mit bestimmten Propor- 
tionen bei den Einzelbuchstaben i, r, s, t, bei den Digrammen 
er, ch, de. So gibt es für alle modernen Sprachen genaue 
statistische Beobachtungen und Erfahrungen über die Lebens- 
bedingungen der einzelnen Buchstaben. Im Lateinischen macht, 
wenn die alten ungleich harmloseren Statistiken zutreffen, 
idem e, dem unbestrittenen Herrscher in allen modernen 
Sprachen außer dem Russischen, den Rang streitig, es folgen 
8%, U, 8,.n, 0, r. 

So steht der ehrwürdige Name des Caesar auf der Schwelle 
des Heiligtums der Geheimschriften, mit ihm beginnt, wer sich 
irgendwie mit diesen Dingen beschäftigt. Und dieser Fall ist 
durchaus typisch: Die Kryptographie hat durch ihre klassische 
und erfolgreichste Zeit, die Renaissance, einen merkwürdigen 
pietätvollen Anschluß an das Altertum bekommen. 
Zu ihren Erfolgen aber ist die Renaissance gekommen nicht 


1) Joannes Baptista Porta aus Neapel, de furtivis litterarum notis 
(1563) I cap. 14. 


144 W. Süß, 


etwa, wie man vermuten könnte, durch einen engen Anschluß 
an die diplomatische Chiffrierpraxis. Eine solche bestand damals 
in einiger Vollkommenbheit fast am allerwenigsten in Deutsch- 
land?), eher in den oberitalienischen Stadtrepubliken, im Dogen- 
palast zu Venedig und vor allem in der päpstlichen Kanzlei, 
hier aber war sie das ängstlich gehütete Geheimnis enger 
Kreise, oft bestimmter Familien; die Beziehungen von Theorie 
und Praxis sind überraschend gering. Die Kryptographie ist 
vielmehr zur Zeit der Renaissance ein Glied der Gebeimwissen- 
schaften, eine Geheimschrift zu erfinden oder zu entziffern ist 
ein Beweis dafür, daß man sich der geheimen Kräfte des 
Lebens bemächtigt hat; das gibt diesen Studien damals ein 
eigentümliches inneres Feuer, das sie weder vor- noch _nach- 
her wieder besessen haben. 
Man mag es als ein besonderes Mißgeschick betrachten, 
daß eines der wichtigsten von den hierher gehörigen Doku- 
menten des Altertums, das Kapitel 31 des Taktikers Aeneas 
(saec. 4 a. Chr.) über 22 Geheimschreibearten erst 1609 in 
der Editio princeps des ganzen Polybius durch Casaubonus 
bekannt geworden ist. 100 Jahre früher, als die Dinge noch 
im Werden waren, hätte grade dieser Traktat eine ganz ge- 
waltige Wirkung ausgelöst. Immerhin liegt eine gewisse Genug- 
tuung für den Taktiker darin, daß gerade sein Lieblingschiffre, 
den er selbst erfunden zu haben scheint und an seinem eigenen 
Namen Aenens illustriert, der Fadenchiffre, durch ihn 
bekannt geworden ist und sich seitdem, wenn auch in etwas 
verbesserter Form, trotz seiner praktischen und theoretischen 
Bedeutungslosigkeit einen Paragraphen in den Lehrbüchern 
der Geheimschreibekunst behauptet hat. Aeneas kennt dieses 
Verfahren, das er für das beste hält, in drei Arten: auf ein 
Brett, eine Scheibe oder auf die vier Seiten eines dotrpayadog 
werden 24 Löcher als Repräsentanten der Buchstaben gebohrt. 
Nun wird ein Faden der Reihe nach durch die die Buchstaben 
repräsentierenden Löcher gezogen. Ist ein Buchstabe doppelt 


2) Die päpstlichen Chiffreure am Ende des 16. Jahrh. ‚rechnen 
Deutschland zu den Ländern, wo eine Geheimschrift wegen des Unver- 
ständnisses der etwa damit in Berührung kommenden Unberufenen am 
sichersten war, im Lande des Trithemius! Beleg bei Meister, Geheim- 
schrift im Dienste des päpstl. Kurie 1906, S. 115. 


Ueber antike Geheimschreibmethoden und ihr Nachleben. 145 


zu schreiben, so führt man den Faden, bevor man ihn noch- 
mals durch dasselbe Loch zieht, etwa um das Brett herum 
oder man benutzt eines der Löcher, die als Nonvaleurs 
dienen. Denn das ist eine merkwürdige Vorkehrung, die 
Aeness mindestens für die Scheibe vorsieht, daß sie, um den 
Unberufenen zu täuschen und unverdächtiger zu scheinen 
(srobiag Evexev, vgl. in 14 dvörortog), auch einige nichtsbe- 
deutende Löcher enthalten soll. Wir haben hier die Ahnen 
der litterae otiosae, non importantes, der blinden Signale, mit 
denen jede Geheimschrift reichlich ausgestattet ist und die 
schon beim Caesarverfahren geeignet sind, das Proportionen- 
aufspären etwas zu erschweren. Der Fadenchiffre des Aeneas 
hat nach seinem Bekanntwerden?) seinen Platz in den Dar- 
stellungen der Kryptographie bis auf die neueste Zeit behaupet, 
oft in Verbindung gesetzt mit einem Caesar, etwa so, daß ein 
durcheinandergewürfeltes Alphabet in 25 Quadraten über eine 
quadratisch eingeteilte Seite geschrieben wird und ein heller 
Streifen, Bovotpopndöv über die Zeilen geführt, in jeder Zeile 
einen Strich, und zwar unter dem gewünschten Buchstaben 
erhält. Der Empfänger zieht den Faden über seine genau 
entsprechende Tabelle. 

Bei Aeneas ruht das Geheimnis im wesentlichen gerade 
darin, daß hier eine Umsetzung der Buchstaben in ein ganz 
anderes Medium stattgefunden hat, denn bei einem Faden- 
knäuel denkt man nicht ohne weiteres an eine Geheimschrift. 
Wir schließen daher hier zwei andere Geheimverständigungen 
an, bei denen die Buchstaben in ein anderes Medium, als es 
die Schrift darstellt, übergeführt werden, zunächst die loquela 
per digitos, das Reden mit den Händen. Das Problem, 
eine Debatte lediglich mit Fingergesten, ohne Benützung der 
Sprache zu führen, hat die Renaissance auf das lebhafteste 
beschäftigt. Wir haben den Reflex davon im Rabelais. Ich 


?) Noch nicht bei Porta, der bei der oxur@An allerdings den Riemen 
dorch ein filum ersetzt. Zuerst wohl, gleich schon verbessert, im 5. 
Bach der Steganologia et Steganographia des 1636 gestorbenen Altorfer 
Professors Schwenter — Hercules de Sunde, der den Aeneas kennt. Nach 
ihm Selenus 404 ff., Heidel in seinem Werk über Tritheims Stegano- 
graphie (1721) p. 326. Klüber Kryptographik (1809) p. 255, neuerdings 
85. Schneickert, Geheimschriften p. 63 und Langie, De la crypto- 
graphie Paris 1918 p. 22—24. | 


Philologus LXXVIII (N. F. XXXI), ı/2. 10 


146 W. Süß, 


denke an jene famose Szene, wo der berühmte Thaumastos 
aus England kommt, um mit Pantagruel in dieser Weise zu 
diskutieren. Pantagruel wälzt die ganze Nacht die einschlägige 
Literatur, das große Hauptwerk des Beda über den Gegenstand, 
Anaxagoras rep! onhelwv, Hipponax ep! dvexpgwvntwv, die 
Schriften des Philistion (das ist doch offenbar der Mimo- 
graph, den Hermann Reich zu einer Größe der Weltliteratur 
zu machen versucht hat) und manches andere derselben Art. 
Schließlich aber übernimmt Panurg statt seiner die Aufgabe, 
pariert in der feierlichen Disputation die Gesten des Englän- 
ders mit seinen flegelhaften und rüpelhaften Gebärden, bis der 
ehrfurchtsvoll den Hut zieht und sich mit den Worten ge- 
schlagen gibt: Ecce plus quam Salomon hic. Vgl. auch eine 
ähnliche Szene bei Rabelais III20. Der Traktat des Beda 
Venerabilis (um 700) de computo oder de loquela per digitos 
ist in der Tat die Grundlage für die „daktylologischen* Studien 
der Renaissance gewesen. Die übrigen Titel des Rabelais 
sind natürlich phantastisch, ganz selbverständlich aber ist der 
Renaissance die Vorstellung, daß diese Fingersprache des Beda 
antiken Ursprungs sei. Aehnlich wie bei Sittl in seinem Buch 
über die Gebärden der Griechen und Römer, der ja den Beda 
besonders würdigt (252 ff.), hatte sich schon dawals ein Kranz 
antiker Stellen um den Beda herumgelagert, die teils durch 
Beda erst interpretiert wurden, teils geeignet waren, ihn selbst 
zu deuten. 

Schon der gelehrte Jurist Accursius (saec. 13) hatte sich 
den merkwürdigen Witz gestattet, in einer Glosse, die sich 
durch das Ansehen des Autors am Leben hielt, zu Digesten ], 2 
(De origine iuris) anläßlich der Frage griechischer Beeinflus- 
sung der Zwölftafelgesetzgebung eine Geschichte ganz im Stile 
des Rabelais zu ‚erfinden und in jene Zeit zu, verlegen ‘). 

4) Graeci miserunt Romam quendam sapientem, ut explorarent, an 
digni essent Romani legibus. Qui cum Romam venisset, Komanı 
cogitantes, quid poterat fieri, quendam stultum ad disputandum cum 
Graeco posuerunt, ut, si perderet, tantum derisio esset Graecis. (ul 
sapiens nutu disputare coepit et elevavit unum digitun Deum sign!- 
ficans, Stultus credens, quod vellet eum uno oculo excaecare, eleva- 
vit duos et cum eis elevavit etiam pollicem, sicut naturaliter evenit 
quasi caecare eum vellet utroque. Graecus autem eredidit, quod trini- 


tatem ostendit. Item Graecus apertam manum ostendit, quasi osteN- 
deret omnia nuda et aperta Deo. Stultus autem timens maxillatam 


| 


ee pe NE Een, „SEI IPAETGE (ee in ten TE Er En 2 


Ueber antike Geheimschreibmethoden und ihr Nachleben. 147 


Die Fingersprache des Beda beruht auf einem calculus, und 
darüber ließen die Zeugnisse keinen Zweifel, dieser calculus 
st der antike. Die vetula, die suos iam dextra computat annos 
aus Juvenal X 249 wird so erst verständlich: Man zählt die 
Einer und Zehner mit der Linken, die Hunderter mit der 
Rechten, mit dem kleinen Finger anfangend, so wie es auch 
die Plin. NH. 34, 33 und Macrob. 1, 9, 10 erwähnte Janus- 
statue mit der Zahl 365 macht. Apulejus konstatiert im Ver- 
lauf der Debatte über das Alter seiner Frau (apol. 89) si tri- 
gta annos pro decem dixisses, posses videri computationis 
gestu errasse, quos circulare debueris digitos aperuisse. Cum 
vero quadraginta, quae facilius ceteris porrecta palma signi- 
fcantur, ea quadraginta tu dimidio auges, non potes digi- 
torum gestu errasse. Beda gibt auch hier den Kommentar. 
Auf diesem antiken calculus baut er seine Fingersprache auf, 
indem die durch den Finger angedeuteten Zahlen die Buch- 
staben entweder nach ihrer lateinischen Reihenfolge (Caute = 
3, 1, 20, 19, 5) oder nach dem griechischen Zahlensystem 
repräsentieren. In dieser Weise begrüßt die Arithmetica bei 
Martianus Capella den Juppiter als die Monade, das prin- 
Güpium rerum, indem sie (VII 729) die Buchtsaben 7) dpxi, 
nach dem Zahlenwert ihrer Buchstaben andeutet: septingentos 
decem et septem numeros complicatis in eos digitis Jovem 
salutabunda subrexit, anscheinend also in Form einer addieren- 
den Zusammenfassung wie die Kritzler in Pompei: yo Ts 
2#duag pp (4839, 4861, 12* p. 460) oder ähnlich schreiben. 
Also gab es im Altertum eine solche loquela per digitos. 
Notae digitoraum hat auch die antike Theorie gekannt, und 
Isidorus räumt auch ihnen in jenem su schätzenswerten Traktat 
über notae aller möglichen Art (I, 21 ff.), der in seinem Kern 
— darin hat Reifferscheidt zweifellos recht geseben — auf 
Sueton zurlickgeht, einen freilich recht dürftigen Paragraphen 
en (1 26). Wir wissen freilich nicht, welches System die 
sibi dari pugnum clausum quasi repercussurus levavit. Graecus intel- 
ierit quod Deus omnia clauderet palma, et sic credena Romanos dignos 
legibns recessit. Vgl. noch über Daktylologie insbesondere Tritheims 
praefatio zu seiner polygraphia mit dem Kommentar des Ad. v. Glau- 
burg, ferner Porta, de furtivis litterarum notis ], cap..7 und 11. Schott, 


ıchola steganographica 316 ff Selenus, systema integrum cryptographiae 
(1624) 4:6 ££ Noch Klüber 230 f. 


10* 


148 W. Süß, 


Kokette in der Tarentilla des Naevius zugrunde legte (75) 
aliis dat digito litteras, 
ebensowenig, wie jene bei Ovid verfuhr, von der es heißt 
(Am. II, 5,18) 
nec in digitis littera nulla fuit. 

Digiti, per quos arcana loquaris Ars I, 137 und zahl- 

reiche ähnliche Stellen bei Ovid, wo nach diesem 

Excipe furtivas et refer ipsa notas 

verfahren wird, geben auch kein deutlicheres Bild. Dagegen 
sieht man, wie Amores I, 4, 16 ff. nicht eine Umsetzung der 
Buchstaben in Fingerzeichen nach dem Computus oder etwa 
nach den Anfangsbuchstaben zu berührender Körperteile (auris, 
barba, dens usw.) stattfindet, sondern nach dem Verfahren der 
Geheimcodes eine willkürliche Zeichenbestimmung im ein- 
zelnen verabredet wird. 

Wie der Abt Trithemius schaudernd sein Haupt verhüllt 
hätte, wenn er den Absturz dieser Geheimwissenschaft der 
Daktylologie zur Taubstummensprache hätte erleben sollen, 
so schwebten ihm auch ganz andere Dinge als Telegraphie u. ä. 
vor, als er in jener von den Nachfahren so vielbesprochenen 
Epistula ad Bostium die rätselhafte Verheißung aussprach: 
per ignem . . . possum mentis meae conceptum notum facere 
artem meam scienti, ad quamcumqgue distantiam, ad centum 
miliaria, vel plura, secure sine verbis, sine scriptis, sine signis, 
per quemcumque nuntium, qui, si comprehensus in via fuerit, 
si interrogatus, etiam per tormenta durissima nihil potest 
fateri de nuntio meo, quia nihil sibi penitus constat de illo. 
Quicquid occurrat, nuntium meum semper manebit occultum, 
nec ones totius mundi homines, si simul essent congregati, 
possent illud investigare virtute naturali, quod etiam facere 
sine nuntio, dum volo, possum. Was Trithemius da ersonnen 
hatte, werden wir ebensowenig ermitteln wie seine Kommen- 
tatoren. Vielleicht war es — wiewohl seine Worte auch hierzu 
nicht genau passen — etwas dem Feuertelegraph des Polybius 
Entsprechendes, über den Riep]l in seinem lehrreichen Buch 
über das Nachrichtenwesen des Altertums ausführlich gehan- 
delt hat (91 ff.). Hier lag ja im Unterschied zu einfachen 
Fanalen eine Uebersetzung der Buchstaben in 


Tr | Bo 2 EEE er EIER, SEE Sn VERTRIEB Ta äsceren,,_ ER SEEÄREE En Een Ey, TEICHE vo TE El en ET ———n TEE. "nn IEEESTEDNINE rn Fr 


Veber antike Geheimschreibmethoden und ihr Nachleben. 149 


die Feuersprache vor (Polyb. X, ec. 45 ff.). Wir haben 
fünf Reihen von je fünf Buchstaben. Nachdem der Kontakt. 
zwischen Station A und Station B durch ein allgemeines 
Feuerzeichen hergestellt ist, beginnt das Funken. Es werden 
Zeichen von einem linken Felde aus gegeben und solche von 
enem rechten, die links zeigen die Reihe an (zwei erhobene 
Fackeln = zweite Reihe =& — x), die rechts die Stellung 
ınerhalb der Reihe (fünf Fackeln also= x). Eine phantasie- 
beflügelte Feder hat uns ein Bild gezeichnet, wie am Limes 
nach dem polybianischen System von den zahlreich nach- 
gewiesenen weiter hinten gelegenen Wachttürmen aus von 
Bayern etwa über Wetterau und Taunus bis zum Niederrhein 
bin telegraphiert worden ist). Aber „am Pfahl“ ist wohl 
nach einem primitiveren Verfahren gefunkt worden. Riepl, 
der die Feuer- und Spiegeldebatten der Renaissancemagie 
offenbar gar nicht kennt, stößt um die Mitte des 17. Jahr- 
hunderts auf eine ähnliche Anregung und gibt Einfluß des 
Polybius zu erwägen (112). Aber in dieser Zeit brauchte sich 
niemand mehr die Kenntnis eines umgesetzten Telegraphen- 
alphabets — sein Gewährsmann verwendet übrigens Stangen 
mit Heubündeln statt Fackeln — aus Polybius zu holen. Und 
doeh scheint Polybius tatsächlich an der Spitze der Geschichte 
der modernen Telegraphie zu stehen, nur fällt die Anregung 
schon ein Jahrhundert früher. Johannes Baptista Porta nämlich 
ist es, der in seiner Magie sowohl (XVIS$ 13) als in seinem schon 
öfters erwähnten Chiffrierbuch (I cap. 10) die Sache ausführ- 
hch darstellt unter Berufung auf quod a Polybio in codicibus 
manuscriptis est traditum. Man war also — das ist kein 
Wunder bei dem Interesse, das die Zeit diesen Dingen ent- 
gegenbrachte — schon vor dem Druck dieser Partie des Poly- 
bius®) in einem Excerptencodex nach Art des berühmten 
Urbinas auf das Geheimnis gestoßen. Denn als ein solches, 
nicht als ein Mittel des Verkehrs schlechthin, war es diesen 
Leuten wert ?). | 

®, Reuleaux, Aus Kunst und Welt 1901, 169 ff. 

°»\, 1—V: 1530, Gesamtausgabe 1609 mit Aeneas Tacticus von Casau- 
bonus, die Excerpte 1582 von Ursinus. 


') Vgl. noch die Fackeltelegraphie bei Hieronymus Cardanus de 
sobtilitate lib. 17 (1550 erschienen), die aber wesentliche Modifizierungen 


150 W. Süß, 


Aber Fadenchiffre, Fingerschrift und Feuersprache sind 
Einzelheiten, sind Kuriositäten auch für die Frage des Nach- 
lebens antiker Künste in der Renaissance und Neuzeit, die 
sich ja bei allen dreien verschieden löst. Fragt man, was die 
Antike der Renaissance an Samen für dieses Feld überliefert 
hat, so ist au allererster Stelle zu nennen das ungemein reich- 
liche und bunte Anekdotenmaterial über Geheim- 
beförderung von Briefen, an dem alle Renaissance- 
traktate sich gesättigt und das sie ergänzt, kommentiert und 
besprochen haben. Es ist nicht poetische Uebertreibung, wenn 
Ausonius in jener Epistel an Paulinus (XXVIII Peiper, XXIII), 
wo er auf diese Dinge ausführlich mit Beispielen eingeht, sagt: 


Innumeras possum celandi ostendere fornıas 
Et clandestinas veterum reserare loquelas. 


Welche Rolle dieses Anekdotenmaterial in der Renaissance 
gespielt hat, ersieht nıan wiederum leicht aus Rabelais (Il 24). 
Pantagruel erhält von einer Dame in Paris einen Brief, der 
aber nur aus einem leeren Blatte besteht und einem Ring. 
Und sofort wird das ganze Register der celandi formae ge- 
zogen: Ist er mit Wolfsmilch (tithymallus) geschrieben, wie 
es Plinius lehrt, hat der Bote nicht eine oxur&An mitbekommen, 
ist die List des Histiaeus (Herodot V, 35, Gellius XVII, 9 
nicht etwa angewandt — tiber die eine ganze Literatur in der 
Renaissance existierte®) — und ist ihm der Brief auf den 
Kopf geschrieben? Wiederum fröhnt Rabelais seinem Trieb, 
phantastische Titel zu erfinden, etwa Calpurnius Bassus, de 
litteris illegilibus (der Name stammt aus den auctores des 
Plinius). Aber abgesehen von dem großen Interesse, mit denı 
die Geheimwissenschaftler der Renaissance dieses Material auf- 
genommen haben, hat es für uns gerade jetzt einen ganz be- 
sonderen Reiz. Diese Anekdoten sind doch nicht nur Spie- 
lereien für die Sextaner, es ist ganz erstaunlich, zu beobachten, 


gegenüber der polybianischen aufweist: 5 Fackeln, die gehoben oder 
gesenkt oder nach links oder nach rechts geneigt 5x 4 Möglichkeiten 
oder die Buchstaben ergeben. Vgl. ferner Selenus 431 ff. Schott 237 f. 
Heidel 347 ff. über die ganze Debatte. 

8) Hercules de Sunde Steganologia Buch 4 extr., das ganz von 
diesen Dingen handelt, Porta de furtivis notia I c. 14 l1I c. 21, Magıa 
XVIL 5 Kircher polygr. app. Schott 247 ff. 


Ueber antike Geheimschreibmethoden und ihr Nachleben. 151 


wie viel davon im Weltkrieg bei allen Völkern wieder auf- 
gelebt ist bei Leuten, die nichts von Herodot und anderen 
antiken Historikern und nichts von den Strategemata der 
Kriegsschriftsteller und der Erotiker des Altertums gewußt 
baben. Denn militat omnis amans heißt es auch hier. Ovid 
x B. ist voll von Anweisungen über geheime Liebespost. Wie 
mancherlei ist im Schuh getragen worden, zwischen Einlage 
(EnSingez) und Leder vernäht, wie der Mechaniker Philo an- 
empfiehlt, der saec. III. a. Chr. im 5. Buch seiner Mechanik 
auf diese Dinge zu sprechen kommt und einen Spezialtraktat 
über Geheimbriefe in Aussicht stellt, der jedenfalls nicht er- 
halten ist (V 102, 39... . 47 Schoene). Einiges aus Philo 
ist der späteren Renaissance durch Casaubonus bekannt ge- 
worden, der ihn handschriftlich kannte und für seine Noten 
zı Aeneas Tacticus verwendete. Der Geheimtransport im 
Stiefel begegnet auch sonst, schon, und zwar mit ganz be- 
sonderen Komplikationen, bei Aeneas (a. a. O. 4), dann bei 
Orid (a. a. Ill 624). Ein Hase als Briefhülle, wie bei Hero- 
dot V 35, wird ja kaum im Weltkrieg wieder aufgetreten sein, 
aber die alte List der gefangenen Naxierin Polykrite, die 
ihren Brüdern Mitteilungen im Kuchen zugehen lüßt (Parthen. 
erot. 9, Plut. de mulierum virtute 17 Aristot. fr. 518, Polyaen 
VIII 36) scheint in der Korrespondenz an Gefangene häufig 
wieder versucht worden zu sein. Aeneas berichtet (35) von 
einem Fall, wo jemand sich Notizen zwischen die Finger auf 
die Haut gemacht hatte und schärft den Torwächtern beson- 
dere Aufmerksamkeit auf diese Dinge ein. Hütte er von der 
bochnotpeinlichen Leibesvisitation gehört, die an allen Grenzen 
mit den Passanten, Männlein wie Weiblein, im Kriege vor- 
genommen wurde, so hätte er auch seine weitgehendsten An- 
sprüche befriedigt gesehen. Freilich mußte man hier auf 
mancherlei gefaßt sein von seiten politisch-militärischer con- 
sciae; pro charta conscia tergum praebeat inque suo corpore 
verba ferat (a. a. IlI 625). Und bei dem tergum bleibt es 
nicht, wenigstens vom lieben Vieh hören wir aliqui et iumen- 
torum in aversam partem infulserunt (litteras membranis man- 
datas), dum stationes transeunt (Frontin strateg. III 13, 3. 
Da ist im Altertum wie heute kein Ort, der nicht gelegentlich 


Bu 


152 Ww. Süß, 


sich als geeignet für Geheimtransport erwiese, von? Korsett 
der Damen (Turpilius 196 R, Ov Her XXI 26, a. a. III 621, 
Tib. II 6, 45) bis zum Sarg der Toten (Dio Cassius LXV 18)°). 

Das Altertum übermittelte der Neuzeit außer dem über- 
quellenden Füllhorn solcher Geschichten den kostbaren Schatz 
der sogenannten tironischen Noten, mit deren Beziehung 
zu unserem Thema es eine sehr merkwürdige Bewandtnis hat. 
Die Geschichte der Stenographie ist ein ebenso ausführlich 
und gut behandeltes Thema wie die der Kryptographie — 
von einigen Einzeluntersuchungen !°) abgesehen —, völlig im 
argen liegt: Messis multa, operarii pauci. Wir erhalten aus 
Darstellungen, wie sie bei Johnen (Gesch. der Stenogr., I 280) 
und Mentz (Das Fortwirken der röm. Stenogr., Ilbergs NJ 
1916 [XIX], 493 ff.) gegeben werden, etwa folgendes Bild: 
Das auf den „tironischen“ Noten begründete stenographische 
System lebt im Mittelalter in reicher und mannigfaltiger 
Nachwirkung, von 1000 ab werden die Spuren schwächer und 
schwächer, und schließlich herrscht völlige Vergessenheit der 
Sache. Da ist es der uns wohlbekannte Johannes Trithemius, der 
die notae sozusagen wiederentdeckt und z.B. ein uls „armenisch * 
katalogisiertes Psalter in Straßburg richtig als in diesen Zeichen 
geschrieben erkennt. Aber diese Darstellung bedarf eines 
Körnchens Salz, um richtig zu werden : Der Abt des Klosters 
Spanheim legt, soviel ich sehe, nirgends in seinen Werken 
auch nur das allergeringste Interesse für Stenographie an den 


») Das Angeführte ist nur ein winziger Ausschnitt aus einem un- 
gemein reichhaltigen und bunten Material. Zu der Kleidung vgl. Aeneas 
a. 0. 23. Wenn in der Renaissanceliteratur immer wieder unter Be- 
rufung auf Theophrast das Rezept begegnet, einen Baum anzuschneiden, 
etwas auszuhöhlen, ihm den Brief auzuvertrauen, so daß die Kinde 
sich wieder schließt, so wird wohl die Hist. plant. V.2. Plinius N. H. 
IXVI 199 berichtete Anekdote von dem xötıvog, der plötzlich Waffen 
gebar, und der weitere Zusammenhang gemeint seın. Das antike 
Material wohl am vollständigsten angeführt und besprochen in dem 
Ziffernbuch des Porta, dessen Magia Naturalis lib. XVI gleichfalls heran- 
zuziehen ist. Vgl. ferner Cardanus de ıcrum varietate XII. de subti- 
litate XV]I. Schwenter (de Sunde) steganologia et steganographia lib-. 
IV, Selenus p. 415 ff., Schutt 286 ff., Heidel 324 ff., Riepl, Nachrichten- 
wesen 303 ff. 

10) Ich nenne Wagner, Nürnbergische Geheimechrift, Archiv. Zeit- 
schrift 1884(9) 14. derselbe Studien zu einer Lehre von der Geheimschrift 
a. 0. (1886) 11, 156, fi., Meister, Anfänge der mod. diplom. Geb. 19U2, 
derselbe: Die Geh. im Dienste der päpstl. Kurie 1906. 


Teber antike Geheimschreibmethoden und ibr Nachleben. 153 


Tag. Sein Interesse für die „eiceronianischen* Noten beruht 
vielmehr auf einem seltsamen Irrtum: Er hat sie für nichts 
Geringeres als für einen Geheimcode gehalten, in dem ganz 
anders als beim Caesar, der ein formales Verfahren der Um- 
setzung darstellt, für viele Tausende von Wörtern und Wort- 
teilen willkürlich Geheimzeichen festgesetzt waren, wie etwa 
heute in einem vierstelligen Zahlencode 3982 „Minister“ be- 
deutet oder in einem dreistelligen Buchstabencode qez „ein- 
treffen“ Begeistert preist Trithemius den Cicero in der prae- 
fatio zu seiner Polygraphia darum. 

Thelematos sui philergiam sive characterem pro usitata 
phrasi locavit .... His autem mysteriorum praenuntiatori- 
bus artis institutio mirandam contulit agilitatem, ut praeter 
naturam omnium solidis utantur gressibus pedum et non per 
minutias vel momenta, sed gradibus integris bonae magistri 
subserviant voluntati. Das ist durchaus im Geist der Zeit 
gesprochen: Der Erfinder der Geheinischrift hat geheime Kräfte 
lebendig gemacht, seine Geheimzeichen stehen wie Homunculi 
nun in seinem Dienst!!). Hier ist gewiß das neuerdings so 
gemißbrauchte Wort „faustisch" am Platz. Trithemius aber 
hat die Sache, wie so manche andere, nicht weiter verfolgt. 
Er meinte (Pol. 599 ff.), das Verfahren verlange ein riesiges 
Gedächtnis für Chiffreur und Dechiffreur, und begnügte sich 
daher damit, eine Probe der nutae mitzuteilen, die als Geheim- 
zeichen Verwendung finden könnten. Trithemius ist nicht den 
weiteren Schritt gegangen, den Geheimzeichen eine Form zu 
geben, daß sie alphabetisch angeordnet werden könnten, die 
Auffassung der tironischen Noten aber hat er weithin be- 
stimmt, wohl bis auf Lipsius, der in seiner Epistula ad Les- 
sıum die richtige Bedeutung auf Grund der antiken Tradition 
erkannt und dargestellt hat (1597), ohne je solche notae selbst 
gesehen zu haben. Die Geschichte dieses ganzen Irrtums ist 
höchst merkwürdig, wohl erst das 19. Jahrhundert hat die auf 
ihm entstandene Idee des Trithemius praktisch ausgenutzt '?). 

1) In einem seltsamen Satz hallt die alte Auffassung noch in 
Klübers Kryptographik (1809) p. 422, dem zusanımenfassenden Werk 
der Zeit, nach. 


12) Porta (I cap. 13 und 14) faßt die notae gleichfallsals 
Gehei'mzeichen und hält die Handhabung für allzu mühsanı. 


154 W. Süß, 


Aber Kryptographie und Stenographie liegen praktisch 
nicht so weit auseinander als begrifflich. Die Theorie hat 
naturgemäß beides oft gemeinsam behandelt, schon lange vor 
Isidor hat Probus nicht nur einen Kommentar zur Geheim- 
schrift des Caesar verfaßt, sondern auch sich mit mindestens 
den notae selhır eifrig beschäftigt, die auf Setzung der Anfangs- 
buchstaben der Wörter beruhen (Keil, Gr LIV, 271f£.). Aber 
auch praktisch diente die Stenographie häufig naturgemäß 
dazu, den Inhalt des Geschriebenen zu verhüllen. Man hat 
das insbesondere für stenographische Vermerke am Ende grie- 
chischer und lateinischer Urkunden behauptet, die offenbar 
nur für den inneren Dienst der Kanzlei bestimmt sind ??). 
Ein deutlicheres Beispiel ist jener monophysitische Bischof 
Eustathius, der 453 das seine Ansicht verwerfende Symbolum 
mit einer stenographischen reservatio mentalis „Dies habe ich 
aus Zwang geschrieben, ohne wirklich beizustimmen“, unter- 
schrieb (übersetzt aus der um 520 geschriebenen Kirchenge- 
schichte des Zacharias von Mytilene in Lands Anecd. Syr. III, 
123, 14. . Nöldeke, Archiv für Stenogr. 53 [1901] 25). Hier 
dürfen wir auch jenes Grabgedichtes auf den ältesten deutschen 
Stenographen (saec. 3), jenen Knaben Xanthias aus Köln, ge- 
denken, das in seiner schlichten Innigkeit viel schöner ist als 
die stoffverwandten rhetorisch gedrechselten Gedichte des Mar- 
tial und Ausonius, und in dem dem Frühverstorbenen ja auch 
Selenus (370 ff) hat schon von Lipsins gelernt. Das opus novum des 
Silvester, 1526, also 10 Jahre nach dem 'l'ode des Trithemius, in Ron 
erschienen, entwickelt ein System, das dem Codeverfahren recht nah® 
kommt. Die Korrespondenten verabreden ein Wörterbüchlein, wo durch 
Seite und Zeile jedes Wort festzulegen ist. Durch weitere, verabredete 
Zeichen werden die Tempora und Personen des Verbums, die Casus 
des Substantivs u. ä. m. im Anschluß an die für die Vokabeln selbst 
erschlossene Bezeichnungen zum Ausdruck gebracht (Facio = VI, 10, 
faciunt VI 10 n [Indikativ] s [praesens] $  [3. plur.]).. Kleinere oder 
umfangreichere nomenclatores, die vor allem Eigennamen enthielten, 
hat die Diplomatie schon der italienischen Stadtstaaten und der Kurie 
in Verbindung mit einem verbesserten Caesarverfahren oder ähnlichen 
formalen Methoden für den normalen Text gehabt. Die tironischen 
Noten scheint noch Lessing für Kryptographie gehalten zu haben 
(Kopp, pal. crit. I. 12; XII 54 not 3 Lachmann), 

13) Für diese Praxis der aegyptischen Notare in Papyrusurkunden 
vgl. Archiv für Papyrusforschung III (1906) 422. Zahlreiche Beispiele 
bei Wessely., Stud. zur Palaeogr. uud Pap. III Gardthausen Gr. Pal. 


Il? 283 305. Dasselbe Verfahren in der merowingischen und karo- 
lingischen Kanzlei. Johnen I 182 Mentz 498. 


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Leber antike Geheimschreibmethoden und ihr Nachleben. 155 


bezeugt wird, daß er berufen war, die arcana seines Herrn 
aufzuzeichnen (Archiv für Stenogr. 55 [1903] 51, 55, 104). 
Nicht selten schwankt die Interpretation zwischen Krypto- 
craphie und Stenographie, so an einer berüchtigten Briefstelle 
Ciceros (ad Att. XIII 32), wo Cicero gesteht, etwas d«& onpelwv 
is einem früheren Brief geschrieben zu haben !*), Sueton 
Aug. 64 allerdings denke ich an Geheimschrift. Der Kaiser 
leort seine Enkel litteras et notare (so Lipsius für das aus 
dem Zusammenhang fallende, auch wegen der 82 bezeugten, 
durch große Empfindlichkeit bedingten lavandi raritas unwalhr- 
scheinliche natare) aliaque rudimenta ac nihil aeque elaboravit 
nam ut imitarentur chirographum suum. Wir haben ja bei 
Isdor (I 25) eine Briefstelle des Augustus ad fillum, wo der 
sehr leicht zu erlernende Chiffre des Augustus, von dem noch 
za reden sein wird, gerade für den Gebrauch in der Familie 
vereinbart wird. In diesem Kapitel findet sich auch notare 
in dem vorausgesetzten Sinn. Die Enkel werden Alphabete 
geschrieben haben wie die Kritzler an den Wänden von Fom- 
pei, die Ersetzung durch den jeweils folgenden Buchstaben 
schlo& sich neben der Nachahmung der Handschrift leicht an 
(rgl. auch Fr. Maier, Dresdener Korrespondenzblatt des kgl. 
stenogr. Instituts 1902, 260, Archiv 54, 301). 

Als allgemeine Anregung bot sich den Geheimwissen- 
schaftlern der Renaissance neben den Anekdoten und den 
mißverstandenen tironischen Noten schließlich drittens noch die 
Briefpraxis Ciceros. Die Decknamen, deren sich 
Cieero bedient für sich selbst und Atticus (ad Att. II 20.5), für 
Pompeius (Sampsiceramus), für L. Marcius Philippus (Amyn- 
tae filius), für Milo (Kpotwvearns TUpavvoxtövos) u.a. m. !?) 
waren ja Ansätze zu einem Codeverfahren, wie sie Ovid für 

ı) Für letzteres z.B. Preisigke, Archiv für Sten. 56 (1905) 305 ff. 
Gardthausen Il? 276, Wattenbach, griech. Pal.? 53., für ersteres 
Jchnen 130, Fuchs, Wochenschrift f. kl. Phil. 1905 (22) 798. Die dritte 
Uebersetzung „in Andeutungen“, en demi-mots (Tyrrell-Purser in ihrer 
Ausgabe, Weinberger Berl. phil. Wochenschr. 27 (1907) 126 Morgen- 
stern Archiv 56 (1905) 5 —= mit stenogr. Kürze) hat keine Stütze an 
der fraglichen Stelle, die gar nicht in einem gewissen Clair-obscur ge- 
halten ist. Ein Grund zur Verwendung einer Geheimschrift lag frei- 
lich kaum in dem Thema „Aemterlaufvahn des Tuditanus*, eher ın dem 


in jenem Brief (XIII 30) behandelten negotium Faberianum. 
>) Vgl. bes. ad Att. VI, 43. Riepl 318. ! 


156 W. Süß, 


die Fingerzeichen auf einem anderen Gebiet aufwies, und aucka 
der von Polybius so sehr bemitleidete Funkapparat des Tak — 
tikers Aeneas war auf dem Prinzip aufgebaut, typische mili— 
tärische Meldungen, die häufiger notwendig werden, in einer 
Gradeinteilung auf Pfeilen anzubringen, die sich in zwei genauz 
gleichen Wasseruhren gleichmäßig senken. Feuerzeichen be— 
zeichnen den Beginn und den Schluß der Operation (Pol. X 
44). Aber Cicero hat darüber hinaus auch die Praxis, die 
man wohl fälschlich aus jenem d:& onpelwv herausgelesen hat. 
Er hüllt die Rede in ein gewisses Helldunkel, indem er ins 
Griechische übergeht !%), &v aivıypois, puotixwtepov spricht, 
alles &AAnyoptars obscurat, oxotile. Aus diesem „durch die 
Blume Reden“ hat mancher Theoretiker der Renaissance 
geradezu eine Theorie gemacht, indem er systematische An- 
leitung gab, durch Verwendung von Metapher und Synekdoche 
u. ä. m. den Sinn unverständlich zu machen. In Verbindung 
mit einigen verabredeten Decknamen aus der Mythologie ließ 
sich dieses Verfahren zu einem völligen Gallimathias steigern, 
dessen Entwirrung freilich auch an den Scharfsinn des Adres- 
saten einige Anforderungen stellt. Die Theorie ist bei Porta 
(z.B. 15, II 17 im Chiffrierbuch) im Anschluß an die antike 
Rhetorik recht ausführlich gegeben. Das 


Neve aliquis verbis odiosas offerat auris, 

Quam potes ambiguis callidus abde notis 

des Ovid (a.a. I 489) verstand man in diesem Sinn. Es ist 
der natürliche Stil des Trithemius, der das kapriziöseste Latein 
schreibt, das wolıl je ein „Asianer“ geschrieben hat. Praktisch 
haben diese Versuche aus leicht erklärlichen Gründen zu keinen 
großen Erfolgen geführt. Es ist aber immerhin interessant, in 
diesem Zusammenhang jene von Wagner (Archiv. Zeitschr. 9, 
14 ff.) besprochene Nürnberger Geheinschrift zu erwähnen, 
die ins Ende des 15. und in den Anfang des 16. Jahrhunderts 
gehört.und von der Schlüssel und Dokumente, die freilich nur 
im Prinzip zueinander passen — der Schlüssel stammt aus 
älterer Zeit — erhalten sind. „Die Amsel ist vernagelt wor- 
den“, heißt hier: „Der Erzbischof von Mainz ist kestochen 


1) Hierfür vgl. Dio 40,9. Im Mittelalter sind griechische Buch- 
staben für gewisse Kreise Kryptographie, Gardthausen, Gr. Pal. II? 3c0. 


= re nee EEE re Egger Tr nn EEE — en 


— ra EEE mn EEE SERÄTETTEFGTEr Er 


—— . 


Ueber antike Geheimschreibmethoden und ihr Nachleben. 157 


worden“, und eine Information erscheint in der Form: „Es ist 
von der amsel ein schall irs lieblichen gesangs an mich ge- 
langt... .. der man mit den gelben sporen ... . were 
nit zu gutem geneigt“. Aenliches findet sich schon über ein 
Jahrhundert früher in der päpstlichen Kanzlei (Meister 5). 

Im einzelnen wollen wir das Material der Geheimschriften 
derart gliedern, daß wir zunächst solche besprechen, bei denen 
dasGeheimnis aufeinem mechanischen Vor- 
gehen beruht, enme Umsetzung des Klartextes 
aber nicht stattgefunden hat. Hier kommen als erste 
Groppe die sympathetischen Tinten in Betracht, 
ein von der Renaissance mit ungeheuerem Eifer bestelltes 
Feld!’). Das beste und sicherste aller antiken Rezepte dieser 
Art ist eines, das in einer Anweisung der päpstlichen Kurie 
aus dem 15. Jahrhundert (Meister, Geh. im Dienst der päpst- 
lichen Kurie 21) wieder begegnet und das seit der Renaissance 
bis in die neuere Literatur des Gegenstandes hinein sich be- 
hauptet hat: Man schreibt mit Galläpfelsaft 1%), die Schrift 
wird sichtbar, wenn sie mit einem mit einer Kupfervitriol- 
lösung (xaAxch Avdog) gesättigten Schwamm überzogen wird. 
Das Verfahren kann auch vice versa angewendet werden. 
Die erste Erwähnung steht bei dem Mechaniker Philo (102, 
lff. Schoene), von besonderem Interesse aber ist die Ver- 
wendung des Rezeptes, das dem Adressaten die Tintenbher- 
stellung überläßt, statt sie schon in der Retorte des Fabri- 
kanten vorzunehmen, im religiösen Hokuspokus. Hierüber ist 
Hippolytus aufschlußreich in seiner refutatio haereseon IV 28 ff. 
(Kommentar dazu bei Ganschinietz, Texte und Untersuchungen 
zur Gesch. der altchristlichen Literatur 39, 2). Der Magier 
läßt das Papier von dem ratsuchenden Klienten, scheinbar 
unlesbar, mit Galläpfelsaft beschreiben. Im dödutov wird die 
Schrift durch Kupfervitriol lesbar gemacht. Die Antwort wird 
von einem als Medium verwendeten raig mündlich gegeben, 


ES 


) Porta, Magia nat. XVI S 1, de furt. not. I. cap. 15. Selenus 
47 FF Schwenter Bach VII, Schott 300 ff, Heidel 328 ff; Klüber 8 247 ff. 
,„”) Die gallarum gummeosque commixtio bei Martianus Capella ILI 
& ist nur ein Mittelchen aus der Hausapotheke einer Alten, cuius 
adhibitione arterias pectusque purgabat. Vgl. auch Graux, Revue de 
Philologie 1830, 82. 


158 W. Süß, 


oder es taucht ein scheinbar leeres Blatt auf, das in einem 
Vitriolbad eine Geheimschrift sehen läßt. Hippolyt erwähnt 
auch, daß der Schwindler mit Kupfervitriol schreiben kann 
und die Schrift durch Räuchern mit pulverisierten Galläpfeln 
erscheint. Weniger empfehlenswert sind andere Experimente: 
Man schreibt mit animalischer Milch, vegetabilen Säften wie 
Wolfsmilch, Leinsaft, Saft des Feigenbaumes, Urin, Fisch- 
mayonnaise (gemeint ist das aus Pompei bekannte gyarıum) 
u: & m., und der Empfänger ermöglicht die Lesung durclı 
Bestreuen mit Kohlenstaub, feiner Papierasche u. dgl. (Hippo- 
lyt a. a. O. Plin. NH. XXV1 62 Ovid a. a. III 627 ff.). Drittens 
wird durch Oel eine bisher unsichtbare Schrift transparent, 
auf emem Holztäfelchen, etwa einem Votivtäfelchen, das mit 
guter haltbarer Tinte beschrieben und dann überweißt oder 
mit einem hellen Bild übermalt wird (Aeneas a. a. O0. 14 f., 
dazu Schoene, Anzeiger zum Jahrb. des arch. Inst. XII [1892] 
121). Hier nenne ich auch jenes Verfahren, das Aeneas (10 ff.) 
und Philo (102, 40) bieten: Eine Blase wird in aufgeblaseneni 
Zustand mit einer stark leimhaltigen Tinte beschrieben, dann 
die Luft entleert und die Blase in eine gleich große Anxud%cs 
gesteckt und mit Oel gefüllt. Arapaves te odv Tb EAnıov Eatat 
Ev 77) Armbdm Kal obEEy E)Io Yaveltaı Evöv. 

Zu jener unserer ersten Gruppe gehört auch, freilich in 
anderen Sinne, die berühmte oxurz2An, wie sie auf Grund 
von Gellius NA XVII 9 und Plutarch Lys. 19 die Handbücher 
und Kommentare beschreiben. Auch hier beruht ja die Ge- 
heimhaltung und die Lösung des Rätsels auf dem Vorhanden- 
sein jenes Stabes von bestimmter Dicke, um den der Streifen, 
der ebenso wie der Maßstab sxutaAn heißen kann, gewickelt 
wird. Vielgefeiert hat die oxura@An sich seit der Renaissance 
bis in die neuesten Handbücher einen Ehrenplatz gewahrt '?). 


!#) Ich gebe (als Stilprobe) die Beschreibung des Trithemius, der 
ihre Erfindung dem Archimedes zuschreibt (Polygr. praef.) Albam 
suis convenienten institutis volucrem, nudam per caput et pedes, 
bactro in formam tetragoni reciso circumferenter affhixit ordinatisque 
debita proportione ministris opus volatili commendavit instrumento, 
donec in picam imago volucris albae mutata comparuit. Quo rite 
peracto resolvit affixam sus manu, quam ut avolare permisisset facte 
est subito inter familiares penetralium facies disjunctio magna sur- 
rexitque mox tortuosae imaginis monasticae prius monstrum nimis vaga- 
bundum, cuius in aspectu nemo quod erat potuit cogitare. Nec prius 


Ueber antike Geheimschreibmethoden und ihr Nachleben. 159. 


Die Darstellung des Plutarch und die des Gellius ergibt ein im 
wesentlichen einheitliches und klares Bild. Die Umführungen 
des Riemens schließen genau aneinander (odd2v örzierpma ror- 
cövteg, ita ut orae adiunctae undique et cohaerentes lori quod 
plicabatur coirent). Geschrieben wird versibus a sumnıo ad 
imum proficiscentibus, mehrere versus müssen es schon sein, 
da bei einer einzelnen Zeile die Gebilde zwar getrennt, aber 
doch in richtiger Ordnung auf dem losgelösten Streifen be- 
gegnen. Bekanntlich hat Birt von der Skytale her die Mar- 
cus- und Trajanssäüule, ja sogar die delphische Schlangensäule 
in Konstantinopel zu interpretieren versucht (Buchwesen im 
Anhang zur Kritik und Hermeneutik 255, Rh. Mus. LXIII 51, 
Buchrolle 274f.). Aber gegen diese opinio vulgata von der 
Skytale ist eine, wie es scheint, in ihrer Bedeutung viel zu 
wenig gewürdigte Reihe von Bedenken erhoben worden, z.T. 
an entlegener Stelle, was zu ihrer Ignorierung beigetragen 
zu haben scheint °). Ich glaube, folgenden Standpunkt zu der 
recht schwierigen Frage einnehmen zu sollen: 1. Der Bericht 
des Gellius und Plutarch geht auf die Arbeiten der alexan- 
drinischen Bibliothekare Apollonius von Rhodos und Aristo- 
phanes zurück, die im Anschluß an die &xvup&vn oxutaAn des 


conquievit bubonum dissensio, donec imago magistri picam scite reli- 
gasset tetragono consimili. Skeptisch Porta I, 14 über den Wert, und 
sor allem 1.C. Scaliger gegen Hieronymus Cardanus (exot. exercit. 327), 
der von nugalia Laconica spricht. Nam tametsi nulla mihi scutale 
sit: tamen pusillo temporis momento unam dimetiar. Etenim prima 
guaque notula deprehensa cetera ad iussa veniunt. Vgl. auch vorher 
zur Kennzeichnung des allgemeinen Standpunkts des älteren Scaliger: 
Notarum vero ars impostura ac delirium est usw. Einen Schlüssel 
zur Auflösung der oxutdAn durch Unberufene hat Langie in seinem 
interessanten, während des Krieges 1918 erschienenen Buch De la crypto- 
praphie 30 ff. ersonnen, aber er fußt auf der Voraussetzung une lettre 
a la fois sur cbaque revulution de la bande de papyrus, während nach 
Gellius durch die Loslösung des Streifens Buchstaben selbst zerrissen 
wurden. Auch E. A. Poe hat sich mit der Dechiffrierung der oxuraın 
in seinem Aufsatz über Geheimschreibekunst beschäftigt. Klüber (VII 
und $ 75) rechnet die oxurdAn unter die für sichere Verwahrung des 
Geheimnisses empfehlenswertesten Methoden! Die Philologen haben 
durchweg skeptischer über den Wert der oxurdAn geurteilt. Die be- 
rübmte Mindarosdepesche darf man freilich in diesem Zusammenhang 
nicht als Beispiel einer unberufenen Entzifferung anführen (Riepl 315), 
denn mit welchem Recht will man hier den Gebrauch dieses Geheim- 
verfahrens annehmen ? Vgl. auch Schneickert 65. 

20) Dziatzko, 2 Beitr. zur Kenntnis des antiken Buchwesens, als 
MS gedruckt für Ihering. Leopold, Mnemosyne 28 (1900) 365 Soları 
Atene e Roma 4 (1901) 411 ff. Martin (Daremberg-Saglıo se. v.) 


160 W. Süß, 


Archilochus sehr ausführliche Traktate über den Gegenstan« 
verfaßten, der erstere nachweislich so, daß die Deutung de: 
Plutarch dabei vorkam. Probus im Kommentar zum Chiffre 
des Caesar scheint nach Gellius XVII 9 auf diese und andere 
anekdotische Dinge .ausführlicher eingegangen zu sein, auch 
hier im Gefolge der alexandrinischen Philologie. 2. Wir habeı 
aus der: voralexandrinischen Zeit, insonderheit aus der poe- 
tischen und prosaischen Literatur, schlechterdings gar kein 
irgendwie klares oder auch nur glaubhaftes Zeugnis für den 
Gebrauch der Handbuchskytale, wie wir sie bisher voraus- 
gesetzt haben. Ja, es steht sogar so, daß, je klarer die Ver- 
wendung durch den Zusammenhang ist, je weniger Allgemein- 
heit dem Ausdruck innewolnt, um so weniger alle die Voraus- 
setzungen der Gelliusskytale passen. Zu Thukydides I 131 
erörterten schon die Scholien und erörtern nicht minder die 
modernen Erklärer, wie denn der Flüchtling Pausanias in den 
Besitz einer oxuraAn kommt, um die Riemenbotschaft lesen zu 
können. Die Lösungen tragen den Charakter armseliger Not- 
behelfe: Er habe sie noch vom letztenmal her mitgehabt, habe 
sie als Vormund des jungen Königs im Besitz gebabt. Ein 
Chiffreverkehr mit den Bundesgenossen, wie er Xen. Hellen. 
V 2, 37 anzunelımen wäre, möchte zur Not noch, wenn der 
Sprachgebrauch von oxut@in sonst überall klar wäre, hin- 
genommen werden. Aber ein solcher mit den unterworfenen 
Feinden ist doch eine über alles Glaubhafte hinausgehende 
Zumutung. Das wäre aber wenigstens die nächstliegende 
Interpretation von Xen. Hell. V 2, 3421). Unter den Stellen, 
die das Phallostragen des Schauspielers der altattischen Komö- 
dien beweisen, befindet sich auch Lys. 991 
dt 8 Eoti os Tai; 
xnpuk: axuräla Arxwvird. 

Dem Witze zuliebe mag man den Boten hier auch mit 
dem Feind so reden lassen, aber den Stock, um den es sich 
bei dem Witz auf den nervus rigidus allein handeln kann, 
hat ja der Bote gar nicht. Woher also der Witz? An anderen 
Stellen (Zusammenstellung am besten bei Leopold) läßt nichts 


21) KAM Apysasr Oplvpınpk anurdın, Bots insidav navee Onnpstalsdat. 


Ueber antike Geheimschreibemethoden und ihr Nachleben. 161 


erkennen, daß der Schriftsteller an ein Geheimverfahren ge- 
dacht hat; es scheint vielmehr nur eine konventionell gefaßte, 
staatliche Urkunde gemeint zu sein. Kein Zweifel, wir müssen 
überall hier völlig von unserer Plutarchskytale absehen. 
3. Trotzdem heißt es nach der Gegenseite übertreiben, wenn 
man nun mit Leopold überhaupt diese Bestimmung der oxu- 


| =&An nur auf eine falsche Etymologie oder Interpretation der 


Alexandriner zurückführt. Dazu sind wir, ganz abgesehen 
von dem philologischen Kredit der alexandrinischen Biblio- 
thekare, denen doch ein riesiges Material von Stellen zur Ver- 
fügung stand, schon deswegen nicht berechtigt, weil ja nach- 
weislich das Wort oxur@An auf sehr verschiedene „Stäbe“ an- 
gewendet wurde, die alexandrinische der Philologen also nur eine 
besonders interessante Kuriosität sein konnte. Schon das hätte 
freilich von der unsinnigen Beziehung aller Stellen, an denen 
das Wort vorkommt, auf die Geheimskytale abhalten sollen. 
Skytale heißt das Kerbholz, auf dem Dike oder Nemesis die 
Sünden der Menschen eingräbt: Liber scriptus proferetur! 
(Hesych s. v., Callim. hym. in Cererem 57, Ruhl, de mor- 
tuorum iudicio 101 [Relig. Vers. u. Vorarbeiten II 2]). Sky- 
tale heißt aber auch der gebrochene Stab, dessen beide Hälften 
Mitteilungen bei Geldgeschäften u. dgl. enthalten, die Zu- 
sammensetzung der symbolischen Teile ermöglicht die Veri- 
fizierung *?) (Dioskurides im Staatswesen der Lakedämonier 
nach Photius s. v.). Einen anderen Gebrauch der Skytale als 
diesen, wir wissen nicht, welchen, hatte Aristoteles im Staat 
der Ithakesier erwähnt (Phot. a. a. O.). Skytale heißt ferner 
eine Marke, die im Geldsäckchen den Inhalt, den Betrag der 
Summe anzeigt (Diod. XIII 106). Skytalis heißt die Erken- 
nungsmarke der Soldaten = tessera, die ihre Persönlichkeit 
ım Falle des Todes festzustellen gestattet (Diod. VIII 27, 


?”) Wenn Plut. bei der Beschreibung der Staatsskytale a. O. sagt 
an.owoavzeg, @g Ts Talg tonalg äyappölerv ups KAAndca, so ist allerdings 
Leopolds Verdacht, er habe diese Geldskytale damit konfundiert, recht 
plausibel. Zu Lys. 991 erinnert der Scholiast eben an die Bruchskytale. 
Wunderliche Konstruktionen zu Pind. ol. VI 154 in den alten Schol. 
Schreiben in die Bruchstelle, die wieder geschlossen wird, wie in einen 
Baumstamm also. Schreiben auf Holz und Riemen zugleich, sodaß 
erst die Zusammensetzung die ganze Schrift ergiebt, und Beförderung 
der beiden Teile durch verschiedene Boten. 


Philologus LXXVYIII (N. F. XXXID, 1/3. 11 


162 w. Süß, 


Justin. III 5). Skytalis heißt auch die Kontrollmarke de: 
Wachen, die die Runde macht und dem Befehlshaber zeigt 
daß jeder an seinem Posten ist (Aen. Tact. XXII 27) 
Etwas Gemeinsames ist in allen diesen Verwendungen nich! 
zu verkennen: ein zu Zwecken der Kontrolle und Identifizie- 
rung in bestimmter Weise gekennzeichneter Stab. 4. Bei dieser 
Fülle und Mannigfaltigkeit der Gebrauchsweisen werden wir 
uns hüten müssen, den Alexandrinern ihre Chiffreskytale ab- 
zustreiten. Derartiges wird es bei Lakedämoniern sehr wohl 
gegeben haben. In anderen Fällen, das wird die älteste und 
harmloseste Form sein, wurde die autoritative staatliche Mit- 
teilung einfach auf den Stock geschrieben, dem Boten auf 
seinen Wanderstock, wie sonst auf oder in seinen Hut (Philo- 
a. a. O.) oder in sein Schuhwerk. Das hat schon Dziatzko 
vermutet. Das direkte Beschreiben der Stöcke ist freilich nicht 
gerade gut bezeugt. Schol. Aves 1283 a. E. steht nicht in R 
und V. Corn. Nepos Paus. 3 cum clava, in qua more illorum 
erat scriptum, ist textkritisch schon nicht ganz sicher. 

Die Renaissance hat die Skytale gern mit der Patronen- 
oder Netz- oder Gitterschrift verglichen, die damals, 
soviel ich sehe, aufgekommen ist, vielleicht nicht ganz ohne 
Beeinflussung dureh jene (ausführlich Porta d. f. n. II 18, 
Cardanus de subtilitate lib. XVII, Adolph von Glauburg in 
seinem Kommentar zur praefatio der polygraphia des Trithemius, 
Klüber 183 ff., Schneickert 32 ff., Langie 71 ff.). Beide Korre- 
spondenten haben gleichgelochte Kartons, in deren Oeffnungen 
geschrieben wird. Der freibleibende Teil wird, mit Non- 
valeurs gefüllt, was einige kalligraphische und stilistische Ge- 
schicklichkeit im Interesse der Unauffälligkeit erfordert. Das 
Verfahren ist sehr verbessert worden durch die Möglichkeit 
einer mehrmaligen Drehung um 90 Grad, ferner indem man 
nur Buchstaben, nicht ganze Worte in das Loch eintrug usf. 
Im diplomatischen Verkehr haben es in neuerer Zeit wohl 
nur noch Gemeinschaften von wenig ausgebildeter Chiffrier- 
technik verwendet. Aber in der Verbrecherwelt, im Detektiv- 
roman, im Film ist es beliebt. Die Gitterschrift, in ihrer 
einfachsten Form wenigstens, stellt den Typus des Ver- 
mehrungschiffre dar. 


Ueber antike Geheimschreibemethoden und ihr Nachleben. 163 


In diesem zweiten Chiffrierverfahren, das 
wir einzeln aufführen, wird zwar der Klartext als solcher un- 
verändert gelassen,” er wird aber in Erweiterungen versteckt, 
ist erst durch eine verabredete Manier aus einer Masse heraus- 
zufischen. Bei Aeneas (3) wird schon empfohlen, was dann 
im Weltkrieg die Gefangenenkorrespondenz wieder, selten wohl 
mit Erfolg, versucht hat: Man schreibt einen harmlosen 
längeren Brief und punktiert einige Buchstaben des Textes. 
Deren Kombination ergibt den geheimen Sinn. Eine zweite 
Methode des Aeneas ist schon wesentlich besser (2). Man 
punktiert die Buchstaben in einem Buch, das man einem Paket 
beigibt. Die Benutzung eines verabredeten Buches zu Chiffrier- 
zwecken (Porta II 17, Selenus 377 ff.) ist später in sehr ver- 
schiedener Weise erfolgt. Die sicherste Form ist zugleich die 
einfachste (Breithaupt ars decifratoria praef. 20, Klüber 341 ff., 
Schneickert 57, Langie 62): 116, 7, 15 — bezeichnet Seite 
116, Zeile 7, Buchstabe 15 = p usf. Auch die Punktier- 
methoden haben in der Renaissance große Beachtung gefunden, 
teils mit sympathetischen Tinten, teils derart, daß die punk- 
tierten Buchstaben nicht als solche Bedeutung haben, sondern 
die Zahl, die angibt, um wieviel Buchstaben der folgende von 
dem vorausgehenden entfernt ist. Diese Zahl ergibt auf einem 
verabredeten abacus numeralis die Erschließung eines Buch- 
stabens. Diese Künsteleien findet man in sehr mannigfaltiger 
Ausführung besonders in Kirchers polygraphia und in Schotts 
schola steganographica 2°). 

Eine dritte Chiffrierform, der Verminderungschiffre, 
beruht auf dem umgekehrten Verfahren. Man schreibt nur 
einen Teil des Klartextes, nur die Konsonanten oder gar nur 
die ersten Buchstaben (vgl. Klüber 330 ff.). Der Nachteil des 
Verfahrens liegt auf der Hand: Vieles ist für Berufene und 
Unberufene gleich schwer oder, wenn man lieber will, gleich 
leicht zu entziffern. Äeneas (30 f.) empfiehlt ein Verfahren, 
nur die Konsonanten zu schreiben, statt der Vokale aber Punkte, 
deren Zahl die Reihenfolge des betreffenden Vokals (@ = . 


2%) Sehr zahlreiche Methoden dieser Art auch bei Selenus 294 ff. 


. Vgl. auch den Chiffrentraktat des Leo Baptista Alberti p 135 (bei 


Meister, päpstl. Geh.). 
11* 


164 W. Süß, 


n=:o=::) anzeigt. Auch die Ersetzung der Vokale 
in anderer Weise kennt Aeneas. Trotz ihrer Unvollkommen- 
heit — wie jeder Hebraist, so würde schließlich auch der 
Kenner anderer Sprachen, zumal beim Vorhandensein so wert- 
voller matres lectionis, ohne besondere Schwierigkeit den Text 
geradezu vom Blatt ablesen — ist dieser Chiffre geradezu die 
Geheimschrift weiterer Kreise im Mittelalter gewesen, ein 
Beweis, daß diese Methode auch nach Aeneas sich irgendwie 
in einer für uns nicht mehr nachweisbaren Form im Alter- 
tum behauptet hat. 

Hrabanus Maurus überliefert diese Gebeimschrift 
der Vokalersetzung durch Punkte als die seinen Vorgängern 
von Bonifaz, der sie von den Angelsachsen mitgebracht 
habe, übermittelte. Aber die Ueberlieferung weit höheren 
Alters klebte daran: Quod tamen non ab illo coeptum est, 
sed ab antiquis istius modi usus crevisse comperimus (opera 
Köln 1626 VI 334). Allerdings ist die Ordnung der Buch- 
staben hinsichtlich der Zahl der Punkte bei Hrabanus Maurus 
eine etwas andere als bei Aeneas. Meister 2%) hat selır schön 
gezeigt, wie verbreitet diese Chiffreschrift im Mittelalter war, 
wobei häufig auch die Vokale durch den nächsten Buchstaben 
ersetzt wurden derart, daß f, p usw. doppeldeutig wurden oder 
Reziprozität i=k, k = i usw. eintrat. Hier liegen die An- 
fänge der Chiffreschrift der italienischen Stadtrepubliken und 
der päpstlichen Kanzlei. Noch später zeigt sich häufig eine 
gesonderte Behandlung der Vokale. Auch die griechischen 
Schreiber des Mittelalters beweisen Kenntnis dieser Methoden. 
Gelegentlich wurde sogar noch mehr als die Vokale schlecht- 
hin weggelassen oder gar nur die ersten Buchstaben der Worte 
geschrieben (Gardthausen Il? 303). 

Vertreten, wenn auch verhältnismäßig schwach, ist im 
Altertum ferner der Typus des Reversionschiffres (Klüber 
128 £.). Quidam etiam versis verbis scribunt (d. h. doch wohl 
die Worte von hinten nach vorn) sagt Isidorus in seinem 
Kapitel über Geheimschriften (I 25) ohne jeden weiteren Zu- 
satz. Hier darf auch an die Rolle der Spiegelschrift im 


24) Anfänge der modernen dipl. Geh. 7 ff. 16 ff. Geheimschrift im - 
Dienste der päpstl. Kurie 13 fl. 


Ueber antike Geheimschreibemethoden und ihr Nachleben. 165 


frommen Betrug erinnert werden. Ein Feldherr schreibt sich 
mit ihr einen glückverheißenden Satz auf die Hand und weiß 
bei der Eingeweideschau es so einzurichten, daß er den Ab- 
druck auf einem wichtigen Teil, "etwa dem vielberufenen Aoßög, 
dem Leberlappen, erscheinen läßt (Frontin. strat. I 11, Polyaen. 
IV 20). Die Schreiberkryptographie des griechischen Mittel- 
alters kennt ähnliche Geheimschriften, Veränderung der Stel- 
lung der Buchstaben im Wort ebenso wie Spiegelschrift (Gardt- 
hausen Il*® 302. 304). 

Wir kommen nun fünftens zu dem gleich am Eiigang 
charakterisierten Caesarverfahren, dem Buchstabentauschh. 
Da kann nun zunächst keine Rede davon sein, daß Caesar 
hier irgendwie als Erfinder in Betracht kommt. Die Sache 
ist viel älter und tritt offenbar an vielen Orten auf, ohne daß 
man Beeinflussung ‚notwendigerweise annehmen müßte. Im 
Sanskrit hat sich bezeichnenderweise im Zusammenhang mit 
der bier ja üppig wuchernden erotischen Literatur — wir 
denken an Ovid, der ja voll ist von Anregungen dieser Art — 
allerlei über Geheimschreibemethoden erhalten. Die Chrono- 
logie weist in einem Fall auf 300 v. Chr. (Vertauschung der 
17 letzten Konsonanten mit den 17 ersten und umgekehrt, 
Vertauschung der langen und der kurzen Vokale), in einem 
anderen Fall auf die Zeit von Christi Geburt ?°),. Im Buch 
Jeremia findet sich eine jüdische Geheimschrift gelegentlich 
angewendet, bei der der erste Buchstabe für den letzten, der 
vorletzte für den zweiten und vice versa angewendet wird. 
Es werden durch diesen sogenannten Athbasch, den schon 
Hieronymus zu den Jeremiasstellen erläutert hat (V 27, p. 311 
Reiter), besonders Namen in eigenartiger Weise verschleiert 
durch ganz andere Worte. Sicut apud nos, sagt H., Graecum 
alphabetum usque ad novissimam litteram legitur, hoc est alpha, 
beta, et cetera usque ad o, rursumque propter memoriam par- 
vulorum solemus lectionis ordinem vertere et primis extrema 
miscere, ut dicamus alpha o beta psi, sic et apud Hebraeos 
primum est aleph, secundum beth, tertium gimel usque ad 
vicesimam secundam et extremam litteram thau, cui paenul- 


35) Meister, Anfänge 2 unter Verwendung von Mitteilungen von 
Jacoby-Bonn. 


166 W. Süß, 


tima 'est sin . . . . cumque venerimus ad medium, lamed lit- 
terae occurrit chaph et ut, si recte legatur, legimus Babel, ita 
ordine commutato legimus S(ch)es(ch)ach. Vocales autem lit- 
terae .. . .. . iuxta lölwpa linguae Hebraese in hoc nomine 
non ponuntur. Eine andere, auf jüdischen Amuletten begeg- 
nende Geheimschrift soll jeden Buchstaben durch den nächst- 
folgenden ersetzen 2°) (Augustuschiffre). | 
Es ist gewiß nur ein Zufall, daß Aehnliches uns nicht 
aus Griechenland bezeugt ist, insbesondere daß Aeneas, der ja 
auch von allen Anwendungsformen der Skytale schweigt, 
nichts aufweist, was mit dem Caesarverfahren irgendwie zu- 
sammengebracht werden kann. Dieses selbst aber hat nach 
Sueton (Caes. 56) und Dio. (XL 9) den vierten Buchstaben 
für den ersten gesetzt und so weiter %). Wäre das das ganze 
Caesargebeimnis gewesen, so begriffe man allerdings kaum, 
womit Probus seinen Kommentar zur Geheimschrift des Caesar 
angefüllt hat. Er hatte ja dann nur eben diese Tatsache und 
etwa eine Probe mitzuteilen und konnte sich im übrigen nur mit 
dem nur sehr lose damit zusammenhängenden Rankenwerk der 
Anekdoten und der Skytale beschäftigen. Aber die Stelle bei 
Gellius, die von dieser merkwürdigen Schrift des Probus be- 
richtet (XVII 9), gibt doch ein wesentlich vollständigeres Bild 
von dem Sachverhalt: Libri sunt epistularum C. Caesaris ad 
C. Oppium et Balbum Cornelium, qui rebus eius absentis 
curabant. In his epistulis quibusdam in locis inveniuntur lit- 
terae singulariae sine coagmentis syllabarum, quas tu putes 
positas incondite; nanı verba ex his litteris confici nulla po8- 
sunt. Erat autem conventum inter eos clan- 
destinum de commutando situ litterarum, ut in 
scripto quidem alia aliae locum et nomen teneret, sed in 
legendo locus cuique suus et potestas restitueretur; quaenam 
verolittera pro qua scriberetur, ante is, sieufi 
dixi, complacebat, qui banc scribendi latebram pare- 
bant. Est adeo Probi grammatici commentarius 
‚*) w d. Hardt, aenigm. Jud. relig. Helmstädt 1708 p. 49 bei 
Breithaupt, ars decifratoria 21. 
7) ad Ciceronem (Q.!), item ad familiares domesticis de rebus (also 


kein Staatschiffre) ..... per notas..... D pro A et perinde reliquas- 
Tb Teraprov Kst arorgelov Kvtl TOD xadrixovrog. 


Ueber antike Geheimschreibemethoden und ihr Nachleben. 167 


satis curiose factus de occulta litterarum 
significatione in epistularum (. Caesaris 
scriptura. Also wechselte je nach Verabredung der 
Schlüssel, und wir mögen uns Probus Arbeit recht reizvoll 
vorstellen. Hat er Statistiken und Beobachtungen über die 
einzelnen Buchstaben angestellt und, ein Vorläufer der deci- 
fratores der Renaissance und des E. A. Poe, Anweisungen zur 
Entzifferung des Caesar gegeben? Jedenfalls sieht man, daß 
die geschichtliche Geheimschrift des Caesar, wenn sie auch 
nur verhältnismäßig enge Formen der Anwendung hatte 2°), 
doch im wesentlichen und prinzipiell dem entspricht, was man 
heute unter einem „Caesar“ versteht (vgl. z.B. Schneickert 14 ff.). 

Die Geheimschrift des Augustus begnügte 
sich damit, den jeweils folgenden Buchstaben einzusetzen. 
Für den letzten Buchstaben (X nach Sueton, also unter Zu- 
grundelegung des alten Alphabets, Z nach Isidor, also unter 
Hinzuziehung der beiden hinten grade zur Zeit des Augustus 
angerückten Buchstaben Y und Z) schrieb er Doppel-A 29). 
Auch hier haben wir es nicht mit einem Staats-, sondern mit 
einem Familienchiffre zu tun, wozu ja auch jener erwähnte 
eigentümliche Unterricht der Enkel durch den Kaiser im notare 
gut passen würde (Suet. Aug. 64). 

Das Caesarverfahren begegnet vielfach bei den 
mittelalterlichen Schreibern, so der Augustuschiffre 
(Gardthausen Il® 302), Buchstabentausch unter Anwendung 
von Reziprozität und Beschränkung auf nur einen Teil der 
Buchstaben (a. a. O. 303), Verwendung von eigens dazu her- 
gestellten Geheimalphabeten an Stelle der normalen (Ruelle, 
La cryptographie grecque in den Melanges Picot 1913), Ver- 
wendung der griechischen Zahlzeichen zum Ausdruck für die 
Nummer des betreffenden Buchstabens ((e=15 = p; | = 
7=g). Oder man hat die Zahlzeichen 9 — 1 gesetzt für 

*) Es ist aber nicht mit Sicherheit zu folgern, daß bei dem Tausch 
immer die normale alphabetische Reihenfolge zugrunde lag. 

”») Suet. Aug. 88. Isidor I 25 Caesar quoque Augustus ad filium 
‚quoniam*, inquit, „innumerabilia accidunt assidue quae scribi alter- 
utro oporteat et esse secreta, habeamus inter nos notas si vis tales, 
ut, cam aliquid notis scribendum erit, pro unaquaque littera scribamus 


sequentem hoc modo, pro 8 b, pro b c et deinceps eadem ratione ceteras 
pro z autem littera redeundum erit al duplex a a.*® 


168 W. Süß, 


&© — %, 90 — 20 für ı — z, 900 — 200 fürp — w (zalıl- 
reiche Belege bei Gardthausen 311). 

Auch ein System doppelstelliger Zahlenkryptographie ist 
nachweisbar xx =2 x20 =40 =, Au =30 +40 = 0). 
Gardthausen 315f. Die durch das Konzil von Nicaea fest- 
gesetzten litterae formatae, d. h. in eine besondere Form ge- 
brachten paßartigen Empfehlungsschreiben für Geistliche be- 
ruhten auf der Addition des Zahlenwertes sehr vieler festge- 
setzter Buchstaben, darunter war auch eius qui scribit epistolam 
prima littera, eius cui scribitur secunda, accipientis tertia, civi- 
tatis quoque de qua scribitur quarta usw. 

Insoweit wir über die Chiffrierpraxis der Diplomatie zur 
Zeit der Renaissance unterrichtet sind, bildete die Grundlage 
überall ein Caesarverfahren, das etwa durch einen mehr oder 
weniger umfangreichen Nomenclator erweitert und durch Ein- 
führung von zahlreichen litterae nil importantes = Non valeurs 
und von Zeichen für Dubletten und häufig vorkommende Ver- 
bindungen und Silben, sowie durch mehrfache Wiedergabe 
häufiger Buchstaben, insbesondere der Vokale, verbessert war. 
Die Lösbarkeit wenigstens des einfachen Caesar wird melır 
und mehr klar ?®9). Trotz aller Verehrung regt sich doch auch 
die Kritik, wenn auch in so liebenswürdiger Form wie bei 
Jakob Silvester in seinem opus novum (1526), der, nachdem 
er von der Skytale und der Buchstabenvertauschung des Caesar 
nach Sueton gehandelt hat, eine Quadratlinienschrift beschreibt, 
die der von Gellius gegebenen Beschreibung des Caesarchiffres 
Genüge tun soll. Die ihm gewöhnlich zugeschriebene sei zu 
leicht und seines Genies unwürdig. Die Quadratlinien- 
schrift des Silvester hat mit dem Caesarchiffre in 
Wahrheit gar nichts zu tun. Man kann in ihr eine eigen- 
tüwliche Ausgestaltung der Skytale sehen. Ein untergelegtes 
quadratisches Linienblatt teilt die Schreibseite in Quadrate, in 
die die einzelnen Buchstaben der Worte nach einer verabredeten 
Reihenfolge (z. B. 4, 6, 8, 2 usw.) eingetragen werden. Die 
'freibleibenden Räume werden mit litterae otiosae = Non valeurs 


0) Vgl. schon vor Porta den Dechiffriertraktat des mit den Sforza 
in Verbindung stehenden Sicco Simonetta (1474) Meister Anfänge 61 ff., 
ferner den Traktat des Alberti (1472) Meister p. Geh. 125. 


| 


Ueber antike Geheimschreibemethoden und ihr Nachleben. 169 


gefüllt. Der Empfänger muß ein gleiches quadratisches Linien- 
blatt haben und im Besitz des Schlüssels sein, der die Reihen- 
folge angibt, um die seltsam auseinandergerissenen Worte 
lesen zu können ?!). Die eigentliche Ueberwindung des 
Caesar und damit der Beginn einer neuen Aera der Geheim- 
schreibekunst knüpft sich an den Namen des Abtes Trithemius 
(1462—1516), jenes eigenartigen Humanisten, den Konrad Celtes 
in einer schönen Ode launig und doch voll Ehrfurcht gefeiert 
hat (od. 111 28). Freilich ist zwischen dem, was heute in der 
Geheimschreibekunst ein „Tritheim“ heißt und den wirklichen 
Erfindungen des Sponheimer Abtes ein mindestens ebenso 
großer Unterschied, wie er zwischen dem historischen Caesar 
und dem Caesar der kryptographischen Tradition obwaltet. 

Folgendes Beispiel mag das Prinzipielle der Neuerung 
veranschaulichen: Wir wählen der Einfachheit halber den 
Augustuschiffre, verschieben also jeden Buchstaben in der üb- 
lichen alphabetischen Reihenfolge um eine Stelle. Wir be- 
dienen uns aber, um das Heraustreten der Frequenzen zu 
vermeiden, nicht eines Alphabetes a—z, sondern 25, je nach- 
dem wir mit b, mit o, mit y usw. beginnen und nach z die 
fehlenden Buchstaben von a ab anschließen. Den mitzuteilen- 
den Klartext schreiben wir, genau Buchstabe unter Buchstabe, 
unter einen verabredeten Text, etwa 


Conticuere omnes intentique ora tenebant 
Inde toro pater Aeneas sic orsus ab alto usw. 


Nur die Buchstaben, über denen & steht, rüicken um eine 
Stelle vor, steht c darüber, wählen wir das c-Alphabet, rücken 
also vor Vornahme unserer Operation um zwei Stellen vor. 
Haben wir zwei konzentrische Kreisscheiben, von denen sich 
eine rouletteartig dreht und die beide mit den 25 Buchstaben 
in gleichen Kreisausschnitten beschrieben sind, so wird das 
Verfahren sehr vereinfacht. Wir wissen sofort z. B., welcher 
Buchstabe dem t entspricht, also Nr. 19 in dem o-Alphabet ist, 
den wir dann um eine Stelle noch weiter vorzurücken hätten. 
Man sieht, daß die Frequenzen, die bei diesem Verfahren im 
Chiffretext zutage treten, gar nicht die Frequenzen der Buclı- 


?1) Uebernommen von Selenus S0f. Vgl. Klüber 164 f. 


170 w. Süß, 


staben sind. E kann, da es grundsätzlich unter 25 verschi: 
dene Buchstaben zu stehen kommen kann, auch auf 25 ve 
schiedene Arten ausgedrückt werden, m. a. W.: jeder Buchstal 
kann durch jeden Buchstaben repräsentiert werden. Die größeır 
oder geringere Häufigkeit ist eine größere oder geringer 
Häufigkeit nicht der Buchstaben des Klartextes, sondern de 
Kombinationen aus zwei Buchstaben, von denen der eine der 
Klartext, der andere in unserem Beispiel dem zweiten Buc] 
der Aeneis entnommen ist. Die Berechnung ist ungemein vie 
schwieriger geworden. 

Bei den Namen Trithemius sind hier, wie schon erwähnt 
allerlei Einschränkungen zu machen. Schon vor Trithemius 
war der 1472 in Rom verstorbene, in nächsten Beziehungen 
‘zur Kurie stehende Leo Baptista Alberti zu der Er- 
findung der beiden Kreisscheiben gekommen, von denen die 
‚eine drehbar ist. Er rät, die Einstellung nach einigen Worten 
zu wechseln. Damit ist die Starrheit des Caesar überwunden. 
Uebrigens läßt Alberti die Buchstaben der festen Scheibe in 
willkürlicher Ordnung aufeinander folgen. Trithemius freilich 
konnte keine Ahnung von diesen für die Zwecke der Kurie 
in einem Traktat behandelten Verfahren haben. Die Schrift 
ist erst in unseren Tagen durch Meister (päpstl. Geheimschrift 
125 ff.) ans Licht gezogen und publiziert worden. Trithemius 
hat auch mit dem Kreisscheibenverfahren des Alberti nicht das 
Allergeringste zu tun °?2). Aber immerhin sieht man, daß die 
Richtung auf Lockerung und Beweglichmachung des Caesar- 
verfahrens auch sonst vorhanden war. Man könnte nach der 
Darstellung der kryptographischen Lehrbücher meinen, im Zen- 
trum der Geheimschreibekunst des Trithemius hätten grade 
diese Bemühungen gestanden. Das grade Gegenteil ist aber der 
Fall. Seine Polygraphie und seine Steganographie sind an- 
gefüllt mit Geheimanweisungen, die heute so gut wie völlig 
vergessen sind. Was ihn aber im Urteil der späteren Nach- 
welt zu einem der ersten Kryptographen gemacht hat, das 
spielt bei ihm selbst eine verschwindend geringe Rolle. Die 


#2) Die Wendungen Meisters (p. 28 und 33) sind unklar und irrig. 
Soviel ich sehe hat erst Collange, der französische Uebersetzer des 
[rithemius (1561 Paris) außer einigen anderen Erweiterungen auch 
die Kreisscheiben zu den tabulae Tritheims zugearbeitet. 


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Ueber antike Geheimschreibemethoden und ihr Nachleben. 171 


ganze Angelegenheit ist kennzeichnend für die Manier des Spon- 
heimer Abtes, zugleich auch für die Unklarheit, die über allem 
liegt, was über des Trithemius kryptographischen Leistungen 
gesagt wird. Als „Tritheim“ gilt heute in der Kryptographie 
ein Verfahren, bei dem ein Schlüsselwort, etwa „Marine“ ver- 
einbart wird und nun die Buchstabenversetzung nach wechseln- 
den Alphabeten vorgenommen wird. Für die Auflösung dieses 
„Tritheim® gibt es ein verhältnismäßig einfaches Verfahren. 
Alle gleichen Verbindungen von Buchstaben, sl etwa oder xi 
usw., schreibt man heraus und zerlegt ihre Entfernung (etwa 
30 unter einmaliger Einrechnung der Verbindung selbst) in 
Faktoren (5X6). Gewisse häufige Buchstabenverbindungen 
werden eben, unter dieselben Schlüsselwortbuchstaben gebracht, 
mehrfach in derselben Art auftreten. Der häufigste Faktor, 
etwa 6, gibt die Zahl der Buchstaben des Wahlwortes an. 
Nun teilen wir ab und erbalten Einzelcaesarchiffres. Diese 
Form aber begegnet nirgends, auch nicht in Andeutungen, bei 
Tritheim °). Man sieht auch, daß die angeführte Form der 
Lösung nur bei einem abgegrenzten Schlüsselsatz möglich ist, 


nicht bei einem unbegrenzten Text, wie ihn das zweite Buch der 


| Klüber (p. 147) verweist auf einige Stellen, an denen aber nichts 
irgendwie Aehnliches zu finden ist. Wann und wie die irrtümliche 
Bezeichnung „Tritheim“ enstanden ist, vermag ich nicht anzugeben. 
Das Schlüsselwort stammt von Kircher (Polygraphia syntagma III) und 
seinem getreuen Schüler Schott (schola steganogr. 77 ff.) An Stelle 
der Buchstabentafel (Multiplikationstabelle, wie sie nach einer äußeren 
Aehnlichkeit heute meist genannt wird) des Trithemius erscheint bei 
Kircher der abacus numeralis oder eine Tabelle, bei der neben den 
Tritheimschen Buchstaben Zahlen in willkürlicher Ordnung stehen, 
in jedem Quadrat ein Buchstabe und eine Zahl. Kircher und Schott 
empfehlen eine sehr große Zahl von Methoden auf dieser Grundlage. 
Der heutige Tritheim ist nicht dabei. Am nächsten kommt ihm viel- 
leicht ein ganz beiläufig von Schott empfohlenes Verfahren (a. O. p. 110). 
Die ganze Verwirrung ist zum guten Teil dadurch verschuldet, daß 
alle Theoretiker ihre Erfindungen als angebliche Krfüllungen der 
aphoristisch angedeuteten Versprechungen des Erzmeisters Trithemius 
besonders in der berühmten Epistula ad Bostium ausgeben. So hat 
auch Heidel, der Kircher und Schott sehr genau kennt, ein Verfabren 
als angeblich von Tritheim gemeint proponiert (stegan. illustr. 388 ff.) : 
2 konzentrische Scheiben (untrithemisch) und ein Schlüsselwort (un- 
tritbemisch) sind die Voraussetzung. Ich stelle den ersten Buchstaben 
der littera secreta (= Klartext) unter dem ersten Buchstaben der clavis 
(= Schlüsselwort) ein. Der erste Chiffrebuchstabe ist dann derjenige 
Buchstabe auf der Scheibe, die die Klartextbuchstaben repräsentiert, 
der dem a auf der Schlüsselscheibe entspricht usw. Als Schlüssel wird 
beispielsweise gewählt: gloria sit patri et filio et Spiritui sancto, also ein 
längerer als meist jetzt. 


172 W,. Süß, 


Aeneis darstellt. Diese Lösung versagt aber auch gegenüber 
dem wirklichen Tritheim, der besser ist als sein moderner 
Repräsentant. Es ist nicht ganz leicht, ein zutreffendes Bild 
von dem wirklichen Sachverhalt zu geben. In der Stegano- 
graphie steht überhaupt kein klarer Hinweis auf das, was wir 
hier suchen. Es ist zwar von den 22 verschiedenen Alpha- 
beten (v, w, y fehlen) viel die Rede, die als unter der Obhut beson- 
derer Dämonen stehend geschildert werden, deren Beschwörungen 
die Operation eelbst bezeichnen. Aber das wechselnde Wirken 
verschiedener Dämonen, um in diesem kabbalistischen Rot- 
welsch zu reden, auf einen und denselben Text wird nicht 
gelehrt, es sind vielmehr Operationen ganz anderer Art, die 
gemeinsam mit dem Caesarverfahren das Geheimnis umschließen. 
Aus der ganzen Polygraphia aber kommt für unsere Zwecke 
nur das Buch 5 in Betracht. Hier bringt Trithemius eine 
große Buchstabentafel. Sein Alphabet hat 24 Buchstaben (a 
bis z, w hinter z, v fehlt). Dieses Alphabet ist einmal hori- 
zontal in der ersten Zeile, dann einmal vertikal in der ersten 
Kolumne geschrieben. Die 24 Zeilen der Tabelle sind dann 
derart gefüllt, daß die noch felllenden 23 Buchstaben an den 
Anfangsbuchstaben jeder Zeile treten, hinter w von a ab die 
noch fehlenden, jede Zeile also anders aussieht als die andere, 
die zwölfte m—1 die letzte w—z usw. Eine zweite Tabelle 
zeigt die Buchstaben in umgekehrter Folge: erste Zeile w—a, 
zweite z—w, dritte y—z, letzte a—b. Andere „Orchemata“ 
stellen Tafeln dar, in denen der Buchstabentausch für das 
Alphabet a—w in kühnerer Weise unter Aufgabe der üblichen 
Ordnung vorwärts oder rückwärts, d. h. mit Auslassungen, 
Ueberspringungen und Nachträgen bewerkstelligt wird. Der 
begleitende Text ist höchst wunderlich. Neben Entschuldigungen 
dafür, daß diese puerilen Dinge so breit behandelt werden, 
stehen geheimnisvolle Andeutungen, als ob die Wissenden mehr 
daraus zu machen wüßten. Die Verschiedenheit der Alpha- 
bete wird ausdrücklich nur damit motiviert, daß man 50 ver- 
schiedenen Korrespondenten verschiedene Chiffres geben kann. 
Alles das bleibt also im Rahmen des „Caesar“, von „Tri- 
theim“ keine Spur trotz der schönen „Multiplikationstabelle“, 
die ja nicht im modernen Sinn verwendet ist, derart daß wir 


Ueber antike Geheimschreibemethoden und ihr Nachleben. 173 


den Chiffrebuchstaben aufsuchen als den Punkt, wo sich die 
Vertikallinie, die vom Klartextbuchstaben, der in der ersten 
wagrechten Linie aufzusuchen ist, herabführt, schneidet mit 
der Horizontallinie, die mit dem Schlüsselbuchstaben in der 
ersten Kolumne vorn nach rechts führt. Wir könnten auch 
hier, wie so oft bei Tritheim, nur mit ganz dunklen Andeu- 
tungen und Möglichkeiten rechnen, hätte sich Tritheim nicht 
in der als eigenes Buch erschienenen clavis polygraphiae herab- 
gelassen, den Schleier etwas mehr zu lüften. Hier nämlich 
gibt er für das 5. Buch (p. 69 der Ausgabe der polygr. mit 
clavis Straßburg 1613) die Anweisung: Est autem modus iste 
scribendi, ut in primo alphabeto . . . capias occultae senten- 
tiae literam unam, de secundo aliam, de tertio tertiam et sic 
consequenter usque ad finem. Ein genaues Studium dieser 
Tabellen, meint der Autor am Schluß seines Schlüssels zum 
5. Buch, lehre überhaupt jede auf Buchstabentausch beruhende 
Geheimschrift aufzulösen. Natürlich gibt er hierüber keine 
Aufklärung, hatte er doch selbst kurz vorher versichert, nie- 
ınand könne ohne Kenntnis der Tabelle hinter das Geheimnis 
dieses Verfahrens kommen. Das Verfahren, das Tritheim 
also endlich doch zögernd verrät, kennt kein begrenztes 
Schlüsselwort, überhaupt keinen Schlüsseltext. Die große 
Mannigfaltigkeit seiner Alphabetreihen ermöglicht den Korre- 
spondenten eine große Beweglichkeit, jedenfalls eine größere, 
als sie der heutige Tritheim gewährt, der erst recht einen ge- 
wissen kümmerlichen Eindruck macht, wenn man ihn an der 
ungeheueren Fülle von Hunderten und Aberhunderten von 
Möglichkeiten mißt, die im Gefolge Tritheims, bei Porta, 
Vigenere (1586) °*), Selenus (p. 178 ff.), Kircher, Schott, Heidel 
und anderen auftreten. Diese Andeutungen mögen genügen 
zur Veranschaulichung der Behauptung, daß gerade im An- 
schluß an den Caesar und in seiner Verbesserung diejenigen 
Teile der Geheimschriftweisheit der Renaissance entstanden 
sind, die sich in der Folgezeit bis auf unsere Tage als die 
lebensfähigsten erwiesen haben. 

Von Geheimschriften hören wir im Altertum noch mancher- 
lei, ohne daß eine Andeutung uns von der Art der Umsetzung 

4) Vgl. p. 178. 


174 Ww. Süß, 


Kunde gibt. Von Brutus berichtet Isidorus (a. a. O.) folgendes: 
Notas etiam litterarum inter se veteres faciebant, ut quiequid 
occulte invicem per scripturas significare vellent, mutue scri- 
berent. Testis est Brutus, qui in his litteris ea quae acturus 
erat notabat, ignorantibus aliis quid sibi vellent haec litterae. 
Man denkt zunächst an den Caesarmörder und Attizisten, dessen 
reichbewegtes Leben eine solche Praxis (erfundene Geheim- 
buchstaben?) nahelegen mochte. Aber auch der seiner Zeit 
in Mutina belagerte Decimus Brutus verkehrte auf geheimem Weg 
mit der Außenwelt; auf dünngewalzten Bleiplättchen brachten 
ihm Schwimmer und Taucher unter Benutzung des Flusses 
Scultenna Kunde in die Stadt, ferner bestand hier eine Tauben- 
post, die Verständigung durch Feuersignale war in diesem Fall 
mißlungen ®). Nichts Näheres wissen wir auch über Ark 
und Bedeutung der Geheimzeichen, die Cicero in bestimmten 
Empfehlungsbriefen gebrauchte (ad fam. 13, 6, 2). 

Auch die Sicherung einer Geheimschrift 
durch eine andere, d. h. also die Verbindung mehrerer Me- 
thoden, ist dem Altertum nicht unbekannt. Gewiß erhöht es 
das Geheimnis beträchtlich, wenn der chiffrierte Text selbst 
wieder in eine neue Mühle genommen wird, wenn ein nach 
dem Codeverfahren hergestellter Geheimtext eine neue anders- 
artige Prozedur mit sich geschehen lassen muß. Ein Zahlen- 
text wird durch Addition oder Subtraktion bestimmter Zahlen, 
die den Korrespondenten bekannt sind und wechseln, von 
neuem verändert, ein Buchstabentext wird nach dem Caesar 
oder Tritheim völlig umgestaltet ®°%). Dreifach gesichert war 
eine Geheimdepesche, von der wir bei Ammianus Marcellinus 
hören (18, 6, 17 ff... Er war geschrieben in vaginae internis, 
in der Scheide des Schwertes, membrana notarum figuris scripta, 
also in einem nicht näher gekennzeichneten Chiffreverfahren 


ss) Frontin strateg. III 13. 7 f. Dio 46, 36. Plin. N. H. X, 37, 58. 
Lediglich die Existenz einer Geheimschrift ohne jede nähere Angabe 
über ihre Eigenart Polyb. VIII 17 ff. ovv$nparıxd Yeappara. Vgl. auch 
Suidas 8. v. ouvönpatıxüg. Die von Caesar an Q. Cicero geschickte 
epistula Graecis litteris scripta (bell. gall. V. 48) deutet Jakob (Dict, 
des ant. D. Sgl. Epistolae secretae) als einen lateinischen mit griechischen 
Buchstaben geschriebenen Brief. Jedenfalls ist sie bei Polyaen II 29, 6 
und Dio 40,9 ein griechischer Brief. 

3) Man vgl. die interessanten Ausführungen von Karl Ammon ‚Wie 
kann man Geheimschriften sicher machen ?" Die Woche 1919 S, 1237. 


4 en, EEE EEE nn EEE Eee TE rn | 


Ueber antike Gebeimschreibemethoden und ihr Nachleben. 175 


und in seinem Stil in der Weise des Cicero und der Nürn- 
berger ein krauses, nur dem Eingeweihten verständliches Ge- 
misch von Decknamen, allegorischen Umschreibungen und ge- 
suchtem Dunkel Seine nimia perplexitas consulto obscurius 
indicans, die wir noch nachkontrollieren können, machte freilich 
auch den Berufenen die größte Entzifferungsmühe, wie das 
ja überhaupt ein Mangel dieses Verfahrens ist. 

Wir haben bei der Besprechung des antiken Materials ab- 
sichtlich manches außer Betracht gelassen, was an der Peri- 
pherie unseres Gebietes liegt, wie Rätsel, Akrosticha, Geheim- 
schrift und Geheimstil im Dienste des Zaubers und der Magie, 
fremde Alphabete wie die der Chaldaeer und Aegypter °”), ob- 
wohl alle diese Dinge grade in der Renaissance eine sehr 
große Bedeutung gehabt haben. Gerade die Frage des Nach- 
lebens ist bei all diesen Dingen interessant. Wir sehen alle 
nur möglichen Formen vertreten. Neben der einfachen Re- 
zeption findet sich die Weiterentwicklung bescheidener An- 
fänge, findet sich jene von O. Immisch oft (z. B. Das Nach- 
leben der Antike 16) charakterisierte Erscheinung, daß die- 
Wirkung, von dem ursprünglichen Gebilde losgelöst, unter 
neuen Voraussetzungen ihr neues Leben zu eigenem Recht 
führt (der historische Caesar und der Caesar der modernen 
Kryptographie!). Schließlich aber sehen wir doch sehr oft, 
daß der Irrtum nicht nur beglückender, sondern auch frucht-- 
berer sein kann als die Wahrheit. Eine der beliebtesten und. 
erfolgreichsten Formen des modernen Chiffreverkehrs ist — 
die antiken Decknamen und umschreibenden Verhüllungen 
u. &. m. zählen hier nur als ferne Vorahnungen mit — als Ge-- 
danke und Möglichkeit nur auf Grund eines völligen Ver- 
kennens der tironischen Noten in die Debatte der Krypto-- 
graphie eingeführt worden. Die geschnitzten Heiligen haben. 
nach Lichtenberg mehr Wunder getan als die wirklichen. 

Leipzig. W. Süß. 

37) Lucan. Phars. III 224. Diese Dinge bilden einen festen Bestand- 
teil in der Renaissance-Kryptographie. Vgl. u. a. Tritheims Polygra- - 
pbie Buche VI mit seinen vielen willkürlichen Erfindungen (Wagner, 


Archiv. Zeitschrift XI [1886] 167 £.) Porta d. f.n. I, 2; 9, Silvester am 
Ende seines opus novum, Schwenter Buch V, Selenus 281, 383ff.. 


° Breithaupt 4 ff. Noch Klüber 278 ff. 


Miscellen. 


1. "ApfCndog Bepevixa 
(Callimach. epigr. 51 Wilamowitz). 


Der Ausdruck begegnet zweimal, Callimach. epigr. 51, 3 
(zplGndos cod.; ApLaros Wilamowitz) und Theocrit. id. 17, 57 
(aptiGarog SPAE, dpiinios Wilamowitz, wiewohl auch dieses 
Gedicht sonst dorischen Dialekt hat). Wie alle mit dp.- zu- 
sammengesetzten Adjektive ist auch dp{XnAog ein rein poetisches 
Wort; an eine irgendwie offizielle Titulatur kann nicht gedacht 
werden. Das Epitheton ist nicht neu. Homer, Hesiod (op. 6 
— Gegensatz &önAas), Pindar brauchen es, alle in der Bedeu- 
tung „sehr deutlich“, „deutlich sichtbar“ oder „deutlich hör- 
bar“, von Dingen, die starken Eindruck auf Gesicht oder Ge- 
hör machen; die Lexikographen (Hesych., Suid., Etymol.) er- 
klären mit Exöndog, dcaöndog, Yavepös u. ä. Die Bedeutung 
„beneidenswert“ —= TnAwrög ist erst ganz spät. Das Wort ist 
von allen Späteren aus Homer entnommen, was sich auch in 
der ionischen Form mit n zeigt, die Pindaros O. 2,61 beibe- 
halten hat. Die homerische Bedeutung ist ihm in der älteren 
Litteratur durchgehends geblieben und erscheint auch noch bei 
Apoll. Rhod. Arg. III 957 und, wiewohl hier etwas vom Ge- 
wöhnlichen abweichend, Il 250 (@p!CnAoı Yap Emıxdovioratv Ev- 
ınat ddavarwv). Die Ueberlieferung des Wortes in der Ilias 
ist überall einhellig (N 244; & 219. 519; X 27); nur B 318 
schwankt sie: Ap!CnAcv Ven. A, die beiden Laurentiani SM, 
Papyri; aptönlov Zenodot., a!CnAov Ambros. O1, deilndov 
Apoll. soph.; &önAov Etymol. m.; ob Aristarchos und Cic. de 
div. 11 64 dilnAov!) oder AtönAov lasen, ist ungewiß — jeden- 
falls nicht @p:&nAov. Zur Deutung der Lesart dptSnAov ist der 
Vers 319 (av yap pıv Ednxe Kopövou rals Ayxulonrntew) ein- 
gesetzt worden, den Aristoteles las (Schol. B Hom. Ill. B 305), 
Zenodotos anerkennt und Ovidius (Met. XII 23) voraussetzt, 


[ WEEEEEN 


ı) H. Ehrlichs Deutung von &i&nd.og = ewig lebend (Untersuchungen 
über das Wesen der griech. Betonung 1912 S. 102) wird keiner der 
antiken Deutungen gerecht. 


Miscellen. 177 


während ihn Aristarchos bei seiner Lesung von V. 318 natür- 
lich athetieren mußte. 

Auch Kallimachos schöpft das Epitheton aus Homer, aber 
nicht als ein „kyklischer“ Nachbeter, sondern er weiß in 
seiner Art das homerische Wort mit geistvollen und gelehrten 
Beziehungen zu laden und den Kennern interessant zu machen. 
Seine Sitte, im Vorübergehen homerische Probleme textkriti- 
scher und exegetischer Art zu lösen, ist durch die Dissertation 
von F. v. Jän (De Callimacho Homeri interprete, Straßburg 
1893) bekannt. Mit dem Gebrauch des Wortes im 51. Epi- 
gramm giebt er zu verstehen, er lese an dem locus conclama- 
tus B 318 dpicnAog (gegen Zenodotos) und deute das Wort 
ım Sınn von „deutlich sichtbar“. An der Homerstelle ver- 
standen diejenigen, die dpilnAog oder das gleichbedeutende 
@p:ör;Aog lasen und zugleich den V. 319 festhielten, die große 
Deutlichkeit, zu der Zeus der Schlange verhalf, von ihrer Ver- 
wandlung in Stein, ‘durch die sie nun für alle Zeiten sichtbar 
blieb als merkwürdiges Naturmal. Daß dem Dichter der Aitı« 
und Sammler der Yxupaoız diese Stelle in dieser Deutung vor 
Augen stand, ist kein Wunder. Er kann der eben fertig ge- 
wordenen Berenikestatue das Beiwort dpilnAos in keinem an- 
dern Sinn gegeben haben als in dem, den er in der Homer- 
stelle fand: der Bildhauer hat die Berenike versteinert wie Zeus 
jene Schlange, und sie dadurch dpilnAog gemacht, verewigt. 

Sind diese Beziehungen richtig gedeutet, so kann die Be- 
zeichnung dpiLadog Bepevix& überhaupt nur im Anschluß an 
die Ausarbeitung der Berenikestatue, die Kallimachos verherr- 
licht, einen Sinn haben und ersonnen worden sein — er hat 
im 51. Epigramm diesen Ausdruck bei dieser Gelegenheit als 
Erster geschaffen. Und wenn auch in anderen Epigrammen 
(46. 52 Wil.) Kallimachos den jüngeren Freund Theokritos 
grüßt und citiert (Rhein. Mus. 70, 1915, 147), so ist im 17. 
Idylil Theokritos ohne Zweifel der Nachahmer; die Worte 
arila)os Bepevixa sind bei Theokritos mit Gänsefüßchen zu 
denken, als Citat aus dem Kallimachosepigramm, das einer 
Kultstatue der soeben divinisierten Berenike gilt. 

Aus der Deutung von ep. 51 ergiebt sich auch die des 
Verses, den aus den Homerepimerismen O. Schneider mit Recht 
unter die Fragmenta anonyma nr. 357 des Kallimachos auf- 
genommen hat: Aazayou gYiXog ulög, ap!&nAog IIrodepatos. Auch 
er muß einer frischgefertigten Statue des Ptolemaios Soter 
gelten. Man denkt am einfachsten an die Kultstatuen, die 
den $eo! owrfjpeg unter der Regierung des Ptolemaios II. bald 
nach 283 gesetzt wurden. Theokritos in dem gegen Ende der 
siebenziger Jahre des 3. Jahrh, geschriebenen &yxwuıcv Iltode- 


Philologus LXXVIII (N. F. XXXII), 1J2. 12 


178 Miscellen. 


palov setzt den Kult der Yeol swrfipes voraus (17,46 ff. 121 ff.). 

So sehr man geneigt sein. möchte, unter der Berenike des 
51. Epigramms die Frau des Ptolemaios Ill. und Tochter des 
Magas zu verstehen, deren Taten Kallimachos im Artemis- 
hymnus verherrlicht und der seine xwpn Bepevixng gilt, so wird 
doch die Beziehung des Epigramms auf die ältere Berenike, 
die Frau des Ptolemaios I., notwendig durch die Theokritstelle, 
die ausgesprochenermaßen diese meint. Von Berenike, der 
Tochter des Ptolemaios Il., die nach kurzer Vermählung mit 
Antiochos ermordet wurde, kann hier keine Rede sein. 

Zur Bestätigung dieser Auslegung kann noch auf zwei 
Punkte hingewiesen werden. Das Epitheton edaiwv &v räaı, 
was in Prosa ravra eüalwv heißen würde?), erinnert an die 
Bezeichnung des Ptolemaios III. als edafwv in dem Epigramm 
des Eratosthenes. U. v. Wilamowitz hat in seiner Erklärung 
dieses Epigramms (Göttinger Nachr. 1894, 18) darauf hinge- 
wiesen, daß evatwv den beglückten Zustand göttlicher Wesen 
bezeichne, wie eödözitwv den menschlicher. Schon die erste 
Belegstelle für das Wort, die wir haben, Aesch. Pers. 711 W., 
hat solche Färbung: ßlotov edalwva IlEpsaus 5 Yeds örhyayes, 
d. h. ein Götterleben (Nachbildung bei Soph. Trach. 81); auch 
die Euripidesstellen (lon 125 von IHauv; Bacch. 426) stim- 
men dazu, und wo Kallimachos das Wort sonst benützt, wird 
es von göttlichen Frauen gebraucht (hymn. 4,292 von Hekaörge, 
h. 5, 117 von Chariklo?)); von einem Abgeschiedenen, der im 
Leben edalwv war, redet Leonidas Tar. Antlı. Pal. VII 449. 
Demnach paßt das Epitheton gut für eine divinisierte Gott- 
königin, im Rückblick auf ein glückliches Leben, das hinter 
ihr liegt, oder auf ein Götterleben, das sie jetzt führt. 

Mit den Worten „xt. pöporor vorei* ıst entweder eine 
Hyperbel ausgesprochen: die Statue hat den Myrtenduft wie 
die Lebende an sich, sie ist der Lebenden zum Verwechseln 
‘ ähnlich; oder die Statue war wirklich mit Myrtenöl gesalbt. 
Daß eine der Bereniken sich für Myrtenöl besonders interes- 
sierte und die Myrtenölindustrie in Alexandreia förderte, be- 
zeugt Ath. XV 689a Tirnale ÖE nal 7a &v ’Adebovöpela (sc. 

ı) Ueber diese mit nävıa gesteigerten Titulaturen W. Schmid, Atti- 
cism. 2,185. Der Gebrauch ist vielleicht ausgegangen von Plat. leg: 
VI 766 ab (6 &prorog eig navıa soll Herrscher sein). Kallimachos Alta 
Oxyrh. pap. VII p. 29, 84 ravı' dyaıj; Aristid. or. 46 p. 230 Dind. 
braucht ra&vıa @yadög von Heroen; Le Bas Voy. arch. III. 482 8 ı& navıa 
YsoyprAtotatog Kal Öbauwratog Erioxonog. 

®) Unpersönlichen Begriffen wird das Wort selten attribniert (Eur. 
Iph. Aul. 550 rötaog); auf einer von O. Kern (Berliner phil. Woch. 1915, 
53£.) hergestellten attischen Grabinschrift des 4. Jahrh. v. Chr. Biov 


&ppog; Dioscurid. Anth. Pal. VII 449; bei Sophokles (Phil. 829; fr. 534 N.) 
hat eöxiwv auch aktiven Sinn (beglückend). 


Egg air engen 


2 


Miscellen. 179 


pupa) Sta nloürov xal Eck tiv 'Apaorvöng al Bepeviang onouörv. 
eyevero EE xal Ev Kuprivg pööLvov xXpratötatov xad’ dv Xpövov 
esn Bepevian N pey@An. Es kann kein Zweifel sein, daß mit 
der in Kyrene die Rosenölindustrie fördernden „großen“ Be- 
renike die Tochter des Magas gemeint ist, mit der vermählt 
Ptolemaios III. nach Magas’ Tod Kyrene regierte. Also muß 
die von ihr unterschiedene Freundin des Myrtenöls die erste 
Berenike, Ptolemaios’ I. Frau, gewesen sein. Die erste oben 
zur Wahl gestellte Deutung der Worte xAtt püporor vorei hat 
etwas Künstliches. Wenn ich mich für die zweite entscheide, 
so nehme ich an, daß die Salbung mit dem Lieblingsparfüm 
der Verstorbenen, mit Myrtenöl, auch der Statue der divini- 
sierten Königin jenen göttlichen Wohlgeruch beibringen sollte, 
den zuerst Hymn. Hom. 5,277 und [Aischylos] Prom. 115 Wil. 
erwähnen. In der Arbeit von E. Lohmeyer, Vom göttlichen 
Wohlgeruch (Heidelberger Akad. Sitzungsber. 1919 nr. 9, 4 ff.) 
sind die Stellen fast vollständig gesammelt. Beifügen kann 
ich: Ar. av. 1715 (Pisthetairos kommt als neuer Zeus aus dem 
Vogelreich und dopi) 8’ dvovöuaotog Es Bayos xUxAcu Xuwpei); 
Apoll. Rhod. Arg. IV 430 (von dem Peplos, den die Chariten 
für Dionysos verfertigten, toö d& «al äußpoaln dön rreleı Ebert 
xetvou); vom Wohlgeruch gottbegnadeter Menschen: Alexanders 
d. Gr. Plut. Al. 4 = symp. quaest. 623 e (aus Aristoxenos); 
vom Wohlgeruch der Engel: O. Weinreich, Der Trug des 
Nektanebos 104. Noch Erasmus steht unter dem Einfluß dieser 
Vorstellung, wenn er in der Apotheosis Capnionis p. 173 
Schrevel. über Reuchlins Himmelfahrt sagt: secuta est mira 
fragrantia. 

Daß dieser Wohlgeruch, der bei den Göttern durch Ein- 
reiben von Salben entstanden gedacht wurde (Lohmeyer $. 12 ff.), 
auch den Statuen eben erst divinisierter Menschen beigebracht 
wurde, darf vielleicht aus dem Kallimachosepigramm ge- 
schlossen werden*®). Jedenfalls ist das Epigramm unter die 
frühsten uns erhaltenen Arbeiten des Dichters zu zählen, etwa 
unter die Gedichte, mit denen der Magister von Eleusis sich 
um die Gunst des Ptolemäerhofs mit Erfolg bewarb, und das 
Zitat aus ibm bei Theokritos fügt unserem Wissen von der 
Freundschaft der beiden Dichter einen neuen Zug hinzu. 


Tübingen. W. Schmid. 


*) An das Verfahren der ydvwaıg oder &ravaydvwaoıg (worüber H. Blüm- 
ner, Technol. und T'erminol. der Gewerbe und Künste 8, 200 f.; Holleaux, 
Bull. de corr. hell. 1890, 185 ff.) ist hier nicht zu denken; bei diesem 
handelt es sich um Schutz der Oberfläche und der Farben von Statuen 

en Verwitterung und atmosphärische Einflüsse durch Einreiben einer 
ischung von Wachs und Oel. 


ey 


12* 


180 Miscellen. 


2, Zu den Dialogen Senecas. 


I. Seltene oder in ungewöhnlicher Bedeutung gebrauchte 
Wörter sind im cod. Ambrosianus (A), der wichtigsten Unter- 
lage für die Kritik der Dialoge Senecas, fast durchweg ver- 
stümmelt; in zahlreichen Fällen gelang die Heilung; noclı 
nicht geglückt ist sie an folgenden Stellen, die in der Aus- 
gabe von Hermes mit der crux versehen sind. 

Dial. IV 11,4... etiam contemptissima timentur ut ve- 
nena et *ossa pestifera et morsus. — Statt weitabgehender 
Vermutungen, die Hermes im krit. Apparat erwähnt, lies: 
venena et offalc) pestiferale) et morsus, Gifttränke, vergiftete 
Kuchen und (tödliche) Bisse; zu venena vgl. die Nachweise 
im ausführlich. Wörterb. v. Georges, 8. Aufl.; zu ofae: Varr. 
de R.R. III 5,4 eae (cibatui offae positae) maxime glomeran- 
tur ex ficis et farre mixto; Festus (245 Muell.; 282, 13 Linds.) 
ofam vocabant abscısum globi forma, ut manu glomeratamı 
pultem ; Macrob. Sat. VII 4, 4 (pecudes) illae morbis implican- 
tur, quibus offae compositae .... farciuntur. — Die Verderb- 
nis entstand durch Verwechslung von f (ofae) und s (ossa); 
ähnlich steht Dial. IX 2,5 feram (A) statt seram; IX 10,6 
fuit (A) st. (po>suit. 

Auch zur Heilung von Dial. IX 11,7 bedarf es nur eines 
leichten Eingriffs: mullos ex ts, quos forum, curia, sermo 
mecum contraxerat, nox abstulit et *iunctas sodalium ma- 
nus copulatas interseidit. — Hermes bemerkt riehtig, unter 
den von ihm verzeichneten Vermutungen gefalle am meisten 
der Vorschlag von Schulteß: et lictor s. m. c. interscidit; 
aber lictor kann in Zunctas nicht stecken ; dieses ist in uncus 
zu verbessern mit dem Sinne: ‚der Haken des Henkers hat 
das Band der Freundschaft zerrissen‘; den uncus erwälnt Sen. 
öfter: Dial. V 3, 6 ostendenda est rabies eius (irae) effrenata .. 
adparatusque illı reddendus est suus . .. cruces ct .. ignes 
et cadavera quoque trahens uncus; Epist. 92,35 non conterret 
me nec uncus nec protech ad contumeliam cadaveris laceratio; 
Epist. 14,5; 82,3; vgl. Ammian. Marcell. XXVI 10,9 carni- 
fex et uncı et cruentae quaestiones.... per fortunas omnes ct 
ordines grassabantur. — Erklärung der Verderbnis: Ein Ab- 
schreiber änderte, veranlaßt durch das folgende copulatas, das 
ihm ungeläufige uncus in tunctas. 

Ebenso leicht läßt sich die Verderbnis Dial. X 2,4 be- 
seitigen: adspice vllos, ad quorum felicitatem coneurritur! 
bonis suis effocantur. quam multis divitiae graves sunt! quamı 
multorum eloquentia et colidiana ingenü *spatro sangumem 


Miscellen. 181 


educit! quam multi continuis voluptatibus pallent! — Hier ist 
nur sparsio aus spatio herzustellen und zu erklären: Wie 
vielen entzieht die Beredsamkeit und der tägliche Aufwand 
(eirentlich ‚das Verstreuen’) an Talent, das zu bekunden ihnen 
Bedürfnis ist, die Lebenskraft (sanguinem)!’ Das sehr seltene 
sparsio findet sich bei Sen. noch Nat. Quaest. II9,2 im Sinne 
von ‚Sprengen von Flüssigkeiten’; es steht hier in ähnlicher 
Bedeutung wie spargere Dial. XII 6, 6 mobilis et inquieta ho- 
mins mens dala est: nunquam se tenet, spargitur et cogitationes 
suus in onınia nota atque ignota dimittit; Epist. 19, 1 subduc 
te ıstis occupationibus .„.. salis mullum temporis sparsimus: 
incipiamus vasa in senectute colligere Dial. X 11, 2 quibus vita 
procul ab omni negotio agitur, quidni spatiosa sit? nihil ex 
ılla delibatur!), nihil alio atque alio spargitur. 

In den obigen Fällen veranlaßte die Seltenheit von Wör- 
tern den Fehler, an der folgenden Stelle ist die Verwirrung. 
einer nicht allzu liäufigen Bedeutung des Plurals von populus 
zuzuschreiben: Dial. IX 9,2 discamus... frugalitatem colere, 
elianısi mulltyos pudebit eilus> *plus. — Daß in plus eine 
Form von populus zu suchen ist, sah schon Pincianus; daß 
aber nicht populum sondern populos herzustellen ist, lehrt 
das vorausssehende mul/tyos und bestätigt der Gebrauch beider 
Seneca, die populi im Sinne von homines, vulgus verwenden; so 
sart der Sohn: de Clem. I 13,4 (vultus) marime populos de- 
mreretur; Epist. 94, 55 reclamet populis laudantibus; Phaedra 
Y11 vulgare populis corpus; Here. fur. 1241; Oectaeus 607 
und 1917 nach dem Vorgang des Vaters: Controv. 11 7, 3 for- 
muasae in se universos populos converterent u. ibid. I 2,20 (vir- 
90) populos adoravit (codd. hier populus; über beide Stellen 
s. meine Benierkungen in den Wiener Stud. XL 1918, S. 130). 
In dieser Bedeutung steht dann der Plural bei Apul. (z. B 
Metam. V 10 fin. omnibus populis; XL 16 fin. cuncti p.) u. a. 

If. Wörter und Silben sind in A oft unrichtig gestellt; 
so ist Dial. VII 10, 3 zu schreiben: virtus.... voluptates aesti- 
mat, anltequam admillat, necsi quas(quası A, quas vulgo) 
probarit, magni pendit (‚noch legt sie auf Vergnügungen, die 
sie etwa zuläßt, besonderen Wert’). — Ebenso einfach ist die 
Stellung zu berichtigen V11 23,4 quemadmodum etiam pedibus 
suis poterit iter conficere, escendere tamen vehiculum malet, sic 

') Ueberliefert ist delegatur, doch spricht für die Aenderung deli- 
batur die Stelle des gleichen Buches cap. 7,5 magni... virs est nihil 
er suo tempore delibari sinere; sodann Cic. de Invent. Il 59, 174 quod 
sit de honestate delibatum, virtute et industria recuperelur; ibid. 11 39, 
1l4; ferner Planc. Ep. ad. Fam. X 21,2 delaude ieiuni hominis delibare 


quidquam ; Florus I 22,40 ne quid de virginitatis integritate delibasse . . 
tideretur. 


182 Miscellen. 


| 


yauper, si polerit, dives esse volet (A: p. si p. esse dives volet.) 
— Umstellung von Buchstaben beseitigt die merkwürdige 
Verderbnis X 7,6 nec est, quod putes *hınc (A) ıllos (‚quos 
magna felicitas gravat’) aliquando intellegere damnum suum 
(‚den Zeitverlust, den sie erleiden’). Es ist klar, daß in Aine 
eine Negation steckt, aber ebenso sicher, daß diese weder non 
(Madvig) noch minus (Joh. Müller) sein kann. hinc entstand 
vielmehr aus nichil (so nämlich ist das Pronomen in A fast 
immer geschrieben, .s. Hermes zul 2,1); als dessen Endbuch- 
staben (es folgt illos) infolge Haplographie wegfielen, wurde 
das noch verbleibende nich in Ainc geändert; demnach ist zu 
verbessern nih il) dlos a. intellegere damnum suum. Zu 
dem als Negation gebrauchten nihil vgl. im folgenden Kap., 
85 aelas ... nihil admonebit velocitatis suae: tacita labetur; 
. XI1,4 fata... nihil unguam ulli parcunt; XI1L 11,5 »ecunia 
ad animum nihil pertinet. 

III. Außerdem sei bemerkt: III 16,6 fügt sich leicht ein 
quid enim est indignius quam (nequam) florere quosdam et 
cos indulgentia fortunae abuti, quibus nulla potest satis mala 
inveniri fortuna? (vgl. V 19,2 nequam mancipia). — VI 21,7 
schreibt man nach Muret: agunt opus suun fata; aber A hat: 
agyguwrit opus s. f.; dies entstand aus agunt rite o. Ss. f.; 
vgl. VII 26,8 imperatur silentium, ut rite peragt possit sacrum ; 
VI113,1 coronam capiti detraxit, cetera r. perfecit; Cic. de 
Har. Resp. 11,23 ludi sunt non r. facti; Verg. Aen. IV 555 
Aeneas... carpebat somnos, rebus ianı rile paralis; an diesen 
Stellen heißt rite ‚nach festgesetzter Ordnung’. — IX 16,1 ge- 
nügt die Ergänzung Cato ılle... incumbens gladio .simul de 
se (actum) ac de republica palam facere, vgl. VI6,1 tuum 
illic, Marcia, negotium actum, tibi Areus adsedit (v. d. Vliet 
fügte (actum esse) ein). — An der von Hermes mit der erux 
versehenen Stelle VI 23,5 Fabianus ait... puerum Romae 
fuisse statura ingentis *viri ante *sed hic cito decessit ist 
jedenfalls der überlieferte Ablativ statura festzuhalten (Auct. 
ad Herenn. IV 47,60 (citharoedus) sit statura adposita ad dig- 
nitatem; Cic. Phil. II 16, 41 qua facie fuerit, qua statura und 
weiterhin mit Pauly (dessen Vorschlag statwra ingenti viribus- 
que viro antecellentem freilich mißglückt ist) anzunehmen, daß 
dem Knaben neben der statura ingens ungewöhnliche Körper- 
kräfte zugeschrieben waren; demnach lese ich, von der Ueber- 
liefer. fast nicht abgehend: fuisse statura ingenti[s], viri«bus) 
ante‘luctantes); sed et qu. s. — luctantes schrieb Sen. 
wohl wegen der beliebten Klausel -—- - 2 — statt Zuctatores 
(de Ben. V 3,1; Epist. 88,18) wie Dial. XII 9,1 terra... 
vix ad lutelam incolentium fertilis statt incolarum; zur Konstr. 


Miscellen. 183 


fuisse ante luctantes vgl. de Ben. IV 2,2 (voluptas) ante virtn- 
ten est (bei den Epikureern) und die im Thes. L. L. II 135, 60 
aufgezählten Stellen. 


München. Fritz Walter. 


3. G. Gracchus und die Furien. 


Wie Tib. Gracchus, der tüpxvvos, der Optimatentradition 
zufolge am Fuße der Königsstatuen auf dem Kapitol sein 
Ende fand!), so G. Gracchus in luco Furinae. Ueber die 
wechselnde Schreibung des Namens, Furina oder Furrina, 
und über die Göttin überhaupt, s. Wissowa in der Realenc. VII 
8382. In „Rel. und Kultus der Röm.“? 240 sieht Wissowa 
nur eine „bloße Spielerei mit dem Namen, wenn Cicero sie 
als gleichbedeutend mit den Furiae oder Eumeniden bezeich- 
net“. Aber die Auffassung Ciceros (de n. d. IIL46 Eumenides, 
quae si deae sunt, quarum et Athenis fanumst et apud nos, 
ut ego interpretor, lucus Furinae, Furiae deae sunt, specula- 
trices credo et vindices facinorunı et sceleris) wird, obgleich er 
sie als seine persönliche Meinung hervorhebt, auf einer ganz 
bestimmten Tradition beruhen, der Auffassung der Opti- 
maten, daß der „Sozialrevolutionär“ G. Gracchus als ein parri- 
cida seines Vaterlandes, von den Furien gepeitscht, im „Haine 
der Furie“ den unentrinnbaren Strafgeistern erlag. Wir haben 
vor uns den etymologischen Niederschlag einer bestimmten 
Parteianschauung. Die literarische Tradition, die an dies 
besonders eindrucksvolle rhetorische lumen anknüpft, können 
wir noch deutlich in dem uns vorliegenden Quellenmateriale 
am Werke sehen (s. die Tabelle bei Kornemann, Klio I 15). 
Der Optimatenpartei war td lepdv &Xoog ’Epıvöwv, Plut. G. Gr. 
17, eine schöne Pointe in ihren Deklamationen?), die wir 


2) Appian b. c. 116. Ueber die Aspirationen des Tiberius auf 
den Königsthron Ed. Meyer, Kl. Schr. 426,1 (daß Tiberius am 'Todestage 
auf seinen Kopf zeigte — ein deutliches Zeichen der Lebensgefahr — 
scheint Ed. Meyer nur eine Optimatenerfindung zu sein, um die Aspi- 
rationen des Tib. auf das königliche Diadem zu kennzeichnen — das 
kommt mir doch zu künstlich vor). Scipio Nasica (Diod.-Poseid. XXXV 
p. 148 Dind.) hat in seiner Verteidigungsrede auf den Rostra den Tib. 
der zupavwvig beschuldigt — darauf haben wieder die Demokraten er- 
widert, indem sie umgekehrt den Nasica als tupavvos charakterisierten 
(Plut. Tib. 14). Die Demokratenversion ließ Tiberius dort fallen, wo 
er seine Rede (‚sein Gebet“, wie 88 tpayıxutspov hieß) anfıng (Rh. ad 
Herenn.) Die geschichtliche Wahrheit wird sicherlich die sein, daß er 
auf dem Clivus Capitolinus (Fornix Calpurnius) getötet wurde. 

Vgl. E. Schwartz, Gött. gel. Anz. 1896, 799. S. Pantzerhielm, 
Thomas, Den antikke tradition om Graccherne (1919) 53. 


184 Miscellen. 


wenigstens bis auf Poseidonios (Diod.) verfolgen können: al 
Gaius den Untergang seiner Machtstellung herannahen sielıt 
eig Abttav TIv& xal pavewen öddearv Evenente, und wenn e 
sich am verhängnisvollen Tage der Ermordung des Antulliu 
in einer Porticus hinter dem Tempel, wo die Optimaten sicl 
versammeln, verbirgt, wird er von demselben Poseidonios al: 
dönpnovav xal noLvnAntobpevog dargestellt. Sicherlich ha 
ihn auch bei Poseidonios im „Furienbaine* die Strafe erreicht 

Nicht seiner ausgezeichneten Primärquelle, wohl aber deı 
direkten Benutzung seiner Mittelquelle mag Appian I 24 die 
stark aristokratisch gefärbten Ausdrücke über das Benehmeıı 
des Gaius vor seinem Ende verdanken: sein schlechtes Ge- 
wissen plagt ihn, @g Ent dAXoxdrorg Boulednact; Antullius (der 
hier noch Öönpötng dvip ist, während ihn Poseid.-Diod. frg. 
Scorial. 27 geradezu zu einem „Freunde“, natürlich einem der 
politischen „friends“, des Gaius machte?°)) bittet den Gaius, 
pyeloaoyaı Tas natTpidong, 6 6: navy te Hopußndels xei 
Selaag WE Rataywpog, Evssiebev aut@ öpind. Gaius sucht sich 
dann vor dem Volke als unschuldig an der Ermordung des 
Antullius darzustellen, aber niemand kann seinen Anblick er- 
tragen, &g E vay7j navtwv Extperonevwv. Aber den Hain der 
Furina erwähnt App. c. 26 selbst freilich nur als &Xoog tı. 
Damit stimmen Ausdrücke wie Vell. II 6 furor von den bei- 
den Gracchi und Flor. ep. II 3 iam nimius et immpotens 
(Gaius sc.) altero tribunatu secunda plebe volitaret — überein 
(zufällig befand sich unter den Anhängern des Tiberius auch 
einer, der tatsächlich zu dem culleus parricidalis verurteilt 
wurde, Plut. Tib. 20). x 

Die Optimatentradition hat darauf hingearbeitet, den 
G. Gracchus (wie seinen Bruder Tiberius) nicht nur als einen 
Frevier gegen die Gesetze und einen Feind des Vaterlandes 
darzustellen : er wäre auch dem Himmel verhaßt, von seiner 
eigenen Mutter verabscheut. Sowohl Tiberius wie Gaius haben 
die vom Himmel gesandten Wahrzeichen vernachlässigt (Jul. 
Obs. fürs J. 124, Val. Max. I 4, 2, Plut. Tib. 17 u. a.) und 
die Ungunst der Götter sprach sich auch darin aus, daß Wölfe 


®) Aber die Stellung der „friends,‘‘“ der politischen Parteigenossen, 
kann immer von verleumderischer, gegnerischer Seite moralisch ge- 
deutet werden, was wir noch in der Tradition über die Gracchen 
öfters konstatieren können. Ueber Carbo als „Freund‘ des Gracchus 
vgl. Kornemann 18; bei Val. Max. V1II4,3 wird Septimuleius zu 
C. Gracchi familiaris; auch betreffs Fulvius wird die „Freundschaft“ 
moralisch ausgebeutet, und die Gegenüberstellung Gaius-Fulvius läuft 
dadurch in eine schöne rhetorische Antithese aus (Plut. cap. 10). 
Endlich haben die Optimaten sogar Antullius zu einem Freunde des 
Gaius gemacht (Poseid.-Diod.)! 


Te uf FR - CE A 


Miscellen. 185 


die Grenzsteine des geplanten Neu-Carthago zerstört hätten 
(Plot. Gai. Gr. 11, App. b. c. I 24, 105f.). 

Aber daß wirklich die Strafe der Götter den Tib. Grac- 
chus in der Gestalt des Oberpontifex Scipio Nasica ereilt hätte, 
wie Kornemann a. 0. 5 unter allgemeiner Zustimmung (selbst 
bei Ed. Meyer, Kl. Schriften 412) gemeint hat, das ist un- 
glaublich. Kornemann meint nämlich, daß, wenn Scipio Na- 
sica bei Plut. (Tib. 19) und App. (I 16) die Toga über den 
Kopf zieht, während seine Begleiter sie über den Arm schlagen, 
Nasica damit eine improvisierte Priestertracht, als pontifex 
maximus, anlege — und er schließt weiter, Nasica wäre dar- 
nach ganz sicher Oberpontifex schon vor der Katastrophe des 
Tiberius gewesen. Aber es scheint ein geradezu burlesker 
Gedanke zu sein, daß der wütende Optimat, der „den Gesetzen 
des Vaterlandes* zu ihrem Rechte helfen will, in diesem 
Augenblicke der kontra-revolutionären Stimmung die Rolle 


4 eines gewöhnlichen Opferpriesters spielen wolle — denn den 


OÖberpontifex konnte man so wie so nicht an dieser 
sonderbaren Vermummung erkennen — und außerdem hätte 
die glänzende Pointe nit ihrem wahrhaft tragischen Pathos 
ın der Literatur keine Spur zurückgelassen. Selbst Cicero, 
der den grandiosen Ausdruck bietet, Brut. 103 Tib. Gracchus 
\ ıbsa re publica est interfectus — schweigt über diesen 
unkt. 

Uebrigens hat ja Scipio Nasica nicht selbst den tod- 


_ bringenden Schlag geführt (diese Uebertreibung finden wir 


bezeichnenderweise nur in den beiden extremen Quellengruppen, 
Poseid.-Diod. und Rh. ad Her., lobend und tadelnd hervor- 


gehoben — den Anlaß dazu hatte natürlich Nasica selbst ge- 


geben, als er vor dem Volke unerschrocken die volle Verant- 
wortung der Tat auf sich nahm). Aus dem Opferpriester 
wird folglich nichts (regroüpepa: ist auch kein geeigneter Aus- 
druck von einem solchen feierlichen Gestus®)). Endlich hängt 
die Auffassung dieses Gestus mit der Frage zusammen, ob ent- 
weder Nasica an der Spitze der Senatoren von unten, vom 
Fidestempel, oder von der Seite, vom Jupitertempel, heran- 
kommt. Bezeichnenderweise haben eben die Quellen den Zug 
von dem über den Kopf gezogenen Gewandzipfel bewahrt, die 
den Zug der Senatoren von unten nach oben vor sich gehen 
lassen, nämlich Plut. Tib. 19 &v&ßarvov Ent ev Tißegrov, 
und App. I 16 &; td Kanıtwiıcv Avdeoav... dKveAHövıa 


‚') Auch Appians Ausdıuck von Nasica üg xaı’ AElworv Avdpl dpiorw 
ürgiert Kornemann zu sehr. Nasica ist ja schon als Optimat, zumal 
als Leiter der Senatoren, äpıotog &vi,p, und dasselbe besagt auch Plut- 
arche Ausdruck ngtg 76 delopa Tüv Av&p@v. 


Philologus LXXVIJII (N. F. XXXIIJ), 119. 


186 Miscellen. 


(sc. Seipio Nasica) d& &s rd lepdv xal rois Tpxxxeloıs Err:öpx- 
növra elkav. Aber selbst Appian, der gewiß auch hier die 
geschichtliche Wahrheit wiedergibt, und der drei verschiedene 
Erklärungen des Gestus vorbringt (nur die richtige nicht, ob- 
gleich Nr. 2 daran erinnert: eite rnoA&pau Ti aUuBolov Tois 
opbarv Ws R6pudx roroünevog) — selbst er denkt an keinen 
Opferpriester. Im Gegenteil: elte Yeod; Eyxa@duntönevos W@v 
enelde Ööpagerv!. Die Frage tiber die Zeit des Oberpontifikats 
Nasicas hängt überhaupt damit nicht zusammen (vorsichtig 
äußert sich mit Recht Münzer, Realenc. IV 1503). 

Ein paar Worte erfordert noch die für C. Gracchus ver- 
hängnisvolle Antullius-Episode, wo wir noch das allmähliche 
Wachstum der Legende wahrnehmen können. Der Konsul 
opfert morgens auf dem Capitol, und sein Diener trägt auf 
. den Opferspießen die Eingeweide des Opfertieres nach einem 
anderen Orte hin. Man denkt an die Consultatio oder an. die 
Bereitung der exta oder auch an einen anderen entfernteren 
Altar (ein interessantes Detail, es wären dann vielleicht mehrere 
Gottheiten an demselben Opfer beteiligt gewesen sein, mehr 
weiß ich nicht zu sagen). Der Diener beleidigt mit seiner 
schroffen Anrede die Umherstehenden: cedite bonis, mali cives, 
es kommt zu einem Auflauf, und der Diener wird erstochen. 
So erzählt mit ausführlichem Detail Plutarch cap. 13, der im 
großen ganzen hier glaubwürdigste unserer Autoren. Die anti- 
demokratische Tradition hat sofort hervorgehoben, Antullius 
wäre Önpörne Zvnp, von den Demokraten selbst ermordet. Bei 
Diod.-Pos. (fr. Scor. 27) ist ersogar ein Bekannter von Gaius, An- 
tullius bittet auf seinen Knien Gaius,. das Vaterland nicht zu 
vergewaltigen, aber Gaius befielilt seinem Gefolge den An- 
tullius niederzumachen. Nach Plut. a.a. O. wurde Antullius 
durch peyada Ypapelx gestochen, „welche eben zu diesem 
Zwecke fabriziert waren“. Man möchte vermuten, daß diese 
stili (trotz Cic. phil. II 34 und Hor. sat. II 1, 39) eigentlich 
die verua wären, an welchen Antullius (natürlich mit seinen 
beiden Händen — folglich wäre der beleidigende Gestus mit 
dem Arme, den Plut. erwähnt, unmöglich und der demokrati- 
schen Tradition zuzuschreiben) die Eingeweide trug. Aber 
es scheint wirklich, wenn man sich der Todesweise des Romulus 
erinnert (Dion. Hal. ant. rom. II 52, 3 ots Bounöpors öBeroi; 
TXLöEVos AnadvnTXe), ein Versuch von Seiten der Optimaten 
vorzuliegen, den unglücklichen Antullius, den vom wütenden 
„Demos* Ermordeten, in eine höhere legendarische Sphäre 
hinaufzurücken. Dazu hat schon der Konsul Opimius in 
seiner tpaywöiz den Anstoß gegeben. Die Parteigänger des 
Gaius können nicht (trotz App. I 24) schon an diesem ersten 


Miscellen. 187 


Tage stili unter ihren Togae verborgen getragen und durch 
die Ermordung des Consuldieners eine Verhinderung der Co- 
mitien geplant haben. Erst am folgenden Tage, nach dem 
decretum ultimum, und nachdem die Senatoren und Ritter 
sich gewappnet hatten, ö p&v DovABLos dvumapesxeudiero xa} 
ouvyev &xAov (Plut. c. 14). Und selbst am drittnächsten 
Tage hat Gaius nur ein Stilett im Gürtel getragen, pıxpdv 
Eyxeıplöcov (Plut. c. 15). Gaius hat sich im ganzen jetzt pas- 
siv verhalten (daraus, daß die Mutter in ihrer Angst dem 
Sohne als Schnitter bekleidete Bewaffnete zur Hilfe schickt, 
darf man nicht zu viel schließen, was mir v. Stern zu tun 
scheint, Herm. LVI 297 — ebd. S. 273f. hat v. Stern selbst 
die Haltung der Mutter feinsinnig erklärt)®). 

Die tragischen Situationen, die gewaltsamen Peripetien, 
das „revolutionäre (und kontra-revolutionäre) Fieber“ der 
Gracchenzeit haben schon in den Tagen der Ereignisse selbst 
zu Deklamationen tragischen Stiles eingeladen, wie sie auch 
die schwankende Auffassung der Augenzeugen prägten (vgl. 
z. B. die verschiedene Auffassung der Gesten des Tiberius, 
des Nasica, des Antulliu). Einen Niederschlag derselben 
Parteileidenschaften haben wir oben in der Erklärung des 
Tempels der Fyrina als „Furientempel“ nachgewiesen. Andrer- 
seits bietet Plut. Gaius 9 den Ausdruck „Komödie“, wenn er 
das Auftreten des Tribunen Livius Drusus charakterisieren 
wil: Örepßaltosdar rov T'diov Ydovf xal xapırı twv TOAAMV, 
üclnep Ev xWpwöLıa, onedöwv xal dtapıliwmpevos. Die 
Tradition hat folglich anch das entgegengesetzte literarische 
Genus nicht außer acht gelassen. Die tragischen Momente der 
Geschichte haben bewußt (anläßlich Plut. Gaius cap. 15 haben 
schon andere auf Hektors Abschied von Andromache hin- 
gewiesen) oder unbewußt auch vielfach den Stil der Autoren 
und Deklamatoren geprägt. 


Kristiania. S. Eitrem. 


®) Piut. cap. XIII wird man wahrscheinlich lesen müssen: ä&ps}- 
Lovrsg töv Tiälov, wg Avaltlav öpyıoyslc napxoyav kvapsdsin (st. öpyiic): 
„damit er im Zorne selbst die Gegner veranlasse, ihn zu töten“; vgl. 
den absoluten Gebrauch von alti« weiter unten: Tdios AyYsto xal 
xaxüc Eisys Tobg nepl adrdv wg altlav dsonsvors naraı Xa9” Eaurav Toig 
eydpcte dadwxdrag, und cap. XIV ’Avtöidıo; ... nv 85 nisiarnv aitlav 
sic TO nadelv ATD TTAPACXWV. 


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u” % 


PHILOLOGUS 
ı ZEITSCHRIFT FÜR DAS 


KLASSISCHE ALTERTUM 
UND SEIN NACHLEBEN 


HERAUSGEGEBEN | 
VON 


ALBERT REHM 


IN MÜNCHEN 


Band LXXVII, Heft 3/4. 
(N. F. Bd. XXXIH, Heft 3/4). 


LEIPZIG MCMANII 
DIETERICH'’SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG 


RABENSTEINPLATIZ a. 


3.4. Heft. 


Seite 
VI. Die Samia des Menandros. Von Ersst Wü . . . . . ... 189 
VI. Zur Physik des Empedokles. Von Gustav Kafka . . . . 202 


VII. Zur Geschichte der römischen Satire. Von A. Muller Jan. . 230 
IX. Der geometrische Stil in der Ilias. Von #riedrich Stählin . 280 
X. Textkritisches zu der aristotelischen Topik und den a. 


stischen Widerlegungen. Von Maz Wallies.. . . . -. 301 
Xl. De Charitonis codice Thebano. Von Zr. Zimmermann . ..830 
XII. Lactantius und Plata. Von 4. Kurfess : : > 22 .2..381 
Miscellen. 
4. Sophocles NB fr. 787. Von #. Rupprecht . . . . .:....393 
9. Antepeoc. Von A. Rupprecht . . . 395 
6. Zu öpyh zpoorints: cum inf. bei Thuc. II 1, 7. Yon. E. Kieckers 396 
7. Nochmals zur Satzapposition. Von Z. Mieeckers . . - . . . 397 
8. B6$pog. Von Friedrich Biladel . . . . 2.401 
9. Aus der Werkstatt des Athenaios. Von Kart Mengis. 2 ..408 
10. Zur Aetna V.68. Von Zrits Walter -. . - . : 2 22.20.4413 
1l. Zu Seneca ad Polyb. de consolatione 11,1. Von Fritz Walter 414 
12. Zu Senecas Dialogen. Von A. Busche . . . . 2. .2.....414 
13. Zu Valerius Maximus. Von Joseph Schnets . . . . . 421 
14. Noch einmal die Duenos-Inschrift. Von August Zinmermunn.. 423 
15. Polemarchen in Pharsalos. Von Heinrich Swoboda . . . . 424 
Bei der Redaktion eingerangene Druckschriften . . . .......428 


Ein Band umfasst 4 Hefte. 


Ausgegeben Ende Februar 1923. 


Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die Mannskripte an Prof. 
Rehm, Montsalvatstr. 12, München 23, die Korrekturen direkt an die 
Laupp’sche Buchdruckerei (H. Lanpp jr), Tübingen, Herrenbergerstraße, 
zu schicken und am Schlusse der Manuskripte ihre Adresse stets genau 
anzugehen, 


Die ständig verinderlichen Iersteliungskosten westatten bis auf 
weiteres die Berechnung der Zeitschrift Philologus nor noch für die 
einzelnen Hefte. 


v1. 
Die Samia des Menandros. 


Es ist bisher nicht völlig gelungen die Handlung der 
Samia aus unsern Bruchstücken wiederherzustellen. Neben 
den sicheren Fortschritten, die die wiederholten Versuche er- 
gaben, stehen immer noch schwere Fragen ungelöst, wenn auch 
schärfer formuliert. 

A. Koerte (Menandrea? 1912, S. XXX ff.) dachte sich die 
Handlung etwa so: 

Demeas und Nikeratos wohnen in Athen nebeneinander; 
Demeas ein reicher Mann, Nikeratos ein armer Teufel. De- 
meas hat einen Adoptivsolin Moschion und eine Konkubine 
Chrysis bei sich, Nikeratos seine Frau und eine Toclıter Plangon. 
Moschion verliebt sich in Plangon, gesteht aber — warum, 
wissen wir nicht — dem Vater die Liebe nicht. Das Verhält- 
nis hat jedoch Folgen; Plangon gebiert einen Knaben, den 
Moschion heimlich in das Haus des Demeas bringt. Chrysis 
gibt das Kind für ihr eigenes aus und erreicht es bei Demeas 
mit großer Mühe, daß sie es bei sich aufziehen darf. Demeas und 
Nikeratos haben, ohne von all dem zu wissen, die Verheiratung 
des M«schion und der Plangon für den Tag festgesetzt, an dem 
das ‘Stück spielt; wider Erwarten des Vaters ist Moschion mit 
der Heirat vollkommen einverstanden. Die Hochzeit findet 
satt. Hier setzt unser erstes Fragment ein. Demeas be- 

_Jauscht von seiner Vorratskammer aus das Geschwätz der alten 

” Amme, in dem zum erstenmal das Kind als Moschions Kind 

bezeichnet wird. Dann sieht er selbst, wie Chrysis das Kind 

stillt (K. meint, das beruhe auf einem Irrtum des argwöhni- 

schen Demeas; er lehnt ausdrücklich die Vermutung ab, auch 
Philologus LXKVIII (N. F. XXXIT), 3/1. 13 


190 E. Wüst, 


Chrysis habe ein Kind geboren, das aber gestorben sei, Nun 
erwacht bei Demeas der Verdacht, daß das Kind von Moschion 
und Chrysis stamme; er will darüber den Parmenon ver- 
hören, der aber nach einigen Aussagen davonläuft. Damit 
‚wird es dem Demeas gewiß, daß das Kind von Moschion und 
Chrysis stammt, Chrysis aber den Moschion verführt hat. 
Demeas jagt die Chrysis aus dem Haus; Nikeratos nimmt sie 
mit dem Kind auf. In der Lücke erfährt Demeas, daß sein 
Verdacht gegen Moschion und Chrysis falsch ist, kommt ferner 
Nikeratos zu der Vermutung, daß seine Tochter geboren habe, 
und fürchtet nun (Anfang des zweiten Fragments), Moschion 
möchte sie jetzt im Stich lassen. Er will sich Gewißheit ver- 
schaffen und sucht deshalb in den Besitz des Kindes zu 
kommen. Demeas aber verteidigt die — jetzt vor dem wiliten- 
den Nikeratos flüchtende — Chrysis und schickt sie wieder 
in sein Haus. Nikeratos wird allmählich einer vernünftigen 
Zurede zugänglich; Demeas macht ihm weis, das Kind der 
Plangon stamme aus einer wunderbaren Verbindung mit Zeus; 
Moschion werde aber die Plangon gewiß heiraten. Damit 
treten beide in das Haus des Demeas, wo schon das Hochzeits- 
mahl bereit steht. Nach dem Zwischenakt kommt Moschion, 
empört darüber, daß der Vater einen so üblen Verdacht gegen 
ıhn nähren konnte; er will sich an ıhm damit rächen, daß er 
die Absicht vortäuscht sich nach Asien für den Krieg an- 
werben zu lassen. Zu diesem Zweck schickt er den Parmenon 
ins Haus um ihm verschiedene Ausrüstungsstücke zu holen. 
Parmenon, der drinnen die Zurüstungen zum Hochzeitsmahl 
gesehen hat, versucht dem Moschion seine Absicht auszureden, 
der will aber nichts hören. Damit bricht unser Stück ab; 
ein versöhnender Schluß folgte jedenfalls bald nach unsern 
letzten Versen. 

Sudhaus (Menanderstudien. Bonn 1914 S. 34 ff.) läßt 
hievon nicht gelten, daß Chrysis nicht geboren babe; sie stilie 
(V. 50 und 103) tatsächlich das Kind. Nach seiner Ansicht_ 
haben Chrysis und Plangon geboren, Chrysis mußte ihr Kind 
„aus dem Haus geben“. Daß Demeas von der ganzen Sache 
nichts weiß, könne man sich vielleicht damit erklären, daß er 
längere Zeit verreist war. 


u 


Die Samia des Menandros. 391 


Robert (Gött. gel. Anzeigen 1915, 272 ff.) ist auch der 
Ansicht, daß Chrysis geboren hat; ihr Kind sei entweder tot 
zur Welt gekommen oder bald nach der Geburt gestorben. 
Da& Demeas verreist war, müsse nicht gerade angenommen 
werden. R. verzichtet darauf, die Lücke zwischen unsern 
beiden Bruchstücken auszufüllen. Er betont eine weitere 
Schwierigkeit: wenn Demeas und Nikeratos mit der Hochzeit 
des Moschbion und der Plangon einverstanden waren, warum 
dann der geheime Liebesverkehr? warum sagen sie ihren 
Vätern nicht die Wahrheit? 

Van Leeuwen (3. Aufl. 1919) beantwortet diese Frage 
so: Moschion konnte nicht daran denken, daß sein (Pflege-) 
Vater ihn die arme Plangon heiraten lasse. Das Einver- 
ständnis des Demeas läßt er auf seltsame Weise gewinnen: 
Demeas und Nikeratos waren zusammen auf einer Seereise 
als vobxınpos und Steuermann. Nikeratos rettet dabei Schiff 
und Leben des Demeas aus schwerer Seenot; zum Dank dafür 
will Demeas seinen Pflegesohn mit der Tochter des armen 
Nachbars verheiraten. — Geboren haben auch nach van L. 
Chrysis und Plangon, jene aber ein totes Kind. In der Lücke 
zwischen den beiden Fragmenten erfährt Demeas von Moschion 
die Wahrheit und teilt sie auch dem Nikeratos mit. Das 
erste Bruchstück sei am Anfang des 2. Aktes gestanden, das 
zweite am Schluß des dritten und Anfang des 4. Aktes. 

Den größten Fortschritt brachte die Abhandlung von 
Wilamowitz (Sitz.-Ber. Berlin 1916, S. 66 ff.). 

Er denkt sich den Verlauf der Handlung so: Unser Frag- 
ment gehört dem 4. und 5. Akt an. Vorher stand wohl: 
die Durchführung einer List, durch die Demeas bestimmt 
wurde, die Hochzeit Moschion-Plangon zuzugeben, ja sogar zu 
fördern. Die List bestand vielleicht darin, daß Moschion schon 
hier damit drohte sich als Söldner anwerben zu lassen. Der 
so umgestimmte Demeas wirbt dann für seinen Sohn bei 
Nikeratos. Chrysis hatte ein Kind geboren; das wird kaum 


% gestorben, wahrscheinlicher auf Befehl des Demeas ausgesetzt 


worden sein. Moschion verabredet mit Chrysis, daß diese vor- 


| läufig das Kind der Plangon ävarpeitaı. Da die Aussetzung 


des einen Kindes erst kurz vorher erfolgt sein wird, ist Chrysis 
13* 


192 E. Wüst, 


tatsächlich in der Lage dem Kind die Brust zu geben. Der 
Leiter der Intrigue war wohl Parmenon, der alles weiß; 
„Moschion war dazu nicht hell genug“. Damit sind wir am 
Anfang des Stückes, beim Monolog des Demens. Aus dem 
folgenden Verhör des Parmenon gewinnt Demeas die Ueber- 
zeugung, daß das vorhandene Kind von Moschion und Chrysis 
stanınıt, Chrysis aber den Moschion verführt hat. Sie wird 
deshalb aus dem Haus gejagt. Nikeratos — v. Wil. sammelt 
hier treffllich die Charakterzüge, die diesen zum &ypoxog im 
bühnentechnischen Sinn machen, — nimmt die Verstoßene auf. 
In der Lücke kam wohl der inzwischen (seit V. 173) abseits 
gestandene Koch wieder hervor und wollte in das Haus, das 
Demeas hinter sich verschlossen hatte. Auf sein Pochen er- 
scheint Demeas, läßt ihn ein, trifft dabei aber selbst mit 
Moschion zusammen. In einer erregten Szene zerstreut Moschion 
den Verdacht des Vaters und stürzt schließlich wohl mit der 
wiederholten Drohung ab: ich gelie nach Asien. Jetzt kam 
wohl Nikeratos heraus und sprach zugunsten der Chrysis; 
ihm gegenüber platzte dann Demeas mit der für Nikeratos 
unerfreulichen Ueberraschung heraus: das Kind ist ja von 
Plangon. Darauf gerät Nikeratos in die für den äyporxog so 
charakteristische sinnlose Wut, in der wir ihn beim Beginn 
des 2. Fragments selıen. Vor seiner Wut rettet Demeas die 
Chrysis nun in sein Haus und bindet dann dem Nachbarn 
den Bären von der göttlichen Herkunft des Kindes auf. Dann 
Moschions Monolog (über den v. Wil. sehr kurz weggeht); 
der Monolog des Parmenon; Moschions Entschluß in Kriegs- 
dienste zu gelien. Zu ihm kam nach Schluß unseres 2. Frag- 
ments nicht‘ der Vater, sondern Nikeratos heraus. Endlich 
Versöhnung; auch Chrysis wird wohl für. ihre ent- 
schädigt worden sein. 

Soweit die Handlung bei v. Wilamowitz. Nicht vergessen 
darf endlich sein Hinweis darauf werden, daß unsere Komödie 
nicht die Zap!x war; das einzige erhaltene Fragment der &., 

gepe töv ArBavwrov, ab Öenides Tö nüp Tpupi) 
führt uns, wie der Hetärenname Tpugr, zeigt, in Hetürenkreise; 
für eine solche Szene ist in unserer Komödie kein Platz. 
Auch ist nicht anzunehmen, daß wir von einem Stück, das in 


Die Samia des Menandros. 193 


eine Auswahlsammlung wie die in Kom-Ischkau gefundene 
kam, in der ganzen antiken Literatur nur einen Vers zitiert 
finden. 

Diesen Ausftihrungen gegenüber bedeutet die kleine Arbeit 
von A. Kolat (in den Wiener Studien 1917, 18—25), die ich 
nur der Vollständigkeit halber erwähne, mindestens keinen 
Fortschritt. Er bringt die alte Version wieder, daß Chrysis 
garnicht geboren habe; sie stille auchı das Kind nicht, das sei 
ein Irrtum des Demeas; und auf diesem Versehen berube die 
ganze komische Verwicklung des Stücks. 

Mit v. Wilamowitz stimme ich zunächst darin vollständig 
überein, daß die beiden Fragmente einem späteren Teil des 
Stücks angehören (gegen van Leeuwen); nach dem Schluß 
unseres zweiten Fragments kann nicht mehr recht viel erfolgen; 
hier hat wohl auch Körte? recht, wenn er sagt, der Schluß 
stehe nahe bevor. Wenn nuu — immer eine Zahl von 5 Akten 
vorausgesetzt — Moschions Monolog den 5. Akt beginnt, so 
können die vorausgehenden uns erhaltenen 201 Verse + die 
Lücke von 140 Versen, zusammen mindestens 340 Verse, kaunı 
alle im 4. Akt gestanden haben; es fällt also wohl Aktschluß 
auch in die Lücke. Damit kommt das erste große Fragment 
in den 3. Akt und es bleiben als durch Vermutungen aus- 
zufüllender Raum die ersten 2 Akte. Für diese dürften die von 
Wilamowitz geforderten Szenen wohl ausreichen: Demeas wird 
durch eine List für die Verbindung Moschions mit Plangon 
gewonnen; und: Demeas wirbt bei Nikeratos. Doch ist diese 
Frage von untergeordneter Bedeutung. 

Bevor ich zu den weiteren Punkten übergehe, möchte ich 
ein paar Stellen unseres Textes eingehender besprechen. Par- 
menon, der V. 109 ganz schlechten Gewissens davongelaufen 
ist (und damit den Verdacht des Demeas gegen ihn bestätigt 
hat), tritt V. 296 mit den Worten auf: 

vn ıöv Alu by peyiotcv Avöntöy Te Aal 
euxatappcvntov Epyov ein’ elpyaopevos' 
obörv Aöıniv Böeıca xal Toby Öeanöınv 
Epuyov. Ti 8’ Tv Tobtou nenorxiwg dELcH; 

200 x Ev Yap obTwol oapü; oxebunehx" 
5 rpög:nos Eitinaptev eis EAeudepav 


194 E. Wüst, 


xöpnv' Adnel Önnoudev oüvöEv Ilapıevwv. 
Exunoev abın‘ Iappevmv cüx aittog. 
Td nardapıov eloiAdev eis Tnv olxlav 
305 NV Tnertpav' Tveya Exelvoc, 00x Eyw. 
mv Evdov WuolöynXe ToüTd tig" Ti 87; 
ti Ileppnevwv Evradda neroinnev Xanbv; 
oböEv. Ti 00y Eyuyes ab; ng aßeAtepe 
aa: Gerlörate; yeloiov. Tmelinod por, 
sıo orte ga’ lva nadg näv!)- Sameper 8 oude yfü 
aöyws nateiv tadT' 7) drmalws, Eat: 5E 
TAT TDETOV 00x Aatelov. 


Spricht nun Parmenon hier die Wahrheit, im Monolog 
(denn Moschion steht a parte)? Zunächst ist das möglich, 
vielleicht sogar wahrscheinlich. Dann hätte also Parmenon 
tatsächlich ein reines Gewissen (307). Inı folgenden fragt er: 
qi 00V Eguye: ob; und gibt darauf die Antwort: dtuyeper 8’ 
obö& ypD 7). Diese Frage richtet er an sich selbst, ebenso 
gibt er sich selbst die Antwort. Soviel ist aber auf alle Fälle 
sicher, daß er die ganze Ueberlegung nur deswegen anstellt, 
weil er diese Frage von Demeas bei der nächsten Begegnung 
erwarten muß. Und für diesen legt er sich die Antwort 
zurecht: „Du hast mir mit oti£etv gedroht: davor läuft man 
auf alle Fälle davon, auch wenn man sich unschuldig weiß; 
denn ob man schuldig oder unschuldig gebrandmarkt wird, 
weh tuts jedenfalls.“ Wobei er natürlich auf sich nur das 
„unschuldig“ bezogen wissen will, das er sich (im Gedanken 
an seine Rechtfertigung vor Demeas) V. 301 ff. begründet. 
Wenn aber Parmenon wirklich unschuldig ist, warum nennt 
er dann sein Davonlaufen ein dvörtov xal EuXaTappEvnToV 
Epyov? Wozu ist dann überhaupt eine Ueberlegung notwendig, 
wie er dem Demeas Rede stehen wird, warum „wurmt“ den 
Parmenon die Lage, in die er sich durch seine „törichte und 
leicht zu mißdeutende“ Flucht gesetzt hat? Nein, Parmenon 
ist nicht unschuldig; seine Flucht (109) war von seinem 
schlechten Gewissen diktiert und jetzt überlegt er sich: was 
kann Demeas wissen? „Er weiß von der Verführung der 


1) So Wil; atlösı g', Zvopa 9,03: Sudh. — Alles übrige nach Sudh.?. 


Die Samia des Menandros. 195 


Plangon durch Moschion; weiß, daß Plangon geboren und 
Moschion das Kind ins Haus gebracht hat; das hat (ihm) 
jemand vom Haus eingestanden (verraten). Mehr weiß er nicht 
und demgegenüber kann ich meine völlige Unschuld beweisen. 
Bleibt nur mein dummes Davonlaufen! Dafür gebe ich eben 
als Grund an, daß ich, obwohl unschuldig, das oriLe:v fürchten 
mußte.* Wenn diese Deutung richtig ist, kann man die 
V.301 ff. nicht zur Grundlage für die Feststellung des wirk- 
lichen Sachverhalts nehmen; mit ihnen legt sich Parmenon 
seine Verteidigung zurecht angesichts der Situation, die einer- 
seits durch des Demeas — ihn (P.) überraschendes — Wissen 
(101 ff.), audererseits durch seine unüberlegte Flucht geschaffen 
wurde. Komisch ist in diesem Augenblick, daß Demeas in- 
zwischen — wie wir sehen werden — schon wieder viel mehr 
erfahren hat, als Parmenon hier noch ahnt, 

Immerhin: tüv &vöov wpoAöynxe Toütö tıc sagt, daß De- 
meas dem Parmenon sich als unterrichtet über eine Sache ge- 
zeigt hat, über die Parmenon jenen für noch nicht unterrichtet 
gehalten hatte. Damit kehren wir zu unserer Anfangsszene 
zurück, zu dem Monolog des Demeas, an dessen Ende Demeas 
den Schluß zieht: Daß das Kind Moschions Kind ist, sagte die 
alte Amme;. daß Chrysis es stillt, sah ich selbst; also ist es 
das Kind der Chrysis und des Moschion (52 ff.). Eine von den 
beiden Prämissen enthält das, was nach Parmenons Ansicht 
dem Demeas tüv Evöov tıg wpoAcynxe, was also für Demeas 
etwas Neues, Ueberraschendes ist; aber worüber ist er über- 
rascht? Dartiber wohl nicht, daß Chrysis stillt oder gar daß 
ein Kind da ist; das Kind wird als td rar&iov V. 11 und 24 
von ihm bezeichnet, also ist dessen Vorhandensein auch ihnı 
selbstverständlich. Damit verbündet sich aber ohne weiteres 
die andere Selbstverständlichkeit, daß das von der Chrysis ge- 
stillte Kind das Kind der Chrysis ist. Also ist das den De- 
meas Ueberraschende die Tatsache, daß das Kind das des 
Moschion ist. 

Nun wenden wir uns wieder den Ausführungen von Wila- 
mowitz zu. Nicht beistimmen kann ich seiner Annahme, daß 
das Kind der Chrysis ausgesetzt worden sei. Die Aussetzung 
von Kindern spielt in der neuen Komödie gewiß eine sehr 


196 E. Wüst, 


große Rolle und ist als bequemes Mittel zur Schürzung des | 
Knotens und zur Gewinnung eines wirkungsvollen Abschlusses 
durch dävayvwptspös auf der Bühne zweifellos konventionell 
und viel häufiger geworden als es in Wirklichkeit war (siehe 
‘“ hiezu jetzt: La Rue van Hook, The exposure of infants 
at Athens. Transact. and proceed. ofthe Am. philol. assoc. 1920, 

134—145). Bei Menandros insbesondere werden Kinder doch 
nur ausgesetzt —- nicht um für immer zu verschwinden, son- 
dern — um später durch irgendwelche Kennzeichen wieder- 
entdeckt zu werden. Für den dvayvwptopnös eines zweiten 
Kindes ist aber in unserm Stück kein Platz mehr. Also soll 
das ausgesetzte Kind der Chrysis sterben? Ich glaube mich 
nicht moderner Sentimentalität schuldig zu machen, wenn ich 
es für unmöglich halte, daß Menandros die Stimmung beim 

Beginn des Stückes so schwer belastete, wie das durch den 

Schatten eines dem Tod preisgegebenen Kindes einer Freien. 
geschehen mußte. \ 

Ist es ferner annehmbar, daß Chrysis, die eben ihr Kind 
der Möglichkeit des Umkommens preisgegeben hat, sich ohne 
weiteres dazu versteht, das Kind des Moschion anzunehmen 
und es zu stillen? Kaum; das scheint mir gegen das Ethos 
selbst der naAAaxr, Chrysis zu verstoßen, die doch immerhin 
eine freigeborne Samierin ist. 

Weiter: niemand kann doch wohl bezweifeln, daß der 
dem Menandros nachgerühmte Realismus bedenklich in Frage 
gezogen wird, wenn er die Haupthandlung auf den Zufall ge- 
stellt haben soll, daß die zwei Geburten bei Chrysis und Plangon 
zusammenfallen. Kaum besser wird die Lage durch die An- 
nahme (Roberts und van Leeuwens), die Laune des Zufalls habe 
das Kind der Chrysis totgeboren sein oder doch bald nach der Ge- 
burt sterben lassen. Ich komme so zu der festen Ueberzeugung, 
daß es sich nicht um zwei Geburten handelt, sondern um eine. 

Als die Mutter des einen Kindes kann aber dann .. 
nicht in Frage kommen; denn Chrysis stillt das Kind; 
dem Verlegenheitsmittel, diese Beobachtung auf einem Tram 
"des Demeas beruhen zu lassen, kann ich mich nicht verstehen. 

Nun erhebt sich freilich die Frage: Wie kommt es dann, 
daß das Kind bald als das der Chrysis, bald als das der 


| Die Samia des Menandros. 197 


Plangon gelten kann; wodurch ist diese Unklarheit entstanden, 
wie ist ihr Fortbestehen möglich? Auf diese Frage glaube 
ich eine Antwort geben zu können, die gleichzeitig das andere 
Problem löst: Wie kommt es, daß Demeas, der jedenfalls 
früher der Hochzeit des Moschion mit der armen Plangon ab- 
ı geneigt war, schließlich damit einverstanden ist? Ja, ich 
| glaube sogar durch die Annahme, mit der ich all diese Fragen 
beantworte, dem ersten Akt zu einer vollständig geschlossenen 
Handlung verhelfen zu können. Der Vereinfachung . halber 
| sei im folgenden uuter Zuhilfenahme meines Vorschlags der 
‘ Versuch gemacht die Handlung im ganzen wiederherzustellen. 
| J. Akt. Chrysis hat einen Knaben geboren. Das teilt 
als zporoyisouca die alte, geschwätzige Amme des Moschion, 
' die wir V. 22 wiederfinden, den Zuschauern mit. Sie klagt, 
i daß das Neugeborene ausgesetzt werden soll (das hat Demeas 
ı verlangt; s. V. 64. 139 f. 159.). Sie verschwindet, wie sie den 
I Moschion (vielleicht schon gleich mit Parmenon; jedenfalls 
| kommt der bald hernach) nahen sieht. Moschion klagt voller 
I Weltschmeız, er fürchtet, die von ihm geliebte Plangon nicht 
' heiraten zu dürfen. Zu ihnen tritt Chrysis und belauscht eine 
> Zeitlang a parte Moschions Klagen. Rasch reift in ihr ein 
' Plan, in den sie, hervortretend, auch gleich die beiden ein- 
'  weiht: Parmenon soll scheinbar dem Gebot des Demeas ent- 
) sprechen und den Knaben aussetzen. Inzwischen will Chrysis 
‚ dem alten Demeas Moschions Liebe zu Plangon offenbaren und 
, seinen Widerstand durch das Mürchen brechen, daß Plangon 
‘ ein Kind von Moschion geboren habe; dann werde Demeas 
nit der Ehe der beiden einverstanden sein müssen. Moschion 
solle sodann — auch hiezu hufft sie von Demeas die Ge- 
nehmigung zu erzwingen — das von Parmenon angeblich 
ausgesetzte Kind der Chrysis als sein und der Plangon Kind 
ins Haus bringen; aber von diesen ganzen Plan dürfe außer 
ihnen dreien bestimmt niemand erfahren. 

U. Akt. Chrysis allein; wir erfahren, daß Parmenon das 
Kind bereits fortgetragen hat; es gilt jetzt also die zweite 
Hälfte der Intrigue, die Ueberlistung des Demeas, ins Werk 
zu selzen. Demeas kommt; Chrysis lenkt sofort das Gespräch 
» auf die Angelegenheit Moschion—Plangon. Demeas ist voller 


af 


198 E. Wüst, 


Entrüstung über das Liebesverhältnis und will nichts davon 
wissen, bis ihm Chrysis sagt, daß Plangon bereits ein Kind 
bekonmen hat. Das bricht seinen Widerstand; er will nun 
nichts mehr gegen die Hochzeit einwenden, ja sogar sie 
schleunigst betreiben. Bevor Chrysis noch dazu konmt, ihm 
zu sagen, daß das Kind der Plangon ins Haus gebracht werden 
wird, eilt Demeas fort um bei Nikeratos die Sache ins Reine 
zu bringen. Beide ab. 

Moschion kommt mit „seinem* Kind; vor dem Haus 
stößt er auf die alte Amme, die mit einer andern Dienerin 
(der gleichen, die V. 36 auftritt) vor dem Haus tätig ist. ‚Er 
übergibt ihr das Kind, erklärt ihr auf ihre zudringlichen 
Fragen, daß das sein und der Plangon Kind sei, legt ihnen 
aber strengstes Stillschweigen darüber auf (bald nachher weiß 
es das ganze Haus!). Vielleicht auch noch: Werbung des 
Demeas bei Nikeratos. 

III. Akt. — Monolog des Demeas; ein paar Verse, dann 
treten wir aus dem rein Hypothetischen auf den festen Boden 
unseres Fragments. Demens weiß noch nicht, ob sein Aus- 
setzungsbefehl vollzogen ist; er ist also überrascht darüber (3.0.), 
daß die Alte das im Haus befindliche Kind als das Moschions 
bezeichnet, denn td raıötov, das im Haus befindliche Kind, 
galt ihm bisher selbstverständlich als sein und der Chrysis 
Kind. Ueber den Schluß, den Demeas jetzt zieht, ist oben 
(S. 195) schon gesprochen worden. Die folgende Szene ist von 
Wilamowitz trefflich erklärt, so daß dem nichts hinzuzufügen 
ist: das Verhör des Parmenon, seine ausweichenden Antworten. 
Parmenon glaubt sich am besten so zu stellen, als wisse er 
nichts davon, daß das eine Kind ausgesetzt, das „andere® 
hereingebracht wurde. Er ist also verblüfft, wie Demeas 
herausfährt (101): „Ich weiß alles: daß das Kind von Moschion 
ist, daß du über alles unterrichtet bist* (den V. 103 herzu- 
stellen besteht zunächst keine Möglichkeit; der Sinn war viel- 
leicht: das Kind, das die eine als von jenem (&x.eivou) (stammend) 
bezeichnet, das nährt sie jetzt). Parmenon merkt, daß Demeas 
doch mehr weiß, als er ihm bisher zutraute und als er nach 
der Verabredung wissen sollte, und entzieht sich weiteren 
Fragen durch die Flucht. 


Die Samia des Menandros. 199 


Demeas redet sich immer fester in die Ueberzeugung 
hinein, daß die Worte der Amme („Moschions Kind“) und 
seine eigene Beobachtung (Chrysis stillte es) keinen anderen 
Schluß zulassen als den: das Kind ist Moschions und Chrysis’ 
Kind. Dann soll aber Chrysis als die allein Schuldige aus 
dem Haus gejagt werden. Des Moschion Verhalten (119) 
deutet er in seiner Verranntheit jetzt gründlich falsch, wenn 


er sagt: 
oux Epüv yap, w; Eyw 
Tor’ wopıv, Eoreudev, KIA IV Epiiv 
“EXEvnv Quyelv BouAönevog Evöodev Tote. 
Das Gegenteil ist richtig: aus Liebe (zu Plangon) hatte es 
Moschion mit der Ehe so eilig. 

Inzwischen hat (während des Monologs des Kochs) Demeas 
drinnen gepoltert und bringt schließlich Chrysis mit dem Kind 
und der Amme heraus. Als Grund für die Verstoßung der 
Chrysis nennt er ihr das nicht eindeutige: dt toür! avellou = 
weil du dieses Kind gegen meinen Willen annahmst. Er läßt 
dabei absichtich unklar, ob er „toöto“, dieses Kind, für sein 
eigenes oder das des Moschion hält. 

Nikeratos komnit und sieht die weinende Chrysis mit der 
Amme und dem Kind stehen; er schickt sie in sein Haus. 

In der Lücke muß zweierlei gestanden haben: erstens 
erfährt Nikeratos davon, daß Plangon geboren hat; und zwar 
erfährt er das wohl nicht vom Koch, sondern von Demeas; 
denn darauf bezieht sich des Demeas reuevolles Wort (206): 
ent yap Ümovoeiv ToLXüta Tov apdv Eypfiv, ut: das hätte ich 
(als ich dem Nikeratos den Sachverhalt andeutete) bedenken 
sollen, wie eine solche Mitteilung auf den#Choleriker wirkt; 
zweitens mußte eine Szene zwischen Moschion und Demeas 
stattfinden, in der Moschion seinem Vater die Wahrheit be- 
züglich der Plangon gesteht, dabei aber vom Vater den anderen 
Verdacht angedeutet bekommt, daß das Kind im Haus von 
ihm und Chrysis stamme. Also vielleicht so: 

Nachdem Chrysis ins Haus des Nikeratos gegangen, ruft 
dieser den Demeas heraus in der Absicht bei ihm Fürsprache 
für Chrysis einzulegen. Demeas, ärgerlich, platzt dabei wohl 
mit etwa folgender Aeußerung heraus: Frage nur einmal die 


200 E. Wüst, 


Chrysis, von wem das Kind ist; da kannst du vielleicht auclı 
etwas über Plangon erfahren, was dich gar nicht freut. Nike- 
ratos erregt ab in sein Haus. (Aktschluß ?) 

IV. Akt. Demeas und Moschion. Moschion gesteht jetzt 
dem Vater, daß Plangon nicht geboren hat, daß das nur er- 
fanden wurde um das Einverständnis zur Heirat von jenem 
zu erlangen. „Das Kind im Haus ist das Kind von Chrysis — “ 
„Und Dir*! fällt Demeas mit hämischem Spott ein. Darüber 
ist Moschion so entrüstet, daß er ohne weitere Erklärung davon- 
stürzt. Für Demeas bringt aber dieses Verhalten des Moschion, 
von dessen anständigen Charakter er immer schon überzeugt 
war (V. 113 ff.) die Klarheit, daß sein Verdacht nicht richtig 
ist (V. 269 £.). | 

2. Bruchstück. Demeas ist allein zurückgeblieben. Zu 
ihm tritt Nikeratos, nachdenı er schon im Innern des Hauses 
eine Zeitlang getobt hat. Voll Uebermut über die eben ge- 
wonnene Klarheit glaubt Demeas auch seinem Nachbarn den 
Weg durch den Irrtum (daß Plangon geboren hat) zur Wahr- 
heit (daß das vorhandene Kind von Demeas und Chrysis 
stammt) nicht ersparen zu sollen und führt dies auch in drol- 
liger, stellenweise an die Fabulierlust der alten Parabase er- 
innernder Weise durch (243—270). 

V. Akt. Moschions Monolog. Dieser ist olıne meine Annahnıe 
gar nicht zu verstehen. Moschion sagt: 

Von der Schuld, die damals auf mir ruhte, mit Ach und 
Krach losgekommen, war ich das zufrieden und nahm es als 
eine recht glückliche Fügung für mich hin; wie ich nun aber 
klarer darüber nachdenke und zur Besinnung komme, bin ich 
ganz außer mir und aufs äußerste entrüstet über das, was der 
Vater mir für einen Fehltritt vorwirft. 

Welches ist die Schuld, von der sich Moschion befreit 
hat, wenn man mit den bisherigen Erklärern annimmt, Plan- 
gon habe ein Kind von ilım bekommen? Von dieser Schuld, 
daß er nämlich Plangon verführt habe, konnte ihn doch die 
Aussprache mit dem Vater nicht befreien. Nein. die Schuld, 
die auf ihm (in den Augen des Vaters und aller in die List 
Nichteingeweihten) lag, war, daß er Plangon verführt habe, 
und von der hat er sich dadurch befreit, daß er dem Vater 


Die Samia des Menandros. - 201 


erklärte: das war ja alles List, um dein Einverständnis zu 
bekommen. — Und das zweite, Schwerere, ist natürlich der 
Verdscht, daß er mit Chrysis ein Liebesverhältnis gepflogen 
habe. Auch was folgt, ist klar: 

Wenn nun mit dem Mädchen (Plangon) alles in Ordnung 
wäre, hätte er micb nicht (wörtlich) als einen Zugegen- 
seienden (Dableibenden) so schwer verdächtigt. Er meint: 
wenn zwischen mir und Plangon eine von den Vätern ver- 
abredete, die Gefühle der Kinder wenig berücksichtigende 
Ehe bestünde (schon bestünde)! So aber hält mich die Liebe 
hier fest. Ä 

In dem folgenden Monolog des Parmenon beantwortet sich 
diser die Frage: „Was kann Demeas von mir wissen 
und mir vorwerfen? Moschion — das hat ihm Chrysis ge- 
sagt — hat von der Plangon ein Kind. bekommen; dieser 
ganze Fall geht mich nichts an (daß Demeas darüber schon 
aufgeklärt ist, weiß er nicht). Die Verbringung des Kindes 
ins Haus des Demeas ist ebenfalls nicht mein Werk; von 
denen drinnen wpoAöyrme tıc, hat es jemand verraten (ent- 
gegen der Abmachung, die zwischen den dreien getroffen war); 
also geht mich das wieder nichts an.“ 

Alles andere bedarf keiner neuen Erklärung. Moschion 
beharrt auf seinem Entschluß; er will sich am Vater dadurch 
rächen, daß er sich stellt, als wolle er in den Krieg. 

Den Schluß bildete natürlich eine allgemeine Aufklärung. 
Hier muß auch die vermögensrechtliche Benachteiligung, die 
Moschion durch die Anerkennung des Sohnes der Chrysis seitens 
des Demeas erfährt, ausgeglichen worden sein. Wie, läßt sich 
kaum vermuten. Ausgeschlossen ist es nicht, daß Moschion 
und Chrysis sich als Geschwister, vielleicht sogar als Kinder 
wohlhabender samischer Bürgersleute, herausstellen (ähnlich 
schon van Leeuwen?). 

Als wesentlich möchte ich von dem hier Gesagten den 


“ Weg bezeichnen, auf dem die Schwierigkeit mit den zwei Ge- 


burten beseitigt werden kann; alles übrige ist Rankenwerk, 
beispielsweise ausgeführt um zu zeigen, wie sehr die neue 
Lösung mit dem vorhandenen Text harmoniert, und verträgt 
gern die eine oder andere Aenderung. 


902 G. Kafkas 


Zum Schluß noch ein Wort über den Titel unseres Stückes 
Primär möchte ich doch gerade auf Grund des Vorstehendeı 
für die „Samie“ eintreten. Auffällig ist freilich, daß wir vor 
dem Stück nur ein Zitat haben; aber auch von der Perikei- 
romene haben wir deren nur 3, vom Phasma 2, von den 
Kwverolönevar, die doch auch, noch im 1. oder 2. Jahrh. n.Chr. 
gelesen wurden, auch nur 2. Schwerer wiegt der Einwand, 
daß Tpupn als Hetärenname in einem Stück des geschilderten 
Inhalts keinen rechten Platz hat; aber hier steht doch die 
Ueberlieferung, die auch tpuy&v bietet und tpupf (Mein. IV. 
S. 200), einer vollen Auswertung dieses Einwandes entgegen. 
Auf der anderen Seite ist die zweimal (V. 50. 139) ausdrücklich. 
als Zauiax bezeichnete Chrysis durch den hier unternommenen 
Rekonstruktionsversuch als Hauptträgerin der Intrigue so sehr 
in den Vordergrund gerückt, daß sich die Benennung des 
Stückes nach ihr sehr wohl rechtfertigt. 

Bei der Prüfuug weiterer Möglichkeiten hat mich längere 
Zeit die Frage beschäftigt, ob unser Drama als YroßoX:patos 
7) "Aypoıxos angesprochen werden könnte. Vieles schien mir 
dafür zu sprechen, noch mehr dagegen ; deshalb konnte ich 
mich nicht zur Veröffentlichung auch dieser Arbeit entschließen. 


München. E. Wiüst. 


nn 


VIL 
Zur Physik des Empedokles. 


Die Physik des Empedokles — in der weiten Bedeutung, 
die das griechische Denken mit diesem Begriffe verbindet, — 
bildet noch immer eine crux interpretum. Vielleicht ist jedoch 
die Aufgabe, alle ihre Einzelheiten in ein einheitliches „System“ 
einzuzwängen, überhaupt eine unlösbare, und man kann eine 
systematische Zusammenfassung nur so weit versuchen, als es 
offenbare Unstimmigkeiten und Widersprüche nicht verbieten. 
Ja. der Mangel an logischer Geschlossenheit im Gedichte des 
Empedokles sollte um so weniger überraschen, als der Mann, 
der, Seher, Sänger, Arzt und Staatsmann zugleich, des Glaubens 


Zur Physik des Empedokles. 203 


sein durfte, die höchste Inkarnation des Seelendämons in sich 
zu verkörpern!), sein Ziel nicht sosehr darin erblicken mochte, 
einen wohldurchdachten Lehrplan konsequent durchzuführen, 
als vielmehr eine Reihe genialer Intuitionen mit dichterischer 
Freiheit zu einer dramatischen Darstellung des Weltgeschehens 
zu verknüpfen. In diesem Sinne wolle die folgende Unter- 
suchung als Beitrag zur Grenzbestinnmung einer homologetischen 
Exegese aufgenommen werden. \ 

Die Schwierigkeiten beginnen bereits bei dem Begriff der 
Mischung und Entmischung, die Empedokles als die einzigen 
realen Naturvorgänge betrachtet, während Bestand, Entstehen 
und Vergehen bloße Namen sind, welche die Menschen mit 
Unrecht auf die sinnlichen Dinge anwenden ?). Denn nach 
dem übereinstimmenden Bericht des Aristoteles und des Theo- 
phrast ®) beruht für Empedokles die Mischung zweier Körper 
darauf, daß die Ausflüsse (&roppo«f) des einen in die Poren des 
andern eindringen, und sie findet nur zwischen solchen Körpern 
statt, deren Ausflüsseund Poren imrichtigen Verhältnis (söpnetpov) 
zueinander stehen, wie dies etwa für Wasser und Wein, aber 
nicht für Wasser und Oel zutrifft. Diese Vorstellung wäre nun 
ohne weiteres anschaulich vollziehbar, wenn man bei Empedokles 
bereits die Annahme Demokrits voraussetzen dürfte, daß jeder 
Körper aus einer Anhäufung von Atomen bestehe, zwischen 
denen sich leere Zwischenräume befinden, in welche die Atome 
eines andern Körpers nur dann eindringen können, wenn ihre 
Größe und Form diesen Zwischenräumen entspricht. Aber daran 
scheint uns der Bericht des Aristoteles und seines Pseudepigraphen 
zu hindern, dem zufolge Empedokles zwar eine unendliche 
Teilbarkeit, keineswegs aber eine Zusammensetzung der Körper 
aus letzten und kleinsten Teilen behauptet*) und das Vorhan- 
densein eines leeren Raumes ausdrücklich geleugnet hat°). Der 
eine Teil des Pseudo-Aristotelischen Fragmentes (oddE T: Ted 


2) Clem. Strom. IV. 150 (Diels, Vorsokratiker 21 B 146). 

2) Plut. Adv. Colot. 10 f. (D.21B 8.9), 

?) Aristot. De gen. et corr. I. 8. 824b 26; Theophr. De sensu 12. 

*) Aristot. De caelo III. 6. 305 a 3, vgl. De gen. et corr. I. 8. 

®) Aristot. De caelo IV. 2. 309 a 20; Phys. IV. 6. 213 a 27; De 
Yarcı Xenophane Gorgia 976b 23 ff. (nach der Emendation D. 21 B 
14, 13). 


204 G. Kafka, 


ravros evedv neler ob6k Tepiocdv) ist vielleicht nicht ganz 
eindeutig‘); das andere - Argument jedoch (tod navrö; &' obözv 
xeveöv- nödev oöv Ti x EreAYor) scheint sich geradezu auf die 
Definition des Vollen und des Leeren zu stützen, mit der Melissos 
die Unmöglichkeit einer Bewegung des Seienden zu beweisen 
sucht”). Voll ist nach Melissos nämlich dasjenige, das nichts 
mehr faßt und in sich aufnimmt. Nun muß das Seiende voll 
sein, weil das Leere als ein Nichtseiendes nicht existiert, im Vollen 
ist aber keine Bewegung möglich. Eınpedokles beweist gerade 
umgekehrt: Das Weltall enthält eben alles Seiende, es 
kann daher von außen nichts mehr in das Weltall eindringen 
(nöHev oöv Ti x Eneidcı), dasjenige aber, in das nichts mehr 
eindringen kann, ist ex definitione voll, d. h. es enthält keinen 
leeren Raum. Da diese Deutung durch die Angaben des 
Aristoteles und des Theophrast®) bestätigt wird, kann man es 
nicht wohl als ein bloßes Mißverständnis der Ueberlieferung 
bezeichnen, dem Empedokles die Annahme eines leeren Raumes 
abzusprechen. 

Zur Erklärung des Empedokleischen Weltbildes dürfen 
also weder die Atome noch der leere Raum herangezogen 
werden, jeder einzelne Körper stellt sich vielmehr als eine 
kontinuierliche Masse dar, die von feinen Oeffinungen oder 
Poren durchzogen ist. Aber hier erhebt sich eine bereits von 
Theophrast bemerkte Schwierigkeit. Mit welchem Stoff sollen 
nämlich die Poren ausgefüllt sein? Denn ausgefüllt müssen 
sie wohl sein, da ein leerer Raum nicht existiert. Man 
könnte vielleicht versucht sein, zu denken, daß sich Luft in den 
scheinbar leeren Zwischenräumen befinde, zumal da Empedokles 
durch das im folgenden näher zu erörternde Luftdruckexperiment 
das Vorhandensein der Luft in scheinbar leeren Räumen beweist. 
Aber für die Luft muß natürlich dasselbe gelten wie für alle 
übrigen Stoffe, sie muß daher ebenfalls von Poren durchzogen 
sein, wie es Aristoteles übrigens ausdrücklich bestätigt®). Es 


6) Goniperz (Griech. Denker, 1? S. 443) will tod ravıög von xevsiv 
abhängen lassen, übersetzt demnach: „nirgendwo kann man sagen, hier 
ist das All nicht; nirgendwo, hier ist etwas anderes als das All“, und 
meint, die Erklärung des Anm. 72 erwähnten Experimentes setze die 
eg wenigstens zeitweise leerer Räume voraus, was kaum zutreffen 
dürfte. 

?) Simpl. Phys. 112,13 (D.20B 7). 8) De sensu 13. 


) 


3 


Zur Physik des Empedokles. 205 


wäre dalıer vom Standpunkt dieser Anschauung aus nun kon- 
sequent gewesen, einen Stoff zu fingieren, der, wie etwa der 
Aether der modernen Naturwissenschaft, auch jeden von pon- 
derabler Materie freien Raum erfüllt. Aber die Angaben über 
einen solchen Aether findet in den Fragmenten nicht nur keine 
Bestätigung’), sondern Empedokles läßt gar keinen Zweifel 
darüber, daß er neben seinen vier Elementen keinen weiteren 
Urstoffanerkennt. In den erhaltenen Fragmenten legt Empedokles 
die Hypothese der Poren der Erklärung des Mischungsvorgangs 
überhaupt nicht zugrunde. Soviel sich aber aus den Berichten 
des Theophrast und des Alexander'°) entnehmen läßt, scheint er 
die Poren der Körper stets von den Ausflüssen erfüllt gedacht zu 
haben, die zum Teil aus ihrem eigenen Innern stammen, zum 
Teil vermöge ihrer „Symmetrie“ oder vermöge ihrer Kleinheit - 
von einem andern Körper her eingedrungen sind. Besonders 
deutlich wird diese Vorstellung in seiner Erklärung der An- 
ziehungskraft des Magneten auf das Eisen, die er nach Alex- 
ander darauf zurückführt, daß die Ausflüsse des Magneten 
die Luft wegdrängen, welche die Poren des Eisens „wie ein 
Deckel abschließe* (Erirwpariler), so daß die Ausflüsse des 
Eisens nunmehr nach dem Magneten Iinströmen können und 
dabei das Eisen mit sich ziehen. Demnach würden sich also 
die Ausflüsse, die jeder Körper kontinuierlich absondert, in 
dessen Poren ansammeln und solange durch das umgebende 
Medium darin zurückgehalten werden, als dieses keine Aus- 
flüsse anderer Körper enthält, die infolge ihrer spezifischen 


®) Daß der „Titan Aether“ bei Clem. Strom. V. 48 (D. 21 B 38), 
der Etymologie von al$ip entsprechend, nur das Feuer bedeuten kann, 
Sa aus seiner Bestimmung als des „Alles Umschnürenden“ hervor. 

on obwohl sich nach der Kosmogonie des Empedokles (Euseb. Praep. 
Ev. L 8, 10 [D. 21 A 30]) zuerst die Luft aus dem „Sphairos“ (s. u.), 
dem unterschiedslosen Gemenge aller Elemente, absonderte und ihn 
nngs umhüllte, sammelt sich doch das an zweiter Stelle ausgeschiedene 
Feuer alsbald unter der von der Luft gebildeten „Haut“ (r&yog) an der 
äußersten Peripherie des Universums an, wobei die Haut analog wie 
die „feste Umwallung“ bei Parmenides (Aöt. De plac. phil. II. 7, 1 
[D. 18 A 37, vgl. B. 8, Z.31, 42; 10, 2.5; 11, 2.2, 3]) offenbar nur dazu 
dient, um eine Zerstreuung des Feuers ins Unendliche zu verhindern. 
Ks beruht daher jedenfalls auf einem Mißverständnis, wenn einige 
Berichte (Philo, De prov. II. 60, Adt. De plac. phil. II. 6,3 [D.20 A 49)) 
den aus der Aristotelischen Kosmologie entlehnten Aether als fünftes 
Klement in die Kosmologie des Empedokles einführen. 

1%) Quaest. II. 23. 72,9 (D. 21 B 89). 


Philologus LXKVIII (N. F. XXXID, 3/4. 14 


206 G. Kafka, 


Beschaffenheit in die Poren eindringen und auf diesem Weg 
einen Austausch des darin enthaltenen Stoffes bewirken kön- 
nen. Jeder Körper wäre also etwa nach Art eines Drüsen- 
gewebes aus einem festen Gerüst bestehend zu denken, in 
dessen Zwischenräume sich die von dem festen Bestandteil 
sezernierten „Ausflüsse“ ergießen, aber auch die symmetri- 
schen Ausflüsse anderer Körper einzudringen vermögen. Für 
die festen *Körper ist diese Anschauung ohne weiteres voll- 
ziehbar, ja Empedokles leitet sogar die Tatsache, daß Bronze 
eine größere Härte besitzt als Kupfer und Zinn, daraus ab, 
daß die festen Bestandteile des einen Elementes der Legie- 
rung in die Zwischenräume des andern eindringen") und 
auf diese Weise offenbar dem Stützgewebe eine größere 
Festigkeit verleihen. Auf die übrigen Urstoffe Wasser, Luft 
und Feuer will aber, wie schon Aristoteles bemerkt, jene 
Vorstellung nicht recht passen. Denn daß auch diese Stoffe 
Poren besitzen und Ausflüsse abscheiden sollen, ist nur eine 
allgemeine Konsequenz der Empedokleischen Mischungslehre, 
die übrigens im besonderen durch seine Theorie der opti- 
schen Wahrnehmung?) ausdrücklich bestätigt wird. Auch diese 
Stoffe müßten demnach gewissermaßen ein kontinuierlich zu- 
sammenhängendes festes Gerüst besitzen. 

Aber diese ganze Konstruktion setzt sich damit in Wider- 
spruch, daß jenes Gerüst deshalb nicht als ein absolut starres 
betrachtet werden darf, weil der Prozeß der Mischung mit dem 
Eindringen der Ausflüsse in die Poren nicht beendet sein kann, 
die Ausflüsse vielmehr mit der kontinuierlichen Masse des 
aufnehmenden Stützwerkes verschmelzen müssen. Emipedokles 
bestimmt sogar in einigen Fällen!®) das Verhältnis, nach dem 
diese Mischung stattfinden soll, indem er das Fleisch aus 
gleichen Teilen aller vier Elemente, die Sehnen aus je einem 
Teil Feuer und Erde und zwei Teilen Wasser, die Knochen 
aus vier Teilen Feuer und je zwei Teilen Wasser und Erde 


1!) Aristot. De gen. an. Il. 8 747 u 34 ff. 
ı?2) Plato, Meno 76C; Afistot. De sensu 2. 437 b 23; Theophr. De 
sensu 7, 8; Alex. Aphr. De sensu 23, 8. 

18) Aöt. De plac. phil. V, 22,1; Simpl. Phys. 32,3; 300, 19; Aristot. 
De an. I. 5. 410a 1 und die Paraphr. z.d. St. Simp). De an. 68,5 (D. 
21A 78, B 98, 96). 


Zur Physik des Empedokles. 207 
(oder, wie die Simplicius-Paraphrase angibt, aus vier Teilen 
Feuer, zwei Teilen Erde und je einem Teil Wasser und Luft) 
zusammensetzt. Da nun aber die gemischten Körper wieder 
spezifische Ausflüsse ausscheiden, muß bei der Mischung 
eine Veränderung ihrer inneren Konstitution vor sich gegangen 
sein. Um diese Veränderung jedoch anschaulich vorstellen zu 
können, müßte man entweder die Elemente geradezu zusammen- 
fließen, also die Annahme eines kontinuierlichen starren 
Gerüstes fallen lassen, oder die Mischung als ein Gemenge 
kleinster Teilchen auffassen, also die Leugnung der Atome 
aufgeben. 

Noch ein anderer Grund spricht gegen die Bestimmung, 
daß die Materie durchwegs ein zusammenhängendes Kontinuum 
bilde und nicht aus kleinsten Teilchen zusammengesetzt sei. 
Denn wären die &roppoat ihrerseits kontinuierliche Flüssig- 
keitsmassen, so wäre kein Grund abzusehen, warum in die 
Poren eines bestimmten Körpers nur Ausflüsse bestinimter anderer 
Körper eindringen könnten, da doch die tägliche Erfahrung 
lehrt, daß jede Flüssigkeit jeden ihr dargebotenen Raun aus- 
füllt. Das zwischen bestimmten Poren und bestimmten Aus- 
flüssen bestehende Verhältnis, auf den die Möglichkeit des’ 
Eindringens der Ausflüsse in die Poren beruht, ist also nur 
erklärlich unter der Voraussetzung, daß die Ausflüsse ein 
Aggregat fester Teilchen von außerordentlicher Kleinheit, aber 
doch von bestimmter und konstanter Größe bilden, die ihnen 
den Eintritt in alle Poren verwehrt, deren Oeffnung ihrem 
Volumen nicht entspricht. Der Begriff dieses „ Entsprechens* 
oder der „Symmetrie“ bliebe dabei noch immer unklar genug, 
da ja offenbar das Eindringen in die Poren nur den zu großen, 
aber nicht den zu kleinen Teilchen unmöglich sein müßte. 

Enthält somit die mikrokosmische Naturerklärung einen 
Immanenten Widerspruch, sofern die Theorie der Ausflüsse und 
Poren einerseits einen kontinuierlichen Zusammenhang des 
Stoffes, andrerseits eine atomistische Struktur der Materie zu 
fordern scheint, so bietet das makrokosmische Weltbild des 
Empedokles der Deutung nicht geringere Schwierigkeiten. Der 
Kern dieses Weltbildes liegt in der Lehre von dem perio- 


dischen Schwanken des Universums zwischen zwei Grenzzustän- 
14 * 


908 - G. Kafka, 


den, in denen das Weltall einmal der unbeschränkten Herr- 
schaft der Liebe, das andere Mal der des Streites oder Hasses 
unterworfen ist, wobei die Herrschaft der Liebe eine unter- 
schiedslose Vereinigung, die des Hasses eine durchgehende 
Sonderung aller Elemente bewirkt. Den Zustand allgemeiner 
kosmischer Vereinigung personifiziert Empedokles als den Sphai- 
ros, ein göttliches Wesen, das in denı festen Verließ der Har- 
monie verwahrt, äußerlich ungegliedert und im Inneren unent- 
zweit, kugelförmig und unbeweglich, nach allen Seiten hin 
gleich ausgedehnt und überall endlos, „an der ringsum herr- 
schenden Stille seine Freude hat“ !%). Die Scheidung der Ele- 
mente begann jedoch, als „der starke Haß im Inneren des 
Sphairos herangewachsen und zur Macht gelangt war, nach- 
dem sich die Zeit erfüllt hatte, die ihnen nach einem gewal- 
tigen Eidspruch der Ananke festgesetzt war“ !?). Sobald die 
vollkommene Scheidung der Elemente vollzogen ist und der 
Wirbel das ganze Weltall ergriffen hat, — sobald also „der 
Streit in die äußersten Tiefen des Weltalls gedrungen ist“, 
faßt die verdrängte Liebe wieder in der Mitte des Strudels 
Stand und nun „beginnt sich alles wieder zu einem Ganzen 
zu vereinigen, nicht plötzlich, aber willig von allen Seiten zu- 
sammenströmend. Zwar bleibt noch Vieles ungemischt zwi- 
schen dem Gemischten, soviel der Streit uoch in der Schwebe 
hält; denn noch trat er nicht gehorsanı an die äußersten Grenzen 
des Kreises, nur zum Teil ließ er sich hinaustreiben, zum Teil 
blieb er darinnen. Soweit er aber zurückweicht, soweit drängt 
stets die mildgesinnte göttliche Macht der untadeligen Liebe 
nach“ !°%), bis endlich der Zustand des Sphairos und damit 
wieder der Ausgangspunkt einer gegensinnigen Weltrevolution 
erreicht ist.. 

Die poetische Intuition, mit der hier die einzelnen Phasen 
des Weltprozesses beschrieben werden, kann aber nicht darüber 
hinwegtäuschen, daß die Vorstellung im einzelnen eine durch- 
aus unklare bleibt. 


14) Plut. De fac. lun. 12,926 D, C. princ. philos. esse diss. 2; Simpl. 
Phys. 1183, 28; Stob. Ecl. I. 15,2; Hippol. Refut. VII 29 (D. 21 B b7, 
272, 28, 29). 

15) Aristot. Metaplı. III. 4. 1000 b 12, Simpl. Phys. 1184, 12. 

16) Simpl. De cnelo 528, 30. 


Zur Physik des Empedokles. 209 


Zunächst erscheint die makrokosmische Tätigkeit der 
Liebe und des Hasses ihrer mikrokosmischen Funktion der 
Mischung und Entmischung geradezu entgegengesetzt. Denn 
indem der Haß die einzelnen Elemente aus den Verbinduugen 
trennt, die sie untereinander eingegangen sind, vereinigt er zu- 
gleich jedes von ihnen zu einer homogenen Gesamtmasse; und 
indem die Liebe die einzelnen Dinge aus der Vereinigung ver- 
schiedener Elemente bildet, löst sie diese aus der Verbindung 
mit jenen Gesamtmassen heraus, — ein Widerspruch, auf den 
bereits Aristoteles!’) hinweist. 

Ferner macht der Begriff der Mischung an dieser Stelle 
nicht geringere Schwierigkeiten, als in der Lehre von den 
Poren und Ausflüssen. Denn wenn die Mischung tatsächlich 
eine vollkonmene sein sollte, so dürfte kein Teil des Ge- 
menges die spezifischen Eigenschaften der Elemente bewahren, 
die Materie des Sphairos müßte vielmehr wie das Anaximand- 
rische &rergov qualitätslos sein und könnte die einzelnen Ele- 
mente nur der Potenz nach enthalten, was jedoch der Unzer- 
störbarkeit der Elemente wiederspräche!*). Wollte man da- 
gegen an der Unzerstörbarkeit der Elemente und an der Un- 
möglichkeit ihrer Ableitung aus einem qualitativ identischen 
Urstoff festhalten, so ist eine vollkommene Verschmelzung über- 
haupt unmöglich, die feinste erreichbare Verteilung der Stoffe 
aber, die unter dieser Voraussetzung erfolgen kaun, würde 
wiederum einen Zerfall der Elemente in unteilbare Atome er- 
fordern !?). Empedokles selbst wird sich allerdings vermutlich 
mit einer ähnlichen Vorstellung über diese Schwierigkeit hin- 
weggetäuscht haben, wie sie der Versuch des Galen enthält?®), 
die Mischung der Elemente durch ein mechanisches Gemenge 
fein pulverisierter Metalle zu verdeutlichen, sofern ein feiner 
Staub auch noch im innigsten mechanischen Gemenge mit 
anderen pulverisierten Stoffen seine spezifischen Eigenschaften 


ı7) Metaph. I. 4. 985 a 21. 

18) Philop. De gen. et corr. 19,3 (D.21 A 41). 

ı9), Aöt. De plac. philos. I. 24,2 (D. 21 A 44). 

:°) Simpl. Phys. 159,27 (D.21B 23), vgl. dazu Galen. In Hippocr. 
nat. hom. XV. 32 (D. 21 A 34). Galen bezieht sich dabei allerdings auf 
die Entstehung der einzelnen Körper durch Mischung der Hlemente, 
aber dieser Verschmelzungsprozeß ist eben im Sphairos zu seiner Lüchsten 
Vollendung gediehen. 


210 G. Kafka 


beibehält, dem Auge aber doch nicht mehr als eine Summe 
diskreter Teilchen erscheint. 

Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Frage nach dem Be- 
ginn und dem Verlauf der Weltbewegung. Empedokles selbst 
drückt den Anfang der Bewegung nur durch die poetische 
Metapher aus, daß die Glieder des Sphairos erschüttert wur- 
den, nachdem der Streit erstarkt war!t), Die mechanische 
Erklärung der Bewegung aber, — die sich noch dazu nur bei 
dem Doxographen findet, — setzt bereits die Ausscheidung 
des Feuers voraus, sofern dieses durch seinen Andrang das 
Gleichgewicht gestört und den Wirbel hervorgerufen hat, aus 
dem sich die jetzige tägliche Bewegung des Himmels ableitet ?!). 
Diese Gleichgewichtsstörung wird offenbar darauf zurückgeführt, 
daß sich das Feuer nicht gleichmäßig im Weltraum verteilt, 
sondern nur die eine Halbkugel vollständig erfüllt habe, in 
die andere Halbkugel dagegen, in der sich die Luft angesammelt 
habe, bloß zu einem geringeren Teil eingedrungen sei. Welche 
Ursache aber die Ausscheidung der Luft und weiterhin das 
Emporsteigen des Feuers bewirkt habe, wird überhaupt nicht 
angegeben. Auch der Verlauf der Bewegung läßt sich deshalb 
nicht eindeutig bestimmen, weil nicht feststeht, ob der Wirbel 
im Augenblick der vollständigen Dissoziation des Weltalls 
durch den Haß seine höchste Geschwindigkeit erreicht hat 
oder seine Geschwindigkeit tiber diesen Punkt hinaus noch 
weiter vermehrt. Die Beantwortung dieser Frage hängt aufs 
Engste damit zusammen, ob man die Möglichkeit der Ent- 
stehung von Einzelwesen sowohl während der Periode an- 
erkennt, in welcher der Haß, wie während der Periode, in 
welcher die Liebe zur Herrschaft gelangt. Zunächst erscheint 
es gemäß der Bestimmung, daß die Dinge sowohl durch die 
Verbindung wie durch die Trennung der Elemente entstehen 
können, sehr wahrscheinlich, daß während beider kosmischer 
Perioden eine Bildung von Einzelwesen stattfindet, daß sich 
also in beiden Perioden die gleichen Prozesse, nur im ent- 
gegengesetzten Sinn, abspielen. Demnach würde also die Ge- 
schwindigkeit der Wirbelbewegung bis zum Augenblick der 
vollkommenen Dissoziation kontinuierlich zu- und von da an 

21) üuseb. a.n.O. (Anm. 9). 


Zur Physik des Empedokles. all 


wieder abnehmen. Nun befinden wir uns nach der Meinung 
des Empedokles jedenfalls in einer Phase mit zunehmender 
Geschwindigkeit, weil er glaubt, daß die Dauer eines Tages, 
also einer Himmelsumdrehung, ursprünglich zehn und dann 
sieben Monate betragen, also den beiden Fristen entsprochen 
habe, zwischen denen die Tragzeit der menschlichen Frucht 
liegt und derentwegen er die Weiber „doppelgebärend “ 2?) 
nennt, und sich erst später immer mehr verkürzt habe®?). 
Unter dieser Voraussetzung, daß die Geschwindigkeit der 
Drehung mit der unbediugten Herrschaft des Streites ihr Maxi- 
mum erreicht, müßten wir uns aleo gegenwärtig in der Pe- 
riode seiner wachsenden Macht befinden. 

Gegen diese Auffassung aber, welche in den beiden Phasen 
des Weltprozesses gewissermaßen zwei symmetrische Spiegel- 
bilder erblickt, würde die Erwägung sprechen, daß, bevor die 
Bildung von Einzelwesen erfolgen kann, zunächst einmal die 
Materialien, die zu ihrer Zusammensetzung erforderlich sind, 
aus dem Gemenge abgesondert werden müssen, in dem sie zu 
einer unterschiedslosen Einheit verschmolzen sind, daß insbe- 
sondere die Entstehung organischer Wesen das Vorhandensein 
der zusammenhängenden großen Elementenmassen der Erde, 
des Wassers und der Luft voraussetzt, die erst der Haß von- 
einander geschieden hat, und daß endlich in der zuvor ge- 
schilderten Kosmogonie die Absonderung von Einzelwesen mit 
spezifischen Eigenschaften als Zwischenstufen zwischen der 
bestimmungslosen Urmaterie und den zusammenhängenden 
Elementarmassen nicht nur nicht erwähnt ist, sondern geradezu 
undenkbar erscheint‘). Können wir uns daher unter dieser 
Voraussetzung nicht in der Periode der wachsenden Macht des 
Streites?°), sondern nur in der Periode befinden, in der sich 


#2) Procl. In Piat. Remp. II. 34,25 ed. Kroll (D. 21 B 69). 

23) Aöt. De plac. philos. V. 18,1 (D. 21 A 75). 

26) Vgl. dazu auch v. Arnim, Die Weltperioden des Empedokles, 
S. 21 (Festschr. f. Th. Gomperz, Wien 1902), gegen dessen es 
liche Einwände Bignone (Empedocle, Il Pensiero Greco, 11. Turin, 1916) 
vergeblich ankämpft. 

35) Der Aristotelische Bericht (De gen. et corr. 1I. 6. 334 a5), daß die 
gegenwärtige Welt unter der Einwirkung des Hasses (3x! tod velxoug) 
stehe, setzt nur voraus, daß der Haß überhaupt noch wirksam sei, d.h. die 
absolute Vereinigung der Elemente zum Sphairos noch zu verbindern ver- 
möge, nicht aber, daß er die Alleinherrschaft oder die Uebermacht besitze. 


212 G. Kafka, 


die Herrschaft der Liebe anbahnt, nimmt aber die Geschwindigg- 
keit der Wirbeldrehung gegenwärtig noch immer zu, so folgt 
daraus, daß diese Geschwindigkeit um so nıehr wachsen muß, 
je weiter sich die Herrschaft der Liebe ausdehnt. Mit der 
Erreichung der höchsten Geschwindigkeit müßte aber zu- 
gleich der Sphairos, der Zustand der absoluten Ruhe, erreicht 
sein. Wieweit dieser Anschauung die Vorstellung eines Welt- 
brandes ?*) Rechnung tragen würde, ob ferner die Vorstellung 
eines Weltbraudes, die sich der Empedokleischen Lehre ge- 
wiß nicht ohne weiteres einfügt, überhaupt als deren authen- 
tischer Bestandteil betrachtet werden darf, ist schwer zu ent- 
scheiden, so daß wohl auch über diesen Punkt ein non liquet 
ausgesprochen werden muß. 

Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich aus der bereits 
erwähnten ungleichmäßigen Verteilung des Feuers im Welt- 
raum, denn Empedokles leitet den Wechsel von Tag und Nacht 
daraus ab, daß die Dreliung des Weltalls abwechselnd die 
leuchtende, mit Feuer erfüllte und die dunkle, zum größten 
Teil aus Luft gebildete Halbkugel an der Erde vorbeiführt?!). 
Diese Vorstellung einer selbstleuchtenden Atmosphäre, die an 
die Feuersphären des Parmenides erinnert, verbindet sich bei 
Empedokles mit der Vorstellung, die uns bei Philolaos be- 
gegnet, daß die Sonne kein eigenes Licht besitze, das kosmische 
Licht vielmehr nur wie ein Brennspiegel sammle?’) und 
reflektiere”®). Empedokles scheint diese Hypothese sogar da- 
durch stützen zu wollen, daß er die „kristallartige“ Beschaffen- 
heit der. Sonne?") aus ihrer Entstehung ableitet. Denn offen- 
bar muß für die Sonne das Gleiche gelten wie für das Him- 
melsgewölbe®°), das ebenfalls als „kristallartig“ bezeichnet 
wird, und für den Mond°?), der sein Licht von der Sonne 
EDpIandb; also ebenfalls als eine Spiegelfläche betrachtet wer- 


**) Hippol. Refut. l. 3. (D.21A 51). 
7) Macrob. Sat. I. 46 (D.21 B41), nach der Dielsschen Lesart &- 


Yale. 
8) Plut. De Ki or. 12,400 B (D.21B44). Vgl. über Philolaos 
At. 11. 20,12 (D. 32A 19). 

9) Aöt. De a Si II. 20,13 (D. 21B 56). 

30) At. 2.2.0. 11. 11,2 (D. 21 B 51). 

sı) Aöt. 0.2.0.11. 25, 15; 28,5; Plut. De fac. in orbe lun. 16, 929 E; 
Achill. Isag. in Arat. 16 (D. 21a 60, B 43, 45). 


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Wi ww vr 


Zur Physik des Empedokles. 213 


den mu&, daß nämlich die Luft unter der Einwirkung des 
Feuers zu einer kristallartigen Masse erstarrt sei, was mit 
größter Wahrscheinlichkeit auf eine Bekanntschaft mit dem 
Prozeß der Glasbereitung schließen läßt, der, in Aegypten schon 
lange verbreitet, im 5. Jhd., also gerade zur Zeit des Empe- 
dokles, in Griechenland eingeführt worden sein soll. Die An- 
nahme einer Refraktion der Lichtstrahlen an der Sonnenscheibe 
läßt sich unschwer als eine Fortbildung der roheren materia- 
listischen Vorstellungen eines Alkmaion und Heraklit°?) be- 
greifen, daß Mond und Sonne gewölbte Becken darstellen, in 
denen sich der aufsteigende Feuerstoff ansammle, sofern näm- 
lich die Ansammlung der Lichtstrahlen in der Sonnenscheibe 
ala ein optisches Phänomen und nicht mehr als eine An- 
häufung des Wärmestoffes betrachtet wird. Dieser Fortschritt 
darf aber nicht so gedacht werden, als ob Empedokles etwa 
die immaterielle Natur des Lichtes geahnt hütte, da ja ge- 
rade umgekehrt seine Einsicht in die Tatsache, daß das Licht 
zu seiner Fortpflanzung eine meßbare Zeit braucht °?), wohl 
nur auf der Annahme einer stofflichen Emission beruhen dürfte, 
als deren seibstverständliche Konsequenz sie im Grunde so lange 
erscheinen mußte, als sie nicht durch die rein formalistische 
Definition des Aristoteles verdrängt wurde. Nun würde der Wert 
jenes Erklärungsprinzipes an sich dadurch nicht geschmälert 
werden, daß die Spiegelwirkung der Sonne als eine materielle zu 
betrachten ist. Aber schon der doxographische Bericht scheint 
dadurch verwirrt, daß es ihm nicht recht gelingt, die Annahme 
dieser Spiegelwirkung mit der Annahme einer selbstleuch- 


‘ tenden Atmosphäre zu vereinigen. Denn wie bereits aus dem 


Früheren bekannt, erfüllt die selbstleuchtende Atmosphäre nur 
die eine Halbkugel des Himmelsraumes, und der Wechsel von 


- Tag und Nacht soll davon abhängen, ob die lichte oder die 


dunkle Halbkugel der Erdoberfläche gegenübersteht. Nun läge 
die Annahme nahe, daß der Tag durch das Erscheinen der 
leuchtenden Himmelshalbkugel entsteht, daß sich also die 
Sonne innerhalb der leuchtenden Atmosphäre befindet und 


”) Att. 2.0.0. II. 28,6; 29,3 (D. 12 A 12, 14A 4), -» 
R u es De an. 11.6. 418 b 2) (Puilop. z. d. St. 344, 34), De sensu 


214 - G. Kafka, 


deren Licht gewissermaßen nur in einem Brennpunkt samme 
Ja die gelegentliche Bemerkung, daß das Spiegelbild, das si 
in der Sonne reflektiert, ebenso groß sei wie die Erde ° 
ließe sich sogar dahin interpretieren, daß sich geradezu d 
durch die Strahlen der hellen Halbkugel erleuchtete Erde 

der Sonne spiegle. Das Sonnenlicht wäre also nicht U 
sache, sondern nur eine Begleiterscheinung des Tageslicht« 
Aber damit läßt sich eine andere Tatsache schwer vereinige 
Denn Empedokles erklärt die Sonnenfinsternisse bereits dur: 
die Annahme, daß die Strahlen der Sonne durch den Mon 
der sich zwischen sie und die Erde einschiebt, abgeblend 
werden). Wäre aber die Sonne nur ein Brennspiegel, 

dem sich die Strahlen des diffusen Tageslichtes der hell 
Himmelshemisphäre vereinigen, so müßte dieses diffuse Lic 
doch auch während der Abblendung des Spiegels sichtb: 
sein, die Abblendung der Sonne könnte also wohl eine g 
wisse Schwächung der Helligkeit, nicht aber geradezu eiı 
Verdunkelung des Himmels bewirken, die bei totalen Finste 
nissen so weit geht, daß die helleren Sterne sichtbar werde 
Dieser Grund mag daher den Doxographen dazu bewoge 
haben, die Sonne in die der feurigen und hellen Hemisphä 
entgegengesetzte dunkle Halbkugel zu verlegen, das Sonnenliel 
folglich als den Reflex des unter dem Horizont befindliche 
diffusen Lichtes und somit als Ursache der Erhellung 4 
dunklen Hemisphäre, nicht als eine bloße Begleiterschein 
des Tageslichtes zu betrachten. Aber dieser Anschauung s 
natürlich die Konsequenz entgegen, daß dann der Umsch 
des Himmels die helle Hemisphäre gerade während der 
wesenheit der Sonne, also in der Nacht, über den Hori 
erheben würde. Uebrigens scheint dem Doxographen selbst 
Sache nicht klar gewesen zu sein, da er seinen verwolt 
Bericht, in dem unter anderem die in diesem Zusammenb 
ganz sinnlose Bestimmung beibehalten ist, daß die Sonne 
“ Reflex von der Erde her zu betrachten sei, mit den eili 
Worten beschließt: „kurz gesagt, die Sonne ist ein Wid 
schein des die Erde umgebenden Feuers.“ 


—— —— 


*) Adt. 2.2.0. II. 21,2 (D. 21 A 56). we 
=») ASt. 2.0.0. II. 24,7; Plut. de fac. in orbe lun. 16, 929 
21A 59, B 42). 


Zur Physik des Empedokles. 3215 


Die Bahn der Sonne soll ferner an dem äußersten Um- 


‘ kreis des Firmaments verlaufen, an dem, wie bei Anaxiınenes, 


die Fixsterne befestigt sind®®), und von der Mondbahn den 
doppelten Abstand haben, wie diese von der Erde?”). Aus 


. einem Fragment dagegen scheint sich zu ergeben, daß sich der 


Mond unmittelbar an der Erde vorbeibewegt „wie die Nabe 
des Rades um den Prellstein“°®%). Ist diese Anschauung die 


‘ richtige, so würde daraus unter der für die damalige Zeit 
‘ selbstverständlichen Voraussetzung einer Kreisbahn des Mondes 


folgen, daß die Erde nicht kugelförmig, sondern wie der Mond 
(und die Sonne?) scheiben- oder linsenförmig gedacht werden 
müsse2). Auch scheint die für die Schiefe der Weltachse 
gegebene Erklärung, daß nämlich die Luft dem Drang der 
Sonne (= der Feuersphäre ?) nachgegeben habe und dadurch 
die nördliche Hälfte der Erde gehoben, die südliche gesenkt 
worden sei*°), nur unter der Voraussetzung einer ganz oder 
nahezu ebenen Erdoberfläche verständlich. Doch hat sich 
Empedokles über diesen Punkt nicht mit Bestimmtheit ge- 
äußert, nur bekämpft er ganz entschieden die Vorstellung 
des Xenophanes, daß sich die Erde ins Unendliche erstrecke, 
was ihm deshalb unmöglich scheinen muß, weil er mit Par- 
menides an einer Begrenzung des Weltalls festhält‘!). Da- 
gegen soll er dem Weltall eiförmige Gestalt zugeschrieben 
haben 2), offenbar im Gegensatz zum Sphairos, dessen „Kugel- 
form* sich mit seiner „allseitigen Grenzenlosigkeit“ ohnedies 
schlecht genug verträgt. Für die Ruhe der Erde in der 
Mitte des Weltalls gibt er eine ganz eigenartige Deutung, 
indem er sich auf die Tatsache beruft, daß aus schnell im 
Kreis herumgeschwungenen Gefäßen das Wasser nicht aus- 
dießt 4). Er erklärt diese Erscheinung offenbar ganz richtig 


28) Ast. 8.2.0. 11. 1, ; 13,11 (D. 21 A 50, 54). Vgl. über Anaxi- 
menes Aöt. II. 14,3 (D. 3A 14 

sn Adt.a.n.O. I, 31 21 A 61). 

Plut. De fac. orb. lun. 9 925 B(D.21B46). Nach der ergünzen- 

den Konjektur von Diels zap’ äxpmv( vbgoav >. 

’”) Plut. Quaest. Rom. 101,288 B (D. 21 A 60). 

*, Adt. a.2.0. II 8,2 (D. 1A 58). 

") Aristot. De caelo II. 13.294821. ZuXenophanes vgl. Achill. Isag. 4. 
34,11 ed. Maas (D. 11 B 28), zu Parmenides Simpl. Phys. 146, 3 (D. 18 B 8). 

2) Adt. 2.2.0. IL 31,4 (D. 21A 50). en 

” Aristot. De caelo II. 13. 295 a 13. 


216 G. Kafka, 


damit, daß der Flüssigkeit durch die Drehbewegung in tan- 
gentialer Richtung eine größere Beschleunigung erteilt wird 
als durch die Schwerkraft in vertikaler Richtung, und schließt 
daraus, daß die schnellere Wirbelbewegung des umgebenden 
Weltalls in gleicher Weise die Erde an einem Fall abwärts 
verhindern werde. Die Analogie ist jedoch natürlich nur eine 
ganz oberflächliche. Denn während in jenem Fall die verti- 
kale Koinponente der Schwerkraft durch die tangentisle Kon:- 
poneute der Zentrifugalkraft kompensiert werden kann, würde 
in diesem Fall die zentral gelegene Erde der Zentrifugalkraft 
überhaupt nicht unterliegen, durch die Zentrifugalkraft also nicht 
am Fallen gehindert werden können. Die Drehbewegung des 
Weltalls würde vielmehr nur bewirken, daß die Erde, sobald sie 
durch ihre Schwere, die ja der griechischen Physik als ein abso- 
luter Zug nach unten galt, aus der zentralen Lage verdrängt ist, 
sofortin den Weltwirbel mit hineingezogen werden müßte. Nichts- 
destoweniger beansprucht dieser Erklärungsversuch seiner Origi- 
nalität halber ein besonderes Interesse, zumal da er das gerade 
Widerspiel der Newtonschen Gravitationshypothese darstellt. 
Denn während dieser die Bewegung der Himmelskörper aus 
der Anziehung des ruhenden Zentralkörpers erklärt, führt 
jener die Ruhe des Zentralkörpers auf die Drehbewe;ung des 
umgebenden Mediums zurück. | 
Ein weiterer Berührungspunkt der Lehren des Empedokles 
mit der modernen Naturwissenschaft liegt in seiner Theorie 
der Entwicklung organischer Wesen. Diese Theorie bildet 
einen der meistumstrittenen Bestandteile des Empedokleischen 
Weltbildes, und eine rein philologische Quellenanalyse wird 
über ihre Bedeutung wohl kaum Klarheit schaffen können. 
Wenn wir nämlich die Fragmente mit dem Bericht des 
Aätius‘') zusammenstellen, erhalten wir vier aufeinanderfolgende 
Stadien des Entwicklungsprozesses.. Zunächst sprossen aus 
der Erde?°) einzelne, zusammenhangslose Gliedmaßen, „Köpfe 


*) A.a.O. V. 19,5 (D.21 A 72). 

*) Eine Abstammung aus der Erde, wird, wie vorgreifend bemerkt 
werden möge, in den Fragmenten nur von den rohgeballten (oöAoyusts, 
s. Anm. 48) Erdklumpen, nicht von den übrigen Bildungen ausdrücklich 
angegeben. Frst Censorinus (De die nat. 4, 7) läßt die membra singuls 
aus der Erde entstehen. e 


PB. SE Sn So 0 ZÖo  =  2, Senn en nn sen ee en nn öWe u SD SS Sn a se nn Bee = ee oe ann en ST Ve a a nn 3 ns. Saen 


| 


v 


Zur Physik des Empedokles. . 217 


oıne Hals, Arme ohne Schultern, Augen ohne Stirnen“ her- 
vor), für die natürlich keine Möglichkeit der Erhaltung be- 
steht. Die zweite Periode ist dadurch gekennzeichnet, daß in 
iır die Macht der Liebe im Wachsen begriffen ist und die 
vereinzelten Gliedmaßen miteinander vereinigt, vorläufig aller- 
dings noch, „wie es gerade trifit*, zu abenteuerlichen Bil- 
dungen, zu „Ochsenleibern mit Menschenköpfen und Menschen- 
libern mit Ochsenköpfen*, zu Mischwesen, die zur Hülfte, 
männlichen, zur Hälfe weiblichen Körperbau zeigen und sich 
wegen dieses Mißverhältnisses weder erhalten, noch, da sie 
nit unfruchtbaren Geschlechtsorganen ausgestattet sind, weiter 
tortpflanzen können‘). In der dritten Periode sollen sich nach 
dem Bericht der Doxographen die Wesen entwickelt haben, 
die er als „einheitlich zusammengefügt“ (ö%oFuvel;) bezeichnet 
ınd dieses 6Aoyueig scheint seine Erklärung in dem o0Aopueig 
des Fragmentes *®) zu finden, in dem die Entstehung des Menschen 
aus „rohgeballten Erdklumpen* beschrieben wird, die noch 
keinerlei Differenzierung der Organe aufweisen. In der vierten 
Periode endlich erfolgt die Entstehung nicht mehr durch Ur- 
zeugung aus der unorganischen Materie, sondern bereits durch 
geschlechtliche Fortpflanzung. 

Zweifellos nun widerspricht das Entwicklungsprinzip der 
dritten dem der ersten und zweiten Periode. Denn während 
in diesen die Organe bereits nach ihrer spezifischen Eigenart 
differenziert, nur nicht in einen lebensfühigen Zusammenhang 
gebracht sind, soll in der dritten Periode die Entwicklung 
von den undifferenzierten Erdklößen ausgehen. Es sieht also 
gerade so aus, als ob die Natur oder, um die Terminologie 
des Empedokles beizubehalten, die Liebe erkannt hätte, daß 
der in den beiden ersten Perioden eingeschlagene Weg nicht 
zum Ziele führen könne, und daher in der dritten Periode 
einen ganz neuen Schöpfungplan entworfen hätte. Die An- 


‚ schauung, welche die Entwicklungsgeschichte der Organis- 


men in abgeschlossenen Perioden verlaufen läßt, deren jede 


‘“) Simpl. De caclo 536,29 (D. 21B 57). 

*) Aelian. De nat. anim. XV]. 29 (D. 21 B 61), mit der Lesart orei- 
Ars statt omıspotg „beschatteten“ (Diels) oder oxızc/; „verhärteten“ Ge- 
schlechtagliedern, nach Lucr. De rer. nat. V. 855, 

®, Simpl. Phys. 581,29 (D. 21B 62), 


218 _ G. Kafka, 


mit „einer neuen, von vorne anfangenden Schöpfung‘) be- 
ginnt und mit der Vernichtung der in ihr entstandenen Lebe- 
welt abschließt, stützt sich daber in erster Linie auf diese 
Diskontinuität des Entwicklungsganges. Diese Diskontinuität 
läßt sich auch nicht durch die Annahme beseitigen, daß die 
Entstehung aus undifferenzierten Erdklumpen nur für das 
menschliche Geschlecht gelten solle, die Entstehungsweise der 
menschlichen Organismen daher von dem Doxographen irr- 
tümlich in die geschlossene Entwicklungsreihe der übrigen 
Lebewesen eingeschaltet worden sei°®); denn wenn auch das 
erwähnte Fragment nur von einer Entstehung des Menschen 
aus Erdklumpen redet, so ist doch bereits in der ersten 
und zweiten Periode zweifellos von der Entwicklung einzelner 
menschlicher Organe die Rede, wie sich aus der Vereinigung 
von Ochsenleibern mit Menschenköpfen und aus dem Ausdruck 
„Arme ohne Schultern“ ergibt, der sich doch wohl nur auf 
menschliche Organe beziehen kann. Wenn daher die Frag- 
mente so zu verstehen sind, daß sie einmal den gesamten 
menschlichen Organismus durch die allmähliche Differenzierung 
seiner Bestandteile aus einem . formlosen Erdklumj:en, das 
andre Mal menschliche Organe in ihrer spezifischen Differen- 
zierung einzeln aus der Erde entstehen lassen, so besteht zwi- 
schen diesen beiden Angaben offenbar ein Widerspruch, der 
dann auch nicht mehr auf die Anthropogonie allein beschränkt 
werden darf, sondern sich offenbar auf die gesamte Lebewelt 
ausdehnen muß. Die Entwicklung durch allmähliche Diffe- 
renzierung würde dann tatsächlich eine ganz neue Phase in 
der Entwicklungsgeschichte der Organismen bedeuten und eine 
Aenderung des bisherigen Schöpfungsplanes voraussetzen. 
Philologisch läßt sich, wie gesagt, die Unmöglichkeit 
dieser Annalıme nicht beweisen. Wohl aber scheint sie einer 
Prüfung ihrer inneren Wahrscheinlichkeit nicht standzu- 
halten. Zunächst nämlich wäre eine solche Diskontinuität des 
Schöpfungsplanes mit dem Prinzip des kontinuierlich abwech- 
selnden Machtzuwachses der beiden kosmischen Kräfte nicht 
wohl vereinbar. Von derartig sprunghaft eintretenden Kata- 


rm nn 


4%) Zeller, 1. 2.5 S, 796. 
30) Gomperz, Griech. Denker 1.3 S. 445. 


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Tin idee 


En ER ur U ne wo. ii on Ar nn 


Zer Physik des Enipedokles. . 219 


strophen, wie sie, ganz in Sinne Cuviers, die Vernichtung der 
ganzen Lebewelt jeder einzelnen Periode erfordern würde, 
findet sich bei Empedokles im allgemeinen nichts. Es müßte 
daher zuvor bewiesen werden, daß die Liebe den von ihr an- 
fangs befolgten Schöpfungsplan kurzerhand aufgegeben und 
ihre Absicht nun einmal gerade von der entgegensetzten Seite 
her zu verwirklichen versucht hätte. Aber von einer solchen 
Sinnesänderung der Liebe weiß die Ueberlieferung nicht das 
mindeste zu berichten, was in diesem Fall um so schwerer wiegt, 
als sich Empedokles die dichterische Ausgestaltung dieses Vor- 
gangs gewiß nicht hätte entgehen lassen und die Originalität 
der ganzen Anschauung sie zweifellos vor der Vergessenheit 
bewahrt hätte. 

Sodann ist die absolute Zwecklosigkeit jener Konstruktion 
zu beachten. Die zweite Periode bedeutet nämlich offenbar 
einen Fortschritt im Vergleich zur ersten, sofern dort die ein- 
zelnen Organe vereinzelt zugrunde gehen, hier aber wenigstens 
der allerdings noch erfolglose Versuch gemacht wird, sie zu 
lebensfähigen Einheiten zu verbinden. Es wäre demnach voll- 
kommen willkürlich, zwischen die erste und die zweite Periode 
ebenfalls eine Katastrophe einzuschalten, die alle vereinzelt 
entstandenen Organe vernichtet hätte. Die erste Periode geht 
vielmehr in dem Maß in die zweite über, als die Liebe all- 
mählich die Kraft gewinnt, ihr typisches Einigungswerk zu 
vollziehen. Wenn sie nun aber dieses Vereinigungswerk in 
der dritten Periode wieder aufgäbe, so wäre ihre Tätigkeit 
in den beiden vorhergegangenen Perioden ganz umsonst ge- 
wesen, die Entstehungshypothese in ihrem ganzen ersten Teil 
daher vollkommen „zwecklos und unwissenschaftlich *, was jedoch 
Empedokles ausdrücklich abwehrt %). Denn selbst um die Ent- 
stebung von Wunderwesen wie Zentauren oder Minotauren zu 
erklären, auf welche die Beschreibung der zweiten Periode zutref- 
fen würde, hätte Empedokles keineswegs einen so umfangreichen 
kosmischen Apparat in Szene zu setzen gebraucht, da er der- 
artige Mißbildungen vielmehr aus ungünstigen Umständen 
bei der Samenentleerung oder aus dem „Versehen“ der Schwan- 
geren abzuleiten weiß°!). 


s) Aöt. 2.0.0. V, 8,1; 12,2 (D. 21A 81). 


220 G. Kafka, 


Wenn sich dagegen die Entwicklungshypothese des Em- 
pedokles auf die Tatsache stützt, daß differenzierte Organe 
ursprünglich einzeln entstehen und die Differenzierung des ge- 
samten Organismus auf einer Vereinigung der einzelnen selb- 
ständigen Organe beruht, wenn ferner diese Vereinigung in 
der zweiten Periode bereits angebahnt war und nur deshalb 
erfolglos bleiben mußte, weil die Bestandteile der Zusammen- 
setzung nicht zueinander paßten, dann ist überhaupt nur melır 
ein Schritt zu tun, um die Entstehung fortpflanzungsfähiger 
Wesen mit differenzierten Organen zu erklären. Sobald näm- 
lich der Haß nicht mehr stark genug ist, Verwandtes ausein- 
anderzuhalten, muß es der Liebe gelingen, die zusammen- 
gehörigen statt der unzusammengehörigen Organe miteinander 
zu vereinigen, und aus dieser richtigen Mischung ergibt sich 
die Lebensfähigkeit der durch Zusammensetzung erzeugten 
Organismen. Wenn daher schon die Fiktion einer plötzlichen 
Aenderung des Schöpfungsplanes in dem Empedokleischen 
Weltbild an sich als durchaus unwahrscheinlich gelten muß. 
so erscheint die Annahme geradezu als eine psychologische 
Unmöglichkeit, daß Empedokles sein Erklärungsprinzip ohne 
jeden Grund gerade in dem Augenblick gufgegeben hätte, als 
ihn dessen konsequente Durchführung geradeswegs an das 
Ziel führen mußte. 

Der Vorwurf, der gegen diese Auffassung erhoben wer- 
den könnte, daß sie nämlich eine durch die Ausbreitung der 
modernen Entwicklungstheorie zum geistigen Gemeingut der 
Gegenwart gewordene Anschauung unberechtigterweise auf das 
antike Denken übertrage, scheint bei genauerer Prüfung un- 
begründet. Allerdings hat sich auch die moderne Naturwissen- 
schaft von einer Personifikstion der „Naturzwecke“ nicht im- 
mer frei gehalten, die im Grund mit den zwecktätigen kosnisch- 
mythologischen Fiktionen des Empedokles auf einer Stufe 
steht. Der wissenschaftliche Wert der Entwicklungslehre be- 
ruht aber gerade darauf, daß sie die Teleologie auf objektive 
Zwecke zu begründen sucht. Wenn ihr daher auch der teleo- 
logische Satz vom „Ueberleben des Passendsten“ mit Empe- 
dokles gemeinsam ist, so zeigt sich doch schon in der Ablei- 
tung dieses Prinzips die Verschiedenheit des Standpunktes. 


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Zur Physik des Empedokles. 221 


Denn während die moderne Entwicklungslelre die Entstehung 
der Varietäten, aus denen sich die lebeusfähigen Arten ent- 
wickeln, als eine letzte und — wenigstens vorläufig — kausal 
nicht weiter zu erklärende 'Tatsache betrachtet, legt Empe- 
dokles umgekehrt das größte Gewicht darauf, die Entstehung 
der Varietäten durch das Eingreifen der Liebe zu erklären 
und in phantastischer Ausführlichkeit zu beschreiben. Die 
Entwicklungslehre sucht ferner das Gesetz vom „Ueberleben 
des Passendsten® durch die beiden Gesetze vom „Kampf ums 
Dasein* und von der „natürlichen Zuchtwahl* zu begründen. 
Darin liegst eingeschlossen, daß sich einerseits nur diejenigen 
Eigenschaften fortpflanzen können, die ihrem Besitzer einen 
biologischen Vorteil gewähren, weil er nur durch sie in den 
Stand gesetzt wird, sein Leben in dem Konkurrenzkampf mit 
seinesgleichen zu erhalten, und daß andrerseits die biologisch 
nachteiligen Eigenschaften verschwinden müssen, weil ihr 
Träger überhaupt nicht zu Fortpflanzung zugelassen wird. 
Die Empedokleische Lehre dagegen kann sich weder des einen 
noch des anderen Prinzipes bedienen. Daß die Verbindung 
eines Menschenkopfes mit einem Ochsenleib eine biologische 
Schädigung für das Individuum bedeute, lüßt sich natürlich 
durch die bloße Berufung auf den Widerspruch des Wirk- 
lichkeitsbewußtseins gegen das Phantasiebild nicht beweisen. 
Ebensowenig vermag aber Empedokles einen Grund dafür an- 
zugeben, warum sich jene Mischwesen nicht fortpflanzen kön- 
nen, da die Behauptung ihrer Unfruchtbarkeit, die dem Empe- 
dokles nicht einnıal mit Bestimmtheit zugeschrieben werden 
kann, ihrerseits wieder einer biologischen Begründung bedürfte. 
Empedokles kann daher die Entwicklung überhaupt nicht 
durch ein natürliches Zusammenwirken innerer Anlagen und 
äußerer Einflüsse, sondern nur durclı das Eingreifen einer über- 
natürlichen Macht erklären. Daß er sich jedoch überhaupt 
des Ausleseprinzips bedient, darf um so weniger Bedenken 
erregen, als ja bereits dem Anaximander die Einsicht zu- 
geschrieben wird, daß nur diejenigen Organismen am Leben 
bleiben können, „die imstande sind, sich selbst zu erhalten“ °2). 


s, Plut. Syınp. VIII. 8,4 (D. 2,30). 
Philo!ogus LXXVIII (N. F. XXXID), 34. 15 


222 G. Kafka, 


Wenn daher auch die Annahme aus inneren Gründen 
tiberaus wahrscheinlich ist, daß sich bei der Entwicklung des 
Organismus zunächst aus der Erde die einzelnen Organe aus- 
sondern, sodann durch Vereinigung nicht zusammengehöriger 
Organe fortpflanzungsunfähige Mischwesen, und schließlich 
durch Vereinigung zusammengehöriger Organe lebensfähigre 
Wesen entstehen, die sich von da an durch Zeugung vermehren 
können, so mn& doch zumindest der Versuch unternommen 
werden, den Widerspruch zu beseitigen, der in der Ueberliefe- 
rung durch die Einschaltung der Periode des 6Acopueis an der 
dritten Stelle enthalten scheint. Wie leicht ersichtlich, be- 
ruht dieser Widerspruch nur darauf, daß das öXoyuels des 
Doxographen in derselben Bedeutung aufgefaßt wird wie das 
obAoypueis des Fragments. Ueber die Bedeutung des Wortes 
an letzterer Stelle kann allerdings kein Zweifel sein, da es 
durch die Worte erläutert wird: „ohne der Glieder liebliche 
Gestalt, ohne Stimme und ohne Geschlechtsteile*, und da Ari- 
stoteles°?) diese formlose Masse mit dem Sperma vergleicht. 
OdAopung wäre demnach hier unmittelbar vom Stamm eil&o 
abzuleiten und wlrde wörtlich etwa bedeuten „zu einem Klum- 
pen zusammengeballt“. Nun ist zu beachten, daß das in der 
Lesart allerdings auch nicht ganz sichere 6Aopuns sich schon 
äußerlich nicht als identisch mit dem früheren anzeigt. 
"ORopurg kommt sonst nur noch einmal bei Aristoteles vor °*), 
wo es den zu einem Stück zusammengewachsenen Brustkasten 
der Vögel bezeichnet. Die Bedeutung ist daher hier nicht mehr 
von eil£w, sondern von 6405 abzuleiten und besagt „zu einem 
Ganzen zusammengefügt“. In dieser Bedeutung würde es je- 
doch mit dem Sinn des Prüdikates 6AöxAnpos, das der doxo- 
graphische Bericht den ursprünglichen Bildungen abspricht, 
durchaus übereinstimmen und daher jeden Widerspruch aus 
dem Bericht verschwinden lassen. In die erste Periode fiele 
dann die Entstehung der einzelnen Organe, in die zweite deren 
Zusammensetzung zu „abenteuerlichen“ (eiöwAcpaveis) Bil- 


9) Phys. Il. 8. 199 b 7. Aristoteles sagt nur, das oöloyui;g müßte 
sinngemäß (unter Abstraktion von den phantastischen Bestandteilen der 
Empedokleischen Entwicklungslehre) als das Sperna gedeutet werden. 
Simplicius (s. Anm. 43) verwundert sich daher zu Unrecht, daß Aristo- 
teles diese Deutung als authentische Lehre des Empedokles ausgebe. 

5) De part. an. IV. 12. 693 n 25. 


Zur Physik des Empedokles. 993 


En] 


dangen, in die dritte endlich ihre Vereinigung zu Wesen, die 
zu einem einheitlichen Ganzen zusammengefügt sind), Durch 


den Ausdruck &Xoyuel; würde dann also gerade die Zusammen- 


gehörigkeit der einzelnen Bestandteile im Gegensatz zu ihrer 
Trennung in der ersten und zu ihrer unpassenden Vereinigung 
in der zweiten Periode hervorgehoben werden. Ob jedoch der 
Gleichklang dieses öAopueis mit dem oüAoyuelg des Fragments 
unbeabsichtigt ist oder vielleicht auf einem Mißverständnis 
des Fragments beruht, läßt sich nicht entscheiden. 

Dagegen bestelıt der Widerspruch zwischen dem doxo- 
graphischen Bericht und dem Fragment zweifellos insofern 
noch immer weiter fort, als sich die Entstehung der „formlosen 
Erdklumpen“ in die vier Perioden nach der im früheren dar- 
gelegten Auffassung überhaupt nicht mehr einfügen läßt. 


Nun ist aber in dem Fragment von einer „ersten“ Entstehung 


die Rede, es wird außerdem die physikalische Konstitution 
dieser Erdklumpen, nämlich ihre Mischung aus Erde, Feuer 
und Wasser, und eine mechanische Ursache ibrer Absonderung 
angegeben, nämlich der Drang des Feuers, das zum Aehn- 
lichen strebt°®) und dabei jene Klumpen, in denen es einge- 


>>) Die Annahme v. Arnims (n.a.O. S. 24), daß mit den oüAoyustg 
z5ro« der menschliche Rumpf gemeint sei, würde zwar auch jede Dis- 
kontinuität des Schböpfungsplanes beseitigen, jedoch einerseits eine 
„Verkehrtheit* in der Kurve der Entwicklung bedeuten, sofern der 
Rumpf gerade als ein undifferenziertes Ganzes doch nicht gut epüter 
entstanden sein kann als so hoch entwickelte Organe wie etwa die 
Augen, andrerseits zu der Tatsache in Widerspruch stehen, daß mensch- 
liche Rümpfe zweifellos schon in der zweiten Periode entstanden sein 
mußten, wenn sie sich mit Ochsenköpfen vereinigten. 

5, Folgerichtig müßte man daher mit Dümmler (Akadem. S. 218 f.) 
schließen, daß die Periode, in der diese Anthropogonie stattfindet, unter 
der Herrschaft des allmählich zur Macht gelangenden Hasses steht, da 
sich aus dem Streben des Feuers nach dem „Aehnlichen“ zu ergeben 
scheint, daß dıe vollkommene Sonderung der Elemente den Zielpunkt 
der Entwicklung bildet. Aber bei der Zweideutigkeit, welche die ganze 
Empedokleische Kosmologie durchzieht, kann unter diesem „Aehnlichen“ 
einerseits zwar wiederum Feuer, andrerseits aber auch ein Stoff gemeint 
sein, der dem Feuer durch die „Symmetrie“ seiner Poren die Ver- 
mischung gestattet. Es ist daher nicht unbedingt erforderlich, die 
Stelle so zu verstehen, als ob der Haß das unterirdische Feuer aus 
einer Mischung herauslösen und mit dem reinen Feuer vereinigen 
wollte. Das Feuer kann vielmelir auch durch die Tätigkeit der Liebe 
zu einem aflinen Stoff emporgeführt werden. Ein bündiger Beweis 
dafür, daß die beschriebene Anthropogonie in der vetxog-Periode statt- 
finde, läßt sich also auf diesem Wege nicht erbringen. Dagegen ist 
die Angabe (Aöt. v. 27,1 [D. 21 A 77]) zu beachten, daß sich die jetzigen 

15* 


224 G. Kafka, 


schlossen ist, emporschleudert. Es kann sich daher jene An- 
gabe nur auf die erste Entstehung organischen Materials über- 
haupt beziehen, ynd die feierliche Einleitung spricht dafür, 
daß Empedokles an dieser Stelle die Darstellung seiner Ent- 
wicklungsgeschichte begonnen hat. Daß den Erdklumpen 
menschliche Gestalt und Stimme abgesprochen wird, besagt. 
nicht, daß sich die Erdklumpen nun unmittelbar zu vollstän- 
digen Organismen. differenzieren müssen; es wird damit nur 
auf die bedeutsame Tatsache hingewiesen, die Empedokles ge- 
rade in der Einleitung seiner Entwicklungslehre besonders 
hervorheben mochte, daß die differenzierten Organismen nicht 
ursprünglich aus differenzierten Organismen hervorgegangen 
sind; mit dieser bloßen Negation ist aber keineswegs bereits 
ausgesprochen, was man bisher immer in das Fragment hin- 
eingelegt hat, daß nämlich diese Erdklumpen selbst später 
menschliche Gestalt und Stimme erhalten, also sich zu voll- 
kommenen Organismen differenzieren würden. Die ärgste Un- 
wahrscheinlichkeit der Empedokleischen Entwicklungslehre, 
auf die bereits Aristoteles 5”) hinweist, daß nämlich durch zu- 
füllige Mischungen der Elemente sofort so hoch differenzierte 
Organe wie Köpfe, Arıme und Augen entstehen sollten, wird 
vielmehr gemildert, wenn wir annehmen, daß der Entwicklung 
dieser einzelnen, hoch differenzierten Organe eine Zeit voraus- 
ging, in der zwar schon die Elemente in dem für die einzelnen 


Menschen zu den früheren ihrer Körpergröße nach wie Kinder (oder 
gar Embryonen, ßpspr) zu Erwachsenen verhalten. Dena wenn diese 
Tatsache darauf zurückgeführt wird, daß ihr Körper in seiner Mischung 
weniger Wasser und Feuer enthalte, so liegt darin eingeschlossen, daß 
sich das reine kosmische Wasser und Feuer un. den gleichen Betrag 
vermehrt haben muß. Die Gröfie der damaligen Menschen entspricht 
ferner der Größe des damaligen Tages (s. S. 211), woraus ebenfalls zu 
f»lgen scheint, daß die gegenwärtige Periode unter der Herrschaft des 
Streites steht. Aber der widerspruchsvolle Charakter der ganzen Empe- 
dokleischen Kosmologie läßt schon die absichtliche Gegenüberstellung 
zweier gegensinniger Entwicklungsperioden sehr zweifelhaft erscheinen, 
geschweige denn, daß er dem Versuche Bignones (a. a.0.) eine hin- 
reichende Grundlage böte, mit der Verschiedenheit beider Entwicklungs- 
perioden eine Verschiedenheit der in ihnen wirksamen Entwicklungs- 
prinzipien in Verbindung zu bringen. In der Periode der gıXi« sollen 
nämlich nach B. die einzelnen Glieder, in der Periode des veixoc da- 
gegen die rohgeballten Erdklumpen den Ausgangspunkt der Entwick- 
lung bilden, — eine Annahme, die sich trotz des aufgewendeten Scharf- 
sinnes weder zulänglich begründen läßt, noch eine vollständige Auf- 
klärung der verschiedenen Entwicklungsstadien gestattet. 
#") De caelo IT. 2. 390% 25. 


Zur Physik des Empedokles. 225 


Organe erforderlichen Mischungsverhältnis zu Klumpen zu- 
sammengeballt waren, aber noch der feineren Differenzierung 
entbehrten. Bei dem Doxographen allerdings ist diese Vor- 
periode nicht nachzuweisen. Ihre Annahme schließt aber 
nicht nur keinen direkten Widerspruch mit dem Bericht ein, 
sondern scheint vielmehr die einzige Möglichkeit zu bieten, unı 
den sonst unvermeidlichen Widerspruch zwischen Bericht und 
Fragment zu beseitigen. Die Entwicklungsgeschichte verliefe 
demnach in folgenden 5 Stadien: 

1. Entstehung undifferenzierter, aber dem Mischungsverhält- 
nis nach bereits „organischer“ Materie (cüAcyuelig türc:) 
durch Urzeugung. 

2. Entstehung isolierter Organe (psvvopeAfj yvix) durch Dif- 
ferenzierung der undifferenzierten organischen Materie. 

3. Entstehung unzusammengehöriger durch Zusammen- 
Organkombinationen (eiöwAopaveiz) | schlug isolierter, 

4. Entstehung zusammengehöriger | aber schon diffe- 
Organkombinationen (öAoyYuelg yev&ceis)” renzierter Organe. 

5. Fortpflanzung des Typus 4 durch geschlechtliche Zeugung. 

Ob Empedokles seine Entwicklungslehre auch auf die 
pflanzlichen Organismen ausgedehnt hat, läßt sich schwer ent- 
scheiden. Der Doxograph äußert sich zwar in diesem Sinn 
und ein I'ragment, dessen Beziehung allerdings nicht ganz 
eindeutig ist, scheint die Pflanzen ebenfalls durch eine Ver- 
einigung zerstreuter Organe entstehen zu lassen ®). Aber 
schon Aristoteles 5°) hält sich darüber auf, daß Empedokles 
über die Anwendung seines Entwicklungsprinzips auf die 
Pflanzen keine Klarheit geschaffen habe, und es ist an sich 
ziemlich wahrscheinlich, daß Empedokles in der Entstehung 
pflanzlicher Organismen bei weitem kein so schwieriges Pro- 
blem wie in der Entwicklung tierischer Lebewesen gesehen 
hat. Zunächst nämlich zeigt die Pflanze nicht die gleiche 
Mannigfaltigkeit noch die durchgehende korrelative Abhängig- 
keit der einzelnen spezifisch funktionierenden Organe wie der 
tierische Organisnıus, der durch den Verlust eines einzigen 
Körperteils meist eine dauernde Schädigung erleidet, Die 
Frage nach der Entstehung einer so wunderbaren Koordination 

®) Simpl. Phys. 1124,9 (D, 21B 20). 


226 G. Kafka, 


der Organe, wie sie der Tierkörper aufweist, drängt sich da- 
her bei den Pflanzen nicht mit dem gleichen Nachdruck auf. 

Neben der „Organisation“ organischer Wesen wollte aber 
die Empedokleische Entwicklungstheorie noch eine: andere 
Tatsache erklären, die auch der heutigen Naturwissenschaft 
als ein „logisches Postulat“ erscheint, nämlich die Entstehung 
des Organischen aus dem Anorganischen. Die geschlechtliche 
Fortpflanzung als Resultat einer Vermischung zweier spezifisch 
verschiedener Sexualprodukte, die von getrenntgeschlechtlichen 
Wesen ausgeschieden werden, mußte bereits einer oberfläch- 
lichen Betrachtung als ein so komplizierter Vorgang erscheinen, 
daß er unmöglich schon an den Beginn der Entwicklungs- 
reihe der Organismen verlegt werden konnte. Aber auch dieses 
Problem mußte bei den Pflanzen in den Hintergrund treten. 
Die Sexunlität der Pflanzen war ja, wenn wir von gewissen 
unklaren Ahnungen und äußerlichen Metaphern, wie z.B. bei 
Theophrast®®) absehen, dem ganzen Altertum ihrem wahren 
Wesen nach unbekannt 8°). Empedokles nalım vielmehr an), 
daß die Pflanzen zu einer Zeit entstanden seien, als sich noch 
nicht einmal die Sonne gebildet hatte, und sie scheinen nach 
seiner Beschreibung im Lauf der Zeit durchaus keinen Fort- 
schritt in ihrer Entwicklung durchgemacht zu haben. Sie 
wachsen nämlich aus der Erde, indem sie durch das in deren 
Innerem enthaltene Feuer emporgehoben werden ®%), also ganz 
wie die „ungeformten Erdklöße*, aus denen sich allmählich 
die organischen Wesen entwickeln, und sie erhalten sich, in- 
dem sie ihre Nahrung aus der Erde aufnehmen wie der Em- 
hryo aus dem Mutterleib und indem sie das erforderliche 
Wasserquantum „unmerklich“* aus der Umgebung aufsaugen. 
Auch die Früchte sind bloß Ausscheidungen des in den Pflanzen 
enthaltenen Wassers und Feuers, so daß Empedokles den Ent- 
wicklungsprozeß der Pflanzen überhaupt nicht für einen spe- 
zifisch organischen Prozeß zu halten, sondern ihn aus lauter 


n 2 So z. B. bezüglich der Dattelpalme Hist. Plant. I. 13,5; 11.6,5; 
. 18.1. 

*, Ja sogar noch zum Teil der Neuzeit; denn ihre experimentelle 
Feststellung erfolgte erst am Ende des 17. Judts. durch Camerarius. 

eı), Ast. n.a.0O. V. 26,4; Plut. Quaest. conv. VI. 22,6 (D. 21 A 70); 
[Aristot.] De plant. 815a 15, b 16, 817a 1,b 8. 

02) S.roöyevax mit Diels statt des unpassenden &:x1poDnsvx. 


Zur Physik des Eınpedokles. 927 


anorganischen Gliedern zusammenzusetzen scheint. Dawider 
spricht durchaus nicht, daß er den Pflanzen überhaupt Sexuali- 
tät zugeschrieben haben soll, denn diese Voraussetzung mochte 
er zur Erklärung der Fruchtbildung zu benötigen glauben. 
Zweifelloes mußte ibm ja die äußere Aehnlichkeit zwischen 
dem Fortpflanzungsprozeß bei tierischen und bei pflanzlichen 
Organismen aufgefallen sein, die ja eben zu der durchaus un- 
gerechtfertigten Bezeichnung der tierischen Geschlechtsprodukte 
als „Samen“ geführt hatte. Ja wenn wir dem Aristoteles glauben 
dürfen, war Empedokles bereits zu der wichtigen Einsicht vor- 
gedrungen, daß der pflanzliche Samen nicht den Geschlechts- 
produkten, sondern den Embryonen der tierischen Organismen 
entspricht®°), wie er sich denn überhaupt mit der Aufsuchung 
von pflanzlichen und tierischen Homologien beschäftigt zu 
haben scheint‘). Aber da zu der damaligen Zeit noch alle 
Tatsachen unbekannt waren, auf denen die Kenntnis der pflanz- 
lichen Sexualverhältnisse beruht, so erscheint die Annahme 
einer Sexualität der Pflanzen bei Empedokles noch als eine 
durchaus aprioristische Fiktion, die vermutlich auf einem glei- 
chen Anthropomorphismus beruht, wie der Versuch, ilınen Be- 
wußtsein und sogar Vernunft beizulegen. Daß Empedokles 
die Entwicklung der Pflanzen nicht auf einen typischen Be- 
frachtungsakt zurückführt, ergibt sich auch daraus, daß die 
Sexualität, die er ihnen zusclrreibt, eine doppeltgeschlechtige 
ist, natürlich nicht im exakten Sinn der modernen Botanik, 
sondern einer durchaus unklar gedachten Verschmelzung eines 
männlichen und eines weiblichen Prinzips, die als solche die 
Möglichkeit einer Fortpflanzung olue Voraussetzung eines 
Befruchtungsaktes erklären sollte War ja doch auch die 
Doppeltgeschlechtigkeit der tierischen Organismen in der zwei- 
ten Periode noch ein Zeichen ihrer mangelhaften Entwicklung, 
durch die sie sogar an einer gegenseitigen Befruchtung ver- 
hindert waren. Wir dürfen daher annehmen, daß Empedokles 


63) Aristot. De gen. an. 1. 23. 731a 1. 

“, Nach Aristot. Meteor IV. 9. 587 b 4 weist er ausdrücklich auf 
die Homologie von Huaren, Blättern, Schuppen und Federn hin, was 
nur für die Blätter nicht zutrifft, die überhaupt keine histologischen 
Einheiten darstellen, während die vergleichende Anatomie tatsächlich 
Schuppen, Haare und Federn zu der Gruppe der einer einzigen Kutis- 
papille aufsitzenden epidermoidalen Skelettstücke zusammıenfaßt. 


228 G. Kafka, 


von einem „Zeugungsprozeß“ der Pflanzen nur in metaphori- 
schem Sinn gesprochen, ihn jedoch für keinen spezifisch organi- 
schen Prozeß gehalten und darum in seiner Entwicklungs- 
theorie gar nicht berücksichtigt hat. 

Wie sehr er sich dagegen unı das Verständnis des tieri- 
schen Zeugungsvorganges bemüht zu haben scheint, ergibt 
sich aus seinem Versuch, die Vererbung der väterlichen und 
der mütterlichen Eigenschaften zu erklären, die er, wie Ari- 
stoteles berichtet, allerdings wiederum nicht tberall konse- 
quent, nicht auf eine Evolution des in dem männlichen oder 
dem weiblichen Samen präformierten Keims, sondern auf eine 
Mischung zweier gleichwertiger Geschlechtsprodukte zurück- 
führt, von denen keines das künftige Individuum bereits vor- 
gebildet enthalte, die vielmehr wie die beiden Hälften eines 
sbuBorov, einer tessera hospitalis, zusammengefügt werden 
müßten®). Auch für die Geschlechtsbestimmung des Embryos 
hat er Regeln aufgestellt, und zwar soll die Wärme der Ge- 
bärmutter (oder des weiblichen Samens) die Entwicklung 
männlicher, ihre Kälte dagegen die Entwicklung weiblicher 
Individuen zur Folge haben). Die Schwankungsbreite der 
menschlichen Schwangerschaftsperiode soll Empedokles, wie 
bereits erwähnt ??) ®), ebenfalls gekannt und in eigentümlicher 
Weise mit seinem kosmologischen System verwoben haben, ferner 
soll er sich mit Untersuchungen über die Entwicklung derEmbryo- 
nen beschäftigt und z. B. gelehrt haben, daß die im Nabelstrang 
vereinigten Blutgefälse in die Leber des Embryos einmünden 87), 


65) Aristot. De gen. un. I. 18. 722b 10. Die Sterilität der Maul- 
tiere leitet er dagegen offenbar daraus ab, daß das Verschmelzungs- 
produkt des männlichen und des weiblichen Samens seine Bildsanıkeit 
verliert, wenn durch das Eindringen des einen Stoffes in die Poren des 
anderen ein Hartgebilde entsteht, wie Bronze aus der Legierung von 
Kupfer und Zinn (s. Anm. 11). 

°°) Arist. De gen. an. I. 17. 723a 23, IV 764a 1; Galen. Ad Hip- 
pocr. Epid. VI 43; Censorin. De die nat. 5,4; 6,6 (D. 21 B 65, 67; 
A 81). Vielleicht rührt deshall die Angabe des Aristoteles und Censo- 
rinus, daß Empedokles der rechten und der linken Seite der Gebär- 
mutter dieselbe Bedeutung für die Geschlechtsbestimmung zuschreibe 
wie Parmenides, nur daher, daß die alten Mediziner die rechte Seite 
der Gebärinutter für die wärmere zu halten scheinen. Die Angabe des 
Censorinus, daß das Geschlecht außerdein noch von dem Temperatur- 
verhältnis der beiden Geschlechtsprodukte abhänge, würde jedenfalls 
eine Ueberbestimmung bedeuten. 

*“) Soramus, Gynuccol. I, 87 (D.21 A 79). 


Zur Physik des Empedokles. 229 


daß die Differenzierung der Organe mit dem Herzen beginne ®) 
und sich in der Zeit zwischen dem 86. und 44. oder 49. Tage 
nach der Empfängnis vollende und daß sich die Entwieklung 
der männlichen Embryonen rascher vollziehe als die der weib- 
lichen ®). Die Ueberlieferung führt sogar den noch in der 
heutigen Anatomie gebräuchlichen Namen Amnion (Schafhaut) 
für die innere Embryonalhülle auf Empedokles zurtck?°). Der 
Embryo atmet nicht, wie Enpedokles, vielleicht im Gegensatz 
zu gewissen Pythagoräischen Theorien, die eine Ernährung des 
Embryos im Mutterleib behaupteten, ausdrücklich feststellt?!), 
es läßt sich aber nicht entscheiden, ob seine Erklärung des 
ersten Atemzuges der „ersten“, also wohl der erdgeborenen 
tierischen Wesen auch noch für die Neugeborenen der gegen- 
wärtigen Periode gelten soll, daß nämlich die Luft in die 
durch das Austrocknen des Körpers teilweise geleerten Ge- 
fäße eindringe, durch die Gegenwirkung der inneren Wärme 
aber wieder ausgestoßen werde. Den Atemprozeß des aus- 
gebildeten Menschen dagegen erklärt er durch einen sinnreichen 
Vergleich mit Experimenten, in denen der Luftdruck das Ein- 
dringen einer Flüssigkeit in ein Gefäß oder deren Ausströmen 
verhindert 2). Wie nämlich durch den durchbrochenen Boden 
eines Gefäßes (xAEduöp«) die Flüssigkeit, in die es getaucht 
ist, erst dann einzudringen vermag, wenn die das Gefäß er- 
füllende Luft entweicht, und wie umgekehrt erst die durch 
den geöffneten Hals des Gefäßes eindringende Luft das Wasser 
verdrängt, das aus dem Gefäß trotz seines durchbrochenen 
Bodens so lange nicht ausgeronnen war, als man den Hals 
verschlossen gehalten hatte, so vermag die umgebende Luft 
nur dann in die Gefäße des Körpers einzudringen, wenn sich 
das Blut aus ihnen — wie wir wohl ergänzen dürfen — in 
das Herz zurückzieht, während der Rückstoß des Blutes auch 
die Luft wieder aus dem Körper verdrängt. 
München. Gustav Kafka. 


) Gensorin. De die nat, 6,1 (D. 21A 84). 
5 2) nn. a.2.0. V 21,1; Oribasios IlI 78,13 ed. Daremb.-Bussem. 
(D. 21 ). 
?0) Rufus Ephes. De u part. hom. 229 (D. 21 B 70). 

1) Aöt..a,a.O. V. 15, 8 De ra 425,23). Vgl. V. 16,3 
D. 14A 17) und IV. 22, 1 bi 

?2) Aristot. De rep. 473 


230 | F. Muller, 


VII. 
Zur Geschichte der römischen Satire. 


Zu diesem viel besprochenen Problem von neuem da. 
Wort zu ergreifen, mag manchem verwegen erscheinen. Wenr 
es dennoch in den folgenden Seiten versucht werden soll, sc 
kann das nur dadurch gerechtfertigt werden, daß es vielleicht 
durch Heranziehung mehrerer Daten gelingen wird, eben im 
einem größeren Zusammenhang den historischen Werdegang 
näher zu betrachten, als bisher möglich war. Sprachliche und 
religionsgeschichtliche Kriterien sollen dabei mehr, als früher 
der Fall war, ihre Stimme abgeben. 

Es wird daher geboten sein, die verschiedenen. Seiten 
dieser Frage gesondert ‘zu betrachten. Da werden also zur 
Sprache kommen: 

I. (5. 233—242) der Name satura. 

Il. (S. 242—263) die von den Römern selbst mit diesem 
Namen verbundenen Betrachtungen. 

IIL (S. 264—280) Falls sich aus den vorigen Punkten 
ein Fingerzeig gewinnen läßt, in welcher Richtung die Lösung 
der Frage zu suchen sein wird, hat die Untersuchung dort 
einzusetzen, um sich zu vergegenwärtigen, ob etwa andere 
Indizien oder allgemeine Erwägungen eine derartige Entschei- 
dung nalıelegen. 

Bevor wir aber weitergehen, empfiehlt es sich, in chrono- 
logischer Reihenfolge über die umfangreiche Literatur, die in 
letzter Zeit dieser Frage gewidmet wurde, Umschau zu halten. 

Ausgangspunkt ist naclı wie vor das bekannte Livius- 
kapitel VII, 2, womit zusammenzunehmen ist Valerius Mazi- 
mus II, 4, 4, und Horaz, Epist. II, 1, 139—155. 

Die Testimonia über die römische Satira findet man be- 
kanntlich am bequemsten zusammengestellt bei Marx Lucilius I 
S. CXX— CXXV (hier bezeichnet als „Marx*). Auf die ärmlichen 
Daten hat sich eben wegen der Wichtigkeit des Themas schon 
eine große Zahl angesehener Forscher in angestrengter Arbeit 
konzentriert, um ihnen neue Gesichtspunkte abzugewinnen. 


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u. 


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u Te r ur 


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Zur Geschichte der römischen Satire. 31 


Auch Andere werden es daher vermutlich begrüßen, wenn 
ich bier in aller Kürze über die bisherige Literatur, aber nur 
in ihren Hauptvertretern, referiere. 

1. F. Leo, Varro und die Satire, Hermes 24 (1889), 
67—84: die Betrachtung des Horaz geht auf Varro, dieser 
wieder auf peripatetische Quellen zurück; das gleiche gilt von 
Livius VII, 2. 

2. G. Hendrickson, The dramatic Satura and the old 
Comedy at Rome, Am. Journ. of Phil. 15 (1894), 1—30: be- 
tont die Uebereinstimmung zwischen Livius und Horaz und 
führt weiter aus, wie der Zusammenhang mit der „arclaea 
comoedia* durch das övonaot! zwuwöelv auf griechischer Theorie 
fuße; hält Accius (s. ib. S. 30 Anm.) für den möglichen 
Vermittler. 

3. G. Hendrickson, A pre-varronian chapter of roman 


_literary history, Am. Journ. of Phil. 19 (1898) 285—311), 


anterscheidet und scheidet nun die beiden Berichte bei Livius 
und Horaz: Horaz folge noch der falschen Chronologie über 
das Leben des Livius Andronicus (s. Cic. Brut. $ 72), die auf 
Accius zurückgeht, und die von Varro verbessert wurde. Diesen 
Fehler sucht man bei Livius vergeblich. 

4. F. Leo, Livius und Horaz, Hermes 39 (1904), 63—77: 
gibt zu, daß Accius Quelle des Horaz war, der also „vor- 
varronisch ist“; aber auch Livius ist nicht-varronisch, weil die 
Aehnlichkeit zwischen beiden allzu groß ist. Livius kannte 
aber Varros Korrektur bereits, hat aber VII, 2 die Sache vor- 
sätzlich unentschieden gelassen. 

5. G. Hendrickson, Satura, the genesis of a literary form 
Class. Phil. VI (1911), 129ff.: der Name satura kommt erst 
spät vor, zum ersten Male in Horaz Sat. II, 1,1, 35 v. Chr. 
Vor dieser Zeit hat man für „Satire“ verschiedene andere 
Namen verwendet. Bespricht die Bedeutung von safura und 
per saluram. 

6. Ingersoll, Roman Satire: its early name, Class. Phil. 
VII (1912), 59: der älteste Name war schedium. 

7. R. Henning, Webb, On the origine of roman Satire, 
Class. Phil. VII (1912), 177: bestreitet Hendrickson; der 


Name safura sei alt und ursprünglich, nicht per saturam ist 


er oa! NEN, later by abbrevis 
ir = > To ET. ES much of meines as Livy °" * 
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Zar Geschirute der römischen Satire. 29353 


rest durch eindringende Analyse nach, daß L. und H. ver- 
xsedene Teile einer einheitlichen antiquarischen Quelle, die 
ech mit der Geschichte des Schauspielerstandcs befaßte, 
‚zırbetet haben: diese Quelle habe im allgemeinen wertvolles 
Mterial verständig benützt. 

14. 6.A. Gerhard, Satura und Satyroi, Philol. 75 (191%), 
4-74: die für die moderne Zeit gewöhnliche Bedenturg 
rm Satire als satirisches, schalkhaftes, spottendes Gedicht, 
U die Vermischung von lat. satura und gr. oatyy.ni ist 
"x ‚etwa bei Beginn der christlichen Aera“ eine Tatsiz 


Der Name sutura !). 

| Die Römer und die Neueren schließen sich au«nar.u.2.2 
# Erklärung an, die aus der Zeit Varros rtamm!, zei 
 rlcher die Satire nach ihrem gemischten Inhalt benaunt »-, 
‘ik Richtig erklärt nur Marx °), daß offensar de Kin 
:ibst über diesen Namen nichts Genaueres wukwn. Ir %»-- 
er gehörigen Stellen muß ich ausschreiben. wel der zunıe 
Wortlaut hier wichtig ist: 

Bei Diomedes (Keil 1, 485) steht: olım cumen yuA er 
as poematibus constabat satura vocabatur, quale ar pre 
'rorins et Ennius. Satura autem dieta (a, are a woer 
wer ist doch wohl, trotz Porfyrio, S. 270 W. Mare. ir: 
ment), quo similiter in hoc carmin« rulrulns 123 pırrs- 
me dieunlur, quae velut a saturis (Satyrı3?) protest 4 
t; (b) sive satura a lance, quae referta varıas wrn’ ug 

| mis in sacro apud priscos dis inferdnur La vn @ 
' #hmlate rer satura vocabatur ....; (6) sır« a gerizan warte 

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| 4 Fürdie Schreibung sutura — salyra — usıra 77 Mer inei- 
318. [X und neuerdings G. A. Gerhard, Natnra man ei)’, an ey 

. 39) 47-74: satura wird durch Porfyrin a4 zen 3.3: na 

tell, salira ist itacistische Schreivweise für zatyıs. Gr u um rd 
‘Vermischung mit dem Griechischen 5477, Srryri, wrne Fate vag 

“dankt (Gerbard a. a. 0.). 

% Lucilios I 8. X. 

Daß hier wirklich eine Art Wi ° n Hoiland sur gear gm“ 

wieder aus Varro hervor. 1 prrd fartume dr C, 

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992 F. Muller, 


der Ausgangspunkt: „„fubula satura*, later by abbreviation 
„satura® = „a full play“, not so much of metres as Livy has 
it, but rather perhaps of various subjects and scenes“ (S. 187.) 

8. A. Leslie Wheeler, Satura as a generic term, Class. 
Phil. VII (1912), 457: die Dichter der Römer haben sich in 
ihren Aeußerungen über ihre Kunst immer sehr unbestiminter 
Namen bedient; das beweist also gar nicht, wie Hendrickson 
es vorstellt, daß der Name safura für Satire erst zwischen 
40—830 v. Chr. aufkam; schon Ennius und Lucilius kannten 
den Namen satura. 

9. Ch. Knapp, The sceptical assault on the roman tradi- 
tion concerning the Dramatic. Satura (= Liv. VII, 2), Am. 
Journ. of Phil. 33 (1912), 125—149: bestreitet ausführlich 
die Skepsis von Leo und Hendrickson und verteidigt den Inhalt 
von Livius VII, 2 als autochthon. 

10. B. L. Ullmann, Satura and Satire. Class. Phil. VIII 
(1913), 172: bespricht den Namen sutura, den er als ntr. 
plur. von satur deutet. 

11. B. L. Ullmann, Dramatic Satura. Class. Phil. IX 
(1914), 1—23: bespricht ausführlich Liv. VII, 2, betont die 
Absicht des Autors, seine Theorien mit etymologischen Nach- 
weisen zu stützen, und hält fest an dem Inhalt dieses Livius- 
kapitels; die dramatische satura und die Satire des Ennius 
und Lucilius hätten nichts miteinander gemein als den Namen, 
nichts mehr als heute „a vaudeville sketch“ und „a bio- 
graphical sketch“. Nimmt aber zu gleicher Zeit auch Ein- 
fluß aristotelischer Wissenschaft an. 

12. O. Weinreich, Zur römischen Satire: Herm. 51 (1916), 
386, zeigt, daß Leo [oben Nr. 4] Hendrickson gegenüber allzu 
folgsam gewesen ist, denn Livius und Horaz haben durchaus 
verschiedenen Inhalt. Wenn nun Horaz auf Accius zurück- 
geht, Livius einer anderen Quelle folgt, hindert nichts wieder 
anzunehmen, daß in Livius varronische Forschung auf uns ge- 
kommen ist. Die Komposition von Livius VII, 2 zeigt deut- 
lich, daß Livius dessen Inhalt als Einlage in das annalistische 
Gefüge eingeschaltet hat. 

13. R. Reitzenstein, Livius und Horaz über die Entwicklung 
des römischen Schauspiels, Gött. Gel. Nachr. 1918, 233—258: 


m ee rn in 


Zur Geschichte der römischen Satire. 233 


weist durch eindringende Analyse nach, daß L. und H. ver- 
schiedene Teile einer einheitlichen antiquarischen Quelle, die 
sich mit der Geschichte des Schauspielerstandcs befaßte, 
verarbeitet haben; diese Quelle habe im allgemeinen wertvolles 
Material verständig benützt. 

14. G. A. Gerbard, Satura und Satyroi, Philol. 75 (1919), 
2417—274: die für die moderne Zeit gewöhnliche Bedeutung 
ron Satire als satirisches, schalkhaftes, spottendes Gedicht, 
d. h. die Vermischung von lat. satura und gr. oatupıxdv ist 
erst „etwa bei Beginn der christlichen Aera“ eine Tatsache 
geworden. 


Der Name sutura !). 

Die Römer und die Neueren schließen sich ausnalımslos 
der Erklärung an, die aus der Zeit Varros stammt, nach 
welcher die Satire nach ihrem gemischten Inhalt benannt sein 
sollte. Richtig erklärt nur Marx ®), daß offenbar die Römer 
selbst über diesen Namen nichts Genaueres wußten. Die hier- 
her gehörigen Stellen muß ich ausschreiben, weil der genaue 
Wortlaut hier wichtig ist: 

Bei Diomedes (Keil I, 485) steht: olim carmen quod ex 
tarıs poematibus constabat satura vocabatur, quale scripserunt 
Pacurius et Ennius. Satura autem diela (a) sive a saturis 
(hier ist doch wohl, trotz Porfyrio, S. 270 W. Mever, Satyris 
gemeint), guod similiter in hoc carmine ridiculoe res puden- 
neque dieuntur, quae velut a saturis (Satyris?) proferuntur et 
funt; (b) sive satura a lance, quae referta variis multisque 
Primilüs in sacro apud priscos dis inferebatur ct a copia et 
saturdlate rei satura vocabatur ....; (€) sive a quodam genere 
frciminis 2), quod multis rebus refertum saturam dieit Varro 
9) Für die Schreibung saltura — satyra — salira vgl. Marx Luci- 
ins]8.1X und neuerdings G. A. Gerhard, Satura und Satyroi Phil. 75 


(1919) 47—74: satura wird durch Porfyrio (ad Serm. I, 1,1) sicher- 
gestellt, satira ist itacistische Schreibweise für satyra, das selbst erst 


er Vermischung mit dem Griechischen o&tur0., Satyri, seine Entstehung 
verdankt (Gerhard a.a.O.). 
?) Lucilius I S. X. 
., °) Daß bier wirklich eine Art Wurst (in Holland rol-pens) gemeint 
'st, geht wieder aus Varro hervor, L. [,. V. 111: quod fartum intestinum ( e> 
rassundiie, Lucanlieyam dicunt, quod milites a Lucanis didicerint, 


934 F. Muller, 


vocıtatam. Est autem hoc »positum in secundo libro Plauti- 
narım quaestionum: „Satura est ura passa et polenta ct 
nuclei 'pini ex mulso consparsi. ad haec alii addunt et de malo 
Punico grana*; (d) alii autem diectam putant a lege salurä 
quae uno rogatu mulla simul comprehendat quod scilicet et 
saturä carmine multa simul poemata comprehenduntur.“ Die 
zweite Erklärung (b) verbindet Isidorus (Orig. V, 16) mit der 
vierten (d), indem er erklärt: satura vero lex, quae de pluri- 
bus simul rebus eloquitur, dicla a copia rerum et quasi 
a saturitatc, vgl. VIII, 7,7, wo der Sachverhalt noch mehr 
verwischt ist. 

Nur zwei Zeugnisse sind noch der Erwähnung wert: Ps. 
Acro (ed. Keller) II, p. 2: plerique satyram a lance, quar 
plena diversis frugibus templo Cereris tinfertur, nomen 
accepisse dicunt und Commentun Cornuti ad Pers. p. VID 
(s. Marx Testim. VID: dicitur autem satıra a lance deorum. 

Ueberblickt man diese Erklärungen, so wird man kein Be- 
denken tragen, genau so wie bei der Editionstechnik der lectio 
difficilior, so a priori der Erklärung als eine lan deorum, deren 
Entstehung nicht handgreiflich ist, den Vorzug zu geben vor 
der konstruierten, offenbar volksetymologischen oder nur ätio- 
logischen Deutung satura cv salur. Ich verweise dafür auf 
Lucr. V, 1390: haec animos ollis mulcebant atque tuvabant 
cum satiate cibi, Tib. ID, 1,51: agricola adsiduo primum 
satiatus aratro | cantavit certo rustica verba pede || et 
satur arenti primum est modulatus avena | carmen, ut ornalos 
diceret ante deos; Pers. 1, 30 ecce inter pocula quaerunt | 
Romulidae saturi, quwd dia poemata narrent, .wo sat: 
neben ?nter pocula nicht mit cebrii identisch ist, wie schon 
v. ol: non si qua elegidia crudi diclarunt proceres zeigt *). 


ut quod Faleriis Faliscum ventrem...; abeudem fartura farcimina 
<ezx, nicht in ist offenbar einzusetzen!) extis appellata. Dieser „rol- 
pens“ kam also aus der Etrusko-latinischen Stadt Falerii, 
wie auch Martial aus IV, 46,8: et Lucanica ventre cum Falisco. 
Wir wollen uns dies vorläufig merken. Vgl. dazu noch Paul. 449 L.: 
serutillus benter suillus condita farte expletus. 

+) Sutur = madidus, ebrius komnit überhaupt im Lateinischen nicht 
vor; d. satt ist nur in bestimmten Verbindungen in der Richtung von 
„trunken* weitergeschritten, erst ndl. zat ist in der heutigen Volks- 
sprache der stärkere Ausdruck für „trunken“, wird nun aber in der 
Bedeutung „der sich satt gegessen hat“ nicht mehr verwendet. 


EEE ei — EEE EEE EEE EEE EEE EEE EEE 


Zur Geschichte der römischen Satire. 35 


Man sieht es diesen letzten Versuchen deutlich an, daß 
sie auch für die Römer nicht gelungen sind: offenbar suchen 
sie unter dem Einfluß des griechischen Satyrdramas Anschluß 
an die von den fecundi calices ausströmende Redelust, sie wer- 
den aber durch die Muttersprache wieder von Liber zu Ceres 
hinübergewiesen und pressen nun beides in eins zusammen, um 
dann mit Tibull auch noch das fustidium laboris zu Hilfe zu 
rufen. Neip, diese Deutung beweist nur eines ganz unwider- 
sprechlich: die Römer selbst haben in ihrer eigenen Sprache 
die Mittel nicht gefunden, um salura mit satur zu verbinden. 

Bleibt also nur die Auffassung: satura vv „lanz deorun“. 
Wie legt man sich bier die Sache zurecht? Die einen gehen 
von satura im Nominativ aus. Ich greife einiges heraus, da- 
mit man die Schwäche der Beweisführung selbst erkenne. 
A. Dieterich läßt sich so vernehmen°): „Satura heißt die 
Warst, ein Name für die Posse, der durch die Bezeichnungen 
des Possenreißers bei andern Völkern, Hans Wurst und Pickel- 
bäring, auch Pumpernickel bei uns, Jean Potage bei den 
Franzosen und Jack Pudding bei den Engländern, Maccaroni 
und Finocchio oder Carciofi bei den Italienern und ähnliches 
obne weiteres erklärlich wird. Es ist ziemlich genau die 
italienische farsa®). Das Alter der sprachlich zugehörigen 
Worte satur (Arvallied), saturare, satis, satielas verbürgt 
hinlänglich, daß wir es nicht mit Lehnworten zu tun haben.“ 

Doch im Allgemeinen ist man der Frage aus dem Wege 
segangen. Für Leo in den oben (S. 231) genannten Aufsätzen 
scheint sie nicht zu bestehen, Lejay, der in seiner tief bohren- 
den Einleitung fast jedem Problem auf den Grund geht‘), 
gibt sich hier zufrieden bei der Erwägung: „le mot (satura) 
ne peut avoir quun sens, indique par Tite-Live: c’est un 
melange de metres varies...“ und weiterhin: „satura designe 
done une miscellande, miscellande de metres, miscellanee de 


sujets.“ Und noch 1913 geht Leo ®) an der hier gestellten 


mn nn en nn 


°) Pulcinella 75. 

‚.*) Vgl. fr. farce, das noch sowohl „Hackfleisch“ als „Posse* bedeutet. 
Dieterich und andere vergleichen noch die tyro-tarichi patina, die 
Schüssel „Heringsalat* bei Cicero ad Fam. IX, 16,7 vgl. ad Att. IV, 8. 

', P. Lejay, Oeuvres d’Horace, les Satires (1911), CI und CII. 
*) F. Leo, Geschichte der römischen Literatur (1913) 423,1. 


236 F. Muller, 


Frage stillschweigend vorbei: „Sicher ist die Schüssel safzra 
und das farcimen“; weiter nichts. . 

Was nun absolut feststeht, ist etwa das Folgende. Gut 
belegt kommt das Wort zum ersten Male vor bei Lucilius fr. 40 
Marx: per saturam acdilem factum qui legibus solvat?) 
und als Bezeichnung einer bestimmten Dichtgattung bekannt- 
lich bei Horaz Sat. II, 1,1: stwnt quibus in satura videor 
nimis acer ct ultra | legem tendere opus neben II, 6,17 gqzaid 
prius inlustrem satur?s musaque pedestri. 

So ist es begreiflich, daß Andere für die Lösung der be- 
treffenden Frage nicht von saltura ausgegangen sind, sondern 
von per saturam. Besonders Marx spricht sich hier ununı- 
wunden aus!°) : „quomodo e locutione »er safuram, quae erat 
in legibus, nata est illa de lege satura grammaticorum doc- 
trina, item Ennius et Lucilius cum per saturam poemata sua 
facta esse indicarent, inde natum est ante Horatium..... 
saturae carminis nomen.* Widersprochen haben Leot!) und 
Lommatzsch !:), während auch Ullmann sich !2) wieder der 
Vulgata anschließt: „its first meaning (d.h. von satura) pro- 
bably was 'filling‘, from which all the other meanings seem to 
‘ be derived. The phrase ‚per saluram’ was properly a political 
term, and out of it arose the combination "ler per saturam’ ... 
Satura, too, was used of an omnibus law... As a literary term, 
we have concluded, that safrııra did not lose its early meaning 
of medley and take in the meaning satire until tbe time of 
Horace, and that its application to a single poem began after 
the time of Persius, perhaps in Juvenal’s days. In the third 
century ‘libri per saturam’ seems to have come into use to 
supply the need of a term meaning medley.“ Daß Marx 
hier Unrecht hat und wir also von salura, einer Art lanx, 
auszugeben haben, mag man am vollständigen Material bei 
Ullmann nachprüfen. In dieser Frage gibt der Gebrauchı 
den Ausschlag: neben per saturam, woraus ler per saturam, 
schließlich satura als eine bestimmte Form eines Gesetzes ent- 
stand, kommen Ausdrücke vor als: „imperium quod plebes 


°) B.L. Ullmann, Satura and Satire, Classical Philolozy VIII (1915) 
172—194, die hier genannte Stelle S. 179. 

10) Lucilius I p. XV. 11) Gött. Gel. Anz. 1906, 859. 

132) Bursian 139 (1008), S.211. 13) A. a. O. 194. 


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Zur Geschichte der römischen Satire. 237 


per saturam dederat, id abrogalum est“ in einer Rede des 
Annıus Luscus gegen Tiberius Gracchus!*“) und aus derselben 
Zeit: extra quam ser quid in saturam ferrelur aus der 
Lex Acilia Repetundorum vom Jahre 122/1'), während es 
auch bei Festus ?°) heißt: itaque in sanctione legum aseribitur: 
neve per saturam abrogato, aut derogato und Sallustius ?”) 
sagt: dein postero die, quasi per saturam sententüis exquisitis 
ın deditionem accıpitur.* Hieraus geht klar hervor, daß lex per 
saturam nur einer unter mehreren verwandten Ausdrücken war 
und vermutlich erst abgeleitet wurde aus dem: sententias ex- 
quyere per saturam. 

Was ist nun diese satura? Wer unbefangen die Stelle 
des Diomedes1®) durchliest, wird sofort erkennen, daß hier bei 
Varro von zweierlei die Rede ist: einer safura als genus 
fareiminıs und einer satura aus uva passa, polenta nuclei pini 
mit mulsum besprengt und sonstigen Ingredienzen. Nun ist 
es doch durchaus einleuchtend, daß nicht nur zwei Frag- 
mente des Varro sondern auch zwei verschiedene Speisen be- 
sprochen werden. Es ist ausgeschlossen, daß Ullmann Recht 


‘ hat wenn er sagt!?): „in the former Varro defines satura as a 


kind of stuffing, in the later he gives the recipe‘. Daß eine 
Wurst unmöglich mit derartigen Sachen gefüllt sein kann, 
sieht auch Ullmann ein und daher erklärt er es als „Füllung 
von Gefügel“. Da würde aber Varro (oder Diomedes) doch 
wohl nicht gesagt haben: yuod multis rebus refertum sondern 
quod’ex multis rebus comp ositum, und wenn unter farcımen 
ebd. das gefüllte, farcierte Geflügel selbst zu verstehen wäre, 
würde er gewiß sich anders ausgedrückt haben?°). Außer- 
dem beweist die Stelle bei Varro?!) ganz unzweideutig, daß 
er selbst unter farcimen eine Wurst verstand, wenn er sagt: 
quod in hoc farcimine quiddam ‘eminel, ab eo quod ut in 


“) Festus p. 416 Linds. 5) Ullmann a.a.0. 178. 
*) Festus a.a.O. 17) Sall. Jug. 29,5. _ 
2) 8. oben S. 233 (Keil I 485, 30 sqq.. 19, A.a.O. 176. 


3) Man achte darauf, daß unmittelbar vorher dasselbe Wort re- 
fertus schon bei Diomedes vorkommt, so daß man den Eindruck be- 
kommt, daß eben das „Voligestopftsein“* für Diomedes (oder schon für 
Varro) das Wesentliche an der Sache war. Auch dies spricht für die 
Bedeutung „Wurst“ cu farcimen. 

ı) LL.V, 111. 


Philologus LXXVILL (N. F. XXXII), 34. . 16 


938 F. Muller, 


capite apex, apexabo dieta. tertium fartum est longaco?), quod 
longius quam duo illa eqs. Wäre es schließlich auch nicht 
sonderbar Geflügel zu farcieren mit den oben aufgezählten 
Bestandteilen ? 

Nein, was Varro dort über die Zusammenstellung einer 
satura mitteilt, hat eine andere Bedeutung, auf die wir unten 
noch zu sprechen kommen. Wir finden also diese Reihen- 
folge für satura: I. lanz deorum (s. oben S.234) — I. Eine 
Art aus verschiedenen Teilen zusammengestellte Speise, oder 
wie Festus sagt??): cıbi genus ex vartis rebus conditum est et 
lex multis alıs rebus conferta, also eine Art Hors d’oeuvre 
oder wenn vermischt eine Art Salat — III. Daher dann auch 
derartige Ingredienzen als Füllung für Würste und dgl. 

Was ist nun aber in diesen Gegenständen und diesen 
Umschreibungen das alle verbindende und historisch zusammen- 
haltende Element? Offenbar das ex varüs rebus Bestehen, 
und die Geschichte der Satire und ihres Namen, wie sie öfters, 
zuletzt durch Ullmann, in kurzen Zügen geschildert worden 
ist, bestätigt dies vollauf ?*). 

Wir müssen schon jetzt die Folgerung ziehen: es ist un- 
richtig, wie u. a. Dieterich es vorgetragen hat, von der Be- 
deutung „ Wurst“ auszugehen, aber selbst wenn diese Bedeutung 
schon für eine so frühe Zeit fest stünde, so wäre es doch 
methodisch falsch, die Entwicklung „ Wurst > Satire* ohne wei- 
teres der ganz anders gearteten gleichzusetzen : Hans- Wurst — 
Clown, ndl. Hans-sop als Uebersetzung des fr. Jean-potage, heut- 
zutage in Holland Nanıe eines von Kindern nachts verwendeten 
Anzugs, eigentlich Kostüm eines Clowns, das heißt einer beim 
Karneval :verkleideten Person, der eben diese Speise als Viel- 
fraß zum Ergötzen des Publikums herunterarbeitete. Dies ist 
offenbar eine durchaus andere Entwicklung als die von Die- 

:2) Vielleicht steht äpex-abo mit long-avo in Zusammenhang, in- 
dem in beiden Fällen entwede Db oder v zu schreiben ist. Ueber apex 
s. unten S, 265. Bei Paul. ex Festo 32 wird es mit botulus Wurst gleich- 
gestellt, vgl. Gell. 16. 7, 11, Don. in Eun. 257 fartores, qui insicia et 
farcimina farciunt. Nur Isid. Or. 20, 2, 28 spricht über die Bedeutung 
„Füllung, Farcierung, Stopfwerk“: caro concisa et minuta, quod ea 
inlestinum farciatur. 


>») 416 L. 
2) Class. Philol. VIII 172 f. 


Zur Geschichte der römischen Satire. 239 


u 


terich angenommene, bei welcher eine Wurst mit verschiede- 
nen Ingredienzen späterhin als Andeutung für ein auf eine 
Verschiedenheit von Stoff und Inhalt beruhendes Literatur- 
genre verwendet wird. Dafür wäre etwa ndl. mengelmoes oder 
huts-pot, engl. mixcd-pickle, d. Misch-masch zu vergleichen. 
Von etwas derartigem findet sich jedoch im Lateinischen keine 
Spur, und weilnun außerdem der Ausgangspunkt, die Bedeutung 
„Wurst“, eben für die alte Zeit hinfällig geworden ist, hat 
die Deutung satura „Wurst > Gedicht gemischten Inhalts“ 
nichts für sich. 

Die Untersuchung spitzt sich demnach zu in die Frage: 
wie erklären wir ein lateinisches Wort safura = lan deorunı, 
eine Opfergabe aus verschiedenen eßbaren Gegenständen be- 
stehend ? 

Völlig unglaubhaft ist nun die Hypothese von Marx?>), daß 
die bei Diomedes aus Varro’s liber secundus Plautinarum quae- 
stionum ?") angeführte Stelle sich auf Plautus Amph. 667: Alcume- 
nam ante acdıs stare saturam intellego beziehe; dafür müßte 
Varro, so heißt es, beweisen non avem quod expectes farci- 
mine tamquam gravidam saturam appellari, sed ipsum farci- 
men, cum ab eo quod continet id nominetur denominatione 
facta quod continetur‘. Aber die Szene aus dem Amphitryo 
steht gewiß in keinerlei Verhältnis zu der aus Varro’s 
Plautinae quaestiones angeführten Stelle. Denn erstens spricht 
Varro über das Substantiv safura als „gemischte Speise“, 
Plautus verwendet das Adjektiv satur in der ganz gewöhn- 
lichen Bedeutung „der sich sattgegessen hat“. Es wäre doch 
einfach unbegreiflich, weshalb Varro zu dieser Stelle, wo nach 
Marx eigenen Worten „saturam idem significet quod 1. s. 681 
pulchre plenam 27) i. e. „Eyxöpova“, sich verbreitet haben 
sollte über eine Art Wurst namens satura. Dazu, saturam 
bedeutet in der Plautusstelle nicht einfach „schwanger“, wenn 
man die Stelle und den sehr groben Witz nur genau prüft. 
Der Diener, Sosia, sagt (665): wir kommen zu spät für das 
prandium (s. auch 669 ad aquanm praebendam und vgl. Plaut. 


35) A.2.0. S. XI. ©) Vgl. oben S. 233. 

7) Mit diesem plenus ist das livianische (VII, 2,7) impletas 
modis saturas zusammenzuhalten, Wir kommen auf die Stelle unten 
(S. 257) zurück. 


16* 


940 F. Muller, 


Pers. 792, Hor. Sat. I, 4, 88, vgl. zur Sitte Ov. Au. 3, 784); 
zu urteilen nach der „hervorragenden“ Gestalt Ihrer Gattin, ist 
sie schon satura (sc. von prandium); Amphitryo, der dasselbe 
Symptom auch bemerkt, erklärt kurz: sie seischwanger (gravida) 
von ihm, und wiederholt den Witz in gemäßigter Form (681): 
et quom gravidam et quom te pulchre plenam aspicio, gaudeo. 
Ob wol die Römer damals bei den Worten: (661) ante aedis 
stare saturamı intelleyo den Witz noch vergröbert hörten, mit 
Zuspielung auf die spezielle Situtation: ich sehe Alcumena als 
eine „mater gemischten Inhalts“?? Wie den auch sei, 
jedenfalls hat die von Marx dem Varro zugeschriebene Weis- 
heit über den Bedeutungsübergang „ab eo quod continet ad 
id quod continetur“ — gesetzt, daß so die Stelle des Varro 
zu interpretieren wäre, was ich bestreite — mit der genann- 
ten Dichterstelle nicht das Geringste zu tun. 

Wir befinden uns also nach wie vor in der nämlichen 
Lage: wie kommt das Wort satur, das nichts anderes bedeu- 
tete als „satt, der sich satt gegessen hat“ in satura zu der 
Bedeutung lanz deorum, „Opfergabe gemischten Inhalts“? Die 
Frage hat eine morphologische und eine semasiologische Seite. 


———. 


Merkwürdigerweise hat man sich die Frage meistenfalls 
gar nicht gestellt. 

R. H. Webb®°) hat eine Lösung versucht, indem er von 
dem bereits genannten Ausdruck bei Livius VII, 2,7 ausgeht: 
ımpletas modis saturas descripto iam ad tibicinem cantu mo- 
fuque congruenti peragebant. ($ 8) Zivius post aliquot annis, 
qui ab saturis ausus est primus argumento fabulam serere. 
Er sagt: „A satura would be a „full“ performance. Full of 
what? Impletas modis“ und weiter: „Fabula satura, and after- 
wards by abbreviation satura alone, would mean a „full play* 
full not so’ much of metres, as Livy has it, but rather per- 
haps of various subjets and scenes“. Wer aber die Stelle bei 
Livius unbefangen liest, wird den starken Eindruck bekommen, 
daß Livius und seine Quelle gar nicht eine fabala satura der 
28) Cl. Phil. VIE (1912) 194, 186. 


——— — ———— 


Zur Geschichte der römischen Satire. 241 


späteren Form einer fabula argumento serta gegenübherstellten. 
Was man sagen kann ist dies: die Römer fanden eine satura 
vor, deren Bedeutung sie mit Zuhilfenahme der Etymologie 
oder vielleicht nur Volksetymologie mittels des bekannten 
satur für die ältere Zeit, für welche zuverlässige Quellen 
fehlten, beizukommen suchten. Aber dadurclı wird das Sub- 
stantiy feminini generis satura um nichts deutlicher. 

Wir haben oben gesehen, daß auch die Verbindung von 
ler und per saturam, aus welcher erst später lev saltura ent- 
stand, nicht an ‘die Spitze gestellt werden kann, und das 
Gleiche gilt auch für lanc satura, wofür überhaupt ein zu» 
verlässiger Beleg fehlt ?°)! 

Nun ist es allbekannt, daß im Vulgärlatein oft ein Plur. 
Ntr. sich in eine Art neues Femininum verwandelt hat?) und 
diesen Weg hat denn auch Ullmann eingeschlagen, um satura 
fem. zu erklären °!), aber seine Belege: insicium, später insicia, 
impendium und später tmpendia gehören sämtlich zu den nach- 
klassischen Bildungen, von denen in der Anmerkung °) ge- 
sprochen wurde. Alte Formationen auf -to-, wie deren sind fossa, 
impensa, offensa, polenta, porta, senecta, vindicta ??) sind ganz 
sicher teilweise als Ueberreste uralter Ellipsen zu betrachten 
und fallen hier also aus, teilweise geht ibnen gar kein Ad- 
jektiv, aus dem sie entstanden sein könnten, zur Seite. 

Es führt also für das archaische oder noch ältere histo- 
rische Latein kein zuverlässiger, uns bekannter oder doch 
wenigstens kennbarer Weg von dem o-Stamm, saturo-, zu 
einem konkreten Femininum satura. 

Ist es mit der semasiologischen Seite besser bestellt ? 
Ich glaube kaunı. Ueber diese Frage hat fast nieınand sich 


— 


2°) S, auch Ullmann, Cl. Phil. VIII, 173. 

»°) Man vergleiche Material und Betrachtung bei E. Appel, de 
genere neutro intereunte in lingua latina, Diss. Erlangen 1883, E, Löf- 
stedt Kommentar zur Peregrinatio Aetheriae 134 ff., E. Bourciez, Ele- 
ments de ling. romane p. 94. Meistens bleibt aber in älterer Zeit der 
Plural erbalten, während nur das Genus wechselt, z.B. intestinae Pe- 
tron. 76, 11, extas Acta Fratr. Arv. vom Jahre 218 am 29. Mai extas 
porciliares, nachher extam vaccinam, virgultas aus virgulta Peregrin, 
Aether. 4,6; meist sind es dann noch Abstracta wie anxzia „Angst“, 
fortia (vgl. fr. la force), gaudia (fr. la joie). Aber für das archaische 
Latein fehlen Beispiele ganz. 

a) A.n.0. 174. :) F, Stolz, Hist. Gramm. d. lat. Spr. 532. 


242 F. Muller, 


id 


ausgesprochen. Die von Marx vorgelegte Deutung (s. 0. S.239), 
nach der ein Uebergang stattgefunden hätte „ab eo quod 
continet ad id quod continetur“, ist so und ohne weiteres vor- 
getragen alles weniger als eine Erklärung des sprachlichen 
Prozesses, es ist nur eine Formulierung dessen, was sich er- 
geben hat. Aber schon sein Ausgangspunkt, die Bedeutung 
„Wurst“, war, wie wir oben (S. 238.) sahen, verfehlt. 

Somit bleibt die Schwierigkeit unvermindert bestehen, wie 
ein Wort, das „satt, von Speise erfüllt“ bedeutet, zum Sinne 
von: „eine aus verschiedenen Ingredienzen zusammengestellte 
Opfergabe an die Götter“ gelangen konnte. 

Wenn also schließlich bei der alten Erklärung unüber- 
windliche Bedenken von vielen Seiten her sich geltend machen, 
so lohnt es vielleicht die Mühe, nach einer neuen Möglichkeit 
umzusehen. 2 


Il. 


Hier weiter vorzudringen heißt vor allem sich mit den 
Problemen auseinandersetzen, die sich an die viel behandelten 
Betrachtungen von Livius VII, 2 knüpfen; bekanntlich hat 
Valerius Maximus II, 4,4 eine sehr verwandte Beschreibung 
der Vorgänge gegeben. Es hat aber auch seinen eigenen 
Reiz, hier den verschiedenen Forschern zu folgen: die ganze 
Geschichte unserer Wissenschaft während eines halben Jahr- 
hunderts spiegelt sich gewissermaßen in der Behandlung dieser 
Frage ab. Wenn sich da trotz allem Bemtihen noch keine ab- 
schließende Uebereinstimmung über dieses Liviuskapitel ein- 
gestellt hat, ist es vielleicht erlaubt, hierin wiederum einen 
Fingerzeig zu sehen, daß eine neue Deutung der Erwägung 
wert erscheinen wird. 

Nach vielen Schwankungen, nach Uebertreibung des 
wahren Sachverhalts nach der einen wie naclı der anderen Seite 
(s. o. S. 231 ff.) hat sich also jetzt eine mehr vorsichtige Ab- 
wägung der von Livius mitgeteilten Daten angebahnt. Daß 
griechischer Einfluß darin nicht geleugnet werden kann, steht 
fest; daß darin aber zu viel Sachliches sich bemerkbar macht, 
um das Liviuskapitel als eine dürre Nachahmung griechischer 
Spekulation und Theorie hinstellen zu dürfen, geht auch schon 


= 


Zur Geschichte der römischen Satire. 243 


aus den Darlegungen von angesehenen Forschern wie O. Wein- 
reich und P. Lejay unzweifelhaft hervor. Es freute mich — 
wie es mir bei dieser Untersuchung auf Schritt und Tritt 
begegnet ist —, bei diesen beiden Gelehrten hier, und erst 
nachdem ich mir die Sache in meiner Weise zurechtgelegt 
hatte, dieselben Gedanken ausgesprochen zu finden, die auch 
mir selbst durch den Kopf gegangen waren. Klar umschreibt 
Lejay °) diesen Standpunkt mit den Worten: „Nous devous 
distinguer dans le recit de Tite-Live la liaison etablie entre 
les faits et les faits eux-mömes. La liaison parait artificielle. 
Les faits restent.“ Derselbe Gelehrte hatte auch schon eine 
Ahnung, in welcher Richtung hier weiterzukommen wäre, als 
er sagte’): „Ce que le folklore et les etudes sur les moeurs 
populaires nous ont appris, confirme le temoignage de Tite- 
Live avec une force, que l’'historien latin ne soupconnait pas.“ 

Fragen wir uns also noch einmal, was der Text bei 
Livius besagt und was uns dort auffällt. 

Weinreich hat bewiesen *), was uns hier zunächst angeht, 
daß die Ursprungsgeschichte ($ 4 sine carmine ullo bis $& 13 
faciant) von Livius mit bewußter Kunst in sein annalistisches 
Gefüge hineingearbeitet worden ist. Er verweist auf die 
korrespondierenden Glieder: inter alia caclestis irae placa- 
mina (VI, 2,3) w velut aversis ium düs aspernantibusque 
placamina irae (VII, 3,2) und genau so auf: ceterum parva 
raraque, ut ferme principia ommia, et vr ipsa ves peregrina 
fuirt (VII, 2,4) inter aliarum parva principia rerum ludo- 
rum quoque prima origo ponenda visa est, ut apparcret, quam 
ab sano initio res in hanc vix opulentis regnis tolerabilem 
insaniam venerit. Das Ganze paßt aber in den rein annalisti- 
schen Rahmen, zu welchem die Worte gehören (VII, 2,1): 
Et hoc et insequenti anno bis consulibus vw (VII, 3,3) «taque 
Cn. Genucio bis consulibus. 

Wir wollen an dieser Stelle die Frage nach der Autor- 
schaft dieser Betrachtungen nicht in den Schwerpunkt der 
Untersuchung hineinstellen, möchten nur auf Einiges auf- 
merksam machen, das im Texte, so wie er da vor uns liegt, 


23) Les Satires d’Horace (1911), XCIII. 
”) A.a.0. LXXXV. s) S.o. S. 232, Hermes 5l, 403. 


244 F, Muller, 


auffällt. Schon Weinreich hat, wie es auch mir sich jedesmal 
„ufdrängte, auf den eigentümlich kondensierten Stil der 884— 13 
bei Livius gewiesen, ja, ich verspüre darin deutlich den Ton 
eines Mannes, der sich bewußt ist, wie die Einlage aus einer 
anderen Quelle — mit anders gerichteten Interessen als sein 
Annalist sie hatte — das regelmäßige Gefüge seiner Arbeit 
aufs empfindlichste unterbrechen wird. Man achte z. B. in 
$ 6 auf die kurze Formulierung ohne Kopula: accepta... 
excitata ...; nomen indıum, in $ 10 cantarı.... coeptum, 
diverbiaque velicta, auf die gedrängte Fassung: sine actu insi- 
tandorum carminum, auf die Kürze mit der er in $ 7 viel zu viel 
besondere Characteristica anhäuft: non sicus ante = | Fescennino 
versu similem (sc. versum) + incompositum (+ ?) temere (?) 
+ rudem + alternis + iaciebant (W iactitare in $ 11) } sed 
— fimpletas modis + (P) saturas + descripto iam ad tibi- 
einem cantı - motuw congruenti + peragebant (D taciebant,, 
8. 0.)}. 

E diese Entwicklungsgeschichte des Dramas stellt also 
offenbar bei Livius eine Einlage dar, allem Anschein nach 
aus Varro °®). 

Es gilt hier, womöglich die hier gegebenen Betrachtungen 
entweder für Livius oder für seine Quelle (Varro?) etwas mehr 
perspektivisch zu gestalten, um dadurch zum eigentlichen 
Kernpunkte dieser Ansicht vorzudringen. Sowohl Form als 
Inhalt der livianischen Beschreibung muß geprüft werden. 

Bevor wir aber weitergeben, wird es gut sein, in aller 
Kürze zu wiederholen, welcher Streit über dieses Kapitel des 
Livius geführt worden ist. 

Nachdem F. Leo ®), auf der Fußspur O. Jahns, für Livius’ 
Quelle Benutzung peripatetischer Wissenschaft und Konstruktion, 
wie sie auch in den Traktaten repl xwuwöiag vorliegt, annebnı- 
bar zu machen unternommen hatte und dann eben diese Quelle 
nicht nur für Livius, sondern auch für Horatius als Varro zu 


% 


nen ne —— 


*) Daß diese Betrachtungen von Livius einem Annalisten entnommen 
wären, ist doch nach nllem, was wir von diesen Annalisten wissen, ganz 
unwabrscheinlich. 

3”) Varro und die Satire, Herm. 24, 67—84, über Livius VII, 2 
bes. 76—79. 


Zur Geschichte der römischen Satire. 245 


definieren suchte und G. Hendrickson °®) Ydann diese These 
bestätigt und dahin modifiziert hatte, daß Livius VII, 2 und 
Horaz Epist. II, 1, 145—160 auch inhaltlich einander so 
nabestanden, daß eine und dieselbe Quelle wahrscheinlich war, 
als welche er dann vermutungsweise auf Accius hinwies °?), 
bat dann derselbe Gelehrte nachher seine Ansicht von Accius' 
Autorschaft für diese Entwicklungsgeschichte *°%) durch den 
Nachweis gestützt, daß Horaz wegen seiner chronologischen 
Fixierung dieser Ereignisse: »ost Punica bella*!) offenbar, 
noch der verfehlten Datierung des Accius folgte, während 
Varro selbst eben hier eine wichtige Korrektur angebracht, 
wie uns Cicero ausführlich berichtet *), und die Inaugurierung 
der (griechisch-)römischen Literatur durch Livius Andronicus 
fast ein halbes Jahrhundert früher, in Jahr 240 v. Chr. ge- 
stellt hatte. 

Leo hat daraufhin seine frühere, nunmehr unhaltbar ge- 
wordene Position nicht nur teilweise verlassen, wie es jetzt un- 
vermeidlich geworden war, sondern hat auch für Livius VII, 2 
plötzlich Varros Autorschaft fallen lassen. „Das Resultat ist“, 
so führt er aus'?), „daß der Inhalt von Livius VII, 2 nicht- 
varronisch, der von Horaz Epist. II, 1,139 ff. vor-varro- 
nisch ist. Darum kann auch das Liviuskapitel vor-varronisch 
sein.“ Hier kam nun alles auf das Verhältnis von Horaz zu 
Livius an; darüber sagt er nun: zwar zeigen beide Autoren 
„eine auffallende Aehnlichkeit, die sich nicht nur in einzelnen. 
Ausdrücken, wie den angemerkten, zeigt, sondern vor allem 
in der gemeiusamen Tendenz, der Anknüpfung an Volksbrauch 
und Festsitte, was nicht aufhebt, daß beide deutlich „in 

*) The dramatic satura and tlıe old comedy at Rome. Am. Journ. 
Phil. 15 (1894), 1—30. 

»») 4.2. 0. 30 Anm. 

A pre- Varroniam chapter of Roman literary history, Am. Journ. 
Phil 19 (1898), 285—311. 

#1) Epist. 11 1,162. 

#2) Brutus $ 72: atqus hic @ Livius Andronicus) primus fabulam 
C. Claudio et M. Tuditano consulibus docuit anno ıpso ante, quam natus 
est Ennius (= 240 v.Chr.) ...., ut hic ait, quem nos sequimur, — est 
enim inter scriptores de numero annorum contro- 
cersia — Accius aulem u Q. Maximo .. consule (209 v. C.) 
capto Tarento scripsit Livium unnis XXX post quam eum fabulam 


docuisse et Atticus scribit et nos ın anfiquis commentarüs invenimus. 
#3) Leo Hermes 39, 63—77, die angeführte Stelle S. 67. 


246 F. Muller, 


Anlehnung an die griechischen Vorgeschichten des Dramas 
entstanden sind“. Muß man da nicht ein wenig erstaunt 
sein, zu vernehmen “): „Es ist vollkommen bewiesen, da£ 
Livius und Horaz, was die Herkunft ihrer Berichte angeht, 
nichts miteinander gemein haben“? Man kann also schwerlich 
sagen, daß dies eine in sich abgeschlossene und konsequente 
Meinung darstellt! 

Richtig haben nun Weinreich und Reitzenstein in den bereits 
oben genannten Aufsätzen '°) auf die Schwäche dieser zwischen 
zwei Meinungen hin und her schwankenden Ueberzeugung ge- 
wiesen. Nach Leo sollte nämlich Livius diese Entwicklungs- 
geschichte des Dramas einfach seiner aunalistischen Quelle ent- 
nommen haben, Varros neuen Ansatz des Livius Andronicus auf 
240 v. C. zwar gekannt haben — nicht aus Varro selbst, sondern 
aus Atticus’ liber annalis — aber vorsätzlich mit den unbestimm- 
ten Worten (VII, 2,8) „Livius post aliquot annis“ zu dieser 
Kontroverse zwischen alter und neuer Anschauung keine Stellung 
haben nehmen wollen! Weinreich hat nun, wie oben mitgeteilt 
wurde, die verschiedenen Differenzen zwischen Livius (VII, 2) 
und Horaz (Epist. II, 1, 145 ff.) noch weiter herausgearbeitet 
und dadurch hat er, da Accius als Quelle für Horaz feststand, 
für Livius a priori den Ansatz Varros als Quelle für die be- 
treffende Partie wahrscheinlich machen können; von einer andern 
Seite. gelang hier dann der Nachweis, daß in Livius VII, 2 
die uns hier beschäftigende Stelle von Livius unverkennbar von 
anderswoher in seine annalistische Quelle auf das sorgsamste 
hineingearbeitet worden ist. (Ueber Reitzenstein s. o. S. 232.) 

Gehen wir jetzt dazu über, Form und Stoff des genannten 
Liviuskapitels zu besprechen, so wird sich herausstellen, daß 
dessen Inhalt viel weniger einheitlich ist, als er sich auf den 
ersten Blick hin darstellt. Ich gebe, was ich zu sagen habe, 
in der durch den Liviustext gegebenen Reihenfolge. 

1. Ludi quoque scaenici, nova res bLellicoso populo — 
nam circı modo spectaculum fuerat — .... instituti dicuntur. 
Die Vermeldung der kriegerischen Art der Römer an dieser 


“) A.a.0. 72. 
#5) Hermes 51 (1916) 306 &.; Gött. Gel. Nachr. 1918, 233. 


Zur Geschichte der römischen Satire. 247 


Stelle ist alles weniger als durch den Kontext hinlänglich 
motiviert. Livius hat das Wort bellicosus oft auch von Per- 
sonen; man vergleiche, wo es auch von den Römern ausgesagt 
wird, I, 20, 2: in civitate bellicosa, aber da hat es einen 
guten Sinn, hier klingt es forciert und .. . es erinnert nur 
allzu stark an die allbekannten Verse des Porcius Licinus: 
Poenico bello secundo Musa pinnato gradu 
Intulit se bellicosam in Romuli gentem feram 
und dies, obwohl doch gerade dieser Vers sich der Accius- 


; chronologie (s. 0. S. 245) bedient! Auch dies ist varronianisch, 


s. unten 2. 

2. ceterum parva raraque, ut ferme principia ommia et ea 
ipsa peregrina res fuit. Die codd. haben parva quoque, 
raraque anstatt guoque ist Konjektur Zingerles, die ansprechend 
wird, sobald man Liv. VI, 1, 2: tum quod parvae et rarae 
per cadem tempora Itterae fuere und VII, 3, 6: rarae per ea 
empora Titlerac erant damit zusammenhält. In der großen 
Ausgabe von Drakenborch wird gedruckt: (ut ferme principia 
oma) und die kommentierte Ausgabe von Weißenborn-Miller 
(1886) faßt parva als nom. fem.: beides offenbar unrichtig und 
zu gleicher Zeit ein Fingerzeig, daß man bisher auf die Kom- 
position des Kapitels zu wenig geachtet hat, denn an der kor- 
respondierenden Stelle ($ 13) heißt es ja: inter alia (al. uliarum) 
Parca principia rerum. Dadurch ergibt sich, wie der Autor 
selbst die Stelle in sich hörte und fühlte: cöferum parva raraque, 
ut ferme principia ommial,) (sc. fuerunt) et ca ipsa (ntr. plur.) 
Peregrina res fuit mit der bekannten Attraktion nach dem 
Prädikatsnomen hin; peregrina res „etwas Ausländisches“ ist 
prägnanter als peregrina (ntr. plur.) fuerunt und ein Singular 
ntr, peregrinum, welches sich auf einen Plural beziehen sollte, 
war allzu hart. Dieses nicht Ausdrücken der Kopula esse ıst 
geradezu eine ausgeprägte Eigentümlichkeit des Varro; wer 
nur einige Seiten der Bücher de Lingua Latina gelesen hat, 
wird das sofort bemerken. 

3. Auch sonst kommt in diesem Kapitel die — un- 
richtig — so genannte „Ellipse“ der Kopula vor: 8 3 instı- 
tuti dieuntur, 813 oriyo ponenda visa est, c.3 8 4: repetitum 
er seniorum memoria dicitur; man vergleiche z. B. L.L. 9, 60: 


D4R F. Muller, 


quod hacc instituta ad usum singularıa, und von den — meist 
wörtlichen — Fragmenten bei Funaioli die Nummern 3838, 
399, 426, 427, 433, 454 °9). 

4. Wie stark die ganze Darstellung — mit viel mehr, sei 
es auch kunstmäßiger, historischer Perspektive, als es der 
Historiker Livius angestrebt hätte! — das Gepräge varronischen 
Geistes trägt, wird am besten die Vergleichung mit dem be- 
kannten, aus Varro stammenden Fragment des Sueton de 
gramm.?t’) lehren. Ich lese nur einiges heraus: rudi scilicet a c 
bellicosa (s. o.sub 2!) etiamtum civitate...; initium quoque 
eius mediocre echtit...; primus igilur .. . studium granı- 
malicae in urbem intulit (intulit se... in gentem bei Porcius 
Licinus, s. 0. S. 247). Crates ... inter secundum ac tertium 
Punicum bellum (dieselbe Wortfolge bei Porcius Licinus und 
Horaz). Dann folgt, genau wie bei der Entwicklung des 
Dramas in Livius’ Darstellung die vox obtusa des Livius Andro- 
nicus eine Rolle spielt, so in der Geschichte der Philologie das 
crus fractum des Crates; dieser Gelehrte nostris exemplum fuit 
ad imitandum. hactenus tamen unitatıi (sc. sunt), ut... (ev Liv. 
VII, 2, 5: imitarı deinde iuventus . . . coepere). Schließlich 
instruxerunt auzeruntque... . gyammaticam L. Aelius Lanuvinus 
generque; fast genau zu vergleichen sind daun die Sätze: 
Servius, cum lıibrum socer nondum editum fraude interceptsset 
et ob hoc repudiatus ... . secessisset ab urbe w (Liv. VII, 2, 8. 9) 
Livius . .., cum saepius rcvocalus vocem obtulisset, veniä 
petitä puerum cum statuisset ... und posthac magiıs ac magıs 
et gratia ct cura artis increvitevV (Liv. VII, 2,11) postquam . .- 
ludus in artem paulatim verterat. 

5. plucamen kommt nur hier vor und ferner bei Silius 
13,415: duc pracdicta sacris duro placamina Diti. Das Sufüx 


16, Einiges darüber bei Kübner-Stegmann, Lat, Syntax I. S. 13, der 
auch besonders auf diese Konstruktion beim Gerundivum aufmerksam 
macht: R.R. 1, 6, 1 igitur primum videndum. Bei Varro ist dann speziell 
der kurze Ausdruck: potest dietum (sc. esse) zu beachten, in welchem 
noch fast ein potentielles: pote est dietum „ist möglicherweise genannt 
oder benennt* fortlebt. S. auch Nägelsbach-I. von Müller, Lat. Stilistik * 
(1905) 732 posset. 

#") Daß Varro hier Quelle war, geht aus Plin. N. H.25 $ 24 u die 
Beschreibung der podagra ebd. hervor und wird von Leo, Plaut. Forsch." 
8.28,1, °30,1 noch erhärtet. 


Zur Geschichte der römischen Satire. 249 


ist in letzter Zeit besprochen worden von F. T. Cooper“) und 
von E. Norden “?). Aus den an erster Stelle genannten auf 
umfangreichem Materiale beruhenden Betrachtungen geht 
hervor, daß die älteste Endung -men (aus -mn VW -pa in 
smwäpa — lat. strämen Verg., Ov., Stat., Plin. gegenüber 
Strämentum bei Varro, Caes., Liv., Plin., Frontin) an das 
erweiterte Suffix -mento- immer mehr Gebiet abgetreten hat: 
Varro z. B. wendet in den der Sprache des Alltaglebens sehr nahe 
stehenden Satirae Menippeae fast ausschließlich -mentun an, 
Lucrez in seiner gehobenen Sprache bevorzugt -men. Cooper sagt 
ebd.: „-mentum is characteristic of a less elevated style of 
writing, comedy showing fifty-two examples of new forms, 
tragedy three.“ Aus Nordens auf dem Thesaurusmateriale 
fußenden Betrachtungen geht der nämliche Schluß ganz deut- 
lich hervor: Ovid ist hier derjenige Dichter, der die meisten 
alten oder neuen Bildungen auf -men aufweist, und gegenüber 
dessen trritamen haben Sallust und Livius nur irritamentum ; 
nur zweimal hat auch Livius eine Form auf -men: hortamen 
X, 29, 5 °°) gegenüber Aortamentum bei Plautus, Sallust und 
Livius selbst und placanıen an unserer Stelle. Woher stammt 
also gerade an dieser Stelle das auffallende Wort, neben welchem 
doch auch placamentum in genau derselben Bedeutung vor- 
kommt 51)? Es möge hier eine, freilich etwas kühne, Vermutung 
vorgetragen sein. 

In 8 3 sagt Livius: ludı guoque scaenici, nova res bellicoso 
yopulo — nam cırci modo spectaculum fuerat — (A) inter alıa 
eaelestis irae placamina institutı dieuntur; darauf folgt ein- 
Satz, der mit (B) ceferum 52) in adversativer Bedeutung anfängt. 
Sobald der eigentliche Entwicklungsgang beschrieben ist, führt 
Livius fort (C) inter aliarum parva principia rerum ludorum 
wnoque prima origo ponenda visa est; auch hier folgt dann 


e Word-Formation in the Roman Sermo Plebeius (New York 1895), 


*) Ennius und Virgilius S. 27 Anm. 

5%) Die Stelle ist bezeichnenderweise sehr gehoben und pathetisch: 
di auditur P. Decii eventus, ingens hortamen ad omnia pro republica 
audenda. 

sı) Vgl. Plin., Tac. Ann. 15, 44. 

®) In dieser Bedeutung seit Sall. und Liv., s. Kühner-Stegmann 
Syntax II 78, Anm. 3. 


250 F. Muller, 


wiederum eine adversative Satzverbindung; (D) nec tamen eqs. 
Die Sätze A und C, B und D korrespondieren also miteinan- 
der. Sieht man aber genauer zu, so stellt sich heraus, daß 
C eine Zusammenschmelzung von A und B darstellt, die 
zweifelsohne dem Livius zugeschrieben werden muß, wenn 
man in der nunmehr sofort folgenden Betrachtung eine echt 
livianische Absicht und Problemstellung wiedererkennt 5°): z£ 
appareret, quam ab suno inilio res in hanc vix opulentis regnis 
tolerabilem insantam venerit. Hier ist prima origo ein echt 
livianischer Ausdruck s. Praef. I $ 4: primae origines. Die 
Vorstellung scheint mir also sehr erwägenswert, daß Livius 
an dieser letzten Stelle die beiden obenerwähnten Stellen, die 
in ihren Kerne dann auf Varro zurückgingen, als Abschluß 
der ganzen Einlage zusammengeschweißt habe, um gerade 
dadurch einen willkommenen Anlaß zu haben, einen seiner 
Lieblingsgedanken auszusprechen mit den Worten: ut apparerct 
quam ab sano inilio res in hanc vix opulentis regnis tolerabilen: 
insaniam venerit. Betrachtet man nämlich die Worte: zuter 
alia ... ponendo visa est ($ 13) unter diesem Gesichtswinkel, so 
erkennt man sofort, wie gewaltsam forciert und an diexer Stelle 
geradezu unmotiviert das Wort parva, ja eigentlich die ganze 
Wortreihe inter aliarum parva principia rerun hier ist. Es 
ist gewissermaßen, als ob Livius um die Einlage in sein anna- 
listisches Werk hinlänglich zu entschuldigen oder zu rechtfer- 
tigen, den Hinweis auf den Wert der genetischen Betrachtungen 
Varros nicht als schwerwiegend genug erachtet und darum nun 
noch seine eigene, mehr ethisch zugespitzte Bemerkung hinzu- 
fügt. 

Komnien wir nunmehr auf unsere frühere Frage zurück, 
woher das Wort placamen stammt, so bietet sich vielleicht diese 
Möglichkeit, daß die Entwicklungsgeschichte des Dramas, wie 
sie in den S$ 4—13 vorliegt, aus Varro stammt, der dann für 
seine Darstellung die Daten anderswo vorgefunden hat. Wo 
war dies? Man kommt hier über eine mehr oder weniger 
wahrscheinliche Vermutung nicht hinaus: ich glaube, er hat 
seinen Stoff den Annales maximi?*) entlehnt, und zwar der 


5) Vgl. Praef. I $S4, 5, 11—13. 
+) 8. Cichorius in Pauly-Wissowa I 2252 f. 


= uns 


Zur Geschichte der römischen Satire. >51 


späteren umfangreichen Fassung derselben in 80 Büchern. 
Es findet sich nämlich bei Gellius (IV, 5) die folgende Stelle, 
die mit der unsrigen eine auffallende Aehnlickeit zeigt: statu« 
Romae in comitio posita Horati Coclitis, fortissimi viri de caclo 
tacta est. Ob id fulgur piaculis luendum aruspices ex Etruria 
aecitr ınimico alque hostili in populum Romanum animo 
ınstituerant eam rem contrariüs religionibus procurare «... 
($ 6) ca historia de aruspicibus ac de versw isto senatorio est 
ın annalibus maximis libro undecimo, et in Verri Flacci 
bro Primo rerum memoria dignarum. Eigentümlich ist, 
daß auch hier wiederum eine Anekdote nachher mit der nüch- 
ternen und trockenen Mitteilung der Annales maximi ver- 
bunden worden ist, gerade wie bei Livius die Geschichte von 
Livius Andronicus und seiner vox obtusa; in den Annales standen 
vermutlich nur die Worte°*): statua in comitio posita Horati 
Coclitis de caelo tacta est, ob id fulgur piaculis luendum aruspices 
ex Etruria accits V (Livius) ludiones ex Etruria acciti vgl. 
u (Tbc. Ann. 14,21) @ Tuscis accıtos histriones. Auch das 
contrariis religionibus procurare kehrt bei Livius wieder (VII 3, 1) 
iilium procurandis religionibus datum, genau so wie instituerant 
in institut (Liv. $3). So würde dann schließlich auch das offen- 
bar alte Wort placamen seine endgültige Erklärung erhalten, 
weil es dann ursprünglich in den Annales maximi gestanden 
hätte, etwa in dieser Fassung: „gravis pestilentia fuit; ob eam 
rem varıa caelestis?) iraue placamina adhibila: ludi scaenici 
ınstituts, ludiones ex Etruria acciti. Von diesen Annales 
maximi ist außerdem bekannt, daß sie wenigstens bis zun 
Jahre 403 hinauf die Geschichtsdaten der Pontifices ver- 
zeichneten, 30 daß auch die von Livius in Buch VII beschrie- 
benen Ereignisse sicher darin behandelt waren. 

Man vergleiche mit diesen Worten den kurzen, notizenhaften 
Charakter ähnlicher Pestbeschreibungen bei Julius Obsequens 
für die Jahre 175, 165, 142. 

.6. Die Stellung von ifaque, dem accepta nachgestellt ($ 6), 
bekanntlich ein Zug der nicht klassischen Latinität, kommt bei 


s) Auch das besitzanzeigende Adjektiv caelestis = deorum ist ein 
altertümlichber, im Indogermanischen weit verbreiteter Zug. 
5) Vgl. Pauly-Wissowa ebd. 


959 F. Muller, 


Varro niemals, bei Livius oft vor, s. Krebs-Schmalz, Antibarbarus 
s. v. tlaque. 

7. Die Eigentümlichkeit von postguam mit nachfolgendem 
Imperfekt: avocabatur ($ 11) ist besonders für Livius typisch 
und kommt bei ihm mehr als hundertmal vor, s. Kühner- 
Stegmann Syntax II 356. 

8. In $ 11 und 12 kommt eine Bemerkung vor, die ge- 
radezu als &npoaööxntov wirkt: quod genus ludorum ab Oscis 
acceptum tenuit suventus nec ab histrionibus pyollui 
passa est. Es ist schwer zu sagen, wie Livius oder seine 
Quelle "dazu kam, einen so starken Ausdruck zu gebrauchen. 
Ich habe ein bestimmtes Gefühl, daß Livius mit den Worten: 
ab histrionibus den ursprünglichen Sachbestand verschleiert hat. 
Man lese daraufhin einmal nach, was Cicero sagt, de harusp. 
responso $$ 23 und 25: An si ludius constitit aut tibicen 
repente conticuit?) . . » ludı sunt non rite facti eaque errata 
ecpiantur et mentes deorum immortalium ludorum instauratione 
placantur: siludi ab laetitia ad metum traducti, si non intermissı 
sed »perempti altque sublati sunt .. ., dubitabimus quos ille fre- 
mitus nuntiet Iudos esse pollutos, womit man $ 25 ver- 
gleichen möge: Ludos esse pollutos signficastis ac plane 
dieitis. Und wie er sich die Art dieser pollutio vorstellt, 
spricht er schon im folgenden recht deutlich aus: Si examen 
apium ludis in scaenam caveanıve venisset, harusptices acciendos 
ex Etruria putaremus und am Schluß des $: Aique in apium 
fortasse examine nos ex Etruscorum scriptis haruspices ut a 
servilio caveremus monerent. Fügt man diesen Stellen noch 
die allbekannte aus der Miloniana hinzu ($ 87): polluerat 
(sc. Clodius) stupro sanctissimas religiones, so stellt sich her- 
aus, was mir schon von anderswoher klar geworden war, daß 
mit diesen !udi anfänglich ein besonderer Ritus verbunden war, 
daß es heilige Spiele waren oder wie Cicero sagt (de harusp. 
resp. $ 24) von den Megalesien: qui sunt more institutisque 
marxime castı, sollemnecs, religiost und von welchen es nachher 


— 


56) Auf diese Möglichkeit bezieht sich die Sprechweise „sulra res 
est, dum cantat, (wohl besser saltat, a. ebd. qui ad tibicenim saltaret,* 
und deren Erklärung bei Fest. 326 M. — 436 Linds., vgl. auch Hen- 
drickson, Am. Journ. Phil. 19 290. 


u 


Zur Geschichte der römischen Satire. 253 


heißt ludos esse, quorum religio tanta est ut ex ullimis terris 
arcessita in hac urbe consederit. 

Wer nun die Stelle in diesem Lichte noch einmal liest, 
wird, meine ich, erkennen, daß die ursprünglichen ludi, aus 
Etrurien inRom — nur in höchster Not und Bedrängnis — 
eingeführt, sich natürlich nicht ganz der römischen Religion 
angepaßt haben, dann erst recht nicht mehr, als einmal die 
pestilentia gewichen war; somit war also eben diese Kunst- 
äußerung, eine Kombination vom Tanz, Mimik und Gesang 
an erster Stelle berufen, sich zu einer profanen Kunstart zu 
entwickeln, sich gewissermaßen zu säkularisieren. Demgegen- 
über hat sich dann, wenn ich recht sehe, die echt volkstümliche, 
nationale Kunst im Süden in ihrer alten festen Verbindung 
mit der römischen Religion erhalten: diese ludi Osci, später 
Atellanae oder exodia, haben ilıre religiöse Bedeutung nicht 
eingebüßt, was Livius (wohl nach Varro) nicht sehr glücklich 
so formuliert ncc ab histrionibus pollui passa est sc. inventus. 

Daß diese Betrachtung richtig ist, kann eine andere all- 
bekannte Tatsache noch mehr stützen: bei Festus steht 
(p. 217 M. = 238 Linds.) .... per Atellunos, qui proprie 
rocantur personali; quia tus est is non cogi in scena ponere 
personam, quod ceteris histrionibus puli necesse est. Ueber 
diese eigentümliche Sitte, nach der ein Atellanenspieler nicht, 
wie die Schauspieler in anderen Gattungen des Dramas, ge- 
zwungen werden konnte, seine Maske abzulegen, haben A. 
Dieterich und Warnecke gehandelt. Ich glaube, daß weder 
Dieterich5’) das Richtige getroffen hat, inden er sagt: sie 
trugen inımer Masken bestimmter Art, die sie mit den Stücken 
übernommen hatten und die sie nie ablegten, um sich nicht 
erkennen zu lassen ®)*, noch auch Warnecke’°"), wenn er meint: 
„das (d. h. die Schauspieler der Atellanen) waren keine pro- 
fessionellen Schauspieler, sondern Dilettanten, welche nicht 

87) Pulcinella 84, 118. 

ss) Zweifellos aber hat Dieterich Recht, wenn er fortführt: „Masken, 
die bei diesen Aufführungen immer gebrüuchlich waren und blieben, 
lange ehe für andere Dramen dieser griechische Brauch 
eingeführt wurde“, wenigstens wenn er mit diesen Worten als seine 
Meinung ausspricht, daß diese Masken bei den Oskern ursprünglich 


waren. Vgl. noch J. von Wageningen, Scenica Romana 
5°) Bei Pauly-Wissowa VIll 2125 s. v. histrio. 


Philologus LXXVIEI (N. F. XXXID, 5/4. 17 


954 F. Muller, 


wegen der Einkünfte, sondern nur aus Liebe zur Kunst incog- 
nito und darum unter Maske schon in früheren Zeiten vor 
dem Publikum erschienen“. Diese Liebe zur Kunst und diese 
Scheu, für einen professionellen Schauspieler gehalten zu werden, 
sind durchaus moderne Vorstellungen, die fernzubleiben haben. 
Nein, wir begegnen auf italischem Boden noch der alten Maske ©°), 
die immer wieder bei den verschiedensten Stämmen angetroffen 
wird und die den Zweck hat, den Menschen ursprünglich 
in die Gottheit selbst oder in einen Sterblichen übergehen zu 
lassen, um dann nachher ihn als Diener dieser Gottheit oder 
was genau dasselbe ist als Schauspieler oder Darsteller im 
Dienst der Gottheit zu zeigen, schließlich nur als — religiösen 
oder profanen — Spieler anzudeuten ®l). 

Da ist endlich, bevor wir zur Analyse des Kapitels selbst 
tibergehen, noch auf eine eigentümliche Ausdrucksweise auf- 
merksam zu machen. In 8 5 heißt es: znconditis inter se tocu- 
laria fundentes versibus im Plural, aber 8 6, wo, wie wir 
nachher sehen werden, dem Autor viel daran gelegen war,. 
die vorige Entwicklungssphäre als geringfügig und unbedeutend 
hinzustellen, finden wir im Singular fescennino versu similem 
incompositum temere ac rudem aliernis taciebant. Dem entspricht 
die Verwendung von fabula und dessen Deminutivum fabella 
in $ 11: postquam lege®?) hac fabularum... . tuvenlus 
fabellarum actu relicto ... . .; quae exodia posteu appellata 
consertaque fabellis potissimum Atellanis sunt;, das erste Mal 
heißt fabella nichts anderes als etwa, mit deutlich hervor- 
tretender Geringschätzung, „diese sonderbaren neumodischen 


°) Ob denn der Urheber dieser ganzen Betrachtung noch etwas 
von diesem Zusammenhange geahnt hat, wenn wir bei Valerius Maxi- 
mus 1], 4, 4 am kEinde die Notiz finden: Atellani autem ab Oscis accits 
sunt, quod genus delectationis Italica severitate temperatum 
tddeoque vacuum nota est? — Zu den Worten inconditis versibus (Liv. 
8 5) vgl. man Varro Men. 363: homines rusticos in vindemia incon- 
dita cantore und s. dazu unten S, 275, 278. 

e) Man vgl. z.B. die populären Darstellungen bei Haberlandt, 
Völkerkunde I (Göschen 73)® 115—11#, Th. Achelis Abriß der Religions- 
wissenschaft (Göschen 208)*® 105 und außerden: die mannigfachen Be- 
lege im Archiv f. Religionswiss. Index ev. Maske und Maskentanz. 

°:) Der Ausdruck lex augewendet auf die konventionelle aber ale 
im Wesen der Sache begründete und dieselbe ein für allemal regelnde 
Bestimmung kommt auch bei Horaz vor: ultra legem tendere opus 
(Sat. 11, 1,2) und unde pedem proferre pudor vetet aut operis lex (A. P. 135). 


Zur Geschichte der römischen Satire. 955 


fabulae“, wogegen an letzter Stelle es offenbar mehr objektiv 
beschreibend zu fassen ist „die kleinen, ländlichen fabulae*. 
Bekanntlich ist die gewöhnliche Unterscheidung diejenige, daß 
fabula vom Drama, fabella von der (äsopischen) Fabel ge- 
braucht wird, worüber man Quint. 5, 11, 19 vergleichen möge. 
Wo dagegen fabella im Sinne von Schauspiel oder Drama vor- 
kommt, hat es immer eine herabwürdigende Bedeutung; man 
schlage die bekannten Stellen, die man jetzt auch bequem im 
Thes. ling. lat.®°) zusammengestellt findet, nach: Cic. Cael. 64 
(and ad Quint. 2, 15, 3) velut hacc tota fabella veteris et 
plurımarum fabularum poetriae quam est sine argumento! 
Wenn ich nun richtig sehe, was in diesem Falle allerdings 
schwer zu beweisen sein wird, so finden wir hier eine An- 
passungsfähigkeit des sprachlichen Ausdrucks an das zu be- 
schreibende Objekt, die ich persönlich wenigstens dem Livius 
nicht leicht zuschreiben würde, aber die wir mit der sehr 
reichen, geradezu bunten und leicht variabelen Ausdrucksskala, 
deren sich Varro besonders in den saturae Menippeae bedient, 
eine auffallende Aehnlichkeit aufzuweisen scheint. 


Betrachten wir nun noch einmal das berühmte Livius- 
kapitel seinem Inhalt nach an und fürsich. Da stellt es sich bald 
heraus, wie künstlich der Aufbau ist, wie sehr bis in seinen 
kleinsten Teilen sorgfältig abwägend und was neben dieser 
ganzen künstlichen Komposition die wirklichen Daten gewesen 
sind, um welche der Autor (Varro!?) seine Betrachtungen fest- 
gelegt und gewissermaßen krystallisiert hat. 

Dieser Historiker unterscheidet nun offenbar verschiedene 
Komponenten, die er in eine historische Perspektive hineinzu- 
zwingen sich bestrebt: A Tanz, B Mimik und Gesten, C wech- 
selnde Scherze m» Dialog, D Gesang. Wenn man die ver- 
schiedenen Phasen, die Livius beschreibt, so einteilt I (= $ 4), 
I(=85), II (=86,7, IV (=$ 89,10), V 811,12), 
so ergibt sich folgendes: 

1. (Die Quelle des) Livius hat offenbar beabsichtigt, die 
verschiedenen Phasen gegen einander klar abzusondern, ander- 


— „oo 


“) VI, 7,32 ff. 


17° 


296 F. Muller, 


seits im folgenden immer wieder durch Rückverweise auf das 
Vorhergehende Bezug zu nehmen: 

In I schreibt er: sine carmıne ullo, sine actu imitandorusss 
carminum, welcher letzte recht sonderbare Ausdruck offenbar 
heißt: „olime mimische Darstellung eines in Liedform vorge- 
tragenen Themas“. Diese beiden Faktoren müssen also bei der 
nunmehr folgenden Entwicklung hinzukommen: Gesang (car- 
men cv cantu in III) und Handlung (actus [+ ıimitatıo 
z. II] cv egisse in IV). 

In II inconditis korrespondiert mit zncompositum m III, 

In II inter se korrespondiert mit ulternis in Ill. 

In I sine earmine, sine imitandorum casminum acthı ıst 
prospektiv, in III non sieut ante... . sed legt die Verbindung 
retrospektir. 

In I motus „Tanzbewegungen“ kehrt in dieser Bedeutung 
in II wieder, während der Singular wahrscheinlich in III und 
sicher in IV (vgl. egisse) den erweiterten Sinn: „Körperbewegung 
überhaupt“ hat, d. h. sowohl Mimik als Tanzbewegung. 

In I modi „Melodie des Flötenspiels* kehrt in genau der- 
selben Bedeutung in III wieder. 

In Il vor „Singstimme* kehrt erst in IV zurück, zuerst 
in der nämlichen Bedeutung, nachher auch als „Sprechstimme*“. 

In I saltare „Tanzen“, der Ausgangspunkt kommt nur dort 
vor, der Endpunkt cantare oder cantus ın III und IV, die 
beide in dieser Entwicklungsgeschichte offenbar eine organische 
Einheit bilden. 

Damit liegt, meine ich, die Sache klar zutage: es ist 
auffallend, wie schlecht motiviert und unzulänglich in das 
Ganze hineingearbeitet die II. Phase ist; denn erst aus III 
geht hervor, daß mit den Worten tnconditis inter se iocularıa 
fundentes versibus die Fescennini versus gemeint sind, und 
während Livius oder seine Quelle sonst überall sich bemüht 
hat, auch in der Wortwahl die verschiedenen Phasen so eng 
wie nur möglich untereinander zu verbinden, hat er gerade in II 
imitarı in einem ganz andern Sinne als in I verwendet. Und 
obgleich der Autor jedesmal eine ältere Phase mit dem Im- 
perfekt abschließt, um so deutlich hervorzuheben, welche neue 
Lage der eben geschilderte Entwicklungssprung nun wieder 


Zur Geschichte der römischen Satire. 957 


geschaffen hat, ist ihm dies in II am wenigsten gelungen: 
man fühlt es dem forcierten simul und dem kategorischen 
nec absoni a voce molus erant, wobei der eigentliche Ausgangs- 
punkt (imitarı coepit!) ganz unvermittelt dem Gesang oder 
der Diktion untergeordnet wird, an, daß, man weiß nicht woher, 
neue Elemente dem alten Kerne aufgepfropft werden sollen. 

Kurz gesagt, I und IIf bilden die Hauptpunkte. Be- 
trachten wir nun einen dieser beiden, III, weiter, so fällt zu- 
nächst auf, wie viel melır als im Vorhergebenden diese zwei 
Paragraphen 6 und 7 eine nun offenbar als ganz merkwürdig 
betrachtete und hingestellte Neuerung aufzuweisen haben: die 
satura! Diesem Zweck dient die besondere Hervorhebung 
non sicut ante... . sed, aber — was am schwersten ins Ge- 
wicht fällt — erst so werden die rätselhaften Worte durch- 
sichtig und begreiflich: zmpletas modis saturas. Was heißt: 
impletas modis? Niemand hat das bisher noch zu sagen ver- 
mocht und die weit auseinandergehenden Interpretationen sind 
wohl der beste Fingerzeig, daß es hierfür eine richtige Er- 
klärung eben deshalb nicht gibt, weil die Worte keine Realität 
enthalten und nur Konstruktion sind. Konstruktion? Ja, weil 
man in diesen Worten einen Versuch spüren kann, einem 
Terminus technicus, den man überliefert be- 
kam, und nicht mehr verstand, ein wenig eigenes 
Leben abzugewinnen. Man beachte nur, wie auch aus der 
folgenden Formulierung: descripto iam ad tibicinem cantu 
moluque congruenti, die nämliche Absicht hervorblickt. Des- 
halb auch, wie wir oben sahen 6), der eigentümliche Singular 
tersu und simelem. 

So geht, meine ich, aus einer ausführlicheren Interpretation 
des Liviuskapitels hervor, daß dort — mag man griechischem 
Einfluß oder freier Konstruktion immer noch so viel zu- 
schreiben — wenigstens zwei Daten aller modernen weginter- 
pretierenden Gräcomanie standhalten: a) Etruskische 
Tänzer haben zur Sühnung religiöse Tänze 
inRom veranstaltet und b) Leute wit einem 
etruskischen Namen haben eine satura in 
Rom aufgeführt, deren Namen kein Römer mehr ver- 

*) S, oben S. 254. 


256 


seits im folgenden imme:' 
Vorhergehende Bezug zu 
In I schreibt er: sın 
carminum, welcher letzt: 
heißt: „ohne mimische 
tragenen Themas“. Die: 
nunmelır folgenden Ent 
men vw cantu in LT: 
z. II] cv egisse in IV) 
In II tnconditis } 
In II inter se ko' 
In I sıne carmın 
prospektiv, in III no: 
retrospektir. 
In Imotus „Tar 
in II wieder, währe 
sicher in IV (vgl. egt 
überhaupt“ hat, d. 
In I modı „M 
selben Bedeutung 
In IL vor „Ss 
in der nümlichen ' 
In I sultare , 
vor, der kudpu 
beide in dieser F 
Einheit bilden. 
Damit lie 
auffallend, wie 
Nuanze Aineing 
geht hervor, ı 
fundentes ver 
während lavı 
hat, auch in 
wie nur mänl 
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obgleich der A 
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hichte der römischen Satire. 259 


< meldet die Frage sich, ob vielleicht 
wir oben sahen, diese ganze Entwicklungs- 
künstlich den Tatsachen gewissermaßen 
er aber wohl schon deren Gewährsmann 
schlossenes Ereignis auseinandergezogen 
:r Einheit eine Perspektive der Entwick- 
zt habe. Denn tatsächlich hat Valerius 
ganzen Aufeinanderfolge nichts. Zudem 
ıs selbst eine bestimmte Eigentümlichkeit 
Livius stellt die Sache so dar: eine 
ım die Pest zu wehren: man gab damals zum 
enici: Etruskische ludiones (das Livius ]. c. 
dus ableitet) führten graziöse Tänze aus.... 
: (accepta res est) und durch fortgesetzte 
Interesse recht lebendig (saepiusque usur- 
ie einheimischen Künstler wurden 
der „Spiel-er“ („lud-io“) mit einem etrus- 
)ister heißt, Arstriones genannt‘ (!). 
doch, um es nur gleich herauszusagen, etwas 
an den ausländischen Leuten einen als latei- 
‚n Namen gibt, den einheimischen Künstlern 
ificibus“) einen fremden (histriones), wobei 
‚ssen möge, daß eben die Genesis des Dramas 
ın hier beschrieben wird, eine nationale Bühnen- 
als in Rom noch nicht bestand und somit; gar 
ung vorlag gegenüber einer solchen einheimischen 
‚ändische Kunstäußerung, auch wenn sie in den 
imischer Künstler lag, als nicht-national auch 
nezeichnen. Ist es nun reiner Zufall, daß Valerius 
diesem Widerspruch nichts hat? Er sagt nur: 
‚ınen lud-tus (offenbar auch als „Spiel-er‘) aus 
.„ * nen lassen... . ed quia ludius apud eos hister 
-- 0". scaenico nomen histrionis inditum est“; bei ihm 
a »- lius und histrio synonynı. 
row la” ‚cherweise kann die Sprache uns lıier weiterhelfen. 


Nas PP 14 PRSR EHER: 
so. , » #’Livius binausgehend, daß er die Circusspiele an die Cor- 
- +: » "ie Tanzkunst der Etrurier an die Tänze der Kureten und 
" Jreesınt 7 Welchen er auch die Tuscs herleitet, anschließt. S. jetzt 
‚:= ‚stein, Gött. Gel. Nachr. 1918, 256. 


DD Duis 
‚ Teurg — # 


258 F. Muller, 


stand, den er sich aber verständlich zu machen suchte, indem 
er den Begriff des Vollen, impleias modis, des „durchgehend 
von Musik und Mimik (Tanzbewegung) Begleitetsein‘, hinein- 
deutete. 

Und eines sehen wir deutlich: den Unterschied zwischen 
III und IV in technischem Sinne hatte die Quelle des Livius 
in der Antithese: ad tibicinem rw» ad manum histrionibus ®°) 
ausgedrückt: in III war noch die Musik, die Melodie das 
Fundament, der Basso continuo der ganzen Aufführung, in IV 
ist deren Rolle der Mimik und der plastischen Darstellungs- 
kunst des Schauspielers untergeordnet worden. 

Wir kommen also bei Livius’ Darstellung zu der nach- 
folgenden Absicht seiner Quelle: _ 

I. Tanz ohne Gesang und Gedicht und ohne Mimik, 

IL, II. Gesungene Gedichte mit sich dabei anpassender 
Mimik und Körperbewegung; die Sangpartien anfänglich 
wechselnd vorgetragen. 

IV. Einheit der Handlung (argumentum) und Trennung der 
gesprochenen Partien von dem alten Gesang. 


Bei dieser Betrachtung verwendet er: etruskische 
Tänze, etruskische Hochzeitslieder (Fescennin:), saturae 
von Leuten mit etruskischem Namen aufgeführt, das 
alteinheimische italische Lustspiel, die Atellanae (fabulae), 
nach dem Ort Atella genannt, morphologisch genau zu ver- 
gleichen mit den Fescennini von Fescennium °°). 


*) Es ist fust unbegreiflich, daß man so lange an der falschen 
Uebersetzung: Aistrionibus „von den“ oder „durch die Schauspieler“ hat 
festhalten können; dieser Dativ im Sinne des Ablativs mit a wäre für 
I.ivius sehr selten, aber viel schwerer wiegt, daß nur die Uebersetzung 
als echter Dativ (sowohl mit ad manum wie mit cantart zu verbinden) 
den allein richtigen Sinn gewährt, — Für den Ausdruck ad manum 
= „sich dabei den (Bewegungen oder Mimik der) Hände(n) anpassend“ 
vergleiche man Festus 430 Linds,, wo es von genau demselben Ereignisse, 
vom Tanzspiele, heißt: qui ad tibicinem saltaret (zweimal) und Paul. 155: 
Nenia est carmen, quod in funere laudandi yratia cantatur ad tibiam, 
schließlich die alte Drakenborch-Ausgabe II 476 ud loc. 

es) Mit der oft sinnlosen Auffassung bei Valerius Maximus II, 4,4 
ist überhaupt nichts anzufangen: um die Pest zu bestreiten, werden 
novo cultw religionis Gesänge komponiert, die iuventas singt diese 
veneralilia erga deos verba aber fügt rudi alque incomposilo motu corpo- 
rum (dieselben Adjektive hatte Livıus von den Jrescennins!) gestus ioca- 
bunda hinzu (!). Eaque ves ludium ex Etruria arcessendi causam dedit (l}). 
Toller kann man sich kaum die Sache zurechtlegen. Nur das hat er 


Zur Geschichte der römischen Satire. 259 


Einen Augenblick meldet die Frage sich, ob vielleicht 
Livius’ Quelle, die, wie wir oben sahen, diese ganze Entwicklungs- 
geschichte so überaus künstlich den Tatsachen gewissermaßen 
aufgedrungen hat, oder aber wohl schon deren Gewährsmann 
bier ein in sich geschlossenes Ereignis auseinandergezogen 
habe und so aus einer Einheit eine Perspektive der Entwick- 
lung in Szene gesetzt habe. Denn tatsächlich hat Valerius 
Maximus von dieser ganzen Äufeinanderfolge nichts. Zudem 
weist auch bei Livius selbst eine bestimmte Eigentümlichkeit 
in diese Richtung. Livius stellt die Sache so dar: eine 
Neuerung erfolgte, um die Pest zu wehren: man gab damals zum 
ersten Male ludi scaenici: Etruskische ludiones (das Livius 1. c. 
also offenbar von Zudus ableitet) führten graziöse Tänze aus.... 
Dies fand Eingang (accepta res est) und durch fortgesetzte 
Praxis wurde das Interesse recht lebendig (suepiusque usur- 
vando excitala): die einheimischen Künstler wurden 
von jetzt an, weil der „Spiel-er* („lud-io*) mit einem etrus- 
kischen Namen (h)ister heißt, histriones genannt‘ (!). 

Das ist denn doch, um es nur gleich herauszusagen, etwas 
sonderbar, daß man den ausländischen Leuten einen als latei- 
nisch betrachteten Namen gibt, den einheimischen Künstlern 
(„vernaculis artificibus“) einen fremden (histriones), wobei 
man nicht vergessen möge, daß eben die Genesis des Dramas 
überhaupt in Rom hier beschrieben wird, eine nationale Bühnen- 
kunst also damals in Rom noch nicht bestand und somit gar 
keine Veranlassung vorlag gegenüber einer solchen einheimischen 
Kunst die ausländische Kunstäußerung, auch wenn sie in den 
Händen einheimischer Künstler lag, als nicht-national auch 
im Namen zu bezeichnen. Ist es nun reiner Zufall, daß Valerius 
Maximus von diesem Widerspruch nichts hat? Er sagt nur: 
„man hat einen lud-ius (offenbar auch als „Spiel-er*) aus 
Etruria kommen lassen... . et quia ludius apud eos hister 
appellabatur, scaenico nomen histrionis indium est“; bei ihm 
sind also ludius und Aistrio synonym. 

Glücklicherweise kann die Sprache uns lıier weiterhelfen. 


Neues über Livius hinausgehend, daß er die Circusspiele an die Con- 
sualia und die Tanzkunst der Etrurier an die Tänze der Kureten und 
Lydier, von welchen er auch die Tusci herleitet, anschließt. S. jetzt 
auch Reitzenstein, Gött. Gel. Nachr. 1918, 256. 


960 F. Muller, 


Weder lud-io noch lud-ius®) als Ableitung von ludees 
‚kann nämlich lateinisch sein: es gibt kein einziges ganz gleich - 
artiges morphologisches Beispiel einer Derivation mittels eines 
Suffixes -2ö(r) oder -tus von einem Substantivum. Es kommthin- 
zu, daß für das Lateinische das Nebeneinander von -t0 und -zus un- 
erhört wäre, wie es doch die verschiedenen Stellen, an denen 
beide Wörter vorkommen, besprochen von Madvig®) und 
Ullmann ®), uns klar vor Augen führen. 

Nur ein Beispiel möchte iclı vorläufig bier in die Debatte 
ziehen, das genau die gleiche Eigentümlichkeit aufweist: larzo 
und lanius, woneben laniena vorkommt. Die Belege sind 
zusammengestellt von Herbig ’°), der vorzüglich nachgewiesen 
hat, daß bier ein rein etruskisches Wort vorliegt, das im 
Lateinischen durch eine sehr lebenskräftige Sippe vertreten ist, 
und das unbestrittten zusammengehört mit lanista, von welchem 
Worte Isidor Orig. 10, 159 Linds. ausdrücklich sagt: lanista 
gladiator i. e. carnifex Tusca lingua. Und genau dieselbe 
und m. E. geradezu etruskische Struktur weisen auch andere 
Nomina auf, Anio, gen. Anienis, auch Anienis, Nerio, gen. 
Nerienis, für welche man das Material bei K. Meister 7!) 
findet, dessen Auffassung ich mir aber nicht ganz aneignen 
kann. 

Dadurch fällt, wenn ıch nicht irre, auf luwlio ein Streifen 
helles Licht: das Wort bedeutet einfach „der Lydier“, „der 
Iydische = etruskische Spieler“, wie bereits Varro das ange- 
nommen hat‘®2). Man stelle damit das Iragment des Varro ' 
zusammen, aul das auch schon Weinreich gewiesen hat (bei 
Non. 851 L.): quod ludis pueri praesules essent glabri ac depilis 


#) Das einzige Wort, das aus dem Lateinischen herangezogen 
werden könnte, ist mödius, das uber in seinem Verhältnis zu mödus 
durchaus unsicher bleibt. Außerdem ist semasiologisch im besten Fall 
das Verhältnis zwischen /ud-ius und ludus einerseits und mod-ius und 
modus andrerseits durchaus ungleich. 

63) Emendationes Livianae p. 139. 

*°) Class. Phil. IX, 14 Anm. 0) Indog. Forsch. 37, 179 £. 

1) Lateinisch-Griechische Eigennamen (1916) 2 fi., 10 ff. Nerio kann 
als Eigenname einen indogermanischen Stamm haben und im Umbri- 
schen oder im Oskischen ein etruskisches Suffix bekommen haben: ge- 
rade bei Eigennamen ist dies eine sehr oft vorkommende Erscheinung: 
wie Schulze’'a ZGLE. passim zur Genüge bewiesen haben. 

”2) 8. Weinreich, Ilerınes 51,405. 


Zur Geschichte der römischen Satire. 361 


propter aelutem, quos antiqui Romani Iydios appellabant, ut 
est in lb. I Varronis de Vita Populi Romani, ideo Plautus 
in Aulularia (401) 
tu ıstum gallum, si sapis, 
glabriorem reddes mihi quam vulsus Iydiust 

für dessen Bedeutung man vergleichen möge Varro Sat. Men. 
fr. 156, wo von den kahlgeschorenen Galluspriestern die Rede 
ist. Plautus hat das Wort nur noch Curc. 150: fite cuusa 
inca Audi barbari | sussulite ( saltäre), wo die pessuli 
pessumi angeredet werden. 

Die Hss. haben an der ersten Stelle: Iydyus est B, lidyus 
est D, lidius est J.T, an der zweiten mea lidi aus me alidi B*, 
me alidi E, mea lide, mea Iydı FZ. Die zweite Plautusstelle 
bezeugt auch noch deutlich dies, daß für Plantus und sein 
Zeitalter Iydius mit ausländischer (barbarus) Schau- 
spieler identisch war. 

Sind also die Zeugen für eine Schreibweise !ydius schon 
recht zahlreich, das umfangreiche Zeugnis Tertullians ist für 
unsere Sache besonders ergebnisreich, de spect. 5 (= Suet. 
relig. p. 333 R., s. auch Funaioli Gramm. row. fragm. p. 363): 
Ab his (nämlich auctoribus multis) ludorum origo sic traditur: 
Lydos ex Asia transvenas in Etruria consedisse .... iyıur in 
Etruria inter ecteros rilus superstitionum suarım spectacula 
quoque religionis nomine instituunt: inde BRomani arcessitos 
artifices mulyantur, tempus, enuntiationem, ut ludi a Lydis 
cocarentur. Sed etsi Varro lu<dios a ludo id est aylusu inter- 
prelatur sicut et Lupercos lud<iyos appellabant, quod ludendo 
discurrant, tamen eum lusum iuvenum et diebus festis et templis 
et religionibus reputat. Vollkommen sicher ist es nun aller- 
dings nicht, was Varro eigentlich gesagt bat, weil bei Isidor 
Orig. 18, 16,2 über denselben Varro die an sich sehr un- 
deutliche Mitteilung steht: Varro autem dieit ludos a lusu 
vocalos, quod tuvenes per eos dies festos solebant ludi exultatione 
populum delectare. 

Es spricht also in der römischen Tradition vielerlei für 
eine wirkliche Benennung des ausländischen Schau- 
spielers als „Lydier, Ludier = Etrusker“. Schon die einfache 
Erwägung, daß ein solches Wort unvermeidlich dem Einfluß 


h 


262 F. Muller, 


der Volksetymologie durch das lateinische ludus „Spiel“ er- 
liegen mußte, während umgekehrt für ein Wort * Iad-ius, von 
Indus abgeleitet, ein nachheriger Uebergang in Iydiss, 
zur Zeit als der etruskische Einfluß sich dem historischen 
Bewußtsein mehr und mehr entzogen hatte, undenkbar ist, 
könnte bier den Ausschlag geben. | 

Auch sonst finden sich noch Spuren der Lydiernamen für 
den Etruskernamen angewandt: im vergilianischen Culex liest 
Vollmer heute (V. 366) Mucius..... cui cessit Lydi timefacta 
potentia regis, womit der Iydius rex Porsenna gemeint ist: 
die meisten Hss., offenbar diese versteckte Bezeichnung nicht 
verstehend, haben legitime verlesen und das Wort selbstver- 
stündlich in den Anfang des Verses hineingestellt, aber Leo, 
der in seiner kleinen Ausgabe (1891) sich vergeblich bemüht 
diese Lesart zu retten, muß bekennen, daß die von ihm ange- 
nommene Bedeutung für legitime nirgends belegt ist. 

Aber ludius hat nicht nur die Bedeutung Ahistrio oder 
Lupercus, wie aus der Stelle des Tertullian hervorgeht, son- 
dern auch gladiator und diese beiden Bedeutungen kehren noch 
in der Kaiserzeit wieder. Martial V, 24, 10 verwendet Zudia 
von einer Tänzerin auf der Bühne, Juvenal VI, 104 hat ludia, 
wo das Scholion angibt: ludis serviens, yladiatoris wror, ıb. 
266: quae ludia sumpserit umquam | hos habitus, quando ad 
palum gemat uzxor Asylı, wo wieder das Scholion gibt: Asylus 
nomen gladiatoris. Wenn nun Schauspiele sowohl als Gladia- 
toren aus Etrurien kamen, wie wir oben gesehen haben und 
für die darin Auftretenden der Name !ydius «> ludius üblich 
‚war, während auch die Luperci vielleicht diesen Namen führten, 
spricht vieles dafür, daß ludius nicht mit lüdus zusammen- 
hängt ”®). 

Fassen wir kurz zusammen: entweder ist das Nebenein- 
ander von lulydio und lulydius eine sprachliche Tatsache: 
dann ist das Wort nur aus der etruskischen Morphologie zu 
deuten; oder aber man hat von lulydius auszugehen: dann ist 
ludio durch Assoziation zu erklären mit Aistrio und Analogie- 


?3) Eigennamen mit Aistr- und /ud- anfangend kommen in der 
etruskischen Ueberlieferung häufig vor. wie man aus W. Schulze ZGLE. 
164,176 (auch Histius, Hister) und 179, 180 ersehen kann. 


_ mi 


Zur Geschichte der römischen Satire. 263 


bildung nach den im Etruskischen recht häufigen nomina auf 
-i0 (-, darüber vgl. W. Schulze ZGLE. 305—309) ”*). 

Hierdurch fällt dann mit einem Schlage die. oben S. 259 
aufgedeckte Anomalie fort, die darin gelegen war, daß die 
Römer angeblich den etruskischen Tänzern einen römischen 
Namen (Phase I), dagegen den römischen Schauspielern einen 
etruskischen Namen gegeben hätten. 

Ist dies richtig, so haben die Römer dem anerkannt 
etruskischen Ursprung und weiteren Einfluß für ihre Schau- 
epielkunst mit zwei etruskischen Namen Ausdruck gegeben: 
der eine !ydius war ein Name wie Fescennini, Atcllani (s. Val. 
Max. II, 4, 4 in fine), der andere deutete die Gattung ver- 
mutlich als solche an: histriones. 

Wenn man nun damit zusammenhält, daß in dem ganzen 
Liviuskapitel kein Wort so fest sitzt als satura, ja, daß eigent- 
lich jene Eutwicklungsgeschichte geradezu um dieses Wort 
sich zu gruppieren scheint, daß ludio, histrio, Fescennini deut- 
lich von etruskischem Einfluß ’°), reden, daß satura aus dem 
Lateinischen nicht zu erklären ist, so drängt sich die Frage 
auf, ob denn auch satura = lanz deorum aus dem Etruskischen 
Licht erhält. : 

Aber zu diesem Zweck werden wir etwas weiter ausholen 
müssen, wobei wir fortwährend diese lan» deorum oder wie 
ein Grieche im 1. Jahrhundert v. Chr., Meleagros, es aus- 
drückte, diese 'Pupaixn Aonzs ’°) als Ausgangspunkt nehmen. 


’”) Von da aus hat sich dieses Suffix dann auch in anderen Wörtern 
festgesetzt, wie mirio (vgl. Varro LL. 7,64: a quo (sc. a miris) Accius 
ait: personas (darüber unten $S. 264) distortis oribus deformis mirones, 
(vgl. A. Dieterich, Pulcinella 110), sannio als Name in der Komödie und 
Nonius p. 85 Linds.: sanniones dicuntur a sannis, qui sunt in dictis 
fatus et in motıbus et in schemis, Dieterich ebd. 237. 

”s) In diesem Zusammenhang ist es noch wichtiger als Stütze für . 
unsere Auffassung, daß Livius, nachdem er berichtet hat, daß die Tanz- 
spiele als Abwehr gegen die Pest nicht nutzten, so fortfährt (VII, 3,3): 
repetitum ex seniorum memoria dicitur, pestilentiam quondam clavo ab 
dictatore fixo sedatam. Und diesen Brauch, an dessen apotropäische 
Kraft an sehr vielen Stellen der Erde geglaubt wird, nahmen sie wieder 
aus Etrurien herüber (ib. 92: Volsiniis quoque clavos indices 
numers annorum fixos in templo Nortiae, Etruscae deae, comparere dilgens 
zalium monumentorum auctor Cincius affirmat (über Nortia s. Pauly- 
Wissowa VI 768, 12). 

76) Vgl. Anthol. Pal. 12, 95, 9 und s. G. A. Gerhard, Phil. 75 
(1919) 272. 


264 F. Muller, 


IH. 


Sobald man sich diese Frage ruhig vorlegt und erwägt, 
gewinnt diese Möglichkeit eine große Anziehungskraft. Denn 
überaus viele Wörter, die gerade mit Riten und mit Zere- 
moniell zusammenhängen, hat das Lateinische dem Etruskischen 
zu verdanken. Man urteile: 

1. Persöona „Maske“ stammt aus dem Etruskischen, wie 
das zuerst Skutsch ’’) klar ausgesprochen hat. Wer da liest, 
wie in einem etruskischen Grabe „nella parete a sinistra presso 
il volto mascherato di un mimo gersu“ geschrieben ist, kann 
“ nicht zweifeln. Wahrscheinlich Jiegt ein etruskisches gers-un«a 
zugrunde. 

2. Die für die lömer charakteristischen neniae sind wahr- 
scheinlich durch Vermittlung der Etrusker aus dem Osten ge- 
kommen’?). 

3. Der für die ursprünglichen etruskischen (Schau)spiele 
so charakteristische Flötenspieler (tibicen) hatte auch einen 
etruskischen Namen: subulo, wie bereits ein Enniusfragment 
belegt: Sat. 65 (V.?); Varro sagt ausdrücklich L.L. VII 35: 
subulo dietus, quod ita dieunt tibieines Tusci; quocirca radices 
eius in Etruria, non Latio quaerundae, vgl. Fest. 402 Linds.: 
subulo Tusce tibicen dieitur. 

4. Ein Fragment, das nicht ganz sicher dem Varro zu- 
geschrieben wird (fr. 311 bei Funaioli) sagt: Crassus Dires 
primus argento auroque folia imitatus est, ludıs suis coro- 
nas dedit, accesserunique et lemniscı, quos adici ipsarum coro- 
narım honor erat, propter Etruscas, quibus iungi nisi aurei 
non debebant (bei Plin. Nat. Hist. 21,6). Das Wort, das bei 
den Griechen nur von Polybius und Plutarchus, also den sich 
mit römischer Geschichte befassenden Autoren angewandt wird 
— auch Hesych sagt Anpvioxo;" Tas Tarvias Iupaxobars: — 
ist offenbar eine (deminutivische) Ableitung von *ANjkvog oder 


”) Arch. lat. Lexicogr. 15, 145, vgl. für das Morphologische auch 
Rosenberg, Glotta 4, 52 über Nomina auf -w. Das gleiche Verhältnis 
erblicke ich auch in Aatu > etr. lat. Lälöna, wie ich in anderem Zu- 
sammenhang darzulegen gedenke. 

’®) Vgl. auch Norden in Gercke-Norden, Einleitung in die Alter- 
tumswissenschaft ! I 454. 


Zur Geschichte der römischen Satire. 965 


Aruvo;, der Insel, die mit dem etruskischen Volke so nahe 
Berührung hat. 

5. Der aper der römischen Priester und zwar der ältesten 
unter ihnen, der Salii stammt aus Etrurien und ist auch wirklich 
den nun gefundenen Helmen der Tyrsener, d. h. der aus denı 
Osten eingewanderten Etrusker auffallend ähnlich, wie G. Körte 
mitteilt ?%), der zum Schluß sagt: „die Erkenntnis, daß eine 
höhere Kultur in Mittelitalien erst mit der etruskischen Er- 
oberung beginnt, erscheint mir jetzt schon sicher begründet.“ 

6. Die ganze haruspicina, die für das ganze Öffentliche 
und private Leben der Römer und des römischen Staats so 
überaus wichtig gewesen ist, ist ganz aus etruskischer Ein- 
geweide-, spez. Leberschau herzuleiten, wie wiederum G. Körte®®) 
und C. Thulin ®!) festgestellt haben. Am Ende haben wir 
hier chaldäische Weisheit; schon die Tatsache, daß das Eben- 
bild der Bronzeleber von Piacenza wieder dort, im Osten, zu- 
tage gefördert worden ist, ist hier bezeichnend genug. 

7. Den Etruskern haben die Römer ihre insignia magi- 
straflun entnommen, wie Sallust Catil. 51,38 ausdrücklich 
bezeugt. 

8. Das gleiche Verhältnis gilt von vielen militärischen 
Dingen überhaupt, von denen Florus 1, 5, 6 ausdrücklich 
bezeugt, die Römer haben sie den Etruskern entlehnt. 

9. Von vielen andern Wörtern: fustis ®?), yrama ®°) (etr. 
-< gr. Yyopwv) ist dasselbe zu beweisen. 

10. Daß auch im religiösen Sinne die Römer den Etrus- 
kern viel mehr verdanken, als bisher angenommen wurde, daß 
2. B. Menschenopfer %) und vieles Andere aus dieser Quelle 
ließen oder erst richtig zu verstehen sind, hoffe ich an 
anderem Orte zu zeigen. (Vgl. Verf. in Mnemosyne 47 (1919) 
17.) 


») Pauly-Wissowa VI, 746 und 747, 52. 

°®, Röm. Mitteil. XX (1905), 348 und Pauly-Wissowa VI 744. . 

‚®) Die etruskische Disziplin II, 30 (= Göteborg Högskolas Ars- 
skrift 1906). 

?) Manu Leumann, Herm. 55, 111. 

ss) W. Schulze, Sitz.-Ber. Berlin 1905, 709. 

+) Vgl. vorläufig Wissowa, Rel. u. Kult. ? 420. 


266 F, Muller, 


Damit ist der Weg gebahnt für die Frage, ob denn diese 
religiösen Tänze, deren fremden Ursprung die Römer auch sonst 
richtig erkannt haben 5), ob denn diese satura als lanz deorum 
aus dem Etruskischen hergeleitet werden könne. 

Wir beschränken uns vorläufig auf das Wort safura. Bei 
Vergilius stehen die folgenden Verse (Aen. VII, 301): qua Sa- 
turae iacet atra palus, gelidusque per imas quaerit iter valles 
atque in mare conditur Ufens; dieser Name Säfüra kehrt nur 
noch bei Silius wieder (VIII, 380) wo es heißt in offenbarer 
‘Nachahmung Vergils: qua Sütürae nebulosa palus restagnat. 

Es kann nicht reiner Zufall sein, daß bei Vergil in nächster 
Nähe so viel Namen vorkommen, die etruskisch sind: Fero- 
nia ist sicher der Name einer etruskischen Göttin, wiederum 
nach einer etruskischen gens benannt ®°), Anzur, das aus dem 
Italischen nicht zu deuten ist, erhält Licht aus dem Etrus- 
kischen 8°), das gleiche gilt für Circ(a)ei ®®) und wahrschein- 
lich auch für Labicus und Numicus®?)) (: Numa, Numitor) 
Auch die Sacranae acies, so lateinisch sie auch aussehen, 
können einen etruskischen Namen führen?®). 

Was dies Satura bedeutet, geht aus den genannten Stellen 
nicht hervor: die Umschreibung mit „Copia“, die man bis- 
weilen gibt, ist natürlich nur durch das lat. Satur veranlaßt. 
Einen zweifellos etruskischen Eigennamen Satura findet 
man CIL. IX, 6415a. Ist dieser Name Satura, der für die 
Geschichte der römischen Satura wichtig sein kann, nun im 
Etruskischen mit anderem Sprachmaterial zu verbinden? 

Heutzutage kann der Nachweis geliefert werden, daß einer 
der ältesten Götter Latiums, Saturnus, einen etruskischen Namen. 
führt und ein etruskischer Gott ist. Wenn man in diesem Lichte 
die Betrachtungen Wissowas ®!) noch einmal liest, wird man 


8) Vgl. Funaioli fr. 454, S. 309: saltatores nominatos Varro dicit 
ab Arcade Salio, quem Aeneas in Italiam secum adduzxit quique primo 
docuit Romanos adulescentes nobiles saltare. 

6) Schulze ZULE. 165, Wissowa Pauly-Wissowa VI 2217. 

87T) Schulze ebd. 539. 86) Schulze ebd. 172, 569. 

9) Schulze, ebd. 163, 552 und 269, 481. Vgl. Labienus mit dem 
typisch etruskischen Suflix und Laberius N) Numerius. j 

%) Schulze ebd. 2u, 223. — In letzter Zeit haben besonders die 
vorzüglichen Arbeiten Warde Fowlers gezeigt, wie wertvoll das von 
Vergil verwendete Material für uns ist und wie liebevoll er sich in 
die Vorgeschichte seines Volkes versenkt hat. 

st) Religion und Kultus der Römer ? 204— 207. 


Zur Geschichte der römischen Satire. 267 


den Eindruck nicht los, daß es mit dem italischen Ursprung des 
Gottes schlecht bestellt ıst. Erstens, daß der Name ihn schon 


‘ als Gott der Aussaat andeute, ist schon wegen der Länge des 


mr irn — 0 u oe ei. Se 


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7 En En U. up 0 ©. \,, (0 Sn Ö 2 2 Me zu 2 


ur. SR PER. Sri ggg, Cu u Tee m 


a unmöglich und damit ist auch schon das Urteil gesprochen 
über die Vorstellung, daß der Datum der Saturnalia, 17. De- 
zember, mit dem Schluß der Winteraussaat zusammenhänge. 
Zwar war Salturnus ein alter Goit, der schon um 497 v. Chr. 
in Rom sein fanum hatte (Varro L.L. 5, 42), aber man opferte 
ihm graeco ritu, mit unverhülltem Haupte! Wissowa sucht 
annehmlich zu machen, daß erst im Jahre 217 (Liv. XXII, 
1,19) die Umwandlung des latinischen Kultes in einen grie- 
chischen stattfand, aber eine richtige Motivierung dieser son- 
derbaren Aenderung fehlt durchaus und man bekommt auch 
hier wieder den bestimmten Eindruck mit einem ursprünglich 
nicht-italischen oder wenigstens nicht-lateinischen Gott zu tun 
zu haben. Ist es fernerhin nicht befremdend, daß ein itali- 
scher Gott der Aussaat bei einem Bauernvolke, wie es die 
Latiner und Osker waren, in seinem Kultus fast ganz auf 
Rom beschränkt ist, wie das Wissowa selbst ausführt 9)? 

Unten werden wir sehen, ‚daß auch das Saturnalienfest 
erst in diesem Zusammenhang seine richtige Erklärung er- 
hält. Aber schon jetzt gelingt es zu beweisen, daß die schon 
früher ausgesprochene Vermutung °°), Saturn sei ein etruskischer 
Gott gewesen, durchaus nicht auf schwachen Füßen steht, wie 
Wissowa meint. 

Der Name mit @ und mit der ganz unlateinischen Endung 
-urnus*) hätte eigentlich schon früher diese Vermutung näher 
legen sollen. 

Eine eigentümliche Form dieses Namens tritt in zweierlei 
Gestalt auf: eine alte Gefäßinschrift °5) enthält diese Worte 
Saeturn: pocolom; daneben stand bei Festus p. 432 Linds.: 
...qui deus ın Saliarıbus Sateurnus nominatur, wie aus 


") Religion und Kultus der Römer” 206. 

”) Deecke, Eırusk. Forschungen II 65, Etr. Forsch. und Stud. III 21. 
Thulin, Die Götter des Murtianus Capella 29, 41. 

*) Natürlich hat nocturnus (und darnach weiter durch begreifliche 
Assoziationen dicernus, o > diuturnus. tacıturnus) fernzubleiben; es ist 
rein indogermanisch und hängt mit den alten r/n-Stämmen zusammen, 
vgl. gr. voxtmp, vuxtepvdc, 8. Xstpep-ıvög CO lat. hibernus. 

») CIL. 1? 449, Diehl, Altlatein. Inschriften ?2 168, 


268 F. Muller, 


Paul. p. 433 hervorgeht Sateurnus Saturnus; früher hat man 
natürlich. sofort Saeturnus hergestellt, was um nichts besser 
ist, weil die eine wie die andere Form vom lateinischen Stand- 
punkt aus nicht verstanden werden kann. 

In alle diese Fragen hat nur die Betrachtung des etrus- 
kischen Sprachmaterials Licht gebracht”); während Schulze 
noch zweifelt, läßt die Gruppierung der sprachlichen Daten, 
wie man diese bei Herbig findet, keinem Zweifel mehr Raum. 


Herbig stellt zusammen: 


etrusk. latınısiert etrusk. 
sa-tr-e :  Satrius . sau-tr-i 
sa-tıne :  Saturzus :  zau-tur-ie 


*sa-tr-na, sa-ler-na : Saturnus, -nius 
sa-tur-i-nie, saut-  :  Satrienus, Satri- 
mius, Ixtptvvios 
vorgriech. -N-v6s : Satrenus, Sutrenius 
*sa-t(u)r-u :  Satronius. 

Dann zeigt er, wie eine Grundform *sani-tur-na sowohl 
die etruskischen Formen sar-lur-i-ne als die scheinbar latei- 
nischen Saelumus, Säturnus restlos erklärt, ja, wie selbst die 
unerklärliche Form des Verrius Flaccus”) Suteurnus eine 
historische Realität darstellt, die mit etrusk. pesti« neben 
pestw zu vergleichen ist ®). Diese vokalische Beweglichkeit 
etruskischer Wörter kommt auch noch in einem anderen Punkte 
zum Vorschein, in der Quantität des «: schon Schulze hat 
a. a. O. darauf hingewiesen, daß neben sau- und säd- in dieser 
Sippe auch sü@- vorkommt, wie aus Sätricum beiSilius Italicus IX, 
68. 77. 127 hervorgelit, und die gleiche Erscheinung finden 
wir auch sonst auf etruskischem Sprachgebiet. Ich greife nur 
einiges heraus: Feronia mit € und © (Schulze ZGLE. 165), 
neben Mamürtus mit echt etruskischer Endung -urius steht 
Mämurra aber auch Mämurrius (Schulze ebd. 228, 360) und 


ve), W, Schulze. ZGLE. 225 f., s. auch schon C. Lattes Arch. f. lat. 
Lex. 8,499. G. Herbig, Glotta II, 87, Philologus 74, 446—459, bes. 454. 
‚ ) Die Glosse geht auf Varro zurück, wie Reitzenstein, Verria- 
nische Forschungen (= Breslauer philol. Abhandlungen I, 4, 1837) 54 
erwiesen hat. 
#2) Ebd. S.456 Annı. 


1 


[ee 


Zur Geschichte der römischen Satire. 269 


Saburra beobachten (ebd. 404, 446). 

Auch Varro, der LL. V, 74 dem Namen Saturnus ganz 
' wie dem oben besprochenen Feronia sabinischen Ursprung 
: zuschreibt, scheint für diese Kombination zu zeugen. Es ist 

bekannt, wie dieser Name Sabin? in Varro’s sprachlichen Kon- 
| struktionen Sammelname geworden ist für Verschiedenes, dessen 
unrömischen Ursprung er erkannt hatte. 

Der Name Saturnus koramt dadurch auf eine Linie zu 
stehen mit Volturnus neben Volsinii (beide etruskisch, siehe 

Schulze ZGLE. 549, 571 «> 565), Jaturna®) neben Jano, 
das vermutlich weder mit Jovr(ts) noch mit zuvenis zusammen- 
hängt (Schulze ebd. 470 £.) 1%). 

Man muß nun bei derartigen Uutersuchungen nicht von 
| vornherein jede noch so schwache Regung des historischen 
| Bewußtseins unterdrücken oder in das Reich der Phantasie 

verweisen, will man sich nicht immer im Kreise des von altersher 
Bekannten herumdrehen ohne weiter zu kommen. Ich glaube 


| 
| das gleiche Verhältnis werden wir wohl zwischen Saburius und 
| 


nämlich, es kann kein Zufall sein, daß Varro (bei Funaioli fr. 400) 
und Hyginus (ebd. S. 535) diese Tyrrhener oder Etrusker mit 
den Pelasgern gleich stellt und daß derselbe Hygin gerade 
von Saturmus sagt (ebd. S. 535 fr. 17), er sei übers Meer 
' nach Italien gekommen und dort von Janus gastfrei bewirtet 
ı worden: hie igıtur Janus, cum Saturnum classe pervectum ex- 
cepisset hospitio et ab eo cdoctus peritiam ruris ferum illum 
dt sudem ante fruges cognitas vichum in melius vedegisset, regni 
eum socielate muneravit. 
Ich glaube nicht zu weit zu gehen, wenn ich dem Vorlier- 
gehenden das Recht entnehme, satur-no- als den Namen eines 
; alten Fruchtbarkeitsdämonen zu betrachten, den die Etrusker aus 
ihrer früheren Heimat in das neue Vaterland, Italien, mit- 


”#) Die Form Diuturna CIL. VI 3700 muß dann Analogiebildunz 
nach Diumpa = Lympha des Diu-: Jüpiter sein. Juturna und die Lymphae 
and beide Quellnymphen. 

‚ 6, In diesem Zusammenhang sei noch auf den Ortsnamen Saturnia 
hingewiesen, im südlichen Etrurien am Albiniaflusse. Auch Unt = Juno, 
nenrva — Minerva kommen im Etruskischen vor, können daher 
selbst ursprünglich etruskisch sein. Auf satre = Saturnus ist oben 
(8.268) schon hingewiesen. Ob in turan == Aphrodite, turms = Hermes 
das gleiche Element sich versteckt, das wir unten in o&tupo; (und in 
Topanvoi OD vipavwvo:) wiederfinden werden ? ; 


Philologus LXXVIII (N. F. XXXID, 3/4. 18 


PER „— RE he 


970 F. Muller, 


gebracht haben. Gleich werden wir sehen, daß Name und 
Inhalt sich damit in einen größeren Zusammenhang einreihen 
lassen. Für jetzt wollen wir versuchen, die Frage zu beant- 
worten, woher denn dieser Name stammen wird. 


Hier schließe ich mich unbedingt den zusammenfassenden 
Betrachtungen an, die @. Körte in einem vorzüglichen Artikel 
bei Pauly-Wissowa VI 730, bes. 731—748 veröffentlicht 
hat!°). Neuere sprachliche Untersuchungen, auf die ich unten 
zurückkomme, haben diese Auffassung vollauf bestätigt. In- 
dem ich den Leser im allgemeinen auf Körtes Abhandlung 
verweise, gebe ich hier nur das Resultat: 

Die Etrusker sind, wie bereits die antike Ueberlieferung, 
speziell Herodot 1 57 und 94, es dargestellt hat, zu Schiff nach 
Italien gelangt; die Inschrift von Lemnos, aus dem VI Jahr- 
hundert, zeigt mit dem Etruskischen starke Verwandtschafts- 
züge, das Zeichen für F, 8, das aus dem Etruskischen in das 
umbrische und in das oskische Alphabet Aufnahne gefunden hat, 
ist neuerdings wiedergefunden in Inschriften mit epichorisch- 
Iydischer Schrift 10°). Diese Tupanvoi saßen seit dem XIV. Jahr- 
hundert im Gebiete des Aegäischen Meeres und sind sicher 
identisch mit den bekannten Turscha auf den ägyptischen 
Denkmälern des XIV. Jahrhunderts; die Einwanderung in 
Italien wird dann im VIII. Jahrhundert oder wenig früher 
erfolgt sein, die Eroberung der Po-ebene durch die Etrusker 
vom Süden aus etwa im VI. Jahrhundert. An vielen Stellen, 
wo in der antiken Ueberlieferung von Pelasgern die Rede ist, 
sind Tyrsener gemeint, so besonders wenn Herodot (I 57 £.) 
berichtet, daß an der Propontis in Plakia und Skylake ein 
„pelasgisches* Sondergebiet mitten in der griechischen Koloni- 
sation sich behauptet hatte, das eine verwandte Sprache redete 
tols vöv Eri &odaor lleAasyhv rwv üntp Tupanv@v Konotwva rrödıv 
oixeovtwv. So finden wir denn in Italien und an der Küste Klein- 
Asiens: in Plakia, Skylake, auf Imbros, Lesbos, Lemnos und an 
der karischen Küste versprengte Reste dieser tyrrhenischen 
Bevölkerung. So weit Körte. 


101) Auch Leo, Röm. Literaturgesch. I, 5 Anm. schließt sich dieser 
Anschauung unbedenklich an. 
102) O, Weinreich, Hermes 51, 405 Anm. 2. 


Zur Geschichte der römischen Satire. 971 


Der Namenskern ist offenbar fur—-s-, wie schon der älteste 
Beleg Turscha es deutlich ausspricht; in Italien ist dann hier- 
aus mit dem speziell .dort sehr fruchtbaren Suffixe -ko-, über 
das Dittenberger ausgezeichnet in größerem Zusammenhange 
gehandelt hat!%), die Namensform furs-ko- entstanden, die im 
Umbrischen die Etrusker bezeichnet: Turskum, jünger Tus- 
com 1%). Es ist sonderbar, daß man sich hier der sofort ein- 
leuchtenden Erklärung der Wörter Eirüria, Eirusci ver- 
schlossen hat, wie man bei Walde!) noch lesen kann; denn 
turs-ko- und e-trus-ko- mit einer „e-Prothese“, über die ich 
an dieser Stelle nicht handeln will, sind nicht zu trennen und 
E-trüria aus *trüs-iü folgt dann von selbst nach. 

Im Folgenden will ich nur einige Richtlinien andeuten; 
selbstverständlich kann ich nicht daran denken die hier auf- 
gerollten Probleme jetzt in größerer Umständlichkeit zu ver- 
folgen. 

Neuere Untersuchungen von Kannengießer !%) und Her- 
big!) haben einen überaus starken Einschlag im Namenbe- 
stand zutage gefördert, der mit geringen Schwankungen 
eine sehr dauerhafte Verbindung zwischen Kleinasien, Kreta 
und Etrurien aufgedeckt hat. So sagt Kannengießer ebd. 47: 
„Die große Masse dieser Ortsnamen, insbesondere die 
Namen fast aller an der See liegenden Orte 
Kretas kehren in italischen Orts- und Personennamen wieder, 
die etruskischen Ursprungs sind.* 

Und als Probe auf das Exempel hat nun die Veröflent- 
lichung des nunmehr ausgegrabenen lydischen Sprachmaterials 
durch E. Littmann !®) eine nähere Bestätigung dieser Ver- 


105) Hermes 41, 84. 

10) Ob auch umbr. Tursa Serfia (VI B 58) hiermit zusammenhängt? 
Seit Bücheler, Umbrica S. 98 verbindet man es mit tursitu „terreto* 
und stellt es dem lat. Pavor oder Pallor gleich. 

105) Etym. Wtb.? S. 157. 

10) Klıo (1911) XI 26—47, vgl. Sundwall, Beiheft Klio XI: Lykische 
Namenstudien. 

107) Kleinasiatisch-etruskische Namengleichungen (=Sitzungsberichte 
München 1914, 2. Abh.) und darüber Jacobsohn Berl. phil. Woch. 1414, 
989-684. Die Betrachtungen in Anthropos 8, 775 haben zu viel Phan- 
tastisches, um hier Verwendung zu finden. 

ıe2) E. Littmann, Sardis = Publications of the American Society 
for the excavation of Sardis; vol. VI Lydian Inscriptions I (Leiden, 
Brill, 1916). 

18” 


272 F. Muller, 


mutungen gebracht, indem dieses zeigte, daß ein indogerma- 
nischer Einschlag in der lydischen Sprache — der Mutter- 
sprache, deren sich also auch die etruskischen Auswanderer 
bedient haben — von jetzt an nicht mehr geleugnet werden 
kann 1), 

Nun hatte schon früher, ohne dieses neue Material zu ken- 
nen, Kretschmer die Ansicht vertreten, daß das Lydische, von 
dem hier an erster Stelle gesprochen wird, eine solche 
Mischsprache gewesen seit!%). Er befürwortet dort die Vor- 
stellung, als wäre das Volk der Lyder ein aus zwei Bestandteilen 
zusammengewachsenes Mischvolk gewesen, einem maeonischen 
(-thrako-phrygischen) Teile und einem eigentlich nationalen oder 
‘lIydischen Teile, dessen Suprematie erst mit der Herrschaft der 
Mermnaden unter Gyges begonnen habe: er weist auf die Tat- 
sache hin, daß die ältere Zeit, auch das Epos, nur Maeonen kennt, 
während erst später der Lydername aufkomnt. Die Inschrift 
Assurbanipals ıst hierfür eine willkommene Stütze, indem es 
dort von Gyges heist: „Gu-ug-yu, der König von Lu-ud-di, 
einem Gebiete jenseit des Meeres, einem fernen Lande, dessen 
Namen die Könige meiner Väter nicht gehört hatten“. 

Wir kommen so zu der Ansicht, daß das Volk der Lyder 
— ob verwandt oder sogar identisch mit den Hetliitern, lasse 
ich hier beiseite — vielleicht aus dem Osten sich wie ein 
Keil einen Weg gebahnt hat bis zu der westlichen Küste 
Kleinasiens. Was im Lydisch-etruskischen dann an indoger- 
manischen Bestandteilen gefunden wird, könnte zur Not eben 
diesem Volke zugeschrieben werden, aber wahrscheinlicher 
den Maeonern, die ein tlhırako-phrygisches Volk gewesen sind, 
also der Bevölkerung Trojas und der Troas nahe verwandt. 
Es genügt hier auf das, auch von Kretschmer besprochene, 
Hipponaxfragment zu weisen: 'Epp7j Yuvayxx Mnoviot: Kav- 


169) Ob von hier aus eine Brücke geschlagen werden kann zum 
Hethitischen ? Jedenfulls mehren sich in letzter Zeit die Zeichen, die 
darauf hinweisen, daß auch für diese Sprache die Bezeichnung als 
Mischsprache zutrifft, wobei wichtige indogermanische Bestandteile sich 
deutlich herausheben ; man vergleiche neuerdings F. Hrozny, Die Sprache 
der Hethiter (= Boghazköi-Studien, Heft I) 1916 und C. Marstrander, 
Le caractere indo-europeen de la langue hittite, Christiania 1919 
(= Vidensk, selsk. Skrifter 1918, Nr. 2) und darüber Meillet, Bull. Soc. 
Ling. 67 (1919) 294. 

110, Einleitung in die Geschichte der griech. Sprache 384 ff. 


Zur Geschichte der römischen Satire, 273 


daölz, wo olıne jede Schwierigkeit eben diese Bedeutung „ Hunds- 
wärger“ in xav-dauing wiedergefunden wird: es ist verwandt 
mit xöwv, lat. canis und mit altbulg. daviti „würgen“, russ. 
davifi „zusammendrücken, würgen“ (s. auch Berneker Slav. ety- 
mol. Wörterb. I 181). Für das Thrako-phrygische gebe ich an 
dieser Stelle nur zwei der schlagendsten Beweise: tpönwv 111) 
ursprünglich kein Eigenname sondern „Fluß“, buchstäblich 
identisch — wenn wir vom Suffix absehen — mit germ. 
"straumaz in anord. siraumr, d. Strom, verwandt mit a.ind. 
sravats er fließt“, gr. (o)öE(F)-w; weiter der Name 'Pfjoos, 
der anfänglich ebensowenig ein Eigenname war, aber einfach 
„der König“ bedeutet hat, ein Name, den er bei den verwand- 
ten phrygischen Trojanern beibehalten hat, wie das Epos 
bezeugt 12). 


Was wir jetzt suchen, ist also ein Dämon oder Gott der 
Fruchtbarkeit, den die Tyrsener oder Phryger aus Kleinasien 
in die neue Heimat mit sich nehmen konnten und dessen 
Name die Elemente saufi)-tur enthielt. Wenn wir nun be- 
denken, daß das Thrako-phrygische eine sogenannte Satonı- 
sprache war, die also die indogermanischen Palatalen mit Spi- 
ranten wiedergab!!?), so kommen wir für sa- und saui- zu 
einer Grundform Äwo- und k.ud-, d. h. verschiedenen Reduk- 


tionen der Base keu--a® — „schwellen, strotzen: stark sein“, aus 


dem Griechischen durch xu&w „schwanger sein*, x0px „Wogen- 
schwall* und xöx-uos „Bohne“ wolıl bekannt. Und dieser bis jetzt 


111) Im Lichte der untenstehenden Betrachtungen (S. 278 f.), die 
Etruskisches mit thrako-phrygischen Sprachbestandteilen zu vereinigen 
suchen, ist dann auch der alte Name des Tibers wichtig, von dem 
Servius in Aen. 8,63 berichtet: hoc (sc. radere) est Tiberini fluminis 
Proprium, adeo ut ab antiquis Rumon dictus sit, quasi ripas ruminans 
e& exedens, vgl. 8,90. Es muß der Name dann als *srü-mon, woraus 
thrako-phryg. Ztpö-pwv ins Lydische (Etruskische) übergegangen sein und 
die Etrusker müssen sr- in r- vereinfacht haben. Der Name der Stadt 
Röma, der bekanntlich auch etruskisch ist, wird dann wohl mit Rümon 
= Tıberis zusammenhängen. Morphologisch könnte man sich das Ver- 
hältnis zwischen *sreu-mä (Rüma > Röma) und *sreu-mön denken, wie 
gr. dxıomij-pn : dnıoty-pwv, semasiologisch passiv „die vom Fluß berührte 
Stadt“: aktiv „der Fluß“. Ueber den etruskischen Namen Roma vgl. 
W. Schulze ZGLE. 580 (s. auch Pauly- Wissowa I A 1226). Ueber Stri- 
mon) Rümon jetzt auch Sommer Hdb. ? 226. 

113) Darüber zuletzt Verf. Mnemosyne 1918, 138. 

113) 8, Kretschmer ebd. 230. 


274 F, Muller, 


aur in Formeln gespiegelte Name ist uns aus dem Thrakischen 
nur allzu gut bekannt, er heißt o&rupos, später Diener des 
Gottes, urspünglicher Fruchtbarkeitsdämon selbst, genau so 
wie Dionysos selber, dessen Mutter Zep£An nicht nur die eben 
besprochene Entwicklung ig. k > thrak. s- bestätigt, son- 
dern auch ‚im Namen beredt dafür zeugt, daß Dionysus, 
der Gott der Fruchtbarkeit Sohn der „(Mutter) Erde“ ist: 
‘ denn Zep&ir, ist mit slav. zemdja „Land, Erde“ identisch und 
mit gr. Yapa! verwandt, (ig. ghem —); man vergleiche noch 
flie Hesychglosse: Tepedev. Bipßapov Avöpanodov. Dpüyes, den 
Sklaven als „Erdensohn“ bezeichnend. 

Wie steht es nun mit diesem Namen oatüpos? Er ge- 
hört zu einer viel größeren Sippe, von der ich nur einige 
mehr bekannte Vertreter namhaft machen will: neben o&-to- 
pos steht oä-Baxyos, ferner die große Gruppe, die mit oaxu- 
asıog, ondasto; (= u) zusammenhängt !!4), Bei Hesychı 
steht: onu&da:, arleo:. "Apepias Tolg aeıdeivou; ouTwW xulelodar 
gpnalv ünd Maxeöövwov; dieser Savadios ist ein mächtiger’ 
Vegetationsdämon, der dem Dionysos sehr nahe kommt und mit 
orgiastischen Festen gefeiert wird, wie Strabo (X 471) berichtet. 

Mehrere Wörter mit einer an das Sexuelle streifenden Be- 
deutung findet man in dem postumen Aufsatz Solmsens Indog. 
Forsch. 30 (1912) 1—46: daß er dort von der synonymen 
Base teu-+ ä*-, nicht von keu-tä *- ausgeht, macht für unsere 
Sache nichts aus; für den zweiten Teil des Namens odtupag 
brauchen wir sie auf jeden Fall. 

Ich sehe somit in OF-TUR-0-5 (oder -Tü-pas) ein sog. tauto- 
logisches Kompositum der Basen 7:cn +ä*- und teu+ä*- 
„schwellen kräftig sein“, neben welchem eine mit gewöhnlicher 
Intensivreduplikation gebildete Form fortlebte in ti-tup-og (oder 
-TÜ-p0g)11°), Bis in später Zeit war hier das Bewußtsein leben- 
dig geblieben, daß der erste den Bocksdämon, der zweite den 
Widderdämon andeutete "°), sagt doch Servius in Verg. Bucol. 
init. ausdrücklich : Zaconum lingua tityrus dieitur arıes mator. 

114) S. Kretschmer ebd. 195—199, Hoffmann, Die Makedorfen 6, 98. 


115) Genau die gleiche Bildung in gr. ol-ovp-og, der auch im Satyr- 
drama eine große Rolle spielte, s. A. Dieterich, Pulcinella 118. 
116) Oder Schafbocksdämon ; so auch O. Kern, Herm. 48, 318, von 


Zur Geschichte der römischen Satire. 275 


Die Form tur- stand im Ablaut mit Zvwu-r-, das wir noch 
finden in gr. raügog sowohl „penis“ als „Stier“, lat. Zaurus, 
d. Stier, a.preuss. tauris „Wisent“; hier finden wir, wie so 
oft im Indogermanischen die Basis t&u- wechselnd mit teu-ä *-. 
mit der vermutlich auch eine alte Benennung der Erdmutter 
Topos 0. 235 ff.) zusammenhängt. 

Von einer Besprechung dieser Dämonen: Widder als 
tirupor, Böcke als oätüpo:, Pferde als otAnvol 117) kann ich hier 
um so eher absehen, als das Thena öfters besprochen worden 
ıst, zusammenfassend von A. Dieterich in dem Aufsatz: Die 
$intstehung der Tragödie 8). 

Damit hat sich denn der Kreis geschlossen. 

Wenn Dionys von Halikarnaß (Arch. rom. 7,72) nach seiner 
Quelle Fabius Pictor berichtet, in früher Zeit hätten Personen 
mit Schafpelzen und Bockfellen bekleidet in Rom burleske Tänze 
aufgeführt, so finden wir hier diese Vegetationsdämonen wieder. 

Und hierdurch kommen wir ungezwungen wieder auf 
unseren Ausgangspunkt zurück, die saturu als lanx deorum 
oder als primitiae, wie wir sie oben definiert haben. Bekommt, 
so fragen wir jetzt, da wir am Ende unserer Erörterungen an- 
gelangt sind, die Beschreibung Varros nicht ganz neues Licht, so- 
bald wir daraufachten, daß wir dort eben eine Umschreibung jener 
primitiae vor uns haben: trockene Lrüchte als Vertreter der 
vorhergehenden Ernte, polenta als die tägliche Speise der niederen 
Bauernbevölkerung, endlich, was immer als Symbol der Frucht- 
barkeit gegolten hat, de malo Punigo gyrana !"8*) ? 

In einem folgenden Aufsatz hoffe ich dies alles näher 
auszuführen. Es kann gezeigt werden, wie breit und tief das 


Wilamowitz, Neue Jahrb. 1912, 466; die Stellen über tirupog sind be- 
sprochen worden von R. C. Flickinger, Class, Phil. VIII (1913), 280 f£. 

117) S.Solmsen, I. F. 30, 34; s.auch A.Dieterich, Pulcinella. [Zu diesen 
Namen jetzt auch 1. PF. 39, 117 und Meringer Wört. und Sach. 7,8]. Die 
Bildung von oll.-nvig ist der von tuzo-nvög. auch im Akzent, ganz gleich. 
Ueber das Suflix -avög, -nvög vgl. Jacobsohn, Berl. phil. Woch. 1914, 
476, Streitberg, Indog. Jahrb. II 212—13, zuletzt Herbig IF. 37, 173, 2. 
Auch Herbig gibt zu, daß das Suffix sowohl in Thrako-phrygischen, 
also indogermanischen als in kleinasiatischen Namen eine Rolle spielt, 
was mit den obenstehenden Erörterungen aufs beste stimmt. 

er Arch. f. Relig.-Wiss. XI (1908) 163 ff. = Kl. Schr. 414, bes. 168 
=4il). 
( 118») Vol. zu solchem Fruchtbarkeitszauber mit Samenkörnern usw. 
jetzt auch M. P. Nilsson, Arch. f. Relig.-Wiss. XIX, 1918, 115. 


276 F. Muller, 


religionshistorische Fundament, auch in Italien, ist, auf dem 
dieser Bau, das heißt also auch hier die Ursprungsgeschiehte 
des nicht ausgereiften nationalen (etrusko)-italischen Dramas 
errichtet werden kann und muß. 


Schließlich will ich noch mit einigen Worten darauf 
hinweisen, in welcher Richtung das hier gewonnene Ergebnis 
berufen ist auch für andere Fragen eine Lösung herbeizuführen: 
| 1. Was ist die Bedeutung des numerus Saturnius, über den 

Horaz die bekannnten Worte sprach (Epist II, 1,158): sie hor- 
ridus ille | defluxit numerus Säturnius et grave virus | mun- 
ditiae pepulere; sed in longum tamen aevom | manserunt hodieque 
nanent vestigia rurıs?®? Die Auffassung, daß Sälurnius, weil 
Saturnus ein „alter“ 119) Gott war, einfach als Name für das 
„alte* Metrum gebraucht sei, ist doch höchst unbefriedigend. 

2. Es ist das Metrum des Säfurnus, des Fruchtbarkeits- 
dämons, der dem Dionysos gleichgestellt werden kann !20), Was 
sind die Ausdrücke, mit denen man dieses Tanzmetrum bei den 
Römern umschrieb? Wir lassen die Acta fratrum Arvalium 
selbst reden; dort lesen wir vom 29. Mai des Jahres 218: 
ıbi sacerdotes ... tripodaverunt in verba hacc: 

enös, Lases, wuvdte (3 mal) 
und schließlich: 

enos, Marmor, iuvato (3 mal) 

triumpe (5 mal) 
post tripodationem deinde signo dato publicı introierunt ct 
libellos receperunt. 

Dieses tripodare hat gewißeine Verwandtschaft mit triumpe, 
das bekanntlich etruskische Lautsubstitution darstellt für grie- 
chisches oder als Lehnwort auch im Griechi- 
schen Vorlıandenes +Yplapßos: beides bedeutet „Drei- 
paß“ oder „Dreiglied“: Ypl-apßo-s aus *iri-ang“o-, verwandt 
mit alt-ind. anga- n. „Glied*, also genau = gr. „TplxwAog"121); 
j 119) Bekanutlich hat Saturnus für älter als Juppiter, ja, für dessen 
brasie gegolten, vgl. Liv. Andr. 2 B. im Satumier : puter nöster, Satirns 


ie 
120) So auch noch Leo, Röm. Liter.-Gesch. 14 £. 
121) S, unten. S. auch Ehrlich. 2. idg. Spr. 72. (Jetzt darüber anders, 
wir nicht annehmbar, E. Richter, Z. rom. Ph. 31, 432 ff., Meringer, 
Wört. u. Sach. 7,48]. 


u 


u a er in | — > 


Zur Geschichte der römischen Satire. 277 


vielleicht verdient aber die ältere Bildung aus *ris-ang“-o- den 
Vorzug, weil sie aus *tprianßo- dprapßo-s mit % erklärt !?2) 
und in Formen wie lat. terr-uncius aus *irs-uncio-s (Plaut. 
Capt. 477) eine Stütze erhält. 

3. Das Anziehende dieser Erklärung ist darin gelegen, 
daß sie auch den Weg zu anderen schwer deutbaren Wörtern 
erschließt, ich meine ö:düpxpBog und lapßos. Zum Teile hat, 
wie ich nachträglich feststellte, schon Charpentier!?®) hier richtig 
gesehen, aber teilweise komme ich zu anderen Resultaten. 

anBog heißt 1%): „ein-gliedrig”, „one-step“. vgl. log (nach 
dem fem. ix < ig. i3 oder ı, wie Homer Z 422 gibt). Und 
was wird dann ö&t$bpanßos sein? Eben, was wir erwarten: 
‚zwei-Dreiglieder*: dui-trs-ang*o-. Für den ersten Teil ver- 
gleiche man alt-ier. di fem. und lat. vi-ginti. 

4. Damit haben wir die Einheit für iripodatio > triump(h)e 
> dplanßos und seiner Verdoppelung im öt-Füpapßos ge- 
wonnen. 

5. Ist denn dieser ö-$öpapßos, genetisch so analysiert, 
nicht genau der Saturnische Vers: 


tirum, mit Camena insece versutum (Liv. Andr. 1) 
ndlum dabunt Deteli Nacviö  poelae 

Puilrem sum  supremum oplumım appellat (Naev. 14 B.) 
PR KE SRERENR IN EX) 

Wir haben hier richtig die „zweimal drei“ Schläge (ictus, 
raleıy, Avd-rarotoe), Stampfen der Füße, wie es auch Festus 
190 Linds. angibt: Tripudium .... Cau)spiciis in exultatione 
Inpudiat..... aterra pavienda sunt diecta.... IJIdex Graeco, 
od ill naleıy, quod nos ferire. Es wird kaum Zufall sein, 
daß Accius dies tripudiare auch noch von den Bacchanten, den 
treuen Gesellinnen des Dionysus oder Saturos (Saturnos) er- 
ählt (trag. 249 R.°): Laetum in Parnaso inter pinos trıpu- 
diantem in circulis | ludere .... atque tacdis fulgere (> Eur. 
Beech. 306 £.). 


122) Vgl. über $- <r- ‘- Sommer, Gr. Lautstud. 586. — Die Er- 
kärang von Ehrlich, Zur indog. Lautgeschichte 72 ff. ist verfehlt: mit 
( Img) inquns besteht semasiologisch nicht der geringste Zusammenhang. 

3) Indog. Forsch. 35, 249. 

126) Vgl. Hesych Yplapfog‘ ... 7 Arovusraxdg üpvog, "IayBoc. 


278 | F. Muller, 


Auch bei den Umbrern finden wir diesen „dreigliedrigen“ 
Tanz wieder!?>). 

6. Für diese Wörter kann auch mit ziemlicher Wahr- 
scheinlichkeit Klein-Asien, wenn nicht als Heimat, so doch 
als Durchgangsort 22°) nachgewiesen werden. 

7. Nur im Vorübergehen möchte ich darauf hinweisen, 
daß die Verbindung von öchöpapßos mit Tapnßos durchaus 
nicht den Vorfechtern einer quantitierenden nicht dem Wort- 
akzent folgenden Auffassung des Saturniers Recht zu geben 
braucht !?7), 

8. Damit rückt dann der Saturnier als Bindeglied und 
Mitglied in eine großartige historische Entwicklungsreihe hin- 
ein 128); numerus Saturnius = * metrum Saturikon, oder Dio- 
nusiakon = Dithyrambus. Wir finden hier wieder den alten 
Tanz, aus drei Schritten bestehend, im Dienst des Vegetations- 
dämons ausgeübt und eingeübt. Und weil wir auch hier wie- 
der denselben Werdegang mitmachten: einerseits Thrakien > 
Klein-Asien > Italien und anderseits Thrakien > Hellas, bildet 
diese Koinzidenz für unsere Auffassung von satura eine un- 
gesuchte aber eben deshalb um so mehr willkommene Stütze. 

9. Neben dieser als männlich gedachte Personifikation 
der treibenden Naturkräfte: sa-tur-o- (ursprünglich etwa 
„kräftige Schwellung“ > „befruchtende Macht“) trat nun im 
(indogermanischen) Thrako-phrygischen ein feminines Kollek- 
tivum, mit passiver, konkreter Grundanschauung sa-tur-a 12°) 
„kräftige (Erde- oder Mutter-)Schwellung“, > „Fruchtbarkeit“ 

125) Bücheler, Umbrica 69. 

126) Vgl. Ehrlich, Zur indog. Sprachgesch. 72 ff. (s. ders., Untere. üb. 
d. Natur d. griech. Betonung 143), Charpentur, IF. 35, 248: mir ist 
aber fremder (etwa thrako-phrygischer) Ursprung der Wörter sehr 
gut glaublich. 

7) Den Wortakzent als ausschlaggebenden Faktor verteidigte 
Skutsch, Vollmöllers Jabresber. I 4:0 ff., die quantitierende Auffassung, 
die auch wir oben abgelehnt haben, gab am ausführlichsten F. Leo, 
Der saturnische Vers (= Abh. Gesellsch. d. Wıss., Göttingen VIII 1905); 
C. Thulin, Italische sukrale Poesic und Prosa (19,6) 24 hat wieder 
gegen die letztere Auffassung — freilich wenig schwerwiegende — Be- 

enken. S. auch Verf. Museum 1921, 99—101. 

122) S, über altindische Parallelen Lindsay, Am. Journ. of Phil. 
XIV 329 und Tbulin a. a.O. 37. Auf die übrige, schon sehr umfang- 
reiche Literatur zu verweisen, kann ich mir hier ersparen. 


120) fis ist das bekannte Verhältnis, wie es ursprünglich zwischen 
männlich und weiblich, auch in der Sprache, obwaltet: 


Zur Geschichte der römischen Satire. 279 


> „Früchte der Erde und der Lebewesen“ '30), oder als Ver- 
‚, treter dieser ganzen Lebenserneuerung primiliae, ver sacrum, 

lanı deorum „dicta a copia rerum“ wie Varro (und nach ihm 

Diomedes und Isidorus) es ausdrückte oder genauer bei denı 

ungenannten Auctor apud Diomedem stand: Satura a lance quae 

referta varıs multisque primilüs im sacro apud priscos dis 

snferebatur. Hier darf nun auch an Satura bei Vergilius und 
Silius Italicus erinnert sein (oben S. 266), das man schon 
‘ früher mit richtigem intuitivem Gefühl (aber durch lat. satur!) 
als „Copia“ gedeutet hat. 

10. Finden wir bier nicht zu guter letzt die erste wirk- 
lich befriedigende Erklärung, wie es denn kommt, daß die 
Römer ihr Geschlecht von den phrygischen Trojanern ab- 
; leiteten ? Es ist doch kaum denkbar, daß sie — wie meistens 
angenommen wird — erst nachher, als die Entwicklung der 
Weltgeschichte ihnen doch vielmehr Hellas’ vergangenen Ruhm 
_ als die Tatkraft der Griechen entgegenstellte, damals ihre 

eigene Vergangenheit kunstmäßig zu den alten Gegnern der 
‚ Griechen, den Trojanern herübergeleitet hätten. Vielmehr hat 
; das Volk der Tyrrhener, das in seinem Blut und in seiner Ge- 
‘ schichte dem (Mäonischen oder) Phrygischen einen recht großen 
Anteil gewährte, als es später in der neuen Heimat während 
Jahrhunderte seine Herrschaft über italische Stämme aus- 
dehnte, ja in Rom, der Stadt mit ihrem etruskischen Namen, 
ihren etruskischen Königen, ihrem etruskischen Ritual und 
vielen etruskischen Göttern und Magistraten, teilweise mit 
der latinischen Bevölkerung sich zu einer neuen Einheit ver- 
band, hier reine eigene Vorgeschichte, seine Abstammung von 


—. . 


der Erzeuger das Erzeugen das Erzeugte 
ZN 
(nachher yov-sög) das Erzeugte Samen ab nakeı 
N 
Kind Kinder das Gebären 


ya 
Kind Kinder, Generation. 
ı30) Daß dies Wort sich nicht ala Lehnwort ins Griechische fest- 
gesetzt hat, mag damit zusammenhangen, daß in Griechenland Dio- 
aysos oder Bakchos sich den Vorrang erkämpft hat und somit den 
Satyros zu der Rolle des Dieners herabgedrückt hat, wodurch auch eine 


| ’ 
revos aktiv yovrı passiv (mit anderen: Akzente) 
Mehrheit von o&tuso: erst inöglich wurde. 


% 


280 Friedrich Stählin, 


den Phrygern in Troas gleichfalls den Römern eingeimpft. 
So stützen sich gegenseitig die Geschichte des Wortes satura, 
des saturnischen Verses, die Geschichte des etruskischen Stam- 
mes wie bereits die alten und jetzt wieder neue Untersuchungen 
sie darstellen und die Geschichte der Bevölkerung Roms, wie 
diese, als wäre es im Traum gewesen, in ihrem Bewußtsein 
eine bloße Ahnung mit sich brachte einst, wenigstens teil- 
weise, aus den östlichen Ländern gekommen zu sein, wo zur 
Zeit Herodots noch in Platia und Skylake, also ganz in der 
Nähe der Heimat des Aeneas, Tyrrhener oder Pelasger aus- 
drücklich bezeugt sind !), 


Amsterdam 1920 (Leiden 1922). F. Muller Jan. 


[K.-N. — B. L. Ullmann hat im Jahre 1920 noch einen 
klaren Ueberblick über das Problem gegeben: The present 
status of the Satura question, in Stud. in Philology XVII, 4, 
1920. Vgl. dazu Verfasser Museum 1922/3. Wesentlich 
Neues habe ich darin nicht gefunden, am allerwenigsten einen 
Anlaß, meinen Standpunkt zu ändern. ] 


— u 


IX. 
Der geometrische Stil in der Ilias. 


Mit einer Skizze. 


Man kann die llias analytisch oder synthetisch anschauen; 
beides ist berechtigt, wenn es in seiner Art richtig geschieht. 
Ein Hauptgrundsatz muß bei beiden Arten der Behandlung 
der sein, nicht Hypothese auf Hypothese zu stellen, sondern 
wenn man eine Hypothese gemacht hat, unweigerlich wieder 


ı51) Wir werden in mancher Hinsicht bei diesen Problemen noch 
umzulernen haben. Ich halte es für durchaus richtig, wenn es in der 
neuesten römischen Geschichte von IL. Hartmann und J. Kromayer 
heißt (. 26): „All diese Umstände legen den Schluß nahe, daß Rom 
sogar ın dem Sinne eine etruskische Stadt gewesen ist, daß die Grün- 
dung der Stadt Rom, d.h. also die Zusammenfassung der verschiedenen 
Niederlassungen auf den Hügeln am Tiber zu einem einheitlichen Ge- 
bilde... etruskisch und daß der römische Staat aus latinischen und 
etruskischen Geschlechtern zusammengesetzt war“, und genau so sagt 
G. Körte (Pauly-Wissowa VI, 748,15), nur im-allgemeineren Sinne und 
für eine frühere Phase: „erst aus der Verschmelzung der Tyrsener mit 
den unterworfenen Italikern ist die Nation der Etrusker entstanden.“ 


Tr ER: eig 7 


—— nn 


Der geometrische Stil in der Ilias. 281 


zurückzukehren zum Text. Dann können die einander gleich- 
geordneten Hypothesen durch ihr gegenseitiges Zusammen- 
stimmen eine die Wahrscheinlichkeit der anderen bekräftigen, 
aber es fußt nicht die eine auf der anderen. Am wenigsten 
wird dieser Grundsatz von der analytischen Forschung inne- 
gebalten z. B. in all den kühnen Rekonstruktionen einer 
Urilias. Dagegen die synthetische Methode macht ihren Haupt- 
fehler auf einem anderen Gebiet: sie verkennt den Unterschied 
zwischen der nıodernen Bewußtseinsstufe und der Homers. 
Sie beurteilt ihn z. B. nach Aehnlichkeiten, die sie aus Shake- 
speare, Goethe oder Schiller holt. Man kann aber wohl er- 
kennen, daß der Dichter der Ilias von anderen psychologischen 
Voraussetzungen ausgeht als ein moderner Dichter und Denker. 
Doch nicht dem Beweis dieses Satzes soll die nachfolgende 
Untersuchung gewidmet sein. Deshalb mache ich in dieser 
Richtung nur auf die Hauptpunkte aufmerksam. 

Der Iliasdichter faßt seine Tätigkeit als ein delde:v auf. 
Dieser Begriff bedeutet den Anschluß an objektiv Gegebenes 
und eine Beschränkuug der freien Phantasie des Dichters in 
viel höherem Maße als der Begriff deväectda:. Das delöerv ist 
die Wiedergabe einer (natürlich nur subjektiv gültigen) Wirk- 
lichkeit, die durch innere Schau oder durch Kenntnis der 
Sagenüberlieferung gewonnen ist. Das bevöcota: ist die Fähig- 
keit, der durch die Sinneswahrnehmung gegebenen Wirklich- 
keit eine aus eigener Geisteskraft geschöpfte, einleuchtende, 
aber nur scheinbare Wirklichkeit gegenüberzustellen. Seit 
Aristoteles und den Alexandrinern wurde die Dichtkunst als 
ein freies Spiel der Phantasie in ihrem ganzen Umfang unter 
den Begriff des bebdss$a. gebracht. Und das wirkt bie zum 
heutigen Tage fort. So glaubt Drerup !), Homer sei ein „in 
voller poetischer Freiheit phantasievoll schaffender Dichter“. 
Es liegt aber ein gewisser Anachronismus darin, mit dieser 
Auffassung an das de/öetv des Iliasdichters heranzutreten. Denn 
er hält zum wenigsten die Heldensage, die er mitteilt, nicht 
für seine Erfindung, sondern für Wahrheit. 

Damit hängt ein anderer wichtiger Unterschied zwischen 
dem modernen und dem homerischen Denken zusammen, der 
_ ) Homerische Poetik I 211, Würzburg 1921. 


282 Friedrich Stählin, 


die Begriffe Geschichte und Sage betrift. Für uns ist Ge- 
schichte der Inbegriff solcher Vorgänge, deren Tatsächlichkeit 
durch sichere Zeugnisse festgestellt ist. Dieser materiellen 
Wirklichkeit, die sich nach Kantschen Erkenntnisgrundsätzen 
auf das sinnlich Wahrnehmbare beschränkt, steht die Sage 
mit einer vergeistigten Wirklichkeit gegenüber. Sie ist das 
Bild, das sich ein noch unliterarisches Volk von seinen Er- 
lebnissen und Erkenntnissen macht. Während also wir diese 
Begriffe scharf voneinander abzugrenzen vermögen, sind sie 
für Homer noch ungeschieden und in einem einzigen Begriff 
enthalten, ein geistiger Zustand, den wir bei Aischylos, Pin- 
dar noch im 5. Jahrhundert antreffen; ja selbst Herodot, der 
Vater der Geschichte, hat sich noch nicht aus ihm erhoben. 
Es ist erst die Großtat der kritischen Sophistenzeit und des 
Thukydides, die Geschichte im modernen Sinn von der Sage 
freigemacht zu haben. Für Homer ergibt sich aus der Un- 
geschiedenheit dieser Begriffe, daß er an der Wahrheit der 
Heldensage nicht zweifelte, daß er gläubig war, auch wo er 
kritisch wurde. 

Noch wichtiger ist die Beobachtung — und mit ihr 
nähern wir uns schon unserem eigentlichen Thema, dem geo- 
metrischen Stil in der Ilias — daß Homer im Gegen»atz zur 
Moderne in seiner Kunst nur über zwei Dimensionen verfügt, 
die wagrechte und die senkrechte. Er kennt die Fläche und 
die auf ihr gezogene Linie. Man kann seinen Stil sowohl 
einen linearen wie einen Flächenstil nennen. Die aus der 
bildenden Kunst wohlbekannten Kennzeichen des linearen Stils 
finden sich aber auch bei Homer in sinngemüßer Uebertragung 
von der bildenden auf die redende Kunst. 

Der lineare Stil wählt sich nicht eine unendliche, sondern 
eine bestimmt apgegrenzte Linie. So wählt die Ilias nicht 
den ganzen trojanischen Krieg, sondern nur 50 Tage aus ihm 
zur Behandlung. Die Linie muß gegliedert werden. Dies ge- 
schieht nach bestimmten Gesetzen der Entsprechung, der Sym- 
metrie und des Rhythmus. Kunstfiguren, die diesem Zweck 
dienen, sind in der Ilias die Parallele, der Chiasmus, die Ein- 
rahmung, der Kontrast, die Symmetrie, der Rhythmus und 
noch verwickeltere Figuren. Von derartigen Figuren ist die 


Der geometrische Stil in der llias, 283 


Ilias durchzogen in so unzählbarer Menge, wie Dreiecke, Rhom- 
ben, Kreise, Tangenten den Leib einer Riesenvase geometri- 
schen Stiles bedecken. Und das ist der Homer gleichzeitige 


‘ Kunstetil. Diese Figuren gehören zum Handwerkszeug, das 


gg — er ar — ESTER nn EL gun oder me Se ep en EVER EP ET SE7 SEEE ErEEET Pa D FEE EINER EEE VEEREECGERETGE GENE rn = = 


: wohl jedem Meister der damaligen Dichterzunft geläufig war. 


Höher zu bewerten ist schon, wie Homer seine Figuren in 
große Systeme zusammenfaßt, die über weite Zusammenhänge 
reichen. Doch um nicht mißverstanden zu werden, als hielte 
ıch Homers Bedeutung durch solche technischen Fertigkeiten 
für erschöpft, sei gleich bemerkt, daß sich darüber als dritte 
Stnfe seine zeitlose Genialität erhebt, mit der er alle Teile in 
die großartig erfaßte Menishandlung einfügt. 

Indem der Dichter die von ihm gewählte Linie nach solchen 
Gesetzen behandelt und bewältigt, wird er ein gewaltiger Ver- 
einheitlicher des vorher auseinanderfallenden Stoffes. Er faßt 
die Sagen und Vorlagen, die er überkommen hat, zu einer 
Einheit zusammen. Und doch läßt sich diese Einheit wegen 
ihrer linearen Gliederung wieder in Teile zerlegen, die sich 
deutlich voneinander abheben und dem Ganzen gegenüber eine 
gewisse Selbständigkeit behaupten. Man beobachtet also an 
der Ilias lediglich die Eigenschaft jedes linearen Kunstwerkes, 
wenn man einzelne Teile verhältnismäßig leicht aus ihr aus- 
lösen kann, als ob sie selbständig wären. Die analytische 
Kritik glaubt dann oft einen ursprünglichen Teil gefunden 
za haben und berauscht sich an der Schönheit des Fundstückes. 
Es ist aber so, wie wenn man aus einem linearen Kunstwerk 
wie der sixtinischen Madonna die Engelsköpfe oder das Ma- 
donnabrustbild herausnimmt. Von hier fällt auch ein Licht auf 
die Frage der Rhapsodieen. Entgegen Drerup glaube ich, daß 


die Dias als ein ohne Unterbrechungen fortschreitendes Dicht- 


) 


werk geschaffen ist und ohne die Nebenabsicht der Gliederung 
m einzelne Rhapsodieen. Vielmehr ist es nur eine Folge des 


_ linearen Stiles, daß man in späterer Zeit leicht Rhapsodieen 


| 
| 


N 


aus ihr herausschneiden konnte. Daß sie nicht das Ursprüng- 
liche sind, geht schon aus der Unbestimntheit ihrer Abgren- 
zung hervor. 

Weil sich lineare Kunst auf einer Fläche ausbreitet, 
erdrückt nicht ein Teil den anderen durch Ueberschneidung 


284 Friedrich Stählin, 


oder andere Mittel, sondern es besteht eine gewisse U 
ordnung der Teile. Darum haben im linearen Stil der: 
auch die langgedehnten drei ersten Schlachttage ihr H 
obwohl die Entscheidung am vierten fällt. 

Ein Stilgesetz der Flächenkunst ist ihre gleichmi 
Klarheit. Das seit Zielinski bekannteste Beispiel daft 
die Behandlung gleichzeitiger Ereignisse. Wenn der Bes 
zwei größere gleichzeitige Vorgänge mit demselben Blick 
fassen will, so müssen sie in derselben Richtung hintereinf 
liegen. Der eine Vorgang spielt dann im Vordergrund; 
andere im Hintergrund. Doch der Hintergrund gehö 
Tiefe, zur dritten Dimension, und widerstreitet dem lind 
Stil. Also renkt Homer die hintereinander liegenden Vorg! 
auf eine einzige Linie in den Vordergrund ein und er 
„einsträngig* zuerst den einen, dann den anderen, wie Wy2, 
sie sich nacheinander abspielten. So vermeidet er jede Ud 
schneidung und läßt alles nacheinander in wundervoller K 
heit und Uebersichtlichkeit an unserem Auge vorüberzie 
Ein Meisterwerk dieser Kunstart ist der Mauerkampf in t 
wo der gleichzeitige Sturm auf drei auseinanderliegende '} 
in linearem Stil erzählt wird. Man darf ein in der gaı | 
Wesensart homerischer Kunst so tief verankertes Verfah 
wie diese Darstellung gleichzeitiger Ereignisse nicht eig 
„Mangel des homerischen Stiles“ nennen; eine solche Auffassug 
ist nicht organisch genug. 

Wenn die Forschung Homer als Zeitgenossen einer W 
stimmten Kunst, der mykenischen, geometrischen oder arch 
ischen, erweisen will, so macht sie häufig einen methodischf 
Fehler. Sie sucht nämlich bei der Führung des Beweises 
sehr nach materiellen Gleichungen, die handgreiflich ud 
unmittelbar bestechend sind, nach Darstellungen, die sich by 
Homer und in der betreffenden Kunst finden z. B. den Tie 
gleichnissen. Aber bei dem innigen und wurzelhaften Zusammen 
hang, in dem in Hellas die redenden und bildenden Küns 
immer standen, muß man den Beweis vielmehr auf ein een. 
sames Kunstempfinden, einen gemeinsamen Geschmack in der A 
die Dinge zu sehen, gründen, der bei Homer und der gleich} 
zeitigen Kunst sich finden muß. Deshalb kennzeichnet der 


Ieen 


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2293 


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Der geometrische Stil in der Ilias. 285 


lineare Stil, den wir in der Ilias finden, Homer als Zeitgenossen 
der geometrischen Kunst. 

Wenn der Nachweis dieses linearen Stiles im folgenden 
durch schematische Zeichnungen geführt wird, die Homers 
poetischen Gestaltungen zugrunde liegen, so muß ich da gleich 
einem möglichen Mißverständnis vorbeugen und mich dabei 
auf den oben betonten Unterschied zwischen unserer und der 
homerischen Psychologie beziehen. Ich will damit keineswegs 
sagen, da Homer mit mühseligem Grübeln solche Zeichnungen 
sich ausgedacht habe oder auch nur sie vor seinem geistigen 
Auge so wie wir gesehen habe. Vielmehr kann man von 
Homers Bewußtseinsstufe, von dem in ılım wirkenden Geist 
sagen, er geometrisiere immer. Es ist ein Kunstsinn, der die 
in den Dingen verborgenen Maße, die Entsprechungen, die 
Gleichgewichtsverschiebungen und ihre Ausgleiche, kurz das, 
was Plato rep. 399e, Archilochus fr. 66,7, Bergk PLG. II 
die Rhythmen des Lebens (ßiov fußtucüg) nennen, mit feinster 
Empfindlichkeit in zwei Dimensionen wahrzunelimen glaubt. 
Er klügelt sie nicht aus, sondern stellt sie ganz naiv so dar, 
wie er sie im Leben empfindet als die Natur der Dinge selbst. 
So ist in der Ilias eine geometrische Ordnung, ein Gerippe 
verborgen und man muß Auge und Empfindung schulen um 
sie wahrzunehmen. 

Denn für uns an unmittelbarem Empfinden ürmeren, an 
Denkkraft entwickelteren modernen Menschen haben diese 
Figuren und Schemen eine große Bedeutung. Wir haben in 
iınen ein Mittel um möglichst konzentriert in einer kürzesten 
Empfindung das wissenschaftlich zu erfassen und uns zum 
denkenden Bewußtsein zu bringen, was Homer in unmittel- 
barem, unreflektiertem Empfinden an Kunstgesetzen in seine 
Dichtung hineingearbeitet hat. 

Das Ziel, zu dem Homer auf einem für uns zwar vor- 
stellbaren, aber nicht melır gangbaren Weg der Empfindung 
kam, erreichen wir nur auf diese Weise, nämlich daß uns die 
großen Zusammenhänge der Komposition mit einem Blick 
überschaubar werden (obvönAog, ebabvortos Aristot. poet. c. 7 
p- 1451 a 4. 10 c. 23 p. 1459 a 33). 

H. Peters hat erst kürzlich die Gesamthandlung der Ilias 

Philologus LXXVIII (N. F. XXXII), 3/4. 19 


286 Friedrich Stählin, 


auf diesem Wege zu verdeutlichen gesucht?). Näher steht 
dem, was ich darzulegen beabsichtige, die Zeichnung, die 
Adolf Kiene®) und nach ihm, aber mit einigen Mißverständ- 
nissen Viktor Terret *) entworfen haben. In einer Zeit, als mir 
diese Vorgänger noch unbekannt waren, habe ich den Verlauf 
der Schlachthandlung der Ilias in einer Skizze schematisch dar- 
gestellt. Daß man dies tiberhaupt kann, ist schon ein klarer 
Beweis für den linearen Stil dieser Schlachtbeschreibungen. 
Bei der Schilderung der Schlacht von Sedan in Zolas Debäcle 
oder in Gustav Frenssens Jörn Uhl würde man dies vergeblich 
versuchen. Meine Zeichnung ist in der senkrechten Linie ge- 
gliedert durch die Oertlichkeiten, die Homer auf den Schlacht- 
feldern zwischen der Stadt und den Schiffen, soweit sie mehr- 
fach genannt werden, stets in der gleichen Reihenfolge an- 
gibt. Auf der so gegebenen Fläche verläuft von links nach 
rechts die zeitliche Entwickelung der Kämpfe. Die gestrichelte 
Linie bezeichnet die Troer, die ausgezogene die Achäer. Die 
dick gezogenen Linien bezeichnen die Bewegungen im Kampf, 
die dünnen bezeichnen Anmarschrichtungen. Der Skizze liegt 
eine bis ins einzelne gehende Beobachtung und Zeichnung der 
vor- und zurückwogenden Kämpfe zugrunde. Aber nur die 
Hauptlinien sind in der Zeichnung hervorgehoben. 

Verlauf des 1. Schlachttages. Um zum Schlachtfeld zu 
gelangen, durchschreiten die Achäer die Ebene B 465. 785. 
T 14, vgl. A 2441. Die Troer, deren Späher am Grabhügel 
des Aisyetes das Anrlicken der Achäer wahrgenommen bat 
B 793, stellen sich am Hügel Batieia auf und rücken von da 
vor B815. T 2.15. Die Schlacht wird eröffnet mit dem Zwei- 
kampf des Menelaos und Paris. Nach dessen unklarem Aus- 
gang brechen die Troer mit dem Schuß des Pandaros den 
Vertrag und eröffnen durch ihren Angriff den Kampf A 221. 
Die Achäer erlangen zuerst über die troischen Vorkämpfer 
A 505 ff., dann durch das Eingreifen des Diomedes über die 
Hauptlinie die Oberhand. Die Troer weichen E 37. 93. Dio- 
medes, von Athene gestärkt, bedrängt sie und verwundet 


nn 


2) Neue Jahrbücher von Ilberg 1921 S. 335. 

a Komposition der Ilias des Homer, Göttingen 1864 Tafel 2 
zu 8.379. 

#) Homere, Paris 1809 S. 238/9, 


2 gr - 


Der geometrische Stil in der Ilias. 287 


Aphrodite. Doch stellen sie sich wieder zum Kampf E 497; 
der Ort ist nicht bezeichnet. Die Achäer halten ihnen zunächst 
Stand E498. 527, aber vor Ares weichen sie zurück E 600 ff., 
bis Heras und Athenes Ankunft auf dem Schlachtfeld sie zum 
Standhalten ermutigt E 792. Mit dem Vorstoß des Diomedes 
gegen Ares ist eine Massenbewegung zunächst nicht verbunden. 
Aber infolge der Vertreibung des Ares verlieren die Troer 
den in E gewonnenen Vorteil und weichen Z 6. 74. Doch 
in einer Stellung vor den Toren halten sie sich Z 80. 84. 106. 
Da die Entfernung von dem Tore und der Eiche H 22. 60 
nicht sicher bestimmbar ist und beim ersten Vorstoß der 
Achäer überhaupt kein Ort angegeben ist, habe ich mich in 
der Zeichnung mit der einfachen Angabe eines Mäanders be- 
guügt. Natürlich könnten dessen Vorsprünge auch bis näher 
an die Stadt gezogen sein. Dagegen den eckigen Mäander in 
entsprechende Wellenlinien umzuwandeln, wäre wegen der 
betonten Eckpunkte fehlerhaft. Hektor geht nach Ilios. Dio- 
medes und Glaukos tauschen die Rüstung. Der Kampf ist 
hart für die Troer Z 85.435 ff. H7. Aber das Erscheinen 
des Hektor und Paris bringt den Troern wieder die Ueber- 
legenheit H 18, wenn das Weichen der Achäer auch nur 
schonend angedeutet wird. Das Eingreifen Athenes hindert 
weitere schlimme Folgen. Die Schlacht schließt mit dem un- 
entschiedenen Zweikampf des Aias und Hektor. H 310/11 
ziehen beide Heere heim. 

Das beherrschende Kunstgesetz der Gesänge T—H ist die 
Symmetrie. Sie drückt auch der Kamıpfhandlung ihren Steipel 
auf. Diese ist eingerahmt von zwei Monomachieen. Beide Male 
fordert der Troer. Beide Male erweist der Achäer moralisch und 
physisch seine Ueberlegenheit und doch wird durch die Führung 
der Handlung ein voller, unbestreitbarer Sieg verhindert. Die 
Heere der Achäer und Troer bleiben während dieser Zweikämpfe 
unverändert in ihren Stellungen, also im Gleichgewicht, doch 
die zwischen ihnen sich abspielenden Zweikämpfe deuten das 
Uebergewicht der Achäer an. Dies Uebergewicht in den beiden 
Rahmenstäcken spricht sich im Mittelstück noch stärker aus 
in den zwei siegreichen Vorstößen der Achäer. Aber wie es 


die Zweikämpfer der Achäer nicht zum vollen Erfolg gebracht 
| 19* 


288 Friedrich Stählin, 


haben, so folgt auf die Vorstöße des achäischen Heeres beide- 
male wieder ein Rückschlag. So stellt sich die ganze Kampf- 
handlung von T—H als ein Mäander dar. Der Parallelismus 
geht so weit, daß an den entscheidenden Stellen, den Ecken, 
dieselben Verse) die Wiederaufnahme des Widerstandes bei 
den fliehenden Troern E 497 = 7106 und den Sieg der Troer 
über die Achäer ausdrücken E712= H18. Die Schlacht spielt 
im oberen Teil der Ebene nahe an den Toren der Stadt. Das 
geht aus den unter sich übereinstimmenden Ortsangaben un- 
zweifelhaft bervor, auf die ich hier nicht näher eingehen kann. 

Am 2. Schlachttag treffen die Troer von der Stadt, die 
Achäer vom Schiffslager her kommend an einem nicht näher 
bezeichneten Ort zusammen. Der Rücksicht auf den National- 
stolz hat der Dichter durch die Gleichgewichtsschlacht von 
T—H Gentige getan. Nun geht er auf sein Ziel, die mit 
dem Zorn des Achilleus zusammenhängende Niederlage, ohne 
Umschweife los. Nach anfänglich unentschiedenem . Kampf 
fliehen die Achäer & 78. Nur Diomedes und Nestor machen 
noch einen glücklichen Gegenstoß 8 117. Erst der Blitz des 
Zeus bringt auch sie zur Flucht ® 157. Diese führt die Achäer 
bis hinter den Graben zurück mit Preisgabe der Ebene. Im 
Zwinger zwischen Graben und Mauer drängen sie sich zu- 
sammen 8213. Noch einmal macht von hier aus Diomedes 
einen Gegenangriff über den Graben & 255, diesmal unter- 
stützt von Teukros. Doch nach dessen Verwundung fliehen 
die Achüer wieder und halten erst bei den Schiffen d.h. hinter 
der Mauer 8345. Die Troer überschreiten den Graben nicht 
und greifen die Mauer nicht an, weil die Nacht hereinbricht 
® 348/9. 485 ff. Doch schlagen sie nahe dem Lager auf dem 
Throsmos ihre Beiwacht auf 8490. Die Kunstform, die auch 
die folsenden Kämpfe des 3. Schlachttages beherrscht, kündigt 
sich schon in ® deutlich an. Es ist ein Rhythmus. Es folgen 
rhythmisch bei den Achäern Flucht und Gegenstoß und mit 
jeder Flucht mehrt sich ruckweise der Geländeverlust. 

Der 3. Schlachttag ist nach der Oertlichkeit in 5 Ab- 
“ schnitte gegliedert: den nochmaligen Kampf um die Ebene 
in A, den um die Mauer in M, zwischen Mauer und Schiffen 
5) Vgl. U. Peters a. a.0. 333,1. " 


Dar geometrische Stil in der Ilias. 9809 


in N, un die Schiffe selbst in SOII, und die vorübergehende 
Zurückgewinnung der Ebene durch den Gegenstoß des Patroklos. 

In A treffen die Heere zwischen dem Throsmos und dem 
Schiffslager zusammen. Die Achäer unter Agamenınons Führung 
durchbrechen die Reihen der Troer 90. Diese fliehen, vorbei 
am Ilosgrab und dem Feigenbaum zum skäischen Tor 166—8. 
Hier bilden sie eine neue Widerstandslinie 214/5. Agamemnon 
wird verwundet und scheidet aus 283. Die Achäer fliehen 311. 
Diomedes und Odysseus decken den Rückzug. Paris verwundet 
am Grabmal des Ilos den Diomedes, so daß dieser zurück- 
fahren muß 400. Auch Odysseus und Aias können die Schlacht 
nicht mehr retten. Die Flucht der Achäer durch Graben und 
Mauer wird übergangen; erst hinter der Mauer bei den Schiffen 
finden wir sie wieder M 38. 

In M lassen die Troer ihre Streitwagen außerhalb des 
Grabens auffahren. Drei Tore werden bestürmt und schließlich 
die Mauer erobert M 462. Die Achäer fliehen zurück zu den 
Schiffen, aber dann bilden sie zwischen der Mauer und den 
Schiffen eine neue Schlachtreiie N 126. In dieser Stellung 
halten sie sich in der Mitte und am linken Flügel, wo Ido- 
meneus kämpft; auch ein erneuter Angriff Hektors mit Zu- 
sammenfassung aller Kräfte hat keinen Erfolg N 801. 833. 
Vielmehr setzt Aias, während Zeus eingeschläfert ist, den 
Hektor außer Gefecht £ 440 und die Troer werden im Gegen- 
sto&ß durch den Graben bis an ihre Wagen zurlickgetrieben 
01—3. Aber mit dem Erwachen des Zeus wendet sich das 
Blatt. Unter Führung des Apollon und des wieder hergestellten 
Hektor stürmen die Troer, diesmal samt ihren Streitwagen, 
hinter den fliehenden Achäern bis an die Schiffe O 385. Hier 
wehren sich die Achüer in doppelter Stellung. Die einen 
stehen nuf den Schiffen und kämpfen mit langen Speeren 
0387 f£. So besonders Aias. Die anderen bilden noch einmal 
zwischen den Schiffen und der Mauer, aber diesmal ın un- 
mittelbarer Anlehnung an die Schiffe, einen Schutzwall O 409. 
66. 618. Endlich geben sie die vordersten Schiffe preis O 637 
und weichen zurück an die Hütten 653 ff. Nachdem als letzter 
auch Aias aus seiner Stellung auf dem Schiffe vertrichen ist 
Il 122, zündet Hektor ein Schiff an 11 122. 


290 Friedrich Stählin, 


Da erfolgt der Angriff des Patroklos. Er treibt die Troer 
von den Schiffen zurück über den Graben II370, tötet in der 
Ebene den Sarpedon, dringt vor bis an die Stadt und fallt 
dort 11822. Nach langem Kampf um seine Leiche fliehen die . 
Achäer P597. Die Helden nehmen die Leiche mit. Achilleus 
selbst hilft sie bergen, indem er vom Zwinger aus seinen 
Schlachtruf über den Graben ertönen läßt &2 215 ff. Hektor 
führt die Seinen wieder zur Beiwacht auf den Throsmos. 


Als die beherrschende Kunstform haben wir schon seit 
® den Rhythmus erkannt, den wir nun näher betrachten wollen. 

Ein Rhythmus waltet ob bei den vier Gegenstößen, die 
die Achäer aus ihrem Lager heraus bald nur bis über den 
Graben, bald durch die ganze Ebene bis zur Stadt hin machen. 
Es folgen da aufeinander die kleinen Gegenstöße des Diomedes 
und Teukros in 8, der große des Agamemnon in A, der kleine 
unter Führung des Poseidon in &, der große des Patroklos 
in II; also der Rhythmus abab. 

Entwickelter ist der Rhythmus in der Zunahme des den 
Achäern verlorengehenden Kampfraumes.. Diesen hat der 
Dichter zerlegt in 1. die Ebene, 2. Graben, 3. Mauer, 4. Raum 
zwischen Mauer und Schiffen, 5. vorderste Schiffe, 6. Hütten. 
Der von den Achäern aufgegebene Raum wächst bei jedem 
Angriff der Troer um das nächstfolgende Glied und wir erhalten 
so eine stetig wachsende (arithmetische) Reihe. Die Achäer 
verlieren bis & 213 die Ebene = 1, bis ® 345, auch den 
Graben 1-+2, bis N 126 auch die Mauer = 1-2 +3, bis 
O 387 auch den Raum zwischen Mauer und Schiffen = 1 
2+3-+-.4 und endlich bis O 656 auch noch die vordersten 
Schiffe =1-+2-+3-+4-+-5. Das ist also ein Rhythmus, bei 
dem immer das folgende Glied schwerer wiegt als das vorher- 
gehende, also sozusagen ein Rlııythmus mit Steigerung. Linear 
betrachtet bewegt er sich nicht wie der vorhin beschriebene 
auf einer Linie, sondern fällt stufenweise immer tiefer wie 
ein Ton oder wie eine Treppe; von ihr verlieren die Achäer fünf 
Stufen und halten sich nur noch auf der sechsten und letzten, 
wie es der Dichter durch Aias und Achilles Mund OÖ 740. 
11 67 £. ausmalt in einem eindrucksvollen Bild. 


Der geometrische Stil in der Ilias. 291 


Noch reicher entfaltet sich vor uns die Schlacht, wenn 
wir nun den abwechselnden Rhythmus der Gegenstöße und den 
auschwellenden des Geländeverlustes in ihren Zusammengreifen 
betrachten. Der Dichter verwendet da folgendes Schema: Die 
Achäer werden zurückgedrängt bis auf eine bestimmte Linie; 
dann machen sie einen Gegenstoß, der sie vorwärts führt. Darauf 
werden sie wieder zurückgedrängt, aber um eine Linie weiter, 
als sie vorher waren. Von hier aus kommt dann wieder ein 
Gegenstoß. Die Gegenstöße wechseln dabei nach dem oben 
bezeichneten Rhythmus ab ab. Nach dem Gegenstoß erfolgt 
wieder ein Zurückdrängen um eine Linie weiter und so fort. 
Zur Durchführung dieses Schemas benützt der Dichter die 
oben genannten sechs Raumstreifen. Nur erscheint bier statt 
der räumlich zu unbestimmten Ebene als erste Linie die der 
Troerwagen, die ja am Rande der Ebene außerhalb des Grabens 
stehen. | 

In 8 werden also die Achäer zurückgeworfen bis hinter 
den Graben, machen einen kleinen Gegenstoß, werden aber 
dann um eine Linie weiter zurückgedrängt bis hinter die Mauer. 
Von hier aus machen sie in A einen großen Gegenstoß; sie 
werden zurückgeworfen zunächst wieder bis hinter die Mauer; 
da ist aber kein Rubepunkt des Angriffes, sondern er geht 
ununterbrochen weiter, bis die Achäer in M und N auf den 
Raum zwischen Mauer und Schiffen gewichen sind, also um 
eine Stufe weiter als in 8. Von dieser Linie aus muß nach 
dem Schema wieder ein kleiner Gegenstoß erfolgen. Er führt 
in 50 die Achäer über den Graben bis an die Wagen der 
Troer. Dann kommt der Rückschlag: sie weichen zunächst 
‚wieder zurück bis in den Raum zwischen Mauer und Schiffen 
und, da dies der schon vorher gehaltenen Linie entspricht, 
uach langem Kampf um eine Stufe weiter an die vordersten 
Hütten. Nun muß wieder ein großer Gegenstoß erfolgen; 
das ist die Patroklie. 

Doch es ist die Patroklie nicht nur auf diese Weise in 
den Schlachtenrhythmus verflochten. Denn es folgt nicht bloß 
auf jede Steigerung des Verlustes zum Ausgleich ein Gegen- 
stoß, so daß Gewinn und Verlust sich in bestimmtem Wechsel 
folgen und nur ganz langsam sich die Verluste mehren. Dieser 


292 Friedrich Stählin, 


allmählich sinkenden Linie entspricht vielmehr eine gleichzeitig 
aufsteigende und sie kreuzende. Das sind ‘die drei Stufen, in 
die der Dichter die Vorbereitung der Patroklie zerlegt hat. 
Denn diese sind immer sozusagen die Antwort auf einen der 
großen Verluste. Das Eingreifen des Patroklos, das ja selbst 
nur eine Retardierung, ein abstufendes Kunstmittel für das 
Eingreifen des Achilleus bedeutet, ist immer die große Hoffnung 
in der Not der Achäer, und so läßt der Dichter, in feiner 
Verknüpfung seines geometrischen Empfindens mit seiner 
Seelenkenntnis, diesen Trost jmmer an den Stellen aufleuchten, 
wo seinen mitfühlenden Zuhörern die Not der Achäer besonders 
schwer aufs Herz fallen muß. So folgt auf den Verlust der 
Ebene in A die Entsendung des Patroklos A 599 ff., auf den 
endgültigen zweiten Verlust der Mauer in O die beschleunigte 
Heimkehr 0 390, auf den Verlust des vordersten Schiffes, das in 
Flammen aufgeht, die lebhafte Antreibung des Patroklos durch 
Achilleus selbst II 124 f. Man muß Auge und Herz darauf 
einstellen, das Ineinandergreifen all dieser Gestaltungen auf sich 
wirken zu lassen; dann bekommt man einen Begriff, wie wunder- 
bar das Gefüge dieses Schlachtenrhythmus aufgebaut ist ®). 
Der Dichter selbst leitet uns auf die richtige Spur, um 
ihm nachzuempfinden. Immer wieder macht er darauf auf- 
merksam, daß sein Plan ist ein elastisches Vor- und Zurück- 
schnellen der beiden Parteien darzustellen. Schon & 350—437 
entspricht der vergebliche Hilfeversuch der Athene und Hera in 
seinem Vor und Zurück den Vorstoßversuchen und dem Zu- 
rückweichen der Achäer. Auch die Vogelzeichen, die in 
M (71). 200 #. die Troer, in N 817 ff. die Achäer erhalten, 
deuten auf kommende Rückschläge. Eine Avamvsuatg, ein 
Aufatmen und eine Erleichterung vom Druck, soll das durch 
Patroklos vorbereitete und das wirkliche Eingreifen des Achilleus 
bringen A 801. II 43. 301. 8 201. Am deutlichsten gibt Zeus 
in seiner Anweisung an Apollon den Grundzug dieser Gestaltung 
an O0 231—235: Hektor soll die Achäer an die Schiffe und 
den Hellespont jagen, dann soll ein erleichternder Gegenstoß 


°), Vgl. meinen Aufsatz über die Vorbereitung der Patroklie in 
Bayer. Blütter f. d. Gymnasialschulwesen LIV 1918, 113—121. Drerup, 
Hom. Poetik I 366 Anm. 


Der geometrische Stil in der Ilias. 293 


der Achäer erfolgen. Deshalb berichtet der Dichter selbst 
0 (69). 600: Zeus wartet nur darauf, mit dem Schiffsbrand 
den Höhepunkt des Hektorsieges zu sehen, um dann den Sieg 
wieder auf die Achäer überspringen zu lassen. 

Die Symmetrie spielt in diesem Abschnitt der Schlacht- 
handlung eine weniger bedeutende Rolle als am ersten Schlacht- 
tag. Doch muß man die auf unserer Zeichnung deutliche 
Symmetrie in der Einrahmung beachten. Denn der dritte 
Schlachttag ist eingerahmt durch das am Abend erfolgende 
Vordringen der Troer bis zum Graben und ihre Beiwacht auf 
dem Throsmos in 8 und 2. Allerdings hat der äußerlich 
gleiche Erfolg der Troer am Rhythmus gemessen sehr ver- 
schiedene Bedeutung. Am Vorabend nämlich reibt sich dieser 
Erfolg in den Rhythmus ein, am Abend unterbricht er ihn. 
Denn während bis dahin auf die Gegenstöße hin die Achäer 
jedesmal um eine Stufe weiter zurückgedrängt worden sind, 
trägt nach dem Gegenstoß des Patroklos der Sieg die Troer 
nicht einmal bis zum Ausgangspunkt des Gegenstoßes hin’). 
Es endigt also der bisherige Rhythmus. Die rückläufige Be- 
wegung zugunsten der Achäer beginnt. Die Schnellkraft der 
Troer läßt nach, der Widerstand der Achäer festigt sich. Am 
Graben tritt den Troern in Achill eine unüberwindliche Schranke 
entgegen. So bildet die Patroklie als Ende des bisherigen 
Rhythmus zugleich die Ueberleitung auf Achills Siege. 

Das Ergebnis unserer Untersuchung der Schlachtbandlung 
ist also, daß ihr von ® bis 3 eine geometrische Figur von 
strenger Regelmäßigkeit zugrunde liegt. Sie läßt sich in einer 
ununterbrochenen Linie darstellen. Diese ist gegliedert durch 
bestimmte Figuren, den Mäander amı ersten, das Treppenmotiv 
am zweiten und dritten Schlachttag. Die Ecken und Wen- 
dungen der Figuren schließen sich am zweiten und dritten 
Schlachttag an die Linien und Punkte an, durch die der Dichter 
die Landschaft gegliedert hat. Diese bildet die Fläche, auf 
der sich die Figuren der ‚Schlacht bewegen. Die Linien sind 
gewissermaßen die Stangen eines Spaliers, an dem die früchte- 
reichen Aeste der Handlung schön ausgebreitet sind. Hinter 


?) Diese Sachlage hat Terret auf seiner Zeichnung verkannt, ob- 
wohl sie bei Kiene so klar zum Ausdruck kommt. 


294 Friedrich Stählin, 


der Fülle des sprossenden Lebens verschwindet das tragende 
Gerippe, das doch tektonisch klar hinter der reichen Deko- 
ration der Oberfläche steht. Und die Wand, an der dies Spalier 
aufgerichtet ist, ist die Landschaft. Sie ist mit möglichster 
Anlehnung an die gegebene Wirklichkeit stilisiert nach dem 
Bedürfnis und der zweidimensionalen Auffassung des Dichters, 
ganz geometrisch empfunden und linear gegliedert. Wir können 
uns kaum ein besseres Beispiel für den Linien- und Flächen- 
stil vorstellen, für das gegenseitige Angewiesensein und das 
Zusammenarbeiten von Linie und Fläche Es ist da eine 
mustergültige Stufe in diesem Stil erreicht. Aus diesen Gründen 
zeigt die Schlachthandlung auch alle die oben genannten 
Merkmale des linearen Stiles.. Jeder Abschnitt der Schlacht, 
der Kampf um die Ebene, den Graben, die Mauer, die Schiffe, 
wirkt an seiner Stelle vollkommen selbständig, so daß die 
analytische Methode ein Al, einen Schiffskanıpf, eine Patroklie 
als selbständige Teile unterscheiden und ausscheiden kann. 
Diese relative Selbständigkeit der Teile wird bei Homer noch 
durch die Benützung überlieferter Stoffe verstärkt. Aber was 
durch die Gliederung in klare einzelne Teile zerlegt ist, das 
wird durch das rhythmische System zu einer festen, geschlos- 
senen Einheit zusammengefaßt. Jeder Teil ist doch, so selb- 
ständig er in einer Hinsicht wirken mag, an seiner Stelle vom 
Ganzen bedingt, reibt sich mit Notwendigkeit als unentbehr- 
liches Stück in diesen großartigen Schlachtenrhythmus, der 
die Verschiebung oder Streichung oder Zufügung eines wesent- 
lichen Stückes nicht duldet. Er zeigt uns Homer als den 
größten Vereinheitlicher der überkommenen Stoffe. 

Als ein weiteres Beispiel für den linearen Stil in der : 
Ilias möchte ich ihre Einteilung in die erste und die zweite 
Menis wählen. Freilich wer unter der in A1 angekündigten 
Menis nur den Zorn des Achilleus über die Wegführung der 
Briseis sieht, der muß die Menis mit ZT endigen lassen. 
Denn’ in & verflucht Achilleus diesen Zorn (X5%05) und in T ver- 
söhnt er sich äußerlich und innerlich mit Aganıemnon. Dann 
aber ist Y—W nur ein Anhängsel, eine Folge jener ersten 
Menis. Von einer einheitlichen Architektur der Ilias kann 
man dann nicht mehr reden; denn ein so großer und ausschlay- 


Der geometrische Stil in der Ilias. 295 


gebender Anbau erdrückt den Hauptbau. Aber in Wirklich- 
keit hält ja die Menis Achills an bis zum Schluß; nur von 
der &pts läßt er schon in A 210 ff. und vom XöAcg gegen Volks- 
genossen in & 107 f. ab. Aber das Ziel der Menis wechselt. 
Man muß also eine erste Menis unterscheiden, die sich wegen 
der Wegnahme der Briseis gegen Agamemnon und die Achäer 
richtet und für diese verderblich ist. Sie beginnt in A, steigt 
auf bis zu ihrem Höhepunkt in I und fällt, bis Achill in II 
in die Hilfeleistung für die Achäer einwilligt. In ihr ist also 
die Ursache die Wegnalıme der Briseis, die Wirkung die 
Niederlage der Achäer. Auf die erste Menis folgt das Angel- 
stück der zwei lliasteile, die Patroklie. Sie bildet die meister- 
hafte, verzahnende Verbindung zwischen der ersten und zweiten 
Menis. Sie beendigt durch die Aussendung des Patroklos 
äußerlich und durch die nach Patroklos Tod erfolgende Ver- 
fluchung des Zornes innerlich die erste Menis. Zugleich aber 
liefert sie mit dem Tode des Patroklos die Ursache der zweiten 
Menis und eröffnet damit diese. Denn die zweite Menis richtet 
sich wegen der Tötung des Patroklos gegen Hektor und die 
Troer und ist für diese verderblich. Sie beginnt in &, er- 
reicht ihren Höhepunkt in X mit der Erlegung Hektors und 
endigt in dem versöhnenden Ausklang in 2. In ihr ist die 
Ursache der Tod des Patroklos und die Wirkung die Tötung 


und Mißhandlung Hektors. 
Die Menishandlung 


Höhepunkte I x 
j I\ 
2 & / N 
% \ 

Grundlinie RR; au an 

A u Z Q 

Erste Honis gegen Agamemnon, Angelstück Zweite Menis gegen Heklor, 

verderblich für die Achärr. verderblich für die Troer. 


Die Handlung der Ilias führt also, um Achills Charakter 
in volles Licht zu setzen, das Motiv der Menis in zwei Ab- 
wandelungen, in zwei epischen Einheiten vor. Achill ist im 
Begriff, seinen Zorn gegen die Achäer fahrenzulassen. Aber 
bevor die Geschichte damit einen unbedeutenden Abschluß 


296 Friedrich Stählin, 


gewänne, kommt die neue Handlung: sein Freund fällt und 
ein neuer Zorn entsteht. Die Einheit liegt im Charakter 
Achills.. Denn die Menis ist in beiden Fällen Auswirkung der 
Seelenkraft des nämlichen Mannes. Beide Abwandelungen 
laufen also auf einer Grundlinie. Wie sie durch diese tiefe 
Verankerung und durch das ÄAngelstück der Patroklie enge 
verbunden sind, so werden sie noch durch lineare Kunstfiguren 
zusammengehalten. Denn beide bilden zunächst eine Parallele, 
bei der jede der beiden Menislinien zwei Glieder umfaßt, nänı- 
lich Ursache und Wirkung, wie es unser rhythmisches Schema 
zeigt. Die beiden Linien folgen zeitlich aufeinander und in 
jeder Linie folgen die zwei Glieder zeitlich aufeinander. Die 
ganze Handlung bleibt also ohne jede Ueberschneidung in 
einem ununterbrochenen Fluß von Linie zu Linie, von Glied zu 
Glied. Das ist auch der Grund, weshalb man die Menishandlung 
und mit ihr die Haupthandlung der Ilias in einer einfachen 
Zeichnung darstellen kann. Doch damit sind die Beziehungen 
der beiden Teile noch nicht erschöpft. Denn wenn wir die 
Gewichtsverteilung betrachten, so ist die zweite Menis in Ur- 
sache und Wirkung eine Steigerung der ersten. Sie ist also 
eine Parallele mit Steigerung. 

Wieder ein anderes Bild bietet sich uns, wenn wir die 
Glieder der beiden Parallelen nicht nach der zeitlichen Reihen- 
folge, sondern nach ibrem Inhalt betrachten. Dann fällt uns 
eine besondere Gewichtsverteilung auf, die eine chiastische 
Anordnung zeigt. Denn der Zorn über die Wegnahme der 
Briseis, also über eine geringfügige Ursache, wird während 
der Achäerniederlage maßlos durchgehalten; es ist also die 
Ursache leicht, jedoch die Wirkung schwer. Dagegen der 
Zorn auf Hektor wegen der Tötung des Patroklos wird zuletzt 
durch die Herausgabe der Leiche Hektors gemäßigt. Es ist 


Beziehungen der I. zur II. Menis 


u [nn 


z " Menis | Ursache | Wirkung 
Zeitlicher Rhythmus 1| Brieeiszorn Achäerniederlage 

II | Patrokloszorn | Hektors Tod u. Mißhandlung 
InhaltlicherChiasmus | I leicht maßlos (schwer) 

II schwer 


gemäßigt (leicht) 


| 


Der geometrische Stil in der Ilias. 297 


“also die Ursache schwer, dagegen die Wirkung gemäßigt. 


we Are 


Dieser chiastischen Gestaltung, auf der der Aufbau der Ilias 
ruht, liegt das gleiche lineare Kunstempfinden zugrunde, von 
dem noch die Neapler Tyrannenmördergruppe getragen ist. 
Dort hat Harmodios den Schwertarm erhoben, den Schildarm 
gesenkt, Aristogeiton den Schwertarm gesenkt, den Schildarm 
erhoben. Angenommen bei Aristogeiton wäre mit dem Kopf 
auch der ganze rechte Schulterausatz verloren. So wenig da 
ein Archäologe diesen Arnı gehoben ergänzen dürfte und wenn 
er mit noch so scheinbaren Vernunftgründen die Notwendigkeit 
seiner Ergänzung einleuchtend machen wollte, so wenig darf 
der Philologe den maßvollen Ausgang der zweiten Menis durch 
eine maßlose Schändung Hektors ersetzen wollen, zumal dieser 
Ausgang ja nicht ergänzt zu werden braucht, sondern uns in 
seiner ganzen kunstvollen Schönheit erhalten ist. Das Ge- 
fühl für Linie muß ihn von einer solchen Vergewaltigung 
abhalten. 

Die Einteilung in die erste und zweite Menis schneidet 
in fast alle wichtigeren Gestaltungen der Ilias ein. Besonders 
hängt sie zusammen mit der Entwickelung des einheitlichen 
Achilleuscharakters, mit den Weissagungen über seinen Tod, 
mit dem dreimaligen Auftreten der Thetis in A, & und Q. 
Sie ist auch mit der Tageeinteilung in der Ilias enge ver- 
knüpft; denn der Tag, an dem der Uebergang von der ersten 
zur zweiten Menis stattfindet, ist der 25. Tag, genau der 
mittelste der 50 Iliastage. Während also an Versezahl die 
erste Menis, an Bedeutung die zweite Menis die Oberhand hat, 
sind sie in der Zahl der Tage einander gleichgestellt. 

Bei der linearen Gestaltung der beiden Menis tritt be- 
sonders ein von der Kritik verkanntes Gesetz des linearen 
Stiles deutlich hervor, das der Gleichordnung der Teile. Es 
ist zwar die zweite Menis in jeder Hinsicht eine Steigerung 
der ersten; aber doch liegt nicht der ganze Nachdruck auf 
ihr, sondern auch die erste Menis hat ihre große Bedeutung. 
Es ist ein flächenhaftes Nebeneinander der beiden Teile, nicht 
ein Zurücktreten des unwichtigeren Teiles in den Hintergrund, 
womit schon die dritte Dimension in die Gesamtkomposition 
eindränge. 


298 Friedrich Stählin, 


Homer folgt einem Gesetze des linearen Stiles, wenn e 
nicht den ganzen trojanischen Krieg behandelt, sondern seine 
Erzählung einen festen Rahmen gibt durch die Beschränkun; 
der Handlung auf 50 Tage. Die Tage der Ilias sind sym- 
metrisch eingeteilt. Zuerst ist die Einleitung in A und de: 
Schluß in © insofern parallel, als beide mit der Zeit ver- 
schwenderisch umgehen und von den 50 Tagen 20 bzw. 22 
verbrauchen. Dagegen die Haupthandlung von B bis W isi 
auf 8 Tage ®) zusammengedrängt. Es ist also die Einleitung 
zeitlich gedehnt, der Hauptteil knapp, der Schluß gedehnt: 
also die Symmetrie a b a angewendet. 

Ferner besteht eine Parallele mit Steigerung zwischen A 
und 2, indem in beiden die Zahl 9 und 12 eine Rolle spielt. 
A setzt sich zusammen aus 9 Tagen Seuche A 53 und 12 
Tagen Götterreise A 425. 493. Die 12 Tage sind nach Morgen- 
röten gezählt; mit Anbruch der ersten gehen die Götter weg, 
mit Anbrucli der zwölften kommen sie zurück. Die Reihe der 
Seuchentage setzt sich noch in einem besonders gezählten 10. 
und in einem zu erschließenden 11. Tag fort A 54. 477. Doch 
sind diese zugleich der 10. und 11. Tag der Ilias überhaupt; 
die eigentlichen Seuchentage sind in &vvfjpap beschlossen A 53. 
Der 9. Tag ist gleichzeitig mit dem 1. Tag der Götterreise 
A 424. Es sind also im ganzen 8+12 = 20 Tage. 

Der Schluß der Ilias setzt sich zusammen aus 12 Tagen 
der Mißhandlung von Hektors Leiche @ 31. 413 und 12 Tagen 
des Waffenstillstandes @ 667. Die Tage der Mißhandlung 
werden nach Morgenröten gezählt Q 31. 413. Also begiunt 
der erste Tag mit der Morgenröte am Tage nach Hektors 
Tod. Er ist am 26. Iliastag gefallen. Also sind die ersten 
zwei Tage der Mißbandlung mit dem 27. und 28. Tag der 
Ilias gleichzeitig, die noch zu W gehören und von der Be- 
stattung und den Leichenspielen des Patroklos erzählen. Also 
umfaßt Q 10-+12 = 22 Tage. 

Von den 10 auf Q& entfallenden Tagen der Mißhandlung 
sind dann wieder 9 besonders zusammengefaßt als Tage des 
Götterstreites wegen Hektors Leiche Q 107. Dieser Streit be- 


°) Deren zeitliche und inhaltliche Einteilung gibt Peters a. a. 0. 
S. 320. 322. 335. 


.— [nn - m = ir SEE 


RER —— _— |. mul EEE EEE Trend m 
a MT 


Der geometrische Stil in der Ilias. 


giont am Tage nach den Leichenspielen 
für Patroklos.. Denn daß Hektor noch 
früher als Patroklos bestattet werden 
solle, kann als zu anspruchsvolle Forde- 
rung nicht Gegenstand des Streites wer- 
den. Aber nachdem Patroklos mit allen 
Ehren beigesetzt ist, ist es berechtigt 
auch an Hektor zu denken. Also ist der 
dritte Tag der Mißhandlung, der zugleich 
der erste Tag von Q ist, der erste Tag 
des Götterstreites. An dem Tug, an 
welchem Zeus sagt: „I Tage lang hat 
sich der Streit unter den Göttern er- 
hoben“, sind die 9 Tage schon vorüber; 
er spricht mit Thetis am 10. Tage, der 
zugleich der 12. Tag der Mißhandlung 
ist 2413. 

Die 12 Tage des Waffenstillstandes 
zerfallen in 9 Tage für die Klage und 
das Holzholen @ 664. 784 und drei für 
die Bestattung und das Ende des Waffen- 
stillstandes Q 665 ff. 785 ff. 

Q verdoppelt also das Spiel von A 
mit der Zahl 9 und 12 und die Ueber- 
schneidungen, die in A am 9. Tag, in 
2 am 27. und 28. Tag sich finden. Da 
bei ihnen aber nichts Wesentliches ver- 
deckt wird, verstoßen sie nicht gegen 
den linearen Stil, sondern sind eine er- 
laubte Freiheit. 

Durch zwei Beziehungen ist dies 
äußere Schema der Tageeinteilung mit 
der Meniseinteilung der Handlung ver- 
bunden: die Steigerung, die von A zu Q 
stattfindet, entspricht der Steigerung, 
die von der ersten zur zweiten Menis 
stattfindet; und ferner bezeichnet der 
mittelste Iliastag, der 25., den Ueber- 
gang von der ersten zur zweiten Menis. 


ilun 


. 


Tageeinte 


B bis YV 


4also 


47148 


I 


4546 


12l43144 


2 
22 


sig7la8Iaglsnlaı 


3132133134195] 
3l4i5|e 
415161718 


g0 


80 


& 


8 
| 


22123 


0121 


helızlıxlıg 


131415 


u 


1u11j12 


? 
89 


N 
| 


7 


6 


Gesänge 
Zahld.Tg. 
lIliastage 


Je 12 Tage 1. Götterreise 2. Mißhandlung, $. Waffenstillstand. 


123al5 


1) 


8 
8 


415/67 
415/617 


2|3 


l 


7 
9 


2 


1 
3 


I: EIEEEONS 
EN) 


24] 25 126/27128]24 


iin 


8911 il 


3 7 6 


| 


Je 9 Tage 1. Pest, 2. Götterstreit, 


a 
—n. 

.’. . 
—_ 

« “ 
—— [nn 


Je 9 Tagelil2 
Je12 Tage 
Zweiteilg. 


! 


| 


299 


1112) 


9110 


23 


Zweite Menis 


112 


| 


3. Holzholen. 


6/7 
Erste Menis 


h) 


314 


+“) 
“ 


1 


300 Friedrich Stählin, 


Besonders beachten muß man den Ausgleich zwischen 
der Zahl und dem Inhalt der Tage; er läßt sich am leichte- 
sten erfassen in der beliebten Figur des Doppelchiasmus, der 
Symmetrie in der wagrechten und Chiasmus in der senkrechten 
Erstreckung miteinander vereinigt. In A sind es viele Trage 
(20), aber von ihnen sind mit Inhalt angefüllt nur wenige 
(4); von B bis W sind es wenig Tage (8), aber sie sind 
alle inhaltsvoll; in @ sind es viele Tage (22), aber von 
ihnen sind mit Inhalt angefüllt nur wenige (4). Quantität 
und Qualität der Tage, ihre Fülle und ihre Leere, stehen 
also miteinander in Gleichgewichtsentsprechung. 

Verhältnis von Zahl und Inhalt der Tage 
im Anfang, Hauptteil und Schluß der Ilias. 

Gesänge A() BbasF(2) 2() 

Zahl der Tage viel (20) wenig (8) viel (22) 

wer Ww | 
Ne ee 
4 ev N 

Inhaltevolle Tage wenig (4) viel (8) wenig (4) 

Die Zeiteinteilung seiner Tage geht dem Dichter über die 
verstandesmäßige Berechnung. Er nimmt ihr zuliebe die Un- 
wahrscheinlichkeit in Kauf, daß Hektors Leiche 12 +9 Tage 
unbestattet liegt und läßt den Achill viel mehr Tage für die 
Klage um Hektor bewilligen, als selbst dem Patroklos geweiht 
waren @ 664. Den Mauerbau braucht der Dichter aus poe- 
tischen und sachlichen Gründen in H. Denn solange Achill 
mitkämpfte, war die Mauer nicht nötig; jedoch für die räum- 
liche Gliederung der folgenden Schlachten an den Schiffen 
kann er sie nicht entbehren. Aber viele Tage kann er ihr 
an dieser Stelle nicht widmen. Er nimmt also auch hier 
lieber eine große Unwahrscheinlichkeit in Kauf; er läßt die 
ganze Arbeit an einem Tag vollenden, während doch sogar 
die Götter später zur Zerstörung 9 Tage brauchen M 25. In 
W holen die Holzfäller für den Scheiterhaufen des Patroklos 
an einem Tage das Holz vom Idabergland. Umgekehrt 
werden für den gleichen Weg, für den Scheiterbaufen des 
Hektor 9 Tage angesetzt @ 662 f. 784. Beide Fälle sind nicht 


| 


Der geometrische Stil in der Ilias. 301 


‚ geeignet für Rückschlüsse über die Entfernung, die sich der 
‘ Diehter zwischen dem Kamptfeld und dem Gebirge denkt?). 


Denn er handelt da unter dem Zwang seiner poetischen Ge- 
staltung, der Tageeinteilung, die in W die Einschiebung von 
vielen Tagen nicht gestattet, dagegen in @ sie erfordert. Die 
Aufrechterhaltung seiner geschlossenen Zeiteinteilung, seines 
Kunstprinzipes, ist also dem Dichter wichtiger als die Rück- 


sicht auf die gemeine Berechnung und die Logik. 


Erlangen. Friedrich Stählin. 


X. 


Textkritisches zu der aristotelischen Topik und den 
sophistischen Widerlegungen. 


Ende 1912 übernahm Hans Strache auf Anregung seines 
Lehrers Hermann Diels die Herausgabe der aristotelischen 


“ Topik und der sophistischen Widerlegungen für die Teubnersche 


u 


a Ag en CHEN He euer j 


Sammlung. Er hatte seine Arbeit nahezu beendet, als er, 
dem Rufe des Vaterlandes folgend, in den Weltkrieg zog, 
aus dem auch er nicht zurückkehren sollte. Neues hand- 
schriftliches Material stand ihm, von geringen Papyrusresten 
abgesehen, nicht zur Verfügung, sondern er war auf die Aus- 
nützung des Waitzschen Apparates angewiesen. Dagegen 
konnte er zum ersten Male die neuen Ausgaben des Alexander 
zur Topik, des Sophonias und Michael Ephesius zu den sophi- 
stischen Widerlegungen in der Kommeutatorensanımlung der 
Berliner Akademie benützen. Die ulten lateinischen Ueber- 
setzungen, besonders die des Boethius, hat er in ausgedehn- 
terem Maß als Waitz herangezogen, wenn auch leider hier 
wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Ausgaben noch nicht 
vorlagen. Die textkritischen Beiträge endlich seit dem Er- 
scheinen des Waitzschen Organon, namentlich von Bonitz, 
Vahlen, Imelmann, sind mit größter Sorgfalt gesammelt und 
verwendet worden. Als mir 1919 von Diels das hinterlassene 


?) Wilamowitz, Ilias und Homer, 8. 111. 
Phülologus LXXVIII (N. F. XXX, 3a. 20 


302 Max Wallies, 


Material zur Durchsicht und weiteren Vorbereitung der Au: 
gabe tibergeben wurde, gewann ich bald den Eindruck, de 
hier eine Arbeit hingebendsten und gediegensten Fleißes vo: 
lag. Natürlich konnte es nicht meine Aufgabe sein, all 
pietätvoll herüberzunehmen, sondern überall, wo ich durc 
meine langjährige Beschäftigung mit den Schriften, sei es 5 
der recensio, sei es in der emendatio, besonders in dieser, übe 
den Standpunkt des verewigten jungen Gelehrten fortschreite 
zu können glaubte, habe ich geändert. Diese Abweichunger 
sowohl von der Üeberlieferung überhaupt als auch von den 
auf Grund der Ueberlieferung konstituierten Text Strache: 
sollen hier näher begründet werden. Vorangestellt werde: 
wird immer der Text nach Waitz’ Organon. 

10l1a 36. 37 "En d& npds T& npüra T@v repl Exdarn: 
Emoripnv Apxav. Auch ohne Alexanders Autorität und die 
handschriftliche Ueberlieferung in B (corr.) C müßte man mit 
Maier apxüv als störenden Eindringling aus der folgenden 
Zeile (TÜV xaT& tiv nporedeisav Emiothunv dpx@v) streichen; 
“ denn da T& npwt« nichts anderes als t&s dpxac bedeutet, er- 
gäbe sich npdg Täg Apxac TÜV — Apxiv. 

ibid. b 36 ’And naong Yäap nporksews npößinne norhseıs 
neraßxAAwv To tponpw. Unverständlich ist es, warum Bekker 
und Waitz das in den zuverlässigsten Hss. AB überlieferte 
neralaußzvov in peraß@Aiwv geändert haben, ohne dafür in 
Alexander oder Boethius (mutans) eine Stütze zu finden und 
ohne im Gedanken oder in der Konstruktion etwas zu gewinnen. 
Nach dem Gebrauch in den Analyticis erscheint sogar peta- 
Aruß&vwv als das Sinngemäßere. 

102a 33—35 "Os® Apnörter dnoöcdvar Epwrndevrx Ti Eott 
Tb npoxeievov, Ardanep Ent Too Avdpwrou Appötter, EpwrndEvrz 
te &otı Tb npoxeinevov, elneiv ötı Cüov. Das zweite npoxelnevov 
ist offenbar aus der vorangehenden Zeile wiederholt worden, 
ein Versehen, das, wie der Coisl. C (f) zeigt, längst erkannt 
worden war und sich nicht hätte in den neueren Ausgaben 
fortpflanzen dürfen. Dagegen ist in der folgenden Zeile yevırdv 
ÖE xal nörepov Ev ro aurD yevaı do Ay N) &v Erkow das 
von Bekker vor rötepov aufgenommene Td wegen seiner ge- 
ringeren handschriftlichen Beglaubigung von Waitz wohl nicht 


Textkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 303 


mit Recht gestrichen worden; es konnte in AB — Alexander 
und die lateinischen Uebersetzungen kommen hier nicht in 
Betracht — vor der Silbe nö leicht ausfallen. 

102b 11. 12 To6 p&v yap rpwrou dndEvrog (scil. TOO oug- 
Beßrpeötog öpropcd) Avayxalov, el n£Adeı tig auvigerv, Trpoetökva: 
tt dorıv öpog xal yevog xal Töccv. Da 101 b 19 sq. der öpog 
als lötov Td Ti 7jv elvar annatvov bezeichnet wird und es dem- 
gemäß 101 b 37 heißt Aexteov E& 1 Ööpos, ti Tdtov, ze yEvos, 
u ouuBeßnxös, diese Reihenfolge auch in der folgenden Be- 
sprechung gewahrt wird, wie auch 102 b 5 in der Bestimmung 


. des oupßeßrxös und Z. 27 sq. in der Zurückführung aller 


——— nn 


Probleme auf die öptanol, so ist die Stellung !öov xal y&vog im 
Coisl. C, wenn sie auch nur aus ähnlichen Erwägungen her- 
vorgegangen sein sollte, vorzuziehen, zumal die ursprüngliche 
Anordnung durch Hinübergleiten des Auges von einem xal 
zım andern leicht gestört werden konnte. Aus denselben 
Gründen ist 101b 17, wo C durch Boethius gestützt wird, 
die Stellung 7) Töcv 7) yEvog und 7. 25 7) öpov T) [öLov vorzu- 
ziehen. Ganz sicher endlich ist 103 b 18 td y&p aunßeßnxds 
eAkyero 5 ihre Öpog pre YEvog pie lölov, bnapyeı d& TO npay- 
patı die in C überlieferte Stellung pre löLov yite yEvog nicht 
nur, weil sie mit der in’ der angeführten Definition des oup- 
Beßnxös 102 b 4. 5 übereinstimmt, sondern auch, weil in dem 
vorangehenden Nachweise 103 b 2 sq. dur &x.tav rpötepov eipn- 
nevov ol Aöyoı xal && Tobtwv xal pds tadte der öpos dem 
i&ov, das y&vos dem ounßeßnxös; gegenübergestellt wird. Es 
bedürfte hier zur Beglaubigung gar nicht der Autorität Alex- 
anders, der wie im wörtlichen Zitat S. 64, 1 so auch mehr- 
mals in seiner Erklärung diese Stellung bezeugt. 

ibid. 21—25. Tö oupßeßnxds cuHEV Kwideı note xal rpög 
u T&tov yiveadaı, olov ıd xadroha: aupßeßnxds öv, dtav is 
pövos xadfitaı, töre lörov Eorar, ui) puivou SE Kadmpevon Tpög 
tobg ph) RadmpEvoug Lörov. WoTe xal rrpög Te Xal TOTE cÜdEV XWAÄUEL 
10 oupfßeßnxdg T&ov ylverdaı. Wie der Wote-Satz zeigt, kann 
der Sinn des ersten Satzes nur sein: ‘nichts hindert, daß das 
ouußeßnxög auch ein zeitlich begrenztes und relatives L&tov 
wird’, nicht ‘bisweilen auch ein relatives löıcv wird’. Es ist 
demnach, wofür auch Alexanders Erklärung spricht, not& für 

20* 


304 Max Wallies, 


töte zu lesen, wenn man nicht, der Hs. u und Boethius folgend, 
tote rote vorzieht. TöTe in unsern maßgebenden Hss. scheint 
auf der falschen Auffassung des ersten Satzes zu beruhen, 
wäre also, was beachtenswert ist, interpoliert. Die Schreibung 
töte ort in der Hs. u und der Uebersetzung des Boethius 
ist vielleicht auf ein von verbessernder Hand hinzugefügtes 
rot£ zurückzuführen. Jedenfalls ist es kein Zufall, daß u und 
Boethius im vorangehenden Satz in Uebereinstimmung mit dem 
Lemma Alexanders xx: vor zott hinzufügen, wodurch jedes 
Mißverständnis ausgeschlossen wird. Da wir auch im öste- 
Satz das doppelte xx: haben, ist es mir nicht zweifelhaft, daß 
auch im ersten Satz xa@! — xx: gestanden hat und die Unter- 
drückung des ersten xx nicht auf Zufall, sondern auf Miß- 
verständnis beruht. 

107 a 32. 33. Zxonelv 88 pi) pövov ei CD TPOXELNLEVOU 
Erepx yEvn xal pn On’ Ania, AIM& xal En! toü &vavtiov. Die 
Gegenüberstellung ei to rpoxzınevov und En! tod &vavtlou ist 
kaum erträglich. Man erwartet entweder ei toD E&vavriou oder 
ent Tod npoxernevou ei. Für letzteres spricht Alexanders Er- 
klärung: deiv ynoı gun pövov En! ToD npoxermevcu Intelvel...; 
auch Boethius hat &r! und e? gelesen, allerdings in umgekehrter 
Reihenfolge (si in proposito). tr! od rpoxerm&vou ei finden 
wir im Lemma Alexanders und Leos*) und in dem wohl nach 
Alexander verbesserten Coisl. C. 

108a 7—10. Tv 88 önordtntx oxenteov ini te T@v Ev 
Erepoig yYEvsaıv, 5 Erepov rnpdg Erepöv Ti, obtws KAAo epds 
ao... xal ws; Erepov Ev Eripw tivi, oltwg Aldo Ev Am. 
Die schon von Jul. Pacius, wie seine Uebersetzung: Similitudo 
rero consideranda est... hoc modo: ut alterum ad alterum 
quipptiam, sic... zeigt, erkannte Schwierigkeit oder vielmelhr 
Unmöglichkeit, die Sätze wg Erepov.... npös Io und xal wg 
Erepov.... Ev KIA in der überlieferten Form mit oxerteov zu 
verbinden, wird von Waitz gar nicht berührt. Ich vermute, 
daß die zu erwartenden Interrogativa in te und tivi stecken, 
die als Indefinita nach vorausgehendem einfachen Etepov mehr 


ı) Der noch nicht edierte Kommentar des Jeeo Marentenus, aus 
dem Strache nur die von Waitz Organ. I 67—75 veröffentlichten Proben 
benutzt hat, lag mir vor in einer Abschrift aus dem CoisL 170, ver- 
glichben mit den Coisl. 157 und dem Paris. 1372. 


Textkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 305 


als überflüssig sind; nur ist ti auch für das Er&pw angeglichene 
avi zu lesen: ti obtwg KAXo rpds KAdo und ti cütws AAXo Ev 
m. N 

ibid. b 24—26. Olov dt rabrdy yalııın ptv &v Yadacay, 
vnvepia 8° Ev dep... xal Et orıya Ev ypappTj wa! poväg Ev 
arduin. Der Alexanders Erklärung nachgebildeten Lesart des 
oft beachtenswerten Coislinianus C xal ött @g otıypi, Ev ypapınd), 
poväs &4 Apıd ui liegt die Erkenntnis zugrunde, daß die Worte 
xal dt . . . Apıya so nicht den zu erwartenden Gedanken 
ergeben, daß der Punkt in der Linie dasselbe ist, wie die Ein- 
heit in der Zalıl. Denselben Gedanken aber erhalten wir, der 
Ueberlieferung der besseren Hss. näher bleibend, wenn wir 
mit u ötı streichen; denn dann ergänzt sich leicht txöt&v aus 
dem Vorausgehenden. 

"1093 29—32. Oi te yip beuöönevor xal d ui) Undpxov 
Onäpyerv tivi Aeyovres dnapravougı* xal of Tols KAAcTpiorg Övsnacı 
T2 npaypata npooayopelovteg, .. .. rapaßalvougı TIV KEILEVNY 
Övopnactav. Es ist merkwürdig, daß Bekker und Waitz den 
einfachen Sinn dieser Worte, wie ihre Interpunktion zeigt und 
schon von Imelmann erkannt worden ist, nicht erfaßt haben. 
Die beiden im vorangeliendeu Satz genannten Fehler 7) t& 
bevöesda: 7) tw napaßalverv MV xernevnv AcEıv werden erläutert; 
es können daher Zuapravovar und napaßaivougı nicht koordiniert 
werden, sondern auf &uaptavoua: folgt, genau der vorangehen- 
den Scheidung entsprechend, das zweite Subjekt als Relativ- 
satz. Es war also xa! ot zu lesen und nicht durch stärkere 
Interpunktion von &papravous: zu trennen. So erübrigt sich 
auch Imelmanns Konjektur nagxßaivoua (ap). 

110a 4. Aapßaveıv ÖE xal avi tov Ev Tois Aöyors 6vo- 
kätwv Aöyous. Der Infinitiv findet sich zwar regelmäßig bei 
Einleitung eines neuen törog; doch liegt ein solcher hier nicht 
vor. Da Alexander Aaußaverv dei zitiert, Öet aber nach 6& in 
unserer handschriftlichen Üeberlieferung leicht ausfallen konnte, 
empfiehlt es sich, AnpBaverv ö& dei zu lesen in Uebereinstimmung 
mit dem Lemma Leos. 

110 b 1—3. ’Anöxpn npdg td deikar dr navıl Unzpxsr Td 
ip’ Evds EtadeyInvar, olov el dh Tod Avdpmncu buxh Addvartoz, 
dt: bug näcsa adavaroc. Obwohl gerade diese Stelle im Index 


806 Max Wallies, 


mitangeführt wird für den auch sonst belegten Gebrauch vw. 
&:örı statt öte (vgl. Waitz zu Anal. pr. II 58b 7), glaube ic 
nicht, daß Arist. hier nach vorangehendem dr das ein Mij 
verständnis geradezu herausfordernde &:ör: (propter hoc Boethiın 
und die alte Uebersetzung) geschrieben hat, sondern vielmeh 
daß dt: trotz seiner geringeren handschriftl. Beglaubigun 
(A corr., xal dt: u) vorzuziehen ist. 
11lla 3. Katanep En! To0 olvou 6 pılöyduxus obx öte olvc 
a öte yAuxds &otıv. Die Begründung ‘nicht weil es Wein 
sondern weil er süß ist’ läßt einen anderen begründeten Sat 
erwarten als ‘wie sich der Liebhaber des Süßen beim Weir 
verhält’. Den zu erwartenden Gedanken ‘wie der Liebhabe: 
des Süßen den Wein begehrt’ bietet Alexanders Paraphrase 
&s 6 YeAödyAuxug olvov Errı$upei; ähnlich paraphrasiert Leo 5 @. 
Ercyupelv Acyeraı TcO YAux&o; olvou. Wir haben also in dem 
er! unserer Hss. eine Verstümmelung von &xı$upel zu sehen. 
ibid. 15—18. Olov &iv BovAwueda Ödeikar drr Eotı sep! 
(16) alodnoıv öpdörns xal Alapıia, Tb 8’ alothavesdar Apiverv 
&otl, aplverv 8° Eatıv öpdüg xal in) epdis, xal mepl aladınarv Av 
eln öpdörns xal Anapria. Z. 16 ist hinter Apaptix stärker zu 
interpungieren, da mit tö der Beweis beginnt. Dieser aber 
kann nicht mit d’ eingeleitet werden, sondern entweder ist 8’ 
zu tilgen oder, was wahrscheinlicher ist, in y&p zu ändern. 
Der Schlußsatz ist angefügt, als ob die Prämissen als Neben- 
sätze, mit el oder &rei beginnend, vorangingen. Da dies nicht 
der Fall ist, wird pi 6pd-ös, (Worte) oder (äp') Av zu lesen sein. 
112a 13. ’Entonnavöpevov doa pin Öoxel, tidnar öt. Der 
Sinn verlangt als Objekt zu Ertonparvönevov, "daß es zwar nicht 
richtig scheint, er es aber zugibt’. Es bleibt daher nur die 
Wahl, dx pi) Soxei zu ändern, was aber olıne tieferen Ein- 
griff nicht möglich ist (etwa wg oö p£v Öoxeil), oder nach 
öoxet eine Lücke anzunehmen, in der diese Worte gestanden 
haben. Der Ausfall erklärt sich leicht aus dem Homoeoteleu- 
ton, wenn er nicht gar durch die nicht verstandene freiere 
Anftgung des öo«-Satzes (vgl. Waitz Org. zu 52a 29 und 
Bonitz Ind. sub v. 8cog 533b 6 sq.) veranlaßt worden ist. 
114 a 37. obotorxu dE Akyerar T& XaT& TNv aÜTMV austo- 
ylav &ravı«. Nachdem die obstorx« und rtwWoers im engeren 


Texikritisches zu der aristotelischen Topik usw. 807 


Sinne definiert, dann Z. 35 die rtwoets unter die obotosxa 
subsumiert worden sind, kann die folgende Zusammenfassung 
nicht mit 2, sondern nur mit öi (allenfalls auch mit yäp) an- 
geknüpft werden. 

ibid.b 17—20. "Qv yäp al yevkosız tüv dyadav, xal 
aurz Ayadı, nal el aura dyadd, xal al yEveoeıs el öl al yevk- 
ges TÜV xaxldv, xal adr& Tmv xaxav. Nach diesen Worten 
ist, dem im Vorangehenden tiber die dyad& Gesagten ent- 
sprechend, die wohl durch den gleichen Ausklang ausgefallene 
Umkehrung hinzuzufügen : xal ei adr& twv xaxmv, xal al yevk- 
ges TWV RAADV. 

ibid.b 37. "Er &x 00 päl)ov xal Trrov. eiol ÖL To 
päldlov tönoı Teosoapes. Cu fügen hinter dem zweiten tod 
pZiXov ein, was der Sinn verlangt und Toö n&AXov kaum mit- 
einbegreifen kaun: xal Attov. Doch die schwankende Stellung 
des toö n&AXov in den maßgebenden Hss. und der Uebersetzung 
des Boethius läßt dieses vielmehr als Interpolation erkennen 

116 b 4—7. "Opoiws d& aa! En! ob Evavzlou" 1d yüp xad’” 
aUTd KARO altıov YEeuxtstepov ToD xark aunßeßnxös, colov 7) 
xaxla nal H toxn' Td iv yap nah" aürd xandv, I ÖE TOyn 
war& aupßeßnaös. Für xaxöv schlägt Strache das nach dem 
Sinn zu erwartende xaxod (aittov) vor; xaxöv wäre nur als 
eine doch wohl kaum erträgliche Nachlässigkeit im Ausdruck 
zu erklären. Ich möchte auch hier lieber eine Interpolation 
annehmen, da sich xax00 «itov aus dem vorangehenden Satz 
leicht ergänzen läßt. Erträglicher scheint die lockere An- 
fügung von N Tüxn durch xal ("wie die xaxi« und die tuxn 
sich zueinander verhalten’), wofür Boethius quam bietet, zu- 
mal naclı TO xx2T& aunßeßnxös nicht 9) N tüxn sondern Ts 
TOXNS zu erwarten wäre. 

118 b 3. ’AM& xal ei Vo Tıva Tıvis ein alperwrepn. 
Alexander und Boethius haben vor t.vög gelesen &vöc, dessen 
(2) Ausfall nach tev& in unserer handschriftlichen Ueberliefe- 
rung sich leicht erklärt. Seine Aufnahme empfieblt sich auch als 
Gegensatz zu ö0o und durch den Sinn, wie es auch.Z. 1 heißt 
el Tıvos TOD adrod td nv nellov dyadıöv dat Td ÖL EAartov. 

ibid. b 15. Alperwrepov yap & rplwv auvöuatöpevos. Für 
das in unsern besten Hss. überlieferte unhaltbare ouvöuaLöpevov 


308 Max Wallies, 


hat Waitz nach Bekkers Vorgang ouvövalönevo; eingeset 
Wahrscheinlicher ist das von ihm im Kommentar zur Wa 
gestellte auvöuatonevwv, für das sich Strache entschieden ha 
Ich habe ouvöuaLon£vorv vorgezogen, dessen ungewöhnlicher 
Endung der Verderbnis leichter ausgesetzt war. 

119b 4—6. lady ei tı tüv dötkwv Ayadev, nad Tao 
Sxalwv Te Xaxov, Kal El Ti TWV Öxalwg Xax0v, Xal Tüv LÖLX 
tt &yadöv. Bekker und Waitz haben nach Boethius das auch 
vor dem zweiten ei t: überlieferte n&Aıy in xa! geändert; sinn- 
gemäßer ist xx! für das erste n&X:v und die Entstehung des 
Fehlers durch Abirren von einem el tt zum andern ebenso 
naheliegend. | 

121a 35—37. wor’ oüx Av ein elöos N Novi Xıyvhoeex, 
oböE TWwv Atöpwv [oüäe av Imd Tb Elöog Tfig xıviaewg övrwv]. 
Während Bekker das zweite cööE streicht und das in unseren 
besseren Hss. überlieferte t®v tjs in Td täg ändert, folgt Waitz 
dem Text Alexanders, scheidet aber die ganze Stelle als eine 
in den Text geratene Randbemerkung aus. Und in der Tat 
befriedist Alexanders Erklärung der Worte als &x napaAXTAov 
mis oV2E T@v Atöpwv gesetzt nicht. Weniger gewaltsanı ist 
e3, für das zweite c0öE zu lesen obdev und Td, an dem Waitz 
mit Recht Anstoß nimmt, zu streichen oder in Tt zu ändern. 

122 a 26. 27. ’Avayın yip T& ToD Yevous petexov Aal 
TÜV EICWV TIVog HETEYELV TOV XaT& My rpwinv Ötxlpesıv. Imel- 
manns Vorschlag, (&v pr tı) av xarz ... Stalpeaıv (7) zu lesen 
wie 121a 29, verbessert zwar den logischen Fehler, entbehrt aber 
der äußeren Wahrscheinlichkeit. Ich ziehe es daher vor, auch 
hier eine durch gleichen Ausklang entstandene Lücke anzu- 
nehmen und den letzten Worten hinzuzufügen: &, pi) 7) aütd 
Toy xarı Tijv npwrnv Ö:aipeotv. 

ibid.b 37—39. IlaAıv ei mv Stzpopav el; tb eldog Eynxev, 
olov td Khavarov önep Yeöv' aunßrserer yap En’ lang 7) Ent nieiov 
1b eldog Akyeohar - Gel yap N dtapop& En’ lang 7) En nkeiov Tod 
elöcus Atyeraı. Der einfache Gedankengang zwingt, das erste 
er’ long N als Eindringling aus der folgenden Zeile zu tilgen 
und das zweite y&p in ö& zu ändern: Falsch ist es tiv öagyo- 
p&v eig td elöog titevar; denn dann müßte das elöog der weitere 
Begriff sein; dies widerspricht aber dem Verhältnis von- elöog 


ge u © 


Teztkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 309 


und özpcpd. Schon Alexander hat das zu tilgende &r’ long }) 
gelesen, wie seine sonderbare Erklärung 317, 7 zeigt: e!nev 
coX Err To yevog En’ long note Atyeraı to elder, AAN’ dt näv 
TO xazryyopobnevöv Tivos AAndÜS T) En’ long &otiv aörh 7) nl 
®)£cv, sonderbar deslıalb, weil es sich hier gar nicht allge- 
mein um Töd xarmyopouneviv tıvos dAnd@s handelt, sondern 
(ssuirsera.!) um die Subsumierung der öt@yopa & AyaEvaTov) 
unter das elöos (deös). 

123b 11, 12. Ovöcrepov yYap tobrwv Ev yeveı, AAN’ Exd- 
wpov adıov Yevoc. Wie Z. 10 (odö& td Evavılov Tobtou Ev yEver 
Estze, KIN aürd YEvog) verlangt auch hier &v y&ve: eine schärfere 
Hervorhebung des Gegensatzes, die hier allein C mit «örd statt 
des matten und entbehrlichen «öt@v der übrigen Hss. bietet. 

ıbid. 23—25. "Et ötav ui 7) Evavrlov To yEver, oxoreiv 
pn pövov el db Evavriov Ev To auı@ Yeveı, AIR xal Tb Ava 
pEsov. Da zu d/X& xal hinzuzudenken ist oxoreiv, ist hinter 
(nicht, wie in C, vor) xal einzufügen ei. Vielleicht liegt aber 
auch hier wieder ein größerer Ausfall vor infolge gleichen 
Ausklangs: &v to adrp yevaı (AM& xal el To Ava peoov Gel 
Yap pin pövov ıd &vavriov elvar Ev tw alrn yeveı) AA: xal Tb 
avk Esov. 

125 a 10. 11. Aötaı yap tivos, xai dvrotpeger öpolwg* TO 
Te Entormtov xal rd broAnntov evil. Richtig liest Bonitz «ütal, 
dem wohl aus C c u te hinzuzufligen ist mit Fortlassung der 
Interpunktion hinter öpo/ws. Aber auch so ist die Ausdrucks- 
weise noch hart; ich vermute daher auch hier die Auslassung 
mehrerer Worte infolge gleichen Ausgangs: td bnoAnntövl" To 
ze yap Enistntbv nal Td bnoAnnTev) TV. 

ibid.b 26. Od nv Teörö ye dorl to pev dvöpelp to Ö& 
rpiwp elva. Sicher ist mit Imelmann td ptv... 0 ö zu 
lesen; doch die echt-aristotelischen Dative der Adjektiva, die 
Quelle der fehlerhaften Ueberlieferung, hätten nicht angetastet 
werden dürfen. 

126 b 29. "Eat yap niorig opoöpd. Den Zusatz der maß- 
gebenden Hss. xal Exnindıs bmepß&AXouse, den Boethius nicht 
übersetzt, mit Bekker und Waitz zu streichen, weil Z. 30 noch 
einmal gesagt wird öpolwg &: xal Erninkig Eotıv brrepßzAAouon, 
empfiehlt sich in der Topik nicht. 


910 | Max Wallies, 


127a 1 ist dem vorangehenden Lwhv AauBaverv entsprechend 
rapaylveoda: zu lesen für napayeveotar der besseren Hess. 
(napayeyevüchar C: advenire Boeth. u. die vet. transl.).. Jeden- 
falls ist es nicht zu billigen, kurz vorher mit den deteriores 
yiveodat einzusetzen, hier aber, wo auch diese den Aorist bieten, 
ihn unverändert zu lassen. 

ibid. 9—12. Ei 8 dpa xal ini Tobtou dei auyXWpjjoat 
“0. AM odTL xXaT& navrwv Tb ToLoütov drodexteov Ka) Öawv 
pn AAndeberar Td yEvog, AAN Ep’ dowv xl. Die Aufnahme 
von ye hinter oöt: aus den minderen Hss. empfiehlt sich durch 
die im Index unter @&AA& und oÖ angeführten Stellen. Für 
das folgende xxt& (wohl dem folgenden x«$’ wv angeglichen) 
habe ich aus der Paraphrase Alexanders, dem folgenden &p” 
&owv entsprechend, Ent eingesetzt. 

-.128b 16. 17. ’Anoöldora: db 16 T&tov A xad" aürd al 
Gel I) npos Erepov al more, olov xaf” adıd ev xt. Die 
Gegenüberstellungen rnpdg Erepov 58 olcv, del dt olov, work 58 
olov in den folgenden Zeilen würden die Umstellung xa$’ «öTd 
pev olov fordern, auch wenn sie nicht die Uebersetzung des 
Boethius böte. Auch Z. 22 Eotı d& d npös Erepov lölov drco- 
&:öönevov 7) 5Vo npoßinkata 7) tertapa« ist mit Boethius ToÖ 
.. . kroö:öopnevou zu lesen, da das lötov an sich kein npößinu= 
sein kann, sondern nur den Stoff dazu bietet. 129a 18 hat 
auch Boethius das unmögliche 78... . npds Erepov iöLov; es auch 
hier in to0 .. . (öov zu ändern, kanu uns die Uebereinstim- 
mung der Veberlieferung nicht abhalten, zumal bier auf 128 b 22 
verwiesen -wird. 

139 a 26. Tod 8 dei npös noAdoüg xpövous tnpelv. Wie 

Z. 23 zu td piv xa$’ aürd npög nolid aus der vorangehen- 
den Zeile Zotıv Enıxerpeiv zu ergänzen ist, so hier zu Td... 
xpövcug ebendaher Eotı napatnpeiv. Das in der Ueberlieferung 
hinzugefügte tnpeiv (napatnpeiv C) ist ohne Zotı nicht erträglich, 
sondern als interpoliert zu streichen. 

ibid. 28. To && notre npös töv vov Aeyönevov Xpovov änı- 
sxoroükev. Der Interpolation 00x Ev ars N) in BCE liegt 
ein richtiger Gedanke zugrunde, nämlich die nötige Betonung 
des Gegensatzes zu npdg roAAobs; xpövoug in Z. 26. Ich glaube 
aber, daß vielmehr in dem sinnlosen Acyönevov das diesen 


Textkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 311 


Gegensatz betonende pövov steckt; wäre Aeyöpevov erträglich, 
müßte pövov dahinter hinzugefügt werden. 

ibid. b 30. 31. "Enert! dvasxeuzlovia nev el ri T@v övond- 
zwv av Ev TO löip Ansdedonuevov nleovaxüs Akysraı. Da das 
von Alexander nicht mitzitierte &rodedon&vwv nicht nur über- 
flässig, sondern auch sprachlich anstößig ist — denn es kann 
nicht gut von den im !ötov verwandten Ausdrücken gebraucht 
werden — hat Strache es gestrichen. Mir scheint die Ver- 
wandelung in drodedon£vp ratsamer. 

131 b 27. 28. Oix äv em xadlüs Tb Tod NAlov Anodedo- 
nevou Töov. Hier ist wohl die Umstellung des @rodeöou£vov 
vor td aus u aufzunehmen. i 

132a 11—13. Ael yäap tüv lölwv.... . Td nphtov dnoo- 
&:Socdar yYevo;, Eneid odrw; Ton npoodntesdar ı& Aoınd, al 
xwpflewv. Die Verbindung von rpoostntesya: und Xwpilev ist 
in hobem Grade anstößig, weshalb wir auch ın CPu rpoodr- 
terv lesen. Die Hinzufügung der Acına hat das Xwpile:v zum 
Zweck, oder dieses ist die Folge jenes. Mit geringer Aenderung 
läßt sich der Anstoß beseitigen: r& Aoınd, (&) xal xwpiter. 

ibid. b 30. 31. ’Exvnep xara pövwv xarıyopfitzt, WV El- 
pnrar d Lö:ov. Da Löccv nicht als Subjekt mit @v zu verbinden, 
sondern Prädikatsnomen ist, so ist td wohl aus der zur Ver- 
besserung übergeschriebenen Endung To entstanden und eipnto 
lö:v zu lesen. 

133b 4. 5. Taörev ydp tor ro elöcı Ta xıveicda xal 
Eoravar üp adrod, D Low Eotlv Exartpw aurav Tb aupßeßnxevar. 
Ueber wenige Stellen der Topik gehen die Ansichten der 
Kritiker so auseinander und durcheinander wie über diese. 
Von Bekkers Id Toöv torıv Exartpm aurav TD aunßedrxevar, 
das ‘facilius ad intelligendum (?), sed et a codd. et ab intpp. 
alienum’ sei, ist Waitz zu der am besten bezeugten Ueber- 
lieferung zurückgekehrt, der er den mit den Wortlaut gar 
nicht vereinbaren Sinn ‘quatenus utrumque de utroque, qua- 
tenus animal est, praedicatur’ unterlegt. Die Hauptfrage ist, 
in welchem Verhältnis die beiden in der Ueberlieferung äußer- 
lich unverbundenen Sätze zueinander stehen. Imelmann, der 
konjiciert T® Low d CH6r Earıy Exarepov aürhv aunßeßrxevar 
und Strache, der, im wesentlichen damit übereinstimmend, 


312 Max Wallies, 


lesen möchte ta % L®öv Eotıy Exattpwp Exatepov alrav aupBeßr- 
xtvaı, sehen in dem zweiten Satz die Begründung des ersten. 
Doch abgesehen von der sonderbaren Art der Begründung be- 
darf die Gleichartigkeit des xıveioya: üp’ aötob und des fat&vaı 
OP’ auto einer solchen überhaupt nicht, wohl aber, warum 
keines der beiden artgleichen Prädikate etwas dem Menschen bzw. 
dem Pferde Eigentümliches bezeichnen kann. Den Grund gibt 
der zweite Satz an: beide Prädikate eignen dem Gattungs- 
begriffe Tier, können also nicht eine Eigentümlichkeit der 
Artbegriffe Mensch und Pferd als solcher bezeichnen. Ich sehe 
daher keinen anderen Ausweg als hinter Say einzufügen 5 
und für 1d oupßeßrx&var in Uebereinstimmung mit accidit des 
Boethius zu lesen oupßeßnxev. 

134 a 16. 17. Odx Av xıvoito xat& TeÜTo, WS 00% Eotiv 
avdpwrcu Lörov Td Lwov Eniotipng dexrtxöv. Der Satz og — 
Sertixöv könute nur Subjekt zu o0x Av xıvoito sein; dann ist 
aber o0x vor Eotıv sinnlos, da es sich nicht um &vasxeuacerv, 
sondern um xatacxevaleıv handelt. Jeder Anstoß schwindet, 
wenn man £&v für otıv liest, wie auch Julius Pacius übersetzt: 
quası non sit. 

135 a 18 empfiehlt es sich dem unmittellbar vorangehenden 
Einxev entsprechend mit u q für dnoöcöwxev zu lesen Antöwxev, 
zumal beide Formen in der Ueberlieferung oftmals durch- 
einander gehen. 

136 a 34. 35. Korxoxeuzlovra de ei td Anocodev un TI 
pasewg Löov, ein Av tig dropdoews. Da Boethius &otıv nach 
pen) übersetzt, liegt kein Grund vor, es mit Bekker und Waitz, 
BP folgend, fortzulassen. Auffallend ist, daß die Heraus- 
geber nicht einen offenbaren Fehler der gesamten Ueberliefe- 
rung bemerkt haben, an dem schon Julius Pacius Anstoß ge- 
nommen hat, wie seine Nichtübersetzung von xataoxeuaLovra 
beweist. Denn zu diesem ist hier wie an allen übrigen Stellen 
im Vorangehenden und im Folgenden oxerteov &otiv zu er- 
gänzen (vgl. 135 a 20. b 7), von dem der e/-Satz abhängt. 
Es kann daher en &v ng aropaoewg hierzu nicht der Nach- 
satz sein, sondern diese Worte verlangen einen eigenen &i- 
Satz: ei yap u) TTc pdoewg Törov, der durch den gewöhnlichen 
Abschreiberfehler ausgefallen ist. 


Textkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 313 


Aus dem gleichen Grunde scheint 137 b 17—20 olov ine! 
00x Eat Tö nälov xexpwotar Tod pHAAdov owpartos Tdtov, oDöE 
ıd Ärrov xexpWoha: Toü Ärtov omparog Ein Av lötov, oüdE Td 
xeyp@oha: owuarog EAwg hinter roü Frrov swparog ausgefallen 
zu sein obdL td Axor Tod Tora aWpatog CUÖE Tb nälloTe TOD 
kä&l:ctz owpatog; denn kurz vorher Z. 16. 17 heißt es: obö& yap 
td Arrov tod Trtov Estar Törov, ode To Tmiora Toü Tinto, oböE 
Td nalııtz Tod pnaltııa, oVöE TO Ani@g ToO Arıög, und auch 
2. 20 sq. finden wir die vollständige Aufzählung aller Fälle, 
auch im Beispiele, durchgeführt. Freilich beguügt sich der 
Verfasser Z. 32. 33, nach Aufzählung aller Fälle, im Beispiele 
auch nur mit einen Falle und zwar dem des p&@AAov, 

138 b 3 ist toö vor Aoytotixoö zu streichen, da weder 
vorher a 33—85, b 2 noch nachher b 4 Aoytotıxöv und Ent- 
dupntixöv mit dem Artikel verbunden sind, 

ibid. 31. 32. Tod yap toroürov Tö:ov clov ävanvelodaı dva- 
nveuoröv &otıv. Ganz unmöglich ist das aus der Umgebung 
eingedrungene Tö:ov; denn es hat mit dem Wesen des dva- 
rvevgtöv nichts zu tun. Mit Recht lassen es daher Df aus; 
auch Jalius Pacius übersetzt es nicht. Wie unzuverlässig im 
übrigen D ist, zeigt sich gleich in der folgenden Zeile (xal 
Y&p pi) Övros Swov, olov Avanvelv nepuxe tbv depa), wo D für 
olov bietet ö, was wohl auf der irrtümlichen Meinung beruht, 
daß nach Aristoteles jedes Loov atmet. 

139 b 35 ’Evöcxerar Ö8 xal Tyv pEeTamopäv EinövTa GUXO- 
pavteiv &5 xuplug elpnyxötz. Die Nichtsetzung des Artikels zu 
einövrz ist ebenso anstößig wie die Setzung des Artikels zu 
herayopav; beide Anstöße beseitigt die Lesart tdv (u). Da es 
aber Z. 32 heißt: el xatr& nerapopäv eipnxev und Alexander tdv 
ketapopıxig Öproapevov paraphrasiert, scheint eine so minder- 
wertige Hs. wie P hier mit tdv xat& nerapop&v dem Sinne nach 
allein das Richtige zu bieten. Liest man dafür tdv nerxpop, 
was nach den von Bonitz im Index angeführten Beispielen 
durchaus dem aristotelischen Gebrauch entspricht, so bleibt 
man der Ueberlieferung der besseren Hss. näher, deren Ver- 
derbnis sich so leicht erklärt. Wer mit Julius Pacius und 
St. Hilaire oö, das auch Boethius übersetzt, nach @g vermißt, 
beachtet nicht den in ouxopavteiv liegenden Begriff des Hinter- 


314 Max Wallies, 


haltigen, das eben ın der Nichtberücksichtigung des Ausdrucks 
als eines metaphorischen liegt. 

140 a 11—13. Orte yap N E&parörmg Ondpxe, x’ Tv 
erpov 7) elxwv 6 vonos Eoriv, oÜTE xupiwg elwde Akyeodıı. Wir 
haben bier den seltenen Fall, daß die jüngeren Hss. von 
einer Interpolation der älteren Ueberlieferung, einschließlich 
Alexanders Vorlage, frei sind. Denn aus dem Folgenden inter- 
poliert ist ohne Zweifel xupiwg, dessen Stellung auch in der 
älteren Ueberlieferung schwankt (AB vor, Alexander und 
Boethius hinter elw$e), da ein xbprov övona@ nach Poet. 1457 b 3 
ist ® xXpüvrar Exazstor d.i. 5 elwte Akyeodaı. Der Zusatz 
xuplwg ist geradezu sinnwidrig. 

141 a 32. 33. Anlov yap dr xal 6 dd nporipwv al 
yvupipwripwv BEltiov Gptotat. Der überlieferte Text ergibt 
einen selbstverständlichen, gar nicht in den Zusammenhang 
passenden Gedanken, wobei außerdem das erste xal unver- 
ständlich ist. Jedes Ding, so ist der Zusammenhang, hat wie 
nur ein Wesen, so auch nur einen dieses ausdrückenden Öpto- 
nös. Wäre aber auch d pi dt nporttpwv xal YvwpinwWrepwv 
öpıköpevo; ein Öptapös, so gäbe es deren zwei; denn .... Es 
ist entweder ß&Atıov als interpoliert zu streichen, oder für ö 
zu lesen ös, vor dem, d. h. vor xal, zu ergänzen wäre aus dem 
vorangehenden Satz öptond; Eotar. 

142b 33. Ov5tv yap p&Adov Tod ypayaı 7) Tod dvayvovar 
drrodobs Üprotat, WOT’ VVÖETEpog, AAN 6 duyw TaüT’ Einwv. 
Odöctepos und der folgende Artikel hätten Bekker und Waitz zur 
Aufnahme von 6 vor dnoöoog aus Bceugq bestimmen müssen. 
Ebenso war 143a 17 vor oötws der handschriftlich besser be- 
glaubigte, wenn hier auch an sich entbehrliche, Artikel 6 
hinzuzusetzen, dessen Ausfall in den meisten Hss. sich olıne 
weiteres erklärt. | . 

Auch 144a 35 olov ıd Lyov xar& tod dvdpwnou xal Toü 
Bods xal tüv Amy neLüv Lpwv, 00% aufs T/G Ölapopäs war 
die besser bezeugte (A C u Boethius) und auch an sich em- 
pfehlenswertere Lesart od xat’ «örfig aufzunehmen. 

147825. H tlsönöinpis npög tı ÖnoAnntev. Wie Z.27 (td tl 
ToManıdarcv npdg td Tl noAAostnpöptov) ist vor te wohl auch hier 
das auch von Leo in seiner Paraphrase hinzugesetzte 7d einzufügen. 


Pu 5 VEREETER 


Textkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 915 


149 a 16. Kadanep En! To0 Aptiwg ÄnyEvrog. dyvwardtepov 
yap I Yewpntxn Tg Entornung. Da, wie das vorangehende 
Beispiel Z. 9 olov 6 nv Yewpntennv Entoripunv Oncinbev Yew- 
prytixnv einwv zeigt, Fewprtixn adjektivisch als differentia speci- 
fica aufzufassen ist, so dürfte % aus nicht verstandenem td 
verdorben sein. . 

151a 9. ’AMM’ öpws o0ö’ oürog Avöpelos 6 Tode ner& ToDde 
Ixwv. Wie es Z. 5 hieß dA oüdenw dvöpelo; 6 Ev ro adıo 
Ypovw Tode netä& ToDde EXxwv, so erwartet man auch hier statt 
odtos vielmehr eine adverbiale Bestimmung zu öde ner& tobde 
txuv; auch ohne das Zeugnis des Boethius und der hier wie 
oft mit ihm tibereinstimmenden Hess. C (superscr.) c wäre man 
berechtigt, oßtog in oötwg zu ändern. 

153 a 18. Davepdv ws el tig Aaßor Taüra« pövov Ev Th ti 
eote TO npaypatos xarmyopeladar, örı 6 Talıa Exwv Abyog öpaog 
EE dvayans @v ein. Es ist auffallend, daß, obwohl die Worte 
taüra (d. i. Ta Yen al Tas Ötapopdc) .... xarnyopeioher in 
dieser Fassung nicht richtig sein können — denn dies ist keine 
Annahme, sondern eines der bekanntesten logischen Gesetze — 
und obwohl der Hauptanstoß in einigen jüngeren Hss. und von 
Julius Pacius in seiner Uebersetzung durch taüta (d)...... 
xatıryopeitaı einwandfrei gehoben ist, sowohl Bekker wie Waitz 
an der älteren Ueberlieferung festhalten. Zur völligen Heilung 
der Stelle bleibt nur noch übrig, 2. 17 entsprechend, pövov in 
höva zu verbessern. 

153a 33. Ilp@tov n&v obv drı Td drododev yEvos Öptüs 
änodtöstar. -Zu dem aus den vorangehenden Worten zu er- 
gänzenden oxerteov paßt nicht öt, sondern nur el. Auch 
Alexanders Paraphrase S. 505, 19 ötı el... dmodtöorat, Yvwpl- 
sonev re xal delkonev spricht für ei, obschon das Lemma mit 
unseren Hss. übereinstimmt ?). 

153 b 32. Kal d phapııxas dtadurxüs. Da sowohl 
vorher wie nachher überall oöolag bzw. obolzv hinzugefügt ist, 
darf es auch hinter dtaAurıx@g nicht fehlen. 

!) Denn als Lemma mußten die Worte nparov .... anodsdorar mit 
Fortlassung des nur in der Aldina stehenden xat ynaol gesetzt werden. 
Die in den Hsa. folgenden, in a fehlenden Worte du el... drodsdoraı 


sind der Anfang der Erklärung und hätten in den Text aufgenommen 
werden müssen. 


316 Max Wallies, 


154 b 6. "Anöxpn yüp Avaaxevakove xadolou Tb beige Sr: 
Kara Tıvds GV Toövonn xamyopeitar 6 Aöyog od Xarnyopeitar. 
Tıvög kann nicht richtig sein, wie die, wenn auch verkehrte, 
Konversion Z. 9. 10 (öt: xa$’ @v 6 Aöyos pi xamyopelta: 
zcbvona xarmyopeltaı) beweist. Auch Ps.-Alexanders, von CN 
und der alten lat. Uebersetzung wiedergegebenes: xat’ obdevd; 
Ov Todvona xarnyopeiiuı xal 6 Aoyos xarnyopeitar stimmt dazu 
nicht. Tivdg scheint von jemand, der dvasxevaLeıv Td KaF-OAcU 
und Avaoxeualeıv xa$6Aou verwechselte, aus Z. 4 hinzugesetzt 
worden zu sein, eine Verwechselung, die sicher nicht Aristoteles 
selbst zuzuschreiben ist, so daß man nicht mit Waitz zu be- 
fürchten braucht, durch Streichung den Schriftsteller selbst 
zu meistern. Ob man dies nicht tut, wenn man durch Um- 
stellung der Negation pr) Z. 10 die Konversion berichtigt, ist 
allerdings fraglich. 

154b 23—25. Ilep! ö& too yEvoug (scil. dvaoxeuzlerv 7) 
xarnoxevalerv bäov), Erı xaraoxeuslev pev dvdyaın hovax@&g 
ravtl Öelbavra Unapxeıv, dvaansudtovr: 6& Sag. Was ist zu 
“vaaxevazovt: zu ergänzen ? Offenbar deitaı dvayın. Der &va- 
oxevalwv aber mu & nicht, sondern kann in zwiefacher Weise 
widerlegen oder auch, mit bloßer Bezeichnung der Tatsache, 
widerlegt in zwiefacher Weise, während es für das xata- 
axnevdLery nur eine Weise gibt. Auch formell ist die Gegen- 
tiberstellung des Infinitivus und des Participiums schief, wes- 
balb in C geändert ist: xataoxeuxlovt ... deldae. Jeder 
Anstoß schwindet, wenn man dvaoxeualerat liest; auch die 
Ausführung im Folgenden ist passivisch. Für ünpxerv ist 
wohl mit C ödrapxov zu lesen wie 2. 22 und 29. 

157 a 37. Ael yap Enayovra npötepov oÜTW Tijv Evatacıy 
Grarteiv. Ilpötspov nötigt doch wohl zur Aenderung Erayaydvra. 

ibid. b 28—30. Eiol dt tomüraı T@v rporacewv al Ent 
ı! ptv dbeudeis Ent Ti 8’ ainbels‘ Enl Tobtwy Yap Eatıv AyeAövta 
zb Aoındv AAndEs natadıneiv. Wenn Aristoteles auch oft dypat- 
petv ohne Objekt gebraucht, so vermißt man doch hier zu 
dAndes als Gegensatz rd deüdos, dessen Ausfall sich wieder 
leicht erklärt: to (ıe0&og To) Aoınöv. 

162a 21. ’AM ei Td pev doxofn td 5 punderipw;, 7) el 
zb yev Soxoin Tb && u) Soxoin, ei piv öpolwg, Öpolwg Av EM 


Textkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 317 


(sciL 75 derxYEv) xal u liegt derselbe Schreiberfehler vor. 
' Wollte man zu xal fh ergänzen ein, so wäre die Negation if) 
‚ unerklärlich und der Hauptbegriff des öoxelv würde fehlen. 


Es ist zu lesen dpolw; Av eln xal (doxoüv xal) pn. 
Auch 16329 olov ei dtov delfa: tiv larpıxhv Oyıeıvod xal 


‚ voowöoug möchte ich eine ähnlich entstandene Lücke aunehmen: 


 voowdoug (Emotiunv olcav), da schon sprachlich der Zusatz 
' kaum entbehrlich ist. 


nz 


-|1rTrF - 


ER 


Soph. el. 165b 38 ist vor tv abrdv xadfichar xal Eotd- 
var einzufügen 16, wie wir es 166a 2. 6. 13. 14. 20. 23 
finden, wo nicht wie hier ein Ausfall durch folgenden gleichen 
Anlaut verursacht worden ist. 

166 a 2—4. To yüap röv xapvovra Öttodv rotelv T) TE- 
oxerv obx Ev anpalver, AAN’ Er& nev ötı 6 vüv Xdpvwv T) Xadnpevog, 
crt ö’ Öög Exapve mpötepov. Während unmittelbar vorher so- 
wohl ö xadnpevog als auch 5 xduvwv als Beispiele angeführt 
werden, beschränkt sich die weitere Ausführung auf letzteren. 
Es ist daher N 6 xadrinevos als störender Zusatz aus dem 
Vorangehenden zu streichen. | 

Ebenso ist 2. 26 xal ui) ypayovıa ypapeıv mit Recht in 
cT fortgelassen worden, nur daß hier nicht Interpolation, 
sondern ein durch Abirren auf Z. 24 entstandener Schreiber- 
fehler vorzuliegen scheint. Jedenfalls entsteht, da fortgefahren 
wird xal Toßg’ Woadtwg, dv Tg oUvdT TO N) Ypapovra Ypaperv 
eine auch dem geschwätzigsten Schriftsteller nicht zuzutrau- 
ende Breite des Ausdrucks. 

ibid.b 13. 14 7 rd nocoüv ndoxov T) Td Öcaxeifevov roreiv 
müßte man auch ohne die Bestätigung durch Sophonias und 
Pseudo-Alexander noteiv nach dem Vorangehenden mit uT 
in roto0v Ändern. 

ibid. 22.26. 27 schlage ich vor, entsprechend dem Z. 24. 
25 dreimal wiederkehrenden td rnap& zu lesen 1% (nap& Tb). 
Auch das von Strache Z. 26 vor 1d ph) alttov &g altıov tıhe- 
vat hinzugefügte ıd ist in hohem Grade wahrscheinlich, wenn 
auch nicht sicher, da pi) altıov auch ohne Artikel denkbar ist. 

167 a 18. Aoxel yap 7) dppw 7) pnmöctepov dorkov Arnlüg 
eva xamyopelv. Da dniüs zu xarnyopeiv, elvar zu dordov 
gehört, ist wohl umzustellen: elva äni@s:. 

Philologus LXXVIII (N. F. XXXIN, 3/4. 21 


318 Max Walliese, 


ibid. 21. OL dt rap td pen öLwpladaı ti dot: gulioyicpd; 
7) tl Deyxoc, dA: napa vv Eiderbev ylvovraı Toü Aöyov. Da 
nap& 7b... E)eyxXos nicht etwa mit yivovrat zu verbinden ist, 
sondern zu ol dt gehörend einen Teil des Subjektes bildet, 
so ist das auch von Boethius nicht übersetzte, von i aus- 
gelassene dAA& unhaltbar, vgl. 166b 28. 37, 167 a 36, b1. 21. 

168 a 32. ’AM’ Er Epwripatos dei, dr Tabrdv anpalver. 
Wie 153 a 33 ist für öt zu lesen el, das auch Ps.-Alex. in 
der Paraphrase hat. Es scheint nach del ausgefallen und dann 
falsch durch ötı ersetzt worden zu sein. 

ibid. 40—b2. OBE ei Td Tplywvov Övolv Öpyaiv laas Eyet, 
oupßeßrme 8’ «urn oxhpatı elvaı 7) Tpwrw N) Apxd, St oxipa 7, 
dpxn I, npürov tosto. Waitz läßt den ött-Satz von einem aus 
dem Folgenden zu ergänzenden drodtderxtat und Tobto von 
einem zu ergänzenden &xe: abhängen („h. e. 00x Ancdköcıxta: 
ö& Toßto St oyina 7) Apxn 7) npWwrov Evoiv Optaiv Toag Eye: 
tag Ywviag“), Ergänzungen, die mir auch bei Aristoteles un- 
möglich scheinen. Es ist vielmehr alles in bester Ordnung. 
wenn man für dt: liest 5 te und für toöto aus Boethius und 
T tooürov: 6 tı oyTpe 7 Apxıı N np@rov (scil. &oti), Toroürov 
(scil. Eoti i. e. övolv öptalv long ExXov Tas Ywviac). Auch die 
folgenden Worte o0 yap 7 oxipa@ clö T npwrov, AA N Tpi- 
ywvov, 7) @rnööerkig sind, wie es scheint, nach Boethius zu ver- 
bessern, der hinter np@tov hinzugefügt vel principium; nur 
dürfte, um den Ausfall zu erklären, wie unmittelbar vorher, 
zu lesen sein 7) (a@pxn 7) Tpüwtov. 

169 a 19. 20. Ol pev odV rap& tiv AEEıv, Öti parvonevy; 
avripaaıg scil. yiyverat; leichter wird die Ergänzung, wenn 
wir hinter gpa:vopn£vn einfügen 7. 

170a 13—10. "Av pev yap un Aaßın 6 Te nap& To Opw- 
vunov Ev anpalveıv xal 6 nap& TIV 6pOLOGXTKACGDVNV Tb MÖVov TLÖE 
xal ol dAdoı Wwoaüutwg. Sollte nicht, dem folgenden td pövov 
ode entsprechend, zu lesen sein Td Ökwvupov (TO pövov) Ev? 

ibid. 23. "Edeyxor 8’ eict aa: aAndels scil. al ancdeice:;. 
‘Schlechthin sind die wissenschaftlichen Beweise kaum als 
Widerlegungen zu bezeichnen ; sie sind aber auch Wider- 
legungen, und zwar wirkliche, des behaupteten Gegenteils. 
Man vermißt daher x«a! vor &eyyot. 


- oo H— 


Textkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 919 


ibid. 36—38. Kal tov ev xad Exndormv Enioriunv Eley- 


' xoy tod Emtothnovög Eorı Yewpelv, eite N @v Yalveraı elt' Eotı, 


&& ti Eat. Die scharfe Gegenüberstellung von Yalverze und 
£ott läßt hinter palverze den wieder leicht erklärlichen Aus- 


: fall von d& Ti Yalverat vermuten. 


- a 5 


rn — um {ei — -—- 


— 


a a vn En EEE ggf gr u — — — u -— {| |, ei — Tu u 


ibid.b 16.17. Ti yap &otı 7d pin npös Tmv dtdvorav AAN” 
N Srav N Xpfirar To Ovönar, olönevog Epwräche:, Ep’ & 6 
towrwpevos EZöwxev; Eine der wenigen Stellen, wo ich un- 
bedingt Poste beipflichte, der, Ps.-Alex. und der Uebersetzung 
des Julius Pacius folgend, &7’ ® vor oiöpevos gestellt hat. 
Die gekünstelte Erklärung, zu der Waitz greifen muß, um 
die in unsern Hss. überlieferte Stellung zu retten — der 
Fragende versetze sich im Geiste in die Rolle des Gefragten 
— richtet sich selbst. 

ibid. 37. 'Aröreg pev yap xal eipytar T& nap& ToÖvona 
yavan Tavtas Tobs rap& tiv Acbıv. Die Verkehrtheit kann sich 
nicht auf eipntat, sondern nur auf 79... pavat beziehen. Es 
ist daher &tonov zu lesen vgl. 170 b 14 Atorov yap ra üno- 
kaußaveıv, 171a 1 dtonov Td nepl EAEyxou dtadeyeodar. Auch 
xal ist kaum haltbar; es ist dafür das öfter mit ihm vertauschte 
vo; (vgl. Wilamowitz Plat. II 347 und 381 und Phil. Wochen- 
schr. 1922, Nr. 2 Sp. 43 u. 46) zu setzen, das vielleicht noch 
in atörwg nachwirkt. 

171a 19. Eit e&pwrnseie iz ei Eotı oıy@vra Akyeıy 7) 00, 
Y ot: n&v wg 00, Eatı ö wg val; Da das zweite 7) gleich eit’ 
erwriisete ist, so ist El zu wiederholen: 7; (ei). 

ibid. 24. ’AAN ol ev pög Toüvona elat, xa} ToL0DToL OU 
rzutec. Wie Z. 22 der Einwurf eingeleitet wird mit xatte:, 
so kann auch hier die Einschränkung nicht mit xa? beginnen ; 
es scheint dieses vielmehr durch Haplosraphie aus xafto: 
entstanden zu sein. 

ibid.b 34—37. ‘02 Eptotixig Eotl Ws LÜTWg EXWV TIEdg 
tov Ötwdextindv ws 6 Wbevöoypapos TpLs TEY TEWWETDINEY" €% 
yap Toy aürwv TT) Üadexux?) napadoyiierar nal 6 beuöoypazog 
Toy Yewperpnv. Mit Recht hat Poste für das unmögliche 
tey vewpeterv das am Bande der Isengr. Ausgabe hinzu- 
geschriebene Ti yewpetgn aufgenommen, das ebenso wie der 
vorangehende Dativ zu &x tüv aürWv gehört. Die Gegen- 

21* 


320 Max Wallies, 


überstellung der beiden Dative aber zwingt zur Aenderung 
TO ÖLRdlexrtırd. | 

172b 16. Tö re ipwräv noAd, xav wprop£vov D rcpöc 6 
Eradeyerar, Xal Tb Ta Öoxoüvra Atyeıv AEıobv rotel TV’ EUTO- 
plav tod eig Aöobov ayayelv N) ıpeüdog - dv TE Epwrwpevog Pf 7) 
Eropf, Tobrwy Ti, dyeıv rpös & Eniyerphnatog eöncpel. Da te 
(nach &&v) nicht anknüpft, wie Bekker und Waitz, nach ihrer 
Interpunktion zu urteilen (Kolon statt Komma) annelımen, 
sondern &&v te, wie 171a 19 elT’, dem folgenden ?) entspricht, 
ist &yeıv unmöglich. Man braucht aber nicht zu einer so 
einschneidenden Aenderung zu greifen, wie wir in den Has. 
MN der Paraphrase des Sophonias 33, 20. 21 fiuden: &äv 
yap... dyei, sondern es genügt für dyeıv zu lesen &yov, das 
natürlich nicht auf Te zu beziehen ist, sondern notei tıv’ ed- 
roptav begründet, oder auch (&) &ye. Außerdem ist der 
Artikel vor &pwrwpevos nicht zu entbehren; denn ohne diesen 
könnte £pwrwpevog nur bedeuten 'als Gefragter’, also mit Ver- 
tauschung der liollen, was dem Gedankenzusammenhang völlig 
widersprechen würde. 

ibid. 23. ’"AAM& aaxeıv Erwräv natreiv Boufcpevov‘ Xupav 
yap Emixerpnparos N axebıg morel. oxfibıs, wie Sophonias ge- 
lesen hat und in C korrigiert ist, ist eine einleuchtende Ver- 
besserung des überlieferten kaum zu erklärenden ox£dıs. Der 
Vorwand, daß der Fragende nur pateiv BouAöpevos fragt, 
macht den Gegner in seinen Antworten unvorsichtiger und 
bietet so Gelegenheit zum Enıxeiprjke. 

173a 12. Aeiv o0v rpos Ev TV EinöVvTa XaTa pÜGLV 
Kata vönov Aravräv, Pb; ÖE TOV aat& vönov Eni TMVv YPücgtv 
Äyeıv" Anportpwg yüp eivar Acyeıy napddote. Die handschrift- 
liche Ueberlieferung ist öel, das auch Boethius und Sophonias 
gelesen haben, und das auch der Zusammenhang rechtfertigt; 
denn Ar. zieht hier die aus dem Verfahren der Früheren 
sich ergebende Folgerung. Die vorangehenden Infinitive, be- 
sonders aber das folgende elva: haben wohl Bekker und 
Waitz zur Aenderung Ödeiv (u) bestimmt. Sie hätten aber 
umgekehrt dieses nicht zu erklärende und schon von Sylburg 
beanstandete elvat verbessern müssen, für das noch Boethius 
das allein mögliche oupßalver (contingit) gelesen hat. 


Textkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 991 


ibid.b 17. Kadarnep 6 Ilpwrayöpas Eieyev, ei 6 pifvg 
nal © ehAnG Äppev &otiv. Der Artikel © vor pfvis und Mn 
scheint unmöglich; man kann nur schwanken, ob er zu 
streichen oder dafür 7d zu setzen ist: Td pfivig' nat Td “nnınE. 

174a 35—837. ’Eviore yap olovrar “al aürol Sedwxrkvar 
xal Tois droboug: Yalvovrar Sk NV Ts Ernaywyfis jvelav, &c6 
oor. &y Ipwrnpeva parnv. Weder &v noch das Neutrum plu- 
ralis ıst zu erklären; denn als Objekt zu 6edwxevar ist TÖd 
x2%0Aou zu ergänzen. Ich sehe keinen anderen Ausweg als 
Aynpwrnu£vo: zu lesen. 

ibid.b 3—5. Kal ı& noMAaxıs ToAAZ, nöTepov TOAAX aUY- 
Xwpriteov 7) öAlya; näddov yap, einep Avayın, Ööbeıev Av elvar 
rolAd. Eine schwierige Stelle, über die sich Waitz leider 
ausschweigt. Leicht ergänzt sich aus dem Vorangehenden 
deor Außelv und zu dem rnötepov-Satz Todvavriov napaßallovro 
xpn nuvbaveodar; ei dagegen läßt sich nicht ergänzen und 
muß hinter xa! hinzugefügt werden. Was soll aber td roAdaxıg 
roAA& bedeuten ? Poste schreckt in Erinnerung an 179 a 35 (&p« 
T& ödıyanıs oAlya öAlya ;) nicht vor einer so gewaltsamen Aende- 
rung wie T& ölıyaxıs ÖAlya zurück. Einfacher wäre es, das 
von Boethius nicht übersetzte roAAdxıs zu tilgen. Ist es zu 
halten, so sehe ich nur in der Umstellung roAAdxıs td eine 
Heilung der Stelle. Aus dem nicht verstandenen ei noAdaxıs 
(‘wenn etwa’) würde sich die Verbindung mit noAA& genügend 
erklären. Zu der folgenden Begründung napatıdsuevwv Yap 
eyyüs tov Evavıiov, xal ellw xa! neyala yalverocı xal Xeipw 
xal Beitio Tolg Avdpwrois bemerkt Waitz richtig, daß man 
für xal pneyada erwartet xx! &Aattw; ich würde indessen zur 
Erzielung völliger Konformität mit den folgenden Worten vor- 
ziehen, Boethius folgend xa! (neiw xal) peitw zu lesen und 
xai neydia als interpoliert zu streichen. 

ibid. 30. "Enıxeipnteov 8° Eviore xai rnpds AA Tod eipn- 
kEvou, Exeivo Exiaßövrac, &üv un npds Tb elevov Exy tig Ent- 
xeıpeiv. Man kann im Zweifel sein, ob &AAx oder E£Exelvo zu 
ändern ist, aber nicht darüber, daß der gleiche Numerus her- 
zustellen ist, obgleich an sich ein Wechsel des Numerus bei 
Arist. nicht so selten ist; vgl. Waitz zu 108b 14 fg. Denn 
wollte man £xelvo auf oO eipnteycu beziehen, wie es Bonitz 


822 Max Wallies, 


im Index sub v. ExAapßave:v zweifelnd tut mit der Erklärun; 
“fort. excepto, evitato illo de quo agendum est’, so ist dies 
Bedeutung des Verbums sonst nicht nachzuweisen, wie den: 
auch Sophonias bei gleicher Auffassung &xßaXövraz bietet. 

ibid. 36. Atyeıv tiv Avrigaaıv, dr 6 Eymoev dnopfisarr, 1 
& anepnoe yon, Aa in Er: TWV Evavriov Y% au Emtatrigr 
N oox n aori. Waitz sucht öte c. infin. durch den voran. 
gehenden Infin. Atyeıv zu rechtfertigen. Mir scheint viel- 
mehr ött, vielleieht unter Einwirkung des folgenden öt: ent- 
standen zu sein, sei es aus dem von Waitz selbst vor- 
geschlagenen olov = nempe, sei es, was wohl näher liegt, 
aus Tirot. 

176a 10. 11. ’Eyxwpei yap xai pupla Erepa Epumhev- 
ta Epwripare änavıa T) vol 7) od dAndes elvar Atyeıv. Es ist 
wohl kaum nötig zu betonen, daß &pwrnd£vr« nur accus. masc. 
gen. sein kann; ganz unerklärbar bleibt äravr«. Man kann 
schwanken, ob dafür äpa, zu &pwrnd£vra gehörig, oder Anis, 
mit Acyeıv zu verbinden, zu lesen ist. Für letzteres . sprieht, 
daß es auch Z. 5 heißt droxpiveoha: ano: und kurz vorher 
plav anöxp.orv Abıoüv Aanßaverv Anis. 

ibid. 27. 28. 'Enei 8 noe altelta Tb Ev apxi, OTNjAov, 
olovrar ÖE navrwg, GV 1; oDveyyus, Avatpereov xal pi) UYXw- 
prrtov elvar Evin ws Tb Ev Apxd; adtoövros. Um ein Objekt 
zu Avaıper£ov zu erhalten, ist &v zu lesen; denn Zvıa ist nur 
zu ouyXwpnteov eivaı Objekt. Wenn dann fortgefahren wird: 
ötTav TE Totodtoy dEro! Tıs Ö Avayxalov ev aupßalverv Ex Te 
Yeoews, 7) dE bebdos 7) KöoEov, taub Aextkov, so stört re den 
Gedankengang ; denn nicht einen neuen Fall bringt der ötav- 
Satz, sondern eben den, in dem die Zustimmung nach dem 
Vorangehenden zu versagen ist. Ich glaube daher, daß für te 
zu lesen ist td. 

ibid. 33. 34. Em Av 7) te eipnkevn vov Abaıg xal N) TOD 
Yarvonevou au)AoyLonod rap: Ti palveraı T@v Epwinkadtwv ÖLöp- 
Yworg. Da von dtöp$wars nicht ein Fragesatz abhängen kann, 
so ist für rap& t! zu lesen rap’ 5 t.. Die Konstruktion ist 
dann ähnlich wie Z. 29. 30 Ere! 8° Eotiv Y pev öpdm Ava 
Eupdviarg yeudods auAdcytopnos, rag’ Enolav Zpwrmo:.v aup.Baive: 
To dedöns. 


Er . -_ 2 E ei EEE iger 
ee u ge" 
’ 


Texztkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 323 


177 a 26. 27. Kal Ev toig Exovor ök td rieovaxüs dv 
ul; mporzoegtv Önolws. 00x dpa ouvenriotavta: dt änlotaviar; 
Da es sich um Vieldeutigkeit in den Prämissen handelt, nicht 
ım Schlußsatz, erwartet man nicht das folgernde &p«, sondern 


das fragende &pa, so daß entweder oüx zu streichen oder mit 


Umstellung &p’ ob zu lesen wäre. 

ibid. b 3. 4. Einep pi xal to öpos xal öpos TTi npoowötia Aexdev 
matver Erepov. Was ompalver Erepov bedeutet, sehen wir 
a 34 Av Yüp Starpobpevog xal auvrdtpevos 6 Aöyog Etepov on- 
pzivg d. i. wenn der Aöyos als Ötarpobpevog etwas anderes 
bezeichnet wie als ouvri$£pevos. Demnach würde sich hier 
der Gedanke ergeben: da ja nicht auch, mit der rpoowöl« 
d.h. bier mit dem verschiedenen Hauchlaut gesprochen, #505 
ewas anderes als öpog bezeichnet, also offenbarer Unsinn uud 
das Gegenteil von dem, was man erwartet. Das geschriebene 
OPOZ ist zweideutig; die Zweideutigkeit fällt in der münd- 
lichen Rede fort, will der Verfasser sagen: ‘da ja nicht auch 
%s und &po; verschiedenes bedeuten d. h. zweideutig sind’. 
Es wäre danach £tepov in Etepx zu ändern. Wahrscheinlicher 
aber ist, daß auch hier ein Fall von Haplographie vorliegt 
und aus der Paraphrase des Sophonias xai Ztepov hinzuzu- 
fügen ist. Im Index ist zwar nur &AAog za! AAdos belegt; 
bei den Exegeten Alexander und Philoponus aber finden sich 
wiederholt beide Verbindungen und sind von mir m den In- 
dices angeführt worden; an sich ist auch die eine Verbin- 
dung ebenso wohl denkbar wie die andere. 

178a 16. Ei de ts Exel Soüg pin Evötgeodar Ana Tabrd 
RZEIV Kal TETONKEVOr, To Gpäv xal Ewpaxevar yaln Eyxwpelv, 
erw Ündeyxıar. Da mit &xei deutlich auf das schon Z. 9. 10 
angeführte Beispiel verwiesen wird, ist schlechterdings nicht 
zu verstehen, weshalb Bekker und Waitz dem in den besten, 
ja in fast allen Hss. überlieferten &h das von Boethius über- 
setzte ö& vorgezogen haben. Ebenso ist Z. 27 d ö& Erı mpog- 
el &rwrnnatog das handschriftlich gesicherte, auch grammatisch 
Wein mögliche t® wiederherzustellen. 

ibid. 31—33. ”H 8 p&v pin) Exe: npötepov Exwv, Aroßeßir- 
ey, Sgov ÖL ih Exer 7) doa, or dvayın Tocalıa dno’”? 
Unverständlich ist die Scheidung &00v und do«, wie denr 


594 Max Wallies, 


in den folgenden Worten nur 8 &xe: und öoca (fxe) unt 
schieden werden. Sophonias hat hier wieder allein die ric 
tige Lesart bewahrt: öox 52 pn Eye I; va. Wer 10 Wür 
hatte und einen verloren hat, der hat, wie S. richtig paı 
phrasiert, td tg dexzöog elöog verloren, aber nicht quantita 
10 Würfel. 

178b 1—4. "Qonep oiv ei Tpero ap’ ö pi) tig Exeı ©: 
@v, pin Ypavros ÖE Eporto ei don dv Tis ı Taxkwug pn Eye 
Taxe, yioavros 6& auddcoylLoro dt Echn dv ug ON £%X 
xal pavepby Et ob ouAdelöytorae. Ein dvaxöloudov nach Waii 
der mit Sophonias interpretiert &onep o0v . . . obTw xAx 
Doch mit einer kleinen Aenderung ist die immerhin mißlıch 
Annahme eines Anakolutli und die noch mißlichere, dadure 
notwendig werdende Supplierung von cÜTw xaxel zu vermeide: 
Man braucht nur für @onep oöv el das dem Arist. geläufig 
Öorep äy Ei zu lesen und den Satz ans Vorangehende anzu 
schließen. Für xa? vermute ich außerdem xaltoı (vgl. z 
171a 24), wie wir auch 179b 39 in ähnlichem Zusammen 
bang lesen xa{ltor pavepöv. 

ıibid. 10 sq. Sophonias und Ps.-Alex. fügen den beide: 
vorangehenden sophistischen Fragen: &p’ 4% pn Exer xeıpl Tür. 
tor dv; N pn Eye Oöpdaiıi Töoı dv; noch eine dritte hin- 
zu: &p' Eye: tıs Ö oux Eiaßev; bzw. &p’ Evöexerar 5 pi) ELaBE Ti; 
Exeıv; Da Z. 12. 13 die Aboıg auch dieses Sophismas angeführt 
wird, vermute ich, daß es hinter: ob yäp Exeı Eva (a) pövcv 
ausgefallen ist: (N 5 pi EXaßev Eyer; plav yap ıbiipov Aaßwv 
o0x Eyeı play (a’) pövov). Mag man aber diese Lücke annehmen 
oder nicht, jedenfalls ist mit Poste Z. 12 umzustellen ö EAe- 
Bev Exer, entsprechend der folgenden Begründung #ötöou yap 
play pövov odtog hiipov und Z. 15 5 pin Elaßev Exeıv. Außer- 
dem ist Z. 10 und 12 die Umstellung &g xal notwendig. Ar. 
kann, nachdem er noch keine andere Aüotz gebracht hat, nicht 
sagen, daß man als Auoıg auch dieses vorbringt, sondern nur, 
daß man gegenüber der Begründung Z. 9 oü yüp Eyxeı Eva 
pövov (scil. öphaAu6v) geltend macht Ws xal Exeı Eva uövov 
und der Begründung piav yip dipov Aaßwv obx ZEyxer jlav 
pövov gegenüber ws xal ö Ziaßev Exeı d. h., daß wer zu meh- 
reren Steinchen einen empfängt, auch den besitzt, den er em- 


De Ze 7 


ee ee 


Textkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 395 


pfangen hat. Erst durch das so me ‘auch’ werden die 
Abcgsıs verständlich. 

ibid. 15. 16. Olov olvov Senke Tüv, Sapbaptvrog Ey 
y Arber, Exeıv öfiv. Daß der Wein beim Empfang verdorben 
sein soll, ist doch mehr als sonderbar. Richtiger ist es aber 
wohl &v tn Arıber als eine erklärende Randbemerkung zu Nöbv, 
die dann an falscher Stelle eingereiht worden ist, zu streichen 
als den Fehler in Arber zu suchen. 

ibid. 25. Teypantar 58 vov dt ou xadmoaı, Weuöng Aöyos. 
Schon Sophonias und Ps.-Alex. nahmen an der Verbindung 
yeyparcıaı vöv gegenüber dem vorhergehenden &p’ 5 yeypar- 
tar, Eypaype vis; Anstoß und versetzten vöv in den öt:-Satz. 
Aber auch diese, auch von Julius Pacius vorgenommene Un:- 
stellung befriedigt nicht. Denn 7v 8° A@Andng verlangt eine 
scharfe, mit beuöng Aöyos zu verbindende Hervorhebung der 
Gegenwart. vöv läßt sich aber mit Weuöng Aödyos nur ver- 
binden, wenn wir dt: in öte ändern. Die geschriebene, früher 
richtige Aussage wird gewesen sein: ‘du gehst’ oder ‘du stehst’; 
jetzt, wo du sitzest, ist sie falsch. 

ibid. 33. 005° ötav nv xuAına rivev, 6 niver AAN E& 0). 
Die Schreibung rivg in CD, dem Lemma Ps.-Alexanders und 
der Vorlage des Boethius ist offenbar Korrektur zur Beschaf- 
fung des nach ötav nötigen Konjunktivs. rivg könnte dieser 
Konjunktiv jedoch nicht sein, sondern nur einy, wie auch zu 
o niver AAN EE 00 aus dem Vorangehenden eipnxev hineinzu- 
denken ist. Ergänzen läßt sich aber der Konjunktiv einy 
nicht; auch bliebe noch immer der subjektslose Infinitiv auf- 
fallend. Man müßte dann schon o06’ ötav "nv xudına river 
lesen. Weniger schwer sind die nötigen Ergänzungen, wenn 
wir 006 6 nv xoAıra river ändern. Vielleicht ist das in 
derselben Zeile stehende öte auf die Entstellung nicht ohne 
Einfluß gewesen, wie denn auch für ötav u öte bietet. 

ibid. 36. ”H 5 uev ärav, 6 6° coy änavıee. Welchen 

Sinn Bekker, der oöx ausläßt, den Worten unterlegt, ist nicht 
zu ermitteln. Den überlieferten Text vermag aber auch Waitz 
nicht überzeugend zu erklären, obwohl er auf 179 a 23 &p’ö 
enlorarar, nayıv 7) ebpwv inloratar; EAN’ cOx & Enioraraı ver- 
weist. Aus dieser Stelle wird klar, daß die Gegenüberstellung 


396 Max Wallies, 


& ev... 76 Ö& nicht richtig sein kann, sondern aus u& & 
aufzunehmen ist, wie denn auch Z. 34. 35 zwischen ö und @v 
td nv... To ö& geschieden wird. Der einfache Gedanke ist 
danach: & p£v tig olöev, Aravr; nadwv 7) eüpwv olöev, & (das 
ist als Ganzes genommen oder, wie Waitz richtig sagt, ‘uni- 
versa et coniuncta’) d& t.5 oldev, o0x änavıa 7) nadwv 7) ebpiv 
olöev, AAIE T& pev nadwv, Ta 8° züpwmv. 

180a 4—7. ’Ap' &oti toüro adv; vai. Eotı Ö& TCüTo TExvov' 
adv dpa Toto texvov ötı ounßeßnxev elvar xal adv xl texvov, 
dAN ob adv texvov. Nachdem unmittelbar vorher gesagt worden 
ist nap& Td aupßeßnxds N) auvYealg &otıv und damit auch die Abos 
gegeben ist, scheint es unmöglich, den gerade den Fehler 
des Fangschlusses bezeichnenden ött-Satz diesem anzuschließen. 
Er ist hinter die Entgegnung &@).) oü adv T£xvov zu stellen, 
die so zur Adats wird, und es ist wohl wieder entweder dieser 
oder jener Satz des gleichen Ausklangs wegen ausgelassen 
und dann an falscher Stelle eingefügt worden: 

ibid. 36—b1. "H oöre TE elvat ti xai elvar taütcv; To 
ö& un Öv, 00x ei Eat te, xa} Eotiv dniw; oürT ei evopxel Tode T) 
Tide, Avaya al eboprelv, 6 6 Opbsaz Emiopahgerv ebopxei 
Eropa@v tots pövov, ebopxei GE oü. Schon das Fragezeichen 
verrät, daß Bekker und Waitz die hier wie auch sonst mit 7] 
eingeleiteten Aögeıg als solche nicht erkannt haben. Jede der 
beiden Abassıts findet in dem angeschlossenen Satze ihre Be- 
gründung; es ist daher für 6& bzw. 8° aus dem im übrigen 
stark abweichenden u y&p aufzunehmen. Jul. Pacius hat merk- 
würdigerweise für ö& vero, für 6 aber richtig efenim. 

ibid b 5—7. Kwoe: 8 aurdv oböetv Anis pev elvar deuöf, 
nr 8 KIN 7) Tivög, xal elva: And tıva, dANIN Sen. Hier 
ist «ötZy ohne Beziehung. Auf Aöyos Z 2 läßt es sich nicht 
beziehen (önc:os 5° 6 Aoyos xai mepi tod dbebdestha: Töv aürdv 
dpa “a dAndeberv); denn Aöyo; bedeutet hier wie Z. 8 (navres 
yap o! torodror Aöyor nap& Toüto ounBalvouatv) Fangschluß, der 
als solcher schlechthin Yevöng ist. Lesen wir aber mit Ps.- 
Alexander töv adröv, so erheben sich neue Schwierigkeiten. 
Schon die Stellung wäre auffallend, wie denn auch der Kom- 
mentator oVötv öE xwäve: töy auröv umstellt.e Sodann wäre 
nicht e!var beuön . . . @Anbi, sondern wie Z. 2. 3 beböscha: 


Textkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 337 


.. . &Ardebe:v zu erwarten, da, als Eigeuschaften des Menschen 
bezeichnend, die beiden Adjektiva nur moralische Bedeutung 
haben können, vgl. Metaph. A 1025 a 2, M. Mor. A 1193 b 33. 
Als Subjekt auch des ersten Infinitivs kann daher nur das 
neutrale tıv& in Betracht kommen. Eine weitere Schwierig- 
keit bereitet 7) tıvös, wenigstens bei der bisherigen Interpunk- 
tion, nach der diese Worte zum Vorangehenden gehören. 
Die Erklärungsversuche Ps-Alexanders S. 171, 9—14 td 5 
N tevös Akyar av Ep’ od To Tau Aeuxdv, 1b 5E Aurou 00 Aeuxöv- 
o0Tos Yap cöTe anias Eotv Andi Ti 68 ceuvöric, oüre 
&fnradıv an): ev bevöns nd 5 Andis, Ad Tevös, Tiror 
eniong xal bevöis a Kinds. Öbvaraı aa: Er TapaANAou 
T6 tıvbs xelodar 6 yüap nT Yeuöönevog 7) AAndEelwv Kar Tı 
hebözra: 7) KAndebe: xal oox anıös und Waitzens "'quodammodo 
vero vel certae cuiusdam rei ratione habita (7; tıvög vs. 6) 
vera’ sind der beste Beweis, daß sich der Genetiv so nicht 
erklären läßt. Er gehört vielmehr zum folgenden tıva. Un- 
verständlich bleibt nur die Gegenüberstellung elvaı Ad tıvd, 
MnyN 58 ur. Versetzen wir aber das hinter ö’ Z. 5 überlieferte, 
dort beziehungslose «ötöy hinter dieses ö&, so wird alles klar.: 
‘oder daß auch manche Aeußerungen jemandes wahr sind, er 
selbst aber nicht wahrhaftig ist‘. 

181 a 16. 17 Iluvdavonevp ev, @v 7% 8flov, 0D Öoteov, 
008’ Av Evdokov 7, Akyovıa tdindes. Av dt Addy xt). Da Av 
4 Nov und Av dt Xady einander gegenübergestellt sind, muß 
das von D und Ps.-Alex. ausgelassene p£v hinter &v gestellt 
werden. 

ibid. b 26—28. Davepdbv ws CD Öortesvy TWv Tp6; Ti Aeyo- 
kEvav aonpalverv te Ywpelopkvas a” auris Tas Ratuınyoplac, 
olcv Eimidarov Aveu 100 dmidaorov Aloeos, dt &upaivera. Ob- 
wohl Waitz richtig erklärt “dupli notionem sine notione dimidii 
nhil significare dicendum est’, hat er doch nicht die danach 
notwendige Streichung des zweiten ötmAXotov vorgenommen. 

ibid. 34. 085’ 9 &nioripn Ev to elder, olov el Eatıv N larpıxi, 
ertorian, Önep tb xowöv. Richtig wiederum erklärt Waitz 
'neque enim generalis notio Ertorijung eadem manet in specie’ 
ohne die danach nötige Textänderung vorzunehmen; denn 
nicht %) &rtoripr, und td xotvdv können einander gegenüber- 


328 Max Wallies, 


gestellt werden, da beide hier dasselbe bedeuten, sondern nur 
die einzelne Wissenschaft und die Wissenschaft als y£vog. Es 
ist daher zu lesen N &morhun (NH) Ev To elöeı. 

ibid. 87—182 a 1. Tod yap xoldov xovd Ev TO adrh - 
Iot Ent ToD arod xal Toü food, rpoctıdtnevov St oDdEV AWäDer, 
IK rd pev Td pivi Tb dE To ox&deı anpaiverv. ‘Non satis clare 
dicta sunt’ bemerkt Waitz, der zu oVöLv xwäüe. ergänzt fi 
EnAobv td aurö, die Dative TY frvi und T@ ox£Aer auf zpoot- 
YEpevov bezieht und das handschriftlich überlieferte ongaive: 
mit Boethius und der latein. Uebersetzung in onpatverv ändert. 
Ergänzen läßt sich aber aus dem Vorangehenden doch nur, 
was dort ausgesprochen ist, nicht das strikte Gegenteil, also 
nur &nAoöv Tb «brö, was wiederum der Sinn verbietet. Liest 
man a .. . onpaiverv, abhängig von o0ötv xwAder, so hat 
man den erwarteten Gegensatz zu 1d aütö Sönkoi. Die Dative 
lassen sich allerdings ohne einen Eingriff in die Ueberlieferung 
nicht erklären. Sie mit Waitz von rnpootıy£nevov abhängen 
zu lassen, ist unmöglich, da das npoot#£pkevov nur eines ist, 
nämlich td xolAcv, das nicht in td ptv ... td ö£ zerlegt werden 
kann. Ich vermute daher, daß vor onpalverv einzufügen ist 
ounBaivov. Beide Verba werden in der Ueberlieferung öfter 
mit einander vertauscht, so daß der Ausfall sich leicht er- 
klären würde. Auf dem richtigen Wege in der Erkenntnis 
der Dative war schon Jul. Pacius, dem folgend Bekker für 
onnaiveı in den Text setzte suppaiver, wobei aber obötv “WAVE: 
unerklärt bliebe. Die Stelle würde also lauten: rpootiFEne- 
vov 6E oUVÖEV Kwibe: ZA, To ev 77) fivi to ö& To ox£ler (aun- 
Batvov), annaiverv. 

182 a 38. ’Ap' o0 Entotipunv Eyes, Eniotaoa: Tobto; Ent- 
oriunv 6 Exeıs Aldou" Enloraoa dpa Altyauv. T) TÖ Ev TobTou 
Altyou Acyeıc, 6 Ö& todrov Aldov. Die richtige Lesart hat 
wieder allein Sophonias bewahrt: N) 7d iv 05 Aldou Afyeı, 
to ö& todrto Aldov. Mit der Erklärung von Waitz ‘rd ev 
intell. rd Emornumv Exerv, td d& intell. TO Eriotachear ist nichts 
anzufangen. A£yeis scheint unter dem Einfluß der in der 
Umgebung stehenden zweiten Personen entstanden zu sein. 

183 a 11—13. Mn yavepds 8’ wv Stk Tivog tWv Apwrnpä- 
vwv Avalpesıy 7) Etaipeory Autecg Eotiv, KAAA& nöTepov aÜTm Tap& 


—— 


Textkritisches zu der aristotelischen Topik usw. 329 


Td oupripaope 7) apa Ti T@v Epwrnpatwv Eotiv. Nach den 
von Bonitz im Index angeführten Belegen für @A2’ 9%) kann es 
kaum zweifelhaft sein, daß für dAAa dieses einzusetzen ist; _ 
denn der Sinn verlangt durchaus eine Einschränkung des 
vorangehenden pin Yavepds &v: ‘sondern nur ob’ oder ‘außer 
ob, nicht den einfachen Gegensatz zur Negation. 

ibid. 21—26. "Eot: Te Wwonep . . . Epolwas al Epwräv 
Estt .„.. . nal npbs Tov Xpbövov, Etav 7) rlelovog Xp&vou deon£wm 
n Adarg 7) TOD rapövros xarpod Tb öLadexdTivar ps tiv Abarv. 
Ob Er für das erste Zotı zu lesen oder das zweite Zotı zu 
streichen ist, mag zweifelhaft sein, da die Wiederholung 
vielleicht einer Nachlässigkeit des Schriftstellers zuzuschreiben 
ist. Wenn aber Waitz auch die Hinzufügung der Worte td 
&Kalexdmivar npds Tijv Aboıv so zu erklären sucht: ‘negligen- 
tius v. 26 adiecta sunt verba Td ö. tn. T. A., quasi non prae- 
cessisset particula 7, sed quasi dixisset Wote pin elvar ToD ra- 
povrog xarpod Td Salextiivar npds MV Ava’, so geht dies 
doch wohl über das Maß des Erträglichen hinaus. Zudem 
sind die Worte auch inhaltlich störend; denn es handelt sich 
hier um den Fragenden, der seine Fangschlüsse so einrichtet, 
daß ihre Widerlegung längere Zeit, als zur Verfügung steht, 
beansprucht, nicht um den Gefragten und die Einwendungen 
gegen seine Abots. Die von Sophonias, in dessen Paraphrase 
allerdings auch xaıpod fehlt, ausgelassenen Worte sind als den 
Zusammenhang störend zu streichen. 

ibid. b 1. ’Enel ö£ npooxataoxeuasera: rpbs adrnv Ötd 
TV TÄS VOFLoTıaNg Yertviaaıv, Ws od növov relpav Ebvaraı Aaßeiv 
öxlertixas AII& xai wc elöws. Zu Öbvaraı vermißkt man das 
Subjekt. Es ist daher entweder dbvarai (tie) oder öbvasar 
zu lesen. 


Berlin-Pankow. Max Woiallies. 


330 Fr. Zimmermann, 


xl. 
De Charitonis codice Thebano. 


Praefatio *). 


Charitonis fabulaın traditam esse totam unico codice 
Filorentino saeculo XIII vel XIV p. C. n. intricatiore ac mi- 
nutissima scriptura exarato constat inter omnes. Atque cunı 
neque editores neque viri critici in recensendo illius opusculo 
posteriorum saeculorum sermonem satis respexissent aut ob- 
servassent, sicuti ratio postulabat, genus dicendi auctoris pro- 
prium, utpote ab Atticorum usu multis variisque modis ab- 
horrens, accidit, ut codex ille Florentinus ab omnibus viris 


*), Index librorum. J. Editiones. H. Erotici scriptores 


ex nova recensione G. A. Hirschig. Parisiis 1856. — hr. Erotiei 
scriptores Graeci rec. R. Hercher. I]. Il. Lipsiae 1858/1859, cuius 
editionis paginae et versus citantur. — Xapitwvog t@v nepl Xarpsav 


„al Kfdtppinv Aöyoın J. Ph. D’'Orville publicavit. Amst. 1750. — 
D R Charitonis Aphrodisiensis de Chaerea et Callirrboe amatoriarun 
narrationum libri VII. ed. II. J. Ph. D’’Orville publicavit etc. 
J.J. Reiske latine vertit. Lipsiae 1783. Quae siglis D et R notantur 
ad hanc editionem spectant. — Jac. Achillis Tatii Alexandrini 
de Leucippes et Clitophontis amoribus libri VIII. ed. Fr. Jacobs. 
Lipsiae 1821. — Heliodori Aethiopicorum libri decem ab J. Bek- 
kero recogniti. Lipsiae 1855, cuius editionis paginae et versus citan- 
tur. — Longi Pastoralia graece et latine ed. E. E. Seiler. Lipsiae 
1835. — Loc. Xenophontis Ephesii de Anthia et Habrocome 
l;phesiacorum libri V ed. A. E. Liber Baro Locella. Vindob. 1796. 

II. Philologorum opera ad Charitonem pertinentia. 
Abr. Abresch, Fr. L.: Dilucidationes Thucydideae. Campis 1755. — 
Cald. Calderini, Aristide: Caritone di Afrodisia: Le avventure di 
Cherea e Calliroe. Romanzo tradotto da Aristide Calderini. Torino 1913. 
— Cob. V.L. Cobet, C.G.: Variae lectiones. ed. 1I. Lugd. Bat. 187:. 
caput VIII p. 169—172. — Cob. VIII. Eiusdem „Annotationes criticae 
ad Charitonem.‘“ Mnemos. VIlI (1859) p. 229—303. — Gasda, Aug.: 
Quaestiones Charitoneae. Diss. Olesnae 1860. — Heibg. Heibges, 
Stephanus: De clausulis Charitoneis. (cf. praef. sub fin. p. 333). — hr 1858 
Hercher, Rud.: Zur Litteratur der griechischen Erotiker. Fleck- 
eisens Jahrbücher IV (1858) p. 153—165. — Jak. Jakob, Joseph: 
Studien zu Chariton dem Erotiker, Programm Aschaffenburg 19u3. 
I. Teil. — Nab. VI. Naber, S.A.: Adnotationes criticae ad Chari- 
tonem. Mnemos. n.s. VI (1878) p. [90—214. — Nab. XXIX. Eiusdem: 
Ad Charitonem. Ibid. n. s. XXIX (1901) p. 92—99 et p. 141—144. 
— Rich. Richards, H.: Notes on the erotiei Graeci. The Classical 
Review XX (1906) p. 21/3. — Schm. Schmidt, F. W.: Kritische 
Studien zu den griechischen Erotikern. Fleckeisens Jahrbücher CXXV 
(1882) p. 186—194. — Wilamowitz-Moellendorff, U. von 


FT En — ur — — Tr 


= u TE: 


De Charitonis codice 'l'hebano. 331 


doctis minimi aestimaretur. Bem sese ita habere potest co- 
gnosci cummaxime ex eo, quod verborum contextus ab Hercheris, 
Cobetis, aliis spissa coniecturarum turba est obrutus. Floren- 


G.6. A. 163 (1901) p.30—34. — W Wilcken, U.: Eine neue Roman- 
handschrift. Archiv für Papyruskunde und verwandte Gebiete I (1901) 
p. 227 — 254. 

II. Philologorum opera adartem grammaticam per- 

tinentia. Asser, 4. De Longi sophistae usu grammatico. Particula 
I. Dies. Vratisl. 1873. — Bernh. Bernhardy, G.: Wissenschaftliche 
Syntax der griechischen Sprache. Berl. 1829. — BL-D. Blaß, Fr. 
Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, 4. Auflage. Besorgt 
von A. Debrunner. Göttingen 1913. — Cr. Croenert, Guil.: Memoria 
Graeca Herculanensis Lips. 1908. — Du Mesnil, Adolf: Grammatica, 
quam Lucianus in scriptis suis secutus est, ratio cum antiquorum Atti- 
corum ratione comparatur. Programm Stolp 1867. — Fritsch, Jos.: 
Der Sprachgebrauch des griechischen Romanschriftstellers Heliodor und’ 
sein Verhältnis zum Attizismus. Progr. Kaaden I. 1901. II. 1902. — 
kr. Krueger, K. W.: Griechische Sprachlebre für Schulen I, (1875) 
(1891) I1,5(1879) „* (1894) Register 5(1877) besorgt von W. Pökel. — 
K.-B.,K.-G. Kühner,R.: Ausführliche Grammatik d. griech. Sprache I. 
3. Aufl., besorgt von Fr. Blaß. 1. Bd. Hannover 1890. 2. Bd. 1892. II. Teil 
3. Aufl., bes. von B. Gerth, 1. Bd. 1898. 2. Bd. 1904. — Lob. Lobeck, 
Chr, Aug.: Phrynichi eclogae nominum etc. Lips. 1820. — Mann, 
Ewald: Ueber den Sprachgebrauch des Xenophon Ephesius. Progr. 
Kaiserslautern 1896. — Mays. Mayser, Edwin: Grammatik der 
griech. Papyri aus der Ptolemäerzeit. Lips. 1906. — Meisterh. Meister- 
hans, Karl: Grammatik der attischen Inschriften 3. Aufl. Berl. 1900. 
— Nachm. Nachmanson, Ernst: Laute und Formen der Magne- 
tischen Inschriften. Uppsala 1903 (cf. praef. sub fin. p. 335). — Rad. 
Radermacher, L.: Neutestamentliche Grammatik. — Rad. Den. 
Demetrii Phalerii qui dicitur de elocutione libellus rec. L. Rader- 
macher Lips. 1901. — Rolıde, Luc. Rohde, Erwin: Ueber Lucians 
Schrift Aoöxıog 7 &vog. Leipzig 1869. — S Schmid, Wilhelm: Der 
Atticismus (cf. praef. sub. fin. p. 333.) — Schmidt, Jos. Schmidt, Guil.: 
De Fiavii Josephi elocutione observationes criticae. Fleckeisens Jahrb. 
Suppl. XX (1894) p. 341—550. — Schw. Schweizer, Eduard: Grammatik 
der Pergamenischen Inschriften, Berl. 1878. — Sex. Sexauer, H:.: 
Der Sprachgebrauch des Romanschriftstellers Achilles l'atius. Diss. Karls- 
ruhe 1299. — Sophokles, E. A: Greek Lexicon of the roman and 
byzantine period. New York 1888. — Thes. Thesaurus linguae 
Graecae ab H. Stephano constructus edd. G. et L. Dindorf. — Veitch, 
W. Greek verbs irregular and defective. 4. ed. Oxford 1879. — Wilke. 
Lottl.: Clavis Novi Testamenti philologica. Lexicon Graeco-latinum in 
libros N. T. auctore C. L. W. Grimm. ed. IV. Lips. 1903. — Win. 
Winer, G. B. Grammatik des neutestamentlichen Sprachidioms. 
1. Auflage. Leipzig 1867. — W.S. G. B. Winers Grammatik des 
neut, Sprachidioms. 8. Aufl., besorgt von P. W. Schmiedel. Göt- 
iingen 1894. 
„, ‚Cetera suo loco citantur. Siglis F et Th codices Florentinum et 
[hebanum significavimus. Asteriscus (*) adhaeret eis locis, qui immerito - 
% novissimo editore immutati sunt, crucem (f) affiximus eis, qui sine 
ulla dubitatione sunt corrigendi. Ubi clausulas fractavimus, usi sumus 
tabula, quam Heibges p. 48/49 congessit; atque non solum quoties 
elausula, de qua res est, compareat in universum, sed etiam quot in 
libro octavro viderit Heibges indienvimus. 


332 Fr. Zimmermann, 


tinas lectiones qui accuratius examinaverit, facile intelleget 
saepius quidem corrigendum esse illum’codicem, non tamen 
tot locis, quot factum est ab editoribus aut ab aliis proposi- 
tum. Id quidem certo certius potest dici rationes, quas viri 
docti huius aetatis sunt ingressi, utpote falsas plane esse rei- 
ciendas, quam rem alias amplius exponere mihi est in animo. 
Quae cum ita sint, de totius narrationis compositione item dif- 
fisum esse memoriae Florentinae vix est, quod commemorem. 
Atque postquam anno p. C. n. 1898 repertus est codex The- 
banus, qui appellatur, saeculo VII vel VIII p.C. n. conscrip- 
tus, non est mirum primum editorem communi Opinioni in 
universum accessisse. Etenim cum nonnullis octavi libri, de 
quo solo agitur *), locis fragmentum Thebanum, nonnullis alıis 
codex Florentinus pleniorem verborum praebeat contextum, 
putabat Wilcken textum integrum neutra memoris servatum 
esse, Immo utrumque codicem narrationem continere a nescio 
quo redactore in angustum coactam. Inde peritissimus_ ille 
papyrorunı editor est ausus reficere, quantum potuit, textum 
eius octavi libri partis, quae duobus tradita est codicibus. 
Praeterea idem vir doctus commendarvit (cf. pag. 252), qua 
via coeperat, eadem totam perlustrare fabulam, sperans fore ut 
contingeret, ut aliis locis item recognosceretur manus redacto- 
ris. At brevi post, quam commentariolum de palimpsesto The- 
bano conseriptum Wilcken publici iuris fecerat, alterum frag- 
mentum in lucem est protractum, papyrum dico Caranitanam, 
saeculi II p. C. n., quae tribus columnis quarti libri particu- 
lam praebet **), Et decem annis post fortuna favit Charitoni 
tertium, nam altera papyrus saeculi II vel III p. C. n. de- 
tecta est Oxyrhynchi alterius libri columnas duas continens ***). 


*) Cum singulas res optime exposuerit Wilcken, qui conferendus 
est in Arch. für Papyruskunde I (1901) p. 227 sqq., sat est memorare 
novum illud fragmentum brevi post, quam repertum est, misera sorte 
deperditum pertinere inde ab Hercheri pag. 148, 19 gnol Arovöaog usque 
ad pag. 149,31 Xarzeag Mvvos dv et ab pag. 151,13 “Eppoxparng, cul 
verbo nonnulla antecedunt a codice F magis recedentiä (cf. infra 
pag. 361 sq.) usque ad pag. 152,27 &x no). 

**) Cf. Fayüm Towns and Their Papyri by P. Grenfell, S. Hunt, 
G. Hogarth. Gond 1900. Nr. 1 pag. 74—82. Quae papyrus exhibet 
verba inde ab 72,4 niso]vextöv usque ad 74,27 dnwAncav pertinentia 
multis lacunis interrupta, "|" 

***) Cf. TheOxyrhynchus Papyri Part VII. ed. S. Hunt. London 1910. 
Nr. 1019 pag. 143—146. Incipit haec papyrus voce böyp]ov pag. Bl,1 


Mm ne u En 


no. 


De Cbaritonis codice Thebano. 333 


Üt statim dicam, quae sunt gravissima: congruit utraque pa- 
pyrus adeo cum Florentini codicis verbis, ut nemo non videat 
quasi primo obtutu non habere nos, quod nimis diffidamus 
memoriae Florentinae. Etsi non defuerunt, qui non adstipula- 
rentur Wilckenio*), tamen post eum nemo diligentius inquisirit, 
quae ratio intercederet inter codices Florentinum et Thebanuın. 
Quse quaestio cum plurimum valeat non solum in diiudi- 
canda memoria sed etiam in illustrando stilo Charitonis, equi- 
dem mihi proposui illos duos codices inter se comparare, codicum 
discrimina perpendere, quid bonae frugis modo ex huius mode 
ex illius depromi queat memoria, quantum fieri potest, exponere. 

Quo in opere conficiendo magnum cepi fructum ex indice 
verborum Charitoneorum accuratissimo, quem ipse congessi. 
Accedit, quod magna feci lucra cum e Schmidii celeberrimo 
libro, qui inscriptus est: „Der Atticismus in seinen Haupt- 
vertretern von Dionys von Halikarnaß bis auf den zweiten 
Philostratus® 4 Voll. Stuttgart 1887 ff., tum e Radermacheri, 
cu nomen est: „Neutestamentliche Grammatik. Das Griechisch 
des Neuen Testaments im Zusammenhang mit der Volkssprache“ 
Tübingen 1911. Neque praetermittam dissertationem a Ste- 
phano Heibges „De clausulis Charitoneis“ (diss. Monast. 1911) 
conscriptam, quam hic illic in rerum mearum usum contuli. 


Tractatio. 


Prima discrepantia quae occurrit est haec: 


1148,21 Arioraro obdcev F [oö]- 
öt[v ürilo[raro Th 14/5 


Utra verborum collocatio sit genuina, non facile diiudicatur!) 
propterea quod utrinsque collocationis numeri apte cadunt (de 


(ed. Herch.) atque Alnitur voce Znioteto pag. 32,18 omissis verbis quae 
sunt inter A ywvn) pag. 31,20 et Kira 31,32 posita. Quid de papyrorum 
Mmemoria sentiamus, nostrae commentationi occasione data inseruimus; 
at amplius de ea re alio tempore dicemus,. 

*) E numero eorun, qui Wilckenio obstabant, imprimis nominandus 
est Udalricus de Wilamowitz-Moellendorff, qui summa cum sagaeitate 
recta adumbravit paucis verbis in Goett. Gel. Anz. 163 (1901) p. 32—:34. 
Post hunc dubitabat de illins sententin W. Schmid in Burs. annal. 
vol. 108 (1902) pag. 276 atque Calderini p. 222, qui tamen Florentini 
Codicis memoriam minoris facit. 

ı, Haeret inter dubia W cf. p. 253. 


Philologus LXXVIDII (N. F. XXXID, 3M. 22 


334 Fr. Zimmermann, 


elisione Tniorat ddr cf. Heibg. p. 51 sq., qui nosirum citavit 
locum). Tamen Thebanam lectionem praeferam ?), quae magis 
conspiret cum Charitonis consuetudine quam Florentina, ut 
docent multa exempla°). e. g. cf. 78,25 oVötv Enatov 83,4 
obötv duvhon Xelpov nadelv 93,13 oüdEv elöulav 102,16 oüöt, 
ünexplvaro; *8,12 N yuvn pndtv Entvoodoa T@v YEyavörwv*) 
15,26 pundtv Aörxoüca 31,6 unötv Tapaxtc; praeterea cf. 74,15. 
110, 30, 114, 32. 145,7. 153,2. 4. 

+ 148, 22 gööxeL EööxeEı xal 
Kardıppönvnapeivar! Kaddıpönvrapeivaı Th.17/8 
Particulam xa{ a Florentino omissam optime quadrare ad loci 
sententiam nemo negabit. Accedit quod multis aliis locis 
idem usus deprehenditur, quem satis novimus e Novi Testa- 
menti scriptis cf. Bl.-D. $ 442,12 p. 256. Nonnullos iuvat 
apponere locos quibus viri docti iniuste offenderunt: * 17,13 
" aadög Ye Ayaris Yoßndels al yuvalıı (hr. del. xal) * 33,19 
nınpdoxeı: al taAavrov mv Baordkwg Xpnpatwv Ablav (hr. del. 
aut, at cf. Cald. 273,3) T 73,6 al zbv olxermv drößg Ededon- 
to (xal deest in F; apte suepicati sunt editores Britannici illud 
exstitisse in Pap. Fay. Il 30)°) *94, 17 Yappeı, ötonorve, xal 


3) Thebani codicis clausula a nobis hoc loco prolata rarior est 
C,ı: 6,7%, VII: 57°) quam Florentini (A, ı: 22,20/,; VIII: 195'*); atque 
disertis verbis affirmem elocutionem, stilum, alia saepius magie valere 
in textibus recensendis quam numeros. Itaque maxime cavendum est, 
ne numerorum gratia memoria mutetur aut lectio minus probabilis 
commendetur. 

3) Si excipias 103,19 övaıdiong 83 unösv et! '. 10 slds 88 oüdäv Erepov 
7 xpvodv “al vsxpoüg (at 91, 22 obdEv Erepov dıeiakovv 7 nv dlanv scriptum 
invenimus) Omnibus locis collocatio verborum supra indicata exstat. 
Verum + 132, 16 &Alyov is änsvöouv ohdsv (ic cum Cob. VIII 281 scribendum 
puto pro ärdv$ouv 7)) propterea nihil ad nos facit, quod ibi Thuc. 118,1 
ımitatus est. Jak. 54 änsvöouv Cobeti probans 7) particulam conservat 
dicens Charitonem Thucydidis locum non intellexisse. Si respexissel Luc. 
Nigr. 5 «at Biwg yunpiv odxeu drıvown; somn. 13 obd& Avdchdsg oddE äle)- 
Yspov obdkv änıvcav talequid ille non commendasset; cf. etiam Luc. 
Alex. ed. Jacob [Colonis 1828] p. 93. 

4, Hercherus non est laudandus qui est secutus R scribentem 
„rovochoa, quo verbo noster nusquam usus est. Immo adhibet Charito 
in tali re verbum Önontsöewv cf. 7,14. 18, 10. 43,21. 65,8%. 19. 66, 1. 106,5. 
122, 24. 136,1. Praeterea notio „mente agitandi, cogitandi‘' multo melius 
cum Callirhoes moribus congruit quam notio „suspicandi.“ Item accipien- 
dum est verbum 2rıvostv in Polyb. IX 3,7 rpög oüg 008’ änıvoriouvtsg olol T 
Noav @vropdaryelv et in Luciani locis modo citatis nec non in Charitonis 
+ 132, 16 a Cobeto emendato. ärtvorw 43, I similem notionem praebet. 

5) Nec aliter res se habet in +78, 17 xal cıg Non xal Tod oMpato; 
äntöpsvog adtod. cf. pap. Fay. II 46. Edd. Britannici p. 81 Fv pro xe 
proposuerunt non recte. = 


De Gliaritonis codice Thebano, 335 


Xarpta (br. recepit Ri «al xaipe. at cf. D 481 ad 116,7) * 113,21 
toy edayyedluv dpelbestar xal dv EbvoDxov Drtoxvoun£un (Ra 
del. hr.) 115, 16 &öeöolxer SE pn xal npog Exeivnv Kaddıpön 
xateiny todg Aöyous (Cob. VIII 295 flagitavit xal un) 121,32 
roAl& p&v o0v Yäpeıv xal nölenov Könda (Cob. VIII 297 arti- 
culum töv desiderat®) quem loco xai particulae inscri iussit) 
*122,8 Exampe ö: EInilwv Sri xal Kaddıpon äver (deletum xai 
hr. praef. pag. XIII revocavit) * 130,27 pet& ndong adelas 
za yuvalzes Evradda Öfiycv (hr. scripsit a! Yuvalxes at cf. 
D576 ad 161,9 °)). Ex quibus exemplis dilucide potest co- 
gnosci Charitonem particulanı xai persaepe adhibuisse, ut ali- 
quid eminentius faceret®). Respicientibus tandem nobis locum 
93,9 Zrel rolvuv Hplodn xal Kaddıporv napelvar, jam non erit 
dubium, quin W recta viderit cf. p. 253. 

Quibus expositis videamus quae recta sit orthograplıia he- 
roines nominis. Codicis Florentini scriba Chaereae uxori passim 
geminam, Thebani contra atque papyrorum librarii®) simplicem 
attribuerunt litteram p. Non deesse viros criticos qui alteram 
expungendam putarent haud ignoro, tamen testimonia e titulis 
temporum posteriorum attulit hucusque nemo!°). Atque habe- 
mus re vera duos titulos aetatis imperatorum Romanoruni, 
qui rectam servaverunt formam, cf. I. G. XIV 1727 et 


im 


®%) Substantiva abstracta articulo saepius carent, cuius rei exernpla 
attulit S. 1V 65. 

') Nomins in numero plurali posita haud raro abiecerunt articulun 
cf. 6,25. 20, 19. 32,4. 75, 28. 150,6 (cf. etiam S. 1V 65). Quae cum ita sint, 
loci eiusdem generis non sunt mutandi cf. 46, 29 nera ylAwv xal ouyyavov, 
quamquam 47, 29 articulus comparet (Cob. VIII 288 (tav)) 54,30 «ai 
rwalxsc (Gasda 27 al pro xat) 70,32 änadiv nn xal altes (absurduımn 
est Naberi (202) (ol dig) natöse. * 75.27 Yvwplpovg (hr. drode) yv.) 92, 9 
Ind Amy Aal ouyyevv (Cob. VIII 288 <rov)) 101, 7 eövoöxcı (Nab. 202 
ol sövo0xor) * 117, 24 ddunı&to npödupa (hr. (T& np. fortasse propterea quod 
7,29 ı& xp. legimus seriptum; nil est mutandum). - 

®) Atque conferri possuntloci 48,32. 105, 22. 118,24. 145,22; praeteren 
cf. infra pag. 340; 357, 68. | 

») Cod. Tbeb.9'"* (col.I8. 28, IIL3. 12, IV 24, V 22, VIII8. 22. 26) 
Pap. Fay.5'* (col. 111, IL 15. 50, 11120. 50) O. P. 1019 quater (col. 12. 
11. 25; Il 32). 

10), Of. U.de Wilamowitz G. G. A.l.c. p. 32, Not.; Groenert 
Arch. f. Papk. 1529; Schmid in Burs, annal. 108 (1902) p. 276, nnt.; 
Garin in Stud. Ital. XVII (1909) p. 453, not. 2; Fuhr B. ph. W. 
XXXI (1911) p. 894, qui primus titulum respexit ("Arx.&p. 1909 p. 244 
publiei jiurie factum), sed fugit illum v. d. titulum ceitatum esse sacuuli 
IV a.C.n.); Muenscher in Burs. annal. 170 (1915) p. 208. 


22” 


336 Fr. Zimmermann, 


2007.11). Accedit quod complurium auctorum eorundem tem- 
porum codices optimi simplicem exaraverunt caninam 2?). Cum 
ex eis evadat, ut recta sit scriptura KaAdıpön, quae ubique 
restituenda est obstantibus Wilckenio'?) Heibgesioque't), in 
nostra commentatione breviorem formam semper invenis scrip- 
tam. 


148, 24/5: Ene! d& eloj4- enel de N)- 

Ye , ömyioato aö- dev, ömynoato &U- 

zo PBaxordeüg to Paodeüg EE doxäcg 
TAYTa T& yeyewm- ÄTAVTA TA YEYEW- 

KEV« F kEva ThI 12 —16 


Iam W praetulerat verbum compositum eiofjA%e p. 249, quem 
sequi non dubito collatis locis 103, 20. 137, 10. 138,17. 152, 17. 
Verba E& äpxnc!°), quae in codice Th servata invenis, cum W 
recipienda sunt, quippe quae commode quadrent ad loci sen- 
tentiam. Dionysius enim, qui maximo Callirhoes studio ardet, 
avide avet audire res gestas omnes ab ultimo initio repetitas. 
Simili modo de Chaerea p. 139,8 dicitur xal navın dxpıßü; 
önynsato, nam Callirhoes magn; interest scire, quas res ges- 
serit Chaereas. At multo aptior est locus 153,1, ubi Charito 
populum cupidissimum audiendi oınnia singula, quae acciderunt, 
Chaereae eiusque uxori, dicentenm facit haec: Epwrüpev 1°), &vw- 


11) Quorum in societatem venit nummus iam a Buttmanno in 
„Mytlıol.“ I p. 239 citatus, quem hodie invenis in „Catalogue of Greck 
Coins. The Seleucid Kings of Syria“ edited by R, S. Poole. Lond. 1878 
p- 41, Nr. 73. Saepissime in epigrammatibus eadem comparet scriptura. 

12) Of. Dion. Hal. Antiqu. 127. 62. Apollod. bibl. p. 82,25. 132,9. 
10. 17. 22, 147, 2 (et Pediasim. p. 257, 6) ubi Wagner passim contra 
codd. anuctoritatem gemellam edidit p. Pausan. VII 21, 1. 3. 4. 5, 


V1TI 24,9. 10, Ps.-Aeschin. epist. X 3. 4. 5, ubi Drerup codd. BVS sequi 
debuit cf. Fuhrium |]. c. 

15) Of, Arch. f. Pap. I 240, 1 et pag. 253 sq. 

14) A quo p. 83 clausularum respectu gemellam defensam esse lit- 
teram iam refutaverant Fulhr et Muenscher Il. cc. 

15) De locutione 2& äpyrg cf. S. 112:38. 

©) Krit operae pretium adscribere duo ad illum locum, quae notatu 
videntur esse digna. Imprimis est illustranda verbi notio, qua lapsus 
est Augustus Gasda 38. Etenim inest nostro loco verbo dswr@usv vie 
rogandi non interrogandi. KEanden: notionen potes invenire in N. T. et 
LXX 11. scriptis cf. 'T'hes. vol. III p. 2051 D KRemovenda est et altera 
Gasdae dubitatio, qui putet formam &pwrünev „n sciolo aliquo inter- 
polatam esse“. A scriptoribus, qui uei sunt sermone volgari, orationem 
indirectam, quae vocatur, saepissime evitatam esse scimus, quod idem 
cadit non eolum in Atticistas (Rad. 130) sed etiaın in Charitonem. Est 
igitur non mirum etiam id, quod ab aliquo rogatur, non indirecta 


De Charitonis codice Thebano. 937 


Hey äpka:, rare Mulv Akye, unötv napalinyc. Etiam amplio- 
rem formam &ravta breviori navrx praeferam, quod illa multo 
facilius in breviorem potuit abire quam haec in ampliorem. 


1148,25 &v Exelvp d2E To naupi F Ev Exelvp IN To xaıpi 
Th I 16/17 


Considerantibus nobis Dionysium, quamquaım brevi ante a rege 
Persarum certior est factus sibi Callirhoen in perpetuum erep- 
tam esse, tamen sibi constitisse eo ipso momento temiporis, 
quo id audivit, Thebana lectio magis arridet quam Florentina, 
nam N particula verba &v &xeivp T@ xaıp@ significantius pre- 
muntur quam ö£. Eadem vis inest illi particulae 36,13. 772,30. "‘) 
107, 14 atque conferendus est SIV 551. Ceteroquin in codice F' 
in saepius cum Ö2 permutatum est e. x. 720,15 ubi hr. verum 
vidit (conferri potest 19, 23 ü@ppioavro ön...) neque praeter- 
mittanı F 32, 9, quo loco codicis ol& ö& in ola dh corrigendum 
esse apparet ex OÖ. P. II 42. 


T 148, 26 ppövnarv A udiıora Ar- 
ovucıog Ensdelka- ovoarcg Eredelkn- 
To aa! naröelav Ebaipe- To nardelay Te xal Ppc- 
Toy F ynotv Ebaiperov Th 17/20 


Florentini cod. verba per se sana esse nemo negabit. Tamen 
quae in codice Th tradita sunt cum Charitonis stilo magis 
convenire statim videbimus. De adverbio n&):ora«, quod deest 
in cod. F, recte iudicavit W 250. Conferam cum nostro loco 
111,8 pnadıora 8: xuunyeslors EEarperwg yKalpeıg12). Accedit 
quod Thebani clausula Ypöwmars EExiperov (C 1, 6,7%, VIII: 
57er) melior est quam Florentini nadelav EEaiperov (C 8, 3,9%], 
VIII: 34ie), . 
oratione reddi sed directa cuius rei magnus exstat exemplorum numerus 
Charitoneus cf. 35, 10 ddopnal oou, Yrolv, & dEonora, TUYXWPNOÖY por TMV 
tnauıng Toxnv owräv; similiter 36,7. 38, 12. 39,1. 51,32. 75,10. 97,7. 
114,12. 114,31. 145,17 (ubi Nab. 199 falso proposuerat (lva) 11&v 
‘erıa$nc) 156, 28. 157, 11. Aeque bene nostro loco dictum est dpwiuev, 
Arwdev Äpfar, neque äpwrünsv scioli est. 

7) Loco citato codicis F toooötov iam Abr. 661 in toötov emen- 
daverat quod rectum esse testis est pap. Fay. 1117 et locis 13,2, 62, 11. 
143,23 probatur; at 8 codicis est lectio, quod fugit edd. Brit. p. 81. 

18) Simili modo deest in codice F nu&Xov } 32,13 ut docet O. P. 1019 


col. 1150 aq., qui locus conferri potest cum 153,8 1ö d&& un BnY&v brövorav 
ixsı yalenwrepav dE adrNg Tg owwrric. 


338 Fr. Zimmermann, 


+ 148, 27/28 üonep Yap tig Xepmu- Wonep Yap Eitıg YEpXU- 


vod nesövrog rıpd vod neadvrog repd 
Toy ToöW@v audrTod TÜV TOSWV AUTO 
pn Tapaxtein xaneE- u Tapayd7, ofrog 
vos F n„dreivoc ThlI21—24 


Optativus tapaxdein quomodo explicandus esset nemo dixit 
neque quisquam dicere potest, cum Florentini verba sine dubio 
corrupta sint. Quod cum sentiret, Cobetus haud inepte proposuit 
scribendum esse tapaxdei;1P), quod accipere non dubitarem, 
nisi praesto esset 'Thebani codicis auxilium: eitts 7) Tapax9%. 
Quae verba re vera e Charitonis fluxisse calamo mihi quidem 
ex e0 apparet, quod item ei construitur in cod. Florentini altero 
loco (p. * 118,4 ei d& gi) weod7s, ubi hr. Jacobsii coniectura- 
ram 7jv (pro ei) non debuit probare?°)). Atqui notum es: vel 
a veteribus scriptoribus eandem constructionem hic illic esse 
admissam (cf. Bernh. 399. G. Hermanni opusc. vol. I p. 275 sgq. 
Kr. 54, 12,3). Quid? Num nostrum est, quae apud auctores 
priscorum temporum raro, verum in communi, quae vocatur, 
dialecto saepius occurrisse constat, e textibus coniectura eicere ? 
Minime. Praeterea satis compertum habemus in sermone vol- 
gari antiquiorum optativum magis magisque evanuisse, quod 
idem proprium est sermonis Charitonei *!). Postremo notatu- 
dignum existimo utroque loco a me citato exstare aoristi 
coninncetivum quam eandem observationem fecit Rad. ]. c. in 


1%) Participium cum particulo &srsp comiungi, cuius rei e nostro 
duo ufiert exempla Cob. VIIL 302, novimus e N. T.' scriptis cf. Bl.-D. 
8 425,5 p. 246. Post pronomen tig a Beckio adiectivum e. g. Ysvvalog 
vel av2;stos frustra esse desideratum testis est codex Th. 

20) Ceteroquin Charito forma jv i. e. d&v nusqnam est usus; immo 
semper &v invenis scriptum. — Eiusdem constructionie exempla e 
scriptoribus tenıporum inferioruin attulerunt S. 1244-{et cf. Du Mesnil 22) 
1V 85. BI.-D. $ 376 p. 213. Rad. 162. Itaque restituenda est codicum 
nıcnoria in A. T. *108,12 e — sıyraı, quem ad locum cf. Nab. 
Mnemos. n. s. 1V 329 et Sex. 35. 

2!) Cuius rei, de qua infra amplius agendum erit cf. pag. 351, 55, 
unum exemplum afferre mihi liceat. Est mos apud veteres scriptores. 
ut in enuntiatis relativis a tempore historico pendentibus optativum 
adhibeant cf. Kr.54,7. Charito contra Pag. * 31, 28 scripsit sic : 16 nI7%0g 
0% siysv 5 zı npafar (ab hr. in npdfeıs depravatum). Idem usus notus 
est e N. T.' scriptis cf. Bl.-D. 8 368 p. 208. Praeterea cf. X. E. 395, 2 
(et Mann. 29) 8 u npaer RouXeuöusvcg et Hel. 149, 15 (et Fritech I 33) 
mvsüna... Tcdg Ayorkg EvarnanıYiye.... Engre yploovra TG psyadsı TC 
v:015 Ansigwg Eyavras. 


— ——— 


De Charitonis codice 'lhebano. 339 


titulis. His expositis nequeo accedere opinioni Wilckenii pu- 
tantis scribae culpae attribuendum esse coniunctivum TApxyYY7, 
(cf. p. 249). | 

Atque alterum est breviter absolvendum. Coniecerat recte 


hr. oötw, quod scribae neglegentia perisse in codice F demon- 


stratur memoria Thebana. At oötwg legimus scriptum sequente 
consona ut aliis sex locis in codice F cf. 49,5. 86,11. 89,8, 
93,16. *94,19. 128,16 Cuius usus cum exempla exstent 
ig titulis (cf. Nachm. 112), in papyris (Cr. 142. Mays. 242 sq.). 
in codicibus (cf. Cr. 1. c. K.-B. I 296 sq.), non est, quod ad scho- 
lasticas regulas scribamus oötw. Itaque et *94,19 obrws 


' retinendum erat 2%). 


148, 29. 


 mobsas .6ywr anınıod Ba- droboag | Aöyors axınıon Bao- 


purtpw» put&povs Th I 26/7 
Etsi concedendum est a Charitone verbum dxoberıv multo 
saepius cum accusativo construi quam cum genetivo — ut in 
N. Ti. seriptis (cf. Rad. 98) °®) — tamen nostro loco secundum 
casum solum rectuın esse apparet ex eo, quod omnibus eis locis, 
quibus verbum &xoberv coniunctum est cum plurali Aöyo:, idem 
verbum constructum invenis cum genetivo non cum accusativo°*). 
Locis 62,11 et 143,23 iam a W 249 citatis addere possumus 
81,8. 93, 31. 97,9. 


148, 30. du Xuptas Kald:- ötı Aaupe- 
pönv el; Lupaxobsas as andye: Kaddtpönlv) 
arayeı F [eis Zupaxoüsag] 

Th 128—1Il1. 


Thebani cod. lectionem longe anteponendam esse Florentini 
doct. Heibges p. 82 diserte exposuit, nam novae lectionis 


numeri aptius cadunt (eis Zupaxousas Bl, 15,8%, VIIL: 130“ 
at eis Zuparoboa; ändyeı Bil, 0,5% VII: 6°). 


11) At aliis 6 locis oötw invenis cf. öl, 18. 99, 6. 107, 14. 114, 28. 118, 28 
149,20. Restat, ut affırmem in pausa bis oötwg ante consonam (95, 8 
145,:14) semel ante vocalem (150, 22) me vidisse. Verum plenior forma 
multo praevalet (17:6) ut in N. T.' scriptis cf. W. S. 8 5,28b. 

25) Accusativum 38ies at genetivum 20ies inveni. 5 

2#) Jis quae exposuimus non repugnat 72,30 todrav Z7, av Aöyov — 
Axoabaazs. Atque cf. 22.11. 53, 21. 85, 15. | 


340 Fr. Zimmermann, 


149,1 
Kadıpönv Ev ane- xai Kl[adiıponv Aare]- 
öwxa aoır, Arovücıe F Swxa &[v aoı, Arovü]are 


Th II 8/9 
Cum aliquantum gravitatis insit hoc loco usui nominis prop- 
rii Callirhoes, verborum collocatio, quanı praebet codex F, sane 
genuina est. Ceteroquin 'iam veteres scriptores &v particulam 
sic posuerunt cf.KG. 1245 2°). At xal particulam male omisit 
codex F, qua de re conferas, quod supra pag. 335 dietum est °*). 


149,2 näoav yap EÜvoLav n&cav [y&p eüvor]- 
eig Eu xal niorv Eredelkw F av xal niorıv [Ere JöelEw 
Th IE 10/11 


Si cernere velis, quam recte legantur in codice F verba ei: 
&ut, adeundi sunt loci hi 144,23: navız nenoinxag eig &p: 
öxaiws; 156, 20: xal yap eüvorav Eredelbavro xal nioriv KAr- 
veotarıv npög Anäs; practerea cf. 24,8; 34, 23. 
149, 3 TeuTou ÖE du- tobrou E[E öv]- 

To dungavov F tos dövvdrov Th 1115 


Hic unicus est totius fabulae locus, quo exstat adiectivum 
auhxavos, aliiscontra 11 &öbvarog invenis scriptum. Quid? Num 
Thebani lectio ex Charitonis fluxit manu? Minime. Immo 
vitium est natum ex antecedente &öuvapıv. Notum est illud 
adiectivum et sermone comicorum (excepto Menandro), orato- 
rum, Theophrasti, aliorum (cf. Passow-Cr. 372, 41 sq.) ??), At 
substantivo dunxavix utitur noster bis cf. 51,10 et 73,27. 
Itaque adiectivum dpnxaxvos utpote rarius adhibitum sine ulla 
dubitatione defendendum est neque debuit haerere W p. 253. 


25) Cuius v. d. verba sunt haec: „Da &v den Modus näher bestimmt. 
so müßte es eigentlich diesem folgen, ala Asyoyı äv, äieyov &v; öfter 
jedoch schließt es sich an dasjenige Satzglied an, auf welchem be- 
sonderer Nachdruck ruht.“ Tum exempla afferuntur. 

) W autem particulam illam recte non intellexit dicens p. 243 
„In dem Text, wie ich ihn oben vermutungsweise nach F hergestellt 
habe, ist das xal vor Kaddıpönv in 2.8 jedenfalls un- 
richtig, denn etwas anderes als Kallirho@ hätte der König ihm 
gar nicht „zurückgeben“ können. Es fragt sich nur, ob das eine un- 
richtige Zutat eines Schreibers oder vielleicht ein Residuuım aus einer 
volleren Gestalt des Satzes ist, aus der dann die Worte des Floren- 
tinus durch Verkürzung entstanden wären.“ 

) Addam locum X. E. p. 365, 21 äne:dn 88 6 piv TEyunne, zuyslv 
85 Adüvarov xa: Töv päldovra AıiXavov Öronzlvaı Yalov. 2 


De Charitonis codice Thebano. 341 


149, 4/5 Kal TpW- Ari TOW- 
Tog evepgyerng eg To» ebepyernv eilc] 
olxov Baoıklkws dv olxov od Baoı- 
ayaypapynon F AEws dvaypapiraı 


Th 1 15—18. 


Codicem Tb, qui artificiosiorem contineat constructionem, secu- 
tus est W 243 sq. At vehementer errat ille vir doctus ®®). 
Fabulam nostram qui perlegerit facile cognoscet Charitonem 
quam maxime accessisse ad genus, quod vocatur Addıg eigonevn, 
ex Herodoti sermone satis notum (cf. Grundmann 33 sqq.). Quod 
mwinime mirum est. Nam, ut taceam de sermone peculiari, in 
quo singula enuntiata per particulas ö£ et x! saepissime 
coniuncta fuisse omnes scimus (cf. Rad. 180. W. S. $ 4,1b 
p- 26) °°), ipsi Atticistae eundem usum amplexi sunt (cf. S 
1 422 sq. II 299, 19. III 326 sq. IV 546). Itaque collatis locis 
9,17 Ads oöv por ayoldlovra genurdv xal dxsüon neydianpäy- 
natx öl To Bin aou &:ayepovra; 48,21 I7 Kaddıpin “ai tup- 
Bwpüoxo: Exkedbxv adrıv. *81,2 Ent Toütov nAdeV 5 Atovoaros — 
xx. LöroAoylay Naato pövog°), iam non erit dubium, quin 
parataxis Florentina Charitonis sit °*). 

Ex eadem sententia velim diiudicare verbu ei; olxsv Baar- 
s&ws obstante W, qui rursus Thebani lectionem eig dv olxcv 


mm nn nn 


=») Eandenı discrepantiawm iterum infra habes (cf. Theb. col. V11 13 
VılI2 = pag. 372 et 374 nostrae commentationis) et eo magis mirum 
est, quod Wilcken a recta via aberravit. 

29) Praeterea consulendi sunt Morosi, Studi sui dialetti Greci 157 
Pfister, Wochenschr. für class. Philol. Vol. XXVIII (1911), p. 809—813. 
De «a: particula in talibus adhibita cf. Bl.-D. $ 442,4 p. 255. 

30) duo cum loco apte potest conferri exemplum e Luciani de 
electr. 88 iam a S I 422 citatum: basyovıa ysveodaı “HAlov raldı xal 
toßrov aityoa. At vocem pnövog hr. expungere non debuit. Existunt 
complures alii loci e quibus evadit, ut noster pleonasmun: illum ex 
Herodoti historiis notum et ab Arriano cummaxime amatum (cf. Grund- 
mann p. 20 sq.) ipse quoque admiserit. E.g. cf. 24, 12 &axtuAldıcy nınpöv et 
138, 23 newen Hpfaro Asysıv. Qua re non est, quod mutemus 15, 7 1& da nepl 
Kardıpinv dsuripav AlInv ÜIduBavs nadıyyevsotav (Cob. VIII 252 deuripav 
nv deleri iubet). * 42, 4 äntorn d& aörd sinav Kapdon av! aörh öola 
niyedöc ze — elxula (hr. Abr. 611. Cob. V.L. 171 hr. dell. öpota. cf. etiam 
infra pag. 358, 72) * 60, 19 5 d& Xausdas oöd&v slnsv AAN’ Ay daiyrsav (Cum 
hr. äha deleverit, Headlam (Journ. of philol. XXIV (1895) p. 266 puta 
AN’ Ay corruptum esse ex JA” a’ pbv i.e. AAA& npwrov näv) * 78, 1x 
növog En’ äenpias yayöısvos (hr. expunxit nivog). 

s») Cf. etiam Aristid. rhet. II 3, 16 qui dicit coordinationem signum 
esse sermonis simplicis, quem Graeci dysAsıav appellant. 


340 Fr. Zimmermann, 


149, 1 
Kardıpönv dv arne- xai Kladıpenv Are]- 
&wxd ooı, Arovücıe F Swra [lv aoı, Arovö)]aoe: 


Th II 8/1 
Cum aliquantum gravitatis insit hoc loco usui nominis prop- 
rii Callirhoes, verborum collocatio, quanı praebet codex F, sane 
genuina est. Ceteroquin 'iam veteres scriptores &v particulamı 
sic posuerunt cf.KG. 1245 2°). At x«t particulam male omisit 
codex F, qua de re conferas, quod supra pag. 335 dietum est ?). 


149,2 n&oav Yap EÜvoLav nägav [yap eövor ]- 
eig Eu xal nlorıv Eredelin FF av xal niorv [Ene]öclEo 
Th II 10/11 


Si cernere velis, quam recte legantur in codice F verba eis 
&t, adeundi sunt loci hi 144,23: navıa nenoinxag eig Ep 
Sıxalws; 156, 20: xal yap ebvorav Ernedelbavro xal riotiv KAY,- 
deotarıv npds Ads; practerea cf. 24,8; 34,23. 
149, 3 Tourou O8 ÖV- tourou £[E 6v]- 

Tog dunxdvov F tos dövvdrov Th II15 


Hie unicus est totius fabulae locus, quo exstat adiectivum 
Kurxavos, aliiscontra 11 &öbvatog invenis scriptum. Quid? Nunı 
Thebani lectio ex Charitonis fluxit manu? Minime. Immo 
vitium est natum ex antecedente &öuvanunv. Notum est illud 
adiectivum et sermone comicorum (excepto Menandro), orato- 
rum, T'heophrasti, aliorum (cf. Passow-Cr. 372, 41 sq.)?”). At 
substantivo dunxavix utitur noster bis cf. 51,10 et 73, 27. 
Itaque adiectivum @prixavog utpote rarius adhibitum sine ulla 
dubitatione defendendum est neque debuit haerere W p. 253. 


25) Cuius v. d. verba sunt haec: „Da äv den Modus näher bestimnit. 
so müßte es eigentlich diesem folgen, als Asyoımı Av, EAsyov &v; öfter 
jedoch schließt es sich an dasjenige Satzglied an, auf welchem be- 
sonderer Nachdruck rubt.*“ Tum exempla afferuntor. 

2) W autem particulam illam recte non intellexit dicens p. 243 
„In dem Text, wie ich ihn oben vermutungsweise nach F hergestellt 
habe, ist das xati vor KaAdıpönv in 48 jedenfalls un 
richtig, denn etwas anderes als Kallirhoö hätte der König ihm 
gar nicht „zurückgeben“ können. Es fragt sich nur, ob das eine un- 
richtige Zutat eines Schreibers oder vielleicht ein Residuum aus einer 
volleren Gestalt des Satzes ist, aus der dann die Worte des Floren- 
tinus durch Verkürzung entstanden wären.“ 

27) Addam locum X. E. p. 365, 21 öneıdn 8: 6 päv Tddynns, zuyslv 
85 Adüvarov anal Töv nEldovia Aırıyavov Srronelvar YALOv. 


De Charitonis codice Thebano. 341 

119, 4/5 a! TEW- 4x TpW- 
To ebepygtng eis To» edepyernv eilc] 
olxov BaoılEwg dv olxov od Baoı- 
avaypag non F AEos dvayppiraı 


Th II 15—18. 


Codicem Th, qui artificiosiorem contineat constructionem, secu- 
tas est W 243 sq. At vehementer errat ille vir doctus ®®). 
Fabulam nostram qui perlegerit facile cognoscet Charitonem 
quam maxime accessisse ad genus, quod vocatur A&dıc eigonevn, 
ex Herodoti sermone satis notum (cf. Grundmann 33 sqq.). Quod 
ninime mirum est. Nam, ut taceam de sermone peculiari, in 
wo singula enuntiata per particulas ö£ et x! saepissime 
oniuncta fuisse omnes scimus (cf. Rad. 180. W. S. $ 4,1b 
p- 26) °°), ipsi Atticistae eundem usum amplexi sunt (cf. S 
1422 sy. II 299, 19. III 326 sq. IV 546). Itaque collatis locis 
9,17 Ads obv nor oyoAdlovra aeaurdv xal dxcbon neydia TpaY- 
hatz Alp TO Bm acv d:apepovıa; 48, 21 I7, Kaddıpin “xl tun- 
epoys: Exrkehav abriv. *81,2 Ent toütov TAdev 5 Atovoaros — 
at tö:odoylay raato pövog 3), iaım non erit dubiun, quin 
parataxis Florentina Charitonis sit °). 

Ex eadem sententia velim diiudicare verba eis olxov Baoı- 
‚£us obstante W, qui rursus Thebani lectionem eig dv olxov 


=) Eanden: discrepantiam iterum infra babes (cf. Theb. col. VII 13 
VII2 = pag. 372 et 374 nostrae commentationis) et eo magis mirum 
“st, quod Wilcken a recta via aberravit. 

9) Praeterea consulendi sunt Morosi, Studi eui dialetti Greci 157 
Pfister, Wochenschr. für class. Philol. Vol. XXVIII (1911), p. 809818. 
De xat particula in talibus adhibita cf. Bl.-D. $ 442,4 p. 255. 

”) no cuın loco apte potest conferri exemplum ce Luciani de 
electr. 88 ianı a S I 422 citatum: bastovıx yeveodaı “Hilov ralda xal 
:#tov alıtoa.. At vocem pövog hr. expungere non debuit. Existunt 
complures alii loci e quibus evadit, ut noster pleonasmun: illum ex 
Herodoti historiis notum et ab Arriano cummaxime amatum (cf. Grund- 
mann p. 20 eq.) ipse quoque admiserit. E.g. cf. 24, 12 &axtvAldıcy pınpöv et 
138,23 newen hpfaro Asysıv. Qua re non est, quod mutenus 15, 7 1& dä nspl 
Kaldıpımv ösurdpav &lAnv EAdpBavs nadıyyevsotav (Cob. VIII 252 deuripav 
nv deleri iubet). * 42, 4 ändorn 8: aörh sinwv Xarpdon ravı' adri öpola 
Piyadög ts — slxurz (hr. Abr. 611. Cob. V.L. 171 hr. dell. öpol«. cf. etiam 
infra pag. 358, 72) *60,19 6 d& Xarpsac oddEV slnev KARA Aa doiynosv (Cum 
hr. &ıx deleverit, Headlam (Journ. of philol, XXIV (1895) p. 266 puta 
MN’ äux corruptum esse ex &)A’ a’ iv i.e. KAA& np@rov uöv) * 78, 1 xu 
Wvog in’ denpias ysvönevos (hr. expunxit növoc). 

1) Cf. etiam Aristid. rhet. II 3, 16 qui dieit coordinationem signun 
esue sermonis simplicis, quem Graeci AysAsıav appellant. 


340 Fr. Zimmermann, 


149,1 
Kardıporvy &v ane- zai Kladdıperv arne]- 
&wxa ot, Arovücıe F Swra &[v or, Arovü])o 


ThlII 8 
Cum aliquantum gravitatis insit hoc loco usui nominis pro 
rii Callirhoes, verborum collocatio, quamı praebet codex F, sa: 
genuina est. Ceteroquin 'iam veteres scriptores &v particula 
sic posuerunt cf.KG. 12452). At xal particulam male omi« 
codex F, qua de re conferas, quod supra pag.335 dictum est *' 


149,2 Täoav Yap EÜvCLav näcav [yap eüvor 
eig &uk nal niorv Eredeliw F av al niorıv [Erre]deik 
Th II 10/1 


Si cernere velis, quam recte legantur in codice F verba e 
&u2, adeundi sunt loci hi 144,23: navra nenoinxag eig Ep 
Stnatws; 156, 20: Kal yap ebvorav Ernedelbavro xal niaty ar, 
destarıv npds Anis; practerea cf. 24,8; 34,23. 
149, 3 TobTou ÖE du- tobtou £[E öv]- 

Tg dunxdavov F tos dövvarov Th Il 
Hic unicus est totius fabulae locus, quo exstat adiectivun 
auhxavos, aliiscontra 11 &öbvatog invenis scriptum. Quid? Nun 
Thebani lectio ex Charitonis fluxit manu? Minime. Imm« 
vitium est natum ex antecedente &öuvapyv. Notum est illu« 
adiectivum et sermone comicorum (excepto Menandro), orato- 
rum, 'Theophrasti, aliorum (cf. Passow-Cr. 372, 41 sq.)?”). Aı 
substantivo dpnxavix utitur noster bis cf. 51,10 et 73,27. 
Itaque adiectivum @unxavog utpote rarius adhibitum sine ulls 
dubitatione defendendum est neque debuit haerere W p. 253. 


25) Cuius v. d. verba sunt haec: „Da &v den Modus näher bestimnit. 
so müßte es eigentlich diesem folgen, als Agyoını &v, Eieyov Av; öfter 
jedoch schließt es sich an dasjenige Satzglied an, auf welchem be- 
sonderer Nachdruck ruht.“ Tum exempla afferuntur. 

26) W autem particulam illam recte non intellexit dicens p. 248 
„In dem Text, wie ich ihn oben vermutungsweise nach F hergestellt 
habe, ist das xat vor Kaddıpönv in 48 jedenfalls un 
richtig, denn etwas anderes als Kallirho& hätte der König ihm 
gar nicht „zurückgeben“ können. Es fragt sich nur, ob das eine um 
richtige Zutat eines Schreibers oder vielleicht ein Residuum aus einer 
volleren Gestalt des Satzes ist, aus der dann die Worte des Floren- 
tınus durch Verkürzung entstanden wären.“ 

27) Addam locum X. E. p. 365, 21 äne.dn d2 & päv T4dvnxe, zuyalv 
86 Adüvarov xal Tbv nERdovra Audixavov dronelvaı YalLov. 


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342 Fr. Zimmermann. 


[0 


tod Bao:Aew; praetulit afferens *133, 11 dvaypapw °®) oe, einev, 
edepy&nv eis Tov olxov töv £yuöv, qui locus ad nostrum nihil 
facit. De locutione eis olxov Baarltw; duo dicenda sunt: 
primum observamus apud Charitonem saepius et nomen, a 
quo genetivus pendet, et genetivum ipsum articulo carere 
cf. 33,1 y&pous Soving 99,28 yapou Oraducıv 113,28 So0dlov 
Basıdldws 3) 139,5 eig Avayınv xatkoınv autonoilac. Deinde 
de rege Persarun statuimus a nostro articulum modo positum 
esse modo omissum; quare non est laudandus Iır., qui non 
minus 23 locis delevit articulum °*). At mirum est, quod sensit 
W 244 de Thebanı tod Baouews. Putat enim vir ille doctus 
hey&lou excidisse.. Quod quam pravum sit vel ex eo cognosci 
potest, quod rex Persarum aliis praesentibus ne uno quidem 
loco ipse de se ipso locutionem 6 p£yas Basıked; ?°) usurpat. 


32) Nostro loco respecto hr. &vaypadıw edidit, frustra ut puto. Data 
oecasione nonnulla proferam de tempore praesenti, quod hic temporis 
futuri loco adhibitum invenimus. Qui usus, cum apud veteres auctores 
satis raro occurrat, a scriptoribus seriorum temporum magis magisque 
adamatur (cf. Bl. D. 8 323 p. 187. Rad. 124) idque ita, ut ne attici- 
stae quidem eo se abstinuerint (cf. S. II 52. IV 75. 619; Sophokles 
yp. 44. 46). E Charitonis fabula multa afferri possunt exempla, de 
yuibus viri docti immerito dubitaverunt cf. 44, 8 (Nab. 198 droravos- 
na); 73,27 (H. &ovawv. cf. etiam hr. 1858, 158. Cob. VIII 279 &ywarv), 105, 
17 (Proposuit Abr. 586 praeter alia rpoosora.); 116, 8 (Cob. VIII 296 &oı«); 
* 122,8 nsvsı (hr, never at 76, 29 futurum tempus comparet); 128, 24 (Cob. 
VIII 251 morsboonev); * 133, 11 (hr. dvaypabo); 135, 1 önonsvo (Rich. 28 
nsprnsvo) 141, 26 (Nab. 211 Av ä&yor. Jak. 57 äger); * 143,11 (H. hr. &ausvetg): 
146,17 (Nab. 211 &xd4Eetaı). De Heliodori usu eodem egit Fritsch I 30. 
— Verbum dvaypdpawv Jacob illustravit in editione sun Alexandri Lu- 
cianei Colonis 1828, p.4 (ad cap. 1) et D 624 ad 184,2. 

33) Simili modo 21,18 repleryov Yüp dvdpwnou Yücıg legitur, neque 
est quod sequamur Cobetum VIII 254 &vdpwrog ghosı scribi iubentem, 
quamquaın comparet *53, 25 pbosı d5 yuldkwöv datıv Avdpwrog ab hr. in 
äydpwrog depravatum. Caveant editores, ne omnes locos ad idem oyfijp« 
corrigant. De articulo in talibus omisso cf. SIV 66. 

s) Cf.® 81,28. * 82,5. *29.*88,20. * 91, 26. * 97,4. * 100, 28. 102, 10 
(== ed. Par. 472,7). *111,15. * 112,26.*116,2.*116, 24.118,15. *119, 18. * 26. 
* 120,22. *121,1. *25. *124,27. *127,22. *140, 8 * 141,13. * 147, 24. 
Ceteris contra 139 locis deest articulus. At Hercheri rationes eo magis 
vituperandae sunt, quod vel optimis auctoribus videtur placuisse ıta 
loqui cf. Kr. 50, 3,7 et Thes. II p. 166 A, etsi concedendum est in titulis 
Atticis regi Persarum articulum non attributum inveniri cf. Meisterh. 
230, quam rem nescio quo pacto nemo, Quantum scio, accuratius inqui- 
siverit. De posteriorum usu invenis nonnulla apud Schaeferum in 
Mel. crit. p. 4 et Gösq. et apud Jacobitzium in editione Timonis Luci- 
anei (Lips. 1831) pag. 61 (ad cap. 42). 

3) Loco 152, 9 a W arcessito adnumerandi sunt hi: 38,6. 47,5. 
48,28. 70,23. 107,2. (in soliloquio) 114, 8. 18. 29. 118, 20. 128, 29. 138, 19. 
144,1. 146,26. 152,5. 


De Charitonis codice Thebano. 343 


Quibus omnibus perpensis non est quod relinquamus memoriam 


! 


? 
s 


Florentinam. | 
149, 5 rpooexnbvnsev ö Aroviarog FT nposerbvnse Ato|vbaros 
Th 11 19 


Hanc discrepantiam certis argumentis diiudicare nequeo, praeser- 


$ “ . . . [ ® . 
‚tim cum Charitonem articulo magna cum licentia uti primo ob- 


’ 


- 


® 
® 


tutu videas. Tamen silentio non praeteream me multos vidisse 
locos, in quibus noster rem ita instituit, ut ei nomini proprio 
addiderit articulum, cui antecedit initio enuntiati forma ver- 
balis, contra non addiderit, quod secuta est. Pro multis pauca 
appono: 24,30 Brpwv d& wis deiräs Aaßönevos; 26, 14 Aswväs 
5: neieboas; 33,30 Acwväcs d& xaploacdaı ri Seondry Bouds- 
nevos; 34,15 Acwvi; de napalaßuv. 100,26 Midpeöreng Ev 
rpocsexbvnoev; 133,15 Atovbaro; dt npocexüvnoe. Alterius ge- 
neris sunt: 25,5 "Apelbaodhar dt HElwv 6 Awvas ®P), 27,24 
Eyarpev ö Acwväs; 29, 25 npooxuvioaoe 68 7) Kaddıpan; 87,10 
zpoawuvnsas oöv 6 Midprödeng 90, 31; npoaxuvnoas 6 Atovbaros, 
juorum in societatem venit noster locus. Talia firma esse 
argumenta nemo dicere audebit ”), Unum tamen quaero: 
utrum scriba facilius omittere potuit articulum an ponere de 
suoP Illud sane. Qua re nemo vituperabit nos, qui hoc 
loco 'Thebanam aspernemur lectionem. 


+149,5/7 val xapıy öpolo- a[al] Xaplıv) &- 
ynoas Eyeıv Eoneu- pnoloynoas [Eoteu]- 
dev dnaldayfivar [dev draddayfivar] 
al Saxpbwv EEou- rat Sarpbwv [ESou]- 
olav Eyxeiv F alay Zyev Th IT 20-24 


Recte collegit W 250 e versuum 21 et 22 spatiis post öpo- 
Aoynaa; in Thebana memoria non exstitisse verbum £yetv, 
quam dittographiam agnoverat dudum hr. (quem cf. 1858, 164). 
Locutionis xdptv öpo)oyeiv exemplis a W 250, 1 allatis addam 
Luc. pro lapsu c. 15 xagıv d& önoloy& Tols Weol; et nostri 
39, 13 xapıy öpoAöyysov Untp Nn&v Arovuslur. 


8) (Juo loco doet. Heibges p. 75 articulum delendum censet respec- 
tu clausulae. At clausulam, quae vocatur heroica, Churito saepius ad- 
ınisit, quam observarvit Heibges e. g. cf. 56,22 AR’ opodöynoev 6 Bripwv. 

7) Nonnullis enim, etsi perpaucis, locis istam regulam neglectam 
vides esse e. g. cf. 15,32 6 83 Bıpwv wuldgaxz. 


344 Fr. Zimmermann, 


Zta[tepa n]- 


149,7 sq. Itatapa tiv Enıoro- aux Tyvenr[lıicoro]- 
AnvHouxf öldncıvFE Anv Enıöllöworv] 
Th I 25—27 


nn ms 


Verba &rtotoiijv E neöröovar terıninum technicum, qui vocatur, 
esse putat W 250, quod exeıinplis vellem probasset. Invenimus ver- 
bum simplex non solum apud nostrum 78, 27. 108, 12.146, 8. 
148, 8 (qui locus ad nostrum spectat) °®) sed etianı apud alios, 
idque ita, ut idem scriptores, sicut rursus noster 80, 2 et 146, 7, 
verbum compositum £Enıö:öövar admiserint. Scribit, ut exemplo 
utar, Diodorus XIV 47, 1: Sob; ErtotoAfjv ps TIVv Yepovalav 
atque idem 1. 1. $S 2 iv Eniotoiiv Enköwxe TI yepovala ?9); 
Deinde Plutarchus conferendus est, qui usus est verbo simplici 
Mor. p. 533 B Sdtöcüg rpos; Arovdarcv EnotoAnv, at verbo conı- 
posito idem: Vit. Alex. 19 &xelvp piv Ertöwxe Tjv EttotoXiv. 
Praeteren Florentina lectio meliorem exhibet clausulam Ysux7, 
Höworv (A1. 22,2% VIIL:195'°) Th contra: &rıotoinv trıdlöwarv 
(B 3. 3,6% VII: 44°). Quae cum ita sint, neque verborum 
collocationem neque compositum Thebani commendare possu- 
mus. 


149,11 elıa avolsas x ai avcıcas 
to orider npocerideı To order npocenıü]| Faro 
(scil. my &rıoroAnv) N Th II 6—8 


Suo iure W 249 e!t« anteposuit. Ceteroquin np@Tov cum elta 
copulatum vides 97,25 sq. 105,15. 112, 24, quibus addam 
td niv nowrov — elta 89,13 et np@rov niv — elta 87,4. 

Doct. W 244 nposentö&xto tueri mavult, qued num recte 
fecerit, statim videamus. Negat Wilcken locum 44,5, quo 
de Callirhoa legitur nv eixova Xaıpkou TG; yaoıpl npcacdenxe, 
conferri posse cum nostro, quo Callirhoe quasi praesens ficta sit. 
Immo alter locus cum altero maximis vinculis et propinquitatis 
et affinitatis est coniunctus. Hic non minus quam illic videmus 
verba fieri nescio cuius vehementer excitati ad pignus quoddam 
amoris, cuius in locum illic Callirhve tenet anulum Chaereae 
3%) In locis sibi respondentibus Charito libenter eadem verba ad- 
hibet, ex quo iterum evadit, ut nostro loco verbum simplex consulto 
posuerit. Alterum exemplum mox afferemus. 


”), Varıam lectionem driöwxs Vogel praeferre non debuit coll. Act. 
15, 30 änddwxs nv änıotoAyv. 


" 


De Charitonis codice Thebano. 345 


inagine ornatum, hic Dionysius epistolam Callirhoes manu scrip- 
tam. De Florentini imperfecto Wilcken nihil protulit, tamen conie- 
cerit fortasse quispiam tempus illud falsum esse. At in sermone 


. communi tempora inter se vehementer mixta esse quis est quin 
- sciat?- Quam licentiam apud scriptores temporum imperatorum 


— - 


— 


Romanorum omnes excessisse terminos docuit exemplis congestis 
Rad. 122 sqq. In nostrum usum conferas eiusdem annotationem 2, 
qua invenis testimonia, e quibus dilucide apparet tempus im- 
perfectum loco aoristi poni posse. Neque desunt apud Charito- 
nem exempla, quae novissimus editor fere omnia de suo immu- 
tavit 4%). Verum de Thebani constructione Tv &niotoiijv To 
stiYyer npocentügaro aliter sentio. Veniet, auguror, qui com- 
paret Sophoclis notissimos locos duos: Trach. 767 rposrtüo- 
sera rrAeupalaıv Aptixollos — yırwv ärav var’ dpdpov et Ant. 
1237 &5 & üypov dyamv' Er’ Euypwv TapdEvo TIPOOTTÜGTETAL. 
Verbum rpoortücces®a:, cum neutro loco cuiquam offensioni 
sit, nostro, etsi plane non est reiciendum, tamen mihi non 
arrıdet. Nam de epistola, quam aliquis pectori suo applicat 
vix potest dici mpoontuoges®at. Quod si voluisset Charito, 
loco 44, 4 — nostro persimili — eodem verbo esset usus. „At 
addita vides“ dicat, qui cum Wilckenio facit, „verba wg Exelvnv 
r29000@v; quapropter praestat lectio Thebana“. Immo contra- 
rum est rectum. Timeo enim, ne fugerit illum supra exsti- 
tisse enuntiatum (p. 44,5 sq.) tod Tpeis Eyeyövanev Avnp 
za yovn aa Texvov; ille vero Avnp illic redditur imagine 
Chaerene, quae anulo adhaeret non minus quam hic Callirhoe 
epistula ab eadem femina scripta. Florentini verba propius 
accedere ad nostri stilum, quis est quin videat ? 

Locis hucusque a nobis tractatis leviores insedebant dis- 
crepantiae atque Thebanas lectiones recipere potuimus totiens, 
quotiens debuimus defendere codicem Florentinum, cui sub 
finem partis absolutae magis magisque fides erat danda. Quod 
vix forte factum: appropinquavimus paulatim ad locum me- 
moriae Thebanae, quae magis recedit a Florentina. Eo ipso 


19 E.g. cf. 103, 10 Medgıdatye pov warnyöps: (ubi Gasda 30 natanpatst 

sive Katadızakera: seribi iubet); * 132, 6 rat söhhg Epyov &ylvaro 6 Aöyog 
(hr. &yövaro); * 144,29 äypaye 23 “ol Xaıpiag änıoroiyv (hr. &ypadbe); 
"150, 8 xat taydwg &uyvus (hr. &uyivvo:), cf. etiam Kr. 53, 2, 1. S 1239. 
Du Mesnil 10, 


346 


Fr. Zimmermann, 


wnaxime nisus est Wilcken sperans fore ut posset demon- 
strare duplicem nos manibus tenere redactionem. At consi- 
derantibus nobis codicem alterum ab altero in parte möoda 


recognita valde haud differre vix vera videtur esse illius vir: 


doctissimi opinio. Jam rimemur locum ipsum. 


Cod. F 149, 12—21 


nal Ent noAdY 
Xpbvov Natsiyev 
dvayıvwaxeıv u 
Övvausvos dıa 1a dd- 
nova‘ dnoxiadoag ÖE 
udiıs EVaYıyWOaXeEıv 
ho&ato xal no@rdv ye 
Kardıpöng Todvona 
AATEYLANGEV, Errei ÖE 
Nidev eis 10 'ALovu- 
aim edepy£ry ‘ol- 
poı’ pnoiv “obxeı dv- 
del. — 


_ 
oa 


"ab yap eDep- 
yerıg Euög, Tl yap d- 
Erov Enolmod ooı;’ 
"Hodn 58 ng emt- 
roAfis ıj d- 
noAoyia xal Tol- 
Adxıg Aveyivwoxe 
ra adid' ün- 
eönkov Yap wc Äxcv- 
0x adrdv zaradlnoı. Obrw 

xo0p6v £o- 

tiv 6 Epwg xal dvanel- 
dei padlws Avrepächeı 


[2% 
= 


Cod. Th eol. III 9-IV 2 


Ent roAU(v) 
d& xpövov xatexw(v) 10 


aürd Avayelvwoxt. 


Kardıpen” — xarepl- 
Ange Todbvona —- 

"Arovu- 
op ederyiy — ‘okp)- 
po: To dvögi obx E- 15 
10’ — "yalpeıv’ — ng db- 
vaue 000 dıebevy- 
uEvog;” — 'E0 yap ds 
ebepyerng, Ti yap d- 
Erov Enolnoa oov;' 20 
Ho.cero d& ig Entı- 
SToANs oög iv d- 
roloylav al nol- 
[Aa ]aıg aveyivwoxe 
[xa?Jıa a Önuare. 'E- 2 
[rio2]$n yap St dxov- 
[v® xajıeiınev. Obtw 
[ön?gpöoeı xo]üyöv &o- 
[tı]Jv 6 Zpwg xal dvanl- 
[dı] Pr[ö]!ws Avrepaodaı 


Col. I v. | 


Quod attinet ad narrationem ipsam: distat cod. F a codice 
Th duabus potissimun rebus. Primum: lacrimas prorumpere 
Dionysio, dum legit epistulam, in Th omnino non commemo- 
ratur. Porro hoc interest inter F et Th, quod in illo Dio- 


— 


ir - m yr —— - 


ne — Trug ea 


De Charitouis codice Thebano. : 347 


nysius ex epistula nilıil recitat nisi initium inscriptionis: Atc- 
wol edepy&tn, cum in hoc totam inscriptionem *!) invenias 
membratim recitatanı idque ita, ut Dionysius tribus illis mem- 
bris addat quanto animi motu afficiatur. Quod ne cui am- 
biguum videatur, illum Thebani locum seorsum apponam: 


Kaldıpöon” KRTeplinge ToÖvone 
“Atovuvoiw EDEPYETN oKXp)po: tw Avöp! oüx Exw’ 
Yalpeıv" nos Ebvane oo0 Stebeuynevog’; 


Quas memoriae distantias si recte iudicare volumus, maxime 
respiciendum est nobis, quomodo inter se cohaereant res illius. 
partis narratae. Dionysius modo certior factus ereptam sibi 
esse Callirhoen in omnem vitam quantopere animo perturbatus 
esset, ut eminentius faceret auctor, comparavit haud inepte tri- 
stissimum illum nuntium cum fulgure, quod de caelo cadit 
sereno (cf. 148, 27 sqq.). Ulle etsi praesente Persarum rege mae- 
rorem suum atque doloren: sustentavit, tamen solitudines cap- 
tare avet, ut possit se tradere lacrimis (cf. 149,6). Dum re- 
linquit Artaxerxem, accipit a Statira epistulam, quam scripse- 
rat Callirhoe. Ipse postquam sese in cella inclusit, agnoscit 
signum et manum Callirhoes (cf. 149, 10), quam quanto amore 
amplexus sit ex eo potest intellegi, quod basium impingit 
epistolae. Deinde eam aperit apertam pectori applicat, proinde 
ipsa sit Callirhoe.e Tum nequit, quin diu lacrimet, cum quasi 
faces ei doloris admoveantur*?). Tandem fessus lacrimando in- 


‘ı) Epistolam scriptam legimus 145,15 »sqq. Cuius initium cum 
putaret hr. non congruere cum loco 149, 17, coniectura mutavit. Quod 
rectene fecerit novissimus editor, cum non examinaverit W, nostrum 
886 Iemur uno verbo tangere illam quaestionem, cum praesertim ille 
locus vel maxime faciat ad intellegendum rerum conexum. Post in- 
scriptionem pergitur in codice F verbis his: (* 145,16) od yi&p sl ö xal 
Anorsiac nal douisiag ps Anadlldkac, quibus inseruit deleto sl e 149, 17 
verba söspyätng dic. Idem iam antea doctissimus R cogitavit, qui 
tamen Florentini verba elegantia quadam non carere observavit. At 
sententiarum rerum conexum neuter vir criticus, puto, recte perspexit. 

ocem sözpyärng facile per se supponendam esse docet inscriptio prae- 
cedens; de ö xal cf. Bl.-D. 8 268,1 p. 156 et Herzog, Philol. vol. I,VI 
(1897) p. 35 neque praetermittendus est doct. 9, qui egit de nominibus 
doplieibus isto 6 xal copulatis III 338, Immo de toto loco recte sen- 
sit D 625. qui suam protulit sententiam nd 184, 11. Illa enim verba 
149, 17 ob y&p söspysing äudc non fuerunt scripta in epistula, sed editu 
sunt a Dionysio vehementer excitato. Quae si sic explicas ad senten- 
tiarım conezum optime quadrare statim videbimus cf. pag. 349, 47 
nostrae commentationis. Inde nil mutandum erat. 

#) Cf. 149,12 sq. Cummaxime e 149, 6 sq. evadit, ut verbn 


348 Fr. Zimmermann, 


cipit legere atque primum primo inscriptionis verbo KaAd:p6r, 
dat basium‘°), e quo iterum cognoscimus Callirhoen unice 
diligi a Dionysio. Deinde vbtutum figens in vocibus Arovuater 
edepy&tg obstupescit“); cur enim talis appellatus sit a Calli- 
rhoa, satis non intellegit, praesertim cum nondum legerit ip- 
sam epistolam, qua Callirhoe facti sui rationem illi probarvit. 
Inde recitat solas illas duas voces. In illis offendit solis. 
Illis ipsis inest summa totius loci gravitas. Ex illa ipsa voce 
edepy&ty Dionysio dilucide apparet Callirhoen in perpetuum ab- 
isse. Illa ipsa vox edespy&tns testis est vero veriorem esse 
tristissimum nuntium, quem acceperat a rege Persarum. Inde 
eiulat Dionysius olpo oüxer' &vdp! 4). Vix fatalenı illum eventum 
perspiciebat, cum reputabat secum, quaenam fuissent causae, cur 
talis accideret rerum mutatio. » Jam bene meminit olim se 


Gvayıywarsıv ın duvdusvog dk T& ddxpuo sint perquam necessaria. Qua 
re minoris est aestimanda Thebana memoria illis carens, De elocutione 
ipsa recte iudicavit W 239, 8. 

#) Confert D 625 ad 184,9 locum 73, 23; rectius debuit respi- 
cere 35,9. 

*) Immerito vituperatur Florentina memoria a Wilckenio, qui putat 
e verbis &rel 85 NAYsv eig To Arovusip sbzaydry sequi, ut lezenti- 
bus nobis vox Atovuotp longissime distare videatur a voce KaAdıpön 
quod, miror, probavit Nab. XXIX, 96. Immo iure ac consulto illis 
verbis usus est noster, nam iterum inde cognoscitur, quantus fuerit motus 
anımi Dionysii epistolam legentia. 

#5) Quantula contra sunt, quae leguntur in Thebani col. III, 16 
— 18! Imprimis iocum illum, diversa notione verbi xaipsıv effectum, 
quem et W 211 et Nab. l. I. maximi faciunt pugnare cum austero 
quodam genere dicendi, quod inest toti loco, recte vidit Wilamowitz, 
qui illum sciolo cuidam attribuit. Perperam fecit Jakob 40 sq. putans 
illum propteren deesse in F, quod scriba iam non intellegeret. Cetero- 
quin Omnia, quae ille ad Il’'hebanas adnotavit lectiones, tam prarva 
sunt et tam inepta, ut non fuerit pretium de singulis disputare. — ı 
Restat, ut breviter tangam duasres ad artem grammaticam pertinentes. 
Primo de scriptura bvans i. e. dbvanar monnulla proferenda sunt. E 
et Al, quae nisi ab indocto a nullo esse confusa scimus, in papyrie 
iam altero a. C. n. saeculo permisceri notum cf. Cr. 24. Mays. 107. 
In titulis contra exempla ante annum 150 p. C. n. non sunt inventa 
cf. Meisterl. 34,185. Duo miht liceat addere: vidi in papyri, quae 
est de Metiocho et de Parthenoya, versu 17 npo3tva: et in fragmenti 
Dictydis (Pap. Tebt. vol. ]I, 268) versu 8 Aayfs]&vovrs. Affert Sepulen 
[Itendiconti del reale Istituto Lombardo ser. li vol. XLIIL (1910)] pag- 
51l e Ps-Call. codice Leid. Soyävasz pro Guyaivag. Deinde moneo hoc: 
Verbi &aGehysupt tempus perfectum passivi respuit noeter, qui semper 
usus est aoristo cf. 19,1%. 26,8. 123, 9. 144,22 (vero exstat composit! 
ar0- cf. 50,29, 77,5. 155,25). Cum illam formam demum inde & 
Polybii temporibus noverimus (cf. Veitch 294, qui affert Polyb. VI 4, 20 
et Alciphr. IV 14, 1 Schep., qui loci fugerunt Gasdam 20), colligam 
consulto evitatam esse in codice Th formam serioris Graecitatis. 


De Charitonis codice 'Thebanuo. 349 


aliquantulum institisse Callirhoae, ut in matrimoniun eat #®). 
Quare Dionysius ne dignus quidem sibi videtur, qui edepy&mg 


. appelletur. Inde sequitur, ut Dionysius mora quadam inter- 


) 


posita edat verba haec: „Immo tu me beneficiis ornasti *7); 
qua enim ratione equidem tibi beneficia tribui *%)? Utrumque 


se) Qui alterum et tertium legerit librum, ei notum erit, quantopere 
Dionysius luctatus sit cum ratione et cum affectu (cf. 32,24). Qui, 
quamquam Callirhoen, quantun. potest, veneratur amat aestimat, tamen 
ipsum ab illamodo bonorari non amari 36,18 comperit, a qua disiun- 
gere se inm non potest ct. 39,26sqqg. At calliditate et fortuna usus 
sibi conciliat fominam. De vero quidem rerum statu nusquam fit 
certior quia vel a Plangone de multis iisque maximis rebus celatur, 
atque semper conscientia quadam mordetur. Ceteroquin certo seit 
Dionysius interesse aliquid inter ea, quae ipse fecit, et ea, quae prae- 
scribunt leges atque ius. Nıhilo setius adducitur, ut credat quae dieit 
verbis bis: dy® yuvalsa äisudäpav ändnuriaacsav odx old’ önwg Txovoc. 
ixdopnävnv auınvxar& vöonougäynpna 48.30, utnon dicamus, 
quam incerta sint, in quibus nititur eiusdem causa apud Persarum 
regem acta, quam Callirhoae occultat, quamdiu potest cf.84, 15. Dionysii 
sollicitudo, quae ne post nuptias quidem cum Callirhoa factas cessat, 
etiam augetur, cum 62,1 Chaereae nomen primum andiat, qua re sen- 
tit feminam etiam tum illi fidem servare. lam intellegimus, cur Dio- 
nysius tum maxime anxius sit, cum res est de Chaerea e. g. cf. 66,20, 
ubi de trireme, in qua est Chaereas, et 80,12 ubide Chaereae epi- 
stola fit certior. Ut brevis sim: Sentit Dionysius sese in culpa esse 
compluribus de causis atque ipsum se debebat tacite accusare, quod 
elıam atque etiam urgeret Callirhoen, ut uxor fieret, quamquam sibi 
proposuerat illam non &xoucav Bratsdar cf. 37,13. 42, 14. 47, 11. 

#7) Inde collocatio verborum, quam praebet F 149, 17 oo Yap 
süspystrng &nöcg sola recta est, nam ipso into modo dilucide apparet 
Dionysii sententiam opponi Callirhoes. Ceterogquin memoriam Floren- 
tinam nostro loco longe praeferendanı esse non solum docet locus 67, 5 
sed etiam clausula — - — - - (DI. 4°%/ VII: 34") quae aptior est 
quam Thebana >= - —, — - - (C2. 1,5% VIII: 18"). Jakobi iudi- 
cium p. 41 prolatum mittere possumus utpote perabsurdum. At unum 
breribus exponendum puto. Doctissimus D 625 ad 184,11 verba 
rap sbspyärng änög iubet mutari in söspyätg &ur, quod haud recte 
esse propositum demonstratur compluribus locis Charitoneis. Legimus 
18, 24 zöv xamiyopov (scil. Kaddıpenv) ubi hr. praef V nv flagitat; 
*27, 21 ouvexpıvag Yap aurmv Tolg Kypolxorc, ubi hr. secutus D 292 ad 
32, 13 edidit zals; U0, 22 napxdodsa autnv ı@ xpelttove yeperv, quem locum 
frustra, ne dicam insane, tentavit Schmidt 191; 146, 1 Badt= yap navım 
Baorist, ubi BaoıAst ad Statiram spectat, inde Nab. 211 de Baurdsig cogi- 
tavit. Non sunt coniecturis deprarandi isti loci. 

#5) TE yüp Afıov änolnok vor 149,17. Et W 249 et Nab. XXIX 96 
recte praetulerunt dativum ooti, at fugit utrumque virum doctum & 
veteribus scriptoribus in talibus accusativum poni, quod ipse noster 
fecit 54, 11188 ınv xuplav adrav nenorixars ; Quare et Grasda (29) et 
Jakob (40) in casu oflenderunt. At dativum in yosterioris Graeci- 
tatis aetate saepius adhiberi loco quarti casus certo scimus e N. T.'scrip- 
tis, cuius usus egregia congessit exempla doctissimus Rad. 99; e.g. Ev. 
Luc. 6,27 xadXüg norslts Tolg ypuoodav Önäc sive eiusdem 20, 15 Ti odv 
narnosı ahrols 5 xbprog Tod AursAßvog. 


Philologus LXXVIII (N. F. XXXIl), 3/4. 23 


350 Fr. Zimmermann, 


enuntiatum ydp particula incipiens docet legentes nos, quanto 
'animi motu affectus sit Dionysius, quantopere ipse secam luc- 
tetur‘®).. Tum demum ipsam legit epistolam, qua 
lecta scit et Callirhoen sibi obligatam esse quibusdam bene- 
ficiis5) seque posthac ab illa in honore habitum iri 5). Quae 
cum ita sint, verba Fodn 6& Tis EntotoANg Tfj Anolovia, quae 
149,18 scripta legimus, optime quadrant ad totius loci sen- 
tentiam. Atque profecto sibi videtur epistola illa excusari 
Dionysius, utpote religiosissimus atque diligentissimus vir. 
Tum demum scrupuli, qui Dionysio iustis de causis inerant, 
exempti sunt atque magna sollicitudine est liberatus’?). Qua- 
propter ista verba excusationem exprimentia legit iterum 
iterumque 5°). 


4%) Saepius videmus ydp particulam initio duorum enuntiatorum 
se sequentium poni. Cummaxime conferendi sunt loci 43,28 sq. 74,13 
sg. 95, 28 sq., praeterea cf. 47,14 aq. 83,23 sq. 85,14 sq. 96,25 sq. 
117, 4 sq. 119, 10.12. 135,29 sq. 134,28 sq. 142,3 eq. 155,4 sq. 

60) Verba demum ou y&p sl ö xal Ayorslag e.q. sqq. (cf. 145, 16 sqq.) 
docent Dionysium, cur iuste appelletur eüspyäıns. Callirhoe contra, 
cum sciat, quid et quantum debeat Dionysio, utpote homini nobili, 
rogat in epistola urjd3v öpyıchzg. Neque enim vult Dionysio ingrata videri. 

51), Of, 145,17 sit Yap 7 dux perk ood etc. 

53) Irrita cadunt, quae putat W 244: Üallirhoen scripsisse episto- 
lam Dionysio eo consilio, ut sese purgaret. Immo Charito Ualli- 
rhoes mores tales depinxit totamque narrationenı amatoriam ita insti- 
tuit, ut illa se purgare non deberet. Callirhoe enim, ut femina sibi 
constans semper eadem consuetudine cum Dionysıo utebatur e.g. cf. 100, 4 
Xarpbav YıAodon, Arovösıov aldounevn. Verum Dionysius, quo est amore 
Callirhoes captus epistolam propteres plurimi aestimat, quod, praeser- 
tim cum rerum eventu inexspectato valde sit oppressus, primum ex 
ista epistola haud ambigue comperit, quanti omnino aestimetur ab 
illa femina amata, quae res leviter modo erat adumbrata verbis 47, 24: 
‘ool iv, elns, 'neotsöw Arovöoıs, AnıotW 22 td dd Toxy. Inde vehementer 
gaudet Dionysius, quod sibi licet retinere filium et in matrimonium dare 
filiae ex priore matrimonio susceptae, ut significantius illustretur, 
quam arctie vinculis amborum animi coniuncti sint. Callirhoe etsi 
Dionysium grato animo relinquit, tamen haud invita abit, quod amat 
Chaeream. — Ceteroquin ex epiatola, qua dilucide apparet, quantopere 
Charitoni contigerit, ut hominum mores depingeret, sequitur, ut Cal. 
lirhoe ab animo impetrare nequeat, ut Dionysio indicet fillum ab illo 
uon esse genitum cf. 145, 8 dt“ zöv xorvöv viöv. Ne discedens quidem 
eanimum inducit, ut, quem maximi aestimat, Dionysio explanet verum 
rerum statum, timens, ne tali nuntio illius anıimus violetur. Quam 
omnem rem auctor noster nobis non dieit simplici narratione, sed 
ingeniose permittit legentium arbitrio. 

53) Jtaque etiam hac in re Florentini verba 149,19 xal roldaxıg 
avsylvwoxe 7& adı« praeferenda sunt Thebani IIl 18-20 xal noA[Ad]xıs 
aveylvwoxe [xa]ı“ T& Arparo. In supplendis 'Thebani verbis haeıebat 
W inter [xa]ıt& et [ar]ıa, cui alteri favit Nab. XXIX 96. Atqui ut non 


| (Te gr ug nn 


— u 


DeCharitonis codice Thebano. 351 


Inest rebus illis illud flebile, quod infelix ille vir vel in 
estrema narratione reverentiae a Callirhoa adversus se adhibi- 
tse falsaın sibi induit persuasionem nec non se amari quodam- 
modo a Callirhoa opinatur. Quae omnia Dionysium ex suo iudi- 
casse ingenio, ut significaret, Charito consulto et cogitatione ®* 
posuit optativum, quo modo in universum”perraro est usus ®). 

Postquam vidimus in componendis rebus memoriam Flo- 
rentinam multo superigren: esse Thebana, restat ut disputemus 
de singulis quibusdam, quae attinent ad auctoris sermonem. 

Imprimis respiciendum est verbum dvayıvwsxeıv, quod 
149,13 comparet, spatio breviintermisso iterari (cf. 149,14), cuius 
usus complura in nostra fabula existunt exempla°‘). Quid? 
Nonne scriba, qui minus diligenter describebat, . facillime 


— 


deberet haerere evadit ex eo, quod in memoria Thebana totam epistolae 
inseriptionem recitatam invenis; nostro ergo loco rem eandem esse 
equidem putaverim, etsi concendendum est alterum supplementum [aöd]t« 
:% fipnatz cum serioris Graecitatis rationibus non pugnare. Quod non 
putasset W 245, si respexisset Charitonis 46,18 aq.: Atys adık & 
Insivng dipate. 

5%) Recte etiam W 245 praetulit optatirum. 

55) Charilo istum modum non plus quam öö'es admisit, atque op- 
tativus obliquus, qui dicitur, ter tantum comparet: semel regitur con- 
iunctione &rı cf. 148, 13, semel wg (nostro loco 149, 20), semel va 10,24, 
de quo loco — ceteroquin n doctiesimo S neglecto in P.W. R.E. vol, 
MI p. 2169,63 — frustra dubitabat hr, qui praef. IV coniunctivum 
Hagıtavit. Nil est mutandum, quamquam aliis fere 27 locis lvz cum 
«oniunctivo copulatur. Simili modo semel optativum praetulit X.E. 
384,2, qui quattuor aliis coniunctivum posuit cf. Mann 29. — Ex Luciani 
pn collegit exempla nonnulla Du Mesnil p. 18. — Optativum 
modum apud auclores, qui inde ab Aristotelis temporibus vixerunt, 
magis magisque intercidisse (cf. Schmidt, Jos. 405) et a sermone vol- 
zarı plane repudiatum esse satis constat (cf. supra p. 338, 21 et Rad. 133). 
Neque praetermittam in N. T.! scriptis Tv« nullo loco — in Lucae li- 
bris etiam &r. et oc — cum optativo coniunctum inveniri cf. Bl.-D. 
$ 386,3 p. 218. 

..’) Quam rem brevibus illustrare operae erit pretium, cum multi 
viri doeti in ea offenderint. Eiusdem verborum abundant:iar, quam 
Imprimis Herodotus adhibuit (cf. Grundmann p. 21 et Radermacher 
Goett.Gel. Anz. 1899, p. 718 q.), vestigia existunt apud nlios scriptores 
veteres. E. g. conferas initium lıibelli, qui sub Xenophontis nomine circum- 
fertur: zepl 23 ic 'Adıyaiov nodelac, St nv slAovro Tustov Töv 
Toro zig nodslas odxangıv@ dk 16de 5 Ta09’ EA6pavoı slAovro 
wg nompobg Änsıyov rpdrteıv 7) Toug yprorobe, && päv odv TcüTo 00% 
inzıya. Adde Plat. Gorg. p. 471e '2 yaxdpıs, fntorinüs Ydp ge 
Inyerals EAEYYEeıv, Gonep 0! dv zolg dixaornzrlag Tryoönsvor EA 6 Y- 
ysıv. wa yap äxst ol Erepar obs Erdgoug dexodav EAtyysıv. Pac! 
Herodis locos congessit Drerup p. 39sq. suae editionis. Kunden: : 
amplexi sunt posteriores. Pro multis nonnulla: Dion. Hal. ep 

e. 3 (T66R) ap: 2& “Heodstcy nal Zevogwvens EBo5UuANIN: m 


352 Fr. Zimmermann, 


ad 


aberrare potuit a priore &vayıyvwaxe:v ad alterum? Potuit. Iam 
non mirabimur, quod desunt in codice Th verba dvayıynaxerv 
un ÖSuvanevos dk Ta ödxpua ?”). dnoxiabaag 5 pölıc. Porro 
fac ıam in aliquo codicis Thebani exemplo defuisse illa, ut 
exstiterint haec: xal Ent ncAbv Xpbvov XatelXev dvayıvWareıv 
Npsato: quid est veri similius quam eum, qui deinde attigerit 
illud enuntisti monstrum tantopere claudicans emendare stu- 
duisse? Primum sustulit asyndeton scribendo xattywv:®) pro 
xateixev. Deinde cum xal particula ferri nequiret, enuntiati 
initium mutavit in Er! roAüv ÖL ypövov. Tertium verbo dva- 
Y.vwoxerv’%) obiectum addidit, quo illud vix potest carere. 


nel adıöv dÖnöindıv Eyw, xal ypadar pe tepl adv EBouviyisme 
(Krueger expunxit alterum dßovAy;9ng pro quo Brinkmannus &derjdng scribi 
ıussit. Recte ad codicis lectionem rediit Rad. cf. p. 232,7 ed. Teubner). 
Ex N. T.i scriptis afferam Luc. 18,25 söxonwtspov ydp dor xdunlov &xk 
zpYpnatos Beine sloasAHETv 7 nAobarov slc nv Baardslav zo) IBoü 
siosA%stv. De Arriani locis cf. Grundmann |.l. E Luciani Asino 
nonnulla exscripsit Rohde: „Ueber Lukians Schrift Aobxuog 7 Svog etc.“ 
Lips. 1869 p. 34,3. Praeterea cf. X. E. 330,12 eqq. "Hysw 2& Ttfc 
"Aptänidog änıycrprog dopwi. dnd Nic nölewmg änl 76 Ispdv orddıor d& 
slorv äntk (sic interpungendum puto). Ads: 85 nounsüsv naoag Tag ärı- 
Kwpiovg rapdävoug etc. Et eiuadem p. * 368, 11 sqq.: xal ouvsloa dt 
un TO gap ax ov Savasınov Tv, orsvdEaoa xal daxplanca 'W deucdnevöv 
ps Td P&appaxov' gnolv etc. ubi hr. alterum 1dg. delevit. Quae cum 
ıta sint, et nostro idem concedendum esse negabit nemo. Vituperandus 
est hr., qui talia de suo imuiutavit saepius: * 13,19 legimus in codice 
zelevralog 85 änsxorohbymaosv 6 Karpdov niodtog; iterum expunzit 
hr. verbum ärnsxol. respectu versus 22 änsxoloode. 28,30 Gore #v- 
dedunsvng adbris Saupdlousu rd np6owmrov Yelov npösmrov Edofav 
oda, quem locum multi frustra tentaverunt. *58, 12 nersiyv TG 
TpaxHhAp voü nardög nal kvanpspdusvog adroü TOO TPAXYAOL (Tod xp, 
del. hr. quod probatur Cobeto VIII 2658). * 154, 18 pays — nollıng — 
om’ Avd;oc Avöökov xal Yüap änsivon Tb Yavog &v8okov (hr. del. &vdo- 
Eov. . magis depravatur locus a Nab. 212 sq. cf. etiam 39, 3l sq; 
135, 15—17). 

6?) De illis verbis cf. «upra p. 347,42 nostrae commentationie. 

ss) Reiecit W 240 formam temporis praesentis xatiyov, quae non 
esset Graeca. Tamen respiciendum est » posterioribus tempora haud 
ita prudenter adhibita esse ut a veteribus. Doct. Rad. de ea re pag. 
124 disseruit haec: „Ob man uber gut daran tut, in allen Fällen scharfe 
Differenzen zwischen einem Imperfect, Aorist oder Perfect, einem Con- 
iunctiv, Imperativ oder Infinitiv des Aorist oder Praesens anzunehmen, 
mag nach dem Zustand der Sprache in jener Zeit zweifelhaft erscheinen.“ 
Cui et participium adnumerandum esse consentaneum est. Quid? Num 
recte correxerunt viri critici locos * 37, 28 napayıvonsvn (Abr. hr.); 89,17 
rpooayönsvog (Cob. VIII 261); * 104, 22 ödupönevog (hr.)? Ceterum du- 
bitem, an recta non viderit Hultscu „Die erzählenden Zeitformen“ I 198 
de Polybii I137,9. IV 7,4. XXI1114, 2. 

59, Avaysivvoxı scriptum invenitur, sed talin nimis trita possumus 
mittere. Praeterea cf. W 240, 1. 


De Charitonis codice Thebano, 953 


At melius debuit supplere aurtiv (scil. NV ErtotoAnv) non «D- 
za (scil. T@ yYpäppata), quod vituperavit W 240%), Contextu 
ita decurtato verba Tpkato xal rpWwröv Ye sensu carere vix est - 
quod commemorem. Verum redactor — si modo licet tali no- 
mine uti — adiit epistulam ipsam 145, 15 sqq., e qua stupide 
repetivit totam inscriptionem, ut iam supra p. 347 sqgq. ex- 
posuimus. Quo facto iterum delenda erant verba &rel de 
rAdev eis td 149, 15 sq. “ 

W 239 dubitabat de activi forma dnoxAaucag 149, 14, quae 
exstat sola in codice F. Etsi doctissimus Nab. XXIX, 97 ad- 
notavit activum genus per analogiam satis esse tutum, cui 
accedit, quod dıxit S ın Burs. annal. vol. CVIII (1902) p. 275 
uvot. 2, haud inutile autumo apponere tres locos, in quibus 
formae activi eiusdem verbi eadem inest notio: cf. Herodoti II 
121y tov Av löwvrar dnondlaboovra et eiusdem III 64 Anexiare 
xal Anoxlabsas; nec non Plutarchi. Mor. p. 455 C alte tolc 
nevdoüoıv Eyeceis TOD Anoxlalaaı al Annöbpestat. Ad eius- 
dem generis locos spectat Hesychii glossa p. 198,23 (Schm. 
ed. min.) droxlaiw- xAaiw. Valde vero miror, quod illi viri 
enitici, quibus non contigerat indagare locos mıodo prolatos, 
von attulerunt exempla aliorum verborun a Charitone item 
adbibitorum, e quibus evadit, ut etiam noster saepius activum 
genus loco medii admiserit °'). Ut exemplo utar, legimus 65, 25 
nalEsas tulvuv Doxävönpebva; contra 79, 20 medium comparet, 


“) Eadem neglegentia hic illic noster usus est. 'Traditum est * 99, 25 
"oTAYE da päxpı inpatov, quod hr. formam verbalem referens ad Diony- 
sum et Cbaeream mutavit in ngonAov. Haud recte, ut puto. Nume- 
rus enim singularis pendet ex voce röAspog, quae versu 22 legitur; 
algne verbum rnpofpyscha ad substantivum abstractum referri Po8sse 
Jocet 38, 8 sq. 

*) Eundem usum adamaverunt atticistae cf. SI239,. 11169. 1V 73. 
i19. E sermone communi congeseit exempla Rad. 120, qui idem inspicien- 
dus est in suae Demetrii editionis pag. 90. De A.T. cf. Sex. 29. Aliis 
locie Charitoneia vv. dd. immerito offenderunt: 50, lö % ’Agpodtım 
yapsl (Gasda 26 yapslıaı, nam 5,26 medium comparet!) Iteın res 36 
habet in N. T.* cf. BI.—D. 8 182 p. 310 et $ 101 p. 56, qua re Cob. 
VIII269 non debuit tam insolenter defendere codicis lectionem. 58,21 
Rupuippnge Tö oridos (Gob. VIII 246 nspisppiifaro. Gasda 27 nv 20d7- 
"a pro 7d oıhdog). Etiam apud X. E. * 370,28 tradıtum est Tereppm- 
fa ıdv yırva, ubi hr. fulso edidit medium Cobetum secutus. 120,19 
woodıp &b napmoxsvalstaıı xpövp navıa Ind navıwv, dop al sl; Kvijp 
aspsonsbacs (Cob. VIII 296 sy. postulabat med.). Inde non est quod 
mutemus * 59, 19 xal Gppioav Ent trg adrg Axıiig (hr. oppioavto), quanı- 
guam 19,22. 23,4. 140,24 mediunı invenimus. 


354 Fr. Zimmermann, 


ut apud Plat. Men. 240,B (et cf. S I 300), atque Polybium, 
Plutarchum, Lucisnum, Appianunm simili modo eiusdem verbi 
activum posuisse satis constat. 


149,16 ‘toicge> 
olpor’ pgnoiv “oöxer dvöfl F por “io dvöedl” 00x E- 
40’ Th III 14/15 


De orthographia vocis otppo: cf. Cr. Arch. f. Papk. Ip. 528, 3, 
qui eandem scripturam invenit in titulis, papyris, codicibus, ma- 
xime in scripturae sacrae codice Sinaitico ®?). Vocem pnoiv 
deesse in codice Th nemo mirabitur, qui legerit, quod supra 
pag. 347 de isto loco exposuimus. — Thebani verba, quae per se 
nihil habent offensionis, doctissimus S 1. 1. p. 275°) recte 
interpretatus est verbis „non invenio inscriptum 'marito’.* 
Atque falsus est W 240 putans oöx ExXw depravatum esse ex 
öoxer“ övt.. Adde, quod in Florentino evitati sunt hiatus 
To &vöpt obx et quod numeri aptius cadunt: cöxkt' Avöpi (Al. 


22 2, VIN: 195'e®) quam in codicee Th —-- -- (D1, 4%, 
VIII: 34°), 
149,13 Jod dE Tg Ent- Hıo/#Jero & ig Enı- 

toi 17) dmoAo- OroAfs noög nv d- 

yia F zo4Aoyiav Th Ill 21—23 
Codicis F verba compta esse iam W 244 concessit. De The- 
bani memoria breviter est disputandum. In tradito 170.ET0 
latescere Go[%jero negabat W, qui cogitavit de Noxeto ı. e. 
Eoxero. At Todero legendum esse mıiihi quidem certum est. 
Quid? Verba alodaveotar et Ndeoyxt saepius inter se confun- 
duntur cf. Thes. I 1 p.1059 D, quod nostro loco facillime ac- 
cidere potuit scribae minus diligenti, cum sequatur genetivus. 
Sed alterum est deliberandum: Potestne ZoFets accipi sensu 
‘intellegendi’ vel ‘interpretandi’, quam notionem novimus e 
LXX librorum scriptis et sacrae scripturae uno loco cf. Cremer- 
Koegel, Bibl.-theol. Wörterb.'° Gotha 1915 p. 90%), ut ver- 
tam: „er faßte den Brief als Apologie auf“ ? Utut sese habet 
res, codex F multo praestat. Cummaxime fugit Wilckenium 


; Wi Florentini scriba semper recte exaravit oinor cf. 15, 25. 29, 21. 
ö5, 

e3) Cf. Sap. 11,14 Eu yap Imovaav da <üv ldimv XoldoswWv EÜSSYEtov- 
HEVoDVS abtanc, Lodovro Ton xuolon. 


Bo) rn 


a — u 


De Charitonis codice 'Thebano. 355 


locutionem rpös Thv droloyiav quasi vacillare. Si scriptum 
nvenissemus rtpös drroAoyiav, Thebani verba aliquo modo pos- 
sent defendi*). Sed articulus abhorret a Graecorum dicendi con- 
suetudine. Inde apparet infelicissime Wilckenium utriusque 
memariae contextus in unum confudisse. 


149, 20 
dneönlov yap as Anovva "Ejnio]dı yap ÖrTı dxou- 
adzöv zaralinoı F [oa »xalreiınev 


Th III 26/27 


. Car repudisaremus codicem Th supra pag. 351 exposuimus. 


Verbum üroönlo0v, quod imprimis apud poetas est usitatum 
(cf. 81317), nisi nostro loco in memoria Florentina nor com- 
paret. Recte supplerit W E[rio]d, i. e. Enelodn, quod verbum 
etiam a nostro cum Öt: coniungitur cf. 133,16. Ceteroquin 
putat W 245 pronomen «ötöv®®) in Th omissum esse scribae 
culpa. Quam sententiam nolo refutare, sed dignum videtur, 


_ quod memoretur saepius supprimi obiecta, quae facillime subau- 


= ge - gu - TWERREETEi 


diuntur, cuius usus exemplum statim tractabimus (cf. infra 
pag. 356). Quare Thebani verba, et si minussunt elegantia, tamen 
vacant vitiis. I 
* 149,20 ouTw 
cöTtw xonpöv katıv 6 Ems F2j[dijtpüoeı no]ip6v &o- 
[tv 5 Zpws Th III 27/IV 1 
Codicis Thebani mutilatum versum III 27 doctissimus W supple- 
vit verbis 57) (qua de particula dubitabat) yYüoceı, quem ad 
finem conferri queat *65, 15 Aniotato yap dt pboeı neplepyöv 
Estev 6 Epw;. Potuit aeque bene legi oörw [yap xal xc]üpöv 
&stıv ete., de odtw yap cf. 99,6. Sed talia ut nimis incerta 
in medio relinguenda puto, praesertim cum codicis F lectio 
sit sans. At valde gavisus sum, quod testis est Th articulum 
ab hr. e nostro et illo loco * 65, 15 immerito deletum esse. 
149, 21 xa: dvarel- xal dvani- 
der fadlwg Avrepächze F [9] dr[ölio: avrepkode: 
Th IV 1/2 
Quamquanı verba Thebani cum F congruunt, Jak. 58 ävarnel}eı 
in dvareiterat mutari iubet, quod voce Epw; homines amantes 


“) De praeposi praepositione rgös cf. Rad. Dem. pag. 96 sq. et Charit. 79, 3 
%) Apud w typothetae errore scriptum est aut95. 


356 Fr. Zımmermann, 


significentur. Verum ignorat ille v. d. verbum &vanei}erv saepiu 
ita adhiberi, ut omittatur obiectum, quippe quod e sententia- 
rum conexu facile intellegatur. Sume ad manum Xenophonti 
oeconomicum, in cuius 19,16 legis scriptum xal nepl auAı& 
(av?) dvvalınv dvanelocı ws Enlotaoa: aulelv (i. e. tous Kxod- 
ovtac), cui addas Heliodori 4, 21 xöpn xadforo En! nErpac, 
Autyavdv Te aadog, xal Yeds elvar dvaneldouga (ij. e. Toüg 
!öövrac). Iamı vides nostro loco supponendum esse dv dp&vra 
vel «ördv i. e. Atovborov, qua re acquiescendum erat in codicum 
amborum memoria. Obiter moneo particulae xa! vim inesse 
consecutivam, quae turbavit viros doctos nonnullis nostrae 
fabulae locıs °°). 

Iam accedimus ad alterum palimpsesti caput, quod cum 
a Florentino longius discedat, W in usum suum coegit (cf. 
p. 241, 243). Verum nos considerantes partis modo trac- 


tatae memoriam Florentinam non minus in componendis rebus 


quam in genere dicendi multo praestare circumspectius iu- 
dicabimus de discrepantiis quae sunt hae: 


Cod. F *149, 21—23 God. Th col. IV3—10 
Heasapevog d& TO [Ye]aoapevor St Tö 

nadlov xal nı)dag [r]aıölov 70» narega 

Tais xegoiv [x]Adovra nooonjAder 5 


auırg xai Tlov uoı nd- 
reg’ einer N uNıno; 
anlwuev noög aöın[v]. 


"Anedeboyg TOTE uoı Zu uEv Anelevoat, TE- 
xai 00, TEXVOV', 7005 KYOV, EITUNWG 10 
ınv umiega' xal... 2.1 1 


Videamus primum, quomodo res sint compositae in codice 
F Scena antecedens sententia quadam erat absoluta, quae in- 


ee) Quos breviter perstringere mihi liceut. Cf. 14, 28 xal pövov yjvus 
nv npägıv x @i rov xaıpdv ui napanoAidwpsv. Nab. 200 postulavit tva, quod 
sensu consecutivo aliis locis adhibitum esse non nego (cf. 40,25. 43,7. 
48,5. 97,9. 102,30. 110,30. 114,25. 136,9. qua de re cf. Gasda 20. 
Schmidt, Jos. 420 8. III 81. IV 88.620). 46,31 co Ypcdhaıg nadla dx if 
apyupwviitoy Ka xatmaxuvels cov Töv olxov (Cob. VIIL 264 xarauaxbvav 
flagitat pro xataoyuvsig xai). *68,25 Ti 8 xal H Tpiipng ndiunoev xal 
Bapßapır narexauoav abriv (hr. ag pro tradito «xt, Cob. contra VIII 272 
tvz mavult scribere). Quos locog non esse mutandos Apparet ex eo, 
quod vel veteres eundem usum noverunt (cf. K-G. II 248, 5), 
qui multus est in N.T.i scriptis (ef. Bl.-D. & 442,2 p. 255.) 


Be En A En 


= mu... 


BR 3 


De Charitonis codice Thebano. 357 


erat verbis 149, 20 cötw xodpöv &atıy 5 dpws xal Avaneldeı da- 
ölwc dvrpäachar. Dionysius, qui finem fecerat legendi episto- 
laın, consolatus erat se aliquantulum illo solacio, quod persua- 
sam habebat fore ut Callirhoe gratissimam sui retineret me- 
moriam. At vix filiolum conspexerat, cum iterum angitur prae- 
cipuo quodam dolore. Bene enim meminit illius epistolae 
loci, in quo scripta erant verba (145, 21) x«! nephov aürdv 
(scil. röv uldv) eig Zupaxousas. Inde Dionysii animo tantus dolor 
incutitur, ut illud solum teneat: privari sese vel unico amoris 
pignore quod, quippe a Callirhoa acceptum, carissimum habe- 
bat®”), Quare illud solum meditans ad filiolum, quem manibus 
sustulit: „Etiam tu ®) mihi*, ait, „aliquando ad matrem abibis; 
hoc enim ipsa vult etc.* 

Qui illa legit sine ira et studio, num desiderat a nostro 
narrari, qui factum sit, ut Dionysius filiolum videret 6°)? Cel- 
lam relictam esse a Dionysio ex ipsis verbis facile colligi 
posse contendit Wilamowitz 1. 1. p. 33,1 contradicens W. 
Verum et potest conferri scena, qualem invenimus depictanı 
102, 28 sqgq., in qua infans ille praesto est, dum Dionysius 
soliloquium dicit, quod a nostro nisi verbis 103,2 perakü d£ 
nepıntußanevos Tov vlöv Eileye xAawv non significatum est. 
Accedit quod auctorem in extrema narratione ad finem quasi 
properare videmus (cf. imprimis 149,26 sqq.). Utcunque 
sese habet res: genuina esse verba Florentina non est quod' 
negemus. 

Deinde examinemus quomodo sint compositae res in co- 
dice Th. 

I. Primum inducitur infans verba faciens, quod per se 
fieri non potuisse plane neglegitur; habet enim filiolus non 
plus quam quattuor vel quinque menses °®). 

)E.g. cf. „17, 2 sqq. Avazsivag dE Tüg yelpac sale Töv oüpavdv ‘sl Yap 
Wo, gryov‘ © Zeo xal Bis, Taxrvov öx Kaddıreng TETE HAXRApLWTELOG 
ck Tod naydlou Baaddog.. 

ee), W 243,1 immerito offendit in voce xal (149,23) immo est 
pernecessaria. Praeterea cf., quod supra p. 335 de illa particula disse- 
m. Cuirei nimium tribuit W 241, quem secutus est Nab. XXIX 9%. 

" Sed ponamus illuda Charitone neglectum esse, ut nobir sit putan- 
dam filiolum loqui posse: nonne permirum est. infantem in extrema 


narratione fieri participem rerum gerendarum, quem per totam nar- 
rationem noster fecit agentem partes xwgynÖ ngoowrov. ut ita dicam, 


358 Fr. Zımmermann, 


II. Deinde legentibus nobis mirum videtur, quod ille in- 
fans tam diu a matre segregatus quaerit subito, ubi sit mater °'). 

III. Postremo legimus in Th patrem infanti imperare, ut 
statim ad matrem eat cf. col. IV 9 sq.: Zu piv Ankleugar, 
zexvov, ebtuX@g, cum in F respectis verbis quae insunt epistolae 
(cf. 145, 21) dtav &vnp y&vntaı, accuratius legatur (cf. 149,26 sq.) 
Arelevoy, ToTE por xal ab, TeXvov, Tepog Tv ytepe. 

Utra memoria contineat res aptius compositas, cum vix 
sit quod exponamus, iam ad percensendum dicendi genus n08 
convertamus. 

hr. immerito offendisse in Florentini Yexoapevog??) testis 
est codex Th. Flosculum Homericum rnAag ralg xepolv, quac 
deest in Th, Charitonie esse et W concedit, qui tamen autumat 
scribae culpa illum excidisse, qua de re videas infra p. 359, 75 
nostrae commentationis. At Wilamowitz xal particulam 
verbo rhAxg praecedentem iubet expungi 1. 1.p. 33,1. Quod 
mihi quiden non probatur. Particulis copulativis nec non ad- 
versativis participia non solum variae notionis sed etiam variae 
formae vel apud veteres scriptores inter se posse coniungi 
scimus cf. Kr. 56, 14, 1 et eiusdem adnotationem ad Xenophontis 
anab. I 7,4. Nonnulla exempla maxime notanda congessit 
Rad. 177. Cum etiam noster xai particulam simili licentia 
aliis locis adhibuerit ”®), Florentini verba nihil habere offen- 
sionis nemo negabit. 


ıidque ita ut hominum mores aptius depingi possent? Quid fuerit Chari- 
tonis consilium in inducendo illo infante, dilucidius perspicias, si confe- 
ras locos 40,26 sqq., 41,14 eqq., 44, 6 sqq. 10 sqq., in quibus Callirhoe 
animo turbata vel ad infantem nondum partum verba facit. 

7ı) Hanc et sequenten: offensionem am Wilamowitz protulit 1.1. 

??) Respectu Hom. Il. VI 474 scripserat hr, doracdusvog. Sed 
fugit editorem illi verbo nullo nostrae fabulae loco inesse notionem 
osculandi cf. 8, 26. 61,2. 87,1. 90,7. 118,31. 145.22. 151. 27, 32. 152, 28. 
Addam poetarum versibus nostrum magna cum licentia esse usum, 
qua de re cf. G. Branıbs „Ueber Zitate und Reminiszenzen aus Dichtern 
bei Lucian und einigen späten Schriftstellern‘. Progr. Eichstätt 1888 
pag. 61-63, qui suo iure nonnullis locis hr. refutavit. 

3) Duos locos tractare iuvat, in quibus particulae ««! inest vis 
concessiva, quae vocatur. Traditumn est *9,29 sq. 'ansüg uäv', elxsv, 
9 Xmrpda,»oxudpwniv 00: npäyna uyivbovxal nd BovAönsvog 
sinetv Oxvous’. hr. edidit pyvow R secutus. xal pro xalnsp positum 
est ut apud Xen. Memor. II 3, 19 ddeigw 33 Um övrs xal nord dLsoriits, 
quod doct. Breitenbach recte vertit: „auch wenn sie getrennt sind‘. 
Praeterea cf. Kuehnerum ad |. c. et K.-G. II 85, adn. 8. Interpretor 
locum illum: „obwohl ich sie dir schon lüngst sagen wollte“. Addas 


360 Fr. Zimmermann, 


possumus facere cum Nabero qui ]. c. p. 95 dnsleboy edidi 
Putavit videlicet & cum 9 (sive 7) mutatum esse, quod exen 
plis vellem probasset. Aoristi &releuvodpnv imperativi unicu: 
inveni exemplum apud Veitchium, qui vir doctus affert p. 27 
Hippocratis lucum satis incertum. At noster constans est i 
scribenda forma &reI}e ”?). 

Quibus omnibus perpensis iterum statuendum est codiceı 
F ab omni parte plus valere quam Th. Praeterea mihi video 
demonstrasse gravissimas quas videmus discrepantins deber 
scribae, qui minus diligenter scribens complura omisit verb: 
neque exstare duplicem recensionem. Rem sese ita haber: 
mihi quidem vel ex eo apparet, quod codex Th in jis, qua: 
religua sunt columnae quartae, in universum congruit cum F 
nisi excipias versus 18—20, quorum difficultates simili modo 
explicandae videntur, ut statim exponemus. 


Cod. F 149, 26/27 Cod. Th eol. IV 17— 20 
TaüTz Ei- raüra Ei- 
nuv gu» e meudke- TÜV 770g Eoxeudle- 
to Tv Tayloııv x q- to my taxiormv wel®v) 
raßaiveır eig 'Iovlar »ayav 
nEyra vonllov ra- vonllwv T&- 
panLüutrtov paüdLov 


Florentini verba iam W 249 non sine causa praetulit ’*). 
“At codicis Thebani contextus difficultatibus obstructus est. 
quibus omnibus vix aliquis poterit mederi, praesertim cum 
quod isto loco maxime dolendum, non netatem tulerit ille pa- 
Jlimpsestus, ut denuo queat inspici. Inde hanc rem brevibus 
possumus absolvere. Verum quod doctissimus W de Th lec- 
tionibus sensit.'?) non probo. Etenim cum verba Xataßalveıv eis 


”) Ne restet dubitatio: et infinitivo aoristi &relsono$nı noster se 
abstinuit, quae forma falso legebatur in editione principe 7,25 cf. Cob. 
V.L. 169 et Lob. Phryn. 721. Verum admisit futurum (dx-)sAsüosc$a, 
quod vituperaverunt Phrynichus (37) et Moeris (15) cf. 7,15. 121,32. 
151,10, qua de re cf. Gasda 20. Idem apud Lucianum (S 1281) et Tele- 
tem (Mueller, H. von, de Teletis elocutione. Diss Friburgi '91 p. ®) 
invenis, quibus adnumerandi sunt X.E. (cf. 365,6) A.T. (cf. Sex. p- 
12) Hel.‘(cf. Fritsch I p. 9). 

°°) Zuveoxeuäksto magis quadrare ad nostri stilum recte putat W 
conferens 140, 11. 

2) Disserit doct. W. 1. c. de hoc loco praeter alia haec: „Er (h. e- 
der Schreiber) bietet etwas, das auch für ihn völlig sinnlos gewesen 
sein muß“ Qnod si ita esset, codex Th minimi aestimandus esset. 


re TE A 


| 2 in. —— m 


De Charitonis codice 'Thebano. 361 


. "Iovixv nescio cuius scribae incuria omnino desint in codice Th, 


quod iam in exemplo illius factum esse potest, colligam a scriba 
sequente totum enuntiatunı utpote claudicans mutatum esse ita, 
ut iam non sensu careret. Cuius rei vestigia videntur relu- 
cere e litterarum complexu pe(v) Yayav male corrupto. 
+ 149, 28 xal nölewv njye- al oliv mble- 
hoviav F wv Yyepoviav Th IV 22 q. 

Thebani verba esse genuina iam W 250 et Nab. XXIX 97 
viderunt et doctissimus R, qua fuit scientia linguae Graecae 
dudum de (roAAöv) öxAwv cogitabat. Ceteroquin vocem TOAA@ v 
ante nöAEWwv propter homoiocatarcton facillime excidere po- 
tuisse quis non videt ? | 

7 149,29 olx1josısg F eixövas ThIV 25 

Vox eixövas, quam vides in Th scriptam, multo melior est 
quam lectio Florentina olxnces. Ut enim Callirhoe levatur 
consolatione, quam capit e Chaereae imagine (cf. 26,6. 44,4. 
64, 10. 71,5. 12), ita Dionysius nostro loco sperat se erectum 
iri imaginibus Callirhoes, quas habebat Mileti. Confert doct. 
W 250 locam 60,1, cui addi possunt 64,31 et 154, 21. Sed 
fugit viros doctos omnes dudum D de eixövas cogitavisse, quem 
conferas p. 626 ad 184,20. Ceteroquin clausula Thebana 
rarior est (obstante Heibgesio 82) Kadktpöng elnövag (C 10. 1,8% 
VIII: 17'®) quam Florentina Kadktpöng oixlosıc (A 5. 3,6 % 
VIIL: 41’). | 

Quae reliqua sunt columnae quartae usque ad verba Tjvu- 
ce tdyv (149,31) pertinentis, a F menioria non recedunt. Cum 
W eas solas Thebani partes transscripsisset, quae lectu erant 
paulo faciliores, sequentes quattuor columnae in aversa Charta 
scriptae periere®®). Tamen est notatu dignum contextus illius 
exstineti ambitum eundem fere fuisse ac codicis F, quam rem 
W 245 videtur minoris fecisse.. Immo inde sequitur, ut in 
componendis rebus discrepantiae haud fuerint magnae. 

Quintae columnae initium valde mutilatum est hoc: 


._  *) Ut rem intellegas recte, velim conferas W p. 232. Erant enim 
ıllae paginae pilosae, ut ita dicam, quo factumst, ut atramenti vestigia 
tam essent pallida, ut W venenorum ope non admota — quod peregre 
non potuit facere, ilico enuclearet fere nihil. 


362 Fr. Zimmermann, 


W 246 perspexit coniunctum esse aliquo sententiarum vinculd 
wudpy[vpos®') cum loco 151, 11 (HInsaupdv eüpwv Tıg Xpualou] 
Deinde facio cum Cr.®), qui ex syllaba -nep elicuit particulang 
Sorep. Ä 
Tertium posse addi equidem putaverim: litterae np pars 
mihi videntur esse vocis Yp£px ut possit suppleri versus 23 
&s]- 

rep Hplepe Tadıy. "O Öt] | 

Dativum temporis ptpa taöry, qui rarius adhibetur a nostro 8°) 
quam genetivus (cf. 21,8. 37,1. 82,5. 133, 28), hoc loco alteri 
casui praeferanı respecto versus spati’. Ne putes articulum 
necessarium esse, velim conferas 72,26. 105,29 (vu& Exetvr) 
36,5 (Aswv& pe toorp) 38,32 (MWMxyybvı Tadry). Accedit quod 
verborum dpa taoty numeri apte cadunt (B1. 15,8°/, VIIL: 
130'«*) atque restat, ut moneam locutionem Yp£px Tadry respon- 
dere breviori töte F (cf. 151, 12). Postremo in eodem versu 
exstitisse 6 ö mihi certum est neque facio cum \W coniciente 
ex eo, quod ö2 in codice Th post vocem ‘Ephoxp&trns (V 3) deest, 
evadere, ut illa verba alio modo coniuncta fuerint. Florentina 
lectio est sane nostro usitatior cf. 54, 24. 151,3. 152,19. 153, 4 
quam Thebana, qua Charito semel usus est cf. 57,14. Tamen 


sı) BiAdpy[ugos supplevit W, Occurrit ista vox apud Soph. Pl. 
Xen. Polyb., in N.T' scriptis, apud Plut. Luc. alios. In nostra fabula 
frustra quaeres, 

82) cf. Arch, f. Papyrusf. I p. 529; ille v. d. supplevit sic: 

oöts] 
[Onoav;dv sörwv xXpv] 
[stov Tooourev tig 
uideylupog 2dda @c 
nsp HM 
Sed talia nimis incerta habeo. 

83) Dativus contra 50,20 comparet. Scimus in Graecitate seriorun 
temporum tertium casum magis magisque evanuisse (cf. Rad. 42 eq. 
et saepius), quod item in Charitonem cadit. Duos locos, quibus retinenda 
erat codicis lectio, breviter perstringam. Legitur * 14,1 dövcpa rop}- 
nlov REILaTirtov ouyaporav. nopdpiov fulsum est. cf. 1.G. XI,2, N. 153, 19 
p. 34. (297/19 @. c.), sed accusativo R et hr. immerito substituisse dati- 
vum docet Hdt. IV,6 osuracı 33 slvaı oüvona ZroAötoug, od BaoıAldog 
irwvupinv (quem in locum cf. Stein ad I 14. 13 et S 1137.) Locı 
91, 17. 96,15. 98.9 non obstant. Porru ter comparet nrogäss:: 36,17. 
50,26. 110,19; tamen invenimus scriptum *38, ] &vdu4ıpıßs tolg Xwpiors 
npoypaosıg pn&v AAdors KAdac, Edidit dativum de suo hr., quod facere non 
debuit, cf. Nab. 197. Nec aliter se habet res in * 79,6, quem locun 
alias amplius tractabo. 


De Charitonis codice Thebano. 363 


oolim diiudicare, utrum scribendum sit "Eppoxpa&tng ö& an & 5’ 
Eppoxpztns. De locutione Aöyou xpeittov, quae Thucydidi de- 
betur 8!), dubito an fuerit in palimpsesto (cf. infra pag. 374). 
Ilam Charitonis esse pro certo habeo, quippe quae optime 
quadret ad stilum nostri talia adamıantis. Ceteroquin timeo, 
ne scriba ille parum diligens quartum turbatus sit, quod oöte 
particula ter comparet (cf. supra p. 351 sq. et p. 359). 


Cod. F 151, 15—17 Cod. Th col. V5—11 
xal repıntubt- aa nepıntug- 5 
kEvVoOS nV Huyate- KEvoS TijVv duyate- 
pa eine ‘Zi, TEXvov, pa "Ze, TeEnvov', EiTE, 
- Mxal toüto nenÄdvn- ‘ya! TOOTOo NEenAdvm- 
nau;’ 'Zo, tatep, vür par; 'Z@, natep, elnev, 
And$ag, Örı ce aIndös, dt oe Cavıa vw 
TeFEeagar.” t[eHEoxnar].’ 
Quas discrepantias, cum difficiles sint diiudicatu, singulas per- 
stringam. 


I. Primum invenis in codice Th verbum elre orationi di- 
rectae insertum, cui alterum respondet eine responso immis- 
sum. Verum in codice F illud eiwe ante orationem directam 
est positum, cum hoc alterum omnino non adsit. Cur prae- 
feramus codicem F, statim exponemus. Habemus duos locos in 
nostra fabula, e quibus apparet a Charitone rem ita institutam 
esse, ut brevibus verbis — factis ab hominibus animis pertur- 
batis, quorum alter in alterum incidit — non intercalaret 
verbum dicendi elzev. Legimus 137,20, ubi Chaereas vidit 
Callirboen primum post causamı apud Persarum regem actam, 
verba haec: xal dupörepo: auveßönsav: ‘Kaupen‘, ‘Kardıpon’ 
et nonnullis versibus infra 138, 1 piav pgwvinv dyevres" 'Exw oe 
& Ondos el Kurden 'el AIndas el Xarpkac’. Utroque loco 
verbum dicendi ante orationem directam vides positam. Eius- 
dem verbi numerus pluralis propterea rectus est, quia am- 
borum aniımji eodem modo excitati sunt; quod non cadit in 
Hermocratem. Is enim per totam fabulam fingitur vir, qui 
ne in summo quidem rerum discrimine mente concidat°°). Inde 


ss, Cf. Tihuc. II 50, 1 et Guil. Werner: De Libanii studiis Herodo- 
teis. Diss. Vratisl. 1910. pag. 91. Quae locutio nisi nostro loco apud 
Charitonem non comparet. 

2) Cf. 12,15 sq. 57,30 sqg. 98, 50. 


Pu 


364 Fr. Zimmermann, 


nostro loco iure ac merito numerus comparet singularis. Alte- 
rum vero eirev in codice Th scriptum a nescio quo sciolo ad 
rhetorum rationes additum videtur®®), 

Il. Deinde deest in Th N) ante xai particulum. Florenti- 
nam lectionem iam W 250 defendit comparans 101,28. Eun- 
dem usum novimus e N. T.! scriptis cf. Bl.-D. $ 446 p. 259, 
qui affert Luc. 18,11. Inde falsus erat hr. x«! post 7) expun- 
gens (praeterea cf. D 629 ad 180, 16). 

III. Postremo invenis in Th post ött oe insertam forman 
verbalen: Lavrta. W Thebanum praeferentem nequeo sequi. 
Tum enim ipshm profecto inter vivos esse Callirhoes solum 
interest putri persuadere. ‘ Quod ut efficiat edit verba: Z® 
rarep vov®?) Mnd@g Er: ce TeyEapa.®”). Affirmans igitur patri 
se illum videre Callirhoe sperat fore ut sibi contingat illi 
omnes dubitationes eximere. At participium L@vra, quod su- 
pervacaneum, nisi ad rhetorun rationes nou est addıtum °®°). 

151,17 
Eyelto nerä yapäs FT peldda (Xdalpäs] E5e- 

Xelto Th V 12/18 
Sententiam Wilckenii, qui putat Th praestare, Heibges 82 
fulcire conatus est ex eo, quod Thebani clausula &exeito (B1. 
15,8°/, VIII: 180) Florentini &yxelto per& xapäs (DS. 1%), 
VIII: 13'°) longe superat. Res est eiusmodi: Charito verbunı 
simplex non adhibuit nisi proprio sensu cf. 138, 12 xal olvor 
rat nöpa Tpd TWv Tod@v Exeito, cuius eiusdem generis est locus 


noster. Contra verbo composito 9°) mietaphorice est usus cf. 
89, 28 Ebexeito öt näca Baßurwv Ent tiv YEav et 129, 23 xal 


86) Ut magis fiat res perspicua, illa ad verbum sibi respondentia 
seorsum adscribam: 
"Züs, zexvov,' slne 
‘20, raten,’ sinsr. 
e') ]llud vöv, quod saepius udverbio «Andög additur (cf. 104, 16. 
115,26. 134,31) male omisit Th. 
»), Et conterri potest epistulue locus 145, 22 xal neubov adıöv sic 
Zuprxoboag, [va Kal Töv nAannov Isdoytar. 
°°) Velim iterum compares 138.1, ubi verba äxo os in altero responso 
non invenis repetita et nostrae comm. supra pag. 347. 

%) Quod maxime poetis usitatum cf. Hom. Ap. Rhod. Posidon. 
Athen. (e. g. 2 13 Bi 212 C ü&bexsxuro Tb TAelotov näpog Ts nöAsug) 
Joseph. Synes. hes. III 646 B. — Ceteroquin non ignoro apud 
Platonem legi in symp. 215 E_xal dixpum dEsyslio Drd Twv Adywv 
Toüton. 


De Cüaritonis codice Thebuno. 865 


bxlog Araxtos Eiexelto && Ts noins Boudöpevos Yedsachar 
td ounßeßrxös. Considerantibus nobis in codice F daxpux et 
/apäg, voces sibi contrarias, haud inepte positas legi in initio 
| et ın fine enuntiati, quod iam supra factum esse 149,17 (cf. 
'pag. 349,47) vidimus, minus placebit memoria Thebana. 

‚*151,18 dmexarandeli tols Eos Tpripesev F et Th 


Cum altera memoria cum altera consentiat, iam non erit du- 
_bium, quin hr., dudum vituperatus a Cobeto VIII 302, frustra 

Inseruerit praepositionem odv ante Tais. Accedit quod vel apud 
. Yeieres scriptores idem dativus comparet saepius cf. Kr. 48, 99%). 
; Üt omnem dubitationem tollam, apponam Divdori XVI 68,5 
| Inxatanlsuodvrwv d& xal tuv Kapxndoviwv elxooı Tprnpsatv. 


F 151, 20/21 The. col.V 18 
öLa Lk 
DD unxErı Xapkav Ad Tb un Xatpeav AIIw 
' ml oxoAdleıv Öbve- tv öVvacdhaı SYOAL- 
ı oa: nııyv Kailıeön Lerv AN udvo TG 
ı udvn. KaAkıgöng ovveivaı 
| xdireı. 


| Codices longius distare inter se vides. W, qui 250 Florentini 
; Irx£ttcommendat, ceteras discrepantias ita explicat, ut ampliorem 
| memoriae Thebanae contextum a Florentini scriba in breviorem 
| fürmam contractum esse statuat. Quae res etsi facilis non est 
| dindicatu, tamen Thebanae lectiones mihi.videntur dubiae. Pri- 

num mihi displicet duos infinitivos, per articulum loco sub- 
’ stantivi positos, tam brevi spatio se sequi®). Deinde valde 

dubito, sintne genuina verba pövw tw Kardıpöng avvalvaı 
‚le. Etenim intellegimus, cur noster similem in modum 
‚Idat verborum sono 12,24: Yadbwpev Kaddıpönv Erı xadtv ®). 

At nostro loco talequid non desideratur. Inde illa verba rlıe- 
ı tori attribuam, qui istam glossam adscripsit ad explicandanı 
. Plorentini locutionem brevem: KaAdıpöy nöwy. 


| öl, 9 TAXEWG öE F TAXEWG oö»v Th V 23. 


Ä ) Tamen non praetermittam hic illic & pristinis auctoribus prae- 
| positonem poni cf. Kr. 48, 11,15. 

»2) 40! vidi tales infinitivos sed nusquam alter sequitur alterum. 
| De re ipsa cf. S III82. IV 84. 618. 

»®) Aeque bene dictum est 102,24: }övov tod xKAAoug dpastng Fiv. 


Philologus LXKVIL (N. F. XXXIN, 8]. 24 


366 Fr. Zimmermann, 


Neque hoc neque illud rerum conexu reicitur. Tamen malim 
sequi Th, quod idem fecit W 254. | 

Congruit in sequentibus F cum Th; inde apparet et 
Neberum (VI 262: oxAiux (öporov> 7 & per&) et Schmidtium 
(125: al nv leinwv) Exeivo TO oXAa ToO nera) frustra de 
memoris (151,22 sq. xat Tv Exelvo Td oyfipa td ner&) dubi- 
tavisse. Jam accedamus ad sextam columnam: 


F 151, 26/27 Th eol. VI 6-10 

Tov And Tic Ya- . - » tüv and is $a-] 
Aaoars Tod And Yiis laloong Todg Arnd Yiis] | 
Gonalonevnv x ai aonallopevov, To») | 
ndlıv Eneivov obs GE dnor[üs yüstods]) 
ex Yalidoans Ev rals toı[HoE0ıv ] 


Iterum °°) putat W 246 codicem F nihil continere nisi codi- 
cis Thebani verba in angustum coacta. Verum qui utram- 
que inspexerit memoriam, primo obtutu videbit codicem F 
nostro loco fere tot praebere verba quot Th. Porro equidem 
sentio de Florentini memoria haec: In priore parte enuntiati 
repetita est praepositio And (cf. 151,26 alywvai av Arnd Ts 
Fardaang toüg And yris Aonakonevov). Adde quod locutiones 
av and ig”) Yaldcans (151,26) et tous &x Yarzcang (27) 
sese excipiunt‘). Quas responsiones desideras in codice Th. 
Attamen gaudeo, quod palimpsestus, qui exaravit versu 9 
av] 88 and T[ng yis] testis est, Hercherum falso secutum esse 
R flagitantem £xt in * 151,26 °). Etenim ;atis constat et ad- 
verbia °®) et praepositiones, quibus situs et motns significatur, 


—eonl 


er 


»+) Cf. quae exposuimus supra pag. 365 ad 151, 20 sq. 

»5) Articulum in talibus locutionibus modo poni modo omitti nil refert 
(cf. supra pag. 343.). Doct. S IV 66 congessit exempla huius usus 
ex atticistarum scriptis. Etiam eadem res est in N.T.' libris cf. BL.-D. 
8255 et $ 257,8 p. 148/9. Quare si contuleris Charitonis 29, 11 Ind xak- 
Aoug vel 89,16 Ent xddie. cum 89,3 in! ı$ xardaı; sive 129, 23 && öirg 
cum 130, ] e!ou zöv nuA@v, neque offendes in nostro loco neque curri- 
gendum esse censebia *6, 22: ö undsv Önip yanou nevioag in bntpltoü) 
+.r. quod fecit hr. respectu, ut videtur, loci 46, 1. cf. etiam Buettner- 
Wobst in Berl. phil. W. XII (1892) p. 749. 

») De chiasmo infra erit dieendum cf. pag. 375, 132 huius com- 
ımentationis. 

9”) Decepit editio Hercheriana Wilckenium, qui falso supplevit &ri. 

»®) Quae etsi mittere possumus, tamen liccat brevibus tractare unun: 
locum, qui ad nostrum aliquid facit. Legimus 20,14 #ritw &3 aüradev 
ehpriosiv Rai Yywplncug. Gasda 34 ade} scribi jubet respectis locis 19, 24 
et 86, 30, quod frustra fecit ef. Lob. Phryn. 1U£. Praeterea inepicias 
Sog, 24 et S 11159. | 


“% 


De Charitonis codice Thebano. 367 


valde inter se confundi a scriptoribus posteriorum temporum °?). 
Quorum in societatem nostrum venire eo minus est mirum, 
quod eiusdem licentiae vestigia habemus apud veteres 1%), 
Ut brevis sim: nostro loco praepositionem &rd adhibitam in- 
venis ad vicem praepositionis &ri. Eadem est res 16, 11 roös 
and yis Aprasavrss, quod potest conferri cum Aeliani n.a. 
dpmale. tod; And ylig Eotwrag TAc rAndlov, quem locum debeo 
doct. S III 59. Neque praetermittam 2%!) vel Herodotum 
admisisse VIII, 94 roüg and Tc0 xEintos Atyeıv vade. Nec 
aliter res se habet in locutionis tcüs Er YaAdcang praeposi- 
tione &x, quae loco Ev est posita. Conciliavit sibi eundem usum 
vel Thucydides scribens VI 32,2 Euvenebxgovro 6 za 6 KAdos 
Epercog 08% Täc yYis. Atqueignorat nemo illud Ev. Lucae (cf. 11,13) 
& narıp 6 &E cüpavo0 1%), Quibus omnibus perpensis tales locu- 
tiones nihil habere offensionis nemo negabit. Voces e contra- 
rio sese excipere accuratius apparet ex eis, quae leguntur in 
codice Th. Attamen ut talia rhetoris magis quam Charitonis 
sint, evadit ex eo, quod observavimus supra p. 347 et 364. 
Adde quod rd&Aıv Florentini, quod deest in Th, nostro usitatum 
est (cf. 33, 18. 152, 25). Restat, ut noneamus Thebanam clausu- 
lam taig tpripestv (D 1.4% VIII: 34°) multo rariorem esse, 
quam Florentinam &x Jaldsans (A 1.22,3% VILLE: 1951), 


151,28 sq. ebprpiar te xal Enat- edprplz: [te Xi Error-] 
vor xal ovveuxal nuxvai volı) al eöygafi 
rap dupor&owv npds rep%z] 
aA Aous | aAAT Asus | 


Th VI 11—14 
Ex hoc loco dilucide apparet, quam neglegenter Thiebani vel 
eius exempli scriba depinxerit. Ut vox ruxval per homoio- 
teleuton, ita locutio rap’ Zupotepwv, nostro usitatissima 10), 


”) Cf. S IV 613 Rad. 55. Win. 439. Bl-D. $ 103 p. 63 et 
S 209,2 p. 126 et 8 437 not. pag. 252. j 


1) SIV613n0t.34. Bernh. 20% sqq. Meisterh. 215 no. 19-21. Kr.50,8,13.° 


101) Liceat afferre nonnulla, quae cummaxime debeo D 263 aul 
18, 4 et 631 ad 187,3 ct. Diod. XII 16,5 da 8: xal TAG xpauyNic Tau 
vaupayolvıwv zal ı@v And Yig ovugilouponhnevov (17 apavyt; Wess. Vog.). 
Luc. dial. mort. X 12 (1375 R) @A& psxpl Acywv, el xpauyi, TıG KXoüsın:, 
Horep vv Arnd yic Bowvrwv; X.E. *3539, 22 Bon dE Tüv And is vi 
om al rav dv TZ vn cuppuyYg queim locum br. immerito immutavit. 

103) Affert doct. Sex. 63 ex A. T. 90, 30 co! 3: &% Tg &ror.xifog, 

1032) 18 locorum, quibus illam locutionem vidi, imprimis conferendi 
sunt hı: 23, 13. 44, 19. 152, 25. 


24” 


I nn nn Ma eh le an 1 ba en Le nn a Et EB ern Bel ey aan FT 0 


368 Fr. Zimmermann, 


similitudine litterarum IIAPAM et IIPOSAAA excidere potuit. 
Compositum ovveuya: nisi apud nostrum 2%!) comparet apud 
nullum, quantum scio, scriptorem (cf. Thes. VII p. 1362 A.). 
Verum illi scribae compositum plane insolitum fuisse equidem 
putaverim 19°). | 


151, 29 ine Ö& Ime O[E we-] 
| | ra&iv geoduerols] 

y.ai 6 Xatpeou rarip F nal 6 Xorpkou nar[np] 

Th VI 13/15 


Recepit W 246 Thebani verba petafu Yepöpevos. Qui vir d. 
cum suam sententiam argumentis non confirmaverit, nostrum 
est utriusque codicis lectionem accuratius examinare. Res est 
eiusmodi: Aristoni Charito fere nullas tribuit partes 1%). 
Narrat illum de scala delabi 7,21, inde a quo loco fingitur 
esse vir ad aegrotandum proclivis. Atque cum Callirhoe 
sepeliretur utpote mortua, ille tanto morbo affectus est, ut ipse 
ambulare nequiret, immo a servis portari debebat cf. 13,12 
Epkpero && xal "Aplaryqv Er voaav. E codice Thebano disci- 
mus invalidum illum senem morbo nondum esse defunctum, 
quod optime conspirare cum totius operis compositione nemo, 
autumo, est qui neget. Consulto enim Aristonis imbecillitas 
opponitur vigori Hermocratis. 

7 151,30 &rnexAdovro F Erexvilovro Th VI 18. 


Iterum Thebanus superat Florentinum, cuius lectionem esse 
pravam omnes intellexere 1”). Verbum £ntxuXiesdat, quod 


104) Praeterea occurit 107, 26. Eodem sensu a nostro adhibetur 
simplex söyal cf. 58,8. 99,15. 146, 25. 156, 17. In transcursu ınoneo 
falsum esse W 246,1, qui xal ovvsuyal item scribere mavult 58, 8 pro 
xx) söyal putans vocalium concursum tollendum esse. At noster non 
tam anxie hiatum evitavit, ut illum non admitteret post particulam 
xal (cf. S. 158). Ceteroquin hiatus 148, 24 dinyyYjoato ayrh item inve- 
nitur in Th 113. 

105) Geteroquin fieri potuit, ut praepositio ovv —, quippe siglo quodam 
notata, effugeret librarium. Quae res statuenda est in + 72,28, ubi in 
codice F legitur &nayöpnevog, quod sane minus elegans quam payri 
Fayüm 1 col. 1I 12 ouvanayöpsvog. Compositum e Xenophontis Cyrop. 
VIII 23,3 et Hell. V 1, 23 notum saepius in N. I. i scriptis occurrit cf. 
Thes. VII p. 1221 A. Charitonem igitur, qui Xenophontis verba multa 
recepit atque composita cum ovv-praepositione ficta amarvit (cf. 71, 27. 
74, 10, 123, 20) ovvarayöpevog scripsisse mihi quidem certum est. 

06) Loco 3, 17 eundem commemoratum invenis sed modo propterea, 
quod pater est Chaereae. 

107) Reiskii änsxeAsbovro probatum est ab H et hr. 


De Charitonis codice Thebano. 369 


demum novinıus e scriptis auctorum temporum posteriorum !99), 
hoc loco adhibetur de iuvenibus Chaeream appetentibus, ut 
quam celerrime salutent. Talem superlationem ad Charitonis 
stlum quadrare iam supra pag. 347 vidimus. Restat, ut 
moneamus a doctissimo D 631 ad 187,6 praeter 
alia idem ErnexuAtoytro propositum esse. 
Priusquam accedimus ad reficiendam colunınam sextam 
extremam, quam rem confici posse non diffidinnus, nostrum est 


‚eımendare codicis F lectionem T 152,1 Eöofe c& Ertt wal zö- 


talgc KaAAıpönv yeyov&var, quam claudicare negabit ne- 
mo. Primum pro xx! scribendum esse xxAAlwv doct. R vidit !®), 
cuius coniectura valde fit probabilis ex eis, quae agnovit W 
in cod. Th. col. VI 25. Deinde rectum esse Hercherum corri- 
gentem aütais in Sauris probabile fit enuntiato consecutivo 
Sorte AAndws eines dv. Etsi comparativus cum genetivo pro- 
nominis reflexivia nostro semel tantum copulatus est (cf. 94, 28), 
tamen idem et nostro loco rectun esse puto: adamant enim 
istam constructionem atticistae cf. S I 92. Il 45. IIL 60. IV 61. 
613110), Postremo doct. Wilamowitz 1. c. 33,1 Kaddıpönv dit- 
tographiam !!!) expungendam commendavit respectu 151, 321'?), 
cui adstipulor. Inde mihi certum est e F codicis verbis cor- 
ruptis elicienda esse genuina haec: &do&es St Er.) xa)- 
ktuy Eautig Yeyovlvar 
Thebanı contra versus W edidit sie (cf. col. VI23—27):: 


Eöo]- 
cev 6: os [AKAn)[Ios &rı] 
xarrelwv Pe . .] 25 


vnvenv (?) Tavabns]: 
nevnv [&x fs Hardo]- 
ons 


es ef. Pol. III 53, 4. Diod. XIX 19,6. Plut. Mor. 831 E (Thes. II 
1% D). 

ı#) Neglexit hr. in adnotatione critica «aAXiov Reiskio deberi, codi- 
cem ‚contra xal praebere cf. ed. Par. 500, 27. 

ue), W contra ee codicis lectionem defendendam putabat confırens 

4. T. 169, 13. Sed 1. l. e sententiarum conexu facillime suppictur: 
„qaam pridie* vel talequid. Inde ille locus ad nostrum nil vnalet. 

11) De eodem vitio supra pag. 343 dietum est. 

112) Doct. R. nominativum malit scribere. 

Quam particulam exstingui iussit Cob. VIII 302. 


370 Fr. Zimmermann, 


Litterarum seriem vyvrnv dubiam esse indicat editor ipse. 
At minutissima mutatione scribentes Armv nv facile agnovi- 
mus partem vocis 'Aypoöitv, quae optime quadrat ad loci 
sententiam. Ante nomen proprium praepositione Üntp inserta 
mutilatus versus 25 sat est suppletus atque apte emendatus; 
inde non dubito quin olim columnae finis fuerit hic: 


Eöo- | 
ev ÖE 5 [A]Ar[Ho5 Ere] 16 litt. 
>» %adelwv [ürtp "Aypo]- 16 „ 
öltnv tiv [avaduo]- 14. % 
nevnv [Ex Ti Yarzo]- 15 „ 


ans 

Nostris supplementis comparatio significantius exprimitur 
quam eis, quae proposuit Cr., qui et altera de causa non est 
laudandus !!%). Duo sunt notatu digna, quae de genere dicendi 
addam: Praepositionen drtp cum comparativo copulari, quae 
constructio, spreta a nostro 115), genitivo comparativo substi- 
tuitur, scimus e N. T! scriptis (cf. Bl.-D. $ 185,3 p. 110 sq.) 
Deinde de locutione ’Agpoöitmv iv Avaöuopevrjv moneo: saepius 
fieri, ut verba loco attributi posita, quae ipsa praedita sunt 
articulo, nomen sequantur articulo carens. Cuius rei exempla 
congesserunt S IIl 63. IV 67 et Sex. 25. E nostra fabula 
afferam hacc: 32,2 sy. avip 6 ne@rog tig Iwviag. 47,17 uföv 
Euxutod ev "Eppoxpdrous Exyovov. 78,9 Tpripn, THv xaAlv THv 
orparıynıjv TIv Tod marpöc. 118, 1 Eopa Ta aa)dıora. Simi- 
liter est dictum &0o t& nporpentxwrata 125, 6 ''°). 

Janı comparemus emendatuın utrungue codicem. 
11) Cf. Arch. f. Papyrusf. 1 529 n. 22. 
y.xrrelwv [xal unip &xei]- 
nv tv [2vx200]- 
KEVYV... 
yuae versus spatium excedunt nimis, quod idem cadit in W 247, cuius 
sententiam nequeo probare, nam numerus litterarum columnae VI ita 
variat, ut neque plus 17 neque minus 13 contineat. At columnae 
V1I/VIU ad nostram nil attinent cf. W. 229. 

15) Cum illa constructione affinitate quadam coniunctus est usus 
metaphoricus praepositionis br£p c, acc. copulatae, quod admisit Charito 
cf. e..g. 11, 30 ür3p änzvıng Eöynoxcisonv et 36, 29. 70,28. 74, 12, qua 
de re cf. Kr. 68, 29,2. S IV 46, 7. i 

116) Of. Mueller, praef. ad Galeni script. min. vol. II. p. LXXVI. 


De Charitonis codice Thebano. 371 


F emendatus 152, 1—3 Th emendatus VI 23—28 


Eöo- Eöo- 
be dE Er: xai)lwv ev 6E ws dAnBwg Er: 
E&avris yeyov8vaı Karo v 
G01E dAndOz; el- 
res &v aUTNV Ögär dnetg ’Agos- 
mv "Agpokitnv avaduo- öltıv TIv dvaduo- 
new 8% N; Yalzds- pevnv Ex Tic Ya)do- 
m; ang 


Codicis F verba in codice Th in summarium vides coacta !!7), 
quod qua causa factum sit, vix cuiquam contingat enucleare. 
Ne quis dubitet de Florentini tv ’Aypoöttyv dvadvoneviv, af- 
firmem talia attributa carere posse articulo, cuius rei exermpla 
invenis apud S IV 66. E nostra fabula cf. 99, 23 7% &%).ov 
Bleröpevov 119). | 
t 152,5 rapaazßere !pı; Fraparaj[B era!) y3,0i» Th VII2/3. 

Hanc discrepantiam, quae non minus minuta est quam 
difficilis diiudicatu, in medio reliquit W. De verbi zyaiv sive 
€77), orationi directae intercalatae usu statui haec: Comparet 
forma pnsl, qua noster multo saepius utitur, 114“ post vo- 
ealeın, 16'°° post consonam ; Epn contra 17° post consonanı, 
ter post vocalem !?°), Verum post eas verborun formas, 
quarum ultima littera potest elidi, si excipias locum nostrum, 
nnsquam comparet forma Epr, 1?1). Itaque Thebani lectio mihi 
magis arridet. 
+152,6 dpyüp:ov xe! Apyupöv re xai 

Xpvadv Avapiduntov F ypvodv Avapiduntev Th VII 7/8 


12) Florentini verba e Charitonis fluxisse calamo vix est quod 
commemorem cf. 35, 16. 92, 5. 105, 27. 

118) Inde sequitur, ut falsus fuerit hr. articulum inserens de »uo 
712,17 0: yüp xöveg YuAdogovres, quod dudum vituperavit Cob. 238. 
Accedit quod e Pap. Fay. 121 elicienda est eiusdem Cobeti coniectura 
bidosoveg, quam commendem respecto loco 111, 27. Be 

11%) Idem vitium vides col. IV 15 ubi xawy (i. e. xsvi). Legitur in 
papyri, quae est de Partlienopa et Metiocho, lin. 9: valog (1. e. väog) 
et in Dictya. pap. 3 zaudlov (i. e. nedlov). 90 östata (pro öotda). Praeteren 
cf. Mays. 107. Witkowski, ep. priv. graec. ® p. 144. Contrarium vitium 
supra pag. 348, 45 commemoravimus. 

10) Qui loci sunt hi: 122, 28 post äyo. 142,11 post wi. 14, 27 
post zaöcaı (in pausa); quibus adnumerandi sunt loci tres, quibus vo- 
cales possunt elidi cf. 24, 9 et 36, 19: d& et 110, 30: ye. 

a) E. g. cf. 14.30. 66. 17. 73, 12, 17. 101, 26. 108, 8. 132, 5. 


Pa 


372 Fr. Zimmermann, 


däpyupov iam hr. pro Florentini d4pyöpiov suo iure edidit. 
Exemplis ab illo praef. p. XV prolatis addam 14,30 et 15,18. 
At utrum te x«@! an xal Charito scripserit, vix queat certo 
diiudicari, cum hoc (cf. 14,30 et 21,1) non minus quam illud 
(cf. 13,16 et 15, 18) apud nostrum occurrat. Considerantibus 
verum nobis jam 148, 26 (cf. supra pag. 337) Thebanam memo- 


riam in eadem re praestare iterum t& xa! magis placet. 
Maiores sunt discrepantiae in sequentibus. 


F 152, 7—10 Th eol. VII 9—18 
elta ElEyavıa “al ElEyavra 
nal TIAERTPOV xai nal TAeRTpoV Aut 
EodNiTa xal TRoxv Ede xal näcav 
Öilngteyvngstenoiuttie:- nAodrovnoAvteilen)- 
av&tne£öcıde Zup- av, Entdeliaı 6& Zv- 
paxouaglorg Aal aALvnv [pa]xooloıs aa! xAelvn(v) 
anal ıpaneLav TO peE- [xal]tpanelzv 700 pe- 
yalov BaoılEws [va]Aou Bajaıisog x ai 

| [elövodxgovszeinad- 


Worte... [Alaxzidag, votre... 

Iterum in codice Th invenis subordinationem positam ad 
vicem coordinationis Florentinae. Quod non fortuna sed con- 
sulto factum esse nemo negabit neque est quod de ea re verba 
faciamus, cum supra pag. 341 demonstraverimus structuram 
Herodoteam fluxisse e Charitonis calamo: Hoc dico nostro loco 
verbum finitum consilio atque ratione positum videri, quo raris 
rebus atque admirabilibus, quas Chaereas ex Asia reportarvit, 
plus ponderis accederet. elt& particulam recte tutatus est W 
p. 247, quod idem vitium Thebani in col. II 6 (149, 11) supra 
statuendun erat !*?). At vituperat W collocationem verborun 
nAlvnv al tpaneLav tod neyalouv Baoıktwg. Immo illis ipsis 
nultum tribuitur a nostro. Significant enim vegis Persarum 
res, quas Chaereas victor spolia rettulit. Inde illa verba op- 
time claudunt agmen. Unicam vocem rAoötov in Th sub- 
stitutam esse verbis ÖArg TEXvng Te noAuteleıay mittere pos- 
sumus, nam W recte de ea re iudicarit (cf. p. 247 sq. \*). 


ı22) Of. etiam 17,18 sq. dxsisuosv — Gnoorüvar — elıa BovAnv 
npoödnxe. Ceteroquin non est quod commemorem 2: particulam ad 
Florentini verba non quadrare. 

123) Cf. etiam D 632 ad 187, 14. 


.- 
mit. ein EREE_ | m mails en mn u 


FE PR m. = 


De Charitonis codice Thebano. 373 


Sed utrum verba xal ebvobxoug “al naddaxlöag e Th sint reci- 
pienda, quaestio est. W, qui Th praefert, confert locum 121, 23. 
Verum hoc velim consideres: Illic nobis narrat auctor, quanta 
impedimenta et quot calones rex Persarum eiusque centuriones 
secum solant agere, cum ad bellum proficiscantur, atque enu- 
merat praeter alios 121, 22 sq.: xal eüvooxoug Kal naAAanlöac 
xal xüvac nal Tpantlas Rai rAobrov TOAUTEAT| al TpUpTV. 
Atque 1. c. noster nibil agit, nisi ut nobis ante oculos ponat, 
quantopere effeminati sint Persarum mores, quanta fuerit aulae 
regiae Juxuria. Ibi igitur edvcöxo: xal nardaxlles recte se 
babent. Nostro vero loco res alium in modum sunt compositae. 
Enumerantur opes Maguni Regis, quas spolia rettulit Chaereas. 
Quas postquam Charito quasi cumulavit praedicans lectum 
atque mensanı Magni Regis !?*), num profecto addidit eunuchos 
et concubinas? Immo illi iure ac merito non sunt commemo- 
rati in codice F, quia ablıorrent a totius loci sententia 129), 
Quare suspicer interpolatori illa verba deberi. 

Postremo tangamıus subdifficilem quaestionem ortliographi- 
cam. In codice F modo Zuppaxcüsıog modo Zupaxobotog legitur, 
cum in codice Th VII 13/14 Zu[pa]xoofors viderit W. E titulis, 
quos collegi, evadit, ut usque ad annum a. C. n. fere 180 sola 
forma Zupaxöaros exstiterit!?%). At cv diphthongus in illis 
hucusque non est deprehensa, nec aliter se habet res in num- 
wis 12°), Htsi e codieibus posteriorum nihil certum potest col- 
ligi (cf. Cr. 94, 4), tamen probabile fecit Cr. ]. c. formam 
Supaxobs:og ad Byzantinorum vergere studia ex eo, quod Epi- 
curei ad lapidum normam scripserunt; quorum in societatem 
cum codex Th veniat, mihi quidem iam non dubium est, quin 
brerior forma Charitonis sit 129). 

152,15 sq. xal ldeiv xai aroücaı F zwar BAETEıV 
xat &robey Tl VIII 1/2 


'st) Locutionem tcö nsyadou Baatliwg non Bao.rdwg (cf. supra pag. 342) 
consulto bis poni (cf. 152, 5 et 9) manifestum. 

’26) Adde quod @ote in codice P bene sequitur en,adquae estreferendun:. 

20) Cf. Ur. 94,4 Head. Hist. num. ?p. 184—187. 

ı7)H atticam fornam suo Marte ediderat, hr. contra Zupaxobaog 
defendendum putavit ; Heibgesium vero, qui clausularum respectu By- 
zantiınorum formam genuinam habebat, Inudabit nemo. 

128) Of. SIG. 84, 3 (= 479*); 163, 36 (368/7*); 427,3 (270°); 428, 1 
(post ıned. saec. III“); 492, 15 (= 232 *); 629, 29 (182°); SIG * 588, 74 
= ca. 180°), quibus adde IG XII 5, 1 444 p. 109 M.P. epoch. CXII. 


574 Fr. Zimmermann, 


Cum W 254, cur Thebani tenıpora praesentia praeferret, 
nusquam exposuerit, nostrum est rem brevibus tractare. Posteri- 
ores scriptores scimus variis temporibus non ea diligentia uti 
qua veteres. Atque in lingus volgari aoristi modi magis 
magisque praesentis superaverunt 1?°). Quod idem in Charito- 
nem cadit. Verum hr. nostri verborum contextum ad atticorum 
rationes immutans saepius falso induxit praesentis modos 13°). 
Sequitur, ut Florentina memoria genuinam servaverit lectionen:. 


F 152, 16—17 Th col. VII 2-6 
Aöoyov ÖL FJärror E- eni ö8 E- 
rinpwdn 76 Yeatpsv [MIngwsr, T6 HEa]tpov 
Avöpiny TE Xu YUVALKDV. [2vöpav te xal yuvaraü(v) 
EIGE)FöVTOS NÖ E övou eifo]eAYövros pövou 
Karpkov.... [Xarjpeov ... 


En tertium comparet in codice Th subordinatio a W 2483 
immerito iterum laudata, qua dere conferas, quod p.341 et p. 372 
dietum est. Sat est affirmare öt particula enuntiata inter se 
centies conexa inveniri apud nostrum e g. cf. 152, 1.4. 
Praeterea deest in codice Th locutio Aöyov Yärrov, quae certo 
Charitonis est cf. 49,31. 130,3. 

152, 18 näocat xail TAVTeS 
ya navres Eneßönoav F za n&car Eneßonoav 

Th VII 6—7 


W, qui 248 dubitat de x«i particula iterata, collocationem 
verborum Thebanam laudat. Immo illa repetitio per se nil 
habet offensionis, quod potuit ille v. d. intellegere e praece- 
dente xat löeiv xal dxoücar, cui loco addas 66, 6. 93,29. 136,5. 
144, 19. 156, 61°). Verum cum brevi ante legamus dvöpwv 


1:6) Cf. Rad. 123, qui disserit haec: „Die letzte Konsequenz aber, 
die keinem Beobachter entgehen kann, ist doch die, daß die Modi des 
Aorists in der Volkssprache über die des Praesens die Oberhand ge- 
wınnen.“ 

ıs0) E.g. cf. * 16, 32 &reloa (hr. arıelon) * 53, 23 Aystvar (hr. ayısvar). 
Cob. VIII 265 corrigi iubet &xdcn&vnv 48, 30 in Exddonsvnv; non debebat 
offendere! Obiter moneo in loco f 72, 29 codicis BxotdLwv reici forma 
aorieti Bxor@cag quam legimus in Pap. Fay. T col. II 14; quo tempore 
probato numeri aptius cadunt cf. Heibg. 81. Praeter locum infra 
pag. 375. tractandum cf. 11, 22. 17, 19. 93, 5. 50, 8. 51, 7. 

151) Praeterea cf. Bl,-D. $ 444,3 p. 257. Idem vidi in Nini fab. 
A II 12 aytypar xat alg Tıv onv öhıv nal als tag nepıBoids. Neque est cur 
offendamus in Charitonis 119, 24 3q. xal, 60x einig 84 ingsicrnitp no)änp, 


. 


nn Zn nö nn uns > 0 u Mac iu 02 a Ü ln 2 2 a N u a id 


+ ME. Tu“ 
2 


De Charitonis codice Thebano. 375 


te xal yuvambv, duplici particula vix videtur esse opus. 
Etiam de verborum collocatione aliter sentio ac W. Velim 
consideres ut viros Chaereae ita feminas maximo ardere 
Callirhoes studio. Atque quod Chaereas solus intrat in con- 
tionem cummaxime feminae indignantur. Inde illas priore 
loco esse commemoratas milhi placet. Accedit alterum, quod 
plus valet. Praebet chiasmum verborum collocatio Florentina 


ea 


._. en 
avöp@v TE 40} Yuvamldv — TARA. al Trävtes, quem fortuna 


— — 


——_ i__. oo 


factum vix equidem crediderim. Adamat noster illam figuram !??), 
Minoris momenti est hiatum evitatum esse in F, quem prae- 
bent verba Th räoaı Eneßönoav. 


7 152,20 eiodyov xai tiv e:aayayaor mv Yuya- 
Yuyartpa F tepa Th VIII 11 


Charitonem aoristi modos in deliciis habere modo vidimus 
(cf. pag. 374) atque cum nostro loco comparari potest 93,12 
zoßndels atpviötov eisayayelv eis ötxacınprov. Sed certius habe- 
mus argumentum, puto, e quo evadit, ut Thebana lectio 
superior sit. Quid enim x«i particula ante tiv Yuyattpax posita 
sibi velit, equidem non intellego. les est eiusmodi: Laudat 
noster Hermocratem, qui etiam id gratum facit populo !??), 
quod filiam inducit in theatrum. Quod satis significatum 
esse particula x@! ante toöto collocata mihi persuasi 1°). Inde 
supervacaneum est alterum xx; neque abhorret a Charitonis 
usu numeros adhibendi (cf. Heibg. 22) nova lectione accepta 


u 


choriambuın praecedere ditrochaeo eioayayiv iv Yuyaripa. 
+ 152,21 eis tov oüpavsv anoß%ebag F et Th VIIL14 


xai &)Eysro aa: äyivsro (Cob. VILI 296) aut 142, 11 xai Irarsızav Ayers eig 
Nugranstong aal “Podoyobvnv wnv Kadyv; (Nab. 211). 

132) Gf, supra p. 366 et locos hos: 43, 29 : nlorıv yuvarxag — pntpös 
zrkoorapriav. 50, 51 söpe Tobs Aldlous Kaxıynp&voug Kal pavspav Tyv alaobov. 
&2, 31 mov nap& Zrarerpov nv yuvalza tig Baoı)iwg rmv Svöokoratwv Ilspawv 
ai yuvalxec. 94, 27 axpoarat ing dung — Koddıpöng Yexral. 9Y, 15 MiöIpbarz 
suwsxaupov, auveluronvo Arovualo. 115. 27 &x ch Tayoun iv EENAHOY, 00x 
aEdcer d& pe &vreödev... 115, 31 dk 0% elg Baßuröva Xdnv — Tapscımv 
Erxaotnptw. 155, 13 du: && Liv 00x Enioteuev, önioreuos dE Miygıdaınv erıßou- 
Asdeiv... Idem oyfjpa, Luciano misso cf. ST 419, occurrit apud atticistas 
ef. S 164. 11284. IIL 315. 1V 520. 

135) Gui petenti idem nil denegat of. 5,9. 

184) De xal particula cf. 98, 29 xx zodto uay03 markyav elg 5y4Kov 
arrotziay yarzlya, ubi non scriptum est xt Kdoraiau yavalzz ! 


376 Fr. Zimmermann, 


Etsi alter codex cum altero consentit, tamen est quod 
faciamus cum hr, qui aroßAl&has in dvaßAliba; correxit, cui 
item W 254 adstipulatur. Nunquam aliter quam sic in ea re 
Graeci videntur esse locuti. Quae inveni exempla sunt haec: 
Xen. Cyrop. VI 4,9. [Plat.] Axioch. p. 370°. Ev. Matth. XIV 19 
Marc. V141 VII 34. Et ipse Charito p. 51,13 scripsit verba 
Xarpkag dt avaßdeıbag eig Töv oöpayöv. Verum dignum est, quod 
memoretur utrique codici inesse idem vitium. 

152, 23 7) Tg av Enıviniov FO N r@v Ennvexiov Th VIII 20 

Articulum tig scribae negligentia omissam esse in Th recte 


vidt W 250 comparans locum 5,19 ıam a D 634 ad 188.6 


citatum 135), 
152, 23 Eoxikorrto F eoytGeto Th VIII 20 


Praefert W 251 Thebani numerum singularen, qui re- 
ferendus est ad d önoc cf. 152,20. Qui v. d., ut conciliet 


suae sententiae probabilitatem, comparat locos 91,3 et 105, 6. 
Attamen vehementer errat! Talis enim constructio ad sensum 
quae vocatur attica Labebatur cf. Moer. p. 2, neque solum 
atticistae (cf. SIT 101 sq. 248. 11 65. III 93. IV 102), sed om- 
nes fere posteriores illamı adhibuere !?°). Inde iam non erit 
mirum Oharitonem idem adamasse. Ut exemplis utar, cf. 57, 13 


Eu 68 Ts BouiNig Dneornoav Eirerovral TO mielotov pEpog et 
brevi post lin. *20 p£ya pEpos tob nmAndoug Enmaoloudnsev 
(ubi br. imımerito induxit numerum singularem cf. D 380 ad 


«70, 3). 69, 5 Ewpa Ayotnprov Bapßapwv nüp Enptpovras (cf. D415 


ad 84,3). 75,16 äxpdyeoav ZAog Addore. 91,13 Td BE nAndos 
taig oinelaıg piovobanı iv GEvnv elöoxıpfoa auvebyovro. Est 


igitur statuendum atticanı structuram, quae eadem Charitonis 
est, sublatam esse in codice Thebano. 
152,23 et 25 note ney — ÖrTE nor pev — nor dt 
ö: F Th VII 19 et 28 
Adverbia correlativa notE p&v — rotTE d& sive ötTt piv — 
ort 6& flagitabat R, quem W 226 secutus Thebani lectionen 
commendabat. Sed intricatiorem esse diudicatu istanı discre- 


135) Obiter moneo simile vitium exstare in codice F p. } 32,4 ubi 
0. P. 1019 col. I1 34, eq. recte exaravit Gornsp 6 &v ıQ opyjvar TÜv pelLoohv. 

‚'se) De X. E. conferendus est Loc. 139 ad 9, 1; praeterea Seiler ad 
Alciphr. 111 72, 2 p. 385. Vidi in papyri, quae est de Herpyllide, v. 13 
Eydtepog änßavreg. 


|| ii: ni in 


t 


De Charitonis codice Thebano. 377 


pantiam apparet ex eo, quod vel hr, ad coniecturas et facien- 
das et recipiendas maxime propensus editor, remisit!2”) quae 
proposuit R. Ut intellegas, quam sit res ambigua, liceat 
mihi nonnulla adscribere. Verbis not (ı&v apud veteres cum- 
maxime respondere rot& && notumst (cf. Thes. VI p. 1529, B); 
culus usus exempla occurrunt etiam apud posteriores (cf. Dion. 
Hal. de Thuc. 15,1 (845 R). Barnab. X 7 (cf. Bl.-D. 8 436 
p. 252). Long. 261, 27. 273, 31). Porro scimus locutionem 
ött p&y — 6rt Ö& adamari a scriptoribus, qui inde ab Ari- 
stotelis vixere temporibus (cf. S IV 367. Thes, V p. 2327 D \#2)). 
At velim inspicias Apoll. Rhod. Arg. III 1022 sq., ubi invenis 
scriptum dupw ö'&AXore Ev Te xaT’ oüöeog öppar’ Epeidov | 
alöönevor, örTE Ö aürıc Ent aplar BaAdov Öönwrds; et locum 
Polyb. VI 20, 8 ubi leguntur haec: todto Ö’&arlv ötT& ev 
els Exaotov orparönedov neLo: Terpaxıcyldoı xal Sraxbaroı, TOTE 
5: nevranıoyxldcor, Erneröitv pellwv tig aütolg rpopalvntar Alvöu- 
vog 13°), Verum omnes locutiones eiusdem generis, cummaxime 
apud posteriores, quası vacillare vides!#%). Inde per se vix 
est, quod offendamus in Florentini verbis. Tamen cum Flo- 
rentini cod. auctoritas non sit tanta, ut habeamus, quod cre- 
damus illi nostro loco non irrepsisse vitium, diiudicare nolo, 
utra lectio vera sit. 


152,26 HöLo» nv Nöroro» Yv Th VII 26 
Narrat nobis Charito rem sese habere modo ita, ut viri Chae- 
ream, Callirhoen feminae summis efferant laudibus, modo ıta, - 
ut uterque simul celebretur ab omnibus. Hoc magis placet 
coniugibus. Sequitur, ut locutio Nö:ov iv eandem fere habeat 


ıT) Hr. fortasse respexit D 634 ad 188, 6 monentem nihil mutari 
praestare. 

150, Addam Barnab. I14. 5. Simpliciter poni 612 32, cui non ante- 
cesserit ö13 n&v, in Xen. Cyrop. V 8, 20, Luc. dial. deor. V 2 (1 214 R), 
aliis adnatat S I 305. 

19) Quo loco rot potuit poni, ut hiatus evitaretur. 

146) Similis licentia inesse videtur loco * 14, 16 ubi traditum est 
eb>s da &vloug päv dv ropvslorg, olg da dv xanıyıelorg ubi todg d' H et hr, qui 
idem de ävioug 83 cogitabat cf. praef. p. IV. Scimus vel veteres sibi conces- 
sisse dc dv — dc 88 cf. K.-G. II 228, 4°, quem usum etsi apud nostrum 
non invenis, tamen saepius deprehendia apud alioe posteriores (cf. Rad. 62. 
Bl.-D. $ 250 p. 145). E.g. of. X. E. 364, 6. Quid vero, quod legitur in 
Actis 17, 18 zıvac — ol 85? Nonne Florentini lectio in * 14, 16 potest 
defendi, cum &uoı pro tıyäg poni posse sciamus (cf. Rad. 63, qui affert 
Strab. C 651)? 


378 Fr. Zimmermann, 


vim, quam habet päddov eidovts (cf. 145, 9), quae optim 
quadret ad loci sententiam. Superlativus est certo minus el 
gans, quod recte sensit W 250. 

152,27 os ür&x no F 6üs&8x mod Tl VIL 27; 
Nostro loco @y particulam abhorrere a veterum usu non fugit 
Gasdam 21. Verum W 251 errat, putans eiciendam esse illam '*'), 
non solum propterea, quod saepius noster ita loquitur 14°), sed 
etiam, quod alii auctores posteriores idem sibi concesserunt 1?°), 
qua de re optime disserit Rad. 1?!) p. 166 haec: „am gewöhn- 
lichsten ist wg &v da, wo es gilt einem kausalen Gedanken 
subjektive Färbung zu geben.“ En iterum vides in Th vete- 
rum usum substitutum esse licentiae posteriorum. 

Iam ad finem pervenimus lectionum percensendarum, nam 
voce rAcd explicit fragmentum Thebanum 1), 


Conclusio. 


Multa atque varia sunt, quae e diversis singulorum lo- 
corum tractatorum discrepantiis didicimus, atque operae erit 
pretinm summam facere, ut in universum perspiciamus, quae 
ratio intercedat inter codices F et Th. | 

I. Primum breviter complectamur eas 25 lectio- 
nes codicis Th, quas praeferendas putamus memoriaef. 

a) Quinque locis cod. Th genuinas exaravit particulas, 
cf. 17 (148,22) et II 8 (149,1), ubi deest in F xai, I 16 51 
(148,25 IF 5&) 119 (148,26) et VII 7 (152,6) t& xat (F xai). 


141) Jiceng „&v ist zu streichen, da es sich nicht um eine irreale 
Vorstellung handelt“. 

112) Of. 34, 18. 40, 18. 134, 17. 144, 7. 153, 2. 

14), BE, g. Plut. Dio Prus. N. T. cf. Bl.-D. 453,3 p. 265. 

144, Qui idem conferendus est p. 178, 2. 

145) Quod maxime dolendumst, quia sequentia verba xal äyu- 
viag sutEwg Acracanavnv yv narztda Herchero duplici modo erant suspecta 
Primun: desiderat ille post &ywviag participium xexpnxulev vel simile 
quid. Quod falsum esse a paret ex praepositione dx, cui hoc loco inest 
notio, quam reddimus verbis ‚„statim ex“, sive „unmittelbar nach‘, ut 
nos dicimus (qua de re cf. S III 282). Accedit quod tales verborum 
formae saepius supprimuntur cf. S IV 111, sq. et Rad. 176 et nostn 
locum 150, 19 goptidag ap od BAdnw vr)g AK pnanräc al we ix noAdıc) 
zpripsig. Praeterea hr eö$Eog depravavit in sddög, quod facere non 
debuit, cum illud, e Lysiae ntque Demosthenis orationibus notum 
occurrat apud Polybium et atticistas (ef. SI 121. IT 112. III 126). 


De Charitonis codice Thebano. 379 


b) Bis meliorem praebet Th verborum collocationem, cf. I# =; 
(148, 21) cüötv Aniorato (F Ar. 006.) et I 28 (148,30) Andye: 
Kardıpöny eis Zupaxsüoag (F K. eis 2. Ar.). 

c) Rectam orthographiam duorum verborum vides in Th, 
cf. 18 (et saepius) 148, 22 Kaddıpönv (F Kardıppönv) et VII 14 
(152,9) Zupxxocto:s (F Zuppanoustorg). 

d) Sexies desunt in F singula verba, ct. I 14 (148,25) 
EE dpxnic, I 17 (148,26) padıoıe, I 21 (148,27) &, I 24 
(148,28) oürwg, IV 22 (149, 28) roav, VI 14/15 (151,29) 
neraEb Ypepönevos; de xaf bis omisso cf. sub „a“. 

e) Contrarium vitium bis in F exstat, cf. 1120 (149, 6) 
£yxeıy et VIII 11 (152, 20) xal. 

f) Accedunt sepfem loci, qui in F male leguntur; depra- 
vata sunt imprimis * 148, 28 tapaxhein F (ThI 24 tapax$7), 
149, 29 oixhoeıs F (Th IV 25 eixövoc), 151, 30 &nexiVovro F 
(erexvitovro Th VI 18), 152, 1 xal F (Th. VI 25 xaddiov). 
Praeterea rectum praebet Th YH, 6 äpyupov (152, 6 dpyüpıov = 
quibus adde I 15 (148, 25) äravıa« Th (navıe F). VIL3 (152, 
znoiv Th, (Een F). VIII 11 (152,20) eioayayov Th ni 
yov F). 

Quarum 25 lectionum 8 coniectura erant inventae 1°), 
quibus accedit nona, quam in F falsam esse traditam viderat 
Cobetus (148, 28). Praeteres dignum est, quod attendatur co- 
dicem Th congruere cum codice F quinque locis, quos iniuria 
viri docti in suspicionem vocaverunt cf. IV 1 (* 149, 20 
articulum del. hr.), IV 1 (149, 21 avanelde:. Jak.: avaneiderer), 
V 14/15 &nxarandel tals KAdars tpripeoses (* 151,18 hr. obv 
inseruit), V 25 sy. xal Tv Exelvo Td oyia TO ner& iv vaupaxlav 
mv 'Artıniv (151,22 sq. Nab. Schmidt.), VI 9 and (* 151, = 
R hr. äxt). 

II. Deinde agendum est de codicis Th pravis 
lectionibus, quarum numerum multo esse maiorem dilucide 
monstravimus, Etsi non habemus, quod illas singulas repe- 
tamus, tamen operae erit pretium perlustrare gravissimas, ut 
elucescat, qua via quaque ratione ortus sit verborum contextus 
codieis Th. Atque puto e varietate discrepantiarum certo certius 
evadere, ut non fuerit unus atque idem, cui debentur ea, quae 

"") Quos ]ocos erassis numeris significavi. 


380 Fr. Zımmermann, 


vidit Wilckenii acumen in palimpsesto. Immo si non plurium 
certe duarum manuum vestigia satis aperte perspiciuntur. 

a) Primum afferendi sunt loci, quibus mera negle- 
gentianonnullaexcideruntverba,e.g. cf.IL 11 
(149, 2 eig &u£), IV 19 (149,27 eis ’loviov ya), VII2 (151, 28 
rap’ Auportpwv), VIII 2 (152, 16 Aöycu Yärtov). Accedunt gra- 
vissimi illi duo loci (III 11 sqq., IV 4 sqq.) quibus eadem 
scribae incuria effectun est, ut alia multa retractarentur !'7). 
Similen esse rem in tertio loco (V. init.) supra pag. 365 
exposuimus. 

b) Deinde sunt commemorandi loci, quos nescio quis 
librarius consulto immutavit. 

1. Primum complura invenimus intercalata quae, cum 
neque ad stilum nostri neque ad totius fabulae compositionen 
quadrent, non possunt probari obstante Wilckenio!®). Inter- 
polationes, quae insunt columnae tertiae atque quartae, mitti- 
mus (cf. supra pag. 351 sq. et 359). Immo sat est conferre locos 
hos: V 7 sqqg. cum 151,15sq., V 21sq. cum 151, 21, VI 9 
cum 151, 27, VII 16 sq. cum 152, 10. 

2. At maior est numerus locorum eorum, quibus Chari- 
tonis genus dicendi transformatum esse videmus. Multas lo- 
cutiones nec non structuras, quas temporum seriorum Grae- 
citatis proprias esse notumst, ad veterum rationes immutatas 
esse neminem, puto, fugerit. Ut exemplis utar: invenis II 1 
articulum insertum (cf. 149, 4), III20 oo0 scriptum pro oci 
(cf. 149,18), V 8 7%) suppressum ante xaf (cf. 151, 15), VIII 1/2 
temporis praesentis infinitivos BA&rerv nal Zroderv loco aoristi löelv 


147) Kere idem videtur sensisse de illis locis doct. Wilamowritz, 
qui l. c. 33 disserit haec: „Wilcken hat freilich auf zwei Stellen hin, 
wo die Abweichung etwas tiefer geht, von einer doppelten Rezension 
geredet; alleineshandelt sich beide Malenur um Aus- 
lassungen und dadurch bedingte Aenderungen.“ 

148) Cum eis, quae exposuit W 251: „Vielmehr haben überall 
die volleren Formen sich als sinngemäß, oft als notwendig 
und vielfach auch durch Parallelen als gut charitonisch erweisen lassen, 
während die kürzere Form sich deutlich durch ungeschickte Hand- 
habung der Sprache, durch Schaffung sachlicher Lücken . und andere 
Zeichen jüngerer Bearbeitung als nicht originell verrieten* pugnant 
eiusdem verba p. 249 prolata (ubi res est de IV 19 sq., cf. supra p. 360): 
„Daß der Schreiber vom Th — jedenfalls an dieser Stelle— 
a e un zum Erklären und Interpolieren ge 

& rat.“ 


De Charitonis codice T’hebano. 381 


ax: d&r.cüse: (cf. 152, 15/16) positos, VIII 20 numeruni singularem 
eoxiLeto plurali EsxiSovro substitutum (cf. 152, 23), VIIL 27 &v par- 
ticulam omissam in locutione ®@g &v (cf. 152, 27). Simili modo 
stilum Charitoneum plane neglectum esse demonstrent loci hi: 
Non minus quam ter (II 13—16 cf. p. 149,4; VIL9—13 cf. 
p. 152,7 sq.; VII2—5 cf. p. 152,16) subordinatio substi- 
tuitur coordinationi; 126 dxcberv coniungitur cum accusativo 
(cf. 148, 29, cum noster in talibus locutionibus genetivum prae- 
tulerit); inepte transponitur &v particula II 9 (cf. 149, 1), quod 
idem cadit in &pög III 18 (cf. 149,17) et V 12 sq. &£exeito, ubi in- 
super compositum vix Charitonis est (cf. 151, 17); ponitur II 27 
verbum compositum Erıötdövar ad vicem simplicis (cf. 149, 8). 
E quibus exemplis, autumo, evadit, ut non tam prudenter 
quam consulto retractata sint verba Charitonea. Etsi haud 
mnltum habet ponderis, nolim praetermittere in codice Th 
plures exstare hiatus (e. g. cf. III 15 cum 149,16; VIII? cum 
152, 28) quam in codice F. 

III. Tertinm, quod est gravissimum: conamina Wil- 
ckenii, qui ubi neque F neque Th genuina 
praebent verba, ex utraque memoria ipsius 
Charitonis manum redintregrare voluit, ad 
irritum cadere confido me demonstravisse. 


Chemnitz, Fr. Zimmermann. 


| —— nn nn 


xl. 


Lactantius und Piato. 


(Herrn Geheimen Studienrat Oberstudiendirektor Prof. Dr. Otto 
Schroeder zum 70. Geburtstag zugeeignet.) *) 


Die lateinische Apologetik des christlichen Altertums 
gipfelt in dem afrikanischen Dreigestirn: Tertullian — Lak- 
tanz — Augustin. Während die zügellos leidenschaftliche 
Natur des ersten Apologeten, dessen Stil — ein getreues Ab- 
bild seines unruhigen Geistes — trotz aller Raffiniertheit eine 
gewisse Formlosigkeit aufweist, es verschmäbt, mit ‘heidnischer’ 

*) Das Manuskript war bereits im Jahre 1919 eingereicht [Kor- 


rekturzusatz]. 
Pbilologus LXXVIII (N. P. XXX), 34. 25 


382 A. Kurfess, 


Gelehrsumkeit zu prunken, und es nach Möglichkeit vermeidet, 
christliche Wahrheiten durch Heranziehung von Dichtern und 
Philosophen zu stützen, sind bei dem letzten Apologeten des 
christlichen Altertums, durch den das Latein die höchste Aus- 
drucksfähigkeit erlangt hat, weltlich-heidnische Bildung und 
Christentum zu einem harmonischen Ganzen verwoben, wie 
wir fast auf jeder Seite seines monströsen „Gottesstaates“ wahr- 
nehmen können. Eine Zwischenstellung zwischen beiden nimmt 
der Rhetor Lucius Caelius Firmianus Lactantius ein, 
der gleichsam unter dem Kreuzfeuer heidnischer Bildung und 
christlichen Empfindens steht. Er schöpft mit Wohlgefallen, 
oft unbewußt, aus dem nie versiegenden Quell der römisch- 
griechischen Literatur, ohne jedoch deshalb den Kampf gegen 
das Erbe des Altertums minder leidenschaftlich zu führen, so 
daß seine Argumentation ein unharmonisches, widerspruchs- 
volles Bild bietet, dessen grelle Farben freilich durch die ge- 
schmackvolle klassische Sprache vielfach gemildert werden '). 

‚Nun arbeitet allerdings die christliche Apologetik, sowohl 
die griechische wie die lateinische, vielfach mit platonischen 
Gedanken. Doch nur in den seltensten Fällen dürfen wir beı 
christlichen Schriftstellern, zumal des dritten und vierten Jahr- 
hunderts, eigene Lektüre. Platos voraussetzen. Meist handelt 
es sich um Gemeinplätze, die durch die ganze christliche Lite- 
ratur hindurch sich verfolgen lassen; jedenfalls stammt die 
Kenntnis platonischer Gedanken aus sekundärer Quelle, viel- 
leicht aus einem eigens für Christen bearbeiteten Kompendium 
oder Florilegium. Für Laktanz konmmt noch binzu, daß er 
Plato nie griechisch zitiert. Von Schriften in griechischer 
Sprache kennt und zitiert er nur die Sibyllinen und den 
Hermes Trismegistos. Eine nähere Bekanntschaft mit der 
griechisch-klassischen Bildung läßt sich nicht nachweisen. Er 
verdankt auch seine philosophische Bildung lateinischen 
Mittelquellen. Das wird eine Prüfung der Platozitate be- 
stätigen. Beginnen wir mit dem Hauptwerke, den 7 Büchern 
Divinarum Institutionum !*) 


9 Vgl. W. Hailoff, Untersuchungen zu Lactantius. Rostocker 
Ss, 8. 


Diss». Leipzig 1911. 
Ich zitiere im folgenden natürlich nach der Wiener Ausgabe 


von Brundt-Laubmann. 


dd 


Lactantius und Plato. 383 


a) Div. Inst. 1 8,1: His rgiter tot et tantis comprobalur 
untus Dei potestate ac providentia qubernari, cuius vim 
naieslatemque tantam esse dieit in Timaco Plato, ut 
eam neque mente concipere neque verbis enarrare 
quisquam possit ob nimiam eins el inurstinma- 
hilem potestatcm?). Vgl. Plato Tim. 23C 72V u&v cdv 
nantmv xal natepa TODÖe TO TavTos Eeupeiv Te Epyoy Kal eb- 
pövra eis navras Abbvarov Akyeıv. Das konnte er auch bei 
Cicero lesen: utque ıllum quidem quasi parentem hulus 
universiatis ınvenire diffielle, et cum inveneris, indicere in 
culgus nefas. Augenscheinlich handelt es sich um einen Gc- 
meinplatz der christlichen Apologetik: vgl. Minucius Felix 
19, 14: Platoni in Timaco: deus est ipso suo nomine mundi 
parens, artifex animae, caelestium terrenorumque fabricator, 
quem ck invenire diffierile praenimia ct incredibili poltestate et. 
cum inveneris in publicum dicere impossibile pracfatur. (Dex 
Anschluß an Cicero scheint mir deutlich zu sein.) Verl. auch 
Tertullian Apol. 46. Orig. adr. Cels. VI,42 (II p. 192 f. 
Koetschau). 

b) Div. Inst. II 10, 4 Plato Tann 4 mam  Vz0Eı57, 
rsse ait. Das braucht, wie jeder zugeben wird, nicht not- 
wendig direkt aus Plato Rep. 501 B übernommen zu sein. 

c) Div. Inst. 1I 12,9 Primum sic definimus: Mors est 
nalurae animantium dissolutio, vel ıta: Alors est corporis anı- 
maeque seductio. Vel. Plato, a 64 C Yyoöped Ti Tov 
dauaroy elva; ... Aa un Ko me N Tv Ns duxis and Tod 
swnatog Anadlayıv; 67 D cHx00V ToüT6 ve davatos OVspazeta! 
rlgrs xal Xwpropös buxnig and ownatos; Diesen Gemeinplatz 
wird ebenfalls niemand auf direkte Benützung Platos zurück- 
führen, zumal da der Name ja gar nicht zitiert ist. Viel 
näher liegt es, an Cic. Tusc. I 9, 18 zu denken: sund enim, 
a discessum anımi a corpore pulent esse morlem’). 


°) Vgl. auch de ira 11, 11 Unus est igitur princeps et origo verum 
Deus, sicut Plato in Timaeo et sensit et docut: cutius maicstatem 
lantam esse decarat, ut nec mente comprehendi neclin- 
Juaezprimipossit, und Epist. 64 (69,5 Plato aberravit... cum 
de cultu eius dei, quem condilorem rerum ac parentem fatc- 
hatur, opticuit. Vgl. nuch Cie. nat, deorum I 19,30. 

4) Jedenfalls gehen Inst. VII 13,9 und opir. 16,13 zurück auf Cic., 
Tusec. 110,19. 


384 A. Kurfess, 


d) Div. Inst. II 14,6 dacmonas autem grammatici dieos 
arunt quasi Eaıpovas, id est peritos ac rerum scios: hos enim 
putant deos esse. Vgl. Plato Cratyl. 398 B ötı ypövinuı x: 
Santj.oveg Noav, “Öalovas” abrobs wvölLzoev, nänlich Hesiod, 
von dem vorher drei Verse zitiert werden. Dagegen bei Lak- 
tanz davon zwei Verse (allerdings mit starker Abweichung des 
Textes) erst einige Zeilen weiter unten, ohne daß diese mit 
den obigen Ausführungen irgendwie in Zusammenhang ge- 
bracht werden. Er denkt gar nicht an Plato, bzw. Hesiod, 
sondern spricht nur von grammatici. 

e) Div. Inst. II 14,9 £. Philosophi quoyue de his (dae- 
monibus) disserunt. Nam Plato in Symposio exprimere 
conatus est, et Socrates esse circa se assiduum dacmona loque- 
batur, qui sibi puero adhaesisset, cuius arbitrio et nutu swa 
vita regeretur. Magorum quoque ars ommnis ac potentia horum 
aspirationibus constat, a quibus invocatı visus hominum prae- 
stigiis obcaecanhhbus fallunt. Bei Plato heißt die Stelle: 
Symp. 202 E (202 A räv d öc:uöviov nerakb &otı HeoD Te xal 
Yyntod ...) Eppnvedov xal Erxisopdpedov Heols Ta rap’ dvdpw- 
rwv xal Avdpwrns:s t& rap& Bewv. Natürlich hat Laktanz das 
Symposion nicht gelesen °), so wenig wie 

Minucius Felix (c. 26, 9) und Tertullian (Apol. c. 22) ®): 


Jos spiritus dacmones esse Atque adeo dicimus esse 


poelae sciunt, philosophi dis- 
serunt, Socrates novit, qui ad 
nutum et arbirium adsidentis 
sibi daemonis vel declinabat 
negotia vel putabat (10). Magi 
quoque non tantum sciunt dae- 
mones, sed etiam ... (12) Quid? 
Plato, qui invenire deum nego- 
Lium credidit, nonne et angelos 
sine negotio narrat ct daemo- 
nas? et in Symposio suo etiam 
naturam daemonum exprimere 
conititur ? 


) Vgl. Apuleius, de deo Soecr. 4. 


substantias quasdam spiritales 
nec novum nomen est. Sciunf 
daemones philosophi, Socrate 
ıpso ad daemonit arbitrium er- 
spectante omnes sent 
poctae; eliam volgus indoctum 
in usum maledicti frequentat 
... Angelos guoque etiam Plato 
non negavit. utriusque nominıs 
testes esse vel magi adsunt. 


°) Vgl.R. Heinze, Tertullians Apologeticum. Leipzig 1910. S.395. 


Lactantius und Plato. 385 


f) Im dritten Buch der Div. Inst. zeichnet sich die Pole- 
mik «gegen Plato nicht gerade durch Vielseitigkeit und Sach- 
lichkeit aus. Zwar wird Plato häufig genannt, aber nirgends 
wird eine seiner philosophischen Lehren, wie z. B. Unsterblich- 
keitsglaube, Kosmologie, seine Ansichten über Meinen und 
Wissen, im Zusammenhang bebandelt. Und doch hätte gerade 
das dritte Buch die beste Gelegenheit dazu geboten. Ganz 
oberflächlichen Einblick in Plato zeigt c. 25,7: Plato habe 
die Philosophie unter das Volk bringen wollen; das genaue 
Gegenteil steht bei Plato, vgl. Rep. 438 Df. und Polit. 293 A, 
wo wir lesen, Philosophie zu treiben sei keine Saclıe der breiten 
Masse. Im übrigen betrachtet Laktanz, abgesehen von einer 
kurzen Erwähnung der Gütergemeinschaft und des Philosophen- 
köniztums im Idealstaat, nur noch eine für den Gesamtbau 
der platonischen Philosophie ziemlich nebensächliche Frage, 
die Weibergemeinschaft (c. 21/22)7). Darum folgert mit Recht 
Harloff (a. a. O. S. 75): „Es ist wahrlich keine eingehende, über 
den Inbalt einer Haudbuchnotiz hinausgehende! Kenntnis von 
Platos Lelıre vom Idealstaat erforderlich, um einen Satz wie 
nutrimonia quoque, inquit, communia esse debebunt (c. 21,4) 
schreiben zu können. Ebenso handelt es sich bei den übrigen 
Einwänden nur um die allerelementarsten Grundbegriffe der 
Lelire vom Idealstaate. Die einzige Stelle, die stutzig machen 
könnte, wäre c. 21, 6: ut idem dixit beatas civitates futuras 
esse, si aut philosophi regnarent aut reges philosophorentur 
= Plato Rep. 473 D 24, un 7) ol yiılöooyo: Bacrlebawarv Ev 
taig möresıy 7) 0? Buardeis TE vOV Aeyöpevor xul Övvaatar PLin- 
9071o0wot ...* Man könnte auch hier wieder an ein Hand- 
buch denken. Doch verweist Harloff sehr hübsch auf Cic. ad 
Q. fr. 11,29 — und dieser Brief wird gerade von Laktanz 
II 14, 37 zitiert —: atque ille quidem princeps ingenü eb 


:) Div. Inst. III 21, 2 ergo nihil, inquit (Plato), privati ac propriv 
habeant, sed ut pares esse possint, quod iustiliae ratio desideret, omnia in 
commune possideant (= Pinto Rep. 416 D). Ibd. 84 Rep. 4570, 86 
Rep. 473 D; sie werden gleich oben zitiert werden. Endlich $ 7 sic 
inquit civitas concors erit et amoris mului constrieta vinculis, si omnes 
omnsum fuerint et mariti et patres et matres et liberi (= Rep. 4630 ff.). 
Wer diese Stellen vergleicht, wird finden, daß nur in den gröbsten Um- 
rissen eine Aehnlichkeit vorhanden ist. Von einer Uebersetzung oder 
auch nur freien Wiedergabe kann keine Rede sein mit einer Ausnahme, 
wie wir gleich schen werden. " 


386 A. Kurfess, 


doctrinae, Plato, tum denique fore beatas res publicus putarit, 
si aut docti ac sapientes homines eas regere coepissent auf it, 
yus regerent, omne cum studium in doctrina et sapientia col- 
locassent. Noch ein anderer Weg führt auf Cicero. Im vierten 
Buch seines Staates hatte er eine Skizze des Philosophenstaates 
gegeben. Daraus zitiert Nonius p. 362, 11 s. v. ‘proprium’. 
et noster Plato magis etiam quam Lycuryus, ommia qui prorsus 
inbet esse communia, ne quis civis propriam aut suam ren: 
ullam queat dicere®). — Für die Platozitate im dritten Buche 
der Instit. — nur um dieses handelt es sich in seiner Disser- 
tation — schließt Harloff (S. 76): „Laktanz hat Plato nicht 
im Original gekannt, hat sich jedoch, sei es aus Cicero, sei es 
aus einem Kompendiun, einige elementare Kenntnis der Lelıre 
vom Idealstaat angeeignet, die er in wirkungsvollem Wechsel 
von Rede und Gegenrede verwertet.* 

g) Div. Inst. VI 25, 1 Nunc de sacrificio ipso pauca di- 
camus. ‘Ebur’ ingqwit Plato non castum donum Deo 
cf. Plato Leg. 956 A Eiepas ÖL Anodlelornörog buyiv ow- 
Kati; 00% evayts Ayvzdnpa. Laktanz schöpft aber 
offensichtlich aus Cicero, der die Stelle Leg. II 18, 45 s» 
tibersetzt: fum ebur ec inani corpore extracum haud satis 
castum donum deo. 

h) Div. Inst. VII 1,9 Sed et omne, quod sub visum ocu- 
lorum venit, et corporale, ut at Plato, et solubile sil necesse 
est. Cf. Plato Phaed. 80 C &vvseig cdv, Eneröav anodavy, 6 
IvdpWrog T& EV ÖpxTov AUT), TO oma, Kal Ev par zeiftevov. 
& En vexpby xadoünev, m npoolne Salbesdar Xu Ötaninterv 
vu: Granveisda:, cur Euhus Tobrwv oböLy rensvdev. An eine 
direkte Benutzung Platos kaun ich auch hier nicht glauben. 
Die lateinische kurze und prägnante Formulierung sieht ganz 
nach einem philosophischen Handbuch oder — Kolleg aus. 

i) Div. Inst. VIL 8,.4 Plato autem sie argumentatus est: 
nmorlal: esse, quidqwid per sc ipsum ct senlit et semper 
movelur: quod enum principiom molus non habet, nec finem 
habiturem, quia descri a semet ipso non potest. Quod argu- 
menbeon elam multis animalibas arternitatem daret, nisi ad- 


..*») Vgl. auch Lact. Epit. 35, 1—5, ausgeschrieben bei Ziegler. 
Cie. rep. 175,5 (p. 108), 


.‘ 


Lactantius und Plato. 387 


iectione sapientiae discrevisset. Addidit iyıtur, ut effugeret 
hanc communilalem, fleri non posse, quin sit immortalis animus 
humanaus, cuius mirando sollertia inveniendi et celeritas cogi- 
tandı ct facilitas percimiendi atque discendi et memoria praeter- 
dorum et providentia fulurorum et artium plerumgque, immnume- 
radılım scientia, qua ceterae carcant animantes, divina et 
caelestis apparcat: quia et origo anımi, qui tanta capiat, tanta 
contineat, nulla reperiatur in terra; si quidem ex concretione 
terrena nihil habeat admiztum: sed necesse esse in lerram re- 
solvi, quod est in homine ponderosum et dissolubile; quor autem 
tenue alque subtile, sd vero esse individunm, ac domicilio cerr- 
poris velut carcere liberatum, ad caclum et ad naturam suam 
pervolare?). Haec fere Platonis collecta breviter, quae apud 
ipsum late copioseque erplicantur (= Phaedrus 245 C ff.). Daß 
er wiederum Plato nicht vor Augen gehabt hat, deutet er selbst 
mit dem letzten Satz haec fere Platonis collecta breviter an. 
Seine Weisheit stammt wieder aus Cicero, Tusc. 123,53 ff. 
(= rep. VI 27 ff. ex somnio Seipionis), wie auch Pohlenz 
in der neuen Ausgabe (Leipzig, Teubner 1998) mit Recht im 
Apparat anmerkt (p. 244, 3): Ciceronem sequitur Lact. inst. 
VII 8,4, und Tusc. 1 27, 66 (vgl. auch Lact. de ira 10, 45). 
Da die Ausgabe jedem zugänglich ist, erübrigt es sich, die 
langen Stellen hier auszuschreiben. 

k) Div. Inst. VII 12,2 Corpus e terra fictum alque solt- 
ditatum est: anima in se nihil concreti, nihil terrent ponderis 
habet, ut TPlato disserebat.. Dies geschieht im Phaedo 80Cf., 
wie besonders Inst. VII 12, 6 zeigt: Non enim simul interit 
(scil. corpus): sed anıma discedente integrum per dies multos 
manet ct plerumaue medicatum diutissime durat (cf. Phaed. 
SOC gupresdv Yap To oGpa® Kal TapıLYEUdEYV, Worep ol Ev 
Alvontı TapıXeudevres, öAlyou EAov never AııliXavov Öscv Xpövov). 
Auch hier möchte ich direkte Benutzung in Frage stellen. Er 


», Cf. Epit. 65 (70), 1: Plato ait, quod per se ipsum semper movelur 
nec principium motus habet, etiam finem non habere, anımum aulem ho- 
minis per se semper moveri: qui quia sit ad cogitandum mobilis, ad in- 
veniendum sollers, ad percipiendum facilis, ad discendum capaz, et quıa 
praeterita teneat, praesenlia comprehendat, futura prospiciat multarumgque 
-rerum et arlium scienliam complectatur, immorlalem esse, si quidem nihil 
habeat in se de terreni ponderis labe concreium. — Beachte, wie reizvoll 
er varliert! 


386 A. Kurfess, 


doctrinac, Plato, tum denique fore beatas res publicas pulu 
si aut docti ac sapientes hommnes eas regere coepissent ar 
yus vegerent, omne cum studium in doctrina et sapientia ı 
locassent. Noch ein anderer Weg führt auf Cicero. Im vie: 
Buch seines Staates hatte er eine Skizze des Philosophensta: 
gegeben. Daraus zitiert Nonius p. 362, 11 s. v. ‘propriu 
ct noster Plato magis etiam quam Lycurgyus, ommnia qui pror 
tubet esse communia, Ne quis civis propriam aut suamı 
ullam queat dicere®). — Für die Platozitate im dritten Bu 
der Instit. — nur um dieses handelt es sich in seiner Dis: 
tntion — schließt Harloff (S. 76): „Laktanz hat Plato n: 
im Original gekaunt, hat sich jedoch, sei es aus Cicero, se! 
aus einem Kompendiun, einige elementare Kenntnis der Le' 
vom Idenlstaat angeeignet, die er in wirkungsvollem Weel 
von Rede und Gegenrede verwertet.* 

g) Div. Inst. V125, 1 Nunc de sacrificio ipso pauca 
camus. ‘Ebur' ingui Plato non castum donum D 
cf. Plato Leg. 956 A EIeyag dl Anolelormörog duxiiv c 
patt; our eday&s Avzdınpa. Laktanz schöpft a’ 
offensichtlich aus Cicero, der die Stelle Leg. II 18, 45 
ibersetzt: tum ebur cv inanı corpore extracum haud sa! 
castum donum deo. 

h) Div. Inst. VII 1,9 Sed et omme, quod sub visum o 
lorum renit, ct corporale, ut at Plato, et solubile sil nece 
est. Cf. Pluto Phaed. 80 C evvseis odVv, Eneidav Aanodhav 
EvdpWrog T& HEY 6pxTöv aUTsd, TO oma, Kal Ev Opatiı LEiEV 
E En, verpbv adoüpev, @ npooiner Öadbsodar at Ötamint 
ra Gianveisdar, clr Euhls Tobrwv obötv rensvdev. An e 
direkte Benutzung Platos kann ich auch hier nicht glaube 
Die lateinische kurze und prügnante Formulierung sieht ga 
nach einem philosophischen Handbuch oder — Kolleg aus. 

ı) Div. Inst. VII 8,.4 Plato autem sie argumentatus e* 
mmorla! esse, quidqwd per sc ipsum ct senlit et semy 
morclur: quod enim principium molus non habet, nec fin: 
habiturem, quia descri a scmet ipso non potest. Quod arg" 
nenten cham mudtis animalibvs aeternitatem daret, nısi a. 


.*) Vgl. auch Lact. Epit. 38, 1-5, ausgeschrieben bei Ziegle 
Cie. rep. IV*5,5 (p. 108). 


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388 A. Kurfess, 


Po 


scheint mir bier eine lateinische Paraphrase des Phaedo, 
meistgelesenen Platodialoges, ausgeschrieben zu haben odeı 
einem Platokolleg zu fußen. Jedenfalls kann in$2 k 
mehr von einer Anlehnung an Plato gesprochen werden. 
auf den Ausdruck medicatum = tapıyevdyEy wmöchte ich n 
allzuviel Gewicht legen. Welches andere Wort hätte er d 
gebrauchen sollen ? 

I) Div. Inst. VII 22, 17 Unde etiam Plato de anima « 
serens, ex hoc ait posse cognosci animas esse i 
mortales atque divinas, quod iin pueris mobiı 
sunt ingenia et ad percipiendum facilia;, qu 
ea quae discant, ita celeriter rapiant, uti n. 
tum primum discere illa videantur, sedrecogn 
scere atqwe reminisci. Davon redet Plato bekanntli 
im Meno 85 C und Phaedo 72 E. Doch vgl. wieder Cicer 
Tusc. 1 24, 57 (Pohlenz p. 246, 13) und Cato maior 21, 7t 
magnoque esse argumento homines scire pleraque, antequa: 
nati sint, quod am pueri, cum artes difficiles discant, di 
celeriter res innumerabiles arripiant, ut eas non tum primm 
accipere videantur, sed reminiscı et recordari. 

In einem Falle ist auch Laktanz ehrlich genug, seine 
Gewährsmann zu nennen: 

m) Div. Inst. VIE 2, 10: Ideo Marcus Tullius sen 
tentiam Socratis de Platone transferens dicentis, venisse tem- 
pus, ut ipse migraret e vita, ıllos autem, apud quos causam 
suam perorabat, ayere vitam: Utrum melius sit, inquit, di 
immorlales sciunt; hominem arbitror scire neminem. Es handelt 
sich um den berühmten Schluß der Apologie (42 A). Vgl. Cic. 
Tusc. I 41,99 sed temipus est, inquit, am hinc abire, me, 
moriar, vos ut vitam agatıs, utrum autem sit melius, dii im- 
mortales sciunt, hominem quidem scire arbitror neminem. Die 
Stelle zeigt, wie frei Laktanz seine Quellen benützt, selbst da, 
wo er zitiert. Ä 

Von seinem Hauptwerk bat Laktanz später in gloriam 
Pentadii fratris, wie wir aus der Vorrede erfahren, eine Epi- 
tome veranstaltet, die aber nicht bloß einen Auszug aus dem ' 
großen Werk, sondern eine selbständige Leistung darstellt. 
Alle griechischen Zitate sind hier absichtlich vermieden ; selbst 


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388 A. Kurfess, 


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scheint mir hier eine lateinische Paraphrase des Phaedo, des 
meistgelesenen Platodialoges, ausgeschrieben zu haben oder aul 
einem Platokolleg zu fußen. Jedenfalls kann in $ 2 kaum 
mehr von einer Anlehnung an Plato gesprochen werden. Und 
auf den Ausdruck medicatum = tapıxeudey möchte ich nicht _ 
allzuviel Gewicht legen. Welches andere Wort hätte er denn 
sehrauchen sollen ? | 

l) Div. Inst. VII 22, 17 Ude etiam Plato de anima dis- ' 
serens, ex hoc ait posse cognosci animas esse im 
mortales atque divinas, quod in pueris mobilia 
sunt ingenia ct ad percipiendum facilia; quod 
ea quae discant, ita celeriter rapiant, uli non 


tum primum discere illa videantur, sedrecogna- 


scere atque reminisci. Davon redet Plato bekanntlich 
im Meno 85 C und Phaedo 72E. Doch vgl. wieder Cicero, 
Tusc. 1 24, 57 (Pohlenz p. 246, 13) und Cato maior 21,78: 
magnoque esse argumento homines scire pleraque, antequam 
natı sint, quod am pueri, cum artes difficiles discant, ia 
celeriter res innumerabiles arrıpiant, ut cas non tum primum 
accipere videantur, sed reminiscı ct recordari. 

In einem Falle ist auch Laktanz ehrlich genug, seinen 
Gewährsmann zu nennen: | 

m) Div. Inst. VII 2, 10: Ideo Marcus Tullius sen- 
tentiam Socratis de Platone transferens dicentis, venisse tem- 
pus, ut ipse migrarct e vita, ıllos autem, apud quos causam 
suam perorabat, ayere vitam: Utrum melius sit, inquit, di 
immorlales sciunt; hominem arbitror scire neminem. Es handelt 
sich um den berühmten Schluß der Apologie (42 A). Vgl. Cic. 
Tusc. 1 41,99 sed tempus est, inquit, iam hinc abire, me, 
moriar, vos ut vilam agatis, ulrum autem sit melius, dii un- 
mortales sciunt, hominem quidem scirce arbitror neminem. Die 
Stelle zeigt, wie frei Laktanz seine Quellen benützt, selbst da, 
wo er zitiert. 

Von seinem Hauptwerk hat Laktanz später in gloriam 
Pentadii fratris, wie wir aus der Vorrede erfahren, eine Epi- 
tome veranstaltet, die aber nicht bloß einen Auszug aus dem 
großen Werk, sondern eine selbständige Leistung darstellt. 
Alle griechischen Zitate sind hier absichtlich vermieden; selbst 


u — ati za 


Laetantius und Plato. 389 


Hermes Trismegistos, der in den Institutionen griechisch zitiert 
ist, wird ins Lateinische übertragen. Darum ist es mir un- 
begreiflich, wie man dieses Werk dem Laktanz absprechen 
konnte. — Das eine oder andere Platozitat, das sich im Haupt- 
werk fand, hat naturgemäß auch hier Verwendung gefunden 
und ist bereits oben erwähnt worden. Auffallend ist, daß er 
selbst bierbei variiert: vgl- Div. Inst. VII 8, 4 oo Epit. 65, 1 
(oben Annı. 9). Noch merkwürdiger ist, daß die Epitome noch 
ein Plus an Platozitaten aufweist: 

n) Freilich, wenn wir Epit. 35, 5 lesen: quoniam igitur 
wulla est, ut) apud Platonem Socrates dieit, humana 
sapientia, sequamur ergo divinam, so brauchte er dazu 
Apol. 21 D und 23 A nicht gelesen zu haben. Und wenn wir 
damit zusammenbalten de ıra 1,6—8: recte ... Socrates ... 
al se nihil scire nisı unum, quod nihil sciret ... sicut tra- 
ditur a Platone, quod nulla esset humana sapientia: adeo 
doetrinam, qua tum philosophi gloriabantur, contempsit derisit 
abiecit, ut id ipsum pro summa doctrina profiteretur, quod 
nihil scire didicisset. si ergo nulla est supientia humana, ut 
Socrates docuit, ut Plato tradidit, apparet esse divinam, so 
kommt uns fast von selbst die Vermutung, das steht irgend- 
wo bei Cicero. In der Tat lesen wir Acad. post. I 4, 16: 
Socrates ... ita disputat, ut ... nihil se scire dicat, nisi id 
ıpsum, eoque praestare ceteris, yuod li quae nesciant scire 
se putent, ipse se nıhil scire id unum sciat; ob eamque causanı 
se arbitrari ab Apolline omnium sapientissimum esse dietum, 
quod haec cesset una hominıs sapientia, non arbitrari sese scire 
od nesciat. 

o) Daß er ferner Plat. Epinom. 986 C xal tınäs — du- 
varz oder Epist. VI 323 C f. Tauımv Tv Emioxonnv — eüdnt- 
kövov schwerlich vor Augen gehabt haben wird, zeigt das 
Zitat Epit. 37,4 an sich: denique Plato de primo ac secundo 
deo non plane, ul philosophus, sed ut vates locutus est, fortasse 
in hoc Trismegistum secutus. Vgl. Euseb. Praep. Ev. XI c. 16 
Anfang, wo beide Platostellen hintereinander ausgeschrieben sind 
(ferner Justin. Apol. I p. 92 E 93 C, Cyrill. adv. Jul. VIII 168 B). 
Es handelt sich also hier um einen Gemeinplatz der christ- 
lichen Apologetik. 


390 A. Kurfess, 


p) Epit. 63 (68), 1): Fecit deus mundun, sicut Plate 
existimarit, sed cur fecerit, non ostendit. quia bonus est, 
inguit, et invidus nulli, fecit quac bona sunt. 
(Unde mula?) in materia, inquit, continebantur. 
Im Timaeus 29 E lesen wir: Atywpev &i,, 8 Nvuva altiav 
veveoıv aa Tb navy Tode 6 Euviotag Euvkornoev. dyadös Nv, 
ya 5E oudEls trepl oVdevög südEnoTE Eyyiyverzı p9övos" Tob- 
ton ÖL Exrös Ov nova dr pnalıcta Yevichar EBoulNdn Trape- 
rınaa Exutid. In Ciceros Uebersetzung lautet die Stelle ($ 9): 
probitate videlicet praecstabat, probus autem invidel nemini; 
ttaqne ommia sw similia generavit. Es handelt sich offen- 
sichtlich wieder um einen Gemeinplatz: vgl. Euseb. Praep. 
Ev. X121,2 und Cyrill. adv. Jul. p. 60, auch zitiert bei Plutarch. 
de fato p. 573 C, vgl. auch Stobaeus Ecl. Eth. t. I p. 181 
Wachsmuth. 


q) Epit. 63 (68), 9 denique nec iudicium dei nec diserimen 
zusti et iniusti explicavit: sed animas, quae se sceleribus in- 


merserint, hactenus condemmari putavit, ut in pecudibus re- 
nascentur, et ita peccatorum suorum lucre pocnas, donec rursus 
«dl figuras hominum revertantur, et hoc fieri semper nec esse 
finem transmeandi. Cf. Plato Tin. 42 B. 90 E. Es handelt 
sich um die bekannte Metempsychose; darnach geht die Seele 
(ler Bösen zunächst in den Körper eines Weibes über und 
sinkt immer tiefer herab bis zu den niedrigsten Lebewesen. 
Von einem Anklang an den Timaeus kann hier keine Rede 
sein. Das ganze Kapitel ist so allgemein gehalten, daß wir 
kaum fehl gehen, anzunehmen, hier handle es sich um auf 
Flaschen gezogene Schulweisheit. 

r) An einer Stelle können wir die Mittelquelle wieder 
feststellen: Epit. 24 (29) 9 = Gell. VIL (VI) 1,6: alterum enin: 
er altero, sicut Plato (Phaed. 60 B) ait, verticibus inter se con- 
trartıis deligatunt. 

Noch in einem dritten Werk des Laktanz, das wir schon 
oben ein paarmal erwähnt haben, dr ira Dei, stoßen wir aut 
Platozitate: 

s) Ir. 11,13: Plato in Lrgum Uhris: Quid omnino sit 
deus. non esse quacrendum, qua nce inveniri possit nec enar- 
sur w Leg. 832 A Tbv peyıotov Heiv zei B)ov Tdv xöspev 


x 


ER A 2 ig aaen., np db Bu. au UA nm Eli an ann an Zu nun u u er, BR 


Laktantius and Plata: 391 


gankv oüte Lrteiv cÜTE Tnolunpaypoveiv Tas aitiag EpeuvWmvrac, 
ob yap oböR darov elvar. Die Gesetze hat Laktanz nicht gelesen, 
wolıl aber Cicero, de nat. deorum I 13,30: in Legum uutem 
libris, quid sit onmino deus, anguiri oporlere non censeat. 

t) Ir. 18, 5 endlich lesen wir: nam si, ut ait Plato, nemo 
prudens punit, quia peccatum est, sed ne peccetur. Auch hier 
ist die Fassung des Gedankens so frei und allgemein gehalten, 
daß niemand annehmen wird, Plat. Leg. 934 A 6... xaxnup- 
13a; .. . 00X Evena Tod Naroupylioa: S:obs tiv Ölamv... TOD 
8’ eis TV. ads Ever Xpbvov I TC Tapanav niolioat tiv ddıxlav 
aurev TE Xi Tobg löovras auTby Srxaroupevov bilde dazu die 
unmittelbare Vorlage. Eher könnte man noch an Gel- 
lius VII (VI) 14 denken, wo $ 7 Plat. Gorg. 525 A zitiert, 
Wahrscheinlich aber hat er seine Weisheit aus Seneca, de 
ira 1 19,7 nam, ut Plato ait, nemo prudens punit, quiu peec- 
catum est. sed ne peccetur; verocarı enim praeterila non Pos- 
sunt, fulura prohibentur. 

Aus allen diesen Stellen kann ich eine Vertrautheit mit 
deın Platotext nicht entnehmen. Eine große Zahl von Stellen 
konnte ich direkt auf Cicero zurückführen ; besonders deutlich 
ist die Benützung des Tuskulanen, die auch sonst bei dem 
‘Cicero christianus‘ sich häufig zitiert finden (vgl. Fr. Feßler, 
Benützung der philosophischen Schriften Ciceros durch Laktanz. 
Leipzig 1903). Eine andere Zahl von Stellen läßt sich als 
Gemeinplätze der Apologetenliteratur aufzeigen. Wieder andere 
Stellen verraten zwar platonischen Gedankengehalt, aber die 
Fassung der betreffenden Sätze ist so gehalten, daß direkte 
Anlehnung an Plato ausgeschlossen erscheint. Da dürfen wir 
ein christlich-philosophisches Kompendiun: voraussetzen. Man- 
ches platonische Gut mag er auch von seinem Lehrer Arno- 
bins iiberkomnien haben, bei dem sich Spuren von Plato- 
lektüre nachweisen lassen, wie Alexander Röhricht, 
Die Seelenlehre des Arnobius nach ihren Quellen und Ihrer 
Entstehung untersucht (Hamburg 1893) gezeigt hat (vgl. S. 21 ff. 
Das Verhältnis des Arnobius zu Plato). Das gilt in erster 
Linie für Platos Timaeus, der gerade recht häufig bei Arnobius 
zitiert wird, und zwar so, daß wir auf direkte Platobenützung 
schließen dürfen. 


392 A. Kurfess, Lactantius und Plato. 


So trifft unser Urteil zusammen mit dem, das sich Har- 
loff auf Grund der Quellenanalyse des dritten Buches der Div. 
Inst. gebildet hat (a. a.0 8.83): „Lactanz ist Christ geworden, 
doch bei dem neuen Hause, das er sich errichtet hat, hat 
noch mancher alte Baustein Verwertung gefunden. Seine Waffen- 
rüstung. ist die national-römische Literatur, in der er sich 
einer anerkennenswerten Belesenheit rühmen darf... Eine 
nähere Bekanntschaft mit der griechisch-klassischen Literatur 
konnten wir ihm nicht nachweisen. Seine gesamte philosophi- 
sche Bildung verdankt er lateinischen Mittelquellen.“ 


| Charlottenburg. A. Kurfess. 


Miscellen. 
4, Sophocles N’ fr. 787. 


"AD od; aiel nöruos Ev nurvo Veod 
TpoXYn nuxdeltar Xu} BETRAAKTGE Yüctv, 
Bonep oeAtivng ©’ öbız ebppövag Sbo 
arnivar Cuvaıı! Av oünct Ev nopsT; ud, 
5 AI EE AöiAov npWrov Epxerar veu 
TPÖTWTa KaAAUvouoan Hal TrAnpoupEvN 
XDTay TIEP RÖTTS EÜNPENEISTETN Yavl, 
Tr@Aıv Örappei air! punösv Epxerar. 

V. 3. ebypövaus libri (Plut. V. Denet. c. 45) euppövas 
Brunck, eöypöv& Dindorf. 

V.7. edyevestaın Plut. V. Demet. c. 45 et Mor. p. 282 A. 
einperestätn Plut. Mor. p. 517 D cod.D. 

V.8. xeis to Plut. V. Demet. xäart unötv rell. 

Kocks Konjektur in Vers 1 (Veris. p. 245) &v xuptö 
Vous fügt zu Tp0Xös ein überflüssiges, überdies wenig glück- 
liches 4) Beiwort hinzu, so daß gar keine Veranlassung vor- 
liegt, diese Aenderung in den Text zu setzen. Wir müssen 
bei der Ueberlieferung bleiben. Der Gott ist Tüxn. Das 
Rad der Fortuna war bereits dem Sophokles bekannt. Vgl. 
Plutarch cons. ad Apoll. 103: Intsiv odv &v dßeßalcıs Beßauöv tr 
Anyıkonevwv E&otl nep! my npayndtwv 00x Öphüc. 

„Tpoyoß* yap „mepistelgovros AAN NTepa 
abis Onephe Yiyver' AIAod” Tirepa.“ 

nuxvös aber besagt: alles ist unbeständig, fest gefügt nur 
das Rad. 

V.3. Hier bietet Naucks Text Schwierigkeiten: was soll 
das heißen, das Bild des Monds kann zwei Nächte lang- nicht 
in einer Gestalt auftreten ? Denn orfivat bezieht sich auf einen 
Moment und dem widerspricht die Zeitangabe edppövas Öüc. 
Geht man von dieser Lesart aus, so muß man orfjivat ändern, 
etwa in pelvaı, was paläographisch keine Schwierigkeiten macht. 

!) Ganz anders in der Parallelstelle Eur. Bakch. V. 1064. Hier kann 


das Unbegreifliche der Wundertat, der Gott biegt die geraden Fichten- 
stimme zu Bögen um, gar nicht eindrucksvoller geschildert werden. 


394 Miscellen. 


Aber eurpöva; 66 ist nicht überliefert, vielmehr eüugpövarc. 
Und damit bekommen wir den besten Text und gleichzeitig 
einen weiteren Beleg für das seltene indeklinable ööo. Bei den 
Tragikern kenne ich nur noch einen Fall: Aesch. Ag. 122. 
HeÖydg CE arparönavts 160v Gb Arpacı. — Ev Kopp mi Tg 
aurd, poprl, cfr. Ant. v. 513 Spamos Ex pıäs TE xal Tadrou 
narpö;. Plato leug. 627 c. roAI& Gdergol ou yEvorvt' Av Evög 
Avöpös TE xal pägvieic. I. IX v. 319. Ev 88 (9 nd Adv raxds 
nöc aal EsyAöc. Soplı. El. v. 1314. pı& &öo. Vol. dazu Kaibel 
in seinem Kommentar. Il. T 293 roög pr pia yalvaro kitnp 
hat pix auch die Konstruktion von ab mit dem Dativ an- 
genommen. — 

V.7. adtig eönpeneotatn „wenn das Bild des Mondes von 
sich aus gerechnet am schönsten erscheint“. Ebenso Od. 11.483 
aeio % Ayıdded cOtıg dvip nponaporde paxapratos cürT &p' 
örissaw = von dir aus gerechnet war vorher niemand der 
glücklichste noch wird es später jemand sein°). Am bekann- 
testen ist der Gebrauch in der Formel: äptotog abrdg &aurod 
tcte £Eyevero. Daß dabei «urög nicht notwendig ist, lehrt 
unsere Stelle und Plut. Mor. 413 B. BeAtiotoug Exur@vy Yiyveo- 
Yaı tous Avdpwroug. 

Anders liegt der Fall bei Eur. Alc. 332/333 oüx Eorıv 
cÜTws GÜTE naTpbs Euyevoüg, oüT Elöog AAAwg Exnpeneotem 
uvm. Hier ist die Verbindung von o0twg und Exnpeneotitn 
unerträglich. Davon ıst bei der Interpretation auszugehen. 
Offenbar schwebt dem Dichter ursprünglich vor cötwg .. &x- 
npents, er vergißt aber den Zusammenhang, den Vergleich, und 
läßt sagen: „Das beste Weib“. Demgemäß ist zu schreiben: 

00% Eatıv OÜTWE OÜTE TIXTpdG EDYEYOÜg, 
cür eldos ANWS — EATPENEITETN YUYT. 

V.8. Nauck zog vor «eig 16. Einen Grund gibt er nicht 
an. Eine Entscheidung zu treffen ist unmöglich. Für Er! 
spricht Soph. El. v. 1000 

Ypiv 6’ Aroppel xanl punöev Epyerar. 


München. K. Rupprecht. 

2) Ich schließe mich Ziemers Interpretation an. Schwabs (Hist. 
Syntax der griech. Komparation p. 44 Anm. 1) Einwurf ist nicht stich- 
haltig. Denn es soll bier nicht verglichen, sondern festgestellt werden, 
daß keinem im Vergleich mit Achill der Superlativ des Glücks zu- 
erkannt werien kann. 


m... 


a En Een en anti u ERREGER REIN 


Miscellen. 395 


be 
5. "Antepiws. 


Dieses merkwürdig webildete Wort, bisher nur durch ein 
ürammatiker-Zitat (Herodian fr. 108 L., von ihm abhängig Et. 
M.s. v. &bog£wg) belegt, ist endgültir für Hesiod gesichert 
lurch die Berl. Klassiker-Texte V fr. 3. 46. 

to: 8 antepewg Enihovro. Die Bedeutung „hurtig“ wird 
klar durch Parm. I. 16. 5 oyıv BrAzvwrov öxria | Antegkwg 
VIELE TTULEWV ÄNO KT. | 

Apoll. Rhod. IV 1763. xeitev 8 antepews &ı& püpıav 
Aöpa Arrövreg, schol. t&yıor«. Nahegelegt wird dies ferner da- 
durch. daß drte££ws in einem formelhaften Hexanıeterausgans 
tpadäwg (1 260) bzw. Eoounevws (o 288) vertritt. 

Das Wort und die Form haben schon die antike Wissen- 
schaft beschäftigt: Herodian fr. 168 L. arterzwg* rap‘ "Ho:- 
Lo wanep Tb Abcrewg. orpalve: ÖE TO alzvcing‘ ATd TTELWV, 
antepwv, antegwg. Antepiws" cürwg “Hpwe:avis. Diese Ab- 
leitung wird auch von Eınst Fraenkel (Glotta II p. 28 fi.) 
angenommen. Er läßt drter£wz; durch dissimilatorischen Silben- 
schwund aus drorntegewg hervorgehen. Er irrt aber, wenn er 
das gleiche Prinzip dem Herodian zutraut. Wie sich dieser 
den Vorgang dachte, mögen zwei Fragmente Jdartun. fr. }93L. 
ITvW°" YEYove rap& Tb Apaviis dyavbs Ws Eloeßis edaeßis, 
EÜYEVNG EUYEVOS X guyaonT; val dnoßoAf; too a Kal Zvadpatrf, 
Ted Tovou Ad Toy Kapıaızpa. cdTwWs Tepl TAIWV. 

fr. 195 L._ 18 Zzuwv ouvYheröv Eotı rap: Tb a EntTatındv 
Wipioy Aal, KAUWV: ARIUWv Ani KaTk ouyXoniy Öxjwv nlovsi 
d TAYU XRUVWV. 

Falsch ist aber vor allem die Ableitung, weil sie sich 
nit der Bedeutung des Wortes nicht vereinbaren läßt. ard 
ntepwv heißt „weg von Flügeln“, aus dieser Hypostase kann 
sich ein Adjektiv „flügellos* bestenfalls entwickeln, anteptws 
heißt aber „flugs* wie wir oben gesehen haben. 

Mir scheint Arteptwg bzw. @rtepx (Hes. iocntepx, Taxe, 
cea) in die gleiche Reihe zu gehören wie ä3:og (Hes. mIov- 
ss W5 "Avtıpav Ev ’Adndeia. Harp. Ad:c:. Töv Ztov "Avtı- 
av Ent Tod noAuy Bloy nextnpevon Eracev wg "Upnpos A&v- 
‚Aov Akyeı tiv moAUEUACY), @yovov (Hes. .... roAbYovov), Axa- 
ots. cfr. Harp. Axapfj avı Tco puzpov I) obztv rap’ "Avtı- 
POYTt, usw. oder wie atsvig, AYaYis, AOREPXTS, AOTERPTS. 
‚Solmsen (Beiträge zur griech. Wortforschung p. 22) führt das 
2 aufid. sm zurück und faßt demnach die Adjektiva auf „als 
wit Spannung, Gähnen, Andringen, Stütze versehen“. Ganz 
natürlich würde sich daraus die gegebene Bedeutung ableiten 
'lassen. Zwei Schwierigkeiten sind noch zu beheben. Man 


396 Miscellen. 


erwartet natürlich &. Die Psilose erklärt sich aber ebenso wie 
in &tevig oder in ’Anatoöpex durch die Herkunft aus dem 
jonischen Sprachgebiet, bzw. durch das Vorkommen im joni- 
schen Epos. Dieses hat auch die künstliche Form auf &w; 
hervorgebracht. Ein Kretikus mit konsonantischem Ausgang 
war im Hexameter unmöglich. 

Diese Adjektiva waren auch der Verbalbildung fühig. 
Neben &tevig stelıt atevißw (cfr. Epavnc-Aypavikw); dem ärte- 
pov entspricht unter Vermittlung von rTepbocev-rrepuscecte: 
ein- Verbum ärntepbscesyet, das das Intensivum des Simplex 
darstellt. Es wird belegt durch das Archilochus-Fragment 
109 a (Hiller-Crusius) 


npbAss 
retons Em: mooBATjto; Amtepbocero. 
München. Karl Rupprecht. 


6. Zu dpyi, npoonirter tv! cum infinit. bei 
Thuc. ID 11, 7. 


Thuc. II, 11,7 ist überliefert n&oı yap Ev Teig öpaoı na’ 
Ev to napauriax Gpäv TdsXovras Tı Andes öpyn npostirter ‘alle 
nämlich befällt Zorn, vor ilıren eigenen Augen und auf frischer 
Tat zu sehen, daß Leute etwas Ungewohntes erleiden = wenn 
sie sehen, daß ...’ So verstand sclıon Böhme die Stelle; zu 
TAGYOVTa; ist leicht tıv&c, womit offenbar Landsleute gemeint 
sind, zu ergänzen. Steup nimmt in seiner Thucydidesausgabe 
(Buch 2, 5. Aufl. Weidmaun, Berlin 1914) Anstoß an der 
Konstruktion TÄGL opyi rpoorinter mit dem Infinitiv; von 
Wendungen wie öpyn npsorninter pflege kein Infinitiv abzu- 
hängen. Er nimmt deshalb an, dab; etwas in der handschrift- 


lichen Ueberlieferung ausgefallen sei, und schlägt zur Heiluns 


des Textes vor, etwa ötav Eunßf; vor öpdv einzuschieben; räs: 


soll dann dd xstvoö zu EunB und npooninter gehören, Er 


Tolg öppadt..... mAoXovtds zı indes von öp&v abhängen. 


Die Stelle ist für den Textkritiker wie für den Gram- 


matiker bedeutsam ; sie lehrt, daß man im Griechischen nicht 
wegen einer ungewöhnlichen und anscheinend vereinzelt da- 
stellenden Konstruktion, die in den landläufigen Grammatiken 


nicht behandelt ist, an der Ueberlieferung ohne weiteres herum- 


bessern darf — weshalb Steups Vorschlag abzuweisen ist —, 


ist doch die griechische Syntax recht frei, und manches ist 


psychologisch leicht zu erklären, was der Logik zu wider- ' 


sprechen scheint. An unserer Stelle wird dem Schriftsteller 


zunächst eine Wendung wie r&o. yap ..... 6päv Ösıvöv Eot: 


Miscellen. 397 


vorgeschwebt haben; dann aber drängt sich ihm bei der sprach- 
lichen Formung noch der Gedanke auf, daß der Zorn beim 
opäv alle befällt; und so setzt er statt dervöv &otı oder eines 
ähnlichen Ausdrucks Öpyh npoozirter. Stahl, Krit.-histor. Syn- 
tax des griech. Verbums S. 710 zählt unsere Stelle unter den 
Fällen auf, in denen der Kasus des Particips mit denı des 
Beziehungswortes nicht übereinstimmt: Er muß zu diesem 
Zwecke öpäv streichen. Mir scheint, nicht mit Recht. Archi- 
damos will in seiner Rede betonen, daß alle Lacedämonier 
der Zorn befällt, wenn sie irgendwelche unter sich durch 
den Krieg leiden sehen. Die Wirkungen des Krieges treffen 
zunächst nicht die Gesamtheit, sondern nur einen Teil der 
Bevölkerung. Die Ergänzung von tıvas zu rdoyovrag dürfte, 
wie gesagt, keine Schwierigkeiten machen. 

Uebrigens steht die Konstruktion öpyn npoonirter tevi mit 
dem Inf. nicht so vereinzelt da, wie Steup glaubt. Man kann 
wenigstens zum Vergleich die Konstruktion dervöv Tı Eyxer Tıv& 
cum inf. ‘es ergreift einen (etwas Empörendes =) Empörung’ 
Herod. 161 heranziehen : tdv d& dervöv tı Eoxe Arınalesdar rpds 
Uestotpatou ‘es ergriff ihn Empörung, von P. beschimpft zu 
werden —= daß er von P. beschimpft wurde’. Diese Konstruk- 
tion ist sicher naclı dgvöv tivi &otı c. inf. erst gemacht; derviv 
tt Exer tıv& c. inf. konnte auch leicht das Vorbild für öpyN 
npsorirter tevi cum inf. abgeben; wegen des Verbs vyl. noch 
Eowg printer rev c. inf. Thuc. VI 24,3. 

Die Infinitivkonstruktion ist in jenen Phrasen jedenfalls 
erst auf analogischem Wege zustande gekommen. Und zwar 
war es der bei unpersönlichen Ausdrücken übliche Subjekts- 


infinitiv, der sie ins Leben rief. Es stebt mir nun noch ein 


De 


Fall zur Verfügung, in dem der nachı Verben übliche Objekts- 
infinitiv den Anstoß zu einer analogischen Infinitivkonstruktion 
gegeben hat. Nach alödelsyat, aioxbvestat c. infin. sagt nıan 
gelegentlich aidas Exer tıv& c. inf. So w Zwxpateg, atöws Tig 
 Exer Tb vOv npW@Tov auyyevöpevov Div gi) KaT& aıxpdv Ercog 
npag Eros norelodar TNv ouvouatav, AAN Exteivavra ATonYjXÜveiv 
löyov auxvdv xar’ &uaurdv, eite nal mphg Erepov, olov EniderEiv 
rsroßnevov Plato Soph. 217 D. 


Dorpat. BE. Kieckers. 


7. Nochmals zur Satzapposition. 


Glotta 11, 79 ff. habe ich die im Griechischen und La- 
teinischen übliche Satzapposition aus einem alten, ursprüng- 
lich selbständigen Nominalsatz zu deuten gesucht, der zum 
vorhergehenden Satz in grammatische Beziehung gesetzt wurde. 

Pbilologus LXXVIII (N. P. XXXID, 314. 


398 Miscellen. 


Ich nalım deshalb an, daß der ursprüngliche Kasus für dies 
Satzapposition der Nominativ war, und daß der Akkusativ erst 
sekundär in dieser Konstruktion aufgekommen ist. 

Kroll lehnt dagegen in seiner Erwiderung Glotta 11, 
81-—-84 den Zusammenhang mit einem alten Nominalsatz ab 
und will die Entstehung der Satzapposition anders deuten. 
Nach ihm liegt der Ursprung der Satzapposition in der Appo- 
sition zum einzelnen Worte, so daß man mit einer syntak- 
tischen Verschiebung zu rechuen hat. Er nennt als Beispiel 
dafür I 48 yuvalx’ &ueröt' Aviiyes.... natp! TE op n£ya reie 
non TE navel TE Öljıp, Övopeväcev ev Kappa, Rarnyeinv 5 
oo: auto. Hier wird rip zunächst Apposition zu yYuvaiz' 
£vetd£ gewesen sein, da Helena selbst als rApa sehr wohl be- 
zeichnet werden konnte. Ich muß aber Ameis-Hentze darin 
beistimmen, daß die drei Akkusative als Apposition zum ganzen 
vorhergehenden Satze zu fassen sind; ich nehme an, daß die 


Verschiebung in diesem Beispiel bereits vollzogen ist; die zwei . 
weiteren Akkusative xXoappx und xa@tnpeinv scheinen mir dafür 
zu sprechen. Als die Verschiebung vollzogen war, war die 


Satzapposition ım Akkusativ fertig; sie konnte 


auch angewandt werden, ohne daß ein im Akkusativ stehen- _ 


des ursprüngliches Beziehungswort voraunfging. So in der von 
Kroll zitierten Stelle Soph. Ai. 558 TEwg d& xoUpoıs TTVEdgLaotv 
Böoxou, vexv duxiv AtdAAwv, puntpi TYöE Xapnovnv, ferner I 
196 f. Q 375, Aesch. Ag. 234fl.... rnoltpwy dpwydv Eur. 
H. f. 323 und überhaupt überaus häufig bei den Tragikerı. 
Aus der Prosa nennen Kühner-Gerth II 1, 284 Plat. Gorg. 
507 D—E!). 


Ich erkenne willig an, daß Kroll derartige Fälle richtig 


‘verstanden und erklärt hat, nur mit der schon ausgesproche- 
nen Einschränkung, daß an einer Stelle wie I' 48 bereits die 
syntaktische Verschiebung eingetreten sein wird. 

Unbeachtet läßt Kroll aber eine Stelle wie Eur. Heracl. 
70 £., wiewohl ich sie a. a. 0. S. 80 zitiert babe. Dort steht 
die Satzapposition im Nominativ: Ix£rar 5 övıe: 
ayopaiou Ards Braköpeode xal arepn piaiverar, öde 7’ Overdor 
al Ye@v Atınla. Hier muß ein alter Nominalsatz vorliegen. 
Man wird also verschiedene Ausgangspunkte für die Entstehung 
der Satzapposition im Griechischen anzunehmen haben. Und 
einen Nominativ erblicke ich auch 5 182 ff. od ptv yap ca 
Te xpeiscov xal dperov 7) 6% öpnoppoveovre vonuaa:v olaxov Eynntcv 
avnp 168 yuvij n6M’ AAyea Övopevisccrv, Xüppata d' EÜREVETgT!, 
nadıata SE T' Exduov aödrol, eine Stelle, von der Kroll a. a. 0. 


— 


“ N) Die von Kroll a. a. O. angegebene Literaturstelle Matthiae Gr. Gr. 
8 432,5 ist verdruckt, ea muß 8 432, 4 lauten. 


Miscellen, 399 


84 selbst sagt‘ daß sie sich dem Nomimalsatz nähert. Hier 
dürfte wegen des folgenden noch ein selbständiger Nominalsntz 
vorliegen; in der Euripidesstelle aber handelt es sich schon 
nm eine fertige Satzapposition. Und im (kegensatz zu dem 
ersten Typus darf dieser zweite mit den a. a. O. S. 80f. von 
mir beigebrachten deutschen Beispielen gleichgestellt werden). 

Im Griechischen ist allerdings der zweite Typus weit seltener 

als der erste. Wird die Apposition durch ein neutrisches 
Substantiv gebildet, so ist die Entscheidung schwer zu treffen, 
ob ein Fall der ersten oder zweiten Art vorliegt. Zu dieser 
„weiten Kategorie scheint mir noch zu gehören £rel yüp EEe- 
nveuey ’Ayaeıvway Biov nAnyels Yuyarpds TG Eis Orep xdpe, 
agyıorov Epyov, — 00 Yüpalvesw notre — ypfiv abroy Enıhelvar 
uey alatos Öxıv Oalav dmxovt ErßBalelv TE Öwpatwv nTepr 
Eur. Or. 496 fi. 2). 

Was nun das Lateinische angeht, so ist die bei Cicero 
übliche, im Akkusativ stehende und durch rem gebildete Satz- 
apposition gewiß echt lateinisch und frei von griechischem Einfluß. 
50 dieitis non intellegere nos quam dicatis voluptatem, rem 
ridelicet diffieilem et obscuram! de fin. 2,75. Ich gebe Kroll 
darin recht, daß man rem... ... obscuram als Apposition 
ua voluptatem fassen und daß in einem derartigen Beleg wieder 
eine syntaktische Verschiebung eingetreten sein kann, so daß 
sich dann Fälle anschlossen wie admoneor ut aliqwid etiam de 
humatione dicendum existimem, rem non difficilem Tusec. 1,102. 
sı cu mulla videor easigere, cogitet oratorem institni, rem arduam, 
... Quint. ınst. orat. 1, 1, 10. Außerdem wird aber der 

 Accusativns exclamativus bei der Entstehung dieser Satzapposition 
ım Akkusativ mitgewirkt haben, worauf auch Kühner-Stegmann 
Il 1,248 hinweisen. Daß Cicero in der Satzapposition das im 
| 1) In der deutschen Poesie kann die Satzapposition auch in den . 
Satz eingeschoben werden, zu dem sie gehört. Ich nannte Glotta 11,81 
ala Beleg Dahn, Hagens Sterbelied Str. 14. Hinzu füge ich noch Denn 
auch Niobe, dem schweren | Zorn der Himmlischen ein Ziel, | Kostete die 
Frucht der Aehren | Und heswang das Schmeregefühl Schiller, Das Sieges- 
fest Str. 12. 
| 2) Als Satzapposition nennen Kühner-Gerth II 1,284 noch Eur. Baccb. 
II. ai S’arnoBalodcaı Yadepdv äpnpatov Invov Avükav öptat, Ya! ideiv 
 zöxngpiac, via araal napdevor 7’ Er’ ALuysc. Hier scheint mir aber 
ade’ idelv ehroonlag eine Wortapposition zu ai Anoßadodou zu sein; 
vgl. av 7 or ypuosn Trug äyhırog, adräp Inspdes yamıs! Inloowıra tpco- 
 ampöra, Yabpa ldicher E 724 f. Hier ist 9. 13. Apposition speziell zu 
' yaAxa’ ärioowtrge. In vorhergehenden Versen wird schon die Herstellung 
| les Wagens beschrieben; und es wird darin 726 ff. noch fortgefahren, 
' Ebenso ist in 9% Forte än’ doyapy Ev nupäg adyy TAdXaTa oTewWgmdG" 
 Alındopuce Jana lökoder, xlovi xerdıneın 5305 fl. 3.18, Apposition zu 7. 
Entsprechend mit $aöp« ldetv Hymn. Ven. 203 ff. Das beweist auch di« 
Stelle Aapiv 2’ dgrdopad" Ispk Imoaupimv napa nareoxlake dabpar' dvdpmro:g 
öräv Eur. Jo 1141 f., wo zu "rdonatz der Plural Yalnara gesetzt ist. 
26* 


400 Miscellen. 


Accusativus exclamativus bei Sachen sonst vorgesetzte 0!) fort- 
läßt, ist stilistisch leicht begreiflich, da der Akkusativ nun 
nicht mehr selbständig allein stand. 

Andrerseits aber kennt Cicero doch auch eine Satzappo- 
sition im Nominativ, so nec Homerum audio, qui Ganymeden 
ab dis raptum ait propter formam, ut Jovi bibere ministraret, 
non iusta causa, cur Laomedonti tanta fieret iniuria Cic. Tusec. 
1, 65. portum esse corporis ct reqwescere in sepulcro »putal 
morltuum, magna culpa Pelopis, qui non erudierit filium ıbid. 
107. So auch später compositae duodecim tabulae, finis aegqwi 
turis Tac. ann. 3, 27. Auch diese nominativische Satzapposition 
ist meines Ermessens ohne griechischen Einfluß auf lateinischem 
Boden entwickelt; sie hat sich hier ebensogut aus einem alten 
Nominalsatz herausbilden können wie im Griechischen und 
Deutschen. Daß dagegen bei den augusteischen Dichtern 
manche Wendungen — mag die Satzapposition nun im Nomi- 
nativ oder Akkusativ stehen — durch griechischen Einfluß 
hervorgerufen sind, gebe ich gerne zu. Für die nacheicero- 
nianische Prosa muß aber betont werden, daß, nachdem Cicero 
die akkusativische Apposition mit rem geschaffen hatte, analog 
leicht auch andere Fälle gebildet werden konnten. Ob daher 
in einer Stelle wie Eumenem .... prodidere Antiocho, mercedeni 
scelerum Sall. h. 1, 55, 12 griechischer Einfluß vorliegt, ist 
mir zum mindesten höchst zweiielhaft. Schließlich sei noch 
bemerkt, daß man auch fürs Lateinische, wenn die Satzappo- 
sition durch ein neutrisches Substantiv gebildet wird, nicht 
sicher ausmachen kann, ob eine nominativische oder akkusa- 
tivische Apposition vorliegt ?). | 

Dorpat. E. Kieckers. 


1) Siehe Kühner-Stegmann II 1, 273. 

?) Ueberaus häufig ist übrigens die Satzapposition in der altirischen 
Poesie. Sie ist, wie mir I'hurneysen schreibt, für die Dichter die 
beqnuemste Art, Reim- und Alliterationswörter zu finden. Sie werden 
mitten in den Satz eingeschoben, wie im Deutschen in den Belegen 
aus Schiller und Dahn. Inhalt und Form lehren deutlich, daß es sich 
nur um einen alten nominativischen Nominalsatz handeln kann. So 
7. B. fommchain cot menn — medair mass — | hi mıbrot glass de dind- 
gnaib doss. ‘Mit Gesang begleitet mich der hellstimmige Kuckuck 
— ein prächtiges Geplauder — im gräulichen Mantel von den Höhen 
des Busches herab' (‘Schreiben im Freien’ Str. 2) Strachan, Thes. pa- 


laeoh. II 290 (= Thurneysen Handb. II, 39). OÖ rubiam — scöl cen schs — 
innar tegdais ar n-Öendis, | täithiunn — dichrichide clius — | ni fris'- 
tarddam ar n-äthius Nachdem wir — eine Geschichte ohne Ermüdune — 
in unserem Hause sind, wir zwei ullein, dann haben wir — ein end- 
loses (?) Spiel — etwas, worauf wir unsere Energie verwenden‘ (Der Ge- 
lehrte und sein Kater’ Str. 3) Strachan a.a.O. II ©“ (NAVSEN 
n.a.0,. 11 40)....oca scathad — scel co-Ui — ben wer 
‘Beim Abhauen desselben (d. h. des Holzes) — ein: 


- 


Miscellen. 401 


8. Bödgos. 


Im Catal. cod. astrolog. Graec. tom. VIII, 3 (Brüssel 1912) 
ist auf S. 126 ein griech. Traktat Bothri philosophi ad regem 
Persarum epistula de vulturis virtutibus in zwei Rezensionen 
ediert._ Beide gehen nach dem Herausgeber auf eine breitere 
Fassung zurück. (Danach erübrigt sich die in Pauly-Wiss. 
Realenz. s. v. vorgeschlagene Trennung iu zwei Personen des- 
selben Namens.) Zu der Persönlichkeit des B. bemerkt der 
Herausgeber P. Boudreaux: De B. nihil compertum habeo. 
Die zahlreichen Üebereinstimmungen mit den sog. Kupavlöss 
sind in der Ausgabe angemerkt. Die Ueberschrift lautet in 
der 1. Fassung: Zopoü tıvos Bödpou npds Baoıleo, in der 2.: 
Böspou Baaılkwg Ilepswv repi wyeleiaz noAdois twv Avdpurwv 
€x toO Yunöc. Da beide denselben Anfang haben und den Per- 
serkönig anreden, so ist klar, daß die erste Fassung dem ur- 
sprünglichen Titel näherkommt, und daß sich somit der „Vei- 
fasser“ als weisen Mann ausgibt, der an den Perserkönig 
schreibt und darlegt, wie die einzelnen Teile eines Geiers 
zerschnitten (unter Zauberformeln) heilkräftige Wirkungen aus- 
zuüben vermögen. Der Name des „Verfassers“, Bothros, ist 
sonst im Griechischen nicht belegbar (auch die Papyri kennen 
ihn nicht). Das kann bei der großen Masse von griech. Eigen- 
namen, die uns die Papyri und Inschriften überliefern, darauf 
hinweisen, daß der Name den orientalischen Sprachen entlehnt 
ist!). Ich glaube, den Namen unseres „Autors“, wenn ich 
ihn einmal so nennen darf, aber nochmals in der spätägyp- 
tischen Literatur nachweisen zu können. 

Als im Jahre 1899 H. Schäfer in den Sitzungsber. der 
Berl. Akad. ein „Bruchstück eines kopt. Romans über die 
Eroberung Aegyptens durch Kambyses“ veröffentlichte, hat 
dieses seltsam mit den sonstigen kopt. Literaturüberresten 
kontrastierende Fragment mit Recht das größte Aufsehen er- 
regt 2). Kambyses versucht (am Eingang des Erhaltenen) 
die Aegypter auf seine Seite zu ziehen; da ist es BOB®OP, 


schlug er sich die Evangelienhand ab.’ Gedicht auf Oengus, herausg- 
v. Thurneysen, Abhandl. d. k. Ges. d. Wiss. zu Göttingen, phil.-histor. Kl. 
N. F. 14, 3,20 Str. 9b. 

ı) Eine Ableitung von 36%p05 „Grube“ ist sehr unwahrscheinlich. 
Auch ist er wohl zu trennen von dem in den Hibehpap. I 118, 10 über- 
lieferten Bötfog 6 yuAaxlıng (vgl. ebd. 120, 3 ein Börpug) [um 260 v. Chr.]. 

2) Beiträge zur Erklärung und Neulesung haben seitdem geliefert: 
OÖ. v. Lemm, Kleine kopt. Studien VIII 64 f., 1900. Q@. Möller, Zu den 
Bruchstücken des kopt. Kambysesromans in Aegypt. Zeitschrift 39 (der- 
selbe auch Neuausgabe in Aegypt. Urkunden a. d. k. Mus. zu Berlin, 
Abt. kopt. Urk. I 2 Nr. 81) und W. SResslleiE: Arab. Einflüsse in 
dem kopt. Kambysesroman, Aegypt. Zeitschr. 45, 83 f. 


402 Miscellen. 


ein Aegypter, von dem der Komau sagt, daß er war „ein 
kluger Mann in seinem lat und ein Weiser in seiner Kede. 
ein Held in seiner Kraft und ein Streiter im Kampf“ (Col. ID 
12£.). Auf seinen Rat nun schreiben die Aegypter „einen 


Brief, wie Botbor, ilır Schreiber, es geraten hatte* an „die 


Bewohner des [Westens?]*, daneben aber offenbar, wie Col. 
V9f. zeigt, auch an Kaınbyses. Wegen der großen Lücken- 
haftigkeit ist namentlich der Anfang des letzteren Schreibens 
nicht ganz klar. Was für uns das Wichtige ist, sei kurz 
hervorgehoben: In dem kopt. Roman wie in dem oben be- 
sprochenen Briefe tritt eine Figur namens BOBOP = Bödpo; 
auf, die in beiden als weiser Mann fungiert, der an den Per- 
serkönig schreibt, so daß ich glaube, wir dürfen in dem kopt. 
Bo%op und dem griech. Bö%pos ein und deuselben Mann er- 
blicken, eine romanlıafte Persönlichkeit, die vermutlich orien- 
talischer Erfindung ist. Spiezelberg 1. c. S. 84 versucht nach- 
zuweisen, daß wir in den BOBOP die arabisierte Form des 
bekannten Namens Bixtwp zu sehen hätten. Das ist mir des- 
wegen nicht walırscheinlich, weil aus dem arab. Bugtur?) kop- 
tisch ein *BOKTOP zu erwarten wäre®). Aus dem Griechi- 
schen, Koptischen oder Persischen ist der Name nicht zu 
erklären. Fürs Arabische schreibt mir Littnaun, daß Ab- 
leitungen von der Wurzel btr als Eigennamen vorkommen, 
aber keiner, der den Vokalen nach zu BOBOP paßt). 

Man würde zunächst woll versucht sein, die koptische 
Form für die ursprüngliche zu halten und Bödpog für eine 
gräzisierte anzusehen, wie etwa in den griechischen Inschriften 
Syriens arabische Personennamen mit und ohne griechische 
Eudung vorkommen. Dann bliebe der Schwund des zweiten 
OÖ wie auch die Etymologie des Namens zu erklären. 

Ich glaube aber, wir haben in dem BöYpos das Ursprüug- 
liche zu sehen, und zwar liegt der arabische Name Butrus*) 
vor. Nun sprach der Kopte das 8 aber nicht als einen Kon- 
sonanten, sondern (wenigstens im Swidischen, dem bedeutend- 
sten Dialekt) immer zerlegt in + h?), also *BOT2PUC, ge- 
wiß eine schwer zu sprechende Gruppe, die das Einschiebeu 
eines Hilfsvokals von selbst erforderte, so entstand *BO'T 2 OPOC 

®) Ich schreibe der leichteren Lesbarkeit wegen die arabischen Na- 
wen in lateinischer Schrift. 

*) Das hat mir auch E. Littmann, dem ich die Frage vorlegte, 
brieflich freundlichst bestätigt. 

6) [,. macht mich z. B. auf den in den safaitischen Inschriften vor- 
On nden Nauen "N2 und auf Ba$ohnpo» bei Waddington 1984 b auf- 
merkanm. £ 

*) kr ist, wie Littmann mich belehrt, die arab. Wiedergabe des 
griechischen Il&tpog. 

?) Das zeigt auch die Schreibung zweimal mit O im Koptischen. 


Miscellen. 403 


und mit Abstreifen der griech. Endung *BOT 20P-BOBOP. 
Der Abfall der griech. Endung erklärt sich gewiß durch den 
Gleichklang mit dem Gott Horos, den der Kopte sowohl in 
der einheimischen Form /WP als auch in der grüzisierten 
"Oros kannte. Daß man für den ägypt. Vertreter die ein- 
heimisch klingende Form wählte, ist sebr natürlich. Aber 
auch aus *BOT2 OPC ließe sich mit Abfall des schwer hinter 
P zu sprechenden C BOBOP erklären. Aehnliche Konsonan- 
tenausfälle sind in den im Koptischen entlehnten griech. Fremd- 
wörtern häufig, vgl. etwa otatnp-CATEEPE, GITPE-xLtpov, 
KOAOBI-xoXöB:ov oder, das schlagendste Beispiel, KOYUIEP- 
“urpos, ebenfalls mit Umspringen des Vokals und Abfall des C. 
Ist somit Bödpos-Botop identisch?) und stammen beide aus 
dem Arabischen, so ist für den Kambysesroman wie für die 
oben genannten Traktate ein terminus post quem in der ara- 
bischen Eroberung Aegyptens um 640 gegeben). Daß ein 
arabischer Astrolog als Schreiber an den Perserkönig aus- 
ersehen wurde, ist bei den durchaus verworrenen geschicht- 
lichen Vorstellungen, die der Romanschreiber zeigt, nicht ver- 
wonderlich. | 


Heidelberg. | Friedrich Bilabel. 


9. Aus der Werkstatt des Athenaios. 


Das IX. Buch beginnt nach einem kurzen, aus zwei par- 
olistisch verwendeten Odysseeversen bestehenden Proömium!) 
mit lexikalischen Erörterungen des attizistisch orientierten 
Ulpian über die aufgetragenen Speisen?). Die Speisenfolge °) 
weist Schinken mit pikanten Gewürzen and Saucen auf, ist 
aber besonders reichhaltig an Geflügel: E&fjg 58 Todrwv noAAwv 
al Tavrodanmv Ertpeponevwv Ypels Ermionpavoupnedx Ta pvntng 
aaa. nal yap bovidwv ANdo; MV del xal Xnv@v, Et Ö& TWv 
vecsawv öpvidwv, ods Inroug TIveg Radoücı, Xal Xolpwv (!) 
Aa TOv TEpLonoUVödeTWv Ypactavırav Ööpvidwy (368 E). Dabei 
fällt das Auftreten der Ferkel inmitten des Geflügels auf. 
Offenbar war das so üblich. Bevor aber nun in eine Be- 
sprechung dieses Themas eingetreten wird, müssen wir uns 


°) Littmann stimmt mir brieflich zu. 

*) Für den ersten hat schon Spiegelbergs Nachweis eines arabischen 
Beiwortes des Kambyses diese Grenze gezogen. 

ı) Vgl. K. Mengis, Die schriftstellerische 'l’echnik im Sophistenmahl 
des Athenaios. Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums X 5, 
Paderborn 1920, S. 76 f. | 

Ueber diese Art von Motivierung vgl. ebd. S. 66, 76 f. 

?, Die Speisenfolge ist offenbar die bei vornehmen Gastmählern 

übliche, vgl. u. a. Matrons 'Aruırdv dsizvov 89 ff. (Ath. IV p. 136 D). 


404 | Miscellen. 


zunächst eine die Komposition störende Einlage über seltene 
Gemüse (369 A—372 F in Katalogform) gefallen lassen *). Mit 
szenischem Uebergang°) beginnt der Geflügelkatalog, dessen 
im Ganzen lexikalische Grundlage in unserer Ueberlieferung 
durch die den einzelnen Numinern vorgesetzten Lemmata noch 
besonders hervorgehoben wird®). Den Anfang des Katalogs 
bildet eine Abhandlung über die öpveıs im allgemeinen (373 A 
bis 374 D), wobei der Sprecher Myrtilos, ausgehend von einer 
Bemerkung über das grammatische Geschlecht des Wortes 
öpvis, die Erörterung auf den Spezialfall @lXextpuwv hinführt 
(373E). Daran schließt sich ohne jede szenische Notiz oder 
Dialogspur die Besprechung der ö£Ayaxes (374 E)”). Dieser 
Abschnitt übar das Schweinefleisch entwickelt sich zunächst 
ganz im bisherigen katalogartigen Rahmen, geht aber 376 C 
(szenischer Uebergang!) in ziemlich lebhaften Dialog über ®), 
der erst 384 A wieder dem Geflügelkatalog Platz macht. Auclı 
bier herrscht während der ersten Nummern der Dialog noch 
vor. An der Erörterung über die x7jves orreuroi (szenischer 
Uebergang) beteiligen sich Ulpian, Plutarch, Myrtilos und 
Kynulkos. Auch zu diesem Gang werden Delikatessen ser- 
viert: Hpixpampar GEeAPArwv, ÖbuAlnapov (eine pikante Sauce) 
u. a. Die Erörterung scheint so lebhaft geworden zu sein, daß 
Ulpian und Myrtilos den nächsten Gang, den als Delikatesse be- 
sonders geschätzten Fasan, verpaßt haben (386 Df.). Auf 
Ulpians Bitte hält Myrtilos über den Fasan einen mit zahl- 
reichen Zitaten aus Aristophanes, 'Theophrast, Aristoteles u. a. 
gespickten Vortrag. Im folgenden ist jede Dialogspur getilgt. 
Das ganze Stück 387 F—398 B unterscheidet sich von den 
lexikalischen Partien sowohl hinsichtlich seiner ganzen Anlage), 
als auch hinsichtlich der breiten Ausführlichkeit in der Be- 
schreibung des Geflügels. Als Quelle dieses zusammenhängen- 
den, einheitlichen Abschnittes hat Wellmann das Werk ep! 
Cowv des Zoologen Alexandros von Myndos ermittelt!°). Nach 
9) Eine der Stellen, die für die Beurteilung der Schriftstellerei des 
une Bedeutung sind. Vgl. Die schriftstellerische Technik 
= inel 2b Hal Öpvsıg EnToav Talg RoAoxüviaug Kal Adorg xviotolg Aayd- 
> ls bezeichnendes Gegenstück vgl. den Fischkatalog des VII. Bu- 
ches und dazu „Die schriftstellerische Technik* usw. 74 f. 

?) Sie erscheinen nach den dAsxtpuöveg auch in Strattis! Wuxaotatg 
(1 728K. Ath. IX 873 f. Stichwort ?). 

3) Darüber vgl. „Die schriftstellerische Technik“ 3. 20. 4. 

®) So fehlt z. B. die dort übliche alphabetische Anordnung wie 
z. B. im Fischkatalog des VII. Gerade der mißglückte Versuch des 
Athenaios, sein Material alphabetisch zu ordnen (388 B ff.) beweist, daß 
hier nicht mit einer lexikalischen Quelle zu reci:nen ist. 

10) Hermes XXVI (1891). 


Miscellen. 405 


diesem Gewährsmann also bespricht Athenaios in diesem Ab- 
schnitt folgende Vögel: Haselhulın (&ttayä&; 387 F), Wasser- 
huhn (roppupiwv 388C), Rebhuhn (n£pd:5 388 F), Wachtel 
(öpru& 392 A), Schwan (xöxvos 393 D), Wildtaube (yaoo« 393 F), 
Ente (värt« 395C), Pfau (Ttaws 397 A), Auerhbahn (? rErpeE 
398B). Bei der letzten Nummer setzt zwischen Ulpian und 
larensis der Dialog wieder ein (398B). Innerhalb dieses in 
sich geschlossenen Abschnitts lassen sich folgende lexikalischen 
Einlagen feststellen: 388 BE—389 A, 390 A, 391 D, 392 ABEF, 
393 BC, 394 A, 395 BC, 395 F—397 A. Mit Ausnahme der 
letzten (395 F—397 A), die in szenischer Motivierung einige 
pikante Fleischspeisen (dabei auch die unvermeidlichen Span- 
terkel 396 C) zur Diskussion stellt, handelt es sich durchweg 
ım Ergänzung des wissenschaftlichen zoologischen Materials 
durch Dichterzitate (meist aus der Komödie) nach der lexika- 
lischen Seite hin. Daß diese Exzerpte Berührungen mit Hesych 
aufweisen, scheint, ohne daß es zwingend bewiesen werden 
könnte, auf den p. 387 D zitierten Pamphilos als Gewährs- 
mann hinzuweisen, auf dessen Sammelwerk auch die übrigen 
lexikalischen Ausführungen dieses Buches zu fußen scheinen !!). 
Das Deipnon, über das in den ersten Büchern referiert 
wird, geht IX 408B zu Ende: es wird Wasser zum Reinigen 
der Hände gebracht. Auf das X. Buch fällt der offizielle 
Potos (X 422 E)'!2). Mit Buch XI setzt ein neuer Tag ein: 
TVayFEYTWv yap inw@v nad’ Dpav!?). Diesem gehören die Er- 
örterungen der Bücher XI, XII, XIIL, XIV. Das Gelage dieses 
Tages findet XIV 664 F seinen Abschluß. Mit diesen un- 
zweideutigen Daten steht in unerträglichem Widerspruch, daß 
das Werk in seiner heutigen Gestalt offenbar Anspruch er- 
hebt, Darstellung eines Mustergastmahls zu sein. Ich habe 
| früher an anderer Stelle gezeigt, daß „diese Absicht der ersten 
Konzeption jedenfalls noch fremd“ war“). Eine weitere Stütze 
‚ trhalten jene Darlegungen durch die Untersuchungen, die ich 
heute vorlegen kann. 
Das XIV. Buch befaßt sich mit der Unterhaltung der 
henden. Sie wird bestritten von Akrobaten und Musi- 
kanten. Natürlich schließt sich an die Darbietungen der 
, Künstler und ihre Instrumente eine breite Diskussion an. Wäh- 
rend eines Vortrags des Masurios werden die sog. deürtepat 
‚ !pärela:, das Dessert, aufgetragen (639 B): die verschiedensten 
Sorten Kuchen (Katalog der Kuchen), feines Obst (643 A bis 


") Vgl.K.Bapp, Beiträge zur Quellenkritik des Athenäus, Comment. 
888, S. 251 ff. 


\  .) Ueber die Zeitverhältnisse vgl. ebd. S. 4. 
) Ebd. S. 5 ff. 


406 . Miscellen. 


653 D) und Käse. Der schriftstellerischen Technik des Athe- 
najos gemäß tritt man zuerst in eine allgemeine Erörterung 
über debrepar toxneLar, Entöoprionata ein, bis 643 A der Redner 
Pontianos zu den einzelnen Leckerbissen tibergeht. Ulpian 
beendet 653 D den Katalog des Obstes mit dem Tirrpa: €: 
7, yevvala otaguin aa eva T& yevvala obxa; einer Aufgabe, 
der sich Masurios unterzieht. Außerdem kündet Ulpian eine 
Fortsetzung seiner Rede an: Wpx odv üplv Intelv Eng Eyw 
repi rovesis(!) napaxeın£vovöreL£idw (Ueber- 
sang!). Aber als 654 A nach den Ausführungen des Masurios 
Ulpian, wie es nach dem Voraufgegangenen wahrscheinlich 
ist, wiederbeginnt, ist der alte Uebergang vergessen, ein neuer. 
ın die Situation gar nicht: passender tritt an seine Stelle: 
erel ÖL Tordanıs önlv elpntar tmepl Te xpeov xea! 
spvidwv (!), Epxonar andy Akkwv Goa Ex roluavayvwaolag (!) 
eupelv AöuvvnNINv Tap& T& rpoepnueva (vol. IX 384 ff.) An 
Geflügel wird besprochen: Taube (reptottgıcv 654 B, vgl. IX 
3840—395C), Fasan (yaotavıxdc 654C, vgl. IA 386 D). 
Pfau (taws 654D, vgl. IX 397 A ff.), Perlhuhn (peiexyp:; 
655 B), Rebhulın (n£pöt 656 C. vgl. IX 388E), Mast- 
gänse (Xfjves arteurot 656 E, vgl. IX 384 A). Die Aehnlich:- 
keit dieses Abschnittes mit dem Geflügelkatalog des IX. Buches 
ist frappierend, sie gelıt sogar soweit, daß an beiden Stellen 
die Aufzählung des Geflügels unterbrochen oder ergünzt wird 
von Bemerkungen über Schweinefleisch (IX 396 C. XIV 655 F, 
656 F), Euter (oödap IX 399 C, X1V 656 E) und Hasen (Aayu; 
IX 399 D, XIV 656C). Vielleicht war der Geflügelkatalog 
des XIV. Buches ursprünglich noch umfassender oder wenig- 
stens umfassender beabsichtigt, als er uns heute vorliegt. 
Darauf kann die Bemerkung deuten,- die Ulpian XIV 652 E| 
mitten im Obstkatalog im Anschluß an ein Phoinikideszitat 
(III 333 K) über das Haselhuhn macht: &v robtcıs one on 
xal Tv TOD Arrayfivos pvnanv. Wenn er damit, was an sich 
durchaus möglich ist, nicht auf den I. Geflügelkatalog Bezug 
nimmt, so hätten wir darin eine Vorbereitung des II. Kata- 
logs zu erblicken. In diesem sucht man aber das Hasellıuhn 
vergeblich. 
Es fragt sich nun, wie diese erneute Behandlung des Ge- 
fügels und der Fleischspeisen an dieser Stelle zu erklären ist. 
Daß der Platz für die Erörterung der denkbar schlechteste 
ist, wird jedermann zugeben. Denn es ist schlechterdings 
nicht einzusehen, was Geflügel und Fleischspeisen mitten unter 
dem Dessert zu suchen haben. Dazu kommt, daß in der 
heutigen Fassung die Erörterung dieser Dinge so gut wie un- 
motiviert einsetzt. Die Schwierigkeit löst sich aber mit einem 
| 


| 


“ opfert wurde. 


Miscellen. 


407 


Hal, wenn wir uns zu der Annahme verstehen, daß das heutige 
 Mustergastmahl nicht den ursprünglichen Zustand darstellt. 
‚ Wir werden vielmehr in dem ll. Geflügelkatalog die Trümmer 
-«ines ursprünglich selbständigen Deipnons zu erblicken haben, 
; das nachträglich einem sekundären Kompositionsprinzip ge- 
Darum auch die selbst bei Athenaios so be- 
sonders ungeschickte Art der Motivierung (XIV 654 A, cap. 69) 
an Stelle der ursprünglich szenischen ?°). 

Nun erhebt sich aber die Frage, ob Athenaios bei dieser 


| Doppelbehandlung desselben Stoffes ein und derselben Quelle 
' gefolgt ist, oder ob er, was von vornlierein nicht abzuweisen 


sin wird, auf verschiedenen Grundlagen aufbaut. Zur Beant- 
wortung ist eine Gegenüberstellung der parallelen Abschnitte 


notwendig. 


X 


‚ı A gepavsytivwv 85 Tobıwv xal 


EAmv XNvBV REfıTtög EOXSUX- 
opivov Ep tig „ol XNivsc 
arwresurol" xal 6 OdAmavdc 
„5 8: ortsurdg xTv apa Tivı®; 
ape; dv 6 TMobrapyos’ Bsb- 
Koprog päv Eon 6 Xtog dv 
zatc "Eidyvıratc (FHG I 281) 
av 77 proxadexdın da Tv 
PAınnınav 'Aynoddp to Ad- 
ww sis Alyunıov dgırondvp 
zinda obs Alyuntloug xNvac 
al pöcxoug arısurodg. nal Ere- 
zivns 8° 5 xwupmpörororög dv 
Baxyaus pnstv (11417 K) — — 


zn xat Apysorparog iv To 


RoAudpUA TE norrnan (fr.58R). 


XIV. 


BTBANYOV BE OLTEVTOV xal 


pöcywv BOsöroprtog Äv ıy 
Guınmurdv xal ıa’ "EiAnvıröv 
(FHG 1 297 u. 281), &v olg dupa- 
vicsr Td nepl iHv Yasıdpa Tav Ac- 
KOYOV EYApatic Ypdyımv ODTwg‘ 
varrol Bdara Ersubav 'Aynoddo 
rpoadvu nopößora Taviodarnd 
al Boüg sd Tedpanpavoug, rrpöc 
zodras di xal räınaro ort 
zpaynnatov sldog navrodarnav. 
6 8’ "Aynollaog ı& p&v npößare 
y.al tac Boüg Elaßev, Ta && räı- 
para xal tk Tpayiipata TEWTov 
piv 00% EyYvw' AATEXEXAAUNTO 


vap. Ds db narsldev, Krropäparv 


ahroug Exdlevosv, slıwv OD vöns- 
pov elvar Auxsdarnovioug Xpf- 
oda Torodrarg Tols ddkonaaı. 
Iırarobvrov ds av Baolwv "Dörte, 
anal, gepovrss äxslvorg', Belkas 
abrols Todg sllwrag, elnwv ötı 
robroug dkoı Kapdelpscda: Tpw- 
yovras adr& TOAL nA&).Aov 7; aD 

zöv al tohs rapövras Auxsdx: 

noviov'. 


Daran schließt mit szenischer Motivierung in beiden Fällen 
ein aus Schweinefleisch bestehender Speisegang: IX 384C: 
rsav ÖL al Auinparpa: noAlal deipdxwv, XIV 657 E Enel ö& 


al neracwves (Schulterblatt, Schäufele) p£pos Exdotp xeltau, 
IV repvav Aarolsı KT). u 


18) Vgl. XIV 657 E. 


Miscellen. 


408 


654 RB DAZIANIKOZ. Hroispatog 


3e6D Iın Eifer der Unterhaltung 
C 6 Baoıdsüg iv ıh dndsxdtp 


haben Ulpian und Myrtilos 


#87 B 


den Fasan an sich vorüber- 
gehen lassen. Ulpian ver- 
spricht dein Myrtilos, ihn für 
den entgangenen Leckerbissen 
zu entschädigen, falle er eich 
zu einem Vortrag über den 
Fasan herbeilasse. Myrtilos 
willfährt und gibt folgende 
Belege: 

"Apypıc iv Tovarxopavig (II 

238 K) 


Aprotrtopydvyng dv drdparı 
"Opviavv‘ 1%), (v.67 .)— 
äv Nsyeraıg (v. 109) 
Mvnolpaxyog dv Plan 
(Il 442K) — — 
Bsöyppacorog di 6 'Epkarog, 
"Apıororsioug pass, dv 71T 
Y’ repl Cowv (fr. 180 W) pvn- 
HOVSÜWY AUTWY OUTWOL WG A&yst' 
‚sort d& al Teig öpvıar Teradın 
&aFopa" & päv Yap Bapka nal 
un RTNURd, Xaddısp Arıayyv, 
nEzetE, GASKTPUD)Y, Faaravög, 
söyug Babzotınd al ducda. 
“ar ’Apıarorsing &v öydcy 
Cyowv ioroplag Ypdge ads 
(p. 633 a 29) 'elot 88 iv Öpvi- 
Ywv 0: tv Xoviorxol, ol d& 


C Aoöüvrar, ol C& oüTs Kovıorızol 


odTs Aodvrar. 8oor 88 a TerN- 
tirol, AAN” eniysior' Kovotxol, 
olov AAsxtopic, negdıe, Krrayııv, 
paoravss, Kopudadiög'. LYNRO- 
veost d’ adrov Kal ÖrnsHoLr- 
nos dv Bdaurdep Opnolov. — 
— — 'Ayadopyidng 6 
Kuld:og dv Tü TsTapıy xl rrpıo- 
oo) av Eipwreaxov (FHG 


Tropvnpdtov nepl tüv &v’Ale- 
Eavdpsig Bacısiov Adyov (FHG 
1II 188) «at nepl Tüv dv aöroic 
Cowv Tpszopdvwmv grialv* "Te 
av yacıavav, OüG TETEPOUG Övo- 
n&Lovarv, [oög] od uövov &x Mr,- 
dla nstsnenneto, AIG xal vo- 
nadag öpvıdas bnoßalmv drrolnaos 
nANYoc, Wors xal arrsloher" Td 
yap Ppüpa noAureläc Aroyai- 
vovarv'. aurn(N)To) Auarrporätou 
Baatldwcg guy, d5 obdE pauavı- 
Rod öpvıög rors Ysdoaodau Oyo- 
Aöynoav, KIA Wonsp Ti ReinT,- 
lıov Avanxalısvov elys Tobcds 
odüg Öpv.tac. sl di Ewpdxsı Ds 
Tpnov ixacıy slg dou napaxs!- 
psvog Xuwplc TOv NN Xaravr- 
AWpEvwv,  TPOOAVATERÄNPWKEL 


D äy talg noAudpurrszaug Iotoplars 


ı0v Tropvnpdatwv Tobtwv Tale 
elxon Teavapav xal Wirv piav. 
"Apıororsing 8: (fr. 580R) 
N Bs0ppaaorog ävrots Irc- 
kyYpas "av gYaaravav, ayalv, 
od Kark Adyov 7 Önspoxn TOV 
Appivuv, AIG TOoAIG yusıl- 
vay!?), 


1%) Die ausführliche Inhaltsangabe der Szene aus den aristophani- 
schen Vögeln durch Ath. IX 386F steht in schärfstem Gegensatz zu 
der sonstigen Zitierweise. 
gebung heraus. 


17) Die Worte "Aptororling — psikövwov tilgt Kaibel ala male inter- 
iecta. Vermutlich stößt er sich an der durch sie veranlaßten Unter- 


brechung der Bemerkungen Ulpians über Ptolemaios. Ulpian fährt 


Sie fällt aus der streng lexikalischen Um- 


nämlich fort: sl 8 6 nposıpnpn&vocg Banisbg xal Tö Tüv Tamvmv nAT- 


Yog Ewpdxsı RT, 


Indes ist Kaibels Anstoß m. E. unberechtigt, Denn 


ganz abgesehen davon, daß er an die Kompositionstechnik des Athe- 
naios selbst damit einen zu scharfen Maßstab anlegt, beweist gerade 


die Wendung ö rposepnu&vog Baordeüg, die Kaibel nicht beanstandet, die 
Echtheit des Einschubs. Der Verweis auf den „vorgenannten“ König 
wäre nicht nur nicht nötig, sondern auch unlogisch, wenn die beiden 


A. nn 


Stücke so lückenlos zusammenschließen würden, wie Kaibel es will. | 


nn 


“re 


se9 A 


397 A 


Miscellen. 


D III 194) — — — KarilEs- 


voc 8 56 Po&os dv Teräpıy 
ep! "Alskavöpeia: (FHGII165) 
—— — "Apısplidwpog d& 
6 "Arıotondvsuog dv talg änıypa- 
Fonbvaus’OhapwuxatsTAwooaıc 
xalldupırog 6'Aiskavdpsüc 
Ev Tol; nepl Övondımv xal YAwo- 
oav 'Enalvstovnaparlderar 
Asyovıa xt. ITtoAspatoc 
8” 5 Ebepyätıng üv Ssurdop “Ino- 
mvrudtov (FHG II 186) tarapöv 
pnuv Övonatschar Tbv paoıavdv 
Eayıv. 


388 EF IIEPAIE, tobtwv roANol päv 


piuvaviar, Ge xal’Apıaro- 
PAYNnS. Tod 5 Övönaros ad- 
Toy Error auotslloun MV nsonv 
avMapiv, &5 'Apxtioyog 
(fr. 106 B*) — — 
ZogonAng Kanızoris (fr. 
sS0ı N) — — 
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rg dv Xslpwva (1192 K) — 
PpoüvıXyoc Teaypdots (I 
384 K) _ — 


Nıxop&v iv Asıpoydoropa 
(1 779K) — 

Ertxarpog 8° dv Kopaorals 
Braxsws (p. 244 L) xıA. 18), 


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öpvis Eylol 'Avtıpydvng dv 
Zuamoıy N Tixovı Adyav 
cötwg (II 99K)- 
Tov Tamv päv ac änak uc 
Leöyos Tiyaysv yövov, 
ondnovdvröxpfipa risloug 
8 slol vüv av öpruywv. 


al EbBovAocdv@olnxe 1). 


» 


666 C 


6644 D 


409 


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Lsöyog Nyaysv pövov, 
andvıov öv Td Xp, TÄSt- 
oug lat vöv TOV Öproymv. 
XYpnordv &vdrwrnov d’Eavrıg 


"*) Die anschließenden zoologischen Belege stammen aus einer ganz 


anderen Quelle, nämlich aus dem Werk des Zoologen Alexander von 
Myndos. Vgl. Wellmann a. a. O. 
Ä 9) zöv zamv AE, cf. IX 397 A. Die Korruptel entstand aus einem 


Ä Hörfebler beim Diktat. 


) 


414 Miscellen. 


| Jam patrı dextera Pallas 
Et Mars luevus erat; iam celera turba deorunm 
Stant utrimque — delcyus; validos tum Juppiter iynis 
Increpat et iucto proturbat fulmine montes 
Die Götter stehen zu beiden Seiten des Zeus — freilich 
nur eine Ehrenwache (aber kein wirksamer Schutz) ; da schleu- 
dert Zeus den mächtigen Blitz, der bewirkt, was die Götter 
nicht können. decus wird oft in Bezug auf Personen gebraucht, 
ganz wie oben Tac. Gern. 13, 12 haec dignitas, hae vires, 
magno semper iuvenum globo circumdari, in pace decus, in 
bello praesidium. Zu beachten ist an der Aetnastelle die un- 
mittelbare Aufeinanderfolge der Gegensätze decyus ; validos; 
zur Kürze der Ausdrucksweise vgl. Aetn. 76 vates sub terris 
nigros viderunt carmine („freilich nur in der Dichtung‘) 
mancs. 
München. Früz Weulter. 


11. Zu Seneca ad Polyb. de consolatione 11,1. 


Zahlreiche Verbesserungsversuche vermochten die Stelle 
Sen. dial. XI 11, 1... mentis humanae pravitas insatiabilis 
rerum ommnium indignalur inde *eximere (al. 1. eximi; der cod. 
Ambros. fehlt hier), quo admissa est precario nicht zu er- 
ledigen. Lies: indignutur inde eximi (iuyre, quo admissa est 
precario „die menschliche Seele entrüstet sich in ihrer Ver- 
kehrtheit darüber, daß sie mit Fug und Recht von der Stätte 
(nämlich aus dem Leben) genommen wird, zu der sie gnaden- 
weise Zutritt erhalten hat“. — Die Gegensätze ture-precarı 
stehen zur Hervorhebung nach ihren Verben; zum Fehlen 
von se vor eximi vgl. Kühner, Gramnı. d. lat. Spr.? II ı 
$124 A. 1b, S. 674, zu exrimi in der nämlichen consolatio 
cap. 3, 3 antequam felicitatem suam nosset frater tuus, exemp- 
tus est. 

München. Fritz Walter. 


nn no 


12, Zu Senecas Dialogen. 


Wie in den größeren Schriften Senecas hat auch in den 
Dialogen der Text verhältnismäßig weniger durch absichtliche 
Interpolationen als durch Versehen der Schreiber gelitten. Zu 
diesen Versehen gehören auch die nicht ganz seltenen Aus- 
lassungen von Wörtern oder Satzteilen. Die fehlenden Wörter 
sind nun freilich zum Teil schon durch den ersten und zweiten 
Correetor des Ambrosianus (A? u. A®) und zwar wohl aus einer 


Miscellen. 415 


dem Archetypus des A nahestehenden Quelle ergänzt, zum Teil 
durch die Bemühungen der modernen Kritik berichtigt worden. 
Immerhin finden sich auclı jetzt noch Stellen, an denen Lücken 
nicht als solche erkannt oder aus formellen oder sachlichen 
Gründen nicht richtig ergänzt zu sein scheinen. Verschiedene 
dieser Stellen sollen im folgenden behandelt werden, daneben 
such solche, bei denen eine andere Herstellung angebracht ist, 


. oder an denen die Ueberlieferung gegen Eingriffe von anderer 


ur Pal) 


Seite sich rechtfertigen läßt. Ich eitiere nach der Ausgabe 
ron Hermes. 

III, 1, 5. Bei den Tieren läßt sich der Ausbruch des 
Zornes schon vorher erkennen: non vides, ut omnium anima- 


. fm, simul ad nocendum insurrexerunt, praecurrant notae ac 


tota corpora solitum quietumque egrediantur habitunı et feri- 
tatem suam exasperent? Für den freistehenden Genitiv omnium 
anımaliım erwartet man mit Hermes omnibus in animalibus; 
doch ist eine solche Aenderung natürlich unstatthaft, vielmebr 
wird das regierende Wort ausgefallen sein. Gertz fügt irae 
hinter insurrexerunt hinzu, das aber deswegen bedenklich ist, 
weil Seneca in cap. 3, 4 die ira den Tieren ausdrücklich ab- 
spricht: impetus habent ferae, rabiem, feritatenı, incursum; 
ram quidem non magis quam luxuriam etc. Ich setze dalıer 
aus eben dieser Stelle lieber vor praecurrant — oder vielleicht 
richtiger mit älteren Ansgaben procuhrrant, vgl. Gertz stud. 
ent. p. 70 — incursui ein, ein Wort, das hinter insur- 
rexerunt ebenfalls leicht übersehen werden konnte. Vgl. auch 


&11,3; : 


IH, 7, 3. Commota enim semel et excussa mens ei servit 
quo impellitur. Weil man für servit einen Begriff der Be- 
wegung erwartet, schreibt Koch eo pergit, Windhaus vermutet 
eo ruit. Ich schließe mich letzterem an, glaube aber, dal 
das überlieferte servit nach vorhergehendem Ausfall von per 
aus se ruit zusammengezogen ist; es ist also zu lesen eo (per) se 
rnit quo impellitur. Die Wendung per se, die von der Eigen- 
hewegung der einmal erschütterten mens sehr gut paßt, ist 
bei Seneca beliebt; vgl. cap. 8, 5. 17, 1, 2, 8. 

III, 21, 2. Von der avaritia wird gesagt: acervis auri 
argentique incubat et provinciarum nominibus agros colit et 
sub singulis vilicis latiores habet fines quam quos consules 
sortiebantur. - Die von Heımes angeführte Vermutung Gemolls 
provincias nominibus agrorum colit ist abzulehnen, weil da- 
durch der gleiche Gedanke entsteht, wie ihn der folgende Satz 
ausdrfickt, insofern beide Male die Größe der agri hervor- 
gehoben würde; außerdem müßte man dann nomine erwartcıı 
(vgl. Gertz zu d. St.). Der Gedan ke Senecas ist: die avaritin 

27: 


412 Miscellen. 


gesteuert hat, bei der Identifizierung geirrt. Dem steht aber 
wieder der sonst ganz übereinstimmende Inhalt entgegen. 
Oder er wollte an der ungenauen Zitierweise seines Gewährs- 
manns positive Kritik üben. 

Lehrreich ist auch die Art und Weise, wie XIV 654D 
‚ eine Ergänzung zu den Belegen aus Theopbrast rep! Lawv 

(fr. 180 W) und Aristoteles Tiergeschichte (p. 633a 29) ge- 
geben wird, die beide IX 387B zitiert sind: "Aptotorteing 
Sen BEoppaorog Ev rois Tropvipaor 2). 

Einheitlich in ihrer Art sind die lexikalischen Belege für 
das Rebhuhn IX 388 E—389 A, wo die Exzerpte aus dem 
Werke des Zoologen Alexander von Myndos einsetzen. Sie 
werden XIV 656C lediglich um ein Hegesanderzitat (FHG 
IV 421) erweitert, dessen Vrcopvipat« zu den Büchern ge- 
hörten, die Athenaios am allermeisten ausschrieb 22). 

Für den Pfau werden, abgesehen von den Belegen, die 
wohl sicher aus dem Buche des Alexander von Myndos stam- 
men, mit einer Ausnahme nur Komikerzitate beigebracht, von 
denen der größere Teil auf den zweiten Katalog fällt. Unter 
diesen Zitaten kehrt das schon IX 397 A angeführte Antiphanes- 
fragment (11 99 K) um zwei Verse erweitert XIV 654 D wieder. 
Das beweist einmal, daß die ganze Zitatenreihe der zweiten Stelle 
die der ersten ergänzen soll. Dann geht daraus bündig her- 
vor, daß mindestens das erweiterte Antiphaneszitat nicht der- 
selben Mittelquelle entstammt wie das gekürzte des IX. Buches. 
Denn die beiden neuen Verse haben mit dem eigentlichen 
Thema «ws nichts zu tun. Vermutlich wird Athenaios, dessen 
Spezialgebiet ja gerade die Komödie war?°), die Verse aus 
seinem eigenen Exzerptenmaterial beigesteuert haben. 

Für die Eutscheidung der Frage, ob an beiden Stellen 
dieselbe lexikalische Quelle vorliegt, sind die Nummern cödap 
und Aaywg unergiebig, weil sie zwar bei Athenaios im Rahmen 
des Deipnons als Beilagen zum Geflügel ihren Platz haben, 
in einen reinen Geflügelkatalog jedoch, wie wir ihn für eine 
lexikalische Vorlage voraussetzen müssen, nicht passen. Indes 
sind gerade sie für die Arbeitsweise des Athenaios bezeichnend. 
Die Belege entstammen mit zwei Ausnahmen der Komödie. 
also vermutlich dem Zettelkasten des Athenaios selbst. Den 
Herodot, den er zu IX 899C anführt, hat er ebenfalls ım 
Original studiert und exzerpiert. Charakteristisch ist die Du- 
blette Tndendelöng Ev Zteppots (I 217 K) zu IX 399 C und 
XLV 656E. Wird durch sie schon so gut wie sicher die 


*1) So zitiert er überall die pseudoaristotelischen *Yropvrpata [oto- 


pırd. 
2) Wentzel a. a. O. 232) Ath. VIII 536 D, 


Miscellen. 413 


Möglichkeit ausgeschlossen, daß das Material ein und der- 
selben Vorlage mechanisch auf zwei verschiedene Stellen ver- 
teilt wurde, — ich glaube das hieße in diesem krassen Fall 
selbst einem Athenaios Unrecht tun — so gewährt sie uns 
darüber hinaus noch einen Einblick in die Technik des Schrift- 
stellers Athenaios. Gewiß wird man die Variante Yyopw 
+:pw in dem Telekleideszitat ebenso leicht paläographisch wie 
als Hörfehler beim Diktat erklären können 2%). Glücklicher- 
weise hat sich aber Kaibel vor der öden Gleichmacherei ge- 
hütet, die in solchen Fällen nur zu schnell bei der Hand zu 
sein pflegt, um die richtire Üeberlieferung zu verderben. In 
unserm Fall kann die Diskrepanz eine gewollte sein. Möglich, 
daß Athenaios beide Lesarten vorfand und an der zweiten 
Stelle Kritik an der ersten Lesart üben wollte ?°). 

Das Hauptergebnis: Athenaivs hat im IX. und XIV. Buch 
je einen durch jeweils gleichartige Fleischspeisen erweiterten 
Geflügelkatalog eingelegt. Während der des IX. Buches an 
seiner Stelle wohl am Platz ist, stört der des XIV. Buches 
inmitten der Erıöopnionxta aufs unangenehmste den Zusammen- 
hang. Das war nicht der Fall, wenn dieser Katalog ursprüng- 
lich analog dem des IX. Buches einem besonderen Deipnon 
angehörte. Wir haben hier also wieder eine Spur zum minde- 
sten eines früheren Eutwurfes des Sophistenmahls, vielleicht 
aber auch darüber hinaus einen Beweis für die Trümmerhaftig- 
keit unserer Ueberlieferung. 

Der zweite Katalog gibt sich ausdrücklich als Ergänzung 
des ersten. Aber während dieser mit großer Wahrscheinlich- 
keit, wenigstens was den rein lexikalischen Teil angeht, auf 
einer entsprechenden Vorlage, vermutlich dem Lexikon des 
Pamphilos, basiert, ist das bei dem zweiten nicht der Fall. 
Die Auswahl der Fragmente und die Art ihrer Zitierung läßt 
die Vermutung begründet erscheinen, daß hier Athenaios das 


im IX. Buch gegebene Material seines Gewährsmanns durch 


) 


| 


eigene selbständige Exzerpte ergänzt hat. 
Freiburg i. Br. Karl Mengis. 


10. .Zur Aetna V. 63. 


Die viel besprochene Stelle — sie betrifft den Giganten- 
kampf — bedarf bloß der Einfügung eines Buchstabens: 


2) Vgl. Kurt Zepernik, Die Exzerpte des Athenäus in d. Deipno- 


, sopbisten u. ihre Glaubwürdigkeit, Philol. N. F. XXXI (1921), S. 329. 


3) copstv ist in solchen Fällen das gebräuchlichere Verbum. Vgl. 
Lobeck, Phrynichus 585. 


Philologus LXXVIIL (N. F. XXXII), 34. 27 


414 Miscellen. 


| Jam patrı dextera Pallas 

Et Mars luevus erat; am celera turba deorun 

Stant utrimque — delcyus; validos tum Juppiter iynıs 

Increpat et iucto proturbat fulmine montes 

Die Götter stehen zu beiden Seiten des Zeus — freilicl: 

nur eine Ehrenwache (aber kein wirksamer Schutz) ; da schleu- 
dert Zeus den mächtigen Blitz, der bewirkt, was die Götter 
nicht können. decus wird oft in Bezug auf Personen gebraucht, 
ganz wie oben Tac. Gern. 13, 12 haec dignitas, hae vires, 
magno semper iuvenum globo circumdari, in pace decus, iu 
bello praesidium. Zu beachten ist an der Aetnastelle die un- 
mittelbare Aufeinanderfolge der Gegensätze delcyus ; validos; 
zur Kürze der Ausdrucksweise vgl. Aetn. 76 vutes sub iterris 
nigros viderunt carmine („freilich nur in der Dichtung‘) 
mancs. Ä 


München. rüz Walter. 
ABLE | 


11. Zu Seneca ad Polyb. de consolatione 11,1. 


Zahlreiche Verbesserungsversuche vermochten die Stelle 
Sen. dial. XI 11, 1. . . mentis humanae pravitas insatiabtlis 
rerum ommium indignatur inde *eaimere (al.1l. eximi; der cod. 
Ambros. fehlt hier), quo admissa est precario nicht zu er-ı 
ledigen. Lies: indignutur inde eximi (iu)re, quo admissa est 
precario „die menschliche Seele entrüstet sich in ihrer Ver- 
kehrtheit darüber, daß sie mit Fug und Recht von der Stätte 
(nämlich aus dem Leben) genommen wird, zu der sie gnader- | 
weise Zutritt erhalten hat“. — Die Gegensätze tTure-precari : 
stehen zur Hervorhebung nach ihren \erben; zum Fehlen ' 
von se vor eximi vgl. Kühner, Gramni. d. lat. Spr.? II 1 
$ 124 A. 1b, S. 674, zu ezimi in der nämlichen consolatio 
cap. 3, 3 antequamı felicitatem suam nosset frater tuus, exemp- ' 
tus est. 

München. Fritz Walter. 


] 


mn nn U nn 


12, Zu Senecas Dialogen. 


Wie in den größeren Schriften Senecas hat auch in den | 
Dialogen der Text verhältnismäßig weniger durch absichtliche 
Interpolationen als durch Versehen der Schreiber gelitten. Zu | 
diesen Versehen gehören auch die nicht ganz seltenen Aus- 
lassungen von Wörtern oder Satzteilen. Die fehlenden Wörter | 
sind nun freilich zum Teil schon durch den ersten und zweiten | 
Corrector des Ambrosianus (A? u. A®) und zwar wohl aus einer 


Miscellen. 415 


dem Archetypus des A nahestehenden Quelle ergänzt, zum Teil 
durch die Bemühungen der modernen Kritik berichtigt worden. 
Immerhin finden sich auch jetzt noch Stellen, an denen Lücken 
nicht als solche erkannt oder aus formellen oder sachlichen 
Gründen nicht richtig ergänzt zu sein scheinen. Verschiedene . 
dieser Stellen sollen im folgenden behandelt werden, daneben 
auch solche, bei denen eine andere Herstellung angebracht ist, 
oder an denen die Ueberlieferung gegen Eingriffe von anderer 
Seite sich rechtfertigen läßt. Ich citiere nach der Ausgabe 
von Hermes. 

Il, 1, 5. Bei den Tieren läßt sich der Ausbruch des 
Zornes schon vorher erkennen: non vides, ut omnium anima- 
liam, simul ad nocendum insurrexerunt, praecurrant notae ac 
tota corpora solitum quietumque egrediantur habitum et feri- 
tatem suam exasperent? Für den freistehenden Genitiv omnium 
animalium erwartet man mit Hermes omnibus in animalibus; 
doch ist eine solche Aenderung natürlich unstatthaft, vielmehr 
wird das regierende Wort ausgefallen sein. Gertz fügt irae 
hinter insurrexerunt hinzu, das aber deswegen bedenklich ist, 
weil Seneca in cap. 3, 4 die ira den Tieren ausdrücklich ab- 
spricht: impetus habent ferae, rabiem, feritatem. incursum; 
iram quidem non magis quam luxuriam etc. Ich setze daher. 
aus eben dieser Stelle lieber vor praecurrant — oder vielleicht 
richtiger mit älteren Ausgaben procnrrant, vgl. Gertz stud. 
erit. p. 70 — incursui ein, ein Wort, das hinter insur- 
rexerunt ebenfalls leicht tibersehen werden konnte. Vgl. auch 
c. 11, 3. i 

III, 7,3. Commota eninı semel et excussa mens ei servit 
quo impellitur. Weil man für servit einen Begriff der Be- 
wegung erwartet, schreibt Koch eo pergit, Windhaus vermutet 

‚ eo ruit. Ich schließe mich letzterem an, glaube aber, daß 

das überlieferte servit nach vorhergehendem Ausfall von per 

: aus se ruit zusammengezogen ist; es ist also zu lesen eo (per) se 

mit quo impellitur. Die Wendung per se, die von der Eigen- 

bewegung der einmal erschütterten mens sehr gut paßt, ist 
bei Seneca beliebt; vgl. cap. 8, 5. 17, 1, 2, 3. 

III, 21, 2. Von der avaritia wird gesagt: acervis aurt 

ı argentique incubat et provinciarum nominibus agros colit et 

sub singulis vilicis latiores habet fines quam quos consules 

' sortiebantur. - Die von Heımes angeführte Vermutung Gemolls 

| provincias nominibus agrorum colit ist abzulehnen, weil da- 

durch der gleiche Gedanke entsteht, wie ihn der folgende Satz 

ausdrückt, insofern beide Male die Größe der agrı hervor- 

gehoben würde; außerdem müßte man dann nomine erwartcn 

+ (vgl. Gertz zu d. St). Der Gedan ke Senecas ist: die avaritia 

\ 27° 


416 Miscellen. 


bestellt die Aecker nach den Namen der (römischen) Provinzen, 
also sicilische, afrikanische, asiatische usw. In demselben 
Sinne heißt es ep. 87, 7 divitem illum putas, quia in omnibus 
provinciis arat. An unserer Stelle wird also in dem 2. Satze 
die Verbreitung der agri über das gauze Reich hin, im 3. da- 
gegen die Größe der einzelnen Komplexe hervorgehoben. 

IV, 2), 4. Et quia aliis contra iram, aliis contra tristi- 
tiam remediis utendum est nec dissimillimis tantum ista sed 
contrariis curanda sunt, semper ei occurremus quod increverit. 
Das ei bezieht man leicht unter vorschwebendem vitio auf deu 
einen oder anderen der beiden genannten Fehler, die ira und 
tristitia; dagegen darf, wie Gertz gesehen hat, der Hinweis 
darauf, daß man jeden Fehler mit dem ihm entsprechenden 
Heilmittel bekämpfen soll, nicht fehlen. Gertz schreibt in der 
Ausgabe (rite) occurremus, während er in den stud. crit. p. 92 
(suis) semper etc. vermutet. Ich glaube eher, daß zwischen 
semper und ei (proprie) „in eigentiümlicher Weise“ einzu- 
schalten ist. Vgl. IV, 27, 2 cum interin nihil horum quae 
nobis nocent prosuntque ad nos proprie derigatur. Ep. 90, 29. 
91, 15. 

VI, 5,6. Nulla re maior invidia fortunae fit quam aequo 
anımo. Der Gedanke dieses Satzes paßt nicht recht zu der 
vorhergehenden Aufforderung, einem bösen Schicksal sich nicht 
kläglich zu unterwerfen, sondern es aufrecht und standhaft zu 
ertragen. Man erwartet die Fortsetzung: „durch Gleichmut 
wird man Herr über den Neid des Schicksals.“ Dieser Ab- 
schluß entsteht durch die leichte Aendexung von fit in fis, so 
daß also invidia als Abl. comparat. anzusehen ist. 

VI, 11,4. In der Schilderung der menschlichen Schwach- 
heit und Gebrechlichkeit ist zu Anf. von $ 4 überliefert: 
precarii spiritus et male haerentis qua parum repentinü audiet 
ex Improviso sonus auribus gravis excutit. Den von Hermes 
aufgezählten Vorschlägen zur Heilung der schweren Verderbnis 
füge ich hinzu: quem parvus repentinus (impetus) claudit et 
ex improviso etc. Kepentinus impetus findet sich auch cap. 16,7. 

VL 25, 3. Die Abgeschiedenen sind wohl daran, denn: 
aeternarum rerum per libera ct vasta spatia dimissi non illos 
interfusa maria discludunt nec altitudo montium aut invine 
valles aut incertarum vada Syrtium. Eternarum rerum per 
liberam et vasta spatia dimissi A!; in eterna rerum per libera 
et vasta spatia dimissos F et vulg. Aeternarum rerum potiti 
per l. et v. sp. dimissi sunt; non Gertz: aeterna rerum p. |. 
et v. sp. dimensos non illos Schultess. Gertz ist wohl mit 
Recht bei seiner Emendation von A! ausgegangen !), hat also 


ı) D.h. in der Ausgabe, anders vorher Stud. Crit. p. 121. 


Miscellen. 417 


den ersten Teil der überlieferten Worte bis dimissi als selb- 
ständigen Satz angesehen. Seine Verbesserung setzt aber an. 
zwei Stellen einen Wortausfall voraus, während wir mit der 
Annahme nur einer Lücke auskommen können. Ich lese 
nach dial. XI, 9, 8: aeternarum rerum perspiciunt bona) per 
libera et vasta spatia dimissi; non illos etc. So erklärt sich 
auch der Ausfall leicht durch Uebersehen der Worte perspiciunt 
bona vor folgendem per. 

VII, 6, 2. DBeatus est is, cui omnem habıtum rerum 
suarum ratio commendat. Da A omnen habitumque bietet, 
so scheint auch hier ein Wortausfall vorzuliegen; denn Schul- 
teß’ Aenderung ordinem habitumque ist von Gertz mit Recht 
zurückgewiesen, weil das betonte omnem nicht entbehrt werden 
kann. Gertz schließt nicht gerade wahrscheinlich das que an 
ein hinter habitum einzufügendes statum an, Pauly schlug 
vor omnem conditionem habitumque. Leichter als conditionem 
hinter omnem kann nach cui das Wort vitam ausgefallen 
sein; omnem läßt sich dann &rd xorvoO auch zu habitum ziehen. 

VII, 10, 2. Atqui quis ignorat plenissimos esse volupta- 
tibus vestris,stultissimos quosque et nequitiam abundare iucundis 
animumque ipsum genera voluptatis prava sibi multa suggerere? 
Sibi hat Haase aus sed verbessert. Aber der Satz enthält noch 
einen zweiten Fehler; denn das bloße animum entspricht, wie 
Gertz gesehen hat, weder dem Gedanken des Satzes noch den 
vorangehenden Subjektsakkusativen. Nur der entartete animus 
strebt nach schlechten Freuden, ebenso wie dies die stultissimi 
quique und die nequitia tun. Gertz meint, es sei ein Wort 
wie perversum zu ergänzen. Das richtige Wort dürfte dege- 
nerem sein, das leicht vor genera ausfallen konnte. 

VIII, 2, 2. Nach den Vorschriften der Stoiker soll man 
erst die Wahrheit lernen, dann aber auch lehren. Die zweite 
Forderung lautet: deinde, ut possit hoc aliquis emeritis jan 
stipendiis, profligatae aetatis, jure optimo facere et ad alios actus 
animos referre virginum Vestalium more, quae annis inter 
officia divisis discunt facere sacra et cum didicerunt docent. 
Die unverständlichen Worte ad alios actus animos referre hat 
man auf verschiedene Weise zu verbessern gesucht: ad actus 
aliorum animos referre Pfennig; ad alios actus canos reierre 
Joh. Müller; ad alios actui armandos se referre Schulte; 
Gertz endlich et ad alios actus omnes deferre. Mir scheit:t, 
die Umstellung der Wörter actus und animos unter gleic..- 
zeitiger Aenderung von actus in actum?) zu genügen. Mit alii 
können nämlich, wie auch Gertz erklärt, nur alii homines 


‚) Der Singular mußte natürlich hinter alios in den Plural über- 
ge en. eo 


418 Miscellen. 


(sc. iuniores) gemeint sein. Sie werden als alii animi bezeich- 
net, weil es sich um eine geistige Einwirkung handelt; denn 
“actus bezieht sich auf die Betätigung der contemplatio; es ist 
aber nicht = actus negotiorum publicorum (Gertz), sondern 
das Lehren der stoischen praecepta. Vgl. cap. 6, 2 sic im- 
perfectum ac languidum bonun est in otium sine actu pro- 
iecta virtus, nunquam id, quod didicit, ostendens. Bei dieser 
Auffassung der Stelle wird auch der Vergleich mit den Vesta- 
linnen vollkommen klar. 

IX, 2, 1. Den Zustand derjenigen, die propter infirmi- 
tatem bonae mentis noch nicht zur Weisheit gelangen konnten, 
vergleicht Seneca niit solchen, qui ex longa et gravi vale- 
tudine expliciti motiunculis levibusque interim offensis per- 
stringuntur et, cum reliquias effugerunt, suspicionibus tamen 
inquietautur medicisque iam saniı manum porrigunt et omnenı 
calorem corporis sui calumniantur. Das Wort reliquias haben 
Cornelissen und Hermes beanstandet und durch pericula bzw. 
durch febrieulas ersetzt. Auch Gertz vermutet, wenn auch 
mit einigem Bedenken, querellas. Allein reliquias läßt sich 
doch wohl verstehen: Die von schwerer Krankheit. Genesenden 
werden zunächst noch zuweilen von leichteren Angriffen des 
Leidens befallen, und auch dann wenn sie den letzten Resten, 
also den Nachwehen der Krankheit entgangen und wieder ge- 
sund sind (iaum sani), .ist die Angst noch nicht geschwunden. 
Zu reliquias ist also aus dem Vorhergehenden der Begriff 
gravis valetudinis zu ergänzen. 

IX, 2, 13. Inde peregrinationes suscipiuntur vagae et 
in litora pererrantur, et in litora A, et litora vulg. Et mille 
orae Gertz, et aliena litora Joh. Müller und Hermes, et ulte- 
. riora Schulteß. Die einfachste Verbesserung ist, wie mir 
scheint, et in/via) litora pererrantur. Invius findet sich V, 
20, 2; VI, 25,3: Xll, 7,3; ep. 73, 4. 

IX, 10, 6. Sic et aliquae cupiditates animum acuent et 
finitae non in immensum incertumque producent. Aliquae 
scheint aus alligatae verschrieben zu sein; denn die Be- 
gierden an sich schärfen den Geist nicht, sondern die Bindung 
uud Begrenzung derselben. Diese Behauptung hat Seneca in 
den ganzen beiden Kapiteln 9 und 10 zu beweisen gesucht 
und besonders im unmittelbar Vorhergehenden werden die 
Hochstehenden zum richtigen Massbalten in ihrer Machtstellung 
ermahnt; sie vor allen sollen ihre Leidenschaften in sittlicher 
Zucht halten (alligare), um sich klug praesidia für einen et- 
waigen Fall zu schaffen. und sollen ilınen ein Ziel setzen 
(finire), bevor das Schicksal dies tut. Auch entsteht erst 
durch das Particip, eine logische Entsprechung zu finitae. 


u 


Miscellen. 419 


X, 2, 4. Quam multorum elognentia et cotidiana osten- 
tandi ingenii spstio sanguinem educit! So lautet nach Gertz’ 
Angabe allem Anschein nach der ursprüngliche Text von A, 
der dann durch Rasur verändert wurde zu-der zur Vulgata 
gewordenen Lesart quam multorum eloquentia cotidiano ost. ing. 
spatio sang. educit. Auch in dieser erwartet man an Stelle 
des matten spatio ein Wort wie studio (Lipsius) oder servitio 
(Madvig). Legt man jedoch, wie es methodisch richtiger er- 
scheint, die ältere Lesart von A zugrunde, so muß in spatio 
ein 2. Subjekt enthalten sein. Gertz erblickt dies in occupatio, 
Hermes in iactatio; mir scheint die in dem Objekt und Prä- 
dikat zum Ausdruck gebrachte äußerste Anstrengung ein 
stärkeres Wort zu erfordern, nämlich luctatio. Luctari 
gebraucht Seneca oft zur Bezeichnung eines angestrengten 
Ringens; das Substantiv findet sich ep. 88, 19; N.Q. V, 12,5: 
v2, 9, 2. 

X, 10,5. Abit igitur vita eorum in profundum et ut 
nihil prodest, licet quantumlibet ingeras, sı non subest quod 


_ exeipiat ac servet, sic, nihil refert quantum temporis detur. 


sı non est ubi subsidat, per quassos foratosque animos trans- 
mittitur. Der Vergleich würde an Bestimmtheit gewinnen, 
wenn der Gegenstand, mit dem die quassi foratique animi ver- 
slichen werden, ausdrücklich genannt, also vor prodest das 


Wort cribrum (de benef. VII, 19, 1) oder colum hinzu- 


gefügt würde. 

X, 14,3. Isti, qui per officia discursant, qui se aliosque 
inquietant, cum bene insanierint, cum omnium limina cotidie 
perambulaverint nec ullas apertas fores praeterierint, .... ... 
quotum quemque ex tam immensa ... urbe poterunt videre? 
Das Wort insanierint erscheint für den Zusammenhang, in 
welchem nur von der eifrigen Erfüllung der Klientenpflichten 
die Rede ist, allzu stark. Seneca sagte wohl cum bene in- 
servierint. Inservire findet sich VIIL7, 1. 

X, 19, 1. Simile tu putas esse, utrum eures, ut incorrup- 
tum et a fraude advehentium et a neglegentia frumentum 
transfundatur in horrea, ne concepto umore vitietur et conca- 
lescat, ut ad mensuram pondusque respondeat. an ad haec 
sacra et sublimia accedas etc. Den Genitiv advehentinm muß 
man auch zu a neglegentia ergänzen, was an sich natürlich 
möglich ist, da die Konstruktion des drd xo:vo0 bei Seneca 
nicht ganz selten ist (vgl. Baehrens, Beiträge zur lat. Syntax 
3. 269 ff.). Aber eine andere Erwägung lest doch die Wahr- 
scheinlichkeit eines Wortausfalls nahe. Die Betrügerei der 
Lieferanten kann nämlich nur dann recht schädigend wir- 

en, wenn die Abnehmer nicht aufpassen. ob das Getreide 


® 


420 Miscellen. 


in trockenem Zustande und in der vereinbarten Menge heran- 
geführt wird. Die neglegentia liegt also naturgemäß mehr 
auf seiten der Abnehmer als der Lieferanten. Eben weil er 
den beiden Faktoren, die eine Schädigung des Staates verur- 
sachen können, Rechnung tragen will, wird Seneca die Ent- 
sprechung der Ablative durch et.... et gewählt haben. Ich 
füge daher hinter neglegentia den Genitiv sumentium hir- 
zu, der vor frumentum leicht ausfallen konnte. Zu sumere 
vgl. Cic. Verr. II, 188 cum.... frumentum in cellam ei 
sumere liceret. 

XI, 5,3. Der tote Bruder des Polybius verlangt garz 
gewiß keine übermäßige Trauer von seinem Bruder; selbst 
wenn dies weniger selbstverständlich wäre, würde Seneca zu 
Polybius sagen : sive te torqueri lacrimis numquam desinen- 
tibus frater tuus cupit, indignus hoc affectu tuo est; sive non 
vult, utrique vestrum inhaerenten: dolorem dimitte, nec impius 
frater sic desiderari debet nec pius sic velit. Da der Ambro- 
sianus für die ersten 16 Kapitel dieses Dialogs fehlt, sind 
wir bier auf die jüngeren Handschriften angewiesen. Diese 
schwanken zwischen vestrum (H) und nostrum (BDE). Natürlich 
baben die Herausgeber vestrum aufgenommeu. Aber auch so 
ist die Wendung utrique vestrum inhaerentem zu beanstanden; 
denn von einem Schmerze des Toten kann keine Rede sein. 
Schulteß wollte indecentem schreiben, doch liegt darin, wie er 
selbst fühlte, ein Vorwurf, der weder für den toten noch für 
den lebenden Bruder berechtigt ist. Ebenso schroff klingt 
Gertz’ Vorschlag utrique vestrum abhorrentem. Besser ist der 
von Mück utique vanum inhaerentem; nur dürfte vanum durch 
das der Ueberlieferung noch näher stehende frustra zu er- 
setzen sein. 

XII, 7,7. Ad hanc commutationem locorum libentes nomina 
dabant et relictis aris suis trans maria sequebatur colonos senex. 
Weil senex am Ende des zweiten Satzes als das einzige benannte 
Subjekt zu unvermittelt und beziehungslos ist, so hat man ent- 
weder den Schluß dieses Satzes oder das libentes des ersten Satzes 
ändern wollen. So schreibt Gertz nach Madvig sequebatur 
colonus vexillum, eine Verbesserung, die durch die ungewöhn- 
liche Klausel nicht gerade empfohlen wird. Auch hier scheint 
ein Wortausfall vorzuliegen: durch die Einfügung von (iu- 
venes) vor libentes wird die richtige Bezielung des über- 
lieferten senex am einfachsten hergestellt. 

XII, 16, 5. Ne feminae quidem te sinent intabescere 
volneri tuo, sed levior necessario maerore cito defunctam inu- 
bebunt exurgere. Für das zweifellos korrupte levior ist nach 
Hermes Ansicht die richtige Lesart noch nicht gefunden. In 


f 
! 
' 
j 


Miscellen. 421 


der Tat befriedigen Vorschläge wie leni ac necessario (Haase 
und Koch), vel pio necessarioque (Gertz), licito oder debito ac 
nec. (Schultess), leviore et nec. (Ellis) schon deshalb nicht 
recht, weil man zu maerore kein weiteres Attribut’ neben 
necessario vermißt. Kürzlich hat Walter (Wochenschr. f. klass. 
Philol. 1920 S. 129) necessario als Ablativ des Vergleichs 
sefaßt und Jevior durch lentiore ersetzt d. i. pertinacius haerenti 
quamı naturae necessitas postulat. Aber zu diesem Gedanken 
paßt, wie wir scheint, das cıto nicht recht, man erwartet 
dann eher ein Wort wie taudem. Auch die äußerlich leichte Ver- 
besserung Petschenigs levi ore wird von Hermes mit Recht 
abgelehnt, weil dieser Ausdruck sonst nur von noch bartlosen 
Jünglingen vorkommt. Vgl. die von H. angeführten Stellen. 
Ich stimme aber darin Petschenig bei, daß von Seneca die Art 
und Weise des exurgere hervorgehoben wurde und schlage 
deshalb alacriorem vor unter Hinweis auf Stellen wie 
ep. 72,4; 107,10; 108,7. 
Leer. K. Busche. 


13. Zu Valerius Maximus. 


I, VIII, 4 S. 46 Kempf.) Val. berichtet von dem Wunder, 
daß das Bildnis der Fortuna Muliebris zweimal gesprochen . 
habe, worauf die genaue Angabe ihrer Worte folgt, einge- 
leitet mit * prius his verbis. Die einfachste Korrektur scheint 
mir zu sein, propriüs für prius zu schreiben. Sinn: Die fol- 
genden Worte waren ihre eigenen (Worte), „das waren ihre 
eigenen Worte“. Die Entstehung des Fehlers ist leicht ver- 
ständlich, wenn wir annehmen, daß pro in Ligatur geschrieben 
war; denn dann konnte es leicht vor dem folgenden p über- 
sehen werden. Das übriggebliebene przis zog die Schreiber- 
konjektur prius nach sich. 

S. 116,7 f.] W. M. Lindsay, The archetype cod. of Val. 
Max. (Class. plilol. IV, 113 ff.) wendet sich (S. 116) gegen 
meine Behauptung, daß die von Servatus Lupus '), dem Kor- 


') Daß der Korrektor des Bernensis (A?) mit Lupus identisch ist, 
st nicht von Traube nachgewiesen, wie Alfr. Klotz in Berl. Phil. 
Woch. 32. Jahrg. (1912) Sp. 679 behauptet, sondern von mir in „Ein 
Kritiker des Val. Max. in 9. Jahrhundert“, Prgr. Neuburg a. D. 1901. 
Traube, der (Sitz.-Ber. bayr. Ak. 1801 S. 391) selber sagte, es könne 
nicht bewiesen werden, daß Lupus den Bernensis durchsah, baute 
einen 'leil seiner Schlußfolgerungen zudem auf einer falschen Voraus- 
setzung auf (s. mein Programm S. 19 und S. 26 Z. 23—30). Klotz, der 
meine Schrift offenbar gar nicht gelesen hat, wie das ganz falsche Zitat 
derselben in der Anm. zu Sp. 680 zeigt, ließ sich wahrscheinlich von 
Lindsay irreführen, der l.c. zwischen 'Traubes und meinem Anteil an 


493 Miscellen. 


rektor der Bernensis-Handschrift (= A), zwischen Punicam 
und porum firmitate (scil. pedites in litus retraxerun:) einge- 
setzten Worte: classem nantes lubrieis pelagi quasi cam von 
diesem selbst durch Konjektur gefunden seien. Er ist der 
Ansicht, daß Lupus diese Worte dem Archetyp des 
codex A (und L) entnommen habe, wo er sie auf der Seite 
nachgetragen vorgefunden habe (im Text schloß sich infolge 
eines durch die sich wiederholende Silbe cam verursachten 
Ausfalles an Punicam unmittelbar porum an). Lindsays Mei- 
nung, der Schanz, Röm. Lit. II, 2° S. 269 A. 6 beitrat, ist 
unhaltbar, was sich bündig beweisen läßt. Die Worte classem 
nantes usw. sind nämlich mit der Tinte geschrieben ?), deren 
sich Lupus bei der Kollation des Jul. Paris bediente, zu einer 
Zeit also, wo er den Archetyp des Bernensis nicht mehr in 
Händen hatte°). Auf diesen paläographischen Befund, der die 
Meinung Lindsays zu Fall bringt, habe ich schon in meinen 
„Neuen Untersuchungen zu Val. Max.“, Progr. Münnerstadt 1904. 
S. 20, aufmerksam gemacht. Daß der fragliche Passus nichts 
weiter als eine Konjektur ist, schließe ich übrigens auch aus 
einer grammatischen Beobachtung von Gertz (im kritischen 
Apparat bei Kempf angeführt). besonders aber aus der sach- 
lichen Unwahrscheinlichkeit des Mitgeteilten. Sollte denn 
wirklich Val. uns haben glauben machen wollen, die römischen 
Soldaten hätten schwimmend die punische Flotte trotz 
heftiger Gegenanstrengung der karthagischen Ruderer ans Ge- 
stade gezogen? Ich traue ihm einen solchen unvernünftigen 
Bericht nicht ohne weiteres zu. 

277,9 (libertas).. si quo non debuit profudit, reprehien- 


sionem meretur. — Es ist gewiß se vor profudit zu ergänzen: 
se profundere = sich ergießen, (gewaltsam) hervorbrechen. 


vom Freimut etwa: sich heftig äußern. 

442,26 caput latus L!. Die Lesart von A aemulatus ist 
sinngemäß, erweckt aber den Verdacht, daß sie durch Konjek- 
tur gefunden sei, weil aem und der erste Teil des « in Rasur 
stehen. Ich glaubte in „Neue Untersuchungen®* S. 23 die 
Lesart des Parıs: mitatus empfehlen zu sollen, da es mir 
nicht möglich schien, caput als Verlesung von aemu aufzu- 
fassen. Jetzt sehe ich aber in caput doch nichts anderes; es 
hat ja die gleiche Zahl von Schattenstrichen („c-Formen ‘) 


der Feststellung der Beziehungen des Lupus zum Bernensis nicht klar 
unterscheidet. Richtig referiert dagegen Schanz 1. c. S. 269. ' 
?) Hinsichtlich der Tinte und Dicke der Buchstaben gleicht dieser 
Eintrag den Stellen aus Paris anf der folgenden Codexseite (fP 39r): 
I. P. zmirnam (zu 116,24 Kempf) und metellus (117, 12). 
?) Ueber das chronologische Verhältnis der Einträge s. „Ein Kri- 
tiker d. Val. M.“ 24 ff. 


Miscellen. 493 


wie aemu. m muß in der Vorlage mit dem ersten Abstrich 
etwas unter die Zeile gegangen sein, so daß die beiden ersten 
Teile des Buchstabens zur Lesung » führten; derselbe Fehler 
beim Geogr. Ravenn. (edd. Pinder-Parthey) 86, 1, wo * Empsa 
in Emma zu korrigieren ist‘); der umgekehrte: n für p Rarv. 
63, 6 * Thonitis für Thopitıs. 

Nepotian 595, 7 (C. Fabius Dorsuo) .. ... *gabinatus, 
wofür Val. Max. 6,19 gabino (Adj. zum Stadtnamen Gabii) 
rits cinctus hat. DBücheler (Rhein. Mus. NF. 61 [1906] 
5.143) verteidigt gabinatus mit den Worten: „Unerhört, wie 
es scheint, aber nicht übel nach prasinatus etc“. — Der Ver- 
gleich ist verfehlt. Denn prasinatus „mit einen: lauchgrünen 
Kleide angetan“ ist wohl verständlich als Part. perf. pass. 
zu einem Verbum * prasinare „lauchgrün färben“ (von prası- 
nus) und entspricht vollkommen anderen Partizipien transitiver 
Verba, die von einem Farbadjektiv abgeleitet sind, wie 
ulbatus zu albare „weiß machen‘, candidatus zu candidare. 
Damit kann gabinatus, weil ihm kein Farbadjektiv zugrunde 
liegt, nicht in Parallele gesetzt werden. Ein Part. perf. pass. 
aber, das auf einen Stadtnamen zurückgehend mit dem 
hvpothetischen gabinatus verglichen werden könnte, gibt es 
nicht. — Zweifellos ist yabinlo ritu cin)ctus zu schreiben. 
Der Ausfall ist verschuldet durch die Wiederholung des in. 
Das a vor -tus erklärt sich vortrefflich aus der in beneventa- 
nischer Minuskel 5) geschriebenen Vorlage: der Bogen, den 
das £ in dieser Schrift links von seinem Hauptteil hat, wurde 
mit dem vorhergehenden c zusammen als a gelesen. 


München. Joseph Schnetz. 


14. Noch einmal die Duenos-Inschrift *). 


Zu der von ihm ann. dell. inst. 1880 p. 158 tab. L heraus- 
gegebenen Inschrift sagt Dressel CJL. XV p. 775: titulos 
ıam celeberrimos „Jovei sat deivos cet.* inscriptos. Die von 
 Lommatzsch im CJL. I? n. 4 gebrachte Lesung weicht von 
der Dressels nur dadurch ab, daß hier statt Jovei sat „Jove/ 
sat“ gebracht wird, indem nach L. „lineola ista et longior et 
tenuior quam ut litteram i existimes..... voluit fortasse 
'scriptor distinguere inter iove sat.“ Wenn nun aber nach L. 


J 

*%) 8 ist hier aus einem c-Strich verlesen wie in 431, 3 *Bresnetenaci, 
das in Bremetenaci geändert werden muß. 

s) S, „Neue Untersuchungen“ S. 30 f. 

*) Korrekturnote. Zu mitat vgl. jedoch K. Z. 50 H. 34. 


— et ie 


424 Miscellen. 


selbst nonnulli litteram i legunt“ (darunter der erste Heraus- 
geber Dressel) und es bis jetzt noch niemand gelungen ist. 
aus L.s Lesung dieses Teils der Inschrift einen vernünftigen 
Sinn herauszubringen, während der Lesung Dressels, wie ich 
Philol. 74 p. 472 f. zu zeigen geglaubt habe, ein solcher wolıl 
innewohnt, so wird man der Ansicht, als sei die über das ge- 
wöhnliche Maß eines ı herausragende lineola „casu vel 
aberratione stili“ facta eine gewisse Wahrscheinlich- 
keit nicht absprechen können, zumal in der doch ziemlich aus- 
gedehnien Inschrift andere solche Scheidestriche sich nicht 
finden und grade an der betreffenden Stelle die Veranlassung 
zu einem solchen Scheidestrich noch nicht sich bat ergründen 
lassen. Den Rhotazismus bei pacari hat man kein Recht an- 
zuzweifeln, trotzdem unsere Inschrift „non ultra annum a. 
Chr. 350 ascendere videtur*, da es sich bei der Notiz über 
Appius Claudius (312 v. Ch.) in den dig. 1, 2, 2, 3b, nur 
um die Schreibung von Eigennamen handelt, die ja bekannt- 
lich einer Lautveränderung besonders starken Widerstand 
entgegenstellen; auch das lases im carmen arvale beweist 
nichts für die Anfangszeit des Rhotazismus, da dort pleores 
steht, und ob in der Forumschrift esed nicht etwa für esset 
steht? 
München. August Zimmermann. 


15. Polemarchen in Pharsalos. 


Die von H. Pomtow in dieser Zeitschrift LXXVII 195 fi. 
veröffentlichte Weihinschrift der Pharsalier aus Delphi ver- 
dient eine nochmalige Betrachtung. Sie ist nach Polemarchen 
— wie Pomtow glaubt, vier an der Zahl — datiert und 
der Herausgeber hat darnach und nach dem Charakter der 
Schrift, der auf die Mitte oder zweite Hälfte des vierten Jh. 
weist, das Anathem auf die J. 346 bis 344 bestimmt; die 
obere Grenze ergibt sich ibnı aus dem Umstand, daß die 
Thessaler seit 358 im Kriege mit Delphi-Phokis waren, der 
erst 346 beendet wurde, die untere daraus, daß im J. 343 
an Stelle der seit 363 existierenden Polemarchen der thessa- 
lischen Landschaften Tetrarchen traten. 

Allein gegen diese Argumentation erheben sich doch 
Zweifel, vor allem daran, daß eine nicht von dem Bunde, 
sondern der Stadt Pharsalos ausgehende Weihung nur naclı 
Bundesbeamten — denn daß die Polemarchen auch im thessa- 
lischen Bunde Funktionen ausübten, bezeugt ihre Rolle als 
Mitbeschwörer des Vertrages mit Athen IG.11?116 (= Syll.? 184), 


s 


Miscellen. 425 


2. 22 ff., vgl. ibid. 1759, Z 5fl. —, nicht nach lokalen 
Magistraten, die mindestens neben ihnen hätten erscheinen 
wüssen, datiert gewesen sein soll. Und selbst wenn man 
geneigt ist, an Ersteres zu denken, so würde man erwarten, 
daß auch das Bundesoberhaupt, der Arclon ?), genannt werde 
und von den Polemarchen nicht alle, sondern nur derjenige 
der betreffenden Landschaft (oder des betreffenden der vier 
Bünde, aus welchen Thessalien sich damals zusammensetzte), 
also in diesem Falle derjenige der Tetras Plıthiotis, zu welcher 
Pharsalos gehörte, 

Viel näher liegt es also in den hier genannten Polemarchen 
nicht diejenigen der Tetraden, sondern das damals an der 
Spitze der Stadt stehende Kollegium zu erkennen), woran 
auch Pomtow dachte, was er aber dann fallen ließ, weil er 
gerade mit Rücksicht auf IG. IL? 175 glaubt, daß in Z. 2 
unserer Inschrift nicht drei, sondern vier Namen gestanden 
hätten (sie sind leider zu Anfang verstümmelt). Wir werden 
aber die von ilım offen gelassene Eventualität vorziehen, daß 
die elf nur zum geringsten Teil erhaltenen Buchstaben einen 
langen Namen enthielten, nicht zwei kurze, denn dann ergibt 
sich eine merkwürdige Analogie zu der Tatsache, daß auch 
als oberstes Kollegium der boeotischen Städte drei Polemarchen 
nachzuweisen sind (vgl. m. Griech. Staatsaltertümer 234 und 
über die Ursprünglichkeit dieser Zahl ebd. 253, 7)*). Es ist 


—— 


1) Zu dieser Urkunde Beloch, Griech. Gesch. II! 299, 2 und Pomtow 
1.1. 197,4, dessen Vermutung, daß sie den Schluß von 1G. 11% 116 bilde, 
ansprechend ist, aber doch zur endgültigen Bestätigung einer erneuten 
Nachprüfung beider Stelen, besonders ihres Schriftcharakters, bedarf. 

2) Dafür ist ea einerlei, ob man, was die herrschende Ansicht ist 
und auch ich für richtig halte, in dem Archon den Leiter der Regie- 
rung sieht oder in mit W. Schönfelder, Die städtischen und Bundes- 
beamten des griechischen Festlandes vom 4. Jh. v. Chr. bis in die 
römische Kaiserzeit (Dissert. Leipzig 1917) 11. 124 als repräsentativen 
Vorsitzenden des Bundes auffaßt. Ich glaube, daß in diesem Punkte 
die von Schönfelder herangezogene Analogie des Löotischen Bundes 
ırreführt. Anderseits scheint Ed. Meyer, Theopomps Hellenika 228, 6 
dem Archon in der auswärtigen Politik zu große Machtbefugnisse zu- 
zuschreiben. 

®) Wenn meine Vermutung zutrifft, daß die Polemarchen auf 
Lebensdauer bestellt wurden (Staatsultert. 233, .9; anders Beloch, Gr. 
Gesch. I2 2, 199 und Schönfelder a. a. O. 125, die sie als Jahresbeamte 
auffussen), so würde dies einen weiteren Grund dafür abgeben, denn 
' lebenslängliche Benmte sind zur Datierung nicht oder jedesfalls weni- 
ger geeignet als Juhres-Eponyme. 

4) Die Zahl Drei als Mindestmaß für die Bildung eines Kollegiums 
(tres faciunt collegium) ist gewiß sehr alt (Schönfelders Erklärung a. a. O. 
: 38ff. dieser Tatsache für Boötien scheint mir problematisch zu sein). 
Auch in den ätolischen Städten trifft man auf ein leitendes Kollegium 
. von drei Archonten (m. Staatsaltert. 369); die gleiche Erscheinung in 


426 Miscellen. 


nun eine schon lange bekannte Tatsache, daß die Boeoter 
dieses Amt auch in denjenigen Städten einführten, die sich 
außerhalb des Bereiches ihrer engeren Landschaft dem Bund 
anschlossen (vgl. dafür Holleaux, Bull. de corr. hell. X 157 ££.; 
m. Staatsalt. 282)°). Anderseits steht es fest (vgl. besonders 
G. Gilbert, Handbuch d. griech. Staatsaltertümer II 12), daß 
der im J. 363°) organisierte thessalische Bundesstaat °) speziell 
in der Benennung seiner Beamten (Archon, Polemarchen) sich 
an das boeotische Muster anlehnte. Die Inschrift von Pharsalos 


L 
! 


| 


erlaubt aber, wie ich glaube, einen weiteren Schluß, der für : 


die Beurteilung des damaligen Vorgehens der Boeoter von 


Wichtigkeit ist. Es scheint, daß sie an Stelle des früher an : 
der Spitze der Städte stehenden Kollegiums der tayot (vgl. die 


Bronze der Thetonier, IG. IX 2, 257 = Syll.? 55, 2. 7 ff. 
ein solches von drei Polemarchen setzten, also die boeotische 
Stadtverfassung nach Thessalien verpflanzten. Dagegen darf 


| 
| 


man nicht anführen (so Pomtow 197), daß damals die Städte | 


unter t&yol gestanden hätten, denn über die Stadtordnungen 
Thessaliens im Laufe des vierten Jh. haben wir überhaupt 
kein Zeugnis°®); gewiß ist die städtische tayei« von hohem 


der achäischen Phthiotis (ebda. 245, 12) und in dem westlichen Lokri: 


(Schönfelder 91 ff.) geht wohl auf ätolischen Einfluß zurück (Schön- ' 


felder Il. und 17 ff... Dazu stimmt, daß nach der bei Aristoteles vor- 
liegenden Konstruktion ("AYv. noA. 3) das ‚Archonten-Kollegium‘ in 
Athen ursprünglich als zusammengesetzt aus König, Polemarchos, Ar- 
chon gedacht ist. Zu erinnern ist auch an die Dreizahl in römischen 
Beamtenkollegien (Tresviri capitales, Trv. aere argento auro flando feri- 
undo), die allerdings späteren Ursprungs sind, und in den sakralen 
Kollegien (11I v. epulonum — auch die Auguren waren ursprünglich 
drei). Für die weite Verbreitung der Dreizahl in kultischer Beziehung 
genügt der Hinweis auf Useners schöne Ausführungen über Dreiheit 
im Rhein. Mus. LVIIT. 

°) Auch in Halai, vgl. Amer. Journ. of Archaeology, S. 2, XIX 
444 F.,n. 3.4. 

*%) Zum Datum Gilbert a. O. und Ed. Meyer, Gesch. d. Altert. V 4, 
der in Theop. Hell. 231 sich etwas schwankend verhält. 

”) Ueber von ihm herrührende Münzen vgl. Hiller von Gärtringen. 
Zeitschr. f. Numismatik XXXIII 44 ff. 
®\, Schönfelder nimmt (17.128) auf Grund der Inschrift 1G.1X 2, 241: 
Tol dyuıatar dves[e]nav Apxovrwv Zoo[av]dpo ’Acavdro städtische Archonten 
von Pharsalos im vierten Jahrhundert an (ebenso Kern im Ind. zu diesen 
Bd. der 1G. S. 313). Allein diese Weihung. die nach ihren orthogra- 
phischen Eigentümlichkeiten unzweifelhaft aus den ersten Jahrzehnten 
dieses Jahrhunderts stammt (FE. Solmsen, Rhein. Mus. LX 148 #f.), ist 
gewiß nicht, wie bereits De Sanctis bemerkte (Monumenti antichi VIII 66). 
nach Archonten der Stadt datiert; allerdings sind es schwerlich. 
wie er mit Rücksicht nuf Etym. Magn; Hesych s. u. &yyıncae meint. 
Archonten einer x@pn. Die dyvıätat wird man wohl richtiger für einen 
sakralen Verein zuın Kultus des Apollon Agyiatas (Agyieus, cf. Steplı. 
Byz. s. u. 'Ayuı« ; Aeschyl. Agamenınon 1033 ff., 1039 ff. ;, Wentzel, R. E. 


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u DE EEE Pen EEE: et EEE: se en leute. _n en en 7 TEE nn EEE NETT ———— „ini (un 


Miscellen. 427 


Alter®), aber Belege für ihre Existenz besitzen wir nur für 
das fünfte Jh. (die 0. angeführte Sotairos-Inschrift) und dann 
wieder seit dem dritten Jh., vgl. auch die Uebersicht bei Schön- 
felder a. O. 15 ff., 127. Es kanu ulso ganz gut in unserer 
Zeit eine Unterbrechung ihres Bestundes eingetreten sein. 
Dies würde aber beweisen, daß die Organisation des thessa- 
lischen Staates durch die Boeoter doch eingreifender war, als 
manche glauben möchten !%). Gegen die Annahme von 
städtischen Polemarchoi neben solchen von Tetraden kann 
nichts eingewendet werden; gerade Thessalien bietet das Bei- 
spiel, daß sowohl das leitende Kollegium der Städte als das 
Bundesoberhaupt denselben Namen, tayös bzw. txyot, führten. 

Wie lange diese Umgestaltung der Stadtverfassung durch die 
Boeoter und der von ihnen organisierte thessalische Bund über- 
haupt Bestand hatten, kann man nicht sagen, da in dem Jahr- 
zehnt von 362 ab besonders durch das Auftreten der Tyrannen 
von Pherai und dann durch deren kriegerische Verwicklung 
mit Philipp von Makedonien ganz verwirrte Verhältnisse in 
Thessalien herrschten. Aus diesem Grunde erscheint es daher 
als geraten, die Inschrift von Pharsalos nicht so spät anzusetzen, 
wie Pontow es tut!!), denn es ist zum Mindesten nicht zu 
beweisen, daß die in ihr vorausgesetzten Einrichtungen noclı 
zwischen 346 und 344 existierten. Eher wird sie in die Zeit 
bald nach 363 gehören, in die Jahre zwischen der Neugestal- 
tung des thessalischen xco:vöv durch die Boeoter und dem Aus- 
bruch des heiligen Krieges. An die Stelle der boeotischen 


1 %9) halten; wenn die Verehrer des Bakchos Baxyc: hießen, so konnten 
sich auch diejenigen des Apollon Agyiatas "Ayu:ätz: nennen. An der 
Spitze des Vereins standen zwei Archonten; allerdings ergibt sich 
nach Poland, Gesch. d. griech. Vereinswesens (Preisschriften der Jablo- 
nowskischen Gesellschaft XXXVIIL) 361 ff., daß bei Beamten von Ge- 
nossenschaften der Titel Archon fast ganz vermieden wird; er kennt 
dafür nur ein einziges Beispiel aus vorchristlicher Zeit [Delos], ab- 
gesehen von den Vereinigungen des späteren Typus. Allein man darf 
nicht vergessen, daß unsere Inschrift eines der frühesten Zeugnisse für 
die Organisation der Vereine darstellen würde; es ist daher fraglich, 
ob diese aus jüngeren Inschriften erschlossene Kegel schon auf sie an- 
zuwenden ist. 
... 9) Wenn Costanzis Ansicht, daß die städtische Tageia ursprüng- 
' licher war als diejenige des Bundes, zuträfe, so würde dies eine wesent- 
liche Unterstützung dieses Satzes abgeben; aber ich kann sie auch naclı 
‚ deren erneuter Begründung in Riv. di Filologia XLII 555 ff. nicht für 
richtig halten. 
10) So Costanzi, Suaggio di Storia tessalica I (Pisa 1906) 118, 1. 
ı) Auf dessen weitere Kombinationen über die Zeit des Weih- 
seschenkes der Pharsalier bei Pausan. X 13, 5 und dessen Identifikation 
mit dem durch unsere Inschrift bezeugten Denkmal ich natürlich nicht 
eingehen kann. 


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498 Miscellen. 


Stadtordnung ist dann wieder das angestammte Kollegium 
der tayc! getreten !*), spätestens 343 bei der Neuorganisation 
Thessaliens durch Philipp ®) 1%). 


Prag. Heinrich Swoboda. 

12) Für Pharsalos vgl. IG. IX 2,234 (drittes Jahrhundert). 

1?) Die Einsetzung von Dekarchien durch Philipp im J. 344 (nach 
meiner Ansicht, Jahreshefte d. österr. archäol. Inst. VI 209 m. A. 10 — 
in abweichendem Sinn wurde die Frage zuletzt erörtert von Costanzi. 
Studi di storia macedonica sino & Filippo [Pisa 1915]) war jedesfalls 
nur eine vorübergehende Maßregel (Kaerst, Gesch. des Hellenismus I! 
243, 2). 

14) Beloch, Griech. Gesch. 132, 200 hält es für möglich, daß von da 
ab das Bundesoberhaupt (der makedonische König) wieder den Titel 
tay6s führte. 


— m no 


Bei der Redaktion eingegangene Druckschritten. 


Th. W. Allen, The Homeric catalogue of ships. Oxford, Clarendon 
Press 1921. u 

Th. E. Ameringer, The stilistic influence of the second sophistic 
on tlıe panegyrical sermons of St. John Chrysostom. Diss. 
Washington, Cathol. Univ. 1921. 

Aristotelis Meteorologicorum libri IV. Rec. F. M. Fobes. Cam- 
bridge (Massach.) Harvard Press 1919. 

FE. Dupreel, La legende socratique et les sources de Platon. Brüssel, 
Rob. Sand 1922. 

P. Friedländer, Der große Alecibiades ein Weg zu Plato. Bonn, 
Fr Cohen 1921. 

R. M. Gummere, Seneca the pliilosopher and his modern message. 
Boston (Massach.) Marshall Jones Co. o. J. 

F, E. Guzer, The influence of Ovid on Chrestien de Troyes. Diss. 
Chicago, Univ. of Chig. libr. 1921 (The Roman review X). 

K.M. E. de Jong, De Magie bij de Grieken en Romeinen. Haar- 
lem T. Bohn Erben 1921. 

W. A. Kosten, Inquiritur, quid Xenophontis Aaxsdarpoviwv noirısia 
valent ad Lacedaemoniorum instituta cognoscenda. Utrechter Diss. 
Middelburg, Den Boer 1421. 

(. J. Laing, Tüe genitive of value and other constructions with verbs 
of rating. Cnicago, Univ. of Chig. Press o. J. 

M.M. Laserson, Recht, Rechtsseitigkeit und Geradheit. Berlin, 
R. L. Prager 1921 

Gr. Showermun, Horace and his influence, Boston (Massach.) Mar- 
shall Jones Co. 0. J. 

Fr. D. Smith, Athenian political commissions. Diss. Chicago 1920. 

J. W. Taylor, Georgius Gemistus Pletho’s criticism of Piato and 
Aristotle. Diss. Chicago 1921. 

A. Thierfelder, Metrik. Leipzig, Breitkopf u. Härtel 1919. 

A. Thierfelder, Tekmessa. Leipzig, Breitkopf u. Härtel o. J. 

2 Thierfelder, Paean, Leipzig, Breitkopf u. Härtel o. J. 


Wiener, Tacitus’ Germania and other forgeries.. Philadelphia, | 


Inns and sons 19%. 


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Register. 


T. Stellenverzeichnis. 


Aeneas Tact. cap. 31 144 
Aetna v. 63 413 
Ammianus Marcellinus c. 18, 

6, 17 174 
Apuleius apologia 89 147 
Arıistoph. Lysist. v. 991 160 
Aristot. Soph. Widerleg. 301 ff. 

Topik 301 ff 
Athen. IX 368 E ff 403 ff 

„ XIV 657 Bf. 407 f 
Callimachus epigr. 51 176 £ 
Catull c. 4 2,7 

».038l 2 

» 0. 46 2 

» .c.5 3 

» 68 9f. 

» 0.8 15 ff. 

:» ec. 101 2 

..» © 103 28 ff. 
Cicero ad Att. XIII 32 155 


Duenos-Inschrift 423 
Gellius N. A. XVII9 150, 158, 166 
Herodot V 35 150 


„edle qui fertur de: 
edi 


ico libellus ggf. 
Hippocratis qui fertur de 
offieina 109 


Hippocratise qui fertur de 


& II, Sachliches. 


Accursius 146 
Alberti, Leo Baptista 170 
Artikel 335, Anm. 7 
Athbrasch 165 
Augustus 167 

a Venerabilis 146 ff. 
Bonifaz 164 
Brutus 174 
Caesar 142, 165, 166 ff. 


Philologus LAXVIII (N. F. XXXII), 3/4. 


prisca medicing 105 
Hippocratis qui fertur de 

ulceribus 107 
Appoyı refut. haeres. 

28 157 
Homer, Ilias 280 ff. 
Juvenal X 249 147 
Lactantius 131 . 381 ff. 
Livius VII, 2, 48. 240 f., 246 ff. 
Menander Samia 193 ff. 
Philo Mechanik V 102, 1 157 

z R V 102, 39 151 
Plato 2. Brief 75 ff. 

= R 46 ff. 
Plato 381 ff. 
Plutarch Lysander c. 9 158 
Polybius X c. 45 149 
Seneca dial. 180 ff. 
Seneca dial. 414 ft. 
Sophocles fr. 787 392 
Sueton Augustus 155 
Thucydides I 131 160 

7 I 11, 7 396 
Valerius Maximus 421 ff. 
Xenophon Hellenica V 2, 

37 160 
Catull 1 
Catull, Chronologie 30 ff. 
Chariton 230 ff. 
Cicero 21, 881 f. 
clausula 349 Anm. 47 
Clodıa ı£., 19 ff. 
Decknamen 155 
Empedocles 202 ff. 
Entmischung 203 ff. 


28 


430 


Epikur, Kinfluß des 
Etrurien 

Etruskisch 
Eustathius 
Fadenchiffre 
Feuersprache 


Furien 
Galläpfelsaft 
Geheimschrift 
Geometrischer Stil 
Gitterschrift 

C. Gracchus 

Haß (bei Empedocles) 
Homer, Ilias 
Hrabanus Maurus 
Ilias 

Jeremia 
Kryptographie 
Laodamiaelegie 
Lesbia 

Liebe (bei Emped.) 
loquela per digitos 
Mischung 
Nausiphanes 
Netzschrift 

Noten, tironische 
N ephele. 


Ovi 
Patronenschrift 


Organismen, Entstehung der 216 ff. 
d 26 


Vincentius von Beauvais 
Wiederholung des gleichen 


Register. 

95 | Pharsalos aM _ 
264 ff. | Poe, Ed. All. 142 
257 ff. | Polemarchen 4A 

154 | Oöpa 204 

144 | Porta, Joannes Bapt. 143, ). 

149 | Prarsens 342 Anm, 

183 | Quadratlinienschrift 

157 ! Quintilian 

142 | Rabelaie 145 £., 

280 ff. | Reversionschiffre 

162 | Satire 28 

183 | Saturnischer Vers 
208. . Satzapposition 39 

280 | Silvester es 

164 | Zxurdiy 
280 ff. | Sonne 21 

165 | Sonnenbahn 2] - 
142 ff, | Stenographie \ 

yf. | Stil, geometr. p. 
1ff. ' Symmetrie 2a 
208 E. | Sympathet. Tinten 

145 | Tironische Noten 
203 ff. | Trithemius 148, 152 ff.,158, 109 7 

98 |, Troia 

162 | Varro z 

152 | Vermehrungschiffre 1: 7% 

114 | Verminderungschiffre 

| 
| 
| 


162 


Wortes 351 Anı 


= @ 
ER 
\ 


III. Wörterverzeichnis. 


Äntepewg 395 
&pl£nAog 176 ff. 
BöJpog 401 
&.FbpaııBog 277 
elöwiov 60. 
sig 394 


Tan ßog 
xal 
Aöyog 
övona 
Tolzv TI 
To Ev 


277 
335  Iudio 
60 placamen 
60 ff. satura 233 ff,‘ :-. 
65 ff. > SS = 
65 ff. en 


DE 2 Mn 5 2 26 rien „DIES En Een nen. 


THE UNIVERSITY OF MICHIGAN 
GRADUATE LIBRARY 


DATE DUE- 


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